Es gab kein YouTube, kein Internet, in dem die Auftritte viral gehen konnten – aber Filmemacher D.A. Pennebaker hatte eine Doku gedreht, die ’68 in die Kino’s kam, die neu entstandenen Musik-Magazine schrieben darüber – und die Bands brachten ihre Musik auf den Markt. Der Summer of Love mag im Herbst ’67 zu Grabe getragen worden sein, aber Psychedelic Rock war ’68 DAS Ding – hatte aber zugleich aufgrund des offensichtlichen Scheiterns des Traumes von „Love & Peace“ eine dunklere Schattierung angenommen. Und was ist Psychedelic Rock? Zunächst einmal: Psychedelische Rock hat seine Wurzeln an der Westküste der USA, in San Francisco und LA. New York kommt ein paar Monate hinterher. In England schlägt er verspätet ein, dort hatte man bekanntlich Jimi Hendrix zu Besuch und der scheint die Briten dazu bewogen zu haben, ihren Beat, importierten Blues und britischen Folk mit US-Psychedelik in Form von langen (Gitarren) Soli, wildem Gebaren und Outer Space Images zu versetzen. Aber Original Psychedelia – und viele ausgereifte, dazu passende Alben – kommen ’68 aus den USA. Typische Merkmale: Gitarren mit Fuzz und Feedback, lange Soli. Mellotron, Theremin, Elektronische Keyboards, die den Sound flächig unterlegen. Studio-Effekte wie Phasing, Delay, rückwärts laufende Tapes, Drones, seltsame Song-Strukturen in langen Tracks, Elemente aus indischer und arabischer Musik, Raga, Klassik, Free Jazz. Texte mit mehr oder weniger eindeutigem Bezug zu Halluzinogenen wie Marihuana, LSD (siehe Hendrix‘ „Purple Haze“, Jefferson Airplane’s „White Rabbit“) oder/und surrealistische oder aus Sagen und Märchen geschöpfte Eskapismen. Plattencover mit psychedelischen Motiven und den beliebten verbogenen Bandnamen. Typisch US ist der Bezug auf alten Blues, US-Folk oder – mit der Zeit immer öfter – auf Countrymusik klassischer Art (NICHT den End-Sechziger Nashville-Kram…). Fun Fact: Der Begriff „Psychedelisch“ wurde Mitte der Fünfziger vom britischen Psychiater Humphrey Osmond zur Beschreibung der Wirkung halluzinogener Stoffe verwendet. Er sprach von „psychedelischer Psychotherapie“. Aldous Huxley fand seine Ideen so toll, dass er Osmond dazu brachte, ihn unter kontrolliren Bedingungen unter Meskalin zu setzen. Huxley’s Buch The Doors of Perception beruht auf dieser Erfahrung – und die Doors benannten sich nach diesem Buch.
Iron Butterfly
Heavy
(Atco, 1968)
Das sieht ja schon psychedelisch aus. Das Album-Cover des Debüt-Albums genauso wie das des legendären zweiten Albums. Dazu der Band-Name: Eiserner Schmetterling . Iron Butterfly entstanden ’66 in San Diego, nach fleißigem Üben gingen sie nach San Francisco um in den Clubs am Sunset Strip Furore zu machen. Ihr Sound passt natürlich perekt in diese Zeit: Die schwere Orgel des Band-Gründers Doug Ingle ist Boss, ein tiefer Bass und ein stampfendes Schlagzeug, die handelsübliche Fuzz-Gitarre von Danny Weis und die autoritäre Stimme eines echten Bühnen-Tieres, der aber auch oft Doug Ingle Platz am Mikro machte. Bald hatten sie ihr Publikum erobert, einen Haufen netter Psychedelic-Kleinode geschrieben – und durften im Oktober ’67 für Atco ihr Debüt aufnehmen. Für Monterey wurden sie nicht gebucht, aber sie gingen mit den Doors und Jefferson Airplane auf Tour und Heavy stieg langsam in den Charts nach oben. Die Single „Unconscious Power“ ist toll, das klassisch angehauchte „So-Lo“ gefällt mir so gut wie das stampfende „Fields of Sun“. Und das abschließende „Iron Butterfly Theme“ ist klassische Psychedelia. Iron Butterfly hatten einen sehr eigenen, orgel-schweren Sound, waren immer eine Spur härter, als die Zeitgenossen – und gelten daher als Heay-Rock Pioniere. Das Album hat seinen Titel jedenfalls zu Recht.
Iron Butterfly
In A Gadda-Da-Vida
(Atlantic, 1968)
Aber der Erfolg kam etwas zu langsam – noch ’68 verließen Bassist, Sänger und Gitarrist die Band und wurden umgehend von zwei neuen Kollegen ersetzt. Ingle übernahm nun komplett die Leitung, bediente die dröhnende Orgel, sang, schrieb fast alle Songs und hatte mit dem gerade mal 17-jährigen Gitarristen Erik Brann einen Glücksgriff getan. Einen, der seinen Orgel-Impro’s folgen konnte und dem es gelang, beim zentralen Track des Albums mitzuhalten. „In-A-Gadda-Da-Vida“ ist legendär geworden. Es ist das 17-minütige Meisterwerk der Band, das Orgel-Riff Erkennungszeichen ihrer Musik, das 40 Jahre später sogar im HipHop verwendet werden würde. Doug Ingle hatte die schlichte Melodie schon ’66 geschrieben, der Text war im Suff entstanden, es war eigentlich nur ein kurzer Track, den Iron Butterfly aber schon vor dem 1. Album live auf 30+ Minuten ausgedehnt hatten. Wer die eher zufällig aufgenommene One-Take Version auf In-A-Gadda-Da-Vida hört, versteht, warum sich dieser Track für psychedelische Ausschmückungen eignet. Er ist simpel, eingängig, auf den fünf Noten kann man endlos Improvisieren – und er klingt so schwer und schön zugleich, wie es der Bandname verspricht. Das Ganze war ein Symbol-Song zum ausklinken und wegdriften, düster genug für die Tage nach dem Summer of Love. Dass die erste Seite des Albums nicht hinter dem Seitenfüller von Seite 2 zurücksteht, wird gerne vergessen:„Most Anything You Want“ ist guter Acid-Bubblegum Pop, „Mirage“ und „Termination“ richtig toller Psychedelic Rock. Das Album ist nicht nur ein zeittypisches Dokument.
