Das Wichtigste aus 1981 – Ronald Reagan, die NATO und Solidarnosc in Polen – Black Flag bis Wipers

Der Iran-Irak Krieg ist auf seinem Höhepunkt – und in den USA sitzt mit dem republikanischen Dummkopf Ronald Reagan ein ehemaliger Schauspieler und politischer Hardliner am Steuer, der den wahnwitzigen und sinnlosen Rüstungswettlauf mit der UdSSR forciert und die NATO als Verteidigungsbündnis gegen die UdSSR ausbaut.

Viele Menschen in Europa sind mit dieser Zuspitzung des Kalten Krieges nicht einverstanden – es ist die Zeit, in der die Anti-Kriegs Bewegung ebenso wie die Anti-Atom und Umweltschutz-Bewegung in Europa an Stärke gewinnt. Es ist eine Zeit der Unruhen und Unzufriedenheit mit der sozialen Kälte im von Maggie Thatcher regierten Großbritannien – man muß dabei traurigerweise bedenken: Diese Politik wurde in demokratischen Entscheidungsprozessen gewählte – Dummheit regierte auch damals schon. Derweil ist in Polen die Gewerkschaft Solidarnosc auf Konfrontationskurs mit der kommunistischen Partei – es ist ein erstes Aufbäumen gegen das System Kommunismus, ein erster Hinweis auf die Umbrüche, die in einigen Jahren folgen werden. Und: Erstmals wird von einer Krankheit namens AIDS berichtet. Bob Marley stirbt in diesem Jahr an Krebs. Die Musikindustrie scheint keinen Erfolg auf der Suche nach DEM Trend der 80er zu haben. In den Charts bewegt sich das Meiste auf der sicheren Seite, kommerziell erfolgreich ist fast nur belanglose Musik: Soul verliert seine Seele an Disco, Country wird zu Pop, Pop wird mit den seltsamen Stars on 45 Mixes vollkommen beliebig. Aber wer sich nicht nur an den Charts orientiert, wird (wie immer) erstaunlich vielfältige und interessante Musik finden: Junge Bands wie Siouxie and the Banshess oder The Cure machen seit ein paar Jahren in England Musik, die jetzt tatsächlich Erfolg hat, Soft Cell stellen mit Synth Pop – einem der fruchtbarsten Trend der Zeit – den Hedonismus der Schwulen-Szene zur Schau, in den USA etablieren Bands wie Black Flag oder Hüsker Dü ihre un-ironische Version des Punk – den Hardcore-Punk – und laufen direkt in unterschiedliche Richtungen. Und auch ältere Semester wie z.B. Rickie Lee Jones musizieren auf hohem Niveau. In Deutschland machen diverse Bands die teutonische Version des New Wave. All das findet (meist noch) außerhalb des Mainstreams statt. Gute Musik zu machen und dann zu verkaufen scheint ’81 sehr schwer zu sein – prominent ignorierte wird hier von mir Phil Collins erstes Solo-Album (der hat Millionen davon verkauft… das macht dem nichts aus – und inzwischen gibt es genug Verrückte, die diese Musik im Nachhinein sogar wertvoll finden) oder auch Foreigner’s, Rick Springfield’s, REO Speedwagon’s fortgesetztes beliefern der Charts mit übelstem Schlock. ICH hätte in den Charts lieber folgende Alben gesehen….

Black Flag
Damaged

(SST, 1981)

Foto – Ed Colver. Der Spiegel wurde vorher mit dem Hammer zerstört. Das ist Marmelade auf Henry Rollins‘ Händen…

