1980 – The Residents bis Lydia Lunch – Musik nach Punk = Post-Punk in den USA

Ich habe mich im Artikeln 1980 – The Comsat Angels bis Psychedelic Furs speziell auf Post-Punk aus Großbritannien beschränkt – weil ich immer den Eindruck hatte, dass die britische „New Wave“ andere Hintergründe und eine andere Haltung und Ästhetik als Fundament hat, als der heute so genannte Post Punk aus den USA

Zwar sehen sich Künstler beider Regionen gerade zu Beginn der Achtziger einem politischen Rechts-Ruck ausgesetzt (Thatcher in Großbritannien, Reagan in den USA…), der ihre Aussagen und ihre Haltung auf vergleichbare Weise beeinflusst haben dürfte. Aber Post-Punk in den USA war meiner Wahrnehmung nach nicht so explizit politisch, wie in England. Immerhin – jede Kunst ist Reaktion auf gesellschaftliche Zustände – und harte Zeiten führen meist zu Veränderungen und zu interessanter Musik. Bands wie die Cleveland-Proto-Punks Pere Ubu oder die San Franciscan Residents haben zu Beginn der Achtziger schon eine lange, bis tief in die Sechziger-Gegenkultur reichende Geschichte. Sie haben ebenfalls einen gewissen Stellenwert als subversive Elemente, aber sie sind in ihrer Heimat bei weitem nicht so populär, wie das bei ihren Kollegen aus Europa/UK der Fall ist. Die New Yorker Szene um Factory/Andy Warhol, das CBGB’s oder Max’s Kansas City waren der Punk-Szene in England zwar um ein paar Jahre voraus und ließ mit Lydia Lunch oder der Jim Carroll Band ausgereifte Künstler auf die Welt los, aber sie waren kommerziell erfolglos und wenig populär. All diese US-Musiker haben die Punk-Explosion in Europa mitbekommen, haben aber einen „künstlerischeren“ Anspruch, als die eher gesellschaftskritischen Punk und Post-Punk-Musiker aus dem UK. Dass bzw. ob die beiden Formen des Post-Punk aus Europa und den USA irgendwann zusammenfließen… wird mit der Zeit erkennbar werden. Schon jetzt lassen sich The Fall vom US-Avantgardisten Mayo Thompson (Red Krayola) produzieren. Das Vorbild Velvet Underground ist in fast jedem Album des britischen Post-Punk erkennbar. Musik wird internationaler, aber bis weit in die Neunziger ist der Unterschied zwischen europäischem und amerikanischem Punk, Post-Punk, Avantgarde/Noise… und all den aus Punk gewachsenen Formen der „alternativen“ Rockmusik (um den bösen Begriff einzuführen) für mich deutlich erkennbar. Ein schönes Spiel ist es immerhin, sich die Alben in diesem Artikel immer im Wechsel mit denen des entsprechenden Schwester-Artikels anzuhören. Viel Spaß dabei – und dass The Feelies und Talking Heads hier nur kurz erwähnt werden… siehe im Anschluss…

Auch hier fänden drei Alben aus dem „Hauptartikel 1980“ durchaus Platz. Ich will sie nur noch mal kurz erwähnen. Sie werden dort hinreichend gewürdigt, lies bitte dort nach – und beschäftige dich weiter mit den Alben hier unten. Es lohnt sich – denn so manches Album könnte genauso gut im Hauptartikel Platz finden…

https://music.apple.com/de/playlist/der-gro%C3%9Fe-rockhaus-1980-post-punk-usa/pl.u-kv9lbRmI7K3BYRg

Talking Heads – Remain in Light
(Sire, 1980)

Eines der besten Alben des Post-Punk – bei mir laut rateyourmusic auf Platz drei der besten Alben aller Zeiten. Die Talking Heads sind schon ’75 im Umfeld des New Yorker CBGB’s entstanden. Und sie waren von Beginn an Post-Punk, nie Punk. QED.

The Feelies – Crazy Rhythms
(Stiff, 1980)

Dass die Feelies Post-Punk genannt werden, liegt auch eher am Zeitpunkt, zu dem sie ihr Debüt veröffentlichen. Sie sind die Vorläufer von Alternative/Independent Bands wie R.E.M. – und somit ihren Epigonen um eine Dekade voraus.