Vanilla Fudge
The Beat Goes On
(Atco, 1968)
Das Atlantic-Unterlabel Atco versucht ’67/’68 anscheinend, den „schwersten“ Acid-Rock auf dem Markt zu etablieren. Noch vor Iron Butterfly hatten sie die New Yorker (!) Band Vanilla Fudge unter ihre Fittiche genommen. Deren Konzept: Man nehme einen populären Song der Beatles etwa, oder – im erfolgreichsten Fall – „You Keep Me Hangin‘ On“ von den Supremes – und dehne diesen, bis er sich über fast 10 Minuten streckt. Auch bei Vanilla Fudge ist die Orgel (von Bandgründer Mark Stein) das prägende Sound-Element, dazu gibt es den schweren Bass von Mit-Gründer Tim Bogert, eine Fuzz-Gitarre, wie es sich gehört und den Schlagzeuger Carmine Appice, dessen Heavy-Drumming legendär werden würde. Wie man sehen kann, nicht weit weg von Iron Butterfly. Mit dem geichnamigen Debüt vom Vorjahr und mit dem oben genannten Hit hatten sie sich anscheinend das Recht erarbeitet, auch mal Unsinn zu machen. Ihr zweites Album ist keine „echtes Rockalbum“, es ist eine Soundcollage, wie sie nur in Zeiten wie den psychedelischen Sechzigern entstehen kann. Lustigerweise erreichten sie damals mit diesem Album Platz 17 der Billboard-Charts – unglaublich, wenn man sich das anhört: Thema ist das immer wiederkehrende „The Beat Goes On“ von Sonny & Cher, ein paar Beatles-Tracks werden angespielt, Beethoven, Cole Porter – die Idee von Produzent Shadow Morton (der die Shangtri-La’s zu kurzem Ruhm geführt hatte…) war es, die Menschheitsgeschichte mindestens seit dem 18. Jhdt. Musikalisch und schicksalsschwer darzustellen: Dazu gibt es extra eine 8-minütige Collage aus Reden wichtiger Politiker des 20. Jahrhunderts (Chamberlain, Churchill, Eisenhower, Kennedy etc…), unterbrochen von Sound-Snippets von besagtem „The Beat Goes On“. Interessanterweise macht mir (mir!) diese Collage Spaß. Ich finde The Beat Goes On kurzweiliger, als die meisten Bewertungen Anderer mir vormachen wollen. Völlig ’68, aber ungewöhnlich und vielleicht auch gut.
Vanilla Fudge
Renaissance
(Atco, 1968)
Der Band allerdings gefiel es garnicht – schnell forderten und bekamen sie die Gelegenheit, ein „normales“ Album aufzunehmen. Ein letztes Mal mit dem Exzentriker Morton – aber diesmal überwiegend mit eigenen Songs und „normaler“ Struktur. Vanilla Fudge hatten keinen besonders guten Ruf, galten als weniger glaubwürdig und kredibel, ihr Erfolg beruhte schließlich auf aufgeblähten Cover-Versionen – das kam nicht bei jedem gut an. Der Titel Renaissance mag darauf hiweisen, dass hier eine Erneurung mit Hilfe von gutem Altem (Songwriting) folgen sollte. Nun – weder Stein, noch Appice oder Bogert waren große Songwriter – aber die Art, wie sie aus normalen Psychedelic-Rock-Songs dunkel dröhnende Ungetüme bauten, war beeindruckend. Renaissance ist ein Fundament des Heavy-Rock, man hätte die Band Vanilla Sludge nennen sollen. Ein bisschen tragisch vielleicht, dass hier eine Cover-Version – der Album-Closer „Season of the Witch“, im Original von Donovan – das atmosphärischste Stück ist. Aber die Songs davor sind voller Leidenschaft, haben krachenden Rhythmus, sehr typische Fuzz-Gitarren Passagen und wieder diese ungeheure Orgel als Basis. Ich weiss, dass Viele diese Band nicht wirklich ernst nehmen. Ich finde sie ziemlich originell, ihren Sound einzigartig und sehe alle fünf Alben bis ’69 als gelungenen Psychedelic Rock aus NY an.
Moby Grape
Wow
(Columbia, 1968)
Moby Grape’s Debüt aus dem Vorjahr gilt als eines DER Psychedelic Alben seiner Zeit – aber die dämliche Entscheidung ihres Managements, aus dem Album fünf Singles gleichzeitig zu veröffentlichen, ein Hype, wie man ihn zuvor nicht kannte, zu schnell zuviel Vorschuss, zuviele Drogen und zu viele Kreative in einer Band führten dazu, dass Moby Grape langsam den Faden verloren. Dass ihr zweites Album dann auch noch ähnlich gehyped wurde, dürfte auch geschadet haben: Zum Einen wurden Wow und Grape Jam im Paket zum Preis eines normalen Albums in die Läden gebracht. Zum Zweiten versuchten Moby Grape sich nun in Sgt- Peppers-hafter Arrangier-Kunst: Bläser, Geigen, Noise-Collagen, eklektische Stil-Übungen (die bei fünf Songwritern nicht unlogisch sind…), luschtige Gimmiks wie die Helium Stimme beim Hillbilly von „Funky Tunk“…inklusive. Und dennoch – mir gefällt Wow gut. Zweimal anhören, und es sticht ins Ohr, dass hier hervorragende Songs zum Teil ein bisschen zugekleistert wurden – oder eben den Moden entsprechend behandelt worden waren. Man höre nur den psychedelischen Folk von „Rose Coloured Eyes“ (natürlich mit rückwärts abgespielter Gitarrenspur), man beachte die feinen Harmonie-Gesänge, Der darauf folgende „Millers Blues“ ist so zeit-typisch, wie das Cover Design, passt nicht zum vorherigen Track, ist aber voll Feuer – und überproduziert… Wenn sie die Tricks bleiben lassen und Folk und Psychedelic Rock (was immer das ist…) spielen, sind sie so gut wie die Byrds. Schade dass wieder so übertrieben wurde…
Moby Grape
Grape Jam
(Columbia, 1968)
Und dann kommt Grape Jam daher und sollte vielleicht die von der Pepperisierung genervten Hippies beruhigen, denen an ausgedehnten Jam’s und langsamem Wegdriften lag. Hier ist es auf damals vielleicht coole, heute etwas langweilige Art schlicht gehalten. Bei Wow und dem Vorgänger hatte man es schon geahnt: Die sind allesamt fähige Musiker. Beim „Boysenberry Jam“ darf Jerry Miller zeigen, was er an der Gitarre kann, beim Opener „Never“ sind sie langsamer, und Skip Spence spielt auch ganz toll Gitarre, „Marmalade“ sind 14 Minuten Blues-Jam mit Mike Bloomfield am Piano. Ich weiss, dass es Leute gibt, denen so etwas besser gefällt, als gute Songs und schlaue Ideen – ich halte das Album für überflüssig und beschreibe es nur, weil es in einem Paket mitgeliefert wurde – und vielleicht erklärt, warum Moby Grape unwichtig wurden. Dass Peter Lewis nicht mitmachte, mag zeigen, dass sich die Musiker über den Sinn dieses Albums nicht einig waren. Als Konsument kann man Wow ja auch einzeln suchen. Das lohnt nicht nur wegen des mit einem Grammy ausgezeichneten Covers.
