… In Alabama in den USA wird die Rassentrennung dank der Bürgerrechtler um Martin Luther King aufgehoben – sehr zum Missbehagen so macher rechter Kuttenträger, die McCarthy-Ära mit ihrer unerträglichen Verfolgung politisch links-denkender endet allmählich. In der BRD wird wieder ein Heer ausgebildet, in Nordafrika erlangen der Sudan, Marokko und Tunesien die Unabhängigkeit. Der Suez-Konflikt zwischen Israel und Ägypten bricht aus – ein weiterer Mosaikstein zum bis heute andauernden Konflikt im Nahen Osten. Fidel Castro landet in Kuba und beginnt seine Revolution gegen den Diktator Batista – und uuuh – die USA haben den kommunistischen Erzfeind nun direkt vor der Tür… Die Jugend der Nachkriegsjahre beginnt sich zu (er)regen. In diesem Jahr, das für Rockmusik so etwas wie die Geburtsstunde ist, werden Ian Curtis, Johnny Rotten, Peter Buck und Dwight Yoakam geboren und der Jazz Trompeter Clifford Brown stirbt. Aus Memphis kommen Töne, die ganze Generationen von Jugendlichen beeinflussen sollen. Elvis hat zwar zuvor schon beim kleinen Sun Label Aufnahmen gemacht, aber als er von RCA aus seinem Vertrag herausgekauft wird und dann in kürzester Zeit das Debüt Elvis Presley und kurz darauf das etwas ruhigere Album Elvis herausbringt, als er auch in der Öffentlichkeit und vor allem im Fernsehen wahrgenommen wird, tritt er eine Welle los, an deren Kraft zunächst niemand glaubt. Rock’n’Roll mag vorher schon da gewesen sein, aber jetzt beginnt der Siegeszug dieser Musik bei einem breiten, jungen Publikum für die nächsten 50-60 Jahre (…und ich kann das endlich an LP’s dokumentieren…). Ich will aber natürlich die weiteren Entwicklungen in anderen Genre’s wie Jazz und Country nicht vernachlässigen – die zwar noch vom juvenilen Rock’n’Roll getrennt existieren, sich aber gegenseitig beeinflussen, 1956 ist ein musikalisch ereignisreiches Jahr. Noch hat das „Album“ hauptsächlich im Jazz Bedeutung – die Jugend hört Radio oder kauft Singles und nur ab und zu eine LP. Neben der hier vorhestellten Musik gibt es noch etliche weit weniger jugendgefährdende Künstler,die ich nur hier mal kurz erwähne: Doris Day’s „Que Sera, Sera“ etwa ist ein Hit. Dean Martin, Bing Crosby mit Grace Kelly mit „True Love! – das ist noch sehr unschuldige, blütenreine Populärmusik, die ihren Wert hat, die aber hier keine weitere Rolle spielen soll.
Elvis Presley
s/t
(RCA, 1956)
Über das Jahr 1956 schreiben heisst über Elvis‘ Debütalbum schreiben – das ist mal klar. Der Junge aus Tupelo/ Mississippi war schon landesweit berühmt – oder sagen wir besser berüchtigt. Seine Singles hatten seit seinen Tagen bei Sun Records – seit „That’s All Right“ im Jahr ’54 – immer mehr Aufmerksamkeit erregt. Und seitdem er 1955 mit „Heartbreak Hotel“ einen landesweiten Chartserfolg hatte, seit er bei seinem Auftritt bei der Ed Sullivan-Show seinen „Pelvis“ hatte rotieren lassen und junge Mädchen in unheilige Ekstase gebracht hatte, war er ein nationales Phänomen, das nicht mehr ignoriert werden konnte – vor Allem, weil sein erstes Album sich als weit mehr präsentierte, als die übliche Hit-Compilation + Füllmaterial. Tatsächlich sind die Singles auf Elvis Presley nicht enthalten, das Album, das bei seinem neuen Label RCA veröffentlicht wurde, mag aus dem Material dreier verschiedener Sessions zusammengebaut worden sein – aber es war so gut, dass Elvis Presley nach zwei Monaten die Millionenmarke passierte. Und das, obwohl das Cover einen skandalös aufgelösten Jugendlichen zeigte!! Nun wurde auch dem letzten Spötter klar, dass Rock’n’Roll mehr war, als ein kurze Mode. Elvis präsentierte sich als Interpret in unterschiedlichen Stilen – das Album beginnt mit Carl Perkins‘ „Blue Suede Shoes“, da ist Ray Charles’ “I Got a Woman”, da wird Little Richards „Tutti Frutti“ beschleunigt, und das Ganze endet mit „Money Honey“ von den Drifters. All das wird eingesungen von einer Stimme, die sich noch nicht bewusst war, wie gut sie war – mit einer Band, die aus den besten Musikern dieser Zeit bestand. Ich frage mich jedesmal wenn ich diese LP höre, warum heutzutage Produktionszeiten von Monaten überhaupt notwendig sind. Letztlich fehlt hier Nichts!
