Das Wichtigste in 1955 – Rosa Parks im Bus, Krieg in Vietnam und Rock’n’Roll beginnt – Sarah Vaughan bis Hank Williams und „Das Album“ als Kunstform

Im Jahr 1955 endet die Besetzung der BRD und der DDR durch die Alliierten nach dem 2. Weltkrieg. Die nun getrennten Länder werden in die NATO bzw. den Warschauer Pakt aufgenommen. In den USA weigert sich die Schwarze (damals heißt das dort „Negerin“…) Rosa Parks in einem Bus ihren Platz für einen Weißen zu räumen und wird darauf verhaftet…

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…der darauffolgende Montgomery Bus Boycott wird zur Geburtsstunde der schwarzen Bürgerrechtsbewegung in den USA. Winston Churchill beendet seine politische Karriere, in Deutschland sorgt Kanzler Adenauer dafür, dass die letzten Kriegsgefangenen aus sowjetischer Gefangenschaft entlassen werden. Ein ganzer Haufen von Wissenschaftlern und Nobelpreisträgern rät von der Weiterentwicklung der Atomwaffen ab – ohne Erfolg wie wir wissen. Der Krieg zwischen Süd– und Nord Vietnam beginnt. Marilyn Monroe lässt im Film „Das verflixte siebente Jahr“ ihren Rock über dem U-Bahn-Schacht fliegen und Jugendidol und Schauspieler James Dean kommt bei einem Autounfall ums Leben. 1955 ist auch das Todesjahr von Jazz-Innovator Charlie Parker. Steve Earle, Pete Shelley (Buzzcocks) und Alan Moulding (XTC) werden geboren. In diesem Jahr startet der Rock’n’Roll durch– es gibt zwar noch keine kompletten Alben – das sind zu jener Zeit – wenn überhaupt – nur Compilations als Zweitverwertung. Aber Chuck Berry nimmt seine erste Single auf, Bill Haley’s „Rock Around the Clock“ aus dem Vorjahr wird zum No. 1 Hit in den USA, Little Richard nimmt „Tutti Frutti“ auf, bei einem Konzert von Elvis kommt es zu tumultartigen Szenen, er hat nun mit Colonel Tom Parker einen neuen Manager, der ihm einen besser dotierten Vertrag bei RCA verschafft, Johnny Cash nimmt bei Sun Records in Memphis – bei Elvis‘ alter Plattenfirma (die von dem nur Singles aufgenommen hatte) – seinen „Folsom Prison Blues“ auf. All diese Singles sind recht erfolgreich, die junge Generation hungert offenbar nach Alternativen zum weichgespülten Sound der Prä-Rock’n’Roll Ära. Auch Folk Musiker und Bürgerrechts-Aktivist Pete Seeger (mit den Weavers) hat trotz Kommunistenhetze und Radioboykott Erfolg bei Reunion Konzerten. Nach Jazz, der eine Musik der „Schwarzen“ ist, wird langsam auch Musik, die bei „weißen“ Jugendlichen ankommt, rebellisch. Aber ! Noch existieren diese „Auswüchse“ der Jugendkultur nicht in dem Album-Format, das ich hier behandeln will. Also, Geduld bis zu den Einträgen für die Jahre ’56 + ’57 und hinhören bei der in diesem Jahr so fruchtbaren Form des Jazzgesanges…

Sarah Vaughan
…with Clifford Brown

(EmArcy, 1955)