Big Brother & The Holding Company
Cheap Thrills
(CBS, 1968)
Big Brother & The Holding Company hatten schon Anfang ’67 ein (weniger spannendes) Album aufgenommen – und dann traten sie in Monterey auf, und vor Allem ihre Sängerin Janis Joplin elektrifizierte das gesamte Publikum. Die junge Frau stammte aus Port Arthut/Texas, hatte sich in ihrer Jugend mit ihrem Interesse an „schwarzer Musik“ und Sängerinnen wie Ma Rainey vom Normalbetrieb der texanischen Gesellschaft verabschiedet. Sie war schon früh in Folk-Clubs aufgetreten, ging nach San Francisco, probierte Heroin, Alkohol, LSD aus und wurde wegen Ladendiebstahl festgenommen. Nachdem sie nur noch 40 kg wog, wurde sie zu ihrer Familie nach Texas zurükgeschickt, begann (fast) ein normales Leben, hätte (fast) geheiratet, bis sie dann doch erst mal bei den 13th Floor Elevators mitmachte. Dann wurde sie um ’66 von der instrumentalen Psychedelic Blues Band Big Brother & The Holding Company angeschrieben und schloss sich der in den Clubs in San Francisco etablierten Band an. Man musste sich zunächst miteinander arrangieren, sie musste lernen, über eine elektrische Psych-Band zu singen, die Musiker mussten lernen, den Blues-Background auszulegen. Und bei den Aufnahmen zum zweiten Album – Cheap Thrills – fielen die Puzzle-Teile an ihren Platz. Janis hatte Live – sicher auch durch das Festival – an Selbstvertrauen zugelegt, die Band wusste, was sie tun musste, um das Tier aus dieser Sängerin heraus zu holen. Joplin’s Art von Expressivität klingt heutzutage seltsam aus der Zeit gefallen – und fast ein bisschen peinlich: Neben den Stimmen der Verinnerlichung der Singer/Songwriter in den Siebzigern, der Kühle des Post-Punk und den Hochleistungs-Oktaven-Kletterern des R’n’B der Achtziger und Neunziger ist ihre offenbar „echt“ impulsive Schreierei so unzeitgemäß wie die Urschrei-Therapie. Aber sie wusste was sie tat – auch wenn sie sehr oft sternhagelvoll gewesen sein soll. Ihre Version von Big Mama Thornton’s „Ball and Chain“ ist ungeheuer intensiv. Man spürt, dass sie diesen Song liebt, ihre Stimme bricht vor Leidenschaft weg, sie holt den Blues in den Psychedelic Rock einer Band, die inzwischen vor Kraft zu bersten scheint. Sie macht den ausgelutschten Klassiker „Summertime“ zur Tour-de-Force und „Piece of My Heart“ vibriert vor Leidenschaft. Das Album wurde bewusst roh aufgenommen – mit eingeblendetem Publikums-Beifall – und das schadet der Musik nicht, es macht sie nur unmittelbarer. Cheap Thrills ist sehr zeittypisch – aber es ist schwer, sich seiner Wucht zu verschließen.
Grateful Dead
Anthem of the Sun
(Warner Bros., 1968)
Und wieder – Teilnehmer am Monterey Pop Festival, deren erstes Album aber so wenig erquicklich war, dass ich es im entsprechenden Artikel für ’67 nicht beschrieben habe. Grateful Dead hatten es nicht fertig gebracht, ihre wirre Klasse auf Vinyl einzufangen. Aber das besserte sich beim Nachfolger Anthem of the Sun. Sie hatten aus den Fehlern des Debüt’s gelernt – oder man sollte besser sagen – sie hatten beschlossen, das Studio jetzt auf ihre eigene Art zu nutzen. Man sagt, dass es kein Studio-Album der Dead gibt, das ihre Live-Qualitäten einfängt (…es gibt nicht umsonst weit mehr Live- als Studio-Alben der Band) – und so ist Anthem of the Sun das logische Produkt aus dieser Erkenntnis. Die Band ging mit dem Produzenten in verschiedene Studios, nahm einzelne Song-Fragmente auf und vermischte diese so sehr mit Live-Mitschnitten, daß letztlich niemand wusste, was woher kam. Eine Idee, die vollkommen in die Hose hätte gehen können – aber Jerry Garcia und Kollegen nahmen sich soviel Zeit (und Drogen), bis sie die hitzige Power ihrer Live-Auftritte herausgefiltert hatten. Ich weiss nicht, Was hier im Studio gemacht wurde, und Was live ist – aber die Kraft von zwei Drummern und einem abgrundtiefen Bass setzt ein schön federndes Fundament unter nie ganz ausformulierte Songideen, die von Gitarrensplittern, Harmony-Vocal-Passagen und den seltsamen Sounds von Kazoo, Cymbals, Klavier-Klustern und Trompeten ausgeschmückt werden. Es gibt keine einzelnen Tracks, das ganze Ding ist als Song-Zyklus konzipiert, aus dem sich nicht – wie bei späteren Alben – einzelne Tracks herauslesen lassen. Auf der zweiten LP-Seite bekommt man bei „Alligator“ einen Eindruck von den Live Improvisationen der Band, vom telepathischen Zusammenspiel der Musiker. Tatsächlich ist Anthem of the Sun in seiner Machart revolutionär, die Plattenfirmen-Verantwortlichen verzweifelten bei den chaotischen Aufnahmen, aber zuletzt bekamen sie ein Album, das den kollaborativen Charakter dieser Band perfekt einfing. Grateful Dead nahmen hier die Mischung aus Spontanität, innerem Verständnis und Experimentierfreude vorweg, die man später bei Bands wie Sonic Youth so bewundern wird. Na ja, deren Lee Ranaldo zählt Anthem… zu seinen liebsten Alben…
