Das Wichtigste in 1967 – Vietnam-, Sechs Tage- und Biafra-Krieg und der Summer of Love – Jimi Hendrix bis Albert Ayler

Stalins Tochter flieht aus der UdSSR in die USA, der Vietnam Krieg nimmt weiter seinen grausamen Lauf, in Nigeria bricht der „Biafra Krieg“ aus, in dessen Verlauf bis zu 200.000 Menschen umkommen. Die meisten verhungern wegen der Lebensmittelblockaden der westlichen Länder. In Israel geht’s schneller. Im sog. Sechs-Tage Krieg besetzen israelische Truppen die Golan-Höhen und der Krieg ist nach sechs Tagen (logisch) aus.

Der Revolutionsheld Che Guevara wird in Bolivien erschossen – und zum Pin Up für Generationen von Non-Konformisten und Spaß-Revolutionären. In Newark (USA) brechen Rassenunruhen aus, in deren Verlauf 27 Menschen umkommen und in Deutschland wird bei Protesten gegen den Besuch des iranischen Schahs der Student Benno Ohnesorg erschossen. Schweden wechselt vom Links- zum Rechts-Verkehr und in Deutschland gibt es erstmals Farbfernsehen. Die erste Herztransplantation gelingt und in England wird der erste Geldautomat in Betrieb genommen. Kurt Cobain, Billy Corgan, Chuck Schuldiner (Death), Noel Gallagher und Jeff Tweedy werden geboren, Otis Redding kommt bei einem Flugzeugabsturz ums Leben und John Coltrane stirbt an Krebs. Die Zeitschrift „Rolling Stone“ erscheint erstmals, das legendäre Monterey-Pop Festival wird zu einem der berühmtesten Festivals der Rockgeschichte und die im Vorjahr gemachten Versprechungen in der Rockmusik werden eingelöst: Die Beatles verkünden, sie haben Acid konsumiert und veröffentlichen Sgt. Peppers… Jimi Hendrix, die Doors, Velvet Underground, Pink Floyd liefern ihre ersten Longplayer. Es ist die hohe Zeit von Psychedelic, Acid Rock, Free Jazz – das was man gemeinhin „Experimentelle Rockmusik“ oder „Avantgarde“ nennt, Und in all diesen Sparten erscheinen 1967 großartige Alben. So ernten spätere Ikonen der Rockmusik das, was in den beiden vorherigen Jahren gesät wurde, und die Anzahl wegweisender Veröffentlichungen und Klassiker ist riesig. 1967 ist das Jahr, das mit dem sogenannten „Summer of Love“ – dem Höhepunkt der Hippie Bewegung in San Francisco – verbunden wird. Freie Konzerte, freie Drogen und freie Liebe regieren und die Welt scheint auf dem Sprung in eine neue Zeit. Aber es gibt natürlich auch schlechte Musik, auch wenn sie nicht unbedingt die Charts regiert : Engelbert Humperdinck und Tom Jones etwa interessieren mich hier nicht. Also – weg damit…

https://music.apple.com/de/playlist/der-gro%C3%9Fe-rockhaus-1967/pl.u-NpXm9LgTmdx2r8D

Jimi Hendrix Experience
Are You Experienced

(Track, 1967)

UK Cover – Chris Stamp – mochte Hendrix nicht…
US-Cover – Karl Ferris – Hendrix‘ Wahl

Der in Seattle geborene Gitarrist Jimi Hendrix war von Chas Chandler, dem Bassisten der Animals, dazu überredet worden, aus den USA nach England zu kommen und als Solist aufzutreten, was er gerne annahm, da seine Karrierre in den USA als Sideman bei den Isley Brothers nicht in Schwung kam. Auf viele Briten wirkte er mit seinem Look, seiner Herkunft als Afro-Amerikaner mit indianischen Wurzeln (seine Großmutter war Cherokee-Indianerin) und seiner Art, Gitarre zu spielen zunächst einmal wie ein Wesen von einem anderen Stern. Aber die Begeisterung über seine Fähigkeiten griff schnell um sich – und sollte auch bald wieder in die USA überspringen. Zunächst jedoch fand er in England mit Mitch Mitchell und Noel Redding zwei Musiker, die seine Art von psychedelischem Blues spielen wollten und konnten. Was Are You Experienced so besonders macht, sind nicht nur Hendrix immense technische Fähigkeiten, sein Umgang mit Effekten und die Lockerheit, mit der er Gitarre spielte – es ist insbesondere die verspielte Experimetierlust, der offensichtliche Spaß daran, an den Fundamenten des Blues und des Soul zu rütteln, die dieses Album aus der Menge an großen Psychedelic Meisterwerken herausstechen lässt. Songs wie „Red House“ und sein erster Hit „Hey Joe“ (…übrigens ein Folksong aus den 50ern von einem gewisssen William Moses „Billy“ Roberts jr…) sind zwar im Blues verwurzelt, aber sie klangen 1967 extrem futuristisch. Und „Foxy Lady“ oder „Purple Haze“ sind echte psychedelische Freak-Outs, und „The Wind Cries Mary“ ist pure Poesie. Das Debüt der Experience ist einer der Momente, in denen psychedelische Musik explodierte – künstlerisch wie kommerziell.

