Das Wichtigste in 1980 – Der 1. Iran-Irak Krieg und Vulkanausbruch am Mount St. Helens – Talking Heads bis Iron Maiden

Iran und Irak beginnen den ersten Golfkrieg und der Iran wird erstmals weltweit mit Sanktionen belegt. In den USA wird der republikanische Rechtsausleger und minderbemittelte Ex-Schauspieler Ronald Reagan Präsident und die Truppen der UdSSR marschieren in Afghanistan ein, was die Stimmung zwischen den Großmächten ziemlich verschlechtert.

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So werden die olympischen Sommerspiele in Moskau von den meisten westlichen Staaten boykottiert. In Polen streiken derweil Werftarbeiter für bessere Lebensverhältnisse – was die Brüchigkeit des kommunistischen Systems bloß legt. In Deutschland formiert sich aus der Anti-Kernkraft Bewegung eine politischen Opposition – Die sogenannten „Grünen“ gründen sich als explizit ökologische – und zu diesem Zeitpunkt auch streng pazifistische – Partei. In Alaska bricht der Vulkan Mount St. Helens aus, einer der heftigsten Vulkanausbrüche der jüngeren Erdgeschichte, Bei einem Erdbeben in Algerien kommen 20.000 Menschen ums Leben. Bon Scott (AC/DC) stirbt, ebenso John Bonham (Led Zeppelin), Ian Curtis von Joy Division begeht Selbstmord, der Jazz-Musiker Bill Evans und der Songwriter Tim Hardin sterben und am 8. Dezember wird John Lennon in New York von einem durchgedrehten Fan auf offener Straße erschossen. Mit ihm stirbt eine DER Symbolfiguren der Rockmusik der Sechziger. Der an Krebs erkrankte Bob Marley gibt seine letzten Konzerte. 1980 ist die Wasserscheide zwischen Punk und Post-Punk, (der da noch New Wave genannt wird). Hardrock im UK verwandelt sich unter dem Einfluss von Punk in die „New Wave of British Heavy Metal“ und viele etablierte Musiker holen sich ihre Inspirationen aus Punk und New Wave. Einige der besten Debütalben des Post Punk entstehen, auch die sog. „Neue Deutsche Welle“ – die Reaktion auf die Musik aus England – erlebt ihren Höhepunkt mit hörenswerten Platten vom Plan, DAF, Fehlfarben etc. Einige längst etablierte Musiker wie Steely Dan, Peter Gabriel oder Van Morrison bringen durchaus Hervorragendes zustande. Ein schwarzer Musiker namens Prince schafft den musikalischen Durchbruch, aber es gibt auch in diesem Jahr haufenweise Musik, die ich nicht beachte, obwohl doch die Massen Unsummen dafür aus dem Fenster werfen – wie etwa Christopher Cross‘ Debüt oder Diana Ross‘ Megaseller Upside Down oder Genesis‘ kommerzieller Durchbruch mit dem unerquicklichen Pop-Produkt Duke.

Talking Heads
Remain in Light

(Sire, 1980)

Cover – New Yorker Grafik Design Büro M&co

1980 war für die Talking Heads das Jahr der Festlegung in eine bestimmte stilistische Richtung. Sie waren in den Jahren zuvor unter dem Einfluss von Brian Eno immer mehr zu einer eigenständigen, seltsam intellektuellen Funk- und Soul Maschine geworden. Auf Remain in Light sogen sie nun im finalen Schritt hin zur explodierende Tanzkapelle Einflüsse insbesondere aus der afrikanischen Musik auf. Nicht ganz frei von Trend-Einflüssen übrigens – afrikanische Sounds waren gerade en vogue – allerdings waren die Talking Heads hier Trendsetter und nicht -follower… Für das neue Album breiteten Tina Weymouth und Chris Frantz einen polyrythmisch hüpfenden Teppiche aus, auf dem dann Gitarren und Keyboards ein Geflecht aus Sounds und Melodien verteilten. Dazu erfand David Byrne seine Texte ausnahmsweise spontan und lautmalerisch, laut eigener Aussage insbesondere beeinflusst von amerikanischen Fernsehpredigern. Ein Einfluss, den er auf der Kollaboration mit Brian Eno (My Life in the Bush of Ghosts) noch mehr aufgreifen würde. Das entstehende Gemisch aus purem Rhythmus und kühlem Intellekt war 1980 ungeheuer aufregend und neu, und es sollte immensen Einfluß auf die Musik des kommenden Jahrzehnts haben. Die intellektuelle Zickigkeit und Artyness der Talking Heads, die sie zuvor oft so fern aller Menschlichkeit und Wärme positioniert hatte – und ihnen übrigens auch den Weg in die Kommerzialität versperrt hatte – ging hier im Groove von Stücken wie „Once in a Lifetime“ oder „The Great Curve“ regelrecht unter. Und das schöne „Listening Wind“ ist zugleich das mitfühlendste Stück, das den Heads je gelang. Erwähnen muß man neben Eno unbedingt auch die zahlreichen Gastmusiker – darunter insbesondere den Gitarrist Adrian Belew (das unfassbare Ende von „The Great Curve“!!) -die einen hohen Anteil an der Klasse von Remain in Light. haben. Müßte ich die beste Platte der Talking Heads wählen, es wäre diese. (Muss man aber nicht…)