Damaged gilt als eines der ersten Alben des West Coast Hardcore, der amerikanischen Reaktion auf die Punk-Revolte Englands und es definierte damals sofort durch seine Intensität und seine Kraft ein ganze Genre. Black Flag existierten zur Zeit des Releases schon seit fünf Jahren,sie hatten unter anderem mit dem mit dem dann zu den Circle Jerks abgewanderten Keith Morris diverse EP’s und Singles aufgenommen (Die im folgenden Jahr auf dem Album Everything Went Black zusammengefasst wurden). Aber der wirkliche Durchbruch in Form von weltweiter Aufmerksamkeit (… in gewissen Kreisen jedenfalls…) kam erst jetzt. Ein paar Wochen vor den Aufnahmen kam mit Henry Rollins ein neuer Sänger, dessen physische Präsenz und wütende Energie dieses Album mindestens genauso prägte wie das rasante und virtuose Gitarrenspiel von Bandkopf und SST Labeleigner Greg Ginn. Der hatte nicht nur ein paar feine Songs geschrieben, sondern neben den üblichen Themen (Entfremdung, Langeweile, Wut) auch eine gehörige Portion giftigen Humor in die Lyrics gepackt. Einen Humor, mit dem sich Legionen von Jugendlichen ’81 wunderbar identifizieren konnten. Das geniale Black Flag-Logo mit den vier Balken unter dem Namen zog sich bald kilometerweit über Hauswände, Songs wie die Proto-Slacker Hymne „TV Party“ oder „Rise Above“ wurden nicht nur von Punks gehört, sondern auch vom Metal-Publikum beachtet. So mancher später erfolgreiche Thrash-Metaller an der Westküste wird sich Damaged mehr als einmal angehört haben. Das Cover … siehe Text unter der Abbildung… also keine Angst.

Kraftwerk
Computerwelt

(Warner Bros., 1981)

Cover – Ralf Hütter, Florian Schneider, Emil Schult

Nach dem Erfolg von Die Mensch-Maschine brauchte das Düsseldorfer Kollektiv Kraftwerk erst einmal drei Jahre, um das eigene Kling-Klang Studio aufzurüsten und ein neues Album aufzunehmen. In diesen drei Jahren entdeckten Teile der Popwelt tatsächlich ebenfalls die von den Düsseldorfern mit erfundene Elektronik in der Musik: Sie hatten es vorgemacht, Bowie ließ sich von ihnen beeinflussen, dann kamen Bowie-Adepten wie Gary Numan, OMD, oder John Foxx (von Ultravox) nahmen den Ball weiter auf. So kam es, dass Computerwelt zu einem Zeitpunkt veröffentlicht wurde, als die Musikwelt allmählich Anschluss an die Visionen der Elektronik-Pioniere fand. Und Ralf und Florian hatten nun keine Lust mehr, nur íhrer Zeit voraus zu sein und feierten stattdessen die Ankunft der Welt, die sie schon so lange versprochen hatten. Dafür hatten sie natürlich wieder einige feine Melodien parat. Diesmal gab es kurze Stücke, die eine gewisse kühle Fröhlichkeit ausstrahlten: „Taschenrechner“ wurde als Single in unterschiedlichen Sprachen veröffentlicht und enthielt tatsächlich Samples von Rechnern von Casio und Texas Instrument – was den Song heute auf seltsame Weise modern und altmodisch zugleich klingen lässt. „Computer Liebe“ wiederum ist zeitloser Techno, bevor es Techno überhaupt gibt, bei „Nummern“ wird in verschiedenen Sprachen von Eins bis Acht gezählt und die Musik nimmt die vertrackten Rhythmen von IDM zuvor. Durch solche Elemente und durch das kluge „Songwriting“ behält Computerwelt – wie das Meiste, was die Düsseldorfer erschufen – bis heute seinen zeitlosen Charakter. Die Musik zu Beginn der 80er hatte wie gesagt mit den oben genannten Acts vieles von dem übernommen, was Kraftwerk in den 70ern vorgemacht hatten – aber mit ihrer selbstverständlichen Hinwendung zum Pop waren Kraftwerk – vielleicht ungewollt – wieder Allen einen Schritt voraus.

This Heat
Deceit

(Rough Trade, 1981)

