1982 – Dead Kennedys bis Flipper – Ein gutes Jahr für Hardcore und Punk – und die zehn Besten

Ein Ziel dieser Seite ist es, den Variantenreichtum bestimmter „Genre’s“ am Beispiel der Alben eines bestimmten Jahres vorzuführen. Wobei ich – wie so oft erwähnt – dogmatische Reinheitsgebote für Genre’s nicht gelten lasse.

Ich gehe da ganz schlicht folgendermaßen vor: Ich stelle mir vor, ich spiele jemandem ein Album der – sagen wir mal – Dead Kennedy’s – vor- Es gefällt – und ich suche als nächstes ein Album aus, das ich vergleichbar finde. Das sollte nur keine Kopie der Dead Kennedy’s sein. Hier unten sind einige Alben versammelt, die zeigen, dass 1982 ein hervorragender „Jahrgang“ für denjenigen ist, der sich für Punk/Hardcore Punk/Horror Punk interessiert…. für eine Art Musik, die sich durch bestimmte Stilmittel auszeichnet, die ’76/’77 von britischen Punks (Sex Pistols…), oder Mitte der Siebziger von New Yorker Künstlern und Punk’s (Ramones etc…) – oder Anfang der Siebziger von durchgeknallten Anti-Hippies (Stooges), oder in den Sechzigern von Garagen Bands wie den Sonics eingesetzt wurden: Ungekünstelte, rasante Rhythmen, gerne politisch linke, zynische oder comic-artige Lyrics, ‚rausgerotzter Gesang, KEINE Gitarrensoli – und all das mit unterschiedlicher Gewichtung. Gemeinsam haben sie alle neben einer gewissen Anti-Establishment Haltung ein ausgeprägtes DIY Ethos. Die Tendenz dazu, Songs kaum über die 2-Minuten Marke gehen zu lassen – und ein Leben am Limit. Entstanden war Hardcore-Punk zeitgleich Ende der 70er in den USA und in England als Reaktion auf die Sex Pistols. Somit gibt es von etlichen dieser Bands Anfang der 80er schon Singles, EP’s, Cassetten oder sogar LP’s , sie sind in den Undergroud-Kreisen ihrer Gegend als Live-Ereignis berüchtigt und haben den „Punk“, der ihnen als Grundlage dient, mit größerer Härte, Schnelligkeit und zynischer Wut auf eine neue Ebene gehoben. Und damit werden sie wiederum die alternative Rockmusik der End-Achtziger bis Neunziger massiv beeinflussen. Hardcore als Stil ist eine extrem heterogene, aggressive Musikform mit allen Eigenschaften der Postmoderne. Er beeinflusst alles von Metal über Grunge bis zu den großen Bands des Alternative-Rock und wird selber in den kommenden Jahren in etliche Mikro-Genres aufsplittern. Er wird zu Crossover Thrash, Crust Punk, Grindcore, Metalcore, New York Hardcore, Anarcho-Punk, D-Beat, Riot Grrl, Thrash Metal etc., und er findet sich in Power Pop, Jazz, Experimental Rock, Dub, Funk bis Post-Punk wieder – und die Vielfalt an Einflüssen und Unterschieden (insbesondere zwischen Hardcore-Punk in England und den USA) ist in den hier beschriebenen Beispielen des Jahres ’82 deutlich erkennbar.

Mission Of Burma – vs.
(Ace Of Hearts, 1982)

… die waren schon von Beginn an nicht „nur“ Punk. Aber dennoch dürften die Leute sie lieben, die ihre musikalischen Vorkieben in diesem Kapitel wiederfinden. Siehe Hauptartikel 1982…

Dead Kennedys
Plastic Surgery Disaster

(Alternatve Tentacles, 1982)

Cover-Foto – „Hands“ von Michael Wells.

Die Dead Kennedys hatten zwei Jahre zuvor (fast) alleine Hardcore-Punk made in the USA erfunden und mit ihrem Debüt Fresh Fruit for Rotting Vegetables ein Referenzwerk für die ganze Konkurrenz gemacht. Sänger Jello Biafra hatte in korrekter DIY Manier mit Alternative Tentacles das wichtigste Label für diese Musik gegründet, und mit „Holiday in Cambodia“ und „California Uber Alles“ Hymnen für die Ewigkeit geschrieben. Da war Zweifel angebracht, ob das nächste Album noch besser werden würde. Aber die Dead Kennedys machten Alles richtig. Plastic Surgery Disaster ist einerseits typisch Dead Kennedys – rasante Drums, blitzschneller Bass, East Bay Ray’s surreale Surf-Gitarren und Jello Biafras wie immer extrem wiedererkennbare, bös‘ gekläffte Verhöhnung des Establishment – aber sie erweiterten ihre Klangpalette behutsam um ein paar Sounds – ließen bei „Terminal Preppie“ gar eine Klarinette tröten – und spielten die Songs so pfeilschnell, dass die technischen Finessen zunächst kaum auffielen. Das Albumcover, das großzügige, aufwändige Textblatt mit absurden Collagen, die boshaften und zugleich humorvollen Texte Biafra’s, all das präsentierte die USA der Reagan Jahre in grellem Licht, voller Wut, Ironie, Häme und Witz. Bei „Bleed for Me“ prangerten sie Kriegsverbrechen des CIA an, „Winnebago Warrior“ machte sich über die US-Familienidylle incl. John Wayne worshipping lustig, „Halloween“ tat das gleiche mit dem sozialen Konformismus und der Kleiderordnung der Spitzen der US Gesellschaft. Und musikalisch wagten sie bei „Trust Your Mechanic“ sogar progressiven Pop – wobei Pop und Surf schon immer Teil ihres ganz eigenständigen Sound waren. Jello Biafra übrigens nannte als Einflüsse explizit Bauhaus und die Groundhogs (!?). Die Dead Kennedys waren eine der originellsten und besten Bands der USA – und Plastic Surgery Disaster mag keine „Hits“ wie das Debüt und die 81er EP In God We Trust Inc. haben (auch kaufen!), aber kluge Leute sagen, es ist ihr bestes Album.