Quicksilver Messenger Service
s/t
(Capitol, 1968)
Quicksilver Messenger Service sind für den Sound of San Francisco genauso typisch wie Jefferson Airplane und Grateful Dead. Und auch ihr Autritt beim Monterey Pop Festival ist legendär. Sie waren eine erprobte Live-Band, deren Fähigkeiten kaum auf einem Studio-Album einzufangen war. Dazu kam, dass sie den „peace, love and community“ der Szene in Haight Ashbury so sehr verinnerlicht hatten, dass sie quasi aus Grundsatz umsonst spielten, zwar seit ’65 existierten, aber nach langem Zögern erst ’67 einen Plattenvertrag mit Capitol abschlossen und so erst Anfang ’68 – nach zwei Versuchen – eine Platte fertig bekamen. Zu dem Zeitpunkt war Bandgründer Dino Valenti – ein erfahrener Folk-Musiker – wegen Marihuana-Besitz im Gefängnis – und John Cipollina, sein kongenialer Gitarrist und Valenti’s Ersatz David Freiberg standen aus dem gleichen Grund mit einem Bein im Knast. Kleine Drogen-Vergehen konnten seinerzeit drakonisch geahndet werden. Im Summer of Love begab man sich mit Marihuana-Besitz in große Gefahr – seltsame Erkenntnis, wenn man bedenkt, wie sehr Psychedelic Rock und Drogen zusammengehören. LSD allerdings war ja – noch – erlaubt… Quicksilver Messenger Service – das Album – ist für diese wilden Zeiten ein erstaunlich diszipliniertes Teil geworden. Fünf der sechs Tracks sind durcharrangiert, der Opener „Pride of Man“ bietet Bläser und Chöre, die aber den eigenwilligen Sound der Band nicht überdecken können. Da ist vor Allem John Cipollina’s Gitarrensound, sein extensiver Einsatz des Tremolo-Bigsby ließ die Gitarre in den hohen Tönen gespenstisch wimmern. Gary Duncan wiederum spielt den erdigeren, jazzigen Part. Bestes Beispiel hierfür – das halb-Live, halb Studio Instrumental „Gold and Silver“. Und mit dem 12-minütigen „The Fool“ wird das Beste vorgestellt, was Acid Rock seinerzeit zu bieten hatte: Der Track dürfte den Live-Auftritten der Band nah kommen, Bassist David Freiberg spielt sogar Cello, die beiden Gitarren umspinnen einander, das Stück wandert über Klassik, Jazz und Cosmic American Music in psychedelische Versponnenheit und zurück. Besser schien es nicht zu gehen… bis QMS im folgenden Jahr mit ihrem Live-Album Happy Trails das definitive Psychedelic-Album machten.
Kaleidoscope
A Beacon From Mars
(Epic, 1968)
Ja, auch Kaleidoscope waren beim Monterey Pop Festival im Sommer ’67 dabei, sie hatten der Flower Power Generation mit Side Trips ein sehr schönes Debüt zur Verfügung gestellt – das allerdings auch da schon durch seinen Ekektizismus manchen schlichteren Geist überfordert haben dürfte. Andererseits: Der „Summer of Love“ meinte ja auch, dass man Alles darf, Alles ausprobieren kann. Vielleicht sind Kaleidoscope in ihrer kaleidoskopischen Stilbreite die quintessentielle Band dieser Zeit. Alle können Alles spielen, alle in der Einleitung zu diesem Artikel genannten Einflüsse laufen zusammen und es entsteht – A Beacon From Mars. Das zweite Album ist der aufnahmetechnisch verbesserte zweite Schritt einer Gruppen von Musikern, die musikalisch so versiert sind, dass sie sich auch verzetteln könnten. Was gibt es? Ich mag den kräftigen britischen Psychedelic-Folk von „Greenwood Sidee“, sogar in Fake-Cornwall Akzent gesungen. Da ist fuzzy Acid-Rock bei „You Don’t Love Me“, orientalische Biegungen sind über das komplette Album verteilt, „Taxim“ baut auf dem türkischen Song „Şehnaz Longa“ auf und mit dem Titeltrack bekommt man ein Meisterwerk der bedrogten Hippie-Musik: Mit Hilfe von Stille, himmlischem Feedback und leichten Blues-Anklängen wird das Gefühl vermittelt, das man nach einem Acid-Trip haben soll: Das Universum um dich herum atmet, du siehst es ganz genau, es macht dir Angst und erfüllt dich mit tiefstem Frieden zugleich. A Beacon From Mars ist tatsächlich wie ein Überblick über den künstlerischen Kosmos seiner Zeit in San Francisco – und es verkaufte sich miserabel. Dabei bekommt man eine psychedelische Kostbarkeit, die freilich ihrer Zeit verpflichtet ist (aber das sind alle Alben hier), Anthem of the Sun kommt dem hier am nächsten, aber A Beacon From Mars ist verwirrender und Kaleidoscope haben nicht die rhythmische Wucht von Grateful Dead… aber diese Band bestand aus dermaßen exzellenten Musikern. Allein das reicht schon.
