Das Wichtigste in 1982 – Der Falklandkrieg, Kohl und der Commodore 64 – Bruce Springsteen bis The Gun Club

In diesem Jahr beginnt der sinnlose Falklandkrieg zwischen England und Argentinien und Israel zettelt den Libanon-Krieg an, um die Palästinensische Befreiungsorganisation PLO zu zerschlagen, In Deutschland wird nach einem Misstrauensvotum gegen den bisherigen Kanzler Helmut Schmidt und dessen SPD/FDP Koalition der konservative Oggersheimer Saumagen Helmut Kohl (für eine Ewigkeit) zum Bundeskanzler der damaligen Bundesrepublik.

Zugleich findet die größte Friedensdemo Deutschlands gegen die atomare Aufrüstung der NATO und gegen US Präsident Ronald Reagan statt – die wohl hauptsächlich diejenigen besuchen, die Kohl NICHT gewählt haben. Das erste Kunstherz wird erfolgreich eingepflanzt und der erste Commodore 64 Computer kommt auf den Markt. Im Kino läuft Poltergeist von Steven Spielberg und Blade Runner von Ridley Scott und Gabriel Garcia Marquez erhält den Literaturnobelpreis für seinen Roman „Hundert Jahre Einsamkeit“. Lightnin‘ Hopkins, Thelonius Monk, Alex Harvey und der Pianist Glenn Gould sterben. Mit Thriller von Michael Jackson erscheint eine der erfolgreichsten Platten der Pop-Geschichte (über deren Qualität ich berichten werde, obwohl ich sie nicht mag), in New York beginnen Menschen mit einer ganz neuen Art von Musik. Sie reimen über Beats und Tonspuren verschiedenster Quellen Texte, die sich mit ihrem Leben im Ghetto befassen – aber diese ersten Schritte des HipHop sind noch unbeholfen und finden – bis auf das erste HipHop Album von Grandmaster Flash – hier keinen Platz. Der US-Underground ist aber auch in anderen Bereichen ziemlich rege, zwar kommerziell (noch) nicht sonderlich erfolgreich, aber mit einigen sehr interessanten Platten von Acts wie Mission of Burma, Descendents, Bad Brains etc…. Die etablierten New Wave Bands der letzten Jahre aus dem United Kingdom hingegen stagnieren (mit Ausnahmen) auf immerhin hohem Niveau, dafür erreicht die New Wave of British Heavy Metal – ausserhalb der Coolness Fraktion – einen klaren Höhepunkt mit ein paar ganz hervorragenden Alben. Bruce Springsteen überrascht mit seinem kargen, reduzierten Meisterstück und das Folk-Ehepaar Richard & Linda Thompson vertont spektakulär die Katastrophe und auch Lou Reed ist wieder da und Captain Beefheart meldet sich noch ein letztes mal, ehe er sich ganz der bildenden Kunst zuwendet. ’82 ist kein Jahr mit vielen, aber dafür mit einigen sehr guten Platten – die 80er eben – die ja auch so unnötiges hervorbringen wie die „Supergroup“ Asia, oder den inzwischen so banalen Wohlfühl-Pop des Alan Parsons Project oder den künstlerischen Niedergang und kommerziellen Aufstieg von Steve Miller, Paul McCartney, Joe Cocker oder Fleetwood Mac (Deren Alben aber – wie so Vieles – irgendwann auch wieder eine Neubewertung erfahren – diese Moden…) Egal… ab jetzt nur noch interessante Musik.

https://music.apple.com/de/playlist/der-gro%C3%9Fe-rockhaus-1982/pl.u-KVXBBaPtZPeajl8

Bruce Springsteen
Nebraska

(CBS, 1982)