Joy Division
Closer

(Factory, 1980)

Design – Peter Saville. Figur vom Friedhof von Satglieno in Genua

Ian Curtis, Frontmann von Joy Division befand sich während der Aufnahmen zu Closer laut späteren Berichten seiner Bandkollegen zufolge in einer Art Trance. Die Band bekam endlich die ersehnte Anerkennung, Curtis hatte eine Groupie-Affäre und mit seiner Gesundheit ging es bergab. Das so von ihm herbeigesehnte Rockstar-Leben war offenbar nicht gut für ihn, er war in einer Krise – die er aber mit seinen Kollegen nicht kommunizierte – wie es auch diverse Dokumentationen und der sehenswerte Film von Anton Corbijn zeigen. Und einen Monat nach den Aufnahmen zum zweiten Album brachte Curtis sich um – für sein Umfeld überraschend – weswegen Closer wohl für immer als Ankündigung für seinen Suizid angesehen werden wird. Insbesondere die zweite LP-Seite wirkt durch ihre seltsam fatalistische Musik kurz vor dem Stillstand – mit Songs wie „Decades“ und „Eternal“ – äußerst bedrückend. Aber diese Musik ist zugleich von einer düsteren und beeindruckenden Schönheit – man möchte fast sagen „Tröstlichkeit“. In “Atrocity Exhibition“ lädt Curtis uns im reinsten Wortsinn in seine düstere Welt ein. In eine Welt, die von großer melodischer Schönheit ist, die in Songs wie „Isolation“ vielleicht keine Hoffnung verheißt, in der der Untergang aber jeden Schrecken verloren hat, weil er unausweichlich und sogar befreiend zu sein scheint – eine Stimmung, die Joy Division schließlich von Beginn an erzeugen wollten, und die den Selbstmord Curtis‘ nicht weniger traurig macht. Die wieder eiskalte Produktion von Martin Hannett (von der Band übrigens seinerzeit sehr kritisiert…) tat natürlich ihr Übriges, und das Cover Design (schon Monate vor Curtis‘ Tod festgelegt) war nur noch der logische Schlußpunkt. Man sollte also immer bedenken: Die Songs wurden so geschrieben und das Album so aufgenommen und gestaltet wie es ist, BEVOR Ian Curtis seinem Leben ein Ende setzte. Es wurde erst später zum Denkmal. Man kann zu Recht die LP vorziehen, aber die Luxus CD-Version mit dem Konzertmitschnitt aus der University of London vom 8. Februar 1980 ist auch nicht zu verachten…

Joy Division
Love Will Tear Us Apart EP

(Factory, 1980)

…aber den Verdacht, dass Factory den Umstand von Ian Curtis‘ Tod am 18. Mai 1980 bei der Single Love Will Tear Us Apart mit ins Kalkül zog, kann man klar verneinen. Die 7“ erschien im April – nur die 12“ mit dem liegenden Engel auf dem Cover kam dann einen Monat nach Curtis‘ Tod heraus. Sprich.. die Planung für die Single mit zwei Non-Album Tracks lief schon Wochen vor Curtis‘ Tod und der Titel, der für Joy Division zum kommerziellen (zu späten…) Durchbruch wurde, passte auch vor dem Tod des Sängers zur Ästhetik dieser Band. Auch ein Video wurde noch aufgenommen, alles auf dieser Single hatte – wie das Album – im Nachhinein etwas Fatales. Man interpretiert wahlweise Curtis zu diesem Zeitpunkt desolate Beziehung zu seiner Frau, zu seiner Freundin, man kann den Text auf die seit ’79 diagnostizierte Epilepsie und die damit verbundenen Ängste zurückführen… egal was man daraus interpretiert, ich MUSS (entgegen der üblichen Vorgehesweise in diesem Buch) diese Single erwähnen – sie war für die Legendenbildung entscheidend. Abgesehen davon, dass die beiden je auf der A- und der B-Seite enthaltenen Versionen von „Love Will Tear Us Apart“ großartig sind, Der Song erreichte Platz 13 in den Single-Charts, wurde später vom NME zur besten Single aller Zeiten gewählt (wasauchimmer das bedeuten mag…) und wurde bald von etlichen weniger kompetenten Acts gecovert. Der zweite Track der EP – „These Days“ ist auch fein – er wäre auf Closer nicht fehl am Platz gewesen, wäre aber in seiner rohen Ausführung etwas untergegangen – aber verblasst neben dem Titeltrack. Und wer klug ist, besorgt sich neben der oben erwähnten Luxus CD-Version mindestens noch die ’88er Compilation Substance. Auf beiden Alben ist der Song enthalten.