The Jimi Hendrix Experience
Axis: Bold As Love

(Track, 1967)

Cover – Roger Law/Karl Ferris – Art Direction
– Ed Thrasher – Hendrix mochte es nicht

…und eingezwängt zwischen diesem revolutionären Debüt und Electric Ladyland, welches allgemein als Jimi Hendrix‘ Sternstunde betrachtet wird, ist Axis: Bold as Love – das zweite Album der Experience – das Album, das etwas geringere Beachtung findet. Jeder andere Musiker jedoch wäre froh, auch nur ein einziges Album von solcher Klasse gemacht zu haben. Bei Hendrix sollte es nur der Zwischenschritt auf dem Weg zu Größerem werden – aber was für einer: Hier ist die wunderbare spacige Ballade „Little Wings“, hier gibt es „Castles Made of Sand“, „One Rainy Wish“ und den Proto-Fusion-Jazz von „If 6 Was 9“. All das zeigte die Zementierung des fantastischen Zusammenspieles zwischen Hendrix und seinen britischen Mitstreitern, und es zeigte zugleich, daß Hendrix sowohl kompositorisch als auch produktionstechnisch mit Riesenschritten in unbekanntes Territorium unterwegs war – sein Gitarrenspiel war zu dieser Zeit ja sowieso von einem anderen Stern. Was die Kollegen in England schon lange erkannt hatten: Ob Clapton, Page oder Beck. Sie alle gingen zu seinen Auftritten, wollten sehen was Hendrix machte, und ließen das dann in ihre Arbeit einfliessen. Wenn man hinhört, wird man Hendrix‘ Experimentierlust tatsächlich überall in der Musik dieser Zeit wiederfinden. Seine technische Brillianz mag von späteren Gitarristen erreicht und durchaus auch überflügelt worden sein, die Abenteuerlust dieses Musikers allerdings ist einzigartig -. Und sie ist bis heute hörbar.

Velvet Underground
Velvet Underground & Nico

(Verve, 1967)

Cover – Andy Warhol – Banane abziehbar

Ich behaupte, es gibt kein Album, dessen Einfluß auf die weitere Entwicklung der Rockmusik so groß ist, wie Velvet Underground & Nico. Die Namen der Bands, die sich auf die Musik auf dieser LP beziehen, liest sich wie ein Who’s Who der Rockmusik. Dabei war der kommerzielle Erfolg des Albums 1967 eher bescheiden. Die LP kam erst Monate nach der Produktion auf den Markt, Verve unterstützte den Verkauf nur widerwillig und die Musik war mit ihren experimentellen Ansätzen, mit ihrer dunklen Schönheit und den noisigen Passagen und Texten über Drogen („Heroin“) und Sado-Maso („Venus in Furs“) das Gegenteil dessen, was 1967 in den Zeiten des Summer of Love im Allgemeinen gehört und für gut gefunden wurde. (Wobei… Die Szene in New York mag da weniger bekifft gewesen sein…) Andy Warhol – als „Produzent“ der LP genannt und natürlich für das legendäre Cover-Design zuständig – hatte Lou Reed und John Cale gesagt, sie sollten keine Kompromisse bei der Ausführung ihrer musikalischen Ideen eingehen. Und genau danach klingt das Album bis heute. Es ist die Reibung zwischen Reed’s Pop Subversion und Cale’s avantgardistisch-klassischem Ansatz, die den Reiz der Musik ausmacht. Daß Warhol das deutsche Model Nico Päffgen als Sängerin – und als ästhetisches Element – in die Band holen ließ, mißfiel Reed. Er ließ sie nur auf drei der Songs singen . (…und „All Tomorrow’s Parties“ zu einem der schönsten Songs der Velvets machen…) Ein bisschen Schade, weil ihr teutonischer Akzent und ihre dunkle Stimme der Musik noch einen zusätzlichen, düsteren Anstrich gibt. Aber dieses größte Debütalbum der Rockgeschichte wurde auch so zur wichtigsten Koordinate für die dunklere Seite der Rockmusik. Und wer es heute noch nicht kennt, hat einen der wichtigsten Eckpunkte in der Geschichte der Musik des 20. Jahrhunderts verpaßt.