Artwork – Laurie-Rae Chamberlain

Bands wie This Heat waren und sind bis heute in kommerzieller Hinsicht völlig irrelevant – und zugleich künstlerisch so visionär und singulär, dass man sie nur als kostbare Solitäre betrachten kann… Ein Schicksal, dass sie mit vielen anderen bedeutenden Musikern spätestens seit Ende der Sechziger teilen (The Red Crayola, Captain Beefheart etc). Ihre Erbe findet sich dementsprechend nur bei den freien Radikalen der Rockmusik, in Genres wie Drone, Prog, Freier Improvisationsmusik, Elektronischer Musik und Punk wieder – bei denjenigen, die Entwicklungen vorantreiben, an denen sich dann andere, banalere Acts bereichern. 1981 ist eines dieser Jahre, in denen es schwer vorstellbar ist, welcher „Szene“ eine Band wie This Heat angehört haben mag, wer so etwas gehört haben mag. Sie klangen – und klingen immer noch – völlig out of place. Höchstens Bands wie die Art Bears (die Art-Rock Band aus der Canterbury Szene) oder Family Fodder beackerten seinerzeit ein ähnliches Feld – allerdings sozusagen aus einer anderen Richtung. Die gleichberechtigten Multi-Instrumentalisten Charles Hayward, Charles Bullen und Gareth Williams‘ hatten 1977 mit ihrem Debüt immerhin John Peel’s Aufmerksamkeit erlangt. Mit einem Debüt, das unter anderem von Bestandteilen der später so unpassend bezeichneten Weltmusik durchzogen war, einem Album, auf dem sie künstlerisches Neuland nicht bloß betraten, sondern komplett durchquert hatten. Ihr zweites und letztes Album Deceit ist deutlich mehr vom Punk beeinflusst und gilt damit als als das konventionellere . Aber natürlich klangen sie nicht wie die Sex Pistols oder die Ramones. Punk war nur eine Option, die neben Krautrock, Tape Manipulationen, freiem Jazz und Toncollagen genutzt wurde. Einzelne Songs zu benennen ist schwierig, jeder Track steht für sich, ist aber nur dieser speziellen Band zuzuordnen. Ich sag’s mal so: Versuche dir eine wilde Mischung aus Can, afrikanischer Musik, Pere Ubu ohne Gesang, Soft Machine und kaputtem Radio vorzustellen. Es ist wirklicher Post-Punk. Musik NACH Punk. Und ist so was wie „Radio Prague“ überhaupt Musik ? Und ist „Hi Baku Shyo“ nicht schrecklich und zugleich schön ?

Glenn Branca
The Ascension

(99 Records, 1981)

Cover – vom New Yorker Künstler Robert Longo

… und noch so ein Album, das keiner kennt, aber alle kennen sollten. Aber irgendwie ist es ja auch verzeihlich, dass ein Musiker wie Glenn Branca und der Lärm, den er mit vier voll aufgedrehten Gitarren, Bass und Schlagzeug machte, nicht jedem gefällt. Branca hatte in New York mit den Theoretical Girls am No Wave mit gebaut, die Bereiche in denen Punk und Kunst zusammenlaufen begannen mitgestaltet, war der klassischen Musik sowenig fremd wie der gerade entstehenden Noise-Szene, aus der Bands wie Sonic Youth und die Swans erwachsen sollten. Und so ist The Ascension die Vorwegnahme all dessen, was diese beiden und etliche andere Bands bis weit ins kommende Jahrtausend tragen sollte – Nebenbei, kein Wunder also, dass einer der hier mitspielenden Gitarristen Lee Ranaldo ist (später bei eben jenen Sonic Youth) Komponiert wie eine Symphonie (…später aufgenommene Alben würde Branca dann explizit „Symphony No…“ nennen) arrangierte er sein Orchester aus ohrenbetäubenden Gitarren, Bass Drums um minimalistische Tonsequenzen. Ohne Stücke wie das über 12-minütige „The Spectacular Commodity“ hätte Michael Gira vermutlich niemanden gefunden, der mit ihm drei Töne über 20 Minuten anschwellen ließ, bis das Trommelfell blutet. Branca und seine fünf Mitstreiter nahmen The Ascension zwischen Tourdates in den USA und einem Europatrip auf – in einem „Rock“ – Studio, was den Facetten seiner Musik nur zum Teil entspricht – aber die Band war hörbar eingespielt, so dass dieses Album ein wunderbares Dokument seiner Zeit ist. Und es ist in der Tat anstrengend – ich persönlich kann den Lärm zu bestimmten Zeiten auch mal langweilig finden. Aber dann höre ich eben die Moody Blues, um mir dann wieder die Ohren von The Ascension freiblasen zu lassen.