The Cure
Seventeen Seconds

(Fiction, 1980)

Artwork – Bill Smith. Hat auch etliche Cover von The Jam etwa gemacht

Nur 11 Monate nach dem geradlinigen New Wave von Three Imaginary Boys erfanden Robert Smith und seine Band ihren Sound noch einmal neu und veröffentlichten mit Seventeen Seconds ein Album, das ebenso sehr ein Klassiker des Post Punk wurde, wie es zugleich den Gothic Rock definieren sollte. Tatsächlich wäre das Album ein bis zwei Jahre später als Hybrid aus Beidem bezeichnte worden – oder sagen wir es mal so: 1980 gab es vielleicht einfach noch keine Einschränkungen durch so etwas beschränktes wie Genregrenzen. Noch waren die Songs der neuen Cure bewusst reduziert, ohne die auf späteren Alben wie Pornography üblichen verzerrten Soundwände. Seventeen Seconds mag den folgenden Alben in der Art des Gesanges und in der Düsternis der Texte ähneln und auch die Arrangements verweisen schon auf zukünftige Alben, die Songs selber jedoch verweigern sich noch dem popmusikalischen Verse/Chorus/Verse Format, was dazu geführt haben mag, dass Seventeen Seconds von Manchen als zu seltsam und sogar schwach empfunden wird. Wer jedoch die atmosphärische Seite der Musik von The Cure mag, wird dieses Album lieben. Die komplette zweite Seite der LP ist fehlerlos, die Hitsingle „A Forest“ mit ihrem Mix aus kühlem Ambient-Sound und Krautrock Groove ist einer der besten Songs von The Cure. Und Gothic Fans werden Songs wie „Secrets“, „In Your House“ und „At Night“ lieben, während „M“ wiederum schon fast so catchy ist, wie spätere Hits. Selbst in seiner düstersten Stimmung vermochte der hier gerade mal 22-jährige Robert Smith offensichtlich den Pop-Musiker in sich nicht zu verleugnen. Eine Tatsache, die sich durch seine komplette Karriere ziehen sollte – eine Karriere , die mit diesem Album Fahrt aufnahm.

Young Marble Giants
Colossal Youth

(Rough Trade, 1980)

Cover Foto – Pat Graham

Die Waliser Band Young Marble Giants mag es weder beabsichtigt haben, noch überhaupt daran gedacht haben ihrem Sound ein Etikett zu verpassen: Aber aus dem heutigen Blickwinkel ist ihr einziges Album Colossal Youth Zen Disco, New Wave Haiku, Monk-Punk, seltsam weltfremder Ramones/Pistols Minimalismus, ein Album, welches Popmusik in einen Film verwandelt, der in Zeitlupe nach allen Richtungen explodiert. Colossal Youth mag mit seinen perfekt platzierten Gitarren, sparsamen Drums, Bass und Gesang einen ebenso großen Einfluß auf kommende Generationen von Slow-Core Bands wie Low oder Codeine gehabt haben wie auf Lo-Fi Bastler der 90er mit ihren 4-Track Aufnahmegeräten. Zu ihrer Zeit – und auch später – gab es aber eigentlich kaum eine Band mit einem vergleichbaren Sound, keine die so unheimliche und zugleich vergnügt zu klingen vermochte. So ist „Eating Noddemix“ Musik für den sonnigen Morgen nach der Apokalypse, „Wurlitzer Jukebox“ ein Dance Track bei dem der Geiger-Zähler den Takt für den letzten Menschen auf Erden tickt. Lange Zeit blieb Colossal Youth einzigartig, zwar hörten die richtigen Leute diese Musik, das Album erreichte seinerzeit sogar Platz 3 der UK-Indie Charts, aber die Giants blieben lange Zeit ein singuläres Phänomen – eine Band die nur Anfang der Achtziger entstehen konnte, die aber keine Nachahmer fand. Erst Ende der 00er Jahre kamen The xx der Ästhetik der Young Marble Giants nahe. Ein Hinweis darauf, wie weit sie ihrer Zeit voraus waren ist das aber meiner Meinung nach nicht. Das Album ist und bleibt auch heute noch einzigartig. Ein fataler Motorradunfall von Songwriter Stuart Moxham, das auseinanderlaufen der Band, geringer Ehrgeiz – auf jeden Fall trennte sich die Band noch 1980 und diese Musik verschwand erst einmal. Moxham versuchte sich mit der Band The Gist, war aber nicht mehr bei der Sache, machte in den Neunzigern ein paar Solo-Alben, aber ausser ein paar Reunion-Shows ‚blieb es bei diesem einen Album.