Cover-Foto – David Kennedy

Zwischen November 1957 und Ferbruar 1958 ermordeten der 19-jährige Charlie Starkweather und seine gerade mal 14 Jahre alte Freundin Caril Ann Fugate während eines Trips durch die USA elf Personen. Die Gründe für ihre Taten sollten allerdings für Immer im Unklaren bleiben: Als der Richter sie in der Befragung zum Prozeß darauf ansprach, antwortete der junge Starkweather: „Well Sir, I guess that’s just a lot of meanness in this world“. Starkweather endete in seiner Heimatstadt Lincoln, Nebraska auf dem elektrischen Stuhl, die Geschichte ging auf ähnliche Art in das Unterbewusstsein Amerika’s ein, wie die Story von „Stagger Lee“. Und Bruce Springsteen. Chronist des American Dream, hatte die düstere Story – und noch ein paar andere Moritaten – in Texte und Songs gefasst und zuhause auf 4-Track-Tapes nur mit Gitarre und Mundharmonika aufgenommen. Mit diesen Tapes ging er ins Studio um den Nachfolger zu The River mit der E-Street Band einzuspielen. Aber er fand auf den Demo-Tapes etwas ganz besonderes. Es herrschte eine Stimmung, die er – wie er klugerweise fand – mit seiner Band niemals so reproduzieren konnte: Eine desolate, düstere Atmosphäre, die für Songs wie Diese einfach perfekt war. So entschied er sich, nicht etwa die fertigen Aufnahmen mit der Band zu veröffentlichen (bei denen ganz nebenbei schon „Born in the U.S.A.“ enthalten war), sondern ein Album in der rohen Demo-Form freizugeben. Nebraska.- Eine Platte, schlecht aufgenommen, kaum gemastert, heimgesucht von den Geistern des amerikanischen Albtraums. Genau deshalb: Ein Meisterstück.

Richard & Linda Thompson
Shoot Out The Lights

(Hannibal, 1982)

Foto – Gered Mankowitz. Hat etliche Cover
britischer Bands fotografiert. Z.B. Red von
King Crimson

Auch Shoot Out the Lights behandelt wahrlich keine besonders angenehmen Angelegenheiten.Es scheint ein klassisches Trennungsalbum zu sein – und tatsächlich lag die Ehe zwischen Richard und Linda Thompson zum Zeitpunkt der Veröffentlichung in Trümmern, und unweigerlich meint man dies aus den Songs herauhören zu können. Tatsache aber ist: Die meisten Songs zu diesem Album waren schon zwei Jahre zuvor mit Gerry Rafferty als Produzenten aufgenommen worden – und darüber, ob die Beziehung des Paares da schon so desolat war wie es nach den Themen ihrer Songs scheint, kann man nur spekulieren. Ich gebe zu bedenken, dass die Lyrics von Richard Thompson nie sonderlich aufbauend waren. Letzterer war mit der ersten, von Gerry Rafferty aufgenommenen Version des Albums so unzufrieden, hatte vor Allem dessen zeitraubenden Perfektionismus so satt, dass froh war, als ihn Folk-Spezialist Joe Boyd auf sein Hannibal Label holte und ihn einlud, die Songs komplett neu aufzunehmen. Tatsache ist gleichfalls, daß Linda Thompson sich bei den neuen Aufnahmen kaum mehr in der Lage sah, zu singen. Sie war schwanger und hatte eine Art Stimm-Blockade – was man den Songs allerdings nicht anhört. Jedenfalls passten die desperaten Texte nun besser zu Beider emotionalem Zustand und nach der anschliessenden Tour zum Album trennte sich das Ehepaar und Linda Thompson stoppte ihre Karriere für über 20 Jahre. Das Wichtigste aber ist: Shoot Out the Lights gehört zu den besten Platten der 80er – mindestens. Vom aufwühlenden „Walking on a Wire“ über das zärtliche „Just the Motion“ bis zum bis zum finsteren „Wall of Death“ ist hier jeder Song perfekt geschrieben, wütend, mitreissend und schmerzhaft emotional. Und dann ist da noch das zentrale Titelstück mit seinem apokalyptischen Gitarrenworkout. Das finale Meisterstück eines Musiker-Paares, das nie etwas Schlechtes hervorbrachte – und dem man hier mit einer Mischung aus Faszination und Entsetzen zusehen konnte, wie es grandios in Flammen aufging.