Massacre
Killing Time

(Celluloid, 1981)

Cover – Jan Luss, Design – Thin-Linh Le

Mehr davon? Massacre waren ein Trio aus dem No Wave/Free Jazz Umfeld in New York. Auch hier sind die Musiker zwar namhaft, aber nicht populär. Der britische Gitarren-Radikale Fred Frith, Drummer Fred Maher, der demnächst mit Lou Reed ebenso zusammenarbeitete wie mit Lloyd Cole und der hyperaktive Bassist/Produzent und Hansdampf in allen Gassen Bill Laswell. Ihr bis 1998 einziges Album Killing Time ist ein Meisterstück in Kakophonie und Dissonanz, irgendwo zwischen Punk, Noise und freiem Jazz – also genau da mithin, wo man es bei diesen Musikern vermuten würde – und es ist dabei doch irgendwie erstaunlich genießbar. Nein – nicht wie ein Album von Television oder Sonic Youth, eher wie ein Aspekt von etwas, auf das sich die oben erwähnten This Heat hätten konzentrieren könnten. Leider existierte dieses Trio nur ein paar Monate, ehe sie bis kurz vor die Jahrtausendwende pausierten – 1998 reformierten sie sich mit dem Drummer Charles Hayward (ja, 81 bei This Heat…) statt Maher – und machten mit Funny Valentine ein ähnliches Album, das dann etwas besser in seine Zeit passte. Das Ergebnis ihrer ersten Zusammenarbeit war einerseits akademisch, andererseits merkte man dem Titelstück etwa ganz deutlich den Spaß an, den Fred Frith hatte, als er auf die Saiten eindrosch. Und man hört unter all dem Krach die Disziplin, mit der Laswell und Maher Rhythmus und Struktur in den Noise von „Corridor“ legen. Daß die Songs (…ja, es sind Songs) meist die 3-Minuten Grenze nicht überschreiten, dass sie tatsächlich immer wieder durch kleine Gadgets wie Bass-Flageolett-Töne, stöhnende Gitarrensounds oder das Schaben auf Saiten aufgelockert werden, dass sie im Grunde simpel, oft sogar minimalistisch bleiben, lässt mich Killing Time hier voller Begeisterung empfehlen – denn das ist ein echtes Qualitätsmerkmal. Jazz für Art-Punks, Punk für Free Jazzer.

King Crimson
Discipline

(EG, 1981)

Grafik – Peter Saville. Der von Factory Records

Und wenn ich schon mal dabei bin, passt es ja, die Brücke zu King Crimsons Wiedererweckung in Form des Albums Discipline zu schlagen. Was Robert Fripp dazu bewogen haben mag, die Band, die einen Ruf als „coole“ progressiv-Rock Formation zu verlieren hatte, neu zusammenzustellen, weiß ich nicht – und es hat mich damals auch nicht interessiert. Es könnte die Erstarkung der experimentellen Musik (im Untergrund zwar, aber das hat er sicher bemerkt…) gewesen sein, oder die Tatsache, dass er in den Jahren seiner Zusammenarbeit mit Brian Eno die richtigen Musiker gefunden hatte. Es kann auch sehr esoterische Gründe haben – Fripp spürte laut Interviews den „Geist des scharlachroten Königs“ wieder. Aber wie gesagt – es ist egal. King Crimson hatten auf sehr hohem Niveau Pause gemacht (mit dem großartigen Album Red – 1974). Nun hatte Fripp wieder Bill Bruford als Drummer zu sich geholt, aber als neues Mitglied war nun der Peter Gabriel Bassist Tony Levin mit an Bord und als Jungbrunnen der Talking Heads/Brian Eno Gitarrist Adrian Belew. Das neue Album klang dennoch wie eine Fortsetzung von Red – versetzt mit der zappeligen Energie der Talking Heads, aber dann wieder diszipliniert durch Fripp’s Sinn für Struktur und Ordnung (Discipline eben…). Oder anders: Es klingt, als hätten die Talking Heads ein paar Jahre an ihren Instrumenten geübt – denn Adrian Belews Gesang erinnert sehr an David Byrne – man höre nur „Elephant Talk“. Aber die Virtuosität, mit der Fripp und Belew sich gegenseitig an den Gitarren umspielen, hat mit den New Yorker Post-Punk Meistern nichts gemein. Und auch wenn das sanfte „The Sheltering Sky“ zunächst nach einem Ausflug der Heads nach Afrika klingt, verwandelt es sich doch bald in eine runderneuerte Version der ruhigeren Sound- und Melodie-Collagen King Crimson’s, und das furiose „Frame by Frame“ mit seinen Auf-und-Ab Gitarrenläufen ist dann tatsächlich Progressive-Rock in modern.