Dead Kennedys
Fresh Fruit for Rotting Vegetables

(Alternative Tentacles, 1980)

Brennende Polizei-Autos bei den ’79 stattgefundenen White Night Riots, als gegen die milde Strafe für den Mord an dem homosexuellen Stadtverordneten Harvey Milk protestiert wurde.

Ein Album, bei dem Angst und Absurdität einen Weg finden, gemeinsam zu tanzen. Die ’78 gegründeten Dead Kennedys (…der Namen schon…) und ihr Debüt Fresh Fruit For Rotting Vegetables waren die Antwort auf die Punk-Revolte in GB, die Antwort auf die immer noch enorm starke Rechte in den USA – in einer Sprache, die Bands wie die Ramones oder sie Sex Pistols eingeführt hatten. Damit hatte dieses Album eine riesige Bedeutung in linken/Punk-Kreisen. Zumal Sänger Jello Biafra ein äußerst produktiver Kopf war, der für seine Band und etliche Gleichgesinnte das Label Alternative Tentacles initiierte. In meiner Liste der wichtigsten US-Hardcore-Alben bezeichne ich Fresh Fruit… als das alte Testament – denn es markiert in der Tat den Beginn des politischen Hardcore-Punk im Album-Format und es ist zugleich sein erster Höhepunkt, an dem sich etliche andere Band orientieren würden. Da schlug Sänger Jello Biafra (eigentlich Eric Reed Boucher…) zynisch vor, alle Armen mit Hilfe der Neutronenbombe zu entsorgen („Kill the Poor“), da wird in „Holiday in Cambodia“ die Gleichgültigkeit des Westens gegenüber den Greueltaten des Pol Pol Regimes angeprangert, da gibt es die Vision einer Art Hippie Faschismus in „California uber Alles“, und all das auf 14 Songs in 33 Minuten. Gespielt mit Furor, einer Schnelligkeit und einer Virtuosität, durch die man höchstens nebenbei bemerkt, dass es da auch noch großartiges Songwriting gibt – und dass trotz all des bösen Sarkasmus eine freundlich-spöttische Zuneigung zu den Menschen dem Nihilismus manch anderer Punk-Acts entgegen steht. Dass Jello Biafra’s Stimme nach kleinem, wütenden Hund und zynischem Kleinkind klingt, dass diese Band eine Virtuosität an den Tag legte, die nur durch ihr Tempo überdeckt wurde, machte sie so einzigartig: Die Dead Kennedys erkennt man immer wieder. Und sie hatten auf ihrem Debüt sogar die Zeit mit ihrem Vermieter abzurechnen („Let’s Lynch the Landlord“)…

The Feelies
Crazy Rhythms

(Stiff, 1980)

Cover – Glenn Mercer und Bill Million – die beiden Gitarristen der Feelies.