The Cure
Pornographie

(Fiction, 1982)

Design – Ben Kelly. Berühmt für seine Arbeit mit dem Factory-Label

Nach dem grauen Bleiklumpen Faith nun ein noch düstereres Werk von The Cure. Pornography ist – wie der Vorgänger – so etwas wie die Fortsetzung des Proto-Goth-Rock, und wurde zur damaligen Zeit – genau wie der Vorgänger – von der Kritik zunächst zerrissen, aber von den Fans in die Top Ten gekauft. Nun – inzwischen wird Pornography von mehr als nur diesen Fans als Klassiker der Band betrachtet – und auch die mitunter etwas wankelmütige Journalistenzunft hat die Klasse des Albums (an)erkannt. Ja, der Sound ist verwaschen, die Songs mäandern um kreiselnde Gitarrenfiguren. Da ist zuviel von Allem, nur machmal zu wenig Song. Aber das macht den Reiz dieser Platte aus… Zumal dieses Album sogar ein paar Veränderungen bietet! Wo Faith nur melancholisch war, ist Pornography auch noch kalt, die Atmosphäre ist um einige Facetten reicher, nicht mehr so monochrom grau, sondern mit Schattierungen von Schwarz durchsetzt. Und dass Robert Smith nicht in der Lage war, seine Pop-Sensibilität, sein Händchen für gute Melodien komplett auszuschalten, war jetzt wieder deutlich zu erkennen. „The Hanging Garden“ wurde natürlich auch zum Hit, man fragt sich nur, was man zu dieser Musik machen kann…. Ganz langsam tanzen? Nachdenken? Vielleicht bald Sterben ? Für Viele ist diese LP – mehr noch als der Vorgänger – kathartisch, und eben das macht ihren Reiz aus. Man muß zugegebenermaßen erst durch diesen Brocken hindurch. Aber dann kann man tatsächlich hoffen, dass dort am Ende ein Licht zu finden ist.

John Cale
Music For A New Society

(ZE Rec., 1982)

Design – Rob O’Connor. Damals sehr angesagter Cover-Gestalter

Music for a New Society hat aus verschiedenen Gründen einen massiven Kult-Status in der Diskografie John Cale’s. Zum einen war es über lange Jahre nur als LP erhältlich und zum anderen gilt es als eines von Cale’s schönsten und gleichzeitig extremsten Alben – an denen seine Diskografie nicht arm ist. Die Bedingungen waren 1982 eigentlich gar nicht schlecht. Die Vorgänger Honi Soit und Sabotage/Live – auf Cale’s eigenem Label veröffentlicht – waren recht erfolgreich gewesen, aber Cale war in den letzen Monaten alleine, ohne Begleitband aufgetreten, und so hatte er die Idee, ein Album nur mit Piano aufzunehmen. Sein neuer Label-Chef schlug vor, die Songs dazu live zu improvisieren. Eine Erfahrung, die Cale dereinst schon mit Nico’s Marble Index gemacht hatte. Nun aber war er als Schreiber, Arrangeur und (fast) alleiniger Ausführender ganz allein. Cale selber bezeichnete die Erfahrung zwar als „tortouos“, war aber auf das Ergebnis zugleich sehr stolz. Die aufgenommenen Tracks sind minimalistisch, selbst wenn er sich bei „Changes Made“ vom Blue Öyster Cult Gitarristen Allan Lanier begleiten lässt, und auch wenn Percussion hier und da so etwas wie Struktur andeuten. Die Songs selber sind fragmentarische. Es sind bis auf die Knochen enfleischte Ideen, am besten erkennbar beim desperaten „Close Watch“, das er auf Helen of Troy weit ausführlicher dargeboten hatte, das hier auf’s Allernotwendigste reduziert in noch dunklerer Schönheit strahlt. Da ist der Opener „Taking Your Life in Your Hands“, der so ruhig, elegant und zurückhaltend klingt, der aber die dunkle Geschichte einer Mutter verbirgt, die Selbstmord begehen will. Die Schönheit der Arrangements und die angedeuteten Melodien können kaum die Düsternis der Texte verhüllen, Cale’s getriebene Stimme evoziert Desaster an allen Fronten und es endet mit der Vorhersage einer kalten Welt – „a stronger world, a stronger loving world… to die in.“ Dass Music for a New Society nicht den erhofften Erfolg hatte, liegt sicher daran, dass es sich ausserhalb der „normalen“ Rockmusik seiner Zeit positionierte. Als Vergleich fiele mir Scott Walker’s Tilt ein, aber das kam Jahrzehnte später. Cale verlegte seine Musik danach in die Karibik – Music for a New Society blieb ein dunkel schimmernder Solitär, die 2006er Reissue mit Neubearbeitung lohnt allein wegen des Originals.