The Residents
Commercial Album

(Ralph Rec., 1980)

Cover – Pore No Graphics. Ralph Rec. Designer

Als Erstes also: Der Beweis meiner Behauptung, dass Punk in den USA (wenn dieser Begriff überhaupt anwendbar ist) eine weit längere Geschichte hat, als Punk – und mit ihm Post-Punk – in UK/Europa. Die Residents z.B. entstanden irgendwann Ende der Sechziger in San Francisco und haben schon „historisch“ gesehen mit Punk eigentlich nichts zu tun. Sie waren und sind Avantgarde, sie sind experimentelle Parodisten – und ihr Publikum dürfte mit dem von Bands wie Velvet Underground, Television, Devo, Pere Ubu etc vergleichbar sein – die auch allesamt NICHT Punk sind, dessen Ästhetik aber stark beeinflusst haben. 1980 sind die Mitglieder der Residents noch immer inkognito, verstecken sich inzwischen hinter den berühmten Eyeball-Masken, sie haben seit ’74 sieben Alben veröffentlicht, die die Pop-Kultur bis zur Unkenntlichkeit verfremdet und verzerrt haben. Ihre Alben bauen immer auf Konzepten auf – und jetzt haben sie sich den amerikanischen „Commercial“ – den Werbe-Jingle vorgenommen und machen ein Album mit Vierzig Ein-minütigen Tracks. Eine Minute – das ist die durchschnittliche Länge eines Werbe-Clips im US-TV/Radio. Die Residents haben sich klar gemacht, dass Millionen Zuschauer und -Hörer diese Musik tagtäglich um die Ohren gehauen bekommen. Diese Jingles sind somit die wahre populäre Musik des TV-Zeitalters – und so bieten sie den geneigten Hörern ein komplettes Album voller ein-minütiger Jingles. Die haben nämlich Alles, was einen Pop-Song ausmacht in wohltuend komprimierter Form. Ein Refrain, ein Chorus, Fertig. Dass man dabei immer noch die Residents erkennt, ist für jeden, der sie kennt, logisch. Tatsächlich sind auf dem Commercial Album mit dem XTC-Genius Andy Partridge, mit Lene Lovich, Chris Cutler, Bill Preston von den Mothers of Invention und mit Phil „Snakefinger“ Lithman so viele Gäste dabei, dass man Angst um den Charakter der Band haben könnte. Aber die Angst ist unbegründet. Die gespenstischen Synth’s, die verhallten Percussion, die mitunter etwas gruseligen Melodien sind geblieben, die Kritik, dass die Ideen nicht ausformuliert sind, ist sinnlos: Nicht ausformulieren ist hier Programm. Unter 40 Tracks sind etliche, denen ich die Erweiterung gönnen würde („Picnic Boy“, „Amber“, „Die in Terror“, „Loneliness“…) – aber Verkürzung ist das Konzept beim Commercial Album. Ist das Post-Punk? Hmm…

Snakefinger
Greener Postures

(Ralph Rec., 1980)

Auch Pore No Graphics

Zunächst bleibe ich im Umfeld der Residents – ihre Zugehörigkeit zum Post-Punk mag man ja in Frage stellen, aber ihr Label – Ralph Records ist in diesen Tagen eine der Speerspitzen in der Entwicklung der Musik nach Punk. Und einer der Kollaborateure der Residents ist der Brite Philip Lithman aka Snakefinger. Ex-Gitarrist der famosen Pub-Rock Band Chilli Willi and the Red Hot Peppers, ein Virtuose auf diversen Saiten-Instrumenten und zugleich ein Avantgardist aus vollster Überzeugung. Er hatte die Residents schon ’71 in San Francisco kennen gelernt, war zwar zwischendurch wieder nach England zurück gegangen und mit den Chilli Willi’s moderat erfolgreich gewesen, hatte aber nach seiner Rückkehr in die USA wieder Kontakt aufgenommen und sein erstes Solo-Album als Snakefinger (der Namen entstand aus einem Foto, das ihn beim Geige-Spielen zeigte) im Vorjahr zusammen mit den Residents aufgenommen (Chewing Hides the Sound). Greener Postures ist die Verfeinerung des Debüt’s, wieder haben bei den meisten Tracks die Residents mit-komponiert, sie sind die Backing-Band, aber Lithman’s Stimme und sein schlieriges Gitarren- und Geigenspiel stehen im Vordergrund. Auch hier herrscht eine seltsame, unheimliche Atmosphäre, das virtuose Geigen-Solo auf „Don’t Lie“ klingt, als wäre es auf der untergegangenen Titanic aufgenommen. Immer wieder werden die Songs durch seltsame Sounds und Harmonien verbogen, und „The Man in the Dark Sedan“ ist auf der sub-marinen Titanic bestimmt ein Hit: „I’m the man in the dark sedan and I have come to take your hand, I was sent down here to be sincere, truthful and steadfast, I came to say that judgement day of man has come to pass.” Greener Postures hat mit der vordergründigen Vereinfachung durch Punk nichts zu tun – manchmal ist es eher progressiver Rock in Zombie-Verkleidung – aber Punk und mehr noch Post-Punk waren – zumal in den USA – nie schlicht oder primitiv. Snakefinger ging auf Tour und erlitt einen Herzinfarkt, den er zunächst überstand. ’87 starb er dann viel zu früh. Seine vier Studio-Alben verweigern sich einer Kategorisierung ebenso, wie die Musik der Residents – aber der Begriff Post-Punk ist in seiner Vielfalt eine Option.