Wenn ein Album schon mit einem solchen Titel beginnt – „The Boy With the Perpetual Nervousness“… das könnte wirklich als Programm für die Musik auf Crazy Rhythms stehen, genauso wie der Albumtitel, der darauf hinweist, was hier zu erwarten ist. Die kleine, 1976 in New Jersey gegründete Band schuf mit ihrem Debüt tatsächlich einen der Stützpfeiler des amerikanischen Underground- bzw. Alternative-Rock. Es beginnt mit klappernden Hölzern, dann bricht ein polyrhythmischer Sturzbach los, nervöser Gesang, flink dahinrauschende Songs, die dank des Schlagzeug-Genies Anton Fier mal an Krautrock denken lassen, mal um ein an Velvet Underground’s Stoizismus erinnerndes Fundament kreisen. Dazu kommen die Gitarren von Glenn Mercer und Bill Million, die sich psychedelisch umkreisen, so wie Television es vorgemacht haben. Die Feelies hatte ein eigenständiges Konzept, und das wollten sie durchziehen – und sie hatten einen Sound, den später so manche Band zitieren sollte, der aber auch wieder (wie bei den Young Marble Giants etwa…) erstaunlich eigenständig geblieben ist. Und natürlich – der große Erfolg blieb auch hier aus, vielleicht genügte den vier Musikern ja die Tatsache, dass sie in den angesagten New Yorker Punk-Kunstkreisen schon seit der Single-Auskopplung „Fa Cé-La“ als der heisse Scheiß galten. Ihr Ehrgeiz war nicht so groß, wie der so mancher weniger interessanter Band. So hatten sie genügend Songs für ein wunderbares Album, das klingt wie Television auf 45 rpm, die Talking Heads mit Songwriting-Ambitionen oder die Ramones mit Jazz- und Kunst-Studium. Ohne Crazy Rhythms gäbe es R.E.M nicht, deren Gitarrist war einer ihrer größten Fans. Immerhin gab es – wenn auch in elend langen Abständen – immer wieder beachtenswerte Nachfolge-Alben!!

David Bowie
Scary Monsters

(RCA, 1980)

Cover – Fashion Fotograf Brian Duffy

Tragisch eigentlich, dass einer – vielleicht DER – Wegbereiter des Post-Punk im Jahre 1980 sein letztes gutes/interessantes Album für etliche Jahre (mindestens bis in die 00er Jahre) macht – danach zwar kommerziell erfolgreich ist, aber im Grunde bis ins kommende Jahrtausend nur noch die eigene Legende verwaltet. Und auch Scary Monsters bietet in gewisser Weise so etwas wie den Epilog zu Bowie’s bahnbrechender Arbeit in den Siebzigern. Major Tom lebt wieder auf, elektronische Spielereien, die man aus Low-Tagen kennt, werden angedeutet, das Album klingt, als wäre Bowie durch seine letzten Platten gegangen, und hätte sich mal hier mal da inspirieren lassen – eine Methode, die nur er als das künstlerische Chameleon, als das er zu diesem Zeitpunkt immer noch galt, auch wirklich überzeugend anweden durfte. Deshalb: Scary Monsters ist ein sehr gutes Album, das an mancher Stelle fast an die Berlin Trilogie und Hunky Dory heranreicht. Beim hypnotischen „Ashes to Ashes“ zitiert Bowie besagten Major Tom – und schreibt einen seiner besten Songs, bei „Up the Hill Backwards“ gibt es tanzende Rhythmen und wirre Gitarren, Robert Fripp trägt mit seinen gedehnten Frippertronics zum Drive des Titelstückes bei, „Fashion“ nimmt Dance-Pop auf Bowie Art vorweg, dafür ist „Teenage Wildlife“ regelrecht elegisch, mit „Kingdom Come“ wird Tom Verlaine von Television gecovert – und Bowie schafft es, sich den Song zu eigen zu machen. Es ist – wie so oft bei Bowie – ein Album aus recht unterschiedlichen Bestandteilen, aber die Teile fügen sich im Nachhinein zu einer massiven Einheit zusammen. Bowie wurde 1980 von den aktuellen Trends eingeholt, aber dieses eine Mal noch konnte er musikalisch mit den jungen Bands mithalten. Bedauerlich, dass er danach bis weit in die 00er Jahre zumindest künstlerisch die falsche Richtung einschlug.

Peter Gabriel
s/t (Melt)

(Charisma, 1980)

Cover – Colin Chambers und Le Krims.