Elvis Costello & The Attractions
Imperial Bedroom

(F-Beat, 1982)

Artwork – Sal Forlenza aka Barney Bubbles. Cover für Brinsley Schwartz, Costello, Psychedelic Furs etc…

Das beste Album Elvis Costello’s zu finden ist schwierig – es gibt zu viele Kandidaten für den Spitzenplatz. Aber sein siebtes Album – Imperial Bedroom – hat gute Chancen ganz oben zu rangieren. Er hatte Punk – dem er sich nie wirklich zugehörig fühlte – schnell hinter sich gebracht, auf dem letzten Album seinen Country-Heroen gehuldigt und inzwischen wohl ausreichend Material für ein Meisterstück angesammelt. Dann rief er wieder seine Attractions zusammen, holte ein paar Bläser dazu, und zeigte was für Variationsmöglichkeiten er inzwischen drauf hatte. Immer noch war er gallig und voller Zorn, aber selten vertonte er das besser als bei „Shabby Doll“, dagegen war „Almost Blue“ traurig, „Beyond Belief“ voller Verve, und die Texte trafen da, wo es wehtat. Es ist ein Album mit Pop im klassischen Tin Pan Alley Stil, die Musik fließt bei aller Komplexität mühelos und elegant dahin – so sehr, dass man die bitteren Texte fast überhört – und die Band spielt mit einer energetischen Virtuosität, die im Punk unerwünscht wäre, die auf jahrelanger Erfahrung beruht…. dazu hatte er mit Geoff Emerick einen Produzenten, der als Ton-Ingenieur beim Sgt. Peppers der Beatles dabei gewesen war. Der veredelte Songs wie „Town Cryer“ mit singenden Strings. Imperial Bedroom war Costellos ambitioniertestes Album – und er scheiterte nicht an seinen Ambitionen. Zum Beweis: Uptempo-Songs wie „The Loved Ones“ und „Man Out of Time“ oder Charakterstudien wie „The Long Honeymoon“ und das oben genannte „Shabby Doll“ mit der Selbstbezichtigung: „Being what you might call a whore/ always worked for me before“ – Nur mit dem 86er Album Blood & Chocolate hat er meiner Meinung nach noch einmal ein so perfekt durchdachtes Album gemacht – seiner Stimme allerdings habe ich bis heute nicht viel abgewinnen können. Der Punkt, der mich bei seiner Musik am meisen stört…

The Fall
Hex Enduction Hour

(Kamera, 1982)

Cover – Mark E. Smith, Alan Skinner

Warum ich jetzt endlich das vierte Studio-Album von The Fall in die Riege der tollsten Platten eines Jahres aufnehme? Weil Hex Enduction Hour die erste Platte war, die ich mir von dieser seltsamen Band gekauft habe und weil sie – unabhängig davon – zu ihren Besten gehört, und weil es keine andere Band gibt, die über ihre gesamte Karriere hinweg so eigenständig blieb – wobei zu erwähnen ist, dass The Fall Mark E. Smith + irgendjemand ist. Die ersten ACHT Alben von The Fall sind unverzichtbarer Bestandteil im Kanon der kompromisslosen, intelligenten, unterhaltsamen, schwierigen Musik (nach Punk) – und etliche Alben nach der No. 8 – This Nation’s Saving Grace (’85) – gehören auch noch dazu. Kein Wunder, dass Mark E. Smith vom Geschmacks-Weltmeister und Kult DJ John Peel fast kritiklos bewundert wurde. Das schon ’81 entstandene Hex… beginnt mit dem wunderbaren Basslauf des passend betitelten „The Classical“. Dann kommt der „Hip Priest“, der zum Kotzen, atonal und zugleich unverschämt eingängig ist. Da ist natürlich Smith’s immer gleicher, immer variierter Sprech-Gesang (er singt nicht, er schimpft und ruft und murmelt), dem man – selbst wenn man nicht auf die Worte achtet – anhört, dass er vor Zynismus trieft. Dann kommt ein weiterer Fall-Hit namens „Fortress / Deer Park“, der mit einem Zitat von Trio’s „DaDaDa“ beginnt, dann kommt irgendwann der Marsch durch den „Winter“ – und die Band spielt all diese scheinbar improvisierten Tracks zugleich erstaunlich tight und kraftvoll. Insbesondere der omnipräsente Bass von Steve Hanley, dem Bruder von Drummer Paul Hanley, ist wundervoll, gibt den Tracks eine Kraut-Rhythmik, die seinerzeit einzigartig war. Dass Smith die deutsche Band Can immerhin ganz nett fand, wird hier deutlich. Hex… ist ein Referenzalbum von The Fall