Elvis Presley
Elvis
(RCA, 1956)
…und gerade mal sechs Monate später gab es das nächste Album – diesmal immerhin mit anständigem Cover, dazu mit ein paar Tearjerkern wie „Love Me“ oder „Old Shep“, die Elvis neben den Herzen der schon überzeugten Teenagern nun auch die Herzen ihrer Müttern zufliegen ließ. Dafür sind Rocker wie „Ready Teddy”, „Long Tall Sally” und “Rip It Up” (alle drei von Little Richard) noch härter als das Material auf dem Debüt. Elvis ist weniger konzis als sein Vorgänger – aber es ist nicht schlechter. Es wurde in gerade mal drei Tagen Anfang September ’56 in Hollywood aufgenommen und war ebenfalls als dulrchgehende Songkollektion gedacht, bei der die vorherigen Singles nicht enthalten waren. Natürlich landete Elvis im Januar ’57 auch auf Platz 1 der Charts. (Um die unverzichtbaren Singles zu bekommen muß man die Compilations Elvis Golden Records und 50,000,000 Elvis Fans Can’t Be Wrong: Elvis Gold Records Vol.2 erwerben und – sowieso zwingend – die Sun Sessions ). Elvis Presley wurde ab hier zur Ikone, zum All American Boy – und seine ersten beiden Alben sind das Fundament des Rock’n’Roll.
Johnny Burnette
Johnny Burnette & The Rock’n’ Roll Trio
(Coral, 1956)
Zunächst spielten die Brüder Johnny Burnette, Dorsey Burnette und ihr Gitarrist Paul Burlison aus Memphis Country & Western, aber die Burnette Brüder kannten Elvis, hatten mit ihm im selben Betrieb als Elektriker gearbeitet und beschlossen nun, mit der gleichen, jungen und temperamentvollen Musik Karriere zu machen. Tatsächlich erlangten sie bald lokale Berühmtheit, und nachdem Sun Records sie nicht wollte, bekamen sie einen Plattenvertrag beim kleinen Coral Label und nahmen innerhalb von nur drei Tagen eines der wildesten Debüt-Alben des Rock’n’Roll auf. Der für diese Zeiten unfassbar harte Fuzz-Sound von Burlisons Gitarre kam durch einen Unfall zustande: Bei einem Konzert hatte sich eine Verstärker-Röhre gelockert, der verzerrte Sound kam beim Publikum so gut an, dass man es einfach dabei beließ – und so Generationen von Gitarristen beeinflusste.„Train Kept-A Rollin’“ wurde später von den Yardbirds und Led Zeppelin gecovert, aber die Wucht der Version auf …& The Rock’n’Roll Trio blieb unerreicht. Auch der Rest der hier versammelten Rockabilly-Preziosen genügt höchsten Ansprüchen: „Honey Hush“ und „Lonesome Train“ muß jeder gehört haben, der wissen will wo Rockmusik beginnt. Im Grunde genommen ist mit diesem Album alles gesagt, was Wichtig ist im Rock’n’Roll. Tragisch nur, dass das Trio noch ’56 auseinander ging. Dorsey Burnette belieferte gemeinsam mit seinem Bruder als Songwriter etliche Rock’n’Roller – und u.a. bald auch die Everly Brothers. Dazu machte Johnny Burnette Karriere als weit leichtgewichtigerer Pop-Star ehe er 1964 bei einem Bootsunfall ums Leben kam. Dieses Album muß sich im Rückblick weder hinter den bekannteren Relikten seiner Zeit, noch hinter irgendeiner späteren konsequent „wilden“ Form der Rockmusik verstecken
Gene Vincent and His Blue Caps
Bluejean Bop !