Jazz Sängerin Sarah Vaughan hatte schon in den 40ern mit Musikern wie Charlie Parker und Dizzie Gillespie ihren an BeBop geschulten Vokalstil entwickelt. Ihre mühelose Phrasierung machte sie zu einer der besten Jazz Sängerinnen ihrer Zeit. Aber in den frühen 50ern spielte sie mit diversen Orchestern meist leichteres Material ein, und erst auf diesem Album arbeitete sie wieder mit einem der Großen des Jazz – dem zu dieser Zeit sehr angesagten Trompeter Clifford Brown. Das Album wurde erst später mit dem Titelzusatz ..with Clifford Brown versehen, weil dessen Popularität nach seinem Tod im Sommer ’56 sprunghaft anstieg. Hier sang Vaughan neun Standards und ließ den Solisten Brown, Herbie Mann (Flute) und Paul Quinichette (Saxophon) viel Raum für ihre Soli. Sie war natürlich bestens bei Stimme und spielte definitive Versionen von „April in Paris“, „Jim“ und „Lullaby of Birdland“ ein. Auf dem Highlight des Albums, „Embraceable You“ wurde sie zwar nur von Piano, Bass und Schalgzeug begleitet, aber Sarah Vaughan with Clifford Brown ist dennoch eine Showcase beider Musiker und eines der ganz großen Jazz-Alben der 50er – und übrigens eines, das NICHT von Norman Granz produziert/initiiert worden war. Der Mann hinter diesem Album war EmArcy Boss Bob Shad, der insbesondere mit Clifford Brown gearbeitet hatte und der hier dem Trend zum reduzierten Vocal Jazz Tribut zollte – und der auch hinter dem folgenden Album stand…

Helen Merrill
s/t

(EmArcy, 1955)

…dem Debütalbum der Sängerin Helen Merrill (geboren als Jelena Ana Milcetic). Und auch dieses Album könnte mit dem Zusatz „with Clifford Brown“ versehen werden, denn der unterstützt unter der Ägide des jungen Quincy Jones hier das Instrumentale Backing und spielt einige schöne Trompetensoli. Aber den Sound prägen natürlich auch Könner wie der Jazz-Bassist/Cellist Oscar Pettiford und der Gitarrist Barry Galbraith – was wiederum von der Stimme der damals 25-jährigen (Ja, das Coverfoto hat mich auch arg getäuscht) nicht ablenken soll. Helen Merrill’s Stimme nämlich ist auf einem Niveau mit Sarah, Billy und Anita. Leicht angeraut, mühelos und gekonnt phrasierend und voller „Feeling“ ist diese Sängerin sehr zu Unrecht heute noch weniger bekannt als die Flaggschiffe des Vocal Jazz – was daran liegen mag, dass sie sich zu Beginn der Siebziger nach Europa und nach Japan absetzte. Mitte der Fünfziger jedenfalls hatte sie ein Händchen für die richtigen Begleiter und ging mit den Vorlagen ganz mühelos um: Ob Uptempo Nummern wie Cole Porter’s „You’d Be So Nice to Come Home To“ oder „Falling in Love with Love“ und „S’Wonderful“ – ob langsame Nummern wie „Born to be Blue“, sie alle macht sie sich gekonnt zu eigen. Und die musikalischen Begleiter machen das Album dann zu etwas ganz Besonderem, wenn sie die Musik zwischen Hard Bop und Cool Jazz changieren lassen. Noch ein ganz großes Album des Vocal Jazz – am besten zusammen mit dem Nachfolger Helen Merrill with Strings erwerben – das ist anders, ich würde sagen kitschiger, aber nicht schlechter. Weitere Alben von ihr werden folgen, siehe Dream of You von ’56 …

Clifford Brown & Max Roach
Study in Brown

(EmArcy, 1955)

Wäre Clifford Brown nicht im Juni 1956 bei einem Autounfall mit gerade mal 25 Jahren umgekommen, so hätte er möglicherweise einen ebenso hohen Stellenwert in der modernen Musik wie etwa Miles Davis. So kam er seinerzeit „nur“ dazu, den Jazz in Form des BeBop weiterzutreiben. Bei seinem Talent, seiner technischen Brillianz und seinem Interesse an Neuerungen wäre er wohl so etwas wie ein Gegenpol zum weit weniger „freundlichen“ Davis gewesen, zumal er Alkohol- und Drogenkonsum im Gegensatz zu Davis völlig ablehnte. Seine beste Platte zu benennen ist schwierig, weil eigentlich alle Alben, die er mit Max Roach zu Lebzeiten aufnahm, hörenswert sind, und weil er auch als Begleiter etwa Sarah Vaughan’s oder Helen Merrill’s (Siehe weiter vorne..) Großes geleistet hat. Study in Brown ist schon allein wegen des Klassikers „Cherokee“ hörenswert, auch Songs wie „Swingin‘ oder „Sandu“ gehören zum Kanon der Jazz-Klassiker, das Quintett aus Brown, Roach (dr), Harold Land (t.sax), George Morrow (b), und Richie Powell (p) ist extrem eingespielt, und man hört hier einen Trompeter, der tatsächlich Innovation aus Tradition erschafft, einen Traditionalisten, bei dem man davon ausgehen kann,dass sein Weg in die Innovation geführt hätte. Eines der großen Alben des modernen Jazz.