The Fall
Room to Live (Undilutable Slang Truth)

(Kamera, 1982)

und schoben neben einem Live Album (A Part of America Therein) ein weiteres Studio-Album hinterher. „Ausverkauf!“ zu schreien wäre bei jeder anderen Band vielleicht angebracht – von Mark E. Smith wäre man vermutlich ausgelacht und angespuckt worden. Und man täte Room to Live tatsächlich unrecht, wenn man als „kleinen, ungeliebten Bruder“ von Hex… ansieht. Smith hatte genug zu schimpfen: Er ging mit der Band ins Studio, eigentlich um eine Single aufzunehmen. Heraus kamen mehrere Tracks wie z.B. „Marquis De Cha Cha“, ein zynischer Kommentar zum Falkland-Krieg, das schön ironische Abwatschen sog. TV-Experten bei „Solicitor in Studio“ gehört zu Smith’s besten Texten – und es lohnt sich, bei ihm hinzuhören, auch wenn es schwer ist, sein Gemurmel zu verstehen. Such‘ die Texte im Internet. Ich liebe auch das Bass-getriebene, etwas unheimliche „Detective Instincts“ – wieder eine neue Facette im Kosmos von The Fall. Und auf der seltsamen Improvisation „Papal Visit“ dilettiert Smith auch noch auf der Violine. Die Stimmung hier ist etwas schwärzer, die Songs länger, das komplette Album dauert aber gerade mal 36 Minuten. Es hätte sozusagen als dritte LP-Seite an Hex… gepasst. Aber es ist in meinen Augen genauso gelungen wie der Vorgänger. Man sagt ja, The Fall gehören zum/spielen Post-Punk, aber dem „Stil“ wurden sie meiner Meinung nach nur aufgrund der zeitlichen Zusammenhänge zugeordnet, sie waren im Grunde von Beginn an frei von stilistischen Grenzen. Ich denke, Mark E. Smith – der The Fall IST – entstammt zwar einer bestimmten Zeit und gesellschaftlichen Schicht mit all ihren Einflüssen, aber er nutzte von Beginn an selbstbewusst alle Stilmittel und Themen, die ihm gerade passend erschienen und er hätte zu jeder Zeit einzigartig geklungen: Es gibt Rockmusik, es gibt Post-Punk – und es gibt The Fall….

XTC
English Settlement

(Virgin, 1982)

Auf dem Cover ist das prähistorische Bodenkunstwerk „White Horse of Uffington“ abgebildet. Ein Symbol englischer Kultur

XTC hatten wischen 1978 und 1980 in kürzester Zeit vier Alben veröffentlicht, waren trotz Andy Partridge’s katastrophaler Bühnenangst live unterwegs gewesen – und waren danach offenbar ziemlich ausgebrannt. Also nahmen sie sich 18 Monate Auszeit und gingen ins Studio, um ihre Ideen etwas besser auszuformulieren -und veröffentlichten dann ein Mammutwerk. 72 Minuten Pop in Perfektion mit wachen, politischen Texten und einer gewaltig erweiterten Klangpalette. Was für Manche auch der einzige Kritikpunkt bei English Settlement war – manchmal wurde der Song den Sounds zuliebe weiter ausgedehnt als es ihm gut tat. Aber Andy Partridge selber nannte das Studio nicht umsonst einmal einen Süßwarenladen, in dem er an keiner Leckerei vorbeigehen konnte. Aber was macht es denn auch, wenn eine Preziose wie „Senses Working Overtime“ eben nicht nur 2 1/2 Minuten dauern… und auch „Melt the Guns“ mag lang sein, aber es ist ein so effektives wie effektvolles Anti-Kriegs Statement in musikalischer Form. English Settlement hat schon Vieles, was XTC’s spätere Alben ausmachen sollte, aber noch sind sie heiterer, in der Stimmung noch näher an Alben wie Drums and Wires und noch scheinen Inspirationen und Einflüsse aus mittelalterlichen Madrigalen und psychedelischem Pop nur schwach durch. Aber die Musik von XTC war hier schon rhythmisch ungemein ausgeklügelt („Jason and the Argonauts“), Colin Moulding erwies sich erneut als ebenbürtiger Songwriter neben dem Exzentriker Andy Partridge – auch wenn er weniger Songs zum Album beitrug – und mit dem finalen „Snowman“ war einer der besten Songs von XTC dabei… Und „bester Songs“ will bei dieser Band einiges heißen.