(Capitol, 1956)
Gene Vincent war ebenso wie Elvis unter dem Einfluss von Country und Rhythm & Blues aufgewachsen, war früh bei der Army gelandet und hatte bei einem Motorradunfall eine so schwere Verletzung an seinem Bein davongetragen, dass es amputiert werden sollte. Vincent ließ das nicht zu und musste fortan mit Schmerzmitteln leben. Damit war seine Zeit bei der Army beendet und ab da konzentrierte er sich auf seine Karriere als Musiker. Mit der selbstverfassten Single „Be-Bop a Lula“ im Gepäck bekam er einen Vertrag bei Capitol und nahm mit seiner Begleitband The Blue Caps sein Debüt Bluejean Bop! auf. Neben seinem charakteristischen Gesang (mit Bandecho aufgenommen) waren es vor allem die quecksilbrigen Fills und Leads von Gitarrist Cliff Gallup, die den Sound des Albums prägen. Neben dem Debüt des Rock’n’Roll Trios von Johnny Burnette ist dieses Album zweifellos das musikalische Fundament des Rockabilly – und man kann auch heute noch beim Anhören attestieren – gegen den hier gebotenen Sound waren Elvis Alben harmlos und boten eher an ein Massenpublikum gerichteten Pop. Bluejean Bop! ist sparsamer und klarer im Sound als Elvis und wird eindeutig von einer eingespielten Band performt – nicht von Sessionmusikern – und was diesem Album im Songwriting mangeln mag, das hat es im Überfluß an Energie und Wucht. Damit sind dieses Album und das Album der Burnette-Brüder (für mich) der eigentliche Ursprung aller wirklich revolutionärer Tendenzen in der Rockmusik. Und mit dem nachfolgenden Album wurde Gene Vincent sogar noch besser…
Sister Rosetta Tharpe
Gospel Train
(Mercury, 1956)
Rosetta Nubin aka Sister Rosetta Tharpe wurde 1915 in Cotton Plant, AR als als Tochter der reisenden Predigerin und Gospelsängerin Katie Bell Nubin – genannt „Mother Bell“ – geboren und bekam ihre musikalische Ausbildung somit von der Wiege an vermittelt. Mit sechs Jahren meisterte sie die Gitarre, und schon in ganz jungen Jahren entwickelte sie – zunächst gemeinsam mit ihrer Mutter – eine Variante „religiöser“ Musik, die so manchen Puritaner vermutlich das heilige Grausen lehrte. Sie mixte Gospel mit R&B und einem eigenen, auch heute sehr modern klingenden Spiel auf der – Achtung! – elektrischen Gitarre. Die Titel „the original soul sister“, respektive „ the godmother of rock’n’roll“ hatte sie sich seit den ersten Erfolge in der Zeit vor dem 2. Weltkrieg redlich verdient – obwohl diese Bezeichnung spätestens ’56 durch Elvis und Konsorten eine Bedeutung bekam, die die streng religiöse Dame nicht entzückt haben mag – aber man muss darauf hinweisen: Elvis und Johnny Cash nahmen Songs von ihr auf, Chuck Berry und Jerry Lee Lewis benannten sie als Einfluss – vielleicht hatte die Dame auch einen freundlichen Blick auf die jungen Musiker dieser Generation. Sie war in jeder Hinsicht ein „Powerhous“, ihre raue, an Gospel geschulte Stimme, ihr feuriges Gitarrenspiel – all das übersetzt religiöse Musik vielleicht nur unwillentlich in puren Rock’n’Roll und in dieser Hinsicht mag man sie sogar als Kuriosum betrachten – denn Songs wie „Two Little Fishes Five Loafs of Bread“ sind natürlich Stoff für die Bibelfesten – aber die Art, wie das dargebracht wird ist dermaßen kraftvoll und begeistert, dass man fast erschrecken will. Begleitet wird sie auf Gospel Train von Schlagzeug, Klavier und Organ und über allem throhnt ihre Stimme, welchen Stil und welchen Hintergrund Tracks wie das rasante „Up Above My Head There’s Music in the Air“ oder „Fly Away“ haben, spielt letztlich keine Rolle. Dieses Album ist so positiv und energiegeladen, dass man mitgerissen wird.