Pink Floyd
The Piper At The Gates Of Dawn

(Columbia, 1967)

Cover Shoot – Vic Singh, Design – Syd Barrett

Im United Kingdom – vor allem in den entsprechend angesagten Clubs in London – waren 1967 Pink Floyd die heißesten Anwärter auf den Thron der Hipness. Sie hatten mit ihren Singles Kleinode der britischen Psychedelik geschaffen („Arnold Layne“ und „See Emily Play“), einen Plattenvertrag bei EMI ergattert und nun mit Piper At The Gates Of Dawn die einzige ernsthafte Konkurrenz zu Sgt Peppers.. aufgenommen. Ihr Hauptsongwriter, das erratische Genie Syd Barrett, war noch ganz bei sich und gleichzeitig weit über allen anderen Songwritern seiner Zeit. Der Titel des Albums wurde Barretts‘ Lieblingskinderbuch entnommen (Der Wind in den Weiden) und so unkonventionell wie er selber sind auch die Songs auf diesem Album. Da gibt es lange, psychedelische Instrumental-Exkursionen („Interstellar Overdrive“) aber auch unheimlichen Pop („Lucifer Sam“ oder „Matilda Mother“) mit seltsamen melodischen Wendungen. Barretts humorvoll verspielte Texte wurden von der Band (noch ohne den späteren Barrett-Nachfolger und Freund David Gilmour..) mit seltsam psychotischer Musik unterlegt und machten Piper… zu einem Album, das letztlich weder von anderen Bands noch von ihnen selber jemals übertroffen werden sollte. Schon der Nachfolger Saucher of Secrets litt unter Barrett’s dann extensivem Drogen-Konsum. Dass Pink Floyd später – nach Barrett’s Ausstieg – mit vollkommen anderer, nicht vergleichbarer Musik, zum Massenphänomen wurden, ist eine andere Geschichte. Dieses Album hier ist ein weiterer wichtiger Meilenstein des Psychedelik-Rock. So wie…

The Beatles
Sgt. Peppers Lonely Heartsclub Band

(Apple, 1967)

Cover – Peter Blake & Jann Haworth

Die Beatles hatten sich 1967 schon weit mehr an die modernen Klänge des Psychedelic-Rock angepasst, als die meisten Teile der Konkurrenz. Mit Revolver hatten sie schon 1966 ein Meisterstück des psychedelischen Pop abgeliefert, und sie sprühten immer noch vor Ideen. So nahmen sie gleichzeitig mit den hippen Pink Floyd in den Abbey Road Studios das Pop/Kunst Phänomen Sgt. Peppers.. auf – und sprengten mit diesem kaleidoskopischen Album in jeder Hinsicht Grenzen. Kaum ein Album aus dieser Zeit ist so sehr im kulturelle Bewußtsein geblieben, wie dieses. Vom später von anderen Bands zitierten Coverdesign (Siehe Zappa’s We’re Only In It for the Money) über die Produktion bis zu den hier versammelten Songs, die einzeln und für sich bei weitem nicht eine solche Wirkung haben, wie im Gesamtkontext. Es gab unerhörte Multitrack Overdubs, Sing-along Melodien, einen Paul McCartney, der in Hochform war, Songs wie „Lucy in the Sky With Diamonds“ – dem man den versteckten Hinweis auf den Gebrauch von LSD nachsagen würde – oder das herzergreifende „She’s Leaving Home“ – All das macht vielleicht nicht das beste Album der Beatles aus (wobei es nicht selten als solches bezeichnet wird) aber es ist und bleibt eines der prägnantesten Symbole seiner Zeit – so gesehen wäre es ihr wichtigstes Album…?

The Beatles
Magical Mystery Tour

(Parlophone, 1967)

Cover – John Van Hamersveld

Und dann kam noch im selben Jahr der Nachschlag Magical Mystery Tour. Im UK zunächst als Begleitung zu einem TV-Special als Double 7“ mit nur sieben Songs veröffentlicht und heutzutage in der auf 11 Songs aufgestockten US-LP Version bekannt, ist es als Songkollektion vielleicht sogar ein bisschen stärker als Sgt. Peppers.. Aber natürlich hat es nicht dessen Magie (und meinetwegen auch nicht dessen kulturhistorischen Wert). Song-Highlights sind hier allerdings in noch größerer Dichte versammelt und mancher Song ist dem Material auf dem Vorgänger überlegen: Da ist die „pixie dust“ Produktion von George Martin, da ist das Titelstück oder das sanfte Instrumental „Flying“, das asiatisch angehauchte „Blue Jay Way“, das daliesk-surreale Meisterwerk „I Am the Walrus“, die berührende Bitte um Toleranz und Verständnis „Hello Goodbye“, und die unsterbliche Mini Symphonie „Strawberry Fields Forever“ – oder die Nationalhymne von Utopia „All You Need is Love“. Nicht auf der Doppel-7“, aber auch nett ist „Penny Lane“, obwohl fast schon zu süßlich und nostalgisch. Die auf der US-LP-Version ergänzten Songs haben vielleicht nicht die Stärke der oben genannten Songs, dennoch: Magical Mysterie Tour ist the Beatles at their best.