Kate Bush
The Dreaming

(EMI, 1982)

Cover – Nick Price. Das Foto bezieht sich auf Houdini. So hat seine Partnerin ihm einen Schlüssel übergeben.

The Dreaming war der nächste Schritt in der musikalischen Emanzipation der Kate Bush. Sie hatte eine für diese Zeit erstaunliche Unabhängigkeit zur Realisierung ihrer künstlerischen Visionen erlangt. Ihr viertes Album wurde nun – nachdem sie Never For Ever Co-produziert hatte – von ihr selber produziert. Sie hatte den Fairlight Computer mit all seinen Möglichkeiten entdeckt – und nutzte ihn nach Herzenslust. Ein Gerät, das dem Album natürlich ein heutzutage etwas altbacken klingendes Sounddesign hätte verpasst können – aber der 80ies Sound ist erstaunlicherweise fast egal. Den Ideen und Songs auf The Dreaming würde vermutlich jedes Gewand gut zu Gesicht stehen. Kate Bush konnte nun ganz einfach Alles nach ihren ganz persönlichen Vorlieben gestalten, ein Privileg, das ihr so Mancher nicht gönnen wollte, und das das Album auch heute noch in seiner Bewertung zu belasten scheint. Von manchen wird The Dreaming als ZU hermetisch, zu egpoistisch bezeichnet. Dabei gibt es doch nichts Schöneres, als dieser Künstlerin dabei zuzuhören, wie sie die Grenzen ihrer Stimme auslotet, wie sie beim Titelstück mit der Musik der australischen Aboriginies experimentiert – und wie es ihr sogar gelingt, sich deren atmosphärische Schwingungen zu Eigen zu machen. Die Single „There Goes a Tanner“ oder z.B. „Suspended in Gaffa“ sind wunderbar versponnener, komplexer Pop, das gespenstische „Get Out of My House“ behandelt Steven Kings Shining und es ist wenig erstaunlich, dass Musikerinnen wie Björk oder Suzanne Vega The Dreaming als eines ihrer liebsten Alben bezeichnen. Es ist Kate Bush’s endgültige Emanzipation als Künstlerin und es ist in meinen Ohren sogar ganz knapp vor dem Nachfolger Hounds of Love..

ABC
The Lexikon Of Love

(Vertigo, 1982)

Design – Visible Ink

Und nun folgt auf ein Album, das insbesondere im Sound gänzlich typisch 80er ist: In manchen Phasen mag diese Art von Popmusik und diese in ihrer Zeit gefangene Art des Sound-Designs mit Plastikdrums und cheesy Synth’s das Gegenteil von guter Musik zu sein – oder gerade dieser Sound ist wieder modern…. Aber da ist dieser eine Faktor, der ein Album aus den Moden hebt: Es gibt auf The Lexicon of Love eine solche Dichte an perfekten Pop-Songs, wie sie die auf wenigen anderen Platten – nicht nur der 80er – zu finden ist. ABC waren das Produkt von Sänger Martin Fry, einem Bryan Ferry-Afficionado und dem ehemaligen Buggles-Musiker und Produzenten Trevor Horn. Dass das komplette Image – schickere Anzüge als Spandau Ballet, opulent arrangierte Songs – reine Attitüde war, wurde schnell klar wenn man bedachte dass ABC aus der tristen Industriestadt Sheffield stammten, wo die dekadent-romantische Attitüde der Musiker eher Spott erzeugt haben dürfte. Fry und Horn legten mit diesem Album den Grundstein zu ihrer jeweiligen Karriere, wobei Horn als Produzent später weit erfolgreicher als Fry werden sollte. Tevor Horn unterlegte Martin Fry’s affektierten Gesang mit harten Beats, Synthesizer-Sounds und der Orchestration von Anne Dudley, aber das Album wäre Nichts gewesen ohne diese Songs. The Lexicon of Love warf 4 Top-Ten Hits ab, aber fast alle Songs hätten Hits werden können: „Poison Arrow“ und „The Look of Love“ haben sich bis heute erstaunlich gut gehalten – und das, obwohl oder geade weil sie immer wieder im Formatradio gedudelt werden und so im kollektiven Gedächtnis geblieben sind. Dieses Album bietet zeitloses Sentiment mit Stil. Hier wird die Arroganz der britischen Upper Class mit seltsamem Humor, James Bond Attitüde und verschrobener Romantik gepaart – und das funktionierte für genau DIESES eine Album perfekt.