Bad Brains
s/t

(ROIR, 1982)

Cover – MIR aka Donna Lee Parsons. Gründerin von Ratcage Records

Und ein weiteres Album, dessen Einfluss weit in die Neunziger reichen wird. Die Bad Brains waren eine Band von vier dreadlocked rastafarians aus Washington D.C, schwarze Studenten (eine Rarität im Hardcore…), die nicht etwa Soul, Funk oder Reggae spielten, sondern ihre Einflüsse tief in den harten Boden des Hardore rammten. Ihr erstes „Album“ war zunächst keine LP, es wurde beim kleinen New Yorker Label Reach Out International Records als Cassette veröffentlicht, nachdem die Band in Washington Auftrittsverbot bekommen hatte und nach NY gegangen war. Dass Bad Brains trotz des Formates einen so breiten Einfluss auf die Szene haben würde, ist sowohl Hinweis auf die Bedeutung solch „alternativer“ Veröffentlichungsformen – als auch Hinweis auf die Bedeutung der Band Bad Brains. Die vier Musiker wechseln auf diesem Album noch von traditionellen Reggae-Tracks zu blitzschnellen Hardcore Stücken, bei denen die Lyrics von Sänger H-R. ob des Tempo’s kaum verständlich sind. Aber sie waren bekannt dafür, dass sie gegen den üblichen Nihilismus und Zynismus gerne auch mal positive Botschaften und Gottesfurcht setzten. Die Reggae-Tracks machen The ROIR Sessions (so wurde das Album später als LP und CD-Veröffentlichung genannt) zum acquired taste, die harten Tracks sind Fundamente des Hardcore, der Reggae wird von der Hardcore-Gemeinde hingenommen. Der durchgeknallte Gesang von H.R., die virtuose Gitarren von Dr. Know, das genaue und schnelle Rhythmusgespann, das alles von Jazz über Reggae bis Punk konnte – all das beeindruckte Publikum und andere Bands gleichermaßen. Minor Threat wurden Fans, die Dead Kennedys veröffentlichten „Pay to Cum“ auf ihrem Label als Single, Bands wie Fishbone und die Red Hot Chillie Peppers bauten auf diesem „Crossover“ ihre komplette Karriere auf und Adam Yauch von den Beastie Boys sprach vom „best punk/hardcore album of all time“. Dieses und das Nachfolgende Album Rock for Light – das streng genommen eine neu aufgenommene Version des Debüt’s ist – sind Grundpfeiler des Hardcore – die so auch von der Band selber nie mehr übertrofen wurden.

Meat Puppets
s/t

(SST, 1982)

Cover – Damon Bostrom. Bruder des Drummers, der später Cover für die Sun City Girls gemacht hat.

Die Meat Puppets aus Phoenix/AZ mögen in der Zeit des großen Alternative Booms Anfang der 90er bekannt gewesen sein. Nirvana’s Kurt Cobain liebte sie, spielte für seine MTV Unplugged Session gleich drei Songs von ihrem zweiten Album gemeinsam mit den beiden Kirkwood-Brüdern ein und ihre Alben bis in die Mitte des Jahrzehntes sind meist gelungen, mitunter genial. Aber ihr Debüt… Das war eine völlig andere Geschichte. Curt (g, voc) und Cris (b, voc) Kirkwood und ihr Freund Derrick Bostrom (dr) hatten 1981 mit einer thrashigen Punk EP auf dem fleissigen SST-Label von Black Flag-Gründer Greg Ginn Insider-Kreise erfreut. Also wurden sie für ein paar Tage in ein Studio mit SST Haus-Produzenten Spot verfrachtet, schmissen ein paar LSD-Trips und machten dieses völlig abgedrehte Debütalbum. Da sind Spuren der Country-Einflüsse zu hören, die schon das folgende Album prägen würden und die sie so einzigartig machten. Aber Meat Puppets ist noch völlig abgedrehter Hardcore, eingespielt von offenbar völlig Verrückten – die allerdings ganz genau wissen, wie man mit Macht und Virtuosität Hardcore ins Absurde überzeichnet. Tatsächlich – die Meat Puppets sind auch mit ihren 22/23 Jahren ähnlich vituos wie die Bad Brains. Und sie sind zwar weiss und kommen aus einer country-affinen Gegend (Arizona…? Hey!!), aber auf ihrem Debüt verstecken sie diesen Teil ihrer DNA recht gut unter provokativ schrägem, verrücktem, spastischem Hardcore. Höchstens bei „Saturday Morning“ mag der Hörer Cowboyhüte erahnen. Aber wunderbare, völlig überdrehte Tracks wie „Electromud“ oder „Melons Rising“ machen eine weitere Facette des Hardcore sichtbar, die sie auf den folgenden Alben unter Country, sauberer Produktion und kontrollierterem Gebaren verstecken würden. Auf Meat Puppets zeigten sie sich im Hardcore-Gewand. Und schon darin waren sie unverwechselbar.