The Kinks
Something Else By The Kinks

(Pye, 1967)

Cover-Design – Pye Records Studios

Weit mehr noch als die Beatles waren die Kinks dem rockenden Beat verschrieben, und in dieser Zeit der psychedelischen Revolution liefen sie natürlich Gefahr, unmodern zu werden. Also machte Ray Davies inzwischen auch Zugeständnisse an die Hippie-Ästhetik – allerdings nur in Maßen. Schon das Vorgängeralbum Face to Face hatte ja schon milde Anklänge an den Sound der Zeit gehabt – und ein Cover, das entsprechend bunt war. Something Else führt das weiter, aber zugleich blieb die Band dem 3-Minuten Song verpflichtet. Was der Platte ihren Status als einer der Höhepunkte in der Discografie der Kinks verleiht ,sind wieder einmal nicht die psychedelischen Elemente sondern die exzellenten und zeitlosen Songs. Davies Mikrokosmos ist bevölkert von Frauen mit Lockenwicklern („Two Sisters“), englischen Oberschicht-Angebern („David Watts“) Verlierern und Melancholikern, der „Afternoon Tea“ ist selbstverständlich, das englische Wetter wird mild psychedelisch abgehandelt („Lazy Old Sun“) und mit „Waterloo Sunset“ ist ein Song für die Ewigkeit dabei, der wunderbar Einsamkeit und Idylle in der englischen Großstadt beschreibt. Und Bruder Dave hat mit „Death of a Clown einen seiner besten Momente. Kurz: Das ganze Album hat – mehr sogar noch als sein exzellenter Vorgänger – eine solche Dichte an guten Songs, dass es eben auch als komplette Album bestehen kann. Es hat – kurz gesagt – schon alle Eigenschaften, die den Nachfolger – The Village Green Perservation Society nur noch etwas mehr auszeichnen wird – und der die Band seltsamerweise seinerzeit etwas ins Abseits beförderte. Kinks-Fans wollten wohl keine psychedelischen Mätzchen, Pink Floyd-Fans keine Kinks…

The Who
The Who Sell Out

(Decca, 1967)

Cover Design – David King/Roger Law

The Who verbinde ich immer mit bestimmten epochalen Songs bzw. mit der Rock Oper Tommy. Dann sind da noch die Alben Quadrophenia oder Who’s Next – alles Sachen, die nach diesem Album und nach ’67 passieren. Ihre ersten Alben sind zwar voller Hits und wunderbarer weniger bekannter Songs, aber eben auch etwas uneinheitlich, noch von schwachen Momenten durchsetzt. Pete Townshend dachte 1967 allerdings schon in größeren Dimensionen: Das dritte Album seiner Band, The Who Sell Out sollte ein Konzeptalbum werden. Gedacht war es als Tribut an die damals extrem populären Pirate Radio Stations, die vor Englands Küste sendeten und insbesondere ein junges Publikum mit angesagter Musik versorgten. So gibt es zwischen den Stücken gefakete Jingles und die Songreihenfolge ist zunächst wie eine Radiosendung aufgebaut. Irgendwann auf der zweiten Seite der LP jedoch verliert man den Faden – aber das ist dann auch gleichgültig, die Dichte an großen Songs ist nämlich auch auf diesem Album erstaunlich groß. Es gibt den Hit „I Can See for Miles“, der sich in die Reihe der Who-Klassiker einfügt, es gibt – der Zeit entsprechend – Andeutungen von Psychedelia bei „Armenia City in the Sky“ oder „Relax“ – was aber am wichtigsten ist: Die Band spielt ungemein kraftvoll, hat angesichts der Blumenkinder Nichts an Härte verloren, auch wenn Townshend bei „Tattoo“ und dem gar akustischen „Sunrise“ introspektiver ist als gewohnt. The Who Sell Out zeigt eine Band, die eindeutig an Selbstvertrauen gewonnen hat, die das Beste aus den Mod-Tagen mitgenommen hat in eine vielversprechende Zukunft. Es ist tatsächlich ihr erstes echtes Meisterwerk.