Jefferson Airplane
Crown Of Creation
(RCA Victor, 1968)
Jefferson Airplane waren beim Monterey Pop Festival eine der Haupt-Attraktionen. Sie gehörten neben Grateful Dead und Quicksilver Messenger Service zu den wichtigsten Bands der Haight Ashbury Szene. Und sie waren die politischste Band im Summer of Love. Mit Grace Slick hatten sie eine musikalisch enorm versierte und selbstbewusste Sängerin (Frauen waren auch in der Hippie-Musik-Szene massiv in der Minderheit) – Jefferson Airplane waren ein Haufen exzellenter Musiker, denen die gesellschaftlichen Veränderungen ihrer Zeit wohl sehr deutlich bewusst war. Der Summer of Love war vergangen, noch immer erwartete man, dass sich etwas verändern würde, dass die ganze Welt auf einen Trip Richtung Love and Peace gehen würde – aber nach dem Massaker von My Lai und nach Robert Kennedy’s Ermordung kamen Zweifel auf. Genau dieser Moment des Zweifels wird auf Crown Of Creation präsentiert. Die Band hatte sich ein 3-stöckiges Haus gegenüber vom Golden Gate Park gekauft und lebte und musizierte dort als Kommune mit haufenweise Gästen. David Crosby von den Byrds bot Grace Slick seinen Song „Triad“ an – den die Byrds zu gewagt fanden – und spielte Gitarre, Tim Davis von der Steve Miller Band machte auch mit, es war ein Kommen und Gehen in „The Mansion“. Und ja – diese Band war „erwachsen“ geworden: der tolle, von Grace Slick geschriebene Opener „Lather“ beschreibt den Jugend-Kult der Hippies: Drummer Spencer Dryden – mit dem Slick gerade zusammen war, wurde just in diesem Jahr 30(!). Eine gewisse Wehmut und Ratlosigkeit durchzieht das Album – die Musik allerdings ist enorm energetisch. Jack Casady nutze seinen Bass mit Wah-Wah Pedal als Lead-Instrument, Gitarrist Jorma Kaukonen musste sich weder vor Jerry Garcia, noch vor John Cipollina verstecken, aber vor Allem das Songwriting auf Crown of Creation ist exzellent – auch wenn das Album keinen „Hit“ abwerfen sollte. Jefferson Airplane waren eine Album-Band, keine Hit-Single-Lieferanten. Weitere Highlights bei einem Album ohne Ausfälle: Der Titeltrack – kraftvolle Psychedelik, basierend auf dem dystopischen Science fiction Roman Wem gehört die Erde von John Wyndham. Oder die Single „Greasy Heart“ mit einer der besten Gesangsleistungen Slick’s, Oder, oder, oder… Am besten anhören und wundern, dass Crown of Creation nicht bekannter ist, auch wenn – oder gerade weil – es ein Abgesang auf den Summer of Love ist…
Steve Miller Band
Children Of The Future
(Capitol, 1968)
Auch die Steve Miller Band war beim Monterey Fetival dabei, auch sie veröffentlichten erst Anfang ’68 ihr erstes Album. Steve Miller hatte in Chicago den Blues geliebt und gelernt, er war in San Francisco – da noch als Steve Miller Blues Band – zur Attraktion in den lokalen Clubs aufgestiegen, bekam einen gut dotierten Vertrag bei Capitol, entfernte das „Blues“ aus dem Bandnamen, ging nach dem Monterey Festival auf Tour nach England und nahm dort mit dem in den 70ern durch seine Arbeit mit den Eagles bekannten Glyn Johns sein erstes Album auf. Children of the Future ist eine weitere Facette dessen, was den San Francisco Sound in dieser Zeit ausmacht. Die Blues-Einflüsse sind hörbar, Miller und seine Band – incl. des kurz vor Monetery neu dazu gekommenen Gitarristen und Songwriters Boz Scaggs – bauten genug psychedelische Effekte ein, um in den Venues in Haight Ashbury gut anzukommen. Jim Petermann brachte ein prägnantes Mellotron mit, Scaggs und Miller hatten ein Händchen für schwärmerische Melodien und waren beide fähige Gitarristen. Das Album hat einen sehr hippie-esken Flow, nie wird übertrieben, nie fällt die Spannung ab – Children of the Future klingt verträumt – das ist einfach das richtige Wort dafür. Es funktioniert am besten als komplettes Album und mag daher mit vielen seiner Art in der Zeit verblasst sein. Zumal Steve Miller in ein paar Jahren mit dem Pop-Rock von „The Joker“ und „Fly Like an Eagle“ weit mehr Aufmerksamkeit erhielt. Ich aber mag seine psychedelische Phase lieber…
Steve Miller Band
Sailor
(Capitol, 1968)
Und das nachfolgende, noch im selben Jahr in San Francisco aufgenommene Sailor ist die nächst-höhere Stufe seiner psychedelischen Jahre. Wieder produzierte Glyn Johns, das Line-Up war ein letztes Mal dasselbe, Boz Scaggs trug drei Songs und seine süffigen Licks bei – und Steve Miller hatte die Beatles verinnerlicht. Hier machte er den ersten Schritt Richtung Mainstream, aber Sailor ist immer noch ein schwebendes, sanftes Psychedelic-Album mit zwei echten Hits und entsprechendem Erfolg (Platz 24 in den Billboard Charts – hier kam Miller auf den Geschmack). Da war das tolle „Living in the USA“, auf dem Album fast ZU kurz, Live gerne breiter ausgelegt, mit einem infektiösen Refrain, der genau angebrachten Art von Ironie den USA gegenüber und berstend vor Energie. Und da war das Johnny „Guitar“ Watson-Cover „Gangster of Love“, welches Miller in seinen kommenden Hits immer wieder zitieren würde. Perfekt in seiner psychedelischen Poppigkeit. Und Sailor ist ein echtes Band-Album: Der Opener „Song For Our Ancestors“ ist enorm atmosphärisch, „Quicksilver Girl“ bietet fließende Gitarren, zärtlichen Blues und Lyrics, die perfekt den Geist in der Hippie-Kommunen wiedergeben. Das Zusammenspiel der Gitarren und Keyboards ist hervorragend, Millers Gesang ist erstaunlich gut – die Steve Miller Band war ein gut geölter, eigenständiger Act. Fun Fact: Am Ende von „Living in the USA“ singt Miller „…Somebody give me a cheeseburger…”. Genau das taten die Leute im Publikum. Miller wurde mit Burgern beworfen und spielte aus diesem Grund den Song später nicht mehr live.