Billie Holiday
Velvet Mood: Songs By Billie Holiday
(Clef, Rec. ’55, Rel. 1956)
Billie Holiday war und ist bis heute als Blues- oder Jazzsängerin unübertroffen und an ihrer Musik führt kein Weg vorbei. Sie revolutionierte den Gesangsvortrag, indem sie eine Tiefe vermittelte, eine persönliche Betroffenheit, die man zuvor höchstens bei Blues Sängerinnen wie Bessie Smith gehört hatte – die jedoch nie den breiten Erfolg hatten wie Lady Day in den 30ern und 40ern. Nach diversen Drogen- und Beziehungskatastrophen war sie in den Fünfzigern ins Abseits und in den emotionalen, finanziellen und gesundheitlichen Ruin gerutscht, ehe sie Mitte der 50er durch den Impressario und Label-Eigner Norman Granz wieder in Clubs und ins Studio geholt wurde. 1956 war sie mit ihren knapp vierzig Jahren vom Leben, insbesondere vonn Drogen und ihren kaputten und destruktiven Beziehungen gezeichnet – aber sie erreichte in dieser Zeit einen neuen Höhepunkt ihrer gesanglichen Fähigkeiten. Ihre Stimme war gebrochen, technisch nicht mehr auf dem Stand einer Ella Fitzgerald etwa. Aber – es liest sich böser, als es gemeint ist – sie griff virtuos auf emotionale Erfahrungen zurück, die man niemandem wünschen will – die es ihr aber offenbar möglich machten, tiefe Gefühle „singen“ zu können. 1955 nahm sie an zwei Tagen im August in New York einen ganzen Haufen Songs mit erlesener Begleitung auf: Benny Carter am Saxophon, Barney Kessel an der Gitarre, Harry Edison an der Trompete… Und sie alle trugen zu einer der fruchtbarsten – und am besten aufgenommenen! – Session bei, die es von Holiday gibt. Daraus wurden zwei LP’s destilliert: Music for Torching kam ’55 heraus, ’56 hieß es Velvet Mood: Songs By Billie Holiday. Man kann auch hier eigentlich nur empfehlen, sich ihre IMO definitiven Versionen von „Prelude to a Kiss“ oder „I Gotta Right to Sing the Blues“ (…stimmt…) anzuhören. Das ist reduzierter Jazz-Blues, in einer Art, die es NUR von Lady Day gab. Und es kam noch mehr in 1956…
Billie Holiday
Lady Sings The Blues
(Verve, 1956)
Das Album Lady Sings the Blues – das zum gleichen Zeitpunkt mit der gleichnamigen Biographie erschien – steht ebenso meilenweit über dem Rest der Alben all der Vocal-Jazz Interpreten der Stunde – obwohl oder gerade weil ihr bei so manchem Track regelrecht die Stimme wegbricht. Lady Sings the Blues hatte nicht einmal die Sound-Konsistenz von Velvet Mood, dieses Album wurde aus mehreren Sessions in den Jahren 54-56 zusammengestellt. Auch wieder aufgenommen, mit erstklassigem Personal wie Barney Kessel (g) oder Paul Quinichette (sax). Hier bekommt man neben dem exzellenten Titeltrack wieder eine ganze Reihe großartiger Takes: Hier ist endlich noch einmal eine Version von „Strange Fruit“, dem Klassiker aus den 30ern. Und auch „No Good Man“ oder „Some Other Spring“ sind fantastisch. An diese Klasse reichte niemand heran, weil niemand diese Tiefe zu vermitteln in der Lage war, auch wenn Lady Day technisch nicht mehr auf der Höhe war. Damals bemerkten die Jazz-Fans das, und Holiday war über die ständigen Vergleiche mit ihrem früheren Vortrag nicht erbaut… fand sich jetzt besser. Heute wird das (an)erkannt und die Alben zwischen ’52 und ’58 gelten als Meisterwerke der populären Musik…