Cream
Disreali Gears

(Reaction, 1967)

Art Direction – Martin Sharp, der bei „Tales of
Brave Ulysses“ Co-Autor ist

Dass Cream die erste „Supergroup“ im Rockzirkus waren – geschenkt. Dass sie als Power-Trio der Jimi Hendrix Experience Konkurrenz machen sollten, dass ihre drei Mitglieder zusammengeworfen wurden, um kommerziell und auch künstlerisch entsprechend abzuräumen, ist auch kein Geheimnis. Dass das zeitweise sogar wunderbar funktionierte, ist da schon eher verwunderlich. Die drei Cream-Mitglieder, Jack Bruce, Eric Clapton und der durchgeknallte Arsch Ginger Baker kann man mit Fug und Recht als explosive Mischung bezeichnen. Aber 1967 hatten sie noch keinen Grund, an ihrer Zusammenarbeit zu (ver)zweifeln. Sie hatten ihr Debüt halbwegs erfolgreich abgeliefert, gerade neun Konzerte in New York gegeben und gingen im Anschluss in die Atlantic-Studios, um mit Felix Pappalardi den Nachfolger von Fresh Cream aufzunehmen. Und sie nutzten ihre Talente und die inzwischen gesammelten Erfahrungen für einen noch weiteren Schritt aus der Blues-Ecke in modernere Psychedelic-Gefilde. Vorab war mit „Strange Brew“ schon eine Single veröffentlicht worden, die mit einem virtuosen Solo Claptons und seinen Vocals sowie mit einem schön verrückten Text den Geist der Zeit traf: „Strange brew – killing what’s inside of you. She’s a witch of trouble in electric blue. In her own mad mind she’s in love with you…“ Damit ist ja Alles gesagt. Die Musik auf Disraeli Gears passt in ihre Zeit. Die drei Musiker lösten die Blues-Schemata noch weiter auf, als auf Fresh Cream, schrieben Songs mit komplexen rhythmischen Verschiebungen und gewagten Harmoniewechseln und – nicht das geringste Verdienst – blieben dabei angenehm konsumierbar. “Sunshine of Your Love„ und „Tales of Brave Ulysses“ sind psychedelisch, gewagt und zugleich memorabel. Die ausufernden Improvisationen der Konzerte wurden zugunsten der Songs zurückgehalten, das Album hat – nicht nur durch die Texte, die Jack Bruce zum Teil mit dem Dichter und Sänger Pete Brown schrieb – eine ganz spezielle Exzentrik, eine „Britishness“ die es zusammen mit der Virtuosität seiner Erzeuger zum nächsten Referenzwerk der psychedelischen Rockmusik macht. Und es ist ganz nebenbei so laut, dass es neben – oder genauer vor – den Alben von Black Sabbath als eines der ersten „heavy“ Metal Alben stehen könnte. Disraeli Gears mag in seiner Zeit gefangen sein und heute unmodern klingen, aber es ist musikalisch so reich, dass es zweifellos zu Recht in diesem Kanon der Klassiker steht.

John Mayall and the Bluesbreakers
A Hard Road

(Decca, 1967)

Eric Clapton war also auf dem Weg, Gott zu werden – und hatte John Mayall nach nur einem Album Richtung Cream (siehe hier vor) verlassen. Aber der fand – auf Vermittlung von Produzent und Blues-Liebhaber Mike Vernon – als Ersatz einen weiteren Meister der Blues-Gitarre: Peter Green, der im Anschluss an dieses Album wiederum mit dem hier ebenfalls mitspielenden John McVie die Blues-Rock-Institution Fleetwood Mac gründen sollte. Dass Mayall mit Aynsley Dunbar einen Drummer an Bord hatte, der auch bald eine tolle, aber weit weniger erfolgreiche Band (…die Aynsley Dunbar Retaliation) betreiben würde, will ich gerne noch erwähnen. Na ja – und Johnny Almond war einer der besten Saxophonisten Englands: Also waren auch für A Hard Road genug Talente versammelt, und John Mayall’s Band wurde zur Wiege einer ganzen Generation von fast puristischen britischen Blues Bands – die bald einen eigenen musikalischen Trend abbilden würden. Somit stelle ich mir die Frage, warum A Hard Road nicht ganz so bekannt und erfolgreich ist, wie der Vorgänger Bluesbreakers with Eric Clapton. Vielleicht sind hier tatsächlich ZU Viele unterschiedliche Talente am Start, auch wenn Peter Green den Anderen meistens die Show hätte stehlen können – er war zum Einen auch da schon zurückhaltend genug, anderen Musikern das Rampenlicht zu überlassen. Zum Anderen ließ deren Talent nicht zu, reine „Sidemen“ zu sein. Herausragend ist auf diesem Album ganz passend das Instrumental „The Supernatural“ – das sich der junge Carlos Santana sicher genau angehört hat, genauso wie der Titelsong mit schöner Blues Harp von John Mayall oder der Klassiker „Dust My Broom“. A Hard Road ist britischer Blues par excellence – von dem es im Gefolge der beiden Mayall-Alben von ’66 und ’67 eine wachsende Anzahl geben würde – dies ist der Startschuss in den „British Blues“ Boom… (Lies dazu die entsprechenden Kapitel auf dieser Website).