Eric Burdon & The Animals
The Twain Shall Meet
(MGM, 1968)
Eric Burdon war ’68 ganz an der US Westküste angekommen. Er war so begeistert von der Hippie-Kultur in San Francisco, von der Freiheit und den Visionen einer neuen Gesellschaftsordnung, dass er seine Teilnahme am Monterey Pop Festival in einem Song verarbeitete, der zu einem seiner größten Hits wurde – und zu einer der Hymnen jener Zeit. Die Aufzählung und Beschreibung der bei jenem Festival vertretenen Künstlre, Burdon’s Begeisterung für Hendrix, „three days of understanding/ groovin‘ with one another…“ Das war sein Ding und das vermittelt er in dem Song mit Sitar-Klängen und einer eingängigen Melodie. Das Album besticht durch seine Mischung aus „psychedelischen“ Ingredienzien und Burdon’s immer noch intakter Rhythm and Blues Sensibilität. Dass seine raue Blues-Stimme sowieso hervorragend ist, will ich hier gerne nochmal in Erinnerung rufen. Die Songs auf The Twain Shall Meet sind allesamt von der Band und einmal vom Gitarristen Danny McCulloch allein geschrieben – und die treffen genau die Schnittmenge zwischen rohem Blues und lustvollem Psychedelic Rock. Dass es ein Produkt seiner Zeit ist, ändert nicht seine Klasse. Animals-Blues, Sitar-Klänge, rückwärts aufgenommene Gitarren, ausgedehnte Jam-Passagen, Clavinet-Klänge, Eric Burdon groß in Form… das Ergebnis ist ein Album, das gleichwertig neben den Klassikern seiner Zeit steht. Und wo Seite 1 der LP noch im Rhythm and Blues gründet, da beginnt die zweite LP-Seite mit einem wunderbar experimentellen Anti-Kriegs Track: „Sky Pilot“ ist state of the art ’68 – und die Aussage ist eine universelle Wahrheit. Dass dieses Album mit dem langen, Raga-beeinflussten Track „All Is One“ incl. ausserordentlich naiver Hippie-Botschaft endet, ist natürlich auch völlig ’68. So sehen die Alben jener Zeit aus.
Eric Brdon and the Animals
Every One of Us
(MGM, 1968)
Ein paar Monate später kam dann das nächste Album: Seltsamerweise wurde Every One Of Us nicht im UK veröffentlicht – nur in den USA und Rest-Europa. Was die Plattenfirma dazu bewogen haben mag? Keine Ahnung. Mag sein, dass Burdon Every One of Us als Kommentar zum Ende des Summer of Love in den USA ansah und das Album dort passender fand – aber die Entscheidung dürfte letztlich die Plattenfirma gefällt haben Es ist ein loses Konzept-Album, das Armut, Unrecht und Probleme von Einwanderern in die Staaten behandelt. Da ist der Kommentar zu sozialen Misständen beim Latin-Blues von „White House“, da ist „The Immigrant Lad“ mit Folk-Anmutung und einem Schluss-Teil, in dem die Unterhaltung zweier junger Zuwanderer in einem Pub zu hören ist. „St. James Infirmary“ ist eine Erinnerung an „House of the Rising Sun“ aus alten Animals-Tagen – allerdings nun auch mit Sitar-Klängen verziert. Und zuletzt werden dann 19 Minuten Philosophie und Kritik in Form des Songs „New York 1963-America 1968“ geboten. Burdon beschreibt seine Ankunft in den USA, kritisiert den Vietnam-Krieg, indem er einen Kampf-Piloten zu Wort kommen lässt und beklagt mit wachsender Verzweiflung versinkende Hippie Ideale indem er „Tell me you want to be free“ und „I want to make everybody feel free with me“ singt. Auch das ist typisch ’68 – ich verstehe, dass die Alben dieser Zeit nicht sehr aktuell sind – aber die diesmal überwiegend von Burdon selbst verfassten Songs sind schön und die Umsetzung ist gekonnt: Psychedelischer Rhythm and Blues, diesmal mit Folk Einflüssen.
Eric Burdon and the Animals
Love Is
(MGM, 1968)
Noch vor dem Erscheinen von Every One of Us verließen die Gitarristen Vic Briggs und Danny McCulloch die Band und Burdon holte aus England den Gitarristen Andy Summers (Ja, der von The Police…) von der Band Dantalion’s Chariot dazu. Deren Keyboarder George Bruno aka Zoot Money hatte schon bei Every One of Us geholfen, für Love Is – tatsächlich im Dezember ’68 als drittes Album in einem Jahr veröffentlicht – war das Personal also ausgetauscht und das Konzept wieder ein Anderes: Die vierte Seite der Doppel LP wird komplett mit Material von Dantalion’s Chariot bestritten, fast der ganze Rest sind Cover-Versionen – die immerhin teils recht gelungen sind. Burdon’s Version von „River Deep – Mountain High“ passt ganz wunderbar zu seiner kraftvollen Stimme. Zoot Money’s Keyboards lassen eine weitere neue Facette aufleuchten. Die Cover-Version von June Carter’s „Ring of Fire“ wurde auch in Deutschland ein kleiner Hit – kann aber an Johnny Cash’s Version nicht heranreichen. Und auch „To Love Somebody“ von den Bee Gee’s ist eine etwas seltsame Wahl. Aber „Colored Rain“ von Traffic passt – und das vier-minütige Gitarren-Solo von Andy Summers – na ja, das war damals eben so. Darauf, dass dieser Gitarrist später mit The Police einen ganz eigenen und zurückgenommenen Gitarren-Stil etablieren würde, kommt man hier jedenfalls nicht. Und das die vierte LP-Seite füllende Medley „Gemini“ und „The Madman“ ist typischer britischer Psychedelic Rock. Zoot Money und Burdon teilen sich den Gesang, der Track ist schön experimentell – oder unnötig in die Länge gezogen, je nachdem, wie man zu dieser Musik steht. Als die Animals Ende ’68 auf Tour nach Japan gingen, wurden sie und ihr Manager angeblich von Yakuza bedroht. Sie flohen augenblicklich und ließen das komplette Equipment in Tokio. Die Formation brach noch vor dem Release des Albums auseinander und Burdon fand mit der Soul-Band War neue Begleiter. Von all den hier beschriebenen Alben ist Love Is am schlechtesten gealtert. The Twain Shall Meet wäre meine Wahl.