Es ist in den Achtzigern möglich, eine Brücke von Bowie zu Peter Gabriel zu schlagen: Beide – Bowie und Gabriel – werden mit scheinbar nicht kommerzieller/ anspruchsvoller Musik langsam zu Chart-Toppern, beide nehmen die Dienste von Robert Fripp in Anspruch. Und Peter Gabriel’s drittes Solo-Album (von Fans nachvollziehbar Melt genannt…) wirft wie Scary Monsters Schatten voraus auf die Entwicklungen von Post-Punk zum Radio-Rock. Dabei ist Vieles auf diesem Album fern von Post-Punk, ist Melt eigentlich avantgardistischer progressiver Rock. Als Produzenten hatte Gabriel den jungen Steve Lillywhite engagiert, der sich zuvor bei XTC oder Siouxie and the Banshees seine Meriten geholt hatte – immerhin ein Hinweis darauf, dass der Ex-Genesis Sänger sich für moderne Sounds interessierte. Aber ganz aus seiner Haut konnte er natürlich nicht: Die Themen Paranoia und Entmenschlichung werden – wie von ihm zu erwarten – auf die barocke Weise verhandelt, die man von The Lamb Lies Down on Broadway kennt, Gabriels Songwriting hat auch immer noch die komplexe Melodik, die man im Post-Punk so (noch) nicht kennt. Er ist „erwachsener“ als Andy Partridge oder Robert Smith – aber Melt hat eine Dringlichkeit, die man bei müden Prog-Rockern 1980 nicht findet. Einer der bekanntesten Songs hier ist „Biko“ – die Ode an den ermordeten Anti-Apartheid Aktivisten Steven Biko, die Gabriel’s Musik nun endgültig aus den Fantasy-Schwaden der Genesis-Tage heraushebt. Das mit Kate Bush’s Backing Vocals veredelte „Games Without Frontiers“ ist eine heute seltsam naiv wirkende Kritik an kindlichem Kriegs-Spiel, „Family Snapshot“ wiederum schildert auch heute noch drastisch ein Attentat aus Sicht des Täters. Aufgrund seiner reichen Melodik und seiner schlauen Produktion kann man Melt immer noch anhören, dass Gabriel mit bewusst reduzierten Mitteln ein eigenständiger, sehr perkussiven und vielfarbiger Sound gelingt, setzt ihn für die kommenden Jahre auf ein freies Spielfeld. Mit Melt nahm seine Solo-Karriere Fahrt auf, um ’86 mit So kommerziell und künstlerisch den Gipfel zu erreichen. Dass er beide Faktoren seiner Karriere dabei im Gleichgewicht hielt, ist eine seiner besten Eigenschaften.

Van Morrison
Common One

(Warner Bros., 1980)

Cover Design – Van Morrison himself

Common One ist eines der außergewöhnlichsten Alben in Van Morrisons’s Gesamtwerk. Nach Veedon Fleece (1974) hatte er irgendwie hin- und herlaviert, mit Into the Music vom Vorjahr hatte er sich – immerhin auf hohem Niveau – selber zitiert, aber Common One ist eine ganz andere Geschichte – ein Album, das – wäre da nicht diese Stimme – einen ganz anderen Künstler zu präsentieren scheint. Offenbar hatte dieser ständig Suchende auf einmal so etwas wie inneren Frieden gefunden – das jedenfalls ist der Eindruck, den Common One beim Hören vermittelt. Und hatte Van Morrison nicht gesagt, dass er die Interpretation seiner Musik gerne dem Hörer überlässt ? – „It’s All in YOUR Head“, das waren seine Worte…. Common One wird bestimmt von den beiden 15+ minütigen Tracks „Summertime In England“ und „When Heart Is Open“ – Ersterer ein funky Rhythm’n’Blues mit Bläsern und String Section und Van Morrison in Hochform, inklusive Scat-Gesang und Grunzen, Textzeilen, die seine Belesenheit präsentieren sollen („T.S. Eliot chose the ministry, James Joyce wrote… James Joyce wrote… stream of consciousness books…“) und dann kommt zum Schluß der Impressionismus von „When Heart is Open“, bei dem der Grantler anscheinend in eine Art schläfrige Trance verfällt – Ein Stück, das eher an Miles Davis circa In A Silent Way erinnert und bei dem Van Morrison das gewohnte Terrain komplett verlässt. Die restlichen Stücke fallen gegen diese beiden Elogen ein bisschen ab – kein Wunder – aber der Opener „Haunts of Ancient Peace“ mit flüsternden Bläsern und rumpelndem Bass bereitet schon perfekt auf dieses ungewöhnliche Album vor, und „Satisfied“ lässt dann auch Freunde des „normalen“ Blues ein wenig aufatmen. Common One polarisiert mehr als Astral Weeks – seinerzeit wurde es abgefeiert, aber es gibt etliche Kritiker, die seine Esoterik beklagen, mir scheint es aber genauso tief empfunden und persönlich, wie seine besten Alben…. und es ist für lange Zeit sein letztes wirklich großes Album geblieben. Danach kamen etliche Werke, die anscheinend mit Autopilot eingefahren wurden, und auf denen ärgerliches „Muckertum“ regiert.