Traffic
Mr. Fantasy

(Island, 1967)

Cover – CCS Advertising Co. – machen bald Cover
für Free, King Crimson, auch etliche Reggae
Alben-Cover für Island

Die Story der Band Traffic ist geprägt vom beständigen Hin und Her von Mitspielern, von Streitereien und Versöhnungen. Im Zentrum stand der immer noch blutjunge (19 Jahre alte… ) Keyboarder und Sänger Steve Winwood, der zuvor mit der Spencer Davis Group für Hits, Soul und Furore gesorgt hatte. Er galt als juveniles Genie, und als er Spencer Davis verließ, erwartete man Einiges von seiner neuen Band. Tatsächlich hatte Winwood mit Jim Capaldi einen guten Drummer und noch besseren Texter dabei, Chris Wood gab dem Sound mit Flöte und Saxophon eine besondere Note und Dave Mason war nicht nur ein prima Gitarrist und Sänger, er war auch noch ein weiterer toller Songwriter. Aber – leider verließ er die Band noch während der Aufnahmen zu Mr. Fantasy (um sich bei den Aufnahmen des zweiten Albums wieder anzuschließen). Als das Album ein paar Wochen später in den USA veröffentlicht wurde, geschah das mit einem Cover, auf dem nur die drei verbliebenen Mitglieder zu sehen waren und mit den Hitsingles, die man auf der britischen Version weggelassen hatte an Stelle der Songs von Mason. Heute ist das egal – meist bekommt man auf den aufgestockten Versionen alle Songs serviert und die sind allesamt erfreulich unterhaltsam. Traffic hatten eine Mischung aus angesagtem Psychedelic Pop – sicher beeinflusst von dem, was die Beatles machten – Blues und orientalischen Klängen entwickelt. Letzteres unter anderem, weil Dave Mason gerne und gut Sitar spielte. Es ist eben nicht allein Winwood’s Stimme, die alles zusammenhält. Auch das Songwriting beider – Mason’s wie Winwood’s – ist aller Ehren wert. Songs wie „Heaven is in Your Mind“ und „Dear Mr. Fantasy“ (Winwood und Capaldi) sind genauso feine britische Psychedelia wie Mason’s „House for Everyone“ oder „Hole in My Shoe“. Und das sind nur vier Songs von etlichen (… wie gesagt, das variiert auf den jeweiligen Versionen). Produzent Jimmy Miller sollte einen ähnlich warmen Sound bei der famosen Band Family anwenden, und er produzierte bald auch die Stones. Traffic machten trotz aller Unruhen noch einige sehr gute Alben und Steve Winwood mag in den 90ern mittelmäßigen Schlock gemacht haben – ’67 jedenfalls war er einer der besten Sänger der Pop-Welt.

Leonard Cohen
Songs Of Leonard Cohen

(CBS, 1967)

Cover-Shoot: Ein gewisser „Machine“
Rückseite des Covers: Ein Bild der mexikanischen Heiligen „Anima Sola“ – das ist die Einsame Seele im Fegefeuer

Schlicht und minimalistisch wie eine in braunes Papier gebundene Balzac Buchausgabe ist Leonard Cohens‘ erstes Album ein solches Wunder an Auslassungen und Leerstellen, dass es bis heute nichts an Faszination verloren hat. Mit emotionsloser Stimme, fast ohne Ausdruck gesungen, katatonisches Gitarrenzupfen, hier und da schwillt ein Orchester, eine elektrische Gitarre oder eine Mandoline (Backing Band: die San Francisco Acid Pioniere Kaleidoscope!) als gemusterte Tapete im Hintergrund – das sind die Elemente, die diese Musik bilden. Und genau das ist auch die Art Buch, in das solche Worte geschrieben werden müssen. Der Kandier Leonard Cohen war schon über 30 und erfolgreicher Schriftsteller, als er von John Hammond zu Columbia geholt wurde, um sein erstes Album aufzunehmen. Die Musik, die herauskam, ist eher europäisch, viele der Songs sollten sich zu Klassikern entwickeln, obwohl – oder gerade weil – sie so hermetisch klingen. Insbesondere „Suzanne“, aber auch „Sisters of Mercy“ – nach dem sich die Gothic-Band der 80er Jahre benennen sollte – oder „So Long Marianne“ wurden zu Klassikern – bzw waren es schon, weil etwa Judy Collins ihre Klasse erkannt hatte, und sie schon zuvor aufgenommen und populär gemacht hatte. Die Songs bieten gerade wegen ihrer Kargheit eine hervorragende Oberfläche für Interpretation und Kontemplation, sind wie die glatte Oberfläche eines Sees, der unergründlich tief ist. Wobei Cohen um die Reduktion kämpfen musste – Produzent John Simon hatte weit mehr Barock geplant. In den USA hatte das Album zunächst wenig Erfolg, im UK erreichte es die Top Ten. Der Stil, den Cohen hier entwickelte wurde mit der Zeit noch ausgefeilter, und Songs Of… ist eines der wichtigsten Alben für der Entwicklung des aufblühenden Singer/Songwriter-Genres. Ein Klassiker, der in Sound und lyrischer Qualität einzigartig ist.