Ella Fitzgerald & Louis Armstrong
Ella & Louis
(Verve, 1956)
… was die Leistungen anderer Sängerinnen aber nicht mindern soll: Bei Ella Fitzgerald etwa handelt es sich um die Art Vocal Jazz, bei der Technik gleichberechtigt neben dem Ausdruck steht: Ella’s Stimme war weit klarer, mädchenhafter und sicherer als die von Billie Holiday – obwohl sie mit 39 Jahren gerad mal 2 Jahre jünger war als Lady Day. Diese Sängerin sparte auch nicht mit Ausdruck, klang aber einfach „cleaner“ – was auch seinen Reiz hat. Die Kollaborationen Ella Fitzgeralds mit dem Über 50-jährigen Louis Armstrong bot eine andere Art von Vocal Jazz. Beide Musiker ließen sich auch von einer kleinen Combo begleiten, aber bei ihnen standen Songs im Vordergrund, die auch vom Unterschieden zwischen ihrer beider Stimmen getragen wurden. Auch hinter Ella & Louis stand Norman Granz: Der suchte ein paar Klassiker aus dem American Songbook aus und ließ die beiden von Oscar Peterson und seinem Quartett begleiten. Ein Rezept, das exakt so noch zwei weitere Male benutzt wurde – mit sowohl künstlerischem wie kommerziellem Erfolg. Und natürlich – die Stimme Fitzgeralds war über jeden Zweifel erhaben und in Kombination mit Satchmo’s Trompete und dem rauen Timbre seines Sprech-Gesangs konnte eigentlich nichts schief gehen – weiss man heute… Denn bei dieser Paarung bekamen Songs wie „Moonlight in Vermont“ oder „Cheek to Cheek“ eine zusätzliche Dimension. Tatsächlich hatten Armstrong und Fitzgerald schon in den Vierzigern auf ähnliche Weise zusammengearbeitet und waren somit miteinander vertraut. Ein Umstand, der geholfen haben mag, Ella & Louis und vor allem den Nachfolger Porgy & Bess zu einem solchen Highlight des Vocal Jazz zu machen.
Ella Fitzgerald
Sings The Cole Porter Song Book Vol. 1
(Verve, 1956)
Nachdem sie im Film Pete Shelley’s Blues mitgewirkt hatte, war Ella Fitzgerald ebenfalls beim aufstreben-den Jazz Label Verve untergekommen. Und hier begann sie unter der Ägide des umtriebigen Norman Granz mit dem Projekt „American Songbook“. Über mehrere Jahre nahm sie definitive Versionen diverser Songs großer amerikanischer Komponisten auf. …Sings the Cole Porter Songbook ist somit nur das Erste in einer ganzen Reihe von fantastischen Alben – inzwischen ein Standardwerk des Vocal Jazz. Ihre Interpretationen von Songs wie „I Get a Kick Out of You“, „Ev’ry Time We Say Good-Bye“, Begin the Beguine“, oder „Night and Day“ sind fehlerlos – große Kunst, voller Liebe zum Material und von einzigartiger Klarheit. Tatsächlich klangen ihre Interpretationen des wunderbaren Materials Cole Porters‘ so klar, dass sie fortan mitunter als Vorlage zum Lernen der englischen Sprache genutzt werden sollten. Heute mag die instrumentale Begleitung des Buddy Bregman Orchestra etwas unmodern klingen, aber sie hat einen unzweifelhaft nostalgischen Reiz, und Ella sollte in dieser Hinsicht nicht stehenbleiben – zumal ihre klare Stimme über jeden Zweifel erhaben ist….