Tuxedomoon
Half Mute

(Ralph Rec., 1980)

Cover Design – Patrick Roques – Visual Artists für die Residents

Jetzt kommen wir dem, was man so unter Post-Punk versteht, wohl schon etwas näher. Tuxedomoon entstanden 1977 in San Francisco, als sich die beiden Musik-Studenten Blaine L. Reininger (keyb, vio) und Steven Brown (keyb, sax, etc…) zusammen taten um ihre Vision neuer Musik zu verwirklichen. Die beiden hatten definitiv Punk und seine Auswüchse (Wire, Magazin, PIL) gehört, sie nutzten elektronisches Instrumentarium aus dem Studium (…damals sonst noch teuer…) und ’78 durften sie als Vorband für Devo ‚ran. Ihr Sound – insbesondere ihre elektronischen Texturen – sind denen der Residents verwandt -und dass sie von denen zu Ralph Records geholt wurde, war logisch – und eröffnete ihnen die Möglichkeit, ihre Alben in Europa zu verbreiten. Da passte ihr experimenteller Minimal Wave-Sound möglicherweise tatsächlich besser hin: Ein Instrumental wie „Tritona (Musica Diablo)“ oder „Loneliness“ mit den schlichten Wiederholungen „Here comes loneliness/ Here comes the onliness/ Here comes his holiness
Here comes loneliness/ Here comes another day/ Here comes the only way/ Here comes loneliness…
“ kann ich mir ausserhalb des Kunst-Umfeldes von US-Großstädten kaum vorstellen. Half-Mute ist in der Tat sehr experimentell, Tuxedomoon können durchaus Songs schreiben, haben aber ein genauso großes Interesse an elektronischen Sound-Manipulatuionen („James Whale“) Dass Songs wie „What Use“ wiederum auf genau die Art catchy sind, die mir gefällt – dass sie tatsächlich Widerhaken, Atmosphäre und Spannung haben, ohne langweilig zu werden, hat sie mir dereinst sehr sympathisch gemacht. Half-Mute ist durch die Formulierung der beiden Seiten der Band etwas zerrissen – aber man kann auch gerade DAS lieben. Auf jeden Fall waren sie mit ihrem avantgardistischen Post-Punk auf der Höhe der Zeit. Und dass sie bald nach Europa/Belgien gingen, hat eine erkennbare Logik.

MX-80 Sound
Out of the Tunnel

(Ralph Rec., 1980)