James Carr
You‘ve Got My Mind Messed Up

(Goldwax, 1967)

Aber ’67 gab es natürlich nicht nur dunkle oder helle Psychedelik: Diese Zeit ist auch die hohe Zeit des (Southern) Soul: Ich hatte die Wahl zwischen Aretha’s ’67er Meisterwerk I Never Loved a Man The Way I Love You, The Wicked Pickett von Demselben – und diesem dunklen Diamanten hier. James Carr ist IMO der „purste“ aller Soul-Sänger dieser Zeit. Und ich bin mir der Tatsache bewusst, dass ich ihn damit über Otis Redding oder Sam Cooke stelle. Man hat selten so intensiven Gesang, eine so „ehrliche“ Art des Vortrages gehört, wie bei diesem Mann. Carr war – wie so viele Sänger/innen seiner Generation – als Sohn eines Baptisten-Predigers im Kirchen-Chor geschult worden, hatte Gospel gesungen, war bei diversen Vocal Groups dabei gewesen und hatte ’64 bei Stax vorgesungen. Die lehnten ihn ab und er ging zum kleinen Goldwax-Label in Memphis, wo er mit der Single „You’ve Got My Mind Messed Up“ einen ersten kleinen Hit landete. Zwar bekam er mit Steve Cropper, Reggie Young und einer ganzen Riege von Memphis-Session Pro’s hervorragende Musiker an die Seite gestellt, aber das kleine Label war den kommerziellen Erfordernissen der neuen Zeit nicht gewachsen. Das Haupt-Problem für James Carr aber waren seine schweren manischen Depressionen. An manchen Tagen war er nicht in der Lage, einen einzigen Ton zu singen, auf der Bühne hatte er größte Schwierigkeiten, die er nur mit Alkohol, Medikamenten oder Drogen (oft genug dasselbe) in den Griff bekam. WENN er aber fit war, waren seine Sanges-Künste beeindruckend. Auf You’ve Got My Mind Messed Up findet sich sein Signature Tune – und damit eine der schönsten Soul-Balladen aller Zeiten. Das von den weissen (!) Stax, Hi Rec etc.. Session-Musikern Dan Penn und Chips Moman geschriebene „At the Dark End of the Street“ gibt es in hunderten von Versionen – aber diese hier ist die intensivste. Carr war aus nachvollziehbaren Gründen einfach am besten, wenn es um heartbreak und forbidden love ging. Der Song beginnt im Schneckentempo und steigert sich in bodenloses Unglück, in dem keine Erlösung zu finden ist. Aber natürlich reicht ein Song nicht für ein Album an dieser Stelle. Man muss auch „Pouring Water on a Drowning Man“ hören, einen Trennungs-Song, gesungen von enem anscheinend Besessenen. Oder den Titeltrack, der ncht umsonst zum ersten Hit geworden war – oder das schöne und bezeichnend betitelte „These Ain’t Raindrops“. Carr schafft es sogar das eigentlich muntere „Lovable Girl“ irgendwie bedrohlich und düster klingen zu lassen, . Und dennoch – You’ve Got My Mind Messed Up ist bei aller Dunkelheit von tief-blauer Schönheit. Einer Schönheit, die ich nur im Deep Soul finde. Carr schaffte im Folgejahr ein weiteres wunderbares Album (A Man Needs a Woman), wurde aber immer kränker und verschwand aus dem Bewusstsein der Soul-Gemeinde.

Albert Ayler
Albert Ayler in Greenwich Village

(Impulse!, 1967)

Cover Design – Robert & Barbara Flynn/Viceroy
Haus-Designer von Impulse!