Brian Eno & David Byrne
My Life in the Bush of Ghosts

(Sire, 1981)

Cover – Peter Saville (siehe King Crimson!) Ausgeschnittene Figuren auf einem Bildschirm fotografiert

Brian Eno und David Byrne habe ich gerade genannt. Also…: Eno genoß mit Byrne (und den Talking Heads) eine so fruchtbare Zusammenarbeit, dass ein Duett-Album Eno’s mit Byrne irgendwie logisch war. Und dass dabei alles andere als gewöhnliche Popmusik entstehen würde, war bei zwei solchen Gehirnen auch klar. Tatsächlich wurden die meisten Songs von My Life in the Bush of Ghosts schon vor den Aufnahmen zu Remain in Light eingespielt – dem von Eno produzierten Album der Heads, bei dem Einflüsse afrikanischer Musik einen wichtigen Bestandteil bilden. Wegen rechtlicher Probleme mit diversen Samples aber verschob sich die Veröffentlichung des Eno/Byrne Album’s. Auf Bush of Ghosts… waren etliche Ideen von bzw. für Remain in Light anders formuliert und um neue Faktoren erweitert. Das Album ist eine komplette Sound-Collage aus Radioschnipseln, den Gesängen libanesischer Bergbauern, christlichen Predigern, muslimischen Gesängen, ägyptischer Popmusik und Soundspuren eines Exorzismus-Rituals. Über all das legen Musiker wie Bill Laswell, David Van Tieghem oder Talking Heads Bassist Chris Frantz gemeinsam mit etlichen Percussionisten einen Funk-Teppich. Dass sich daraus eine muskulöse Einheit bildet, dass es wie eine Erweiterung der Rhythmus- und Sound-Ideen der Talking Heads klingt, ist zwar durchaus schlüssig, zeigt aber auch die Meisterschaft sowohl des Visionärs Eno, wie auch des nervös-autistischen Schlaukopfes Byrne. Die beiden nahmen mit dieser Sample-Orgie unter Funk-Rhythmen etliches vorweg, was in den kommenden Jahren in der populären Musik geschehen sollte. ... Bush of Ghosts… mag heute nicht mehr so revolutionär klingen wie 1981, aber man kann sich immer noch trefflich in den Klüften und Spalten seiner Soundlandschaften verlieren.

Motörhead
No Sleep ‚til Hammersmith

(Bronze, 1981)

Cover-Foto – -Ian Kalinouski

Es wird ja inzwischen gerne der Versuch gemacht, Motörhead irgendwie zu intellektualisieren – was bei dieser Urgewalt meiner Meinung nach völlig unnötig ist. Wenn man rohen ungezügelten Rock’n’Roll, – mit den Mitteln der Beginnenden Achtziger in völlig eigenständigem Stil hören will, dann muss No Sleep ‚til Hammersmith her (Oder eines der ersten Studioalben desTrios) – und dann braucht es keine wortgewandte Rechtfertigung. Die drei Musiker um den ehemaligen Hawkwind Bassisten und Rock-Veteranen Lemmy Kilmister hatten vor Allem mit Overkill (79) und Ace o‘ Spades (80) phänomenale Studioalben gemacht, die genauso gerne von Black Sabbath/ Deep Purple Fans gehört wurden, wie von Fans der Sex Pistols oder The Damned (mit denen sie auf Tour waren). Und erfreulicherweise haben Motörhead immer nur nach sich selbst geklungen. Sie spielen mit Elementen aus Heavy Metal und Punk, da sind auch noch Spuren des psychedelischen Rock von Hawkwind irgendwo – die sind nur eingedampft auf ihre härteste Essenz. Und da ist Lemmy’s Stimme, die so ungekünstelt nach Suff und Proletariat klingt, nach jemandem, der noch den konsequentesten Nihilisten auslacht. Dazu gehören dann zwingend Songtitel, die man kurz herausbrüllen kann, die definitive Parolen sind. Live-Alben sind nicht unbedingt meine Sache, und auch No Sleep ‚til Hammersmith hätte eine schnöde Best of… der ersten Alben werden können. Aber wohl nicht mit Motörhead: Die bekannten Songs sind so mitreissend gespielt, klingt so „live“, dass man gerne dabei gewesen wäre – wenn man nicht um seine Ohren fürchten müsste. Alle elf Songs sind Hits. Ob „Ace of Spades“, „Bomber“ oder „Overkill“ – egal. Alles essenziell und alles auch ein bisschen gleich…. Jaja, wie man so sagt: Im Grunde braucht man von Motörhead nur ein Album – maximal – aber dann will man doch immer noch ein bisschen mehr von dieser staunenswerten Urgewalt hören. Dies ist KEIN Heavy Metal. Es ist Motörhead.