Dinah Washington
For Those in Love

(EmArcy, 1955)

Und wieder das Label EmArcy vom Produzenten, Jazz-Liebhaber Bob Shad – wieder eine bestimmte Art, das LP-Cover zu gestalten, wieder eine der ganz großen Jazz-Sängerinnen. Dinah Washington hat, wie die beiden vorher vorgestellten Sängerinnen, schon eine lange Karriere als Big Band Sängerin, als Pop-Star ihrer Zeit, hatte sogar ’51 mit Hank Williams‘ „Cold Cold Heart“ einen Hit gehabt – einem Country-Stück, was zu dieser Zeit für eine schwarze Künstlerin sehr unüblich war. Und nun nahm sie ebenfalls mit kleiner Besetzung mit For Those In Love (ohne Clifford Brown, dafür mit Clark Terry übrigens…) eine Reihe von Standards auf. Sie klingt wie eine weniger ausgepowerte Billi Holiday, dadurch vielleicht aber auch etwas weniger „bluesig“ und „soulful“, weiss aber selbstverständlich mit ihrer Stimme und den Texten umzugehen. Auch interessant hier: Auf diesem Album bekommen die Solisten erstaunlich viel Platz, sich zu entfalten. Da ist Clark Terry’s sanfte Trompete, Paul Quinichette’s an Lester Young geschultes Saxophon, Posauen und Piano entfalten sich und der junge Quincy Jones – ein weiterer Protege von Bob Shad – hat alles wunderbar arrangiert. Mit „This Can’t Be Love“ und „I Could Write a Book“ sind zwei echte Highlights dabei, aber For Those in Love ist nicht das beste Vocal-Jazz-Album seiner Tage, es ist eben „nur“ ein sehr gutes, das ich hier erwähnen will…

Anita O’Day
Anita

(Verve, 1955)

… mehr beeindruckt hat mich da das erste Verve Album von Anita O’Day, welches auch das erste Album auf dem von Norman Grantz gerade gegründeten Label ist. Auch Anita O’Day war 1955 eine 37-jährige Sängerin mit langjähriger Erfahrung in Swing und Big Bands mit Gene Krupa oder Stan Kenton – und sie hatte via Drogen (Sie hatte ’54 gerade eine Gefängnisstrafe abgesessen…), Sex-Skandalen (50er Style, die waren also nach aussen noch recht „dezent“…) und durch Alkohol-Exzesse schon einiges mitgemacht. Norman Granz hatte anscheinend ein Faible für die gebrochenen Charaktere – siehe Billie Holiday – und beschloss nun, O’Day – ähnlich wie Peggy Lee oder eben jene Lady Day – ein Album zumindest teilweise mit kleinerer Besetzung aufnehmen zu lassen. Dieses erste Album beim neuen Label war für O’Day willkommener Anlass, ihren Stil dem zeitgenössischen Jazz anzupassen. Teils wird ihr jazziger Gesang vom Buddy Bergman Orchestra überpudert, was bei O’Day, die eine ziemlich „toughe“ Stimme hat, manchmal ein wenig unpassend klingt. Sie hat eine gewisse Schärfe in der Stimme, die ruhigere Stücken sehr herb klingen lässt. Daher sind manche der Titel auf diesem sehr guten Album etwas zu kalt und technisch für meinen Geschmack, aber Songs wie „A Nightingale Sang In Berkeley Square“ sind perfekt, voller Rhythmus und Feuer. Anita ist ein großartiges Debüt und ein weiteres Highlight im Vocal Jazz der 50er.