The Doors
Waiting For The Sun
(Elektra, 1968)
Ich habe immer den Eindruck, dass die Doors nicht so richtig zum Klischee des „Hippie’s“ passen. Kann ja sein, dass der Umstand, dass sie eben nicht aus San Francisco, sondern aus LA kamen, sie die Hippie-Welt ein bisschen anders sehen ließ – was dazu führen mag, dass sie auch anders gesehen werden. Sie waren von Grund auf düsterer als Jefferson Airplane oder die Grateful Dead – und auch wenn sie das gleiche Publikum gehabt haben mögen – Jim Morrison’s vertonter Ödipus-Komplex „The End (auf The Doors), seine surrealen und mit Existenzialismus kokettierenden Lyrics und nicht zuletzt seine immer selbst-zerstörerischen Eskapaden hatten mit Hippie-Seligkeit wenig gemein. Dazu ein Band-Sound, der im Grunde recht reduziert ist und sich stark auf die Stimme konzentriert… Ich meine, typischer Psychedelic Rock ist was anderes – auch wenn die Doors letztlich nur in dieser Zeit an diesem Ort entstehen konnten. Mit Waiting For the Sun kam also innerhalb von 18 Monaten schon das dritte Album dieser Band, die angeblich wegen terminlicher Überschneidungen nicht in Monterey dabei gewesen war. Manche Kritiken werfen dem Album vor, mit ein-zwei Ausnahmen nichts Besonderes zu sein. Tatsächlich griff Morrison mit dem Opener „Hello, I Love You“ auf älteres Material zurück, tatsächlich bietet Waiting for the Sun mehr Pop als Expression. Morrison geriet zwar immer mehr außer Kontrolle, aber Robby Krieger, Ray Manzarek and John Densmore waren nie besser als hier, sie leuchteten alle Ecken ihres Sounds aus. Man darf nie vergessen: Morrison war die Gallionsfigur, dieser Sebstdarsteller aber wäre ohne Manzarek’s Orgel, ohne Krieger’s spinnenhafte Gitarren und ohne die Drum-Basis, die John Densmore setzte, verloren gewesen. Nur ein Songwriter, der sich für einen großen Dichter hält. So ist es (für mich) vor Allem die Musik, die dieses Album auf der Höhe der beiden Vorgänger hält: Bei „Love Street“ geht es voller Sehnsucht um die Zeit, in der Morrison mit seiner Freundin im Laurel Canyon einen inzwischen fast verkärten Summer of Love verbracht hatte. Zentraler Track sollte eigentlich das Eine LP-Seite füllende „Celebration of the Lizard“ werden, aber Produzent Rothschild war mit den einzeln aufgenommenen Teilen unzufrieden und ließ nur die knapp vier Minuten von „Not to Touch the Earth“ auf das Album. Die Doors waren sich der Veränderungen ihrer Zeit offenbar sehr bewusst: Zwei Tracks („The Unknown Soldier“ und „Five To One“) handeln von Soldaten und vom Krieg und nicht umsonst heißt einer der schönsten Songs auf Waiting for the Sun „Summer’s Almost Gone“ – offenbar geht die Sonne hinter den gespensterhaft übermüdeten Musikern auf dem Cover unter. Dies ist IMO das „schönste“ Album der Doors, was danach kam, war teils sehr gut – aber der Summer of Love war vorbei.
Spirit
s/t
(Ode Rec., 1968)
Auch die Band Spirit enstammt – wie die Doors – der Musik-Szene von Los Angeles. Dort hatte der Gitarrist Randolph Craig Wolfe aka Randy California mit seinem zwanzig Jahre älteren Stiefvater(!), dem erfahrenen Jazz-Drummer Ed Cassidy nach diversen Stationen als Miet-Gitarrist eine eigene Band gegründet, die sich im Laufe der Monate um den Summer of Love-zu einer erfolgreichen Psychedelic Rock Band mauserte. Den Namen California hatte Randy von Jimi Hendrix bekommen. In dessen Band in NY hatte er ein paar Monate mitgewirkt. Da es bei Jimmy James & The Blue Flames damals zwei Randy’s gab, hatte Hendrix die beiden nach ihrer Herkunft benannt. California versammelte mit dem Bassisten Mark Andes und dem Sänger Jay Ferguson Freunde aus früheren Tagen um sich, holte noch den Keyboarder John Locke dazu und hatte bald Songs, Auftritte und einen hervorragenden Ruf im Underground. Es ist eigentlich erstaunlich, dass diese Band eine so vergleichsweise geringe Bekanntheit zu Psychedelic-Helden wie Grateful Dead oder Jefferson Airplane hat. Spirit waren talentiert, California war ein einfallsreicher, eigenständiger Gitarrist und Ferguson, der den Löwenanteil am Songwriting hatte, wusste wohl auch genau was er tat. Das Debütalbum Spirit ist enorm abwechslungsreich, ohne dass die Band den Faden verliert. Sie haben ein starkes Standbein im Jazz, fließen von dort locker in Psychedelic-Rock, klingen auf Tracks wie dem 10-minütigen „Elijah“ wie die Westcoast-Version von King Crimson, machen bei einem Track wie „Mechanical World“ all das, was einen meisterlichen Psychedelic Song ausmacht: Ein 5-Minuten Epos mit elaborierten Gitarrensoli, mit Fergusons verhalltem, fließendem Gesang und einer Melodie, die ein Hit hätte werden können. Mancher wirft der Band auf ihrem Debüt stilistische Uneinheitlichkeit vor, aber das höre ich nicht. Sie bleiben immer erkennbar, haben aber logischerweise ein breites Spektrum – was durchaus in diese experimentierfreudige Zeit passt. Und dann ist da noch das von California geschriebene Instrumental „Taurus“, das sich alle Led Zeppelin Fanatiker anhören sollten, um zu erkennen, wo Jimmy Page für „Stairway to Heaven“ abgekupfert hat (’68 waren Led Zeppelin als Vorband mit Spirit unterwegs – und nahmen einiges mit…). Das Album Spirit war tatsächlich ein halbes Jahr in den Charts – aber im Laufe der Zeit ist ihre Musik zu einer Sache für Spezialisten geworden. Immerhin – etliche Shoegaze-Bands berufen sich auf sie.
Spirit
The Family That Plays Together
(Ode Rec., 1968)
Zunächst hatten Spirit einen Lauf: Noch Ende ’68 erschien das beziehungsreich benannte zweite Album The Family That Plays Together. Zu dieser Zeit lebten die Bandmitglieder gemeinsam in einem Haus nahe Los Angeles und der Titel bezog sich nicht nur auf das Verwandtschafts-Verhältnis zwischen California und Cassidy. Nun wurde dem jazzigen Psychedelic Rock noch World Music und Jam-Band Passagen beigefügt, mit „I Got a Line On You“ gab es einen kleinen Hit – aber der wirkliche Schatz ist wieder die Leichtigkeit, mit der California’s Gitarren-Leads in feine Songs mit psychedelischen Windungen eingebettet werden. Auch The Family That Plays Together sollte man komplett hören, da sind Tracks wie „Poor Richard“ oder „All the Same“ mit gedoppelten Gitarren, wieder gefällt mir Ferguson’s leichfüßiger Gesang, „Silky Sam“ sollte – weit mehr als „I Got a Line On You“ – als Hit in Erinnerung bleiben. Bei „Jewish“ singt Ferguson einen hebräischen Text und die Band klingt wie eine federnde Version ihrer Zeitgenossen Cream. Auch „Dream Within a Dream“ ist typische Psychedelia, die die vergangenen Dekaden mit großer Würde überstanden hat. Wie gesagt: Heute erinnert man sich, wenn man an den Summer of Love denkt, eher an die drei großen Bands der San Francisco Szene (Jefferson…, Grateful Dead, Quicksilver…) – aber Spirit waren in keiner Weise schlechter, sie hätten den gleichen Stellenwert verdient und ihre ersten beiden Alben sowie das ’70er Meisterstück The Twelve Dreams of Dr. Sardonicus sind meiner Meinung nach zeitlos geblieben.