Siouxie and The Banshees
Juju

(Polydor, 1981)

Sleeve Design – Thomi Wroblewski, Rob
O’Connor und die Band

Erst war da Punk, dann kam Post-Punk oder New Wave – wie das damals hieß. Und das war 1981 die Musik, die sich in diverse sehr interessante Richtungen entrwickelte. Viele Bands, die später die neue Generation von „Stars“ der Rockmusik sein würden, machten jetzt – nach spannenden Debüt’s – ihre besten Alben. Neben The Cure waren es ’81 vor allem Siouxie and the Banshees, die meine Aufmerksamkeit erregten. Die machten mit ihrem vierten (!) regulären Album Juju in meinen Augen ihr Meisterwerk. Was nicht heisst, dass das Debüt Scream oder die beiden folgenden Alben Schwächen gehabt hätten. Aber bis dato wurden Siouxie and the Banshees eher als Singles Band wahrgenommen. Und nun kam ein durch-konzipiertes Album, das die Texturen des Debüt’s aufnahm und mit dem ausgefeilteren Sound des Vorjahres-Albums Kaleidoscope verband. Oder ich sag’s mal so: Der Sound dieser Band war jetzt ausgearbeitet. Ex-Magazine Gitarren-Genie John McGeoch war jetzt offiziell in der Band und seine Gitarre beherrschte den Sound, schuf die Texturen. Budgie’s Tribal-Drums und Steve Severin’s kraftvoller Bass waren in Hochform – die Beiden wussten genau, was sie taten. Und Janet Susan Ballion’s Stimme war sowieso spektakulär. Es war eigentlich egal, was sie sang, sie war mit kühler Beherrschtheit und exzentrischen Ausbrüchen DER neue Typus Sängerin und Band-Leaderin. Und wieder stimmt es: All das wäre nutzlos, hätte Siouxie nicht diese tollen Songs geschrieben. „Spellbound“ oder „Sin In My Heart“ erinnern an den Post-Punk von Scream, klingen ein bisschen als hörte man Joy Division mit einer tollen Sängerin, Aber Tracks wie „Head Cut“ oder vor Allem der Opener der zweiten LP-Seite, „Night Shift“, sind etwas ganz neues. Das war unheimlich, das klang finster und auf gute Weise theatralisch – das war „Gothic“… und hatte Pop-Qualität. Juju ist (vielleicht wirklich) ihr bestes Album. Aber Siouxie and the Banshees hatten noch einiges in petto, wie man inden folgenden Jahren sehen würde.

Siousxie and the Banshees
Once Upon a Time/The Singles

(Polydor, Rel. 1981)

Cover – Stylorouge, die Design Corp. von Rob O’Connor… siehe Juju

…und dass Siouxie und ihre Banshees bislang eine Singles-Band waren, hatte ich erwähnt. Da kam dann die Compilation Once Upon a Time in diesem Jahr als willkommener und durchaus angemessener Abschluss der ersten Phase dieser Band. Siouxie and the Banshees hatten in schöner britischer Tradition ihre Singles selten auf die Alben gesetzt. Aber gerade Singles wie ihr erster „Hit“ Hong Kong Garden“, „Happy House“, „Christine“ oder „Israel“ sollten auch die Nachgeborenen kennen – die sich nict die Singles gekauft haben. Das ist ja swieso so eine Haltung, die ich nicht wirklich verstehe: So manchem sog. „Kenner“ ist der Erwerb einer Singles-Compilation nur zweite Wahl. Man muss dabei gewesen sein, und mindestens unter den ersten gewesen sein, die die Klasse der Band erkannte. Ich finde Singles unpraktisch und bedaure bei einem Compilation-Album höchstens ein fehlendes Konzept. Aber nach überteuerten 7“es suchen…? Wieauchimmer. Once Upon a Time/The Singles ist ein großes Album, in meinen Ohren steht es gleichberechtigt neben den Singles der Sex Pistols auf Never Mind the Bollocks (die ja Siouxie dazu brachten, Musik zu machen) oder der Compilation Hatful of Hollow von den Smiths. Interessant, wie stark Siouxie und ihr Bassist Steve Severin (die einzigen beiden ständigen Mitglieder…) den Sound des Post-Punk geprägt haben, wie organisch und stetig sie trotz diverser interner Veränderungen in den drei Jahren seit der ersten Single gewachsen sind. Dass die erste Seite der LP roher, näher am Punk ist, dass dann größere Komplexität, mehr seltsame Strukturen und Sounds dazu kommen – und dass trotzdem acht Singles in den Top 50 der britischen Charts landeten, zeigt, dass es auch Menschen mit Geschmack gab und gibt. Diese Compilation ist so essenziell wie Juju, (und sollte unbedingt auf Vinyl wiederveröffentlicht werden).