The Faith / Void
s/t

(Dischord, 1982)

Cover-Foto – Tiffany Pruitt

Wer Hardcore Punk aus den USA in den Achtzigern hört, kommt um das Label Dischord und um die Band Minor Threat nicht herum (Die haben ’82 allerdings keine EP veröffentlicht – aber siehe die „Top Ten Liste“ ganz am Ende…) Labelboss Ian MacKaye hatte auch einen kleinen Bruder (Alec), dessen Band The Faith auch auf seinem Label veröffentlichte. Die Idee, deren zwölf Songs in zwölf Minuten auf einer Split-LP mit dem psychotischen Noise-Hardcore von Void zu kombinieren, mag ob der Kürze (und Würze) des Materials logisch sein, aber The Faith mussten gegen das Monster Void einfach verlieren. Man darf also beide Seiten dieser 28-minütigen LP nicht miteinander vergleichen – es wäre unfair gegenüber The Faith. Die spielen furiosen Hardcore-Punk, die Songs nicht ganz so memorabel, aber mit Tempo und Wut ‚rausgehauen. Einzelne Songs herauszustellen ist unnötig und unwichtig, Alles rast vorbei wie ein D-Zug, ein schneller, aufregender Spaß – aber dann kommt die zweite Seite der LP mit the mighty Void… und diese 16 Minuten haben die Wucht mehrerer beladener Güterzüge. Von der ersten Sekunde des Openers „Who Are You“ mit seinem gekreischen Refrain „Who are you? Why am I here?“ über das völlig verdrehte Gitarrensolo, das in fünf Sekunden vorbeifliegt bis zum regelrecht progressiven „Think“ und dem ablschiessenden Chaos von „Explode“ hat man weder vorher noch nachher dermaßen intensiven Hardcore hören können. Hier ist es wirklich so: Knapp 16 Minuten reichen – mehr wäre letal. Und Gitarrist Bubba Dupree ist einer der ganz großen unbekannten Gitarristen. Wer wissen will, was Hardcore kann, muss mindestens The Faith / Void hören.

Fear
The Record

(Slash, 1982)

Cover von den J. Ruby Productions Inc. Die
haben etliche Cover für Slash Rec. gemacht.

Auch Fear stammen aus der regen Hardcore-Szene der US Westküste, Es waren der Bassist Derf Scratch und Sänger Lee Ving, die sich schon ’77 in L.A. ein paar Gleichgesinnte suchten, mit ihnen eine Single aufnahmen und sich insbesondere live einen Namen machten – wobei Sänger Ving als Teilzeit-Schauspieler und durchaus virtuoser „Shouter“ schnell eher als Mitläufer denn als überzeugter „Punk“ angesehen wurde. Aber dann traf Ving die Filmemacherin Penelope Spheeris, die eine Doku über die Punk-Szene L.A’s machen wollte – und Fear waren dabei und galten somit durch ihren Beitrag zum Soundtrack zu The Decline of the Western Civilisation als eine DER US-Hardcore-Bands. Der Schritt zum Auftritt bei Saturday Night Live und dann zum Album war logisch. Mich persönlich schert die eventuelle fehlende Credibility nicht, The Record ist ein famoses, auch wieder etwas ungewöhnliches Punk/Hardcore Album. Lee Ving ist ein Sänger, der genau weiss was er macht, er gröhlt, er spielt den wilden Mann und kann auch bellen wie ein Hund aus den Hinterhöfen. Die Rhythmussektion gibt den schnellen, unsentimentalen Takt – und Gitarrist Philo Cramer spielt manchmal regelrecht avantgardistisches Zeug dazu – ihm bleibt nichts anderes übrig, weil die Songs zwar den simplen schnell gespielten 4/4 Punk-Takt bekommen, aber die Texte und die Songstrukturen mitunter an experimentelle No Wave erinnern. Eine bewusste Entscheidung, wie man an der No Wave Hommage „Getting The Brush“ und an „New York’s Alright if You Like Saxophones“ (natürlich mit Saxophon-Solo…) erkennen kann. „We Got To Get Out Of This Place“ von den Animals wird gecovert, und sie wagen es beim regelrecht progressiven „We Destroy the Family“, eine der heiligen Kühe der US Gesellschaft anzugreifen. All das mag aufgesetztes Gehabe sein, aber haben die Sex Pistols und etliche andere nicht auch Theater gespielt…? heraus kam eines der ganz großen Alben des Hardcore US-Style.

Angry Samoans
Back From Samoa

(PVC, 1982)

Coverdesign – Ronn Spencer.

Und die nächste Band aus L.A., diesmal ’78 gegründet von den beiden Musik-Kritikern „Metal“ Mike Saunders und Gregg Turner, zusammen mit dem Gitarristen Kevin Saunders, Bassist Todd Homer und Drummer Bill Vockeroth. Man bekam zwei (empfehlenswerte) EP’s und nun endlich ein Album – das 14 Songs in knapp 18 Minuten verhandelt. Und wie das bei dieser Musik ist – da ist nichts zu kurz, nichts überflüssig, alles in dieser Kürze genau richtig. Die Angry Samoans spielen auf Back From Samoa energetischen, einfallsreichen Punk, nicht ganz so schnell wie Fear oder die Descendents, dafür sehr abwechslungsreich und wunderbar unkorrekt, hysterisch und böse. Wer mal genau hinhört, bemerkt dass die Musiker genau wissen, was sie tun – die ganze Hardcore-Szene dieser Zeit besteht aus versierten Musikern – aber das Album überfällt den geneigten Hörer dafür mit so wunderbaren Songs we „They Saved Hitler’s Cock“, „Steak Knife“, „You Stupid Jerk“, „Homosexual“ oder „Gas Chamber“. Den beiden Textern, Sängern, Songwritern und Musik-Kritiker dürfte bewusst gewesen sein,was sie hier von sich gaben. Diese Hardcore-Geschichte in L-A. war genau das, was die junge Generation nach Jahren des gepflegten Westcoast Rock a la Eagles und Jackson Browne brauchte. Political Correctness hätte in diesem Umfeld Übelkeit erzeugt. Nach Back From Samoa kamen ein paar Konzerte und dann eine lange Pause, ehe die Band sich wieder zusammentat, aber die Energie und Wucht waren dahin. Back From Samoa gehört zu den besten Hardcore-Punk Alben,

