Beides passt allein schon deshalb zusammen, weil insbesondere New Order, die Nachfolgeband Joy Divisions, als Keimzelle des Techno gelten. Weil sie kommende Acts der elektronischen (Tanz)musik stark beeinflusst haben. Natürlich war ein weiterer Einfluss die Band Kraftwerk – oder Eno und Bowie…? Man könnte wohl eine Genealogie bis zur Erfindung des Theremins zusammenbauen – und wäre immer noch mitten drin. Gemeinhin ist elektronische Musik dadurch definiert, dass sie mit Synthesizer bzw mit Sampler vom/am Computer hergestellt wird. Es ist Musik, bei der Gitarre, Bass, Drums keine tragende Rolle spielen – wobei sie dann aber doch oft genug vorkommen – siehe die Bands auf Factory, siehe Japan oder Cabaret Voltaire… Elektronischer Musik wird oft eine gewisse „maschinelle“ Kälte zugesprochen, eine Distanz, die mit Emotionslosigkeit verwechselt wird. Da spielen vermutlich die Roboter von Kraftwerk eine genau so große Rolle wie die soziale Kälte der Thatcher-Jahre Großbritanniens, in der sie entstand. Aber wer würde Soft Cell, New Order oder OMD wirklich emotionslos nennen? Die Mittel der Klangerzeugung geben der Musik dieser Bands einen besonderen Sound, und der war damals immer noch neu und ungewohnt, nicht aber emotionslos. Mit dieser Kühle im Sound wiederum hat das Label der inzwischen nach Ian Curtis‘ Tod aufgelösten Joy Division gespielt – diese Atmosphäre erzeugen auch andere Bands auf Factory – sie erzeugen einen Sound, der an elektronische Musik gemahnt, aber oft keine ist. Nach Ian Curtis‘ Suizid machten die restlichen Musiker von Joy Division als New Order weiter – wobei man ihnen Zugute halten sollte, dass das nicht automatisch Erfolg versprach. Anderen Bands auf ihrem Label hatten durchaus einen vergleichbaren Sound – einen Sound, der nicht unbedingt kommerziell war, denn noch immer war es Hausproduzent Martin Hanett, der den Bands einen klaustrophoben Sound aufsetzte, und noch immer wurde ein Produkt von Factory als ganzheitliches Kunstwerk betrachtet – das Artwork der Alben – von Peter Saville – ist heute fest im Kanon „guten Design’s“ verankert – und hat übrigens etliche Musiker im Bereich der „elektronischen Musik“ beeinflusst. Das zu dieser Zeit unabhängige Label hatte mit seinem Design eine corporate identitiy nach dem Vorbild von Jazz-Labels wie Impulse!; Blue Note oder ECM geschaffen. All dieser Fakten eingedenk ist klar erkennbar, dass bei diesem Label eindeutig Idealisten am Werk waren, die sich den heutigen Stellenwert des Gesamtkunstwerkes Factory wohl nur erträumen konnten. Leider sind die Bands neben/nach Joy Division und New Order heute im Vergleich nur vergessene Randnotizen, aber ich will hier auf sie aufmerksam machen – es lohnt sich… und zu deren Atmosphäre passen die Synth-Pop-Alben, die zum Teil auch auf diesem Label hätte veröffentlicht werden können – und die man als erste Version elektronischer Tanzmusik nach Kraftwerk bezeichnen kann.
Joy Division
Still
(Factory, Rel. 1981)
Das Vermächtnis einer Band, deren Bedeutung zur damaligen Zeiten noch nicht wirklich abzusehen war. Still ist zwar „nur noch“ eine Art Resteverwertung, von Factory unter anderem veröffentlicht, um der Flut von Bootlegs etwas entgegenzusetzen, bestehend aus Songs die nach den Arbeiten am finalen Album Closer liegengeblieben waren, sowie aus einem Mitschnitt des letzten Konzertes, das die Band vor Ian Curtis‘ Suizid gab – aber die Qualität etlicher hier versammelter Stücke – wie etwa die der Live Version von Velvet Undergrounds „Sister Ray“ oder des eigenen Klassikers „Ceremony“ – lassen Kritik im Rückblick kleinlich erscheinen. Und sie zeigen unter anderem, dass Joy Division tatsächlich eine hervorragende und mitreissende Liveband sein konnten. Und auch das etwas zusammenhanglos hintereinander montierte Studiomaterial hat weingstens teilweise Klasse: „The Kill“ und „Glass“ hätten auf den beiden zu Lebzeiten von Ian Curtis erschienenen LP’s ohne weiteres Platz finden dürfen. Natürlich sind da auch ein paar unausgereifte Songs dabei, bei denen insbesondere Curtis nicht auf der Höhe zu sein schien und man kann vielleicht mit Recht sagen, dass die LP nur was für Komplettisten ist – es fehlt eben das durchgehende Konzept – aber bei einer Band mit so kurzer Karriere freue ich mich über jeden Ton. Für mich ist Still die perfekte Ergänzung zu den beiden regulären Studioalben und das Bindeglied zu später erschienenen Live Mitschnitten wie dem großartigen Les Bains Douches 18 December 1979.
New Order
Movement
(Factory, 1981)
Kaum einen Monat nach dem Erscheinen von Still trat der Rest von Joy Division unter dem Namen New Order – mit der logischen Fortsetzung Movement als Albumtitel – auf den Plan. Und so logisch wie der Albumtitel klingt auch die Musik beim ersten Hören: wie Joy Division – eben ohne Ian Curtis Stimme. Gitarrist Bernard Sumner und Bassist Peter Hook übernahmen den Gesangspart, und sie hatten natürlich nicht Curtis‘ harschen Bariton – was aber zur Überraschung Aller den Songs nicht schadete. Die Versuchung ist natürlich groß, zu spekulieren, wie das Album geklungen hätte, hätte Curtis nicht seinem Leben ein Ende gesetzt. Aber damit täte man den verbleibenden Musikern (+ neu hinzugestoßenem Keyboarder/ Gitarristen Gillian Gilbert) Unrecht. Natürlich klangen sie nach Joy Division – sie WAREN Joy Division… Aber sie hatten den klar erkennbaren Willen sich weiterzuentwickeln – da ist der verstärkte Einsatz von Synthesizern, da sind die musikalischen Schritte Richtung Tanzbarkeit („Chosen Time“). das Album schlägt die logische Brücke von Closer zu