The Gun Club
Fire Of Love

(Slash, 1981)

Cover Design – Chris D. der hier auch Produzent war

Das Debüt des Gun Club muß zu Zeiten von New Wave und Synth-Pop für den Charts-Hörer äußerst seltsam geklungen haben – wenn es dann von solchen Menschen gehört wurde. Fire of Love vermischte Rockabilly, Psychedelic, Roots/Blues Music und große Anteile von Punk zu einem Gebräu, das es so noch nicht gegeben hatte. Unkontrollierte Punk-Wucht, die tradierten Musikformen der USA und das Image des religiösen Hinterwäldlers (auf dem Innencover sind die drei Musiker vor irgendeiner First Baptist Church abgelichtet) waren so noch nicht kombiniert worden, auch wenn die Cramps sicher nah am Gun Club waren (…sie waren nur thrashiger, siehe unten). Man sagt, The Gun Club hätten „Americana“ vorgedacht…. Aber noch nicht auf Fire of Love, wie ich finde. Da sind sie noch zu wild und eigenwillig für diese Schublade. Auf diesem Album gibt es keine Unze Berechnung. Der Kopf der Band, Jeffrey Lee Pierce, war – nachweislich – ein Getriebener, der keine andere Wahl hatte, als genau diese Musik zu machen. Mit einer Stimme zwischen unirdischem Geheul und besessener Klage klang er wie ein Punk, der Zynismus mit Leidenschaft vertauscht hatte. Der uralte Geschichten von Sex, Mord und Drogen zu erzählen hatte. „Sex Beat“ hat einen simplen Country-Shuffle Rhythmus, nimmt aber schnell ein rasantes Tempo auf. Das durch den Blues Giganten Robert Johnson bekannte „Preachin‘ the Blues“ wird im Stakkato vorgetragen und mit glühender Slide angesengt. „Ghost on the Highway“ ist Punk-Blues, „For the Love of Ivy“ läßt Bilder von KKK-Ritualen in den Sümpfen der Südstaaten entstehen. Diese Art, den Blues zu bearbeiten war giftig und neu (wenn auch in ihrem Ursprung uralt), und Pierce wird sich gewiss nicht gefragt haben, welches Genre er hier bediente. 20 Jahre später fragte Jack White von den White Stripes sehr zu Recht „..why are these songs not taught in school?“

The Cramps
Psychedelic Jungle

(I.R.S., 1981)

Cover – David Arnoff/The Cramps

Und nachdem ich Fire of Love gefeiert habe, darf ich den im gleichen Jahr veröffentlichten Psychedelic Jungle von den Cramps nicht ignorieren, denn diese Band hat in denselben Sümpfen gewildert, in denen sich der Gun Club herumtrieb. Ihre zwei Köpfe Lux Interior und Poison Ivy Rorschach waren mindestens so besessen wie Jeffrey Lee Pierce und auf ihrem zweiten Album liehen sie sich auch noch den Gun Club Gitarristen Kid Congo Powers. Aber es gibt Unterschiede zum Gun Club: The Cramps hatten mehr Humor, kamen mit einer eindeutig an billige Pulp Comics angelehnten Ästhetik daher. Und es gelang ihnen auch auf ihrem zweiten Longplayer, thrashigen Punk und Rockabilly, Spuren von Blues und Country mit stilbewußter B-Movie Attitüde zu verbinden. Vor Allem ihre Rockabilly Wurzeln ragen weit aus dem Sumpf heraus, auf der ersten Seite von Psychedelic Jungle covern sie diverse obskure 50ies Rockabilly Lokal-Heroen – und zeigen, was man aus Tracks wie „Rockin‘ Bones“ (Ronnie Dawson) oder dem toll betitelten „Goo Goo Muck“ (dereinst von Ronnie Cook and the Gaylads performed) machen kann. Diese Songs werden im wahrsten Sinne des Wortes durch den Sumpf gezogen. Einzig die Tatsache, dass sie selber das Album später als „zu „konzeptionell“ – und damit als zu langsam – bezeichnen würden, könnte beklagt werden. Aber ich finde, gerade diese Eigenschaften sprechen für Psychedelic Jungle. Lux Interior und Poison Ivy waren jedenfalls immer noch die Vordenker der Band, Interior sang auch hier als würde er gleich überschnappen und Poison Ivy’s Behandlung der Gitarre war einzigartig primitiv. Psychedelic Jungle ist für Cramps-Verhältnisse tatsächlich fast „ruhig“ und dadurch auch irgendwie …psychedelisch. Sie coverten mit „Greenfuz“ auch noch obskuren Garage Punk aus den Sechzigern, verfielen beim ebenfalls großartig benannten eigenen Song „Don’t Eat that Stuff on the Sidewalk“ in Zappa-eske Freak-Outs, und wurden dann bei „Green Door“ fast subtil…. aber zum Glück nur fast. Denn es gibt auch noch das völlig unheimliche „Caveman“ und das brilliante „The Natives Are Restless“. Wie Lux Interior sagte: „All you need is Rock and Roll and B-Movies, fellow cave dwellers“

