Das Wichtigste aus 1965 – Die Eroberung des Weltalls und die ersten Vietnam-Proteste – John Coltrane bis Willie Nelson

In Algerien kommt es zu einem Staatsstreich, nach dem das Land im Chaos versinkt, dito im Kongo und in Indonesien. Hier werden bei einem Genozid an der chinesischen Minderheit bis zu 500.000 Menschen umgebracht. Als erster Mensch ist ein russischer Kosmonaut auf Ausseneninsatz im Weltall, die Statuten des Roten Kreuzes werden festgelegt.

Am 9. November legt ein Stromausfall den gesamten Nordwesten der USA und Teile Kanadas lahm. Neun Monate später kommt es zu einem Baby-Boom. Gleichzeitig verstärken die USA ihren Einsatz in Vietnam, und viele junge Amerikaner sterben dort. Die US Army verwendet erstmals Napalm-Bomben. In den USA kommt es währenddessen zu den ersten Studenten-Protesten gegen den Vietnamkrieg. Zugleich wird hier das Wahlrecht für Schwarze im sog. Voting Rights Act festgelegt. Doktor Schiwago kommt ins Kino,Winston Churchill und Nat King Cole sterben, der schwarze Bürgerrechtler Malcolm X wird ermordet, Beth Gibbons (Portishead), Trent Reznor, C.J.Ramone, Björk und J.Mascis (Dinosaur Jr.) werden geboren. 1965 ist musikalisch eines der interessantesten Jahre in der Rock-Geschichte. Die Stones veröffentlichen „Satisfaction“, Bob Dylan „Like a Rolling Stone“ und die Beatles veröffentlichen Help!, gehen dann mit Rubber Soul Richtung Bewusstseinserweiterung. Und viele Bands folgen nun dem Trend Richtung Psychedelic. Und das ist noch lange nicht Alles: In den USA grassiert die British Invasion, die Beach Boys machen zwar noch nicht Pet Sounds, aber die beiden Alben davor sind nur geringfügig schwächer (- ein Faktum, dass der Geschmacks-Diktatoren-Gemeinde mal klar werden sollte…), Die Byrds, Otis Redding, Bert Jansch, das sind alles enorm kreative Künstler, die so produktiv sind, dass sie gleich zwei Alben in diesem Jahr veröffentlichen. Folk, Girl-Group. Country, Soul und Jazz… John Coltrane veröffentlicht A Love Supreme – neben Kind of Blue DAS Jazz-Album des Jahrhunderts. 1965 ist ein für die Entwicklung der Rockmusik in den Sechzigern enorm wichtiges Jahre – ich denke, man muss es sogar als das für die weitere Entwicklung der Rockmusik wichtigste Jahr in den Sechzigern ansehen. Ich sag’s mal so: Dies ist das „1976“ der Sechziger. Aber natürlich gibt es auch weniger interessante, dafür aber kommerziell sehr erfolgreiche Acts wie Peter, Paul & Mary oder Barbara Streisand, die mir etwas zu belanglos sind, und deshalb hier nicht vorkommen.

John Coltrane
A Love Supreme

(Impulse, 1965)

Cover Design: George Gray/Viceroy Design Company

Ich finde es wichtig, auf Folgendes hinzuweisen: John Coltrane nahm A Love Supreme, den Über-Klassiker des (avantgardistischen) Jazz im Dezember 1964 an einem einzigen Tag unter der Ägide des Produzenten-Tausendsassa’s Rudy Van Gelder auf – mit seinem klassischen Quartett, bestehend aus McCoy Tyner (p), Elvin Jones (dr) und Jimmy Garrison (b). Jazz-Puristen mögen ja geteilter Meinung sein, ob John Coltranes berühmtestes Werk “transzendentales Geschwurbel” oder “göttliche Fügung” war. ICH höre Musik als Gebet, als Ode an die Ewigkeit: So oder ähnlich zumindest äußerten sich auch nicht unbedingt esoterisch vorbelastete Fans über A Love Supreme. Drummer Elvin Jones haute in dieselbe Kerbe: “It’s like religion, a spiritual experience. This music is unique, it’s not even jazz !”. Was immerhin erklären mag, warum dieses Werk eine so immense Strahlkraft entwickelte. Dass es selbst solche Menschen berührt hat, für die Jazz eigentlich ein Buch mit sieben Siegeln ist. Eine Platte also, die weit über die in kommenden Jahren doch oft so hermetisch wirkende Jazz-Szene ihre Wirkung hatte und somit zumindest eine der berühmtesten Platten des Jazz werden sollte – die Berühmteste sei meinetwegen Miles‘ Kind of Blue. Hier noch die nackten Tatsachen: Die vierteilige Suite beruht auf einem einzelnen, simplen Riff, über die ein wahrhaft beseelter Coltrane seine „Sheets of Sound“ legt während die Mitstreiter sich in Trance spielen . Und so wurde hinter der schieren Schönheit die Technik belanglos. Fast unnötig zu erwähnen, dass dieses Album für die Black Community eine ähnliche Bedeutung hatte, wie Martin Luther King’s Marsch nach Washington.

John Coltrane
The John Coltrane Quartet Plays

(Impulse, 1965)

Covershoot: Lee E. Tanner

Dass A Love Supreme auch für Coltrane selber ein Einschnitt war, ist wiederum am Nachfolger deutlich zu erkennen. Der Sound auf dem zwischen Februar und Mai ’65 aufgenommenen The John Coltrane Quartet Plays (und auf den sechs Jahre später veröffentlichten Folge-Aufnahmen vom August 65 auf dem Album Sun Ship – siehe ebenda…) verändert sich merklich – zwar sind die Vorlagen hierbei Standards aus der Disney-Schmiede („Chim Chim Cherie“) und vor Allem „Nature Boy“ vom König der Seltsamkeit Eden Ahbez – aber auf diesen Tracks experimentiert Trane heftig, nutzt die Erkenntnisse aus der sehr befriedigenden und progressiven A Love Supreme-Session. Und auf den beiden eigenen Kompositionen am Ende des Albums („Brazilia“ und „Song of Praise“) lässt er dann die ausgetretenen Pfade des Jazz noch weiter hinter sich. So ergänzt er das Quartett bei „Nature Boy“ um den klassisch ausgebildeten zweiten Bassisten Art Davis, der den Bass mit dem Bogen streicht, während Coltrane die Melodie mit dem Tenor-Saxophon spielt, und bei „Brazilia“ gibt es Voodoo-Trommeln und ein Feuerwerk an Saxophon-Spieltechniken. Es ist das erste Album des Coltrane der Avantgarde-Phase, es ist das letzte mit dem legendären Quartett, es ist anders als A Love Supreme, weil es weiter führt als jener wunderbare Abschluss seiner Forschungs-Phase. Es ist schwierig, aber auch schön.

Bob Dylan
Bringing It All Back Home

(CBS, 1965)

Covershoot: Daniel Kramer – Name of cat on Dylan’s chest: Rolling Stone

Die Jahre ’65 und ’66 sind – wie in der Einleitung gesagt – die wichtigsten Jahre dieser Dekade. Und so ist es bezeichnend, dass sie auch die wichtigsten in der Karriere des Bob Dylan sind. Er schuf in 18 Monaten gleich drei Meisterwerke der populären Musik und veränderte deren Gesicht für immer… Die legendäre Elektrifizierung seiner Musik bei den Konzerten u.a. in Newport hatte er hinter sich gebracht und in den paar Monaten danach hatte er Songs geschrieben, die den Faktor „elektrifizierte Pop- und Rockmusik“ mit-dachten. Also etablierte Dylan auf Bringing It All Back Home seinen neuen Stil mit dem rasenden „Subterranean Homesick Blues“, einer surrealistischen Erzählung mit bizarren Wortgebirgen. „Love Belongs to Me“, „Maggies Farm“ und „Love Minus Zero/No Limit“ wurden rasant und energetisch heruntergespielt, und „Bob Dylans 115th Dream“ verließ dann nicht nur das Folk-Terrain, es sprengte sogar die Grenzen dessen, was bis dahin als Pop-Song bekannt war. Eine Nonsense Imagination, die Captain Ahab und die „Mayflower“ mit Gott und der Welt zusammendenkt. Nicht dass Dylan’s Revolte ein kompletter Sprung gewesen wäre: Manche Songs sind in der Instrumentierung noch traditionell angelegt, doch gehen sie weit über die Sozialdramen von The Time They Are A-Changing hinaus: Dass die Byrds „Mr. Tambourine Man“ zum Pop-Hit machen würden, weist darauf hin, dass in diesem Song mehr als nur Folk steckt. Ab hier wuchs Dylan als Songwriter endgültig aus den Folk-Stiefeln heraus – und beeinflusste nun auch Musiker, die sich selber wohl kaum seiner Traditionslinie verpflichtet sahen. Dylan selber blieb allerdings Suchender: Nur „It‘s Allright Ma (I‘m Only Bleeding)“, ist eines der frühen Stücke, die Dylan auch später noch gelten ließ. Wo genau die Quelle lag, aus der er in dieser Zeit schöpfte, ist bis heute rätselhaft. Jedenfalls bekam er daher so viel Material, dass er mühelos komplette Alben zu füllen in der Lage war . Mit dem grandiosen Abgesang „It‘s All Over Now, Baby Blue“ endet das Album. Den Song spielte Dylan in einem Hotelzimmer dem jungen britischen Folkie Donovan vor, der demnächst als „neuer Dylan“ gehandelt werden würde. Zu seiner Ehrenrettung sei gesagt: Der war sich wohl bewusst, dass er da nicht mithalten konnte…

Bob Dylan
Highway 61 Revisited

(CBS, 1965)

Cover-Foto – Daniel Kramer. Dylan vor dem Haus seines Managers. Im hintergrung die Beine von Bob Neuwirth

Und so kam gerade mal sechs Monate später Highway 61 Revisited , die zweite Platte in Dylans meisterlichem Triptychon – was für Zeiten – und sie beginnt mit dem besten Song aller Zeiten: Mit „Like A Rolling Stone“, einem Song, der lyrisch so sprichwörtlich wurde, dass mancher meint, die Stones hätten sich nach ihm benannt, und sie endet mit dem genauso großartigen, aber nicht zur Ikone gewordenen „Desolation Row“(…ist für eine Ikone wohl zu lang und zu finster…). Dieses Album ist die nahtlose Weiterentwicklung von Dylan’s Ideen – und als solche nun definitiv kein „Folk“ mehr. Dylan verhandelt Blues – und Rock – völlig neu, seine Ideenreichtum ist auf dem Höhepunkt, die Band im Hintergrund scheint sich der revolutionären Kraft dieser Songs bewusst, vor Allem Gitarrist Mike Bloomfield hat hier eine seiner Sternstunden, Al Kooper’s Orgel heult kraftvoll, Dylans Harmonika scheint der letzte Aufschrei aus einer alten Zeit, die Band rattert dazu im Tempo des Garage-Rock, und dazu nölt Dylan mit aufreizender Arroganz. Manches Stück wurde sprichwörtlich: „It Takes a Lot to Laugh, it Takes a Train to Cry“ etwa, die „Ballad Of A Thin Man“ mit dem ominösen „There‘s somethin‘ happening here but I don‘t know what it is“. Dass Dylan nicht nur als Songschreiber, sondern auch als Texter ganz neue Wege beschritt, mögen ihm ein paar Traditionalisten krumm genommen haben, aber selbst die dürften insgeheim im Rahmen der gesellschaftlichen Entwicklungen seinem Sinn für’s Absurde Respekt gezollt haben. Die Zeiten änderten sich, aufkommende Psychedelia, Vietnam und die Wut und Verzweiflung angesichts der politischen Ignoranz einer Generation, die diesen Krieg gegen ihre eigenen Kinder forcierte, die daraus folgenden Studenten-Proteste, die Forderungen nach Gleichberechtigung von Frauen wie von Schwarzen… mit seiner absurden Poesie traf Dylan irgendwie ins Schwarze. Highway 61 Revisited läutet nun endgültig den aggressiven, libertinären und wahnwitzigen Teil der Sechziger ein. Welches der drei Alben der beste Teil der Trilogie ist? Darüber dürfen sich die Dylanologen bis ins 22. Jhdt. streiten. Ich halte es so: Alle drei Platten sind essenziell, inklusive natürlich des weitere sechs Monate später (und somit im Hauptartikel 1966 dabei…) folgenden Doppelalbums Blonde on Blonde. Man kann sie ja einfach alle hören. Und weil diese Musik so gut ist – und weil Dylan das selber weiss – empfehle ich schon hier die Bootleg Series No 12 – The Best of the Cutting Edge die im Jahr 2015 diese Phase in 36 alternativen Song-Versionen feiert.

Was ist ’65 eigentlich so anders ?

Bis 1964 war das „Album“ bei den großen Playern der ersten Liga (Beatles, Stones, Byrds, Beach Boys, Dylan) letztlich nicht mehr als die Erweiterung der Singles. Es bestand aus ein paar wohlgesetzte Songs, Hits in ihrem Umkreis – stilistisch genauso wie national – und dazu gab es ein paar zusätzliche Songs, die die Spielzeit von 25-40 Minuten (…manchmal sogar weniger) füllen sollten. Es mag schon vor ’65 Beispiele geben (Sinatra’s Konzept-Alben, Kind of Blue…), aber letztlich war es insbesondere Bob Dylan, der dieses Prinzip über den Haufen warf und vor allem für den „Pop-Markt“ das „Album“ zum wichtigen Medium machte. Mit den beiden hier oben vorgestellten Alben, die thematisch vielleicht nicht geschlossen sind, bei denen aber weder der „Hit“ heraussticht, noch das Qualitätsgefälle zwischen den Songs allzu groß wird, egal ob sie populär wurden oder nicht – mit der Tatsache, dass Dylan sich offenbar in der Lage sah, ein ganzes Album mit gleichwertigen Songs zu füllen, mag er auch bei den anderen großen Bands dieser Zeit den Ehrgeiz geweckt bzw. noch einmal befeuert haben, das LP-Format mit mehr als den Singles + Ausschuss zu füllen. So ist es deutlich erkennbar, dass bei Beatles, Byrds, Beach Boys und Stones die Alben bis 64-65 zwar Spaß bereiten, aber nicht konzise sind; dass aber ab diesem Jahr – natürlich immer mit leichten Verschiebungen – die Zeit der großen „Alben“ beginnt. Und es kommen noch andere Faktoren hinzu: Songs werden – den aktuellen Trends folgend – psychedelisch, und somit länger, die Studiotechnik wird ausgefeilter, und die Plattenfirmen erkennen, dass auch das Album sich inzwischen bei der jungen Generation gut verkauft. Ich behaupte, dass Dylan’s Trilogie der Jahre ’65 und ’66 – mit dem ersten wirklich erfolgreichen Doppelalbum Blonde on Blonde als Abschluss – die Zeit des Albums richtig einläutet. Und noch war die Produktivität der Künstler so groß, der Aufwand für ein solches Album vergleichsweise so gering, dass es oft zwei Alben von einem der großen Künstler in einem Jahr gab….. im heutigen Zeitalter der generalstabsmäßigen Veröffentlichungs-Planung und der monatelangen Studio-Frickelei leider scheint’s undenkbar. Aber immer langsam: Manche waren noch nicht so weit…

The Rolling Stones
The Rolling Stones, Now!

(London, 1965)

US-Cover – Album erschien so nur in den USA. Fotos auch von David Bailey

… die Musik der Stones etwa war noch nicht so ganz auf das Album-Format ausgerichtet, 1965 veröffentlichten sie The Rolling Stones Now! als drittes Album für den US Markt – und wie bei den Vorgängern handelte es sich auch hier „bloß“ um eine Zusammenstellung von Coverversionen und ein paar eigenen Stücken, diesmal – nachdem 12 x 5 sehr Soul-betont gewesen war – mit einer gleichberechtigten Kombination aus Soul und Rhythm & Blues. Was diese LP jedoch besonders auszeichnet und noch einmal besser macht als ihre Vorgänger – und somit als komplettes Album genießen lässt – ist die fast durchgehend hohe Qualität in der musikalischen Umsetzung. So vibriert Bo Diddleys „Mona“ fast vor Vitalität, Otis Reddings „Pain in My Heart” ist wunderbar, ebenso wie Barbara Lynn’s „Oh Baby”. Das bluesige “Little Red Rooster“ wird veredelt von einem Slide-Solo von Brian Jones (und wurde Nummer 1 in den britischen Charts, obwohl es nur auf der US-Pressung enthalten war). Und endlich begannen auch Jagger und Richards als Komponisten Zähne zu zeigen – und waren mit dem souligen “Heart of Stone”auch gleich in den Charts erfolgreich. Spätestens jetzt dürfte den Beatles klar geworden sein, dass ihnen da ernsthafte Konkurrenz gemacht erwachsen war.

The Rolling Stones
Out Of Our Heads

(London, 1965)

US-Cover. Foto von David Bailey

Und so kam es dann auch: Auf dem ebenfalls 1965 veröffentlichten Out Of Our Heads kanalisierten die Stones nun den reinen Sex und die schiere Gewalt des Rohmaterials ihrer ersten drei (oder vier…?) LP‘s und verfeinerten dadurch ihren Rhythm & Blues. Und sie stellten nun das Songmaterial insgesamt ins Zentrum des Geschehens. Nach wie vor handelte es sich mehrheitlich um Coverversionen – in der britischen Version in der Mehrheit, in den USA zur Hälfte eigene Tracks, zur Hälfte Songs von u.a. Marvin Gaye, Sam Cooke und von Don Covay, dem Soul-Sänger, dem Mick Jagger am eindeutigsten nacheiferte. Dessen „Mercy, Mercy“ ist ein früher LP-Höhepunkt (Track 1 bzw 2…). Aber dass Jagger und Richards immer mehr Selbstvertrauen sammelten, hatte mit den Singles zu tun, die nur auf der US-Version zu finden sind: „The Last Time“ lärmt und marschiert wunderbar voran, klingt schon so archetypisch nach den Stones, wie man es ’65 noch nicht wissen konnte. Und dann ist auf dem US-Album das Rockmusik Urgestein „Satisfaction“. Ein Song der damals zig Millionen zum Tanzen zwang. Songs wie „That’s How Strong My Love Is“ (ein Hit für den wunderbaren Southern Soul Helden O.V. Wright) zeigt, dass sie auch in der Lage waren, ihre Kraft wenn nötig unter dem Deckel zu halten. Jagger wuchs als Sänger, die Band klang – auch Dank besserer Produktion und der Mithilfe von Pianist Nicky Hopkins – differenzierter als zuvor. Man mag sich fragen, welche Version vorzuziehen ist. Ich mag die US Version – eben WEIL sie die Singles beinhaltet, Manchem ist genau das ein Greuel. Tja. Die ganz großen Alben der Stones kommen noch – da sind die Singles immer dabei…

The Beatles
Help!

(Parlophone, 1965)

Cover Design: Photographer Robert Freeman

Für die Beatles war Help! als fünftes Album schon der zweite Film-Soundtrack und als solcher eher eine Sammlung zwischendurch veröffentlichter Singles mit ein paar Cover-Versionen und ein paar zusätzlichen Songs als Füllmaterial. John und Paul komponierten immer seltener gemeinsam, obwohl – wie immer – jeder der Songs unter dem Moniker Lennon/ McCartney firmierte. So ist hier Material dabei, das nach Beatles-Standard nur mittelmäßig ist. Aber auf Help! sind eben auch Lennon’s „You Got To Hide Your Love Away“, da ist der Titelsong des Filmes und das tolle „Ticket to Ride“, sowie McCartneys folkiges „I’ve Just Seen Your Face“. Und zuletzt ist hier natürlich der berühmteste und meistgecoverte Beatles-Song, den Paul McCartney – übrigens ganz alleine – je geschrieben hat: „Yesterday“ – mit seinem wunderbar sparsamen Streicher-Arrangement um diese einfache akustische Gitarrenmelodie. Gründe genug also, auch Help! seine Zeit zu widmen. Also, man sollte dieses Album nicht unterbewerten: Es ist die letzte „unschuldige“ Platte der Beatles.

The Beatles
Rubber Soul

(Parlophone, 1965)

Cover Design: Photographer Robert Freeman

Und nun wurden die Beatles schnell besser, denn noch in diesem Jahr nutzten sie erstmals in vollem Ausmaß das „Album“ – denn jetzt kam Rubber Soul.: Ja, sie hatten Dylan, die Beach Boys und die Stones gehört, sie wollten ihren Merseybeat strecken und dehnen, um sich neue musikalische Territorien zu erschließen um die Stones auf Abstand zu halten und um an Dylan heran zu reichen. Und Rubber Soul sollte dafür Ende 1965 das Vehikel sein. So gibt es hier zwar noch Reminiszenzen an den Beat von früher – „Drive My Car“ oder „The Word“ -, aber es wird auch kräftig experimentiert. Die Sitar und die Melodieführung in „Norwegian Wood“ zum Beispiel, die elaborierten Harmonien von „Michelle“ oder das erstmals ohne Liebeslyrik auskommende „Nowhere Man“…. oder George Harrison’s Byrds Pastiche „If I Needed Someone“. …oder das wunderbare „I’m Looking Through You“. Hier präsentierte sich eine Band, die immer besser spielte, arrangierte und produziert (wurde), eine Band, die generell an Kontur gewonnen hatte und die enorm ideenreich war. Ein Faktor, der inzwischen leicht vergessen wird. Und als ersten Hinweis auf aufkommende Psychedelik – das Cover – erstmals mit einem der zeittypisch verfremdeten Schriftzug und ohne den Bandnamen!! Natürlich spielte Producer George Martin eine große Rolle bei ihrer Entwicklung, aber eben auch die erwähnte Tatsache, dass Lennon und McCartney nun konsequent getrennte Wege beim Songwriting gingen – was hier eindeutig von Vorteil war, weil ihre jeweiligen Ideen sich aneinander reiben konnten. Für die nächsten Jahre sollte gerade das die Beatles auf Kurs halten. Natürlich ist Rubber Soul ein essentielles Album mit Songs, die die Rockmusik geprägt haben. Und es ist vor Allem eines der ersten Alben, bei denen gilt: Es ist mehr als die Summe seiner Teile…

The Beach Boys
The Beach Boys Today !

(Capitol, 1965)

Cover-Foto vom Modefotografen John Engstead

1965 hatte Brian Wilson sich dazu entschlossen, nicht mehr mit den Beach Boys zu touren, und sich stattdessen auf die Studioarbeit zu konzentrieren. The Beach Boys Today ! ist das erste Album, das unter diesen Voraussetzungen entstanden ist – und der Unterschied ist sofort erkennbar. Es ist das erste Album, das von Anfang bis Ende fast nur hochklassige Songs enthält, das Erste auch, bei dem die Produktionsweise ausgefeilter ist, bei dem Wilson beginnt im Studio zu experimentieren. Angeblich übrigens unter dem verstärkten Einfluss von Marihuana!! Zugleich aber macht Eines den Reiz dieser beiden Alben aus: Hier meint man die Beach Boys noch in ihrer Unschuld als Surfer Boys zu hören (…die sie nie waren…), zugleich aber kann Bruder Brian sich auf seine Kompositions- und Arrangement-Skills konzentrieren. Alben des Überganges eben – oft die Besten. „Dance, Dance, Dance“ und „Do You Wanna Dance“ sind noch von Phil Spector beeinflußte klassische Beach Boys Stücke, flott, wunderbar eingängig und fröhlich und noch im alten Stil, aber Wilson begann sich in Texten und Musik vom reinen Surf & Fun zu entfernen und beschreibt zum Beispiel im Smash Hit „When I Grow Up“ die nach der Adoleszenz aufkommenden Unsicherheiten. Die besten Tracks aber sind „Please Let Me Wonder“, mit himmlischen Harmonien und einer Melodie, die schon an Pet Sounds gemahnt, und das ebenso ausgefeilte „Help Me Rhonda“ – übrigens von Al Jardine geschrieben.

The Beach Boys
Summer Days (and Summer Nights)

(Capitol, 1965)

Cover Foto vom Capitol Haus-Fotografen Ken Veeder

Und es sollte noch besser werden, denn im Sommer des selben Jahres wurde Summer Days (and Summer Nights) hinterher geschossen – Dieses „Werk“ war zu einem Teil noch durchdachter und ambitionierter als der Vorgänger, hatte aber – ebenfalls wie der Vorgänger – immer noch einige Stücke an Bord, die an die unschuldigeren Beach Boys Jahre erinnerten. und es sind mit dem – neu arrangiert aufgenommenen – „Help Me Rhonda“ (jetzt mit „h“ ein Hit…) und „California Girls“ zwei der bis heute bekanntesten Songs der Band dabei: „Help Me, Rhonda“ kann der letzte große „Surf-Hit“ genannt werden, dafür weist „California Girls“ mit seinem symphonischen Arrangement den Kundigen schon auf das, was kommen wird. Brian Wilson wurde inzwischen On Stage vom Fast-schon-aber-noch-nicht-ganz-Mitglied Bruce Johnson ersetzt, der von Wilson geschätzt wurde, der aber auf dem Cover nicht mit in den Seilen hängen durfte. Die Plattenfirma war von den Verkaufszahlen von Beach Boys Today! nicht entzückt, und hatte Druck ausgeübt, so dass es auch ein paar schwächere, an alte Tage erinnernden Songs gibt. Aber man findet auch ein paar LP-Tracks, die mit zum Besten zählen, was die Beach Boys jemals aufnahmen: Die soulige Ballade „Let Him Run Wild“ mit überirdischem Gesang von Brian Wilson, und zuvorderst „Girl Don’t Tell Me“ mit Lead-Vocals von Carl Wilson und einer wunderschönen Melodie. Beide Alben krönen die Prä-Pet Sounds Ära der Beach Boys: Beide Alben sind essentiell.

The Byrds
Mr. Tambourine Man

(CBS, 1965)

Cover – Fischauge-Fotografie von Barry Feinstein. Der hat ca. 500 Plattenover gemacht…

Gleich zu Beginn ihrer ersten LP Mr. Tambourine Man offenbart das von Bob Dylan geschriebene Titelstück bereits das ganze stilistische Spektrum der fünf Kalifornier: Roger McGuinns unverkennbarer Rickenbacker-Sound, – das Markenzeichen des Byrds’schen Jangle-Pop, die wunderschönen Gesangsharmonien und das erste Aufeinanderprallen traditioneller amerikanischer Folkmusik und des angesagten British-Invasion-Pop. Eine wahrhaft mitreißende Kombination, wenngleich – mit Ausnahme von Gene Clarks „Feel A Whole Lot Better“ – die Glanznummern dieser Geburtsstunde des Folk-Rock noch aus den Federn anderer stammten: Allein Bob Dylan ist neben dem Titelsong mit drei weiteren Stücken vertreten, von denen neben „Mr. Tambourine Man“ immerhin auch besagtes „I’ll Feel a Whole Lot Better“ als Single ausgekoppelt wurde. Lustig und seltsam, dass bei beiden Songs die Studio- Rhythmusgruppe, die normalerweise den Beach Boys aushalf, den Job übernahm. Der Rest des Albums allerdings wurde dann von den fünf Byrds höchstpersönlich aufgenommen. Und all diese Faktenhuberei verblasst vor den Gesangsharmonien, die McGuinn, Hillman, Crosby und Clark zustande brachten. Natürlich ist dieses Debüt noch ein Versuch, ein Anbiedern an Trends. Die Versatzstücke aus Beatles, Everly’s, Dylan und Searchers greifen nicht immer perfekt ineinander, aber insbesondere die beiden anderen Clark-Kompositionen „Here With You“ und „I Knew I’d Want You“ zeigen, dass da mehr möglich sein würde.

The Byrds
Turn! Turn! Turn!

(CBS, 1965)

Foto – Guy Webster. In dessen S

Und so kam Ende des Jahres mit Turn! Turn! Turn! die Fortsetzung, Erweiterung und Bestätigung des Konzeptes. Das Titelstück – wieder eine Coverversion eines Pete Seeger Songs. Das Album – auch wieder mit zwei Dylan Songs: „The Times they Are A-Changin’“ im Gegensatz zum Original mit vollem Bandsound, dazu erneut drei Songs von Gene Clark, der sich einerseits gerne an Dylan’s Kompositionsstil orientierte, aber auch genug eigene Ideen hatte und sich wahrlich nicht verstecken musste. Dylan selber jedenfalls war so beeindruckt von den Interpretationen seiner Songs und von den Eigengewächsen der Band, dass er ihnen offiziell seine Absolution erteilte. Vielleicht auch weil er selber sah, dass da keine Kopisten am Werke waren, sondern eine Band, die Neuland erforschen wollte. So sind auf diesem Zweitling schon Spuren von Country und indischem Raga zu hören – was seinerzeit durchaus gewagt war. Beide Alben sind freilich noch erste Gehversuche, aber sie klingen auch hier schon überraschend eigenständig. Das Songmaterial mag noch nicht die Höhen der kommenden Jahre erreicht haben, aber es wirkt in seiner Unschuld wie Musik aus einer Zeitkapsel. Die mit etlichen Bonus-Tracks und B-Seiten versehenen CD-ReIssues sind übrigens durchaus zu empfehlen.- Hier kann man einige zusätzliche Songs des immens produktiven Gene Clark und diverse gelungene Experimente hören, die darauf hinweisen, wie die Byrds sich von Dylan- und British Invasion-Adepten zu einer eigenständigen Band entwickeln würden.

The Sonics
Here Are The Sonics!!!

(Etiquette, 1965)

Es gibt Alben, die eine bestimmte Art von Musik definieren. Meistens stehen sie nicht ganz allein, aber mit 4-5 Alben hat man oft streng genommen Alles gehört, was einen bestimmten Stil ausmacht. So würde ich mit dem Debüt der 13th Floor Elevators, dem einzige Album der Monks, einem der beiden ersten Stooges-Alben – und mit diesem Debüt der Sonics den Begriff „Grarage-Rock“ befriedigend erklären können. Und in dieser Reihe sind die Sonics die Ersten. Here Are The Sonics!!! entstand aus der Ursuppe des Rock’n’Roll – die 1960 gegründete Band nahm ihn und spielte ihn einfach noch wilder als alle Anderen. Ihr Sänger mag sich Little Richard angehört haben, aber er wollte noch durchgedrehter klingen, die Band nahm die gelösten Bremsen ihrer Zeit zum Anlass, Rock’n’Roll zum Extrem zu treiben: Warum sich auf die Ungezogenheit der Stones oder Them beschränken, wenn man Songs über Strychnin und Psychopathen schreiben kann? Mag sein, dass ihre Herkunft aus dem Nord-Westen der USA – aus Tacoma im Bundesstaat Washington, wo vermutlich nicht viel los war – ihnen zusätzlich Anlass bot, sich so böse zu gebärden, wie es Mitte der Sechziger undenkbar schien. Man sollte mit heutigen Ohren freilich nicht zu viel erwarten: Here Are the Sonics!!! hat KEINE Splatter-Lyrics, der Rock’n’Roll/Pre-Punk ist noch nicht völlig entfesselt, schließlich dämmerte der wilde Teil der Dekade gerade erst herauf – aber dieses Album ist der Stein, auf dem Stooges, MC 5 und dergleichen irgendwann Punk aufbauen würden. Sie coverten also Chuck Berry’s „Roll Over Beethoven“ und lärmten da so frech durch, dass Chuck sich erschrocken hätte. Insbesondere Gerry Roslie’s Schreie zwischendurch hätten Ende der Fünfziger die Polizei herbei gerufen. Dass sie am Ende des Albums Little Richard’s „Good Golly Miss Molly“ coverten, passte da natürlich. Aber am besten waren sie, wenn sie ihre eigenen Songs spielten: „Psycho“, Strychnine“, „Boss Hoss“ sind kein Rock’n’Roll mehr, das sind Punk-Urschreie, die im Studio Live aufgenommen wurden und zeigen, wie ein paar Wahnsinnige den Gipfel ihres Irrsinns erklimmen. Die Drums donnern so sehr, dass die damaligen Tontechniker ratlos waren und sogar das nasale Gequäke von Rob Lind’s Saxophon ist empörend. Das Album ist so roh aufgenommen, wie es sich seither Generationen von Punk-Bands wünschen- Aber der wichtigste Faktor auf Here Are The Sonics!!! ist die enorme Energie – und die kann man nicht reproduzieren.

John Fahey
The Transfiguration of Blind Joe Death

(Riverboat, 1965)

1967er Cover von David Omar White! ’65 wurde die LP limitiert und ohne Hülle verkauft

Wie ich gerne erwähnen will: Mir geht es hier nicht allein um das Auflisten und Belobigen altbekannter Klassiker – mir geht es auch und zum größeren Teil um meinen persönlichen Geschmack und um die Tatsache, dass es in meinen Augen hunderte von Alben gibt die trotz ihrer Klasse völlig unbekannt geblieben sind. So sind die beiden 65er Alben des Gitarristen und Blues-Forschers John Fahey meiner Meinung nach einfach zu schön, um schnöde unter „…und dann gab es ja noch….“ abgehandelt zu werden. Der Fingerstyle-Gitarrist und Label-Begründer erhielt Mitte der Sechziger Jahre einen überraschenden Popularitätsschub. Die Musik die er auf seinen Solo-Alben machte, hatte sich zwar kontinuierlich weiterentwickelt, war aber im Grunde doch zunächst eine hermetische Angelegenheit: Solo-Gitarrenstücke, angelehnt an Blues, Folk, Country, Raga, Klassische Musik – was auch immer. Aber die Hippie-Generation liebte ihn dafür – eine Liebe, die John Fahey allerdings nicht erwiderte. Deren vertäumte Zukunfts-Gläubigkeit war dem Misanthropen eher ein Greuel. Sein viertes Album The Transfiguration of Blind Joe Death nahm er teils im eigenen Studio, teils im Zimmer eines Freundes auf – mit dessen Hund zu seinen Füssen, der dann bei „Poor Boy“ auch Laut gibt. Zunächst veröffentlichte er das Album auf dem kleinen Riverboat-Label in limitierter Auflage von 50 Stück. Zwei Jahre später (’67) aber wurde es – nachdem das nachfolgende Album doch recht erfolgreich war – sogar in Europa veröffentlicht. Den fiktionalen und titelgebenden Charakter des Bluesmusikers Blind Joe Death hatte Fahey 1959 auf seinem ersten Album erstehen lassen, hier erweiterte er zusammen mit seinem Zimmer-genossen Alan Wilson (…ein ebenso Blues-Verrückter, der später mit Canned Heat Berühmtheit erlangen sollte) in ausgedehnten Liner-Notes dessen Biographie. Die Musik ist wieder einmal ein seltsames Monster: Beim Eröffnungsstück lässt er sich von einem gewissen L. Mayne Smith auf dem Banjo begleiten, „On the Sunny Side of the Ocean“ ist fast fröhlich, „I am the Resurrection“ dagegen getrieben und düster, zweimal wird der Folk-Musiker Uncle Dave Macon zitiert, einmal der Bluesmusiker Bukka White – den Fahey zwei Jahre zuvor mit einem anderen Freund „wiederentdeckt“ und zu Auftritten überredet hatte. Auf „How Green Was My Valley“ spielt Fahey auch mal Slide-Gitarre – all das sind kalte Fakten, die nicht beschreiben können, wie komplex die Gefühle sind, die er mit dieser so simpel klingenden Musik auszudrücken vermpchte. Das ist die Kunst von John Fahey: Gitarrenklänge in ein Kaleidoskop aus Emotionen zu verwandeln. Er ist nicht wirklich virtuos – nicht im Sinne von Fingerfertigkeit und Schnelligkeit jedenfalls – dafür ist er in der Lage, die unterschiedlichsten Gefühle und Gedanken in Musik zu übersetzen. Man muß sich allerdings in diese Sprache hineindenken – was der Grund sein mag, warum seine Musik nicht mehr Anhänger hat.

 

John Fahey
The Dance of Death & Other Plantation Favorites

(Takoma, 1965)

So verkaufte John Fahey seine Alben zunächst (’65)
…und dies ist das Cover von 1967…

Der Nachfolger The Dance of Death & Other Plantation Favorites wurde dann zu seinem ersten bekannteren Album, weil es – noch vor Transfiguration... auch in Europa durch das Folk-Label Transatlantic einem größeren Publikum zugänglich gemacht worden war. Auf diesem Album sprengte er das bislang genutzte Song-Format mit dem über 10-minütigen „What the Sun Said“ – inklusive Sound-Collage und Field Recordings. Aber auch solche Manipulationen an den üblichen Regeln dienten ausschließlich einem höheren Ziel: Traditierte Musik-Formen in etwas umzuformen, das dunkel und existenziell ist. Fahey’s Alben aus den Sechzigern sind allesamt von großer Klasse – man muss nur ein Herz für diese auf den ersten Blick so reduzierte Art von Musik haben. John Fahey selber hat seine Alben aus dieser Zeit in späteren Jahren weit kritischer gesehen – ja, sie sogar diskreditiert, aber er hatte nie einen sonderlich einfachen oder in sich selbst ruhenden Charakter – was wiederum wohl der Urgrund seiner Kunst ist.

Jackson C. Frank
s/t

(Columbia, 1965)

Jackson C. Franks Geschichte wiederum ist eine traurige: Als Kind hatte er einen Brand in seiner Schule überlebt, dabei allerdings starke Verbrennungen erlitten, wegen der er mit 21 Jahren eine erkleckliche Versicherungssumme zur Verfügung gestellt bekam. So konnte er es sich als junger, hoffnungsvoller Folk-Musiker locker leisten, nach England zu reisen. In London wohnte er in einer Bude mit einem gewissen Paul Simon, der – wie viele andere US-Folkies – von Leuten wie Martin Carthy – in die Tiefen der britischen Folkmusik eingewiesen werden wollte. Simon war schnell auch von den Songs seines Zimmergenossen beeindruckt – so sehr, dass er dessen Debüt-Album für ihn aufnahm. Es wurde zu einem Kultobjekt, einem Album für Musiker, das durch seine Vermischung von amerikanischer und britischer Folkmusik zur damaligen Zeit äußerst modern klang. Der junge Al Stewart spielte mit und coverte später seinen erfolgreichsten Song „Blues Run the Game“ genau wie Nick Drake oder Simon & Garfunkel. Mit der großartigen Folk-Sängerin Sandy Denny war Frank einige Zeit zusammen. Er überzeugte sie davon, professionelle Musikerin zu werden, und sie coverte sein wunderbares „Milk and Honey“. Franks Gitarrenspiel auf seinem einzigen Album ist kraftvoll und für Folk erstaunlich hart und dynamisch, sein Gesang hat eine Tiefe und Komplexität, die an Blues erinnert, er spielt eine verfremdete Version des Appalachian Folk Klassikers „Mole in the Ground“ (unter dem Titel „Kimbie“) aber vor Allem seine eigenen Songs sind fantastisch. Sein Debüt war ein Singer/Songwriter-Album, das eine große Karriere hätte einleiten müssen. Frank’s restliches Leben – seine „Karriere“ aber – wurde zu einer Aneinanderreihung von Katastrophen: Er hatte das Geld bald aufgebraucht, bekam Depressionen, er heiratete ein Model aber der Sohn der beiden starb. Er ging zurück in die USA, wurde mit Schizophrenie diagnostiziert, versuchte immer wieder Fuß zu fassen, verlor aber immer wieder den Faden und starb 1999 als quasi Obdachloser. Man mag seinem einzigen Album Jackson C. Frank den Stellenwert von Nick Drake’s Werk beimessen: Von zeitloser Klasse, zugleich ein musikalisches Symbol seiner Zeit.

Bert Jansch
s/t

(Transatlantic, 1965)

Covet – Brain Shuel. Hat in der britischen Folk-Szene etliche Cover gemacht

Der Brite Bert Jansch war ein ebenso großer Einfluss auf die US-Folkies, die sich seinerzeit in London herumtrieben, wie der zuvor genannte Martin Carthy, und sein Debüt ist eines der großen Folk-Alben der Mittsechziger. Sowohl Neil Young als auch Jimmy Page benannte ihn – und explizit diese LP- als großen Einfluß, und wenn es um akustische Gitarre in der Rockmusik geht, ist Jansch bis heute für Kenner DAS Vorbild. Was – wie man schon hier hört – nicht von ungefähr kommt. Und dabei war nicht nur sein Gitarrenspiel hervorragend, er war auch ein großartiger Komponist und Sänger, und der Umstand, daß sein Debüt-Album Bert Jansch ganz lapidar mit einer geliehenen Gitarre in der Küche seines Londoner Domizils aufgenommen wurde, tut der Qualität der Musik absolut keinen Abbruch, ist eher im Gegenteil Beweis für Jansch’s universelle Fähigkeiten. Die Songs auf diesem Debüt sind zum größten Teil Eigenkompositionen – zu dieser Zeit in britischen Folk-Kreisen eher ungewöhnlich. Er adaptierte kongenial „Angi“ vom Virtuosen/Kollegen Davey Graham, klang bisweilen wie ein weniger sanfter Donovan (…dessen Musik in diesen Tagen ebenfalls sehr annehmbar war – siehe sein Album Fairytale) und ließ auch seiner Liebe zum Jazz freien Lauf, indem er Jimmy Giuffre und Mingus in Instrumentals zitierte. Jansch schrieb einen Song über den Heroin-Tod eines Freundes („Needle of Death“) und war zu dieser Zeit einfach cool. So war er erwiesenermaßen auch Vorbild für Bob Dylan, dessen erste Alben aus der Folk-Phase bisweilen an Jansch erinnern – das elaborierte Gitarrenspiel allerdings gezwungenermaßen ausgenommen.

Bert Jansch
It Don’t Bother Me

(Transatlantic, 1965)

Cover – Brian Shuel. Siehe erstes Jansch-Album

Die im selben Jahr erschienene zweite LP von Bert Jansch ist im Grunde genommen die logische Erweiterung des Debüt-Albums. It Don’t Bother Me ist im Ton leichter, in der Produktion weit ausgefeilter – Jansch hatte das Album (mit eigener Gitarre) an diversen Nachmittagen mit dem Produzenten Nat Joseph in den Transatlantic Studios aufgenommen – immer noch in sehr lockerer Produktionsweise, Jansch selber sprach später vom „Cheapest Album in the World“. Die Songs behandelten inzwischen sein Leben in London und er hatte erstmals musikalische Partner: Da war der junge Schotte John Renbourn, der ihn auf zwei Stücken begleitete, und mit dem ihn in den folgenden Jahren eine fruchtbare Partnerschaft verbinden sollte (s.a. Pentangle) – und da war der junge Folkmusiker Roy Harper (demnächst eng mit Pink Floyd verbandelt…), der bei „A Man I’d Rather Be die Lead-Vocals übernahm und auch seine beträchtlichen Fähigkeiten als Gitarrist beitrug. Es gibt auf It Don’t Bother Me sogar einen explizit politischen Song: „Anti Apartheid“ war für den eher introvertierten Mann thematisch eine Ausnahme. Auf „900 Miles“ benutzte Jansch erstmals ein Banjo – man kann sicher zu Recht davon ausgehen, dass auch er Bob Dylan gehört hatte, und ebenfalls zu dem Schluss gelangt war, dass man sich durch ein bestimmtes Idiom nicht einengen lassen sollte. It Don’t Bother Me ist eine Platte, die den Künstler in einem ganz bestimmten, frühen Moment seiner Entwicklung einfängt, und die dafür erstaunlich würdevoll gealtert ist. Jansch würde in den kommenden Jahren noch etliche große Alben folgen lassen, allerdings – wie das Folk-Idiom insgesamt – immer mehr an Popularität verlieren – letztlich vermutlich auch, weil er den Schritt Richtung elektrifizierter „Rockmusik“ nie konsequent machte.

Otis Redding
The Great Otis Redding Sings Soul Ballads

(Volt, 1965)

Wie man hier sieht: 1965 ist nicht nur das Jahr, in dem sich das „Album“ durchsetzt, es ist auch das Jahre, in dem verschiedenen Genre’s ihre Sternstunden erleben: Folk, Folk-Rock, Garage-Rock, (…nennen wir es meinetwegen Spiritual..) Jazz – und durchaus auch der schöne, deepe Southern Soul feiert nicht nur mit dem Gesangs-Dynamo Otis Redding die Ersteigung eines Qualitäts-Gipfels. Da sind Alben von Wilson Pickett und Don Covay, Singles von ein paar Soul-Musikern, die in den nächsten beiden Jahren einen ganzen Koffer voll großartiger Soul-Alben(!) ‚raushauen werden – aber der König des Album’s war ’65 Otis Redding. Der Ex Little Richard-Bewunderer und Sam Cooke-Adept hatte die Zeit seit seinem überfallartigen Eindringen in die Hallen von Stax/Volt genutzt, um sich zu einem äußerst eigenständigen Sänger – und Komponisten – zu mausern. Schon sein letztjähriges Debüt Pain in My Heart hatte er mit dem von ihm verfassten Hit „These Arms of Mine“ veredelt, 1965 bewies er seinen Wert für das Label gleich mit mehreren Singles und zwei Alben. Auf The Great Otis Redding Sings Soul Ballads ist es die Single „Mr. Pitiful“, – von Redding und Booker t & The MG’s Gitarrist Steve Cropper verfasst – die sich zum Klassiker entwickelte. Aber auch der Rest der Songs hat Qualitäten. Opener „That’s How Strong My Love Is“ war ein Hit für O.V. Wright gewesen, Redding machte es nicht schlechter, das flotte „Home In Your Heart“ zeigt seinen eigenständigen Gesangsstil, lässt ihn knurren und scatten, Reddings Eigenkomposition „Your One and Only Man“ mußte sich nicht vor Sam Cooke’s „Nothing Can Change This Love“ verstecken, und „Mr. Pitiful“ wurde zu Reddings erstem Top Ten Hit. Das ganze Album wurde – wie bei Stax üblich – mit den MG’s und mit Hilfe der Memphis Horns eingespielt und ich weiss nicht warum – aber es erhielt zunächst nicht so viel Beifall – und danach lenkte der Nachfolger die Aufmerksamkeit auf sich:

Otis Redding
Otis Blue /Otis Redding Sings Soul

(Atco/Volt, 1965)

Design – Haig Adishian. Hat etliche Cover für Stax/Volt und Atlantic gemacht

…denn noch im selben Jahr ließ Redding mit Otis Blue/Otis Redding Sings Soul sein bestes Album – und zugleich eines der wichtigsten und schönsten Alben des Soul der 60er folgen: Auch hier hatte er drei Songs selber verfasst – von denen insbesondere „Respect“ sich in der Version von Aretha Franklin zum Klassiker mausern würde und spätestens da die Charts erklomm. Das drei Monate zuvor erschossene Vorbild Sam Cooke wird auch mit drei Songs gewürdigt, insbesondere sein „Change Gonna Come“ ist ein weiterer Beweis für Reddings‘ Klasse als Interpret – er hat seinen Stil so sehr verfeinert, dass er als Sänger inzwischen allein steht. Aber eines der besonderen Merkmale von Otis Blue/Otis Redding Sings Soul ist sein Crossover-Faktor: Redding coverte – sicher ganz bewusst – „Satisfaction“ von den Weissbroten Rolling Stones – in diesem Jahr als Hitsingle unüberhörbar, aber von einem Schwarzen mit so viel Kraft, Wucht und Eigenständigkeit gecovert, dass es dem Soul-Publikum genauso gefallen haben dürfte wie jungen Weissen (…diese Unterscheidung war damals Fakt…). Dass auf dem Cover nicht der Künstler, sondern eine weisse Frau abgebildet war, ist übrigens Hinweis genug, dass Atco/Volt auf den Erfolg in den Pop-Charts zielte. Schön an diesem Album ist, dass es sowohl seine Intensität als auch seinen Unterhaltungswert bis heute nicht eingebüßt hat. Reddings Art zu singen ist so unmittelbar, dass man meint, ihn neben sich stehen zu haben, seine Stimme ist voller Emotionen, rauh, zärtlich, mitunter fast ausser Rand und Band – aber zugleich vollkommen unter seiner Kontrolle. Der Mann wusste, was er tat, hatte mit Booker T. & The MG’s kongeniale Begleiter, deren sparsamer Sound sein Können ins Rampenlicht stellte. Produzent Isaac Hayes ist natürlich auch einer der Besten, Tom Dowd – wie beim Vorgänger – als Engineer wieder dabei, und die Songauswahl fehlerlos. Man höre nur seine Version von „My Girl“ von den Temptations – eigentlich einer der Nebenschauplätze auf dem Album und dennoch eine Version, um die ihn andere beneiden würden. Oder den Album-Closer „You Don’t Miss Your Water“ vom Kollegen und Stax-Songwriter William Bell. Der machte es kurz darauf selber nicht besser. Es ist eine der großen Tragödien in der Geschichte der populären Musik dass Otis Redding nur zwei Jahre nach dem Triumph von Otis Blue starb. Wer nicht all seine Alben kennen will – dieses Eine muss man hören.

Willie Nelson
Country Willie: His Own Songs

(RCA, 1965)

Was hatten wir schon für das Jahr ’65? Jazz, Soul, Rhythm & Blues, Folk, Pre-Punk… Country fehlt noch. Und in der Tat gibt es 1965 ein wirklich großes Album von einer Legende der Country-Musik… das allerdings seinerzeit kaum bemerkt wurde. Willie Nelson hatte 1962 mit …and Then I Wrote ein großartiges, wenn auch dem Zeit-Geschmack entsprechend teils von Geigen überzuckertes Debüt hingelegt. Aber erst ewige drei Jahre später bekam er von seinem neuen Label RCA die Erlaubnis, seine inzwischen von Vielen interpretierten Songs noch einmal selber zu präsentieren. RCA-Kopf Chet Atkins war sich der Talente Nelson’s bewusst, und er war immerhin auch so klug, Country Willie… den Erfordernissen und Nelson’s Stil entsprechend sparsam zu produzieren – so wie es einem Gitarristen und Gesangsstilisten wie Willie Nelson am besten zu Gesicht steht. Ja, im Vergleich zu späteren Klassikern wie Red Headed Stranger oder Shotgun Willie ist der Sound immer noch „konventionell Country“, aber insbesondere Nelson’s verzögerte Gesangs-Phrasierung und sein Jazz-beeinflusstes Gitarren-Spiel treten nun hervor. Dadurch war seine Interpretation des eigenen Materials für die Zeit äußerst exzentrisch – so exzentrisch, dass auch dieses Album wenig Erfolg in der damals weit vom „Rock-Publikum“ segregierten Country Gemeinde hatte. Dabei waren doch Songs wie „Night Life“, „Funny How Time Slips Away“ oder „Hello Walls“ von anderen Musikern wie Faron Young, Patsy Cline oder Ray Price schon zu Charts-Hits gemacht worden. Aber man höre zum Beispiel seine Lesung vom – durch Ray Price zum No.1 Hit gemachten – „Night Life“: So viel Coolness ist für Country in den Sechzigern ZU viel, und das traurige „Hello Walls“ kommt bei Nelson für den damaligen Geschmack vielleicht ZU lakonisch ‚rüber. All diese Moden verschoben sich in den Siebzigern in Richtung dieses Albums, so dass Country Willie… in mancher Hinsicht erstaunlich modern klingt. Das hemdsärmelige Cover mit einem kurzhaarigen Nelson jedenfalls täuscht, das Personal mit Pedal Steel-Ass Pete Drake ist erlesen und auch die paar Songs, die (noch) keine Hits waren, standen den erfolgreichen Songs nicht nach. Das hier enthaltene „So Much to Do“ würde Nelson acht Jahre später auf Shotgun Willie neu interpretieren. Country Willie – His Own Songs mag nicht sonderlich bekannt sein, mag auch weniger geachtet sein als die Atlantic Alben der Siebziger, aber ICH höre hier eine Ikone der amerikanischen Musik in bestechender Frühform.

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