The Descendents
Milo Goes To College

(New Alliance Rec., 1982)

Cover – Jeff „Rat“ Atkinson nach einer Karikatur von Sänger Milo Aukerman

Die kürzeste, treffendste Beschreibung dieses Albums, die ich gelesen habe? Music for the perpetual teenager within us all…. Die L.A. Band Descendents nahm alles vorweg, was ein paar Jahre später Bands wie Bad Religion oder Offspring richtig Geld einbrachte, sie sind die Buzzcocks Amerika’s. Ihre Songs handeln von Mädchen, Nerds, Essen und Kaffee, sie verbinden Pop, Punk und Surf – und sind dabei völlig kindisch. Sie hatten – wie so viele Bands dieser Szene – schon ’77 angefangen Musik zu machen, aber bis kurz vor den Aufnahmen zur Fat EP (’81) hatten sie weder ihren Sound noch den richtigen Sänger gefunden. Mit Milo Aukerman war dann der richtige Mann dabei und die Band fand ihren Stil. Zitat Aukerman: „…we started very melodic, then moved to hardcore, but melded the two at a certain point and became melodic hardcore.“ Mit ihrer Schnelligkeit, ihrer fast hysterischen Energie (…unter Kaffee-Einfluss !!!), mit ihrer Virtuosität ohne jede Angeberei und ihrem Humor hatten sie schnell die Anerkennung der Hardcore-Szene – und mit Milo Goes to College ein Referenzalbum des US Punk und Power Pop geschafen. Die Songs sind kurz, meist unter zwei Minuten, aber langsamere Bands hätten aus diesen Songideen mindestens zwei 40-minütige Alben gemacht. Milo… aber ist nach knapp 23 Minuten vorbei. Es handelt sich eigentlich um ein Konzeptalbum über die Kämpfe eines College Kids gegen Eltern, Mädchen, Lehrer und diese verdammten, über-stylischen, schwulen New Wave Kids. Nicht ganz zu unrecht wirft man den Texten eine gewisse homophobie vor – eine Haltung, die in Hardcore-Kreisen nicht selten war – aber auch die Descendents scherten sich in dieser Zeit nicht um political correctness. Zunächst blieben sie mit ihrer Musik ein Fall für die kleine Hardcore Gemeinde – ihre Ernte wurde erst ein paar Jahre später von anderen eingefahren – und Milo Aukerman ging tatsächlich auf’s College, um Doktor der Biochemie zu werden, während sich der Rest der Band zunächst in alle Winde zerstreute – um dann drei Jahre später mit I Don’t Want to Grow Up triumphal zurückzukehren.

Bad Religion
How Could Hell Be Any Worse?

(Epitaph, 1982)

Cover Foto von Edward Clover. Fotograf der LA-Punk Szene

WAS 1982 in den USA alles in Bewegung gesetzt wird… zum Beispiel die Institution Bad Religion. Die L.A. Band, die in den späten 80ern und frühen 90ern für glaubwürdigen, intelligenten und meinetwegen auch poppigen Harcore Punk stehen wird, der sich trotzdem in Massen verkauft. Die mit Greg Graffin und Brett Gurewitz eine Art Jaggers/Richards des Punk haben, deren Brett Gurewitz 1981 mit Epitaph eines DER Label für die US-Hardcore-Szene gegründet hat. Und die ’82 mit ihrem Debüt How Could Hell Be Any Worse? einen Meilenstein des US Punk hingelegt haben. Natürlich haben sie auch zuvor eine EP veröffentlicht, auch Bad Religion haben ein schönes Logo – durchgestrichenes schwarzes Kreuz auf rundem weissem Grund mit rotem Rand. Aber sie brauchten erst einmal ein paar Jahre, ehe die Band sich intern zusammenraufte. Das Debüt ist noch roh, laut, punk. Greg Gaffin hat eine raue Stimme, die Songs sind melodisch, aber schön hart, die Gitarren krachen ohne Sperenzchen und das Tempo ist schnell, aber variabel. In den damals geltenden Regelwerken mögen sie mitunter zu nah am Rrrrock musiziert haben. Beim zweiten Track „Latch Key Kids“ erlaubt sich Brett Gurewitz gar ein Gitarrensolo. Aber das geht s schnell vorüber – da muss man schon Dogmatiker sein, wenn man das nicht hören will. Dem Namen entsprechend gibt es ein paar anti-religiöse Statements, und mit „Fuck Armageddon… This Is Hell“ einen Fan-Favoriten, der noch vom tollen Riff des Openers „We’re Only Gonnna Die“ und vom rasanten „Pity“ übertroffen wird. Dass How Could Hell… schlecht(er produzierte ist (als die späteren Alben) ist ja logisch. Das war der Ethik, der Ästhetik UND den Bedingungen geschuldet. Und es macht das Album um keinen Deut schlechter. Die Songs rasen in einer halben Stunde vorbei, man kann How Could Hell… ohne weiteres in einem Rutsch durchhören und hat Spaß. Danach kam mit Into the Unknown (1983) ein ganz seltsamer Schwenk in Richtung Progressive Rock (!!). Das Album wurde von der Fanbasis als Sakrileg angesehen und hat mit Punk NULL zu tun. Dann hatte Gurewitz Drogenprobleme, die Band zerbrach und fand ein paar Jahre später wieder zusammen, um von ’88 bis ’92 vier absolute Klassiker des US-Punk zu veröffentlichen. Hier sind sie in ihrer Urform zu hören.