Ella Fitzgerald
Sings the Rogers and Hart Song Book
(Verve, 1956)
… Der Nachfolger …Sings the Rodgers & Hart Songbook – aufgenommen nach dem Intermezzo Ella & Louis – bot instrumental ein ähnliches Setting – und die Songs vom Kompositions-Team Richard Rodgers und Lorenz Hart sind natürlich ebenfalls Klassiker: Ella sang hier bekannte Standards wie „My Funny Valentine“, „The Lady Is a Tramp“, „Where or When“,“Little Girl Blue“ und brachte damit diese Songs und ihre Autoren aus den 30ern und 40ern einem jüngeren Publikum wieder in Erinnerung – Rodgers lebte 1956 noch, Hart aber war bereits 1943 an einer Lungenentzündung verstorben. Norman Granz übernahm abermals die Produktion, es gab Songs im Big Band Modus, rhythmisch beschwingt und schnell, langsamere Songs in Orchesterbegleitung, und vor allem gab es ein weiteres Mal eine der besten Sängerinnen der 50er Jahre – und damit eben eine der Besten überhaupt. Ella war zu diesem Zeitpunkt stimmlich in der Form ihres Lebens, nicht so verletzt und ergreifend wie Billie Holiday – und daher manchmal für meinen Geschmack etwas zu „technisch“ – aber die Interpretationen waren wieder fehlerlos. Auch dies ist ein Doppelalbum und für beide Alben gilt: Am besten in Portionen genießen. Sie zählen zu den Highlights der Musik der 50er.
The Charlie Mingus Jazz Workshop
Pithecantrpous Erectus
(Atlantic, 1956)
Pithecanthropus Erectus ist Charles Mingus‘ Durchbruch als Bandleader – das Album, das ihn als fantasievollen Komponisten etablierte, der zwar ambitionierte moderne Konzepte verfolgte, der aber zugleich tief in der Jazz-Tradition verwurzelt war. Er hatte die Regeln des Swing und Bop (kennen)gelernt, und suchte nun – abenteuerlustig und unruhig wie er war – Wege, die Kunstform Jazz auszuweiten, indem er sich und seine Begleiter dazu ermunterte, alle erlernten Konventionen links liegen zu lassen. Dazu gehörte in dieser Zeit wohl auch ein gewisser Größenwahnsinn – aber damit war Mingus reichlich gesegnet. So ist das Titelstück ein vierteiliges Konzeptwerk über die Entwicklung des menschlichen Geistes, das durch ein sich wiederholendes Thema zusammengehalten wird, unterbrochen von frenetischen Ausbrüchen, die zum Schluss in kontrolliertem Chaos enden. Wichtig sind bei diesem Concept-Piece nicht die instrumentalen Fertigkeiten der Solisten, sondern der Geist hinter dieser Musik – was mir persönlich im Jazz immer lieber sein wird. Und allein eine instrumentale Suite thematisch so bildhaft auszuführen, ist ein Kunststück. Genauso gewagt seine Version von George und Ira Gershwins‘ „A Foggy Day (In San Francisco)“ incl. Saxophonen, die Autohupen nachahmen, bimmelnder Strassenbahn, Polizei-Trillerpfeifen etc…. Mingus‘ absurder Humor würde immer zu seinem Charakter und zu seiner Musik gehören, und diesen Humor lebte er hier aus. Man kann das Album als eine Reihe von in Klang gegossen Portraits und Bildern anhören. Mingus passte die Arrangements an die Stärken seiner Musiker an, brachte ihnen ihre Parts nicht in Noten, sondern in Worten und Gesang, durch das Vermitteln von Gefühlen bei. Eine Technik, die er Duke Ellington abgeschaut hatte. Hier präsentierte er sich erstmals als eigenständiger Großmeister. Von ihm kam in den kommenden Jahren noch unermesslich viel.