Und mit der nächsten Band (genau genommen dem vierten Ralph Records-Album…) kommen wir zu dem, was scheinbar deutlicher als US-(Post-)Punk erkennbar ist. Es gibt zu dieser Zeit Bands wie die Wipers, Mission of Burma, Minutemen, Hüsker Dü, Black Flag – Bands, deren von Fuzz-Gitarren angetriebener Lärm gewiss nichts mit Radio-Rock 1980 zu tun hat, deren Sarkasmus und Verweigerung ohr-freundlicher Harmonien sie interessant macht. MX-80 Sound liefern Dergleichen schon seit Mitte der Siebziger quer zu allen Trends. Ihr Sound aus leidenschaftslosen Vocals, komplexen Rhythmen, atonalen Chords und den metallischen Gitarren von Bruce Anderson war so schwer zu kategorisieren, dass ihr erstes, famoses Album Hard Attack (’77) nur in Europa veröffentlicht wurde – und auch dort etwas hilflos als Heavy Art-Metal bezeichnet wurde und sich kaum verkaufte. Anderson beschrieb sein Spiel selber folgendermaßen: „Throw John McLaughlin, Terje Rydpal, Wilko Johnson, Clarence White and James „Blood“ Ulmer into a blender, along with modern classical composers Olivier Messiaen, Morton Feldman, and Krzystof Penderecki. Blend for 15 or 20 years and apply to a Stratocaster through an amp on 10.“ … und exakt das beschreibt die Musik auf Out of the Tunnel. Sie hat die Härte des Metal, Sänger Rich Stim klingt, als würde er Drogen-Halluzinationen auf dem Rücksitz eines Taxis vor sich hin murmeln, das durch eine dystopische Stadtlandschaft fährt. Dies ist Musik für die Furchtlosen, MX-80 Sound erinnern mich an diverse SST-Bands nach Black Flag – an diejenigen, die Jazz und Noise in den Hardcore einführten – und sie sind genauso anstrengend. Aber einem Track wie „Man in a Box“ kann ich mich nicht entziehen – auch wenn ich mir danach die Ohren putzen muss.

Pere Ubu
The Art of Walking

(Rough Trade, 1980)

Cover – John Thompson, Freund von David
Thomas

Bands aus den USA eine lange Geschichte hinter sich haben – Punk und Danach in Europa (mit) geprägt haben, habe ich schon mehrfach erwähnt. Pere Ubu sind dafür das Parade-Beispiel – ihre beiden ersten Alben The Modern Dance und Dub Housing sind inzwischen allgemein als Klassiker/Kulturgut anerkannt, die beiden Nachfolger – New Picnic Time aus dem Vorjahr und The Art of Walking gelten als schwächer – weil die Band auseinander fiel und verändert wieder zuasmmen kam, weil Sänger und Bandkopf David Thomas Pere Ubu in immer irrsinnigere Performances und unzugänglichere Musik steuerte (…dass die Band bei einem Konzert in San Diego vor genau 5 Zuschauern spielte, führte zum Ausstieg ihres Gitarristen Tom Herman…), und weil sie zugleich angesichts Post-Punk nun nicht mehr ganz so revolutionär erschienen, gelten diese beiden Nachfolger komischerweise als weniger interessant. Ich halte sie allerdings für fast genauso gelungen wie die beiden ersten Alben – und zur damaligen Zeit wurden sie von der Musik-Presse in Europa hoch gelobt. Vielleicht – ganz vielleicht – fehlt auf The Art of Walking tatsächlich ein bisschen der rote Faden. Wenn ein völlig abstrakt dahergejammerter Tracks wie „Horses“ direkt neben dem konkreten Avant-Punk von „Crush This Horn“ steht, gerät man aus dem Gleichgewicht. Wenn die zweite LP-Seite mit dem Vocal-Percussion Experiment „Go“ beginnt, und dann eine etwas alberne „Rhapsody in Pink“ folgt, mag man den Faden verlieren – aber ich halte auch das für geplant. Pere Ubu hatten inzwischen mit Red Krayola’s Mayo Thompson einen Gitarristen dabei, der selber chaotischen Free-Rock praktizierte, und neben bewusster Infantilität war Chaos schon immer Ausgangspunkt der Musik von Pere Ubu. Dass David Thomas‘ nichts anderes transportieren kann, wird klar, sobald man sein Gequake hört. Pere Ubu sind auch auf The Art of Walking einmalig. Das galt auch, nachdem sie nun etwas bekannter geworden waren.