Zero Boys
Vicious Boys

(Nimrod, 1982)

Artwork – Kurt Davis. Später Drummer bei Bullet Lavolta

Wären die Zero Boys in einer der größeren lokalen Szenen in den USA verwurzelt gewesen – wer weiss – als Alternative zu den Descendents hätten sie vielleicht länger durchgehalten. Aber die vier Teenager kamen ’79 in Indianapolis zusammen, und die „Szene“ dort als „überschaubar“ zu bezeichnen, ist fast schon übertrieben. Leider haben die 1982 gerade 18-19-jährigen es dann nicht nach LA geschafft – da waren die Eltern sicher dagegen, Dabei sprüht ihr Debüt-Album Vicious Circle vor Spaß, Kraft, Intelligenz und Hardcore-Punk. So haben nur sehr gut informierte Kreise mitbekommen, was dem Rest der Welt entgangen war. Immerhin dürfte es in Indianapolis Plattenläden gegeben haben, in denen die Zero Boys sich ihre Portion Dead Kennedys und Sex Pistols abgeholt haben. Und vielleicht ist die relative Abgeschiedenheit der Grund dafür, dass sich diese Talente so frei entfalten konnten. Beeindruckend sind auf diesem Album jedenfalls nicht nur die stählernen Bassläufe von David “Tufty” Clough und die energetischen Chords von Gitarrist Terry Howe. Die Jungs hatten auch Songs – Das waren keine zynischen, jung verbitterten street kids, die hatten eher viel Spaß. Als Vergleich kann man da an die Descendents nennen. Und sie hatten echte Punk-Hymnen: Titel wie „Civilization’s Dying und „Amphetamine Addiction“ stehen neben echten Pop-Songs wie „Hightime“ und „Trying Harder“. Die Songs sind durchweg memorabel, haben unwiderstehliche Hooks. Dass das Album nach gerade mal 22 Minuten vorbei ist… geschenkt. Das ist genug Zeit für 14 Songs, wie man im Hardcore Punk USA oft genug bewiesen bekommten hat. Man mag als Verfechter der „reinen Punk-Lehre“ die saubere Produktion bemängeln – so was gibt es – aber die schadet nicht, macht Songs wie „Drug Free Youth“ nur besser. Zumal die Ironie dadurch nicht untergeht. Vicious Circle ist ein wunderbares Punk-Album mit etlichen zeitlosen Songs. Dass es damals so unbekannt blieb, ist bedauerlich. Die Zero Boys haben sich in den 2000ern neu formiert – aber die Begeisterung war weg. Ich sage – dieses Album ist so gut wie Milo Goes to College… und hat genug eigenen Charakter und Stil.

Discharge
Hear Nothing See Nothing Say Nothing

(Clay, 1982)

Cover – Bifo Gasmask. Ich nehme an das ist ein
Künstlername…

Jetzt mal was Ernstes …? Aus England? Bitte: Discharge entstanden ebenfalls im Jahr ’77 – in Stoke-On-Trent im Kielwasser der Sex Pistols. Sie erspielten sich schnell eine Fangemeinde, brachten ab ’80 Singles und EP’s heraus, ehe sie ’81 mit einer viertel-stündigen EP mit dem Titel Why ihre Art von Punk etablierten. (Why gibt es inzwischen als CD mit Bonusmaterial und sei auch empfohlen). Im Gegensatz zu den „klassischen“ Punks Großbritanniens haben sie einen harten, verzerrten, klar an Thrash Metal orientierten Sound, die Drums spielen immer den gleichen Beat, die Lyrics bestehen aus herausgebrüllten Parolen gegen Kapitalismus, für die Anarchie – und sie und ihre Fans und Adepten waren sich der Unterschiede sehr bewusst und nannten diesen Stil – nach der Band – D-Beat. Hear Nothing See Nothing Say Nothing ist Gußform und Höhepunkt des D-Beat, andere Bands wie Disrupt, Disfear, Disgust (fällt dir was auf..?) klingen genauso mit klitzekleinen Differenzen, die Konzerte und die Alben sind eher politisch/ anarchistische Events bzw. akustische Pamphlete und im Prinzip reicht dieses eine Album, um D-Beat komplett zu verstehen. Die Lyrics des Titelsongs dieses Albums: “Lied to, threatened, cheated and deceived, hear nothing, see nothing, say nothing, led up garden paths and into blind alleys…”- das war’s. Dazu wird ein Thrash-Riff, ständig wiederholt und Bass und Drums rasen wie ein ausser Kontrolle geratenes Uhrwerk. Textprobe von „Cries of Help“, dem Opener der zweiten LP-Seite: „Napalm tumbles from the sky, cries of help cries of pain, skin looking like bloody hardened meat...“ . Und wieder zwei thrashige Riffs und ein maschinenhafter Beat. Das könnte langweilig werden, aber die Energie ist beeindruckend und die Tracks rasen vorbei wie Lawinen. Und wenn man sich die politische Situation dieser Zeit mit drohendem Atomkrieg, nihilistischer Politik des Thatcher-Regimes etc. vor Augen hält, dann ist diese Musik nur logisch – und man kann verstehen, dass etliche Bands ausserhalb der D-Beat Stilistik dieses Album extrem hoch einschätzen. Discharge allerdings bewegten sich bald immer mehr Richtung Metal – und wurden dabei langweiliger.