George Jones
Grand Ole Opry’s New Star: Country Song Hits
(Starday, 1956)
Aber es gab ’56 ja nicht nur Jazz und Rock’n’Roll – in der Country-Musike betrat nun mit George Jones ein junger Mann die Bühne, dessen Stimme nach Meinung vieler Musiker zu den besten des Genre’s zählt. Grand Ole Opry’s New Star: Country Song Hits war George Jones‘ erstes Album nach diversen Single-Hits – und somit auch wieder eher eine Single-Compilation. Der Titel bezog sich – als eine Art Klammer über die recht unterschiedlich aufgenommenen Songs – auf die ersten großen Auftritte des Sängers in der Grand Ole Opry. Immerhin ist hier schon Alles angelegt, was seinen legendären Status als Country – Gesangsstilisten ausmachen sollte. Man muss darauf hinweisen: Jones hat sich in seiner langen Karriere nie mehr weit vom hier abgesteckten Terrain fortbewegt – lediglich in genau diesem Jahr 1956 hatte er einen kleineren Hit mit dem Rockabilly von „How Come It“ – ein interessanter Hinweis darauf, was damals los war – und zu was er fähig war. Jones war als jüngstes von acht Kindern in ärmlichen Verhältnissen in Texas aufgewachsen, hatte – wie so viele andere Countrymusiker seiner Generation – Hank Williams und Gospelmusik studiert, sich seine Sporen bei Auftritten und den damals üblichen Live-Übertragungen diverser Radiostationen verdient und dabei die Aufmerksamkeit des Labeleigners Pappy Daily erregt, der ihn unter seine Fittiche nahm und hier seine erste LP veröffentlichte. Im Gegensatz zu späteren Alben (…und deren Zahl ist Legion….!) hatte Jones in diesem Fall noch an den Songs mitgeschrieben, sein „Why Baby, Why“ würde zum veritablen Klassiker werden, es gibt neben dem Hit noch ein paar flotte Songs mit leichtem Rockabilly Drive, das komplette Album klingt jedoch wie gesagt uneinheitlich, da es an diversen Orten aufgenommen wurde. George Jones mag in den kommenden Jahren bessere Alben gemacht haben – vor allem einheitlichere – aber man hört sofort, was für ein großartiger Interpret da aus den Startlöchern kam.
The Louvin Brothers
Tragic Songs of Life
(Capitol, 1956)
Man nennt die Harmoniegesänge von Geschwistern in der Countrymusik auch „Close Harmony“ – ein Gesangsstil, der in den 30er- und 40er- Jahren mit Musikern wie den Delmore Brothers und den Blue Sky Boys (= Bolick Brüder) immens populär war. Insbesondere in den christlichen Radioprogrammen des mittleren Westens der USA wurden deren Songs gehört, und in dieser Musik war außer den fein ziselierten Harmonien beileibe nicht alles nur himmelhoch jauchzend. Die Geschichten, die da gesungen werden, sind oft finster, handeln von Sünde, Mord und Totschlag. Im kommende Jahr schon würden Don und Phil Everly diesem Gesangsstil einen gewaltigen Popularitätsschub verpassen, indem sie ihn mit leichtgewichtigem Rock’n’Roll und Pop vermengten – 1956 aber waren die beiden Teenie-Schwärme noch nur im Radio hörbar, und die um zehn Jahre älteren Brüder Ira und Charlie Louvin bedienten mit ihren „Close Harmonies“ auf ihren beiden ersten Alben zunächst einmal ein weniger pubertäres, eher religiöses Publikum. Ira’s hoher Tenor, Charlies tieferer Gesang, dazu ein Folk- und Country-Backing mit Dobro, Mandoline, Gitarre – das Rezept war einfach und effektiv, und dazu kamen Songs wie „In the Pines“ – das später von Dylan gespielt wurde und auf Nirvana’s Unplugged Album als „Where Did You Sleep Last Night“ (angeblich von Leadbelly) gecovert werden sollte. Dylan wurde nie müde, die Brüder zu loben und die Musik auf Tragic Songs of Life ist in der Tat erstaunlich. Was auf den ersten Blick nach altertümlicher Countrymusik klingt, erzählt dunkle Geschichten und desperate Love-Stories wie den Tearjerker „Katie Dear“, der mindestens Romeo und Julia zum Vorbild hat, oder die brutale Mordgeschichte um das „Knoxville Girl“… – und wenn die Louvin Brothers dann Religion mit Leidenschaft vertauschen, sind sie noch besser, weil tiefgründiger, als ihre Vorgänger oder Nachfolger. Tragic Songs of Life gilt als das beste Album der Louvin Brothers (dicht gefolgt von Satan Is Real und ihrem Tribut an die Delmore Brothers), es ist ein Beispiel für eine Art von Musik, die zehn Jahre später von den Byrds oder Gram Parsons wieder populärer gemacht wurde, eine Musik, die Greil Marcus in seinen Büchern dem „alten, mythischen Amerika“ zuordnet, es ist Musik voller Leidenschaft, und die Harmoniegesänge der beiden Brüder sind von berückender Schönheit. Dass insbesondere der jüngere Bruder Ira später zum vier-mal verheirateten Schläger und Säufer wurde, der 1965 bei einem Autounfall starb, gibt die passende Prise Tragik dazu. Fast so wichtig wie Elvis Presley, aber tragischer (lol).