Pylon
Gyrate

(Armageddon, 1980)

Art Direction – Sean Bourne

Pylon entstehen im gleichen musikalischen Umfeld wie R.E.M und die B 52’s – in der studentischen Szene im kleinen Athens, Georgia. Sie hatten Bands wie Suicide, Cabaret Voltaire und in Brian Eno’s No New York Sampler als Inspiration gefunden, traten mit den B 52’s zusammen auf, die ihnen Gigs in New York verschafften. Aber im Gegensatz zu diesen waren sie in keiner Weise bereit musikalische Zugeständnisse an die Massen oder gar an die Industrie zu machen. Der Support für die ein bisschen ähnlichen und ähnlich kompromisslosen Gang of Four mochte Sinn machen, aber dass sie bald Vorband bei einer Tour von U2 waren, sahen sie eher als unangenehme Verpflichtung, denn als Chance zu irgendeiner Form von Ruhm zu gelangen. Nicht dass sie etwas gegen Popmusik gehabt hätten. Ihr kryptischer, metronomischer Indie-Rock ist nicht unfreundlich, Songs wie „Volume“ oder „Stop It“ sind durchaus delektabel. Aber ebenso wie in der Musik der Feelies brodelt auch auf Gyrate eine untergründige Unruhe. Eine Nervosität, die genaueres Zuhören einfordert. Sängerin Vanessa Briscoe Hay schreit und flüstert kodierte Texte, Gitarrist Randy Brewley kratzt auf seiner Gitarre, und Bassist Michael Lachowski und Drummer Curtis Crowe arbeiten effektiv, aber sparsam an ihren Rhytmen. Bei einer solchen Musik blieb der Erfolg natürlich – und auch leider – aus, der Ruhm jedoch nicht – zumal R.E.M. Drummer Bill Berry auch später nicht müde wurde, die Band und ihre beiden Alben zu „namedroppen“ Mit dem zeitlichen Abstand mag man heute erkennen, dass Pylon tatsächlich „post“ Punk waren…..

The B-52‘s
Wild Planet

(Island, 1980)

Cover – B-52’s Designer Robert Waldrop

Die bei Pylon’s Gyrate erwähnten B-52’s aus Athens sind 1980 auf seltsame Weise „etabliert“. Ihr Debüt aus dem Vorjahr gilt schon jetzt als einer der Meilensteine des Post-Punk/New Wave – dabei kann man bei ihnen doch das „New“ aus New Wave getrost streichen. Sie sind Girl-Group-Wahnwitz, „post“ (= nach) Punk. Und sie sind inzwischen New Yorker und liefern mit ihrem zweiten Album Wild Planet nicht nur optisch den Nachfolger zu einem Debüt, das von der Rock-Prominenz zu recht gelobt wurde. Wild Planet bildet zusammen mit dem selbst-betitlelten Debüt ein Gesamtkunstwerk, wieder sind die Stimmen von Katie Pierson und Cindy Wilson schriller Wahnsinn, wieder knurrt Fred Schneider harsch dazwischen, wieder erklingt die wimmernde Orgel und der reduzierte Twang von Ricky Wilson’s Gitarre. Die Band hatte bei den Aufnahmen zum ersten Album bewusst einige ihrer erprobten Live-Perlen zurück gehalten – die hatten einen Plan und wollten auf dem zweiten Album auch glänzen. Man ging wieder ins Compass Point Studio auf die Bahamas, hatte aber nun mehr Geld im Rücken und somit eine ausgefeiltere Produktion. Zum Glück poliert das Songs wie „Runnin‘ Around“ nicht glatt. Dass die Single „Give Me Back My Man“ ein Konzert-Favorit war, der auch in den Charts Erfolg hatte, war also geplant. Und wieder ist die Story um das Mädchen, dessen Freund von einem Hai gefressen wird schön absurd. Besser noch finde ich „Private Idaho“, die dritte Single vom Album. Da haben wir den manischen Drive von Tracks wie „Rock Lobster“. Wild Planet wurde genauso von der Kritik gelobt, wie das Debüt, hatte nur den kleinen Nachteil, dass es nicht mehr ganz so überraschen konnte. Aber – gibt es noch eine Band, die so klingt? Ich kenne bis heute keine…

Polyrock
s/t

(RCA, 1980)