1967 ist also DAS Jahr der psychedelischen Musik, wie man auf diesen Seiten unschwer bemerkt. Das scheint offensichtlich, wenn man sich das Cover dieses Free-Jazz Albums von Albert Ayler anschaut. Der war auf Empfehlung von John Coltrane zum Impulse! Label geholt worden – unter der Prämisse, dass ein erstes Album eine Live-LP werden sollte. Die folgten der Ennpfehlung und gaben Albert Ayler in Greenwich Village sogar ein Aussehen, das vermutlich auch Jazz-fernen Psychedelik-Freunden gefallen hat. Fakt am Rande: Die Jazzer sind zu dieser Zeit allesamt im Schnitt zehn Jahre älter als ihre Kollegen im Pop-Business – John Coltrane ist 41 (und stirbt noch bevor dieses Album veröffentlicht wird) und auch Albert Ayler ist schon 31 Jahre alt – Ich unterstelle, dass modische Trends im etablierten Jazz eine eher geringe Rolle spielen. Die Fusion aus Jazz und Rock liegt noch ein paar Jährchen in der Zukunft und der „freie“ Jazz scheint auf dem Weg in einen hermetischen Kosmos. Und auch dieses Free-Jazz Live Album ist harter Stoff. Wobei Albert Ayler weder mit ausgefeilten Theorien glänzte, noch ein brillianter Techniker war wie Sonny Rollins oder John Coltrane (dem das erste Stück widmet). Er machte auf ein paar tollen Alben das, was (für mich) guten Jazz – ob „free“ oder nicht – ausmacht. Er spielt voller Begeisterung: Und dieses Album sprüht vor Intensität und Kraft, seine Improvisationen und die seiner Mitstreiter sind einfallsreich, man HÖRT aufeinander. Denau das ist hier ganz deutlich: Ayler hatte Saxophon in der Kirche und mit Begräbnis- und Marsch-Kapellen gelernt, ließ sich von Kinderliedern und vom R&B beeinflussen und war genau deshalb bei Jazz-Snobs unbeliebt. Aber für mich ist ein Track wie „Change Has Come“, der mit einem deutlich erkennbaren Soul-Motiv beginnt, um dann in Kakophonie auszuufern, von seltsamer Schönheit. Auf der ersten LP-Seite hat er einen Cellisten dabei, auf Seite 2 einen Geiger, was dazu führt, dass mich manche Passagen an King Crimson erinnern. Das Highlight von …in Greenwich Village aber ist das 12-minütige „Truth Is Marching In“: Da ist sein persönlicher Stil am deutlichsten erkennbar und das Spiel der Band sitzt wie ein Maß-Anzug. Bruder Donald Ayler spielt die traurige Trompete, Henry Grimes und Bill Folwell lassen ihre Bässe pumpen, Beaver Harris gießt Kaskaden aus Drums und Becken darüber, Michael Sampson’s Geige fiedelt traurig und Ayler rastet am Saxophon aus. Mag sein, dass er überbläst und technisch unsauber spielt, aber wie er hier ein Spiritual in strukturiertes Chaos auslaufen lässt, ist eine Freude. Ein Jammer wiederum ist, dass Ayler sich drei Jahre später umbrachte, dass die Anerkennung aus Kritiker-Kreisen erst in den 80ern kam – und dass seine Alben schwer zu finden sind: Ich empfehle als Ergänzung sein ’66er Studio-Meisterwerk Spiritual Unity und das ’68er Album Love Cry. Da findet man Free Jazz ohne verkopfte Steifheit. Das ist pure Expression.

Ein wichtiges, allgemeingültiges PS zu „Hauptartikeln“…

Es ist klar, dass es – gerade 1967 – etliche Alben gibt, die hier ebenso exponiert werden könnten, die echte Klassiker der populären Musik sind – Bob Dylan’s John Wesley Harding scheint mir aber auch ein hervorragender Kandidat, um das Singer/Songwriter Genre einzuleiten – Forever Changes von Love, Moby Grape oder die beiden ’67er Jefferson Airplane Alben so wie die ersten beiden Alben der Doors sind typische Beispiele für die Musik des Summer of Love – und werden im entsprechenden Kapitel beschrieben. Aretha Franklin’s I Never Loved a Man the Way I Love You ist eines der größten Soul-Alben aller Zeiten – und es passt genauso in den Artikel zum des Soul dieses Jahres, wie es zu den im Hauptartikel beschriebenen Alben gehören könnte – ich entschied mich dafür, es hier nicht neben James Carr’s Klassiker einzufügen, sondern besagtem Artikel über Soul ’67 voranzustellen. Und was ist mit Captain Beefheart, den Byrds, den Beau Brummels? Nun – wenn ich solche Klassiker hier nicht erwähne, finde ich sie nicht unbedeutender oder gar schlechter – ich habe nur ganz einfach keinen Platz, da ich mich im „Hauptartikel ’67“ auf zwölf Künstler und ihre in diesen zwölf Monaten veröffentlichten Alben beschränke.

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