The Clash
Combat Rock

(CBS, 1982)

Cover-Foto – Pennie Smith, die auch das ikonische Cover von Clash’s London Calling gemacht hat

Ja, und jetzt dürfen alle Dogmatiker kotzen: „Was machen The Clash hier !!!? Die sind Mainstream!“. Ja – es ist kein Hardcore auf Combat Rock, The Clash sind ’82 auch lange schon kein „Punk“ mehr – oder vielleicht doch – sie sind (und waren schon immer) eine Rock’n’Roll Band mit breitem Stilspektrum und einem gewissen Ethos und Auftreten, das sie zum Hype ’76/’77 passen ließ, und sie haben mit den Pistols etc pp… etliche Bands der kommenden Generation Hardcore-Punk inspiriert und sie machen ’82 dieses merkwürdige Album, das weit schlechter gemacht wird, als es ist – und das vielen Leuten gefallen sollte, die Dead Kennedys oder die Descendents mögen. Combat Rock ist das Album mit den aus der Werbung bekannten Hits „Rock the Casbah“ und „Should I Stay or Should I Go“ – und deren Bekanntheit mag „un-punk“ sein, aber es sind großartige Songs, The Clash sind immer noch politisch wach, sie schreiben Hymnen wie „Know Your Rights“, sie verpacken ihre breiten stilistischen Einflüsse weit dosierter als auf dem viel zu großen, breiten, eklektizistischen Vorgänger Sandinista!, sie sind als Songwriter immer besser geworden – und beschränken sich auf Combat Rock auf zwölf Songs (Danke!) die geschrieenen Vocals von Joe Strummer sind Vorbild für Legionen von Hardcore-Shoutern, aber viele Tracks hier haben mit Hardcore überhaupt Nichts zu tun – vor Allem wenn man dieses Album mit Hear Nothing See Nothing Say Nothing vergleicht. Aber ich bin kein Dogmatiker was Stil angeht, und der Erfolg des Albums wird mich auch nicht daran hindern, es zu empfehlen, auch wenn es nicht an London Calling und das Debüt heranreicht. Rockmusik, Hits und etliche gelngene Tracks zwischen Punk, Reggae und Rock von einer Band, die den Hardcore des Jahres ’82 stark beeinflusst hat. Eine Erholung nach all dem Tempo. Ein sehr gelungenes Album.

Zounds
The Curse of the Zounds!

(Rough Trade, 1982)

Illustration – Clifford Harper

Punk in England ’77 hatte mit Virtuosität und musikalischer Finesse nichts am Hut. Es ging um Inhalte, um Rebellion, Spott, wütende oder zynische Kritik, er war die musikalische Manifestation einer Opposition, die mit etablierter Politik, Gesellschaft oder Musik nichts zu tun haben wollte. Zu den eindeutigsten Bands dieser Richtung gehörten Crass und deren Kumpels Zounds. Die waren ebenfalls ’77 um den Gitarristen und Songwriter Steve Lake entstanden, hatten über Jahre bei Free-Festivals ihre anarchistischen Botschaften herausgeschrien, Cassetten und 7“es veröffentlicht und etliche Mitglieder verschlissen. ’82 war es dann so weit und das erste Album The Curse of the Zounds! wurde aufgenommen. Die Musik hatte sich inzwischen von rohem, hartem Punk zur durchaus differenzierten Untermalung von Lake’s eindeutigenTexten gewandelt. „Did he Jump“ erinnert musikalisch an psychedelische Exkursionen obskurer Sechziger-Bands, dazu formuliert Steve Lake naiv-deutlich seine Kritik an der Gesellschaft: “Who was that on the window ledge? Did he jump or was he pushed? He left a note which no one read in desperate hand the note just said: ‘Never turned my back on society – society turned its back on me. Never tried once to drop out, I just couldn’t get in from the very start.’” Die Haltung dahinter ist fast idealistisch, nicht so zynisch wie die der Hardcore-Szene der USA, auch nicht am abgedrehten Spaß der Descendents orientiert – in England hatte Punk eine ernsthaftere, politischere Dimension. Dass Zounds zur Anarcho-Punk-Szene gezählt wurden, hat weit mehr mit den Inhalten als mit der Musik zu tun. Schneller Punk kommt hier nur als Option vor, die Musiker legen keinen Wert auf Virtuosität, die Botschaft ist wichtiger als die Form – und damit sind Zounds Kunst und zugleich irgendwie auch wieder Punk. Also – hier sollte man nicht Dead Kennedys oder Sex Pistols erwarten, es ist Protest-Musik aus dem Thatcher-England der Achtziger

Charged G.B.H.
City Baby Attacked By Rats

(Clay, 1982)

Dieses sehr plakative Cover – Bob Williams.

Und jetzt wieder zu einer Band, die auch der größte Blödmann als „Punk“ erkennen würde. Charged Grievous Bodily Harm (das heißt „verurteilt wegen schwerer Körperverletzung“) – oder einfach G.B.H. Hatten die zum Klischee gewordenen Irokesen-Frisuren und waren Ende der Siebziger zusammengekommen. Sie hatten mit ihrem rohen, an Discharge und Metal orientierten Sound Fans in einschlägigen Kreisen gefunden und waren dann ’81 beim Discharge-Label Clay untergekommen, wo sie die famose 12“ EP Leather, Bristles, Studs and Acne veröffentlichten (… die mit ca 20 Minuten Länge in diesem Umfeld auch als LP durchgehen könnte…). Das dann folgende Album City Baby Attacked by Rats steht dem Klassiker Hear Nothing See Nothing Say Nothing in Konsequenz und Einfachheit in Nichts nach. Der Rhythmus ist der immer Gleiche, dazu schimpft Colin Abrahall in Thrash Metal Manier und die verzerrten Gitarren rasen. Aber G.B.H. sind tatsächlich etwas Abwechslungsreicher als Discharge, ihre Texte sind nicht nur kurze Schlagzeilen, sondern regelrecht erzählerisch – in Ramones-Manier freilich, und ein Song wie „Sick Boy“ ist rasanter Hardcore mit mehr als einem Riff. Der Sound von G.B.H. ist noch näher am Metal, erinnert manchmal an Motörhead auf Speed – was dazu führte, dass City Baby Attacked by Rats in den Benelux-Ländern beim Metal Label Roadrunner veröffentlicht wurde – und dazu, dass sie von Dogmatikern als Verräter betrachtet wurden. Heute ist das egal – mir sowieso – das Album zeigt, was man mit Gitarren,Wut, Energie und Reduktion machen kann. Dass auch von dieser Band dieses Album (und die oben genannte EP) reicht, liegt sowohl am limitierten Soundkonzept als auch an der Tatsache, dass die Idee hinter diesem Hardcore-Punk schnell ausgelutscht war. G.B.H. wurden genau wie Discharge nicht besser. Beide Bands würden ihre Debütalben nicht mehr übertreffen, beide Male ist es britscher Hardcore, der locker die Klasse der US-Kollegen hat.