Cover – J.J. Stelmach – eigentlich Designer etlicher Klassik Album-Cover

Polyrock’s Karriere ist so stylish und zugleich hektisch wie ihre Musik. Sie klingen so eindeutig nach New York wie ihrer weit bekannteren Kollegen Talking Heads, aber sie hatten nicht Brian Eno im Rücken und vielleicht waren sie auch einfach ein bisschen zu „arty“ um sich in den Niederungen von so etwas banalem wie „Charts“ zu bewegen. Es wäre sicher interessant, wie dieses Album Mitte der 00er Jahre aufgenommen worden wäre – ich höre bei Vampire Weekend mitunter ähnliche Sounds. Polyrock’s exquisites Debüt wurde immerhin von Philip Glass co-produziert, ist eine tanzende, glitzernde und schillernde Mischung aus Devo – ohne deren albernen Futurismus – und der Kühle der frühen Talking Heads. Aber das soll nur einen ersten Eindruck geben, weil dazu etliche sehr eigene Ideen und Bestandteile kommen, die Polyrock zu einem leider vergessenen Post-Punk Juwel machen. Der Rhythmus hier hat oft die inzwischen so angesagte Kraut-Motorik, die in Verbindung mit sibyllinischen Frauen-Chören auf einem Track wie „Your Dragging Feet“ unerhört klingt. Die Gitarren wiederum erinnern an die Glasscherben, die Gang of Four’s Andy Gill seinerzeit hinterließ. Sie können durchaus Pop, aber der wird immer wieder konterkariert, wenn zum Beispiel beim tanzbaren „Body Me“ auf einmal atonaler Lärm losbricht und Gitarre, Bass und Drums aus der Ordnung ausbrechen. Aber wer gerade DAS spannend findet, dürfte sich freuen. Man kann die sich wiederholenden Synth-Lines und die repetitiven Gitarrenläufe als Grund für den mangelnden Erfolg vermuten, vielleicht waren es zu dieser Zeit auch einfach zu viele Bands, die so ähnlich klangen – oder sie hatten einfach nicht genug Support. Es blieb letztlich bei diesem Album und einem zweiten, weniger spannenden Nachfolger (Changing Hearts, 1982). Polyrock sollte jeder hören, der die frühe Talking Heads und den New Yorker No Wave Sound schätzt.

Suicide
Alan Vega Martin Rev

(Ze Rec., 1980)

Cover – Tony Wright. Vielbeschäftigter Grafiker
U.a. Traffic, Bob Marley. Creative Director bei
Island Records

1977 veröffentlichte das New Yorker Duo Suicide ein seltsames Album, das in seiner skandalösen Radikalität locker mit den Singles der britischen Sex Pistols mithalten konnte. Aber in den USA blieb es fast unbemerkt, nur in New York (was NICHT gleichbedeutend ist…) wurde Suicide wahrgenommen. Die Konzerte des Duo’s waren oft ähnliche Riots wie die Auftritte der Sex Pistols, allerdings waren die Reaktionen üblicherweise aggressiver, stärker gegen die Musiker gerichtet, als das bei den Konzert-Events der Pistols der Fall war. Man sollte bedenken, dass sowohl Martin Rev (electronics) als auch Alan Vega (voc) schon alte Säcke waren. 1980 waren beide 42 Jahre alt, ihre Sozialisation hatte in den 50ern mit Elvis und Rock’n’Roll stattgefunden ehe Vega bei einem Konzert der Stooges seine Epiphanie erlebt hatte. Zugleich waren sie als New Yorker im Underground-Kunst-Umfeld in ihrem musikalischen Ansatz einerseits experimentell, zugleich aber finanziell eingeschränkt. Besagtes ’77er Album spiegelt genaus das wieder: Wenig Geld für Produktion oder Instrumente – somit die Beschränkung auf billige Keyboards, Drum-Machine und Gesang, ein konsequent anti-kommerzieller Ansatz – und klassischer Rock’n’Roll. Nach dem Debüt tourten die beiden freien Radikalen u.a. mit den weit poppigeren Cars – und bekamn von deren Kopf Ric Ocasek das Angebot, sie zu produzieren. Eigentlich wollte ihr Label Chef sie mit Giorgio Moroder zusammenbringen, das kam aber nicht zustande. Ocasek stellte Rev noch ein paar neue Synthies zur Verfügung, versuchte ein paar dezente Pop-Sounds einzufügen, konnte – und wollte vielleicht auch – am düsteren Synth-Punk der beiden aber letztlich Nichts ändern. Alan Vega/Martin Rev ist letztlich genauso unheimlich wie Suicide. Die Lyrics von Alan Vega mögen ein bisschen weniger abgründig sein, der Sound etwas ausgefeilter, aber auch für 1980 ist dieses zweite Album ungewöhnlich. Und ein weiteres Mal gilt: Wie auch immer ein Song wie „Diamonds, Fur Coat, Champagne“ verkleidet wird – sein Klasse lässt sich nicht verleugnen. Als inzwischen leicht bekleidetes Skelett funktioniert er wunderbar. Die Mischung aus monotonen Elektro-Beats und Alan Vega’s Elvis-Croon war unschlagbar. Kommerziell tat sich dennoch Nichts. Die Kritiker liebten auch dieses Album, Fans gab es erst irgendwann in den Neunzigern.