Wipers
Youth Of America

(Park Avenue, 1981)

Cover – Curtis Knapp. Der auch ein paar
REM-Cover gemacht hat

Der „Ausbruch“ des Punk Ende der Siebziger und die Tatsache, dass auf einmal kommerziell scheinbar nicht erfolg-versprechende Musik veröffentlicht wurde, hat einigen musikalischen Komplett-Individualisten die Möglichkeit gegeben, ihre Musik auf Schallplatte unter’s Volk zu bringen. Da ist zum Beispiel Greg Sage und seine Band, die Wipers. Ihre Musik ist mir immer ein Rätsel geblieben. Ihre Songs klangen oft episch, waren zwar meist kurz, aber voller Pathos und zugleich ungemein ökonomisch – ja regelrecht sparsam. Die ersten drei Alben dieser Band sind – ähnlich wie die ersten Cramps- und Gun Club-Alben – unverzichtbar. Ob das Debüt Is this Real? aus dem Vorjahr oder das im nähsten Jahr folgende Album Over the Edge besser ist als Youth of America, spielt keine Rolle. Man muss alle drei haben. Aber ihre Einordnung und ihre Beliebtheit bei einem Publikum, das sich zu Hardcore oder Punk bekannte, hat mich immer verwundert. Denn die Musik auf allen drei Alben mag spartanisch sein, aber Gitarrensoli… Hippie-Melodik… die Länge einiger Songs, in denen dann die Gitarre wie auf einem Quicksilver Messenger Service-Album heult? Der wichtigste Faktor für den Sound der Wipers WAR Gitarrist/Sänger/Songwriter Greg Sage. Der war zwar auch ein Getriebener, ähnlich wie Gun Club’s Jeffrey Lee Pierce, nur war er kompromissloser und diktatorischer als dieser. Und er war niemand, der sich irgendeiner Szene „zuordnen“ wollte – zumal er mit fast 30 ein paar Jahre älter war, als der Duchschnitt seiner Hörer. Seine Mitspieler waren im Grunde austauschbar, er definierte Alles an der Musik seiner Band. War das Debüt noch eine Sammlung kurzer, harter Songs gewesen, in Tempo und Haltung durchaus noch nah an „Punk“ – so wollte Sage sich mit dem Nachfolger nach eigener Aussage bewusst von den Bands der US Punk-Szene absetzen. Ich vermute, da spielte einerseits der unbedingte Wille sich von Nichts und Niemandem vereinnahmen zu lassen eine Rolle – und da war der Umstand, dass Sage einfach einer anderen Generation angehörte. Jedenfalls sind Stücke wie „Pushing the Extreme“ oder der über 10-minütige Titeltrack kein Punk – und ein Fast-Instrumental wie „When It’s Over“ ist auch von Zeitgenossen wie Black Flag, den Ramones oder Dead Kennedy’s meilenweit entfernt. Es ist schwer zu beschreiben, was die Wipers genau machen – sie klingen getrieben wie The gun Club, aber sie sind kompromissloser, unsentimental und vor Allem klingen auch sie wie keine andere Band.