The Exploited
Troops of Tomorrow

(Roadrunner, 1982)

Illustration – Terry Oakes

Und nun zu den Schotten von Exploited, die mit Discharge und G.B.H. die unheilige Dreifaltigkeit des Brit-Punk ’82 bilden. Auch sie haben die Sex Pistols als Teenager gehört, auch sie haben mit der etwas schwächeren Vorgänger LP Punks Not Dead und mit diversen Singles schon Spuren hinterlassen… und sie sind mit Troops of Tomorrow der (kommerziell) erfolgreichste Act dieser zweiten Punk-Welle, über die in der britischen Presse übrigens ein gewaltiger Topf Häme ausgegossen wurde. Das Album schoss in den LP-Charts zwar auf Platz 17, aber The Exploited gelten als Nachahmer, die höchstens ein paar Monate durchhalten, ihr Auftritt bei Top of the Pops war ein größerer Skandal, als Alles, was bei den Pistols beklagt wurde, vielleicht weil sie eine alte „Schande“ wieder aufleben ließen. Und auch damit tat man ihnen unrecht. Erstens: The Exploited existieren bis weit ins kommende Jahrtausend, Iro-Träger und Sänger Wattie Buchan ist eine Macht, ihr Sound hat etliche junge Thrash-Metal Bands in ihren Proberäumen nachgewiesenermaßen massiv beeinflusst, Der Song „UK 82“ wird später von Slayer und Ice-T für den Soundtrack zum Film Judgment Night gecovert und wegen der Rassenunruhen in LA in „US 92“ umbenannt, ihre Musik hat wunderbare Hymnen-Qualität, Lyrics wie „There’s really nothing nice about the U.S.A./When you go to the hospital you’ve got to pay…“ sind so plakativ wie bis heute zutreffend – aber egal – mit ihrem Auftritt im TV und mit ihrem kommerziellen Erfolg brachten sie einen Teil der „Szene“ gegen sich auf, was dazu führte, dass sie seitdem immer ein Crredibility-Problem hatten. Mir soll es egal sein. Dieses Album zwischen Punk und Thrash und das ’90er Album Massacre sind objektiv großartig.

The Birthday Party
Junk Yard

(Gee Bee Dee, 1982)

Cover – Ed Roth. Custom-Car Painter

and now for something completely different… Die Australier Birthday Party hatten mit Nick Cave eine spätere Berühmtheit als Sänger vorn stehen. Aber der Nick Cave der frühen Achtziger ist noch ein wirklich wilder Mann, dem man eher ein vorzeitiges Ende zutraut, als Ruhm und Anerkennung im Kulturbetrieb – und Junkyard, der Titel des dritten Albums seiner Band Birthday Party, ist äußerst treffend. Undenkbar, dass solch kaputte Musik heute noch vom Mann in Schwarz 2.0 zelebriert werden würde. Die Frage, ob das Punk oder gar Hardcore ist, erübrigt sich beim Anhören. Ich wüsste einfach nicht, was ich sonst dazu sagen soll, aber ich stelle mit vor, dass ein Punk Junkyard hören mag, wenn er Depressionen hat. Die Birthday Party war nach ein paar Monaten in England wieder zurück in Australien, ihre Bassistin Tracy Pewkam wegen Fahren unter Drogeneinfluss und diverser anderer Vergehen drei Monate im Knast, so dass sie sich Barry Adamson ins Studio holen mussten (der bald zu Nick Cave’s neuer Band Bad Seeds gehören würde), alles war kaputt – aber ich habe immer den Eindruck, dass diese desolaten Zustände von Cave und seinem Songwriting-Partner Roland S. Howard als Inspiration… zumindest geschätzt wurden. Die meisten Songs wurden in Melbourne von Tony Cohen (der dann auch mit Cave weiter arbeiten würde…) dermaßen roh und müllhalden-artig produziert, dass man die Absicht dahinter deutlich erkennt. Dazu hatten Cave und Howard Musik zwischen Punk, Blues, Psychose und Voodoo geschrieben, Cave hatte zu seiner Stimme gefunden – klang mal wie ein besessener Prediger (das kann er heute noch), kreischte mal hysterisch (das spart er sich heute) – und blieb immer wiedererkennbar. Und unter all dem Müll kann man mit etwas Mühe ausgefeilte Story-Songs erkennen – als Test höre man „Hamlet (Pow Pow Pow)“ und den Titelsong. Für mich klingt Junkyard nach American Gothic und nach Tom Waits mit massiver Punk-Entzündung. Anstrengend, aber lohnend. Und ob Hardcore-Leute das hören würden? Sie sollten….