Julie London
Julie Is Her Name

(Liberty, 1955)

Julie London wurde vom Billboard Magazin von 1955 bis 1957 als populärste Jazz Sängerin bezeichnet. Das mag zum Teil an ihrem Aussehen gelegen haben (im 2. Weltkrieg war sie Pin-Up Girl gewesen), zum Teil auch an ihrer Karriere als Schauspielerin, aber sie war in der Tat auch eine ausgezeichnete Gesangs-Stilistin. Von sich selbst sagte die erstaunlich schüchterne Musikerin: „It’s only a thimbleful of a voice, and I have to use it close to the microphone. But it is a kind of oversmoked voice, and it automatically sounds intimate.“ – und dem ist auch wenig hinzuzufügen. Ihr Debüt, unter der Ägide ihres Ehemannes, des Jazz-Komponisten Bobby Troup („Route 66“) u.a. mit Gitarrist Barney Kessel und Bassist Ray Leatherwood aufgenommen ist eine außerordentlich zurückhaltende und geschmackvolle Jazz LP. Highlights waren ihr größter Hit, „Cry Me a River“ und ihre mit rauchiger Stimme eher geflüstert als gesungenen Versionen von „I Should Care“, „Say It Isn’t So“, „Easy Street“ und „Gone with the Wind“. Aber das Cover allein macht Julie is her Name schon zum 50ies-Collectors Item, und die Musik ist erstaunlich zeitlos, stylish und mindestens so gut wie das Cover.

Frank Sinatra
In The Wee Small Hours

(Capitol. 1955)

Man kann jetzt trefflich darüber streiten, ob Frank Sinatra ein Vertreter des „Genre’s“ Vocal Jazz ist, aber mir ist die Genrebezeichnung für Sinatra’s drittes Album bei Capitol egal. Er war einer der ganz großen Vokal Stilisten und In the Wee Small Hours – wieder arrangiert vom jungen Nelson Riddle – ist vielleicht sein bestes (da gibt es als Kokurrenz nur noch Songs For Swinging Lovers! und Frank Sinatra Sings For Only The Lonely) und es ist in vieler Hinsicht eines der wichtigsten Alben der Fünfziger. Frankie-Boy definierte hier das „Album“ als Kunstform. Er hatte beschlossen im Wechsel ein „Happy“ und ein „Sad“ Album aufzunehmen, nach dem letztjährigen Swing Easy war nun das dunkle Album dran – aber er hatte auch Anlass zur Trauer: Seine Ehe mit Schauspielerin Ava Gardner war in die Brüche gegangen und er war tief unglücklich – da kam die Idee, eine konzeptuelle Abfolge von Songs aufzunehmen – sozusagen eine Nacht, in der er seiner verlorenen Liebe nachtrauert zu vertonen – gerade richtig. Das hieß aber auch, dass erstmals der Longplayer mit seinen 40 Minuten Spielzeit komplett genutzt wurde. In the Wee Small Hours sollte man also komplett hören, es ist keine schnöde Abfolge von mehr oder weniger gelungenen Songs, es gibt eine durchgehende Stimmung, man sieht die Dunkelheit vor der Dämmerung in jedem Song. Und Sinatra hatte natürlich die besten Vorlagengeber: Cole Porter, Richard Rogers, Lorenz Hart etc, und er sagte später, beeinflusst habe ihn insbesondere die von ihm verehrte Billie Holiday. Daher mag es kommen , dass Sinatra hier nicht den coolen und maskulinen Angeber gab, sondern verletzt und verletzlich klang, Echte Gefühle von Trauer bis zu sehnsüchtigem Verlangen zeigte. Seine Version von Hoagy Carmichael’s „I Get Along Without You Very Well“ ist herzergreifend, das Titelstück des Albums – extra hierfür geschrieben – ist sogar noch besser, Nelson Riddle übertrifft sich in seinen Arrangements selber, und auch wenn dieses Album für eine Haltung steht, die bald als herzlich reaktionär gilt, sollte es spätestens in der Postmoderne der 90er eine erstaunliche – und berechtigte – Neubewertung erhalten. Letztlich sind etliche Capitol-Alben Sinatra’s heutzutage Kulturgut – mit allen Vor- und Nachteilen

Bill Haley and his Comets
Rock Around the Clock

(Decca, 1955)