Tom Waits
Heartattack And Vine

(Asylum, 1980)

Cover Design – Norm Ung

Heartattack and Vine ist ein janusköpfiges Album: In den Jahren vor diesem Album hatte Tom Waits sein Image als weltmüder und von Wein und Frauen trunkener Barpianist ca 5.00 Uhr morgens perfektioniert, aber er wird dieses Jahr 30 Jahre alt, er will seine „Retterin“ Kathleen Brennan heiraten, er weiss, dass sein bisheriger Lebensstil ihn über kurz oder lang umbringen wird. Und er ist ein kluger Mann, denn er weiss, dass das Bild, das er über sechs Alben geschaffen hat, irgendwann ausgemalt ist. Also wird eine ganz neue Leinwand aufgespannt. In einer Kritik hieß es, Heartattack and Vine sei so, als würde man den Werwolf im Moment seiner Verwandlung sehen. Es gibt auch hier wieder Songs, die mit Piano, versoffener Stimme und herzzerreißender Romantik ausgestattet sind – „Savin’All My Love for You“ etwa, oder das später von Springsteen gecoverte „Jersey Girl“ hätten auf den vorherigen Alben gut gepasst und sind gekonntes Storytelling und Songwriting, aber da sind auch die Songs, die auf die Musik hinweisen, die bald kommen sollte: Das Titelstück verbindet die versoffen-romantische Welt der früheren Jahre mit ein wenig Häme und Schmutz, „Downtown“ ist zwar genauso konventionell instrumentiert, wie das ganze Album, aber Waits wollte jetzt offenbar auch den Spaß an den Absurditäten des Lebens vertonen. Dieser Aspekt des Daseins war es, den er neu entdeckt hatte, den er hier begann herauszustellen, für den er buchstäblich eine neue, noch zerkratztere Facette seiner Stimme benutzte – und auf den kommenden Alben betonen würde. Heartattack and Vine ist nicht mehr wie Blue Valentine oder gar das im Vergleich fast naiv romantische Debüt Closing Time und es ist noch nicht so zerkratzt und verbogen wie der Nachfolger Swordfishtrombones , es liegt stilistisch genau dazwischen. Kein Problem, wenn die Songs so gut sind wie bei Tom Waits.

Captain Beefheart
Doc At The Radar Station

(Virgin, 1980)

Cover Painting – vom Captain himself…

Und jetzt ins Abseitige: Don Van Vliet aka Captain Beefheart hat mit dem „Rock/Pop“ Betrieb zu Beginn der 80er immer noch nichts zu tun. Er hat seit Mitte der Sechziger zehn Alben gemacht, die sich weit ausserhalb aller Konventionen bewegt haben und ist der Schöpfer eines eigenen Sound-Kosmos – dem sich inzwischen höchstens ein paar ganz mutige Post-Punk Acts angenähert haben. Seine Entfremdung von der Pop-Welt dürfte ihm egal gewesen sein, er hatte inzwischen ein festes Standbein in der bildenden Kunst, in der seine autodidaktischen Werke auf der Leinwand ähnlich distinktiv waren, wie seine Musik. Nur die Plattenfirmen-Streitereien, die seit Jahren die ungestörte Veröffenlichung seiner Musik behinderten, dürften ihn zumindest angewidert haben. Vor zwei Jahren hatte Van Vliet mit neuem Personal das Album Bat Chain Puller für Frank Zappa’s Straight Label aufgenommen. Aber es gab zwischen Zappa und dessen Manager Streit um das Geld für die Aufnahmen und die Songs wurden eingemottet, teils neu eingespielt und ’78 als Shiny Beast (Bat Chain Puller) veröffentlicht, teils für das neue Album Doc at the Radar Station verwendet. Beefheart hatte, was die Aufnahmen angeht, sicher keine Probleme. Seine Songs sind durchdacht, kommen aber zugleich mit einer Menge Spontaneität zustande – auch weil er immer die dazu nötigen fähigen Mitspieler hat. An Beefheart’s „Gesang“ hat sich seit Safe As Milk – seit ’67 – nicht viel geändert. Er hört sich an wie eine durchgedrehte Version von Howlin‘ Wolf. Gröhlt, brüllt, singt, schreit und lamentiert absurd-surreale Texte, die von seltsam hin- und herspringenden Melodien aus einem anderen Universum verfolgt werden. Rhythmen und Tempi wechseln im Sekunden-Takt und eine Slide-Gitarre glitzert durch das Gewirr. Es GIBT Hinweise auf Blues und nenn-es-meinetwegen Rock. „Dirty Blue Gene“ etwa mag irgendwo Spuren aus Rock’n’Roll enthalten – aber auch dieser Track klingt so fremd, dass man nur Captain Beefheart dazu sagen kann. Man erwarte also keine normale Musik. Auch Doc at the Radar Station ist beim ersten Mal anstrengend. Nicht ganz so abstrakt und erschlagend wie Trout Mask Replica von ’69, weil man immer wieder Reminiszenzen an bekannte Strukturen findet. Vielleicht geht die Musik auch „leichter“ ins Ohr, weil seit Beginn der Achtziger die Grenzen der populären Musik verschoben worden waren. Bei Tracks wie „Sheriff of Hong Kong“ bewegt Beefheart sich fast im Normal-Bereich. Aber am spannendsten sind dann doch ausserirdische Hits wie „Telephone“, „Making Love To A Vampire With A Monkey On My Knee“ (…allein schon wegen des Titels) und „Best Batch Yet“. Deswegen hört man Beefheart. Dass er Aussergewöhnliche wie PJ Harvey oder Mark E. Smith beeindruckt und ein bisschen beeinflusst hat, versteht sich. Ich empfehle JEDEM, sich seine Musik anzuhören. Mit Doc… könnte man anfangen.