Alan Vega
s/t

(PVC, 1980)

Cover Foto – Curtis Knapp. Auch R.E.M.’s erste EP Chronic Town

…und ganz konsequent gingen Martin Rev und Alan Vega nach diesem zweiten Suicide-Album auf Solo-Pfade. Alan Bermowitz aka Alan Vega ist der Texter und Songwriter, Martin Rev der Sound-Architekt – das Solo Album von Alan Vega meine Empfehlung. Denn auch in der Wiedergabe seiner Talente und Vorlieben ist Alan Vega wunderbar konsequent. Schon der Album-Opener „Jukebox Baby“ zeigt wo es lang geht: Auf die Knochen reduzierter Electrobilly mit klirrender Gitarre vom New Yorker Kollegen Phil Hawk. Der Opener landete tatsächlich in Frankreich in den Charts! Ein Song wie „Kung Foo Cowboy“ ist Rockabilly + Krautrock, verhindert durch seine Kürze jede Langeweile. Und Vega kann auch Abwechslung: Für „Love Cry“ verlangsamt Vega das Tempo fast bis zum Stillstand, wimmert erbärmlich über zwei Akkorde und mag damit den kleinen Nick Cave in Australien beeindruckt haben. Dass er dann mit „Speedway“ einen Track dahinter stellt, der sich stark nach Suicide anhört, macht das Album erfreulich abwechslungsreich und ist natürlich verzeihlich. Mit „Ice Drummer“ gibt es einen wunderbaren Song, der sogar fast ein bisshen Opulenz einführt. Alan Vega ist Suicide mit mehr Rockabilly und mit Gitarren. Klingt komisch, ist ungewöhnlich – und war zu Recht eines der Highlights in den Kritiker-Charts jenes Jahres. Und ist das jetzt Post-Punk? Ich finde schon.

The Jim Carroll Band
Catholic Boy

(Atco, 1980)

Cover Foto – Annie Leibowitz. Ja. Wirklich

… und weil ich mir – wie öfters erwähnt – vorstelle, dass man sich die Alben hier hintereinander anhört, kommt hier mit dem Debüt der Jim Carroll Band eine sehr coole Form von Erholung vom Lo-Fi Rockabilly von Alan Vega. Jim Carroll war Ende der Siebziger eine fast archetypische Kult-Figur des New Yorker Underground. Er hatte mit Patti Smith und Robert Mapplethorpe zusammen gewohnt, war in Andy Warhol’s Factory ein und aus gegangen, war ein schriftstellernder Junkie und hatte seine Jugend 1978 in einem erfolgreichen Buch literarisch verarbeitet. The Basketball Diaries beschreiben den jungen Jim Ende der Sechziger als erfolgreichen College-Basketballer mit beginnender Heroin-Sucht, der sich prostituiert um an das Geld für seine Drogen zu kommen, der den Selbstmord eines Freundes und das Leben auf den nächtlichen Straßen New York’s mitmacht. Das Buch wurde 1995 tatsächlich mit Leonardo DiCaprio in der Hauptrolle verfilmt, 1980 hatte Carroll sich allerdings nach LA abgesetzt, um seiner Sucht zu entkommen – und wurde von Patti Smith ermutigt, Musik zu machen. Sie dürfte ihm den Kontakt zu ihrem Ex-Freund, dem Blue Öyster Cult Keyboarder Allan Lanier verschafft haben, er selber versammelte ein paar weitere Musiker um sich. Schrieb kluge Texte, die sich auf besagte Basketball Diaries bezogen, und hatte tatsächlich Songs, die sich nach New York und Patti Smith – allerdings ohne deren exaltierte Leidenschaft – anhören. Allein sein „People Who Died“ ist has halbe Album wert, die 7 ½ Minuten von „City Drops Into the Night“ mögen etwas zu lang und zu sehr Radio-Rock sein, aber der Opener „Wicked Gravity“ oder „Crow“ haben die lakonische Coolness, die mich an Television und Richard Hell’s Voidoids denken lässt. Das Album lebt natürlich von seinen Texten, man sollte im besten Fall das Buch dazu lesen, aber Carroll war als New Wave-Sänger und Songwriter nicht schlecht. Die Zeit war allerdings auch genau richtig hierfür. Alles was musikalisch danach von ihm kam, verblasste hinter dieser Vorlage. Ach – das Cover wurde übrigens von Annie Leibowitz fotografiert..