Iron Maiden
The Number Of The Beast

(EMI, 1982)

Illustration – Derek Riggs. Erfinder von „Eddie“,
dem Zombie auf allen Iron Maiden Alben

Schon das Debüt der britischen Metal-Institution Iron Maiden war mir die Empfehlung im Hauptartikel wert. Und ich habe dort darauf hingewiesen, dass diese Band (…ein bisschen wie The Fall…) SIEBEN Alben hintereinander gemacht haben, die allesamt Klassiker-Qualitäten haben. Aber ihr drittes Album The Number of the Beast ist unter sieben Gleichen der Gleichste. Hier fiel alles zusammen, was diese Band ausmachte und was sie sich in den letzten Jahren erarbeitet hatte: Bruce Dickinson, der Ersatz für den punk-affinen, aber leider nach Drogen und Alkohol-Exzessen ersetzten Sänger Paul DiAnno, war zwar neu. Aber seine Hafensirenen-Stimme passte perfekt zu den an Progressive Rock orientierten Songs mit ihren komplexen Strukturen und eingängigen Riffs. Auch wenn das zunächst von einigen dogmatischen Fans nicht so gesehen wurde übrigens… Und diese Band hatte immer noch eine Lust am Lärm, eine Wucht, die man sonst in dieser Zeit nur im Hardcore fand. Dass das Image Heavy Metal-like infantil mit Monster und buntem Cover John Cale Hörer (und rechte Christen in den USA) nicht begeistern würde – geschenkt. MICH haben Iron Maiden beeindruckt. Tracks wie „Run to the Hills“ oder „Hallowed be Thy Name“ mögen klischeehaft sein – aber die werden mit Überzeugung gespielt. Das sind kraftvolle, enorm eingängige Tracks, die genauso ernst gemeint sind, wie Cure’s „The Hanging Garden“. Inzwischen mag so ein „klassisches“ Metal-Album an irgendeiner Stelle überholt worden sein – allein – ich weiss nicht wo. Es gibt die wunderbaren Twin-Gitarren von Adrian Smith und Dave Murray und dass Bandkopf und Haupt-Songwriter Steve Harris Bassist ist, und dadurch die kraftvolle Rhythmik mehr betonen mag, als das bei anderen Bands der Fall ist, ist nur von Vorteil. Jeder Song ist eine Geschichte, jeder hat irgendwo einen Twist, der ihn über das „Gewöhnliche“ heraus hebt. The Number of the Beast ist ein Album aus einem Guss, das zugleich enorm abwechslungsreich ist. Natürlich muss man sich dafür auf die Ästhetik und die Klischee’s des Metal einlassen – aber das sollte sowieso jeder tun, der sich für (populäre) Musik interessiert.

Mission Of Burma
vs.

(Ace Of Hearts, 1982)