Iron Maiden
s/t

(EMI, 1980)

Cover – Derek Riggs. Erfinder von „Eddie The Head“

Man muss das Jahr 1980 auch mit den Augen des Metal-Nerds betrachten: Schließlich ist es für das LP- Format das Geburtsjahr der New Wave of British Heavy Metal. Der Begriff war im Jahr zuvor vom Journalisten Geoff Barton in der britischen Sounds geprägt worden. Denn in London gab es das „Bandwagon“. Einen Club, in dem Biker, Rocker und die Arbeiter-Jugend, die keine Lust auf artifiziellen Post-Punk hatte, die aber auch die alten Progressive Bands zu abgehoben fand, einen fast blues-freien harten Rock feierte. Gespielt von jungen Bands, die Punk kannten, aber die mittleren Deep Purple verehrten. All diese Bands hatten schon länger Tapes mit Probe-Aufnahmen zirkulieren lassen, in den letzten Jahren ihre ersten Singles aufgenommen und lieferten nun ihre ersten Alben ab. Und Iron Maiden ist die Krone auf diesem Haufen. Die Band hatte sich seit Ende ’75 um den Bassisten Clive Harris gebildet, spielte sich – auch gegen den Rat der Plattenfirma – mit sehr un-hippem Metal die Hacken ab und wurde ’79 endlich mit einem Plattenvertrag bei EMI belohnt. Ihr streng gepflegtes Image mit Lederjacke und Nieten, mit dem auf jedem Cover vertretenen Maskottchen Eddie, wurden zum Kult, und ihre Musik war schon auf dem Debüt stark von komplexen, an Progressive Rock erinnernden Strukturen durchzogen, Allerdings hatten sie eine Härte und Wucht, die jeden Yes-Fan hätte erbleichen lassen. Dass Songs wie „Prowler“ oder „Phantom of the Opera“ einiges an instrumentalem Geschick verlangen, mag ja sein. Aber die Härte überdeckt jede Eitelkeit. Und – auf diesem Debüt sang mit Paul DiAnno noch ein Typ, der seine proletarische Herkunft nicht hinter Opern-Gesang versteckte. Es gibt etliche Fans, die den Austausch DiAnno’s gegen die Hafen-Sirene Bruce Dickinson nach Album No.2 bis heute bedauern. Dennoch. Iron Maiden hat sicher Mitgröhl-Passagen – aber es „groovt“ nicht so, wie das normale Metal Album dieser oder irgendeiner anderen Zeit. Für diese Band mussten die Headbanger erst einmal die Songs einüben – um dann abzugehen. Es gibt Melodien mit Widerhaken, es gibt Gitarrensoli, wie man sie im Metal braucht, aber Haupt-Komponist Steve Harris kommt ohne Blues aus, mag – nach eigener Aussage – aber auch Punk nicht, und hat mit dieser Band und diesem Album den Heavy Metal neu erfunden. Nicht Mehr und nicht Weniger. Dass sie besser werden würden, versteht sich. Aber dieses Album ist ein Fanal.

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