Lydia Lunch
Queen of Siam

(ZE, 1980)

Cover foto – George DuBose. Hat auch das erste B-52’s Album Cover fotografiert

Dass New York (noch vor der Westküste) das Epizentrum des Post-Punk in den USA ist, versteht sich. Sub-Kultur in den USA geht nicht ohne New York. Und die Sängerin/Autorin und Schauspielerin Lydia Anne Koch aka Lydia Lunch war – wie Jim Carroll – integraler Bestandteil der New Yorker Kunst-Szene um das CBGB’s. Sie hatte mit Teenage Jesus and the Jerks auf der epochalen, von Brian Eno zusammengestellten Compilation No New York (Siehe Hauptartikel 1978…) geholfen New Yorker No Wave zu definieren, sie hatte James Chance auf seinen Alben geholfen, nun machte sie sich auf, mit ein paar New Yorker Kollegen und dem Billy Ver Planck Orchestra ein Album irgendwo zwischen No Wave, Avantgarde, Big Band und Gothic zu machen. Sie coverte – dem gewünschten Image entsprechend – den Uralt-Klassiker „Gloomy Sunday“ und das wunderschöne „Spooky“, ließ bei „Jady Scarface“ die Big Band von der Leine – die tatsächlich mit atonalen Ausbrüchen ins New Yorker Kunst-Umfeld eingepasst wurde, sie ließ den Hörer bei „Atomic Bongos“ im No Wave Modus erschauern, ihre kindliche Stimme ist in diesem Umfeld unheimlicher als jeder NY-Gangster, ihr Queen of Siam ist eine eigentlich undenkbare Verbindung von Big Band und Noise, sie dürfte Sonic Youth’s Kim Gordon ebenso beeinflusst haben, wie etliche Gothic-Künstlerinnen – aber ihr No Wave Background und Begleiter wie Gitarrist Robert Quine (…man höre nur „Knives in the Drain“) hebt sie über Leute wie Siouxie Sioux hinaus. Es gibt schlicht kaum etwas vergleichbares – ob Queen of Siam damit Jedem gefällt, muss man nicht diskutieren. Neugierige Hörer sollten sich das einfach mal anhören, ein sehr ungwöhnlicher Aspekt der US-Avantgarde – wie Alles hier nur deswegen „Post-Punk“, weil es in dieser besonderen Zeit entstanden ist – und zu keiner anderen Zeit entstehen konnte… Der Nachfolger 13.13 (von 1982) kommt ohne Big Band dem New Wave tatsächlich näher – und ist genauso gut.

10 x New Wave US

Zuguterletzt – dürfte, müsste und wollte ich einem/einer Unvorbereiteten New Wave aus den USA an 10 Acts in 10 Alben erklären, so würde ich natürlich nur DAS BESTE auswählen. Wobei ich abwechslungs-halber immer nur eine Band und ihr bestes Album aus dem Zeitraum zwischen 75 und 80 wählen würde (weil der US New Wave dem UK New Wave zeitlich voraus war…). Das wären dann…

Patti Smith – Horses (1975)

Richard Hell & The Voidoids – Blank Generation (1977)

Television – Marquee Moon (1977)

Pere Ubu – Modern Dance (1978)

Devo – Q: Are We Not Men? A: We Are Devo (1978)

Blondie – Parallel Lines (1978)

The B 52s – s/t (1979)

Talking Heads – Remain in Light (1980)

The Feelies – Crazy Rhythms (1980)

Wipers – Is This Real? (1980)

…und natürlich wäre ich unzufrieden, weil etliches fehlt. Viele dieser Acts wären mit weiteren Alben zu benennen, manche wichtige Band ist nicht genannt. Aber – es ist ein Querschnitt. Hört sie euch an und findet New Wave oder Post Punk gut. Und vergleicht all das mal mit dem Post Punk der 00er Jahre!! Und mit den 10 von mir ausgewählten Post Punk Alben aus dem United Kingdom…

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