Avalon Ballroom, Fillmore Auditorium, Winterland Ballroom – San Francisco’s Konzertpaläste
Hier will ich die wichtigsten Auftrittsorte jener Monaten rund um den Summer of Love erwähnen. Konzert-Paläste, die legendär geworden sind, die zu bespielen als Ritterschlag für Musiker angesehen wurden. Da sind:
Der Avalon Ballroom – legendär nicht nur, weil dieser Name auf etlichen Psychedelic-Konzert-Plakaten steht, sondern weil quasi jede psychedelisch angehauchte Band, die etwas auf sich hielt, auch dort auftrat. Gegründet von Robert E. Cohen und dem Impressario Chet Helms der Production Company Family Dog Entertainment. Gespielt wurde nur Donnerstag, Freitag, Samstag – normalerweise zwei Bands pro Abend, die Namen entsprechen den hier oben vorgestellten Alben: Steve Miller Band, 13th Floor Elevators, Moby Grape und Quicksilver Messenger Service vor ihren Debütalben, The Doors, Butterfield Blues Band (die live immer noch ein Erlebnis waren) und Big Brother and the Holding Company, für die Chet Helms den Kontakt zu Janis Joplin herstellte, die er wiederum bei den Elevators gesehen hatte. Berühmt sind die psychedelischen Lightshows von „Diogenes Lantern Works“ – auch gerne auf den Konzert-Plakaten angekündigt. Grateful Dead bespielten den Avalon Ballroom in der Zeit zwischen ’66 und ’69 ganze 29 mal und nahmen dort u.a. zwei Songs für ihr klassisches Live Album Live/Dead auf. Mit knapp 500 Plätzen wurde es bald eng dort und Im November ’68 wurde der Avalon Ballroom weitervermietet – und zum Kino umgebaut. Ertst 2001 endete diese Nutzung und der Neo-Hippie Steve Shirley startete ihn wieder als Konzersaal.
1965 wiederum hatte der sehr erwähneswerte Impressario Bill Graham einen Rock-Tanzpalast namens The Fillmore Auditorium im Stadtviertel Fillmore in San Francisco eröffnet. Der Mann ist ein eigenes Kapitel wert, über ihn also anderswo mehr. Hier gilt das gleiche wie beim Avalon: Die Bands könnte ich hier hin kopieren – allerdings buchte Graham auch Acts, die man nicht direkt mit Psychedelic Rock verbindet: 1966 traten im Fillmore die New Yorker The Velvet Underground auf, Jazz-Größen wie Miles Davis oder Rhasaan Roland Kirk tauchen auf den Plakaten auf, ebenso Soul-Größen wie Otis Redding und Aretha Franklin. Solche Plakate sind dann von den selben Psychedelic Poster-Artists der Haight-Ashbury Szene gestaltet und auch hier gilt, dass die Konzerte echte Ereignisse waren.
Bill Graham eröffnete im März ’68 eine Dependance in New York – das Fillmore East, das als „Church of Rock’n’Roll“ berühmt wurde und im Titel etlicher Live-Alben genannt wird. Weil das San Francisco-Auditorium bald zu klein wurde und insbesondere weil die Nachbarn sich über Lärm und Hippies beschwerten, verlegte Graham das Fillmore im Juli ’68 um ein paar Straßen und nannte es dort Fillmore West. Diese Konzerthalle blieb trotz Unterbrechungen lange Jahre in Benutzung. Dort haben sich zu Beginn der Achtziger so gut wie alle San Francisco Hardcore Bands ihre Meriten erspielt: Bad Religion, Black Flag, Bad Brains, Flipper, Dead Kennedys und natürlich etliche Gäste aus UK…
Bill Graham war (wie man auch in dem entsprechenden Kapitel lesen wird) Riesen-Fan der alternativen Musik dieser Zeit. Und so reichte ihm das Fillmore-Auditorium nicht – zumal das Interesse an „seinen“ Bands schnell wuchs und er mitunter größere Hallen brauchte. Er mietete einen langweiligen Klotz von Gebäude, der kurz nach dem großen Erdbeben von 1906 in SF als Eislauf-Halle gebaut worden war, stattete ihn mit 5400 Plätzen aus und nannte diese Location beziehungsreich „Winterland Ballroom“. Das Winterland wurde im Laufe der Jahre zu DER Anlaufstelle für die großen Acts im Großraum San Francisco. Das Eröffnungskonzert am 23.09.1966 spielten Jefferson Airplane und die Paul Butterfield Blues Band, dann kamen die üblichen Verdächtigen: Grateful Dead, Quicksilver Messenger Service, Doors, Big Brother and the Holding Company, Frank Zappa und seine Mothers of Invention, Spirit – und etliche, die nicht direkt in der Szene jener Tage verwurzelt waren: Van Morrison, Hendrix, The Who, Pink Floyd, Traffic, Cream, Led Zeppelin, The Allman Brothers Band usw. usf. Auch hiervon gibt es etliche wundervolle Plakate. Das Winterland hielt sich etliche Jahre und die Namen der dort gastierenden Künstler und Bands sind ein Querschnitt durch die Rock-Gechichte: Black Sabbath, Deep Purple, Queen, Slade, Kiss, Emerson, Lake & Palmer, Yes, Rush, Santana, Jethro Tull, die Sex Pistols bei ihrem allerletzten Konzert, Elvis Costello, Bruce Springsteen, The Band, deren The Last Waltz dort aufgenommen wurde… you name it. 1978 war Schluss und 1985 wurde das Gebäude abgerissen um einem Apartement-Komplex Platz zu machen. So gehen Amerikaner mit ihrer Kultur um.