Cover-Design – Mission of Burma

Diese Band aus Boston ist für mich das Produkt, das im Idealfall aus der Explosion namens „Punk“ und der Innovationskraft und musikalischen Neugier intelligenter Musiker entstehen kann. Mission of Burma bestanden aus vier Leuten, von denen einer – Roger Miller – Tuba, Klavier und Komposition studiert hatte. Dann war da der Bassist Clint Conley, dessen Pop-Affinität für die „Hits“ der Band sorgte, der Drummer Peter Prescott, der später die tollen Volcano Suns gründen würde und der Brian Eno der Band – Martin Swope, der sich vom Live-Mixer zum Tape Manipulator und festen Bandmitglied entwickelt hatte – und der diesem Debütalbum der Band den zusätzlichen Kick verlieh. vs. Ist ein in allen Belangen ungewöhnliches Album – für seine Zeit und bis heute. MoB waren in viele Richtungen offen, sie wollten in Noise, Punk, Drone, Melodie mit intelligenten rhythmischen Strukturen und enormer Lautstärke gegen den Mainstream schwimmen. Schon auf der EP Signals, Calls and Marches hatten sie ihre Ideen formuliert, hatten da aber noch weniger experimentiert, mehr Wert auf Catchyness gelegt. vs. wurde zum Vorbild für Bands von Sonic Youth bis R.E.M., denn hier verbanden MoB Noise, seltsame Melodien, kluge Lyrics und einen unbedingten Willen zur eigenständigen Kreativität . Jeder Song hat ein eigenes Konzept, alle vier Bandmitglieder singen, Miller rastet dabei gerne mal aus, Conley ist der sensiblere – und immer passt jedes Element an seinen Platz. Man muss die seltsamen Gitarrentöne auf „Mica“ hören, man kann Conley’s melodischen Bass und das virtuose Drumming von Prescott nur bewundern. Die Songs verdrehen sich absurd um dann wieder in wildem Galopp voran zu stürmen. Mal kratzt Miller nur auf den Saiten der Gitarre, dann spielt der Power-Chords wie Pete Townshend, und alle Einzelteile werden zu einem Album, das Post-Punk genauso definiert hat, wie die drei ersten Alben von Wire. vs. ist eine der Gussformen für Musik, die bis heute modern geblieben ist. Miller hatte nach MoB’s enrom lauten Konzerten einen Tinitus und musste erst einmal aufhören. So blieb vs. bis zur gelungenen Reunion 2003 MoB’s einziges Album. Dass alle vier Musiker kreativ blieben, verwundert nicht. Echte Künstler.

The Gun Club
Miami

(Animal, 1982)

Cover-Foto – Chris D. Musiker, Poet, Filmemacher, Kopf der Flesh Eaters

Hier das nächste Beispiel dafür, dass die Knospe „Punk“ in den USA zu einer ziemlich bunten musikalischen Blüte geführt hat: Miami, das zweite Albumvom Gun Club, ist das erste Album, das ich von dieser Band damals gehört habe – und ich habe es geliebt: Wegen des unirdischen Geheuls des Sängers, wegen der rasanten Gitarren und weil es wieder ganz anders war, als der ganze Rest. Die einzige vergleichbare Band waren The Cramps, mit denen The Gun Club bald auch personell verbunden waren. Was ich ’82 nicht wusste: Jeffrey Lee Pierce – der Sänger und Songwriter des Gun Club – musste mit Miami einem beeindruckenden Debüt etwas gleichwertiges entgegensetzen. Und er war klug genug, nicht Fire of Love Teil II zu machen. Mit Chris Stein von Blondie produzierte ein Könner das neue Album und die von Pierce verehrte Debbie Harry sang unter dem Pseudonym D.H. Laurence Jr Backing Vocals – womit ein weiterer Hinweis auf das literarische Fundament der Musik des Gun Club gegeben wurde. So verband Pierce auf Miami Punk, Blues, Country und das Image des selbstzerstörerischen Grüblers noch etwas organischer als auf dem Debüt. Mit weniger Punk nun, was zu Lasten von Wut und Wucht ging, diese Album aber musikalisch „reichhaltiger“ macht: Man konnte nun vielleicht mehr auf Songs und Lyrics achten. Miami wurde durch diese Reduzierung des Punk-Anteils zu so etwas wie dem neuen Testament des „Americana“. Dennoch: Immer noch heulen die Gitarren, immer noch liegt Pierce’s manischer Gesang neben der Melodie, immer noch ist die Musik so reduziert, wie man es sich von so manchem Americana-Act der Neunziger gewünscht hat – und immer noch gibt es Songs, denen jedes Gewand stehen würde. Dass sie CCR’s „Run Through the Jungle“ coverten, war völlig schlüssig – zumal sie dem Song einen sehr eigenen Anstrich gaben. Aber eigene Songs wie der Opener „Carry Home“, wie „A Devil in the Woods“ oder „John Hardy“ können neben denen des Debüt’s locker bestehen. Ich habe es mal folgendermaßen beschrieben gelesen: Musik wie eine Teufelsbeschwörung, ein grausliches Ding aus dem Sumpf.