The Misfits
Walk Among Us

(Ruby, 1982)

Coverdesign – Glen Danzig

… zumal es ja in diesem Kosmos die famosen Misfits gibt. Die Band aus New Jersey gehört klar zur Punk- und Hardcore Szene und schafft eine ähnliche Atmosphäre wie Birthday Party. Ihre Ästhetik ist lediglich näher an 50ies-Trash und billigen Horrorfilmen, comic-hafter als die der Australier. Um das abzuhandeln: Auch die Misfits entstehen im Jahr ’77, auch sie veröffentlichen vor diesem Debütalbum etliche Singles und EP’s (die später wenig konsumentenfreundlich völlig unlogisch und durcheinander auf zwei Compilations verteilt werden…), 1982 sind sie schon fast „aufgebraucht“, Sänger Glen Danzig hat etliche Bandmitglieder verschlissen – aber er hat eben auch hervorragende Musik in den letzten vier Jahren fabriziert und das Album Walk Among Us ist ein Höhepunkt in der Diskoraphie der Band. für dieses Album nahm Danzig Aufnahmen aus dem letzten Jahr und versah sie mit neuem Gesangs – und Gitarrenspuren – aber wen interessiert dieser technische Kram… Es gab todescoole Punk-Hymnen mit bezeichnenden Titeln wie „I Turned Into a Martian“, „Vampira“, Night of the Living Dead“ und „Braineaters“. Perfekt vom Titel bis zu den Singalong-Refrains, endlich Punk der sich nicht nur mit den üblen Seiten der Existenz befasste, der stattdessen – politisch immer auch unkorrekt – das Leben mittels trashiger Horrorstories ins Lächerliche zog. Man könnte die Misfits durchaus zurecht als „Ramones from Hell“ bezeichnen, Glen Danzig hatte allerdings die bessere Stimme und war noch nicht der aufgepumpte Muskelprotz späterer Solo-Jahre. Man muss sich den Live-Song „Mommy, Can I Go Out and Kill Tonight?“ anhören. Horror-Trash in Hardcore-Speed. Und die Idee von den „Astro Zombies“ ist genial. Walk Among Us (der Titel zitiert den Hoororfilm The Creature Walks Among Us…) gehört neben den ersten Alben der Cramps zu den Referenzwerken des Horror-Punk.

Flipper
Album: Generic Flipper

(Subterranean, 1982)

Coverdesign – David Perry

Flipper’s Album: Generic Flipper ist schwer zu beschreiben. Zum einen besteht sein Reiz in Elementen, die kaum positiv darstellbar sind, und es passt auch nicht in die gleiche stilistische Schublade wie die Hardcore-Alben seiner Zeit. Andererseits hatten Flipper ihre Wurzeln tief in der Hardcore-Szene San Francisco’s, waren ’79 aus Mitgliedern der Sleepers und Negative Trend entstanden – aber die Musik die sie dann als Flipper machten, stellte die schneller/kürzer Ästhetik aller Kollegen auf den Kopf. Ihre Live-Shows waren legendär – und berüchtigt – wegen der Tendenz, erst mal zwei Riffs über lange Zeit immer mehr zu verlangsamen, wegen der deutlichen Anlehnung an den Sound Black Sabbath’s – und genau diese Verweigerungshaltung und Verbindung zu den Doom Metal Vorreitern machte sie für die weniger dogmatischen Teile der Szene interessant. Und den Nihilismus hinter ihrem Gedröhne konnte wohl kein Hardcore-Punk schlecht finden. Als sie nach drei Jahren und einer Single endlich ihr Debüt Album: Generic Flipper veröffentlichten, war ihr Konzept offenbar zur Perfektion gereift. Dieses Album ist einer der ganz großen Klassiker des Hardcore – oder Nein – der Rockmusik, und das erkennt man nicht nur daran, dass neben Kurt Cobain etliche andere Kritiker und Zeitschriften Album unter die besten Alben aller Zeiten kürte. Und was ist auf dem Album drauf? Minimalistischer, verlangsamter Hardcore, gespielt von zwei Bässen, Drums und metallischen Gitarren, simpelste Lyrics, die existentielle Resignation voller Enthusiasmus herausschreien ( der Text des sieben-minütigen „Sex Bomb“ besteht aus sieben Worten), und keiner der acht Songs hat ein Gramm zuviel oder zuwenig, die beiden 7+minütigen Tracks „Sex Bomb“ und „I Saw You (Shine)“ MÜSSEN so lang sein, die kürzeren Tracks sind simpel und effektiv. Ich denke, auch das ist Hardcore – aber letztlich ist es egal in welche Schublade Album: Generic Flipper gesteckt wird. Wichtig ist: Mit dieser Musik haben sie ganze Hundertschaften von wundervollen Sludge und Doom-Bands beeinflusst.

Die Top Ten

Und um es zum Schluss nochmal zu sagen: In den 80er Jahren tauchen etliche fantastische Alben mit Hardcore/ Punk etc auf – ich habe das Jahr ’82 für diesen Artikel ausgewählt, aber die Jahre davor und danach sind ebenso interessant. Ich hänge einfach an diesem Prinzip der zeitlichen Ordnung… Also nach den Reviews noch eine kleine, nerdige Auflistung der 10 besten Alben (…die sich nächste Woche ändern könnte…):

Dead Kennedys – Fresh Fruit for Rotting Vegetables (1980) – Das alte Testament des US-Hardcore Punk.

Black Flag – Damaged (1981) – Jetzt wird’s ernst…

Misfits – Walk Among Us (1982)… da braucht man auch was Komik.

Discharge – Hear Nothing, See Nothing, Say Nothing (1982) – britische Version des Punk nach Punk

Bad Brains – Rock for Light (1983) – ein Solitär – Hardcore meets Reggae = der erste „Crossover“

Minor Threat – Out of Step (1983 – aber deren gesamter Output (nur EP’s und 7“) ist ein MUSS – und den gibt es auch auf einer CD

Hüsker Dü – Zen Arcade (1984) – das neue Testament des Hardcore

Amebix – Arise (1985) – Düster-Core, Vorbild für etliche Bands der 90er

Bad Religion – Suffer (1988) – politisch intelligenter Spaß-Core

NoMeansNo – Wrong (1989) – Verrückt-Core? Jazz-Core? Jedenfalls einer meiner Lieblinge

und damit bin ich noch recht streng innnerhalb der Grenzen des Hardcore/Punk der 80er geblieben… es ginge auch anders, dieses Genre schwappt in kürzester Zeit über den eigenen Tellerrand.