Die Geburt des Rock’n’Roll ?
Die Wurzeln des Rock ’n’Roll liegen in Blues – seinerzeit auch Race Music genannt – sowie in Country bzw. Folk – auch Hillbilly genannt – also in der Musik der schwarzen Afro-Amerikaner (oder Neger – damals hieß das noch ganz offen so) und in der Musik der Hinterwäldler, der Nachkommen der aus Europa Zugewanderten. Wann genau bei der Kopulation beider Arten von Musik der Rock’n’Roll entstand, darüber kann man natürlich trefflich streiten, es gab Musik die man so nennen kann sicher schon weit vor Elvis ersten Aufnahmen bei Sun. Als er 1954 in Memphis seine famosen Singles aufnahm, schöpfte er schließlich seinerseits schon aus einem Fundus – eben alten Blues und Country-Songs, deren Herkunft – ob „weiss“ oder „schwarz“ – ihm wohl herzlich egal war. Aber die Idee einen bestimmten Rhythmus dazu zu spielen, das Tempo anzuziehen, dürfte seine eigene – bzw. die seiner Mitstreiter gewesen sein, und sie dürfte in seinem Naturell und vor Allem in seiner sensationellen Stimme begründet sein. Ich vermute er hat seine Band – den großartigen Gitarristen Scotty Moore und den Bassist Bill Black – dorthin getrieben, wo sie mit Songs wie dem epochalen „Mystery Train“ dann hingelangten. Es gab damals eine gewisse Gleichzeitigkeit, als etwa das Johnny Burnette Trio oder auch ein Schwarzer namens Chuck Berry dieselbe Art von Musik mit diesem ganz speziellen Rhythmus aufnahmen. Johnny Burnette kannte Elvis immerhin persönlich und hatte seine Musik sicher gehört – zumal sein Auftritt im Fernsehen bei der Ed Sullivan Show landesweit Thema war, Aber Musik dieser Art wurde noch selten im Radio gespielt und weder Burnette, noch der großartige Rockabilly Pionier Gene Vincent hatten mehr als einen kurzen Erfolg mit ein paar Singles. Ein paar Monate später würden noch Musiker wie Buddy Holly und Eddie Cochran mit vergleichbaren Klängen die aufrührerische Jugend jener Zeit erregen, aber als Elvis gerade mal 20 Monate später zur Army musste, als Buddy Holly und Richie Valens (ein Rock’n’Roller mit mexikanischen Wurzeln, dessen „La Bamba“ bis heute bekannt sein sollte…) bei einem Flugzeug-Crash umkamen, schien es vorbei mit der ersten Welle des Rock’n’Roll in den USA. Immerhin war diese Welle jetzt nach England geschwappt, wo sich Vincent und Cochrane ein treues Gefolge erspielten und Adepten wie Cliff Richard und Billy Fury ihre Musik an die Vorbilder aus den USA anlehnten. Musiker wie Chuck Berry oder Bo Diddley haben – meines Wissens – in diesen Zeiten als „Schwarze“ ihre Probleme bei einem weissen Publikum gehabt, da die Rassentrennung noch immer Fakt war – zumal ihr Rock’n’Roll tiefer im Blues verwurzelt war und mit Elvis wenig zu tun hatte. Aber eines ist klar: Mitte der Fünfziger lag Rock’n’Roll in der Luft, weil eine junge Generation nach etwas anderem, wilderem als der Musik der Eltern-Generation verlangte. Dass der Elan und die Wucht dieser Musik Ende der Fünfziger brach und erst einmal Platz machte für „leichtere“ Musik, hat mit besagten Gegebenheiten zu tun – und mit einem wieder-erstarken konservativer Werte in der US-Gesellschaft. Immerhin: der erste Schritt Richtung Differenzierung – Richtung Revolte/Protest in Form von Musik – war getan.