… OK, hier also -(übrigens ein bisschen gegen meine Überzeugung) die erste „LP“ mit dem, was man so als Rock’n’Roll kennt. Bill Haley gilt Manchen als erster Rock’n’Roll Star und als „Mit-Begründer“ einer Musik, die bald zum Massenphänomen werden sollte. Was natürlich nie ganz klar entschieden werden kann, und so wohl auch nicht ganz richtig ist. Er war mit dem Titelsong dieser Compilation allerdings tatsächlich der erste Vertreter dieses neumodischen Lärms, der einen No.1 Hit landete – aber wenn man zum Beispiel die Musik auf Rock Around the Clock mit Elvis Debüt oder dem Debüt des Rock’n’Roll Trio von Johnny Burnette vergleicht, klingt das reichlich zahm. Haley hatte 1955 schon fast zehn Jahre im Musikbusiness auf dem Buckel, er hatte als Country-Musiker begonnen, hatte 1944 Kenny Roberts bei den Downhomers ersetzt, war mit diversen Countrybands lokal erfolgreich gewesen, hatte schon 1951 mit „Rocket 88“ einen Vorläufer des Rock’n’Roll erfolgreich ins Rennen geschickt und setzte mit „Rock Around the Clock“ eigentlich nur das fort, was ihm Spaß machte: Country in einer flotteren, sexuell aufgeladeneren Variante als üblich zu spielen. Die anderen Tracks auf der Original-EP waren genau das: Country mit schnellem Rhythmus – man kann es auch Rock’n’Roll nennen. Im LP-Compilation-Format ging es dann erst im folgenden Jahr los – ’55 gab es – wie ganz oben gesagt – diese LP und etliche Singles der jungen Wilden.

Hank Williams
Ramblin‘ Man

(MGM, Rel. 1955)

Wie an anderer Stelle schon gesagt: Hank Williams ist seit dem 1.Januar ’53 tot – und seine Bedeutung für die Country-Musik kann bis heute nicht überschätzt werden. Er hat in seiner kurzen Karriere zu Lebzeiten gerade mal zwei „Alben“ – in diesem Falle 10“es – veröffentlicht. Sein musikalischer Output besteht aus Singles, den Erfolg baut er mit den damals üblichen Radioauftritten und mit Konzerten auf. Die Vermarktung seiner Songs im längeren Vinyl-Format beginnt erst nach seinem Tod. Und sie hält bis heute an. Die Anzahl von mehr oder weniger gelungenen Compilations ist Legion, es gibt ein paar logische und gelungene Best-Of Zusammenstellungen, empfohlen seien die 40 Greatest Hits von 1978, da ist alles drauf, was seinen Ruhm bis heute begründet, und für Wahnsinnige gibt es natürlich die Box The Complete Hank Williams von ’98. Aber die ist erstens teuer und zweitens viel zu lang. Sehr schön finde ich Re-Issues mit den Covermotiven von dazumal, inzwischen ergänzt um ein paar Tracks aus zeitgleich stattgefundenen Sessions. „Ramblin‘ Man“ war so etwas wie ein signature tune für Williams, 1951 als Single einer der ersten wirklich großen Hits des damals 27-jährigen. Einer der wenigen in Moll gefassten, mehr gesungenen als gesprochenen Story-Songs, der in unnachahmlich poetischen Worten die klassische Geschichte vom ruhelosen Wanderer erzählt, den es an keinem Ort hält. Zunächst wurde „Ramblin‘ Man“ mit drei weiteren Songs als 7“ veröffentlicht, dann – schon ’55 – zur LP mit zwölf Songs aufgestockt. Logisch, dass die ergänzten Songs sich ebenfalls um den heimatlosen Cowboy drehen, logisch, dass da wieder ein paar absolut zeitlose Tracks dabei sind: „Lonesome Whistle“, „My Son Calls Another Man Daddy“, „Nobody’s Lonesome for Me“ und „I Can’t Help It (If I’m Still in Love With You)“ sind Kulturgut. Heutzutage gibt es Ramblin‘ Man mit völlig anderem Tracklisting aber gleichem Sleeve-Design als schicke 180g LP. Museumswärter mögen das veränderte Tracklisting beklagen, mir ist es egal, ich denke, man kann sich eine der guten Compilations als CD kaufen und/oder die Vinyl-Versionen wegen der angenehm kurzen Laufzeit von maximal 35 Minuten erwerben und hören. Hank Williams hat etliche Theme-Songs geschrieben, die ein vergleichbares Konzept haben, aber die waren nicht für das LP Format gedacht. Wenn man also heute eine LP zusammenstellt, hat man die freie Wahl unter über 100 Songs. Das war ’55 so, das gilt heute noch. Somit seien diese LP sowie Hank Williams Sings, I Saw the Light und Honky Tonk auf Vinyl empfohlen. Alles LP’s mit klassischem Cover und klassischen Songs.

Ein paar Worte über „das Album“ und den Vocal Jazz

Es gibt immer wieder parallele Entwicklungen in der Geschichte der populären Musik – so wie es in jedem anderen Bereich der Geschichte ist: Mitte der 50er war eine junge Generation von Hörern herangewachsen. Menschen, die den Krieg nicht bewusst mitgemacht hatten, die ein sorgenfreieres Leben gehabt hatten als ihre Eltern – die zwar in den Jahren des 2. Weltkrieges geboren waren, aber zu jung gewesen waren, um ihn zu erleiden. Diese Generation wollte mehr Spaß, musste sich nicht von erlittenen Strapazen erholen, sie wollte sich abgrenzen, sie wollten Rock’n’Roll, und würde ihn sehr bald bekommen. Zu dieser Zeit wurde auch Jazz zu Kunst, die teuren Big Bands verließen die Konzerthallen und es wurde in kleineren Besetzungen in Clubs gespielt – was auch wieder ein junges Publikum anzog, das vielleicht nicht ganz so juvenil war wie die Fans des Rock’n’Roll, das aber auch Veränderung spürte und wollte. Gleichzeitig bekam das „Album“ (… welches so hieß, weil man zunächst ein paar 7“ oder 10“ in Buchform verpackt…) als Medium allmählich Bedeutung. Zunächst war das 12“ Format der Klassik vorbehalten und wurde meist von Erwachsenen gekauft, die sich das leisten konnten. Aber Jazz-Impressarios wie Norman Grantz und Bob Shad und Musiker wie Frank Sinatra, Ella Fitzgerald, oder Sarah Vaughan, Julie London, Anita O’Day etc… nutzten mit der Zeit das LP-Format, um Songzyklen – eben auch im nun angesagten kleinen Bandformat – einzuspielen um damit besagtes junges Publikum zu erreichen. Sie boten das, was ich hier Vocal-Jazz nenne. Die meisten dieser Sänger/innen hatten in den Jahren zuvor Erfahrung in größeren Orchestern gesammelt und waren auch auf der Suche nach Veränderungen. Sie spürten, dass sich die Zeiten geändert hatten – und ließen sich auf einen neuen Stil ein. Vocal-Jazz hat seine große Zeit Mitte bis Ende der Fünfziger und galt dann lange als unmodern. Ein bisschen schade, aber Trends kehren wieder, in den Neunzigern waren Musikerinnen wie Cassandra Wilson oder Norah Jones wieder mit vergleichbarem Konzept erfolgreich. Ich denke, wenn man sich auf dieses Zeug aus den Fünfzigern einlässt, kann man sehr „coole“ Musik und ein paar fantastische Stimmen entdecken…. Und noch was anderes: Dass sich zur damaligen Zeit das Repertoir der Musiker/innen in solchem Maße überschnitt, hat seine Gründe. Zum Einen waren die wenigsten Sänger/innen selber Songwriter, es war sogar so, dass Songwriter eine eigene Profession war, die das „Ausführen“ des Materials nicht beinhaltete, und man muss bei all den Überschneidungen in der songauswahl bedenken, dass Mitte der Fünfziger der Erwerb von Musik in Albumform eher ein Ereignis als Normalfall gewesen sein muss. Musik in dieser Form war ein Luxusgut – Weihnachts- oder Geburtstagsgeschenk etwa – und wer sich ein Album von Sarah Vaughn kaufte, hat sich nicht direkt noch das neue Album von Helen Merrill und Anita O’Day gekauft. Die Überschneidungen im Material fielen so kaum auf. Musik als Luxusgut… Heute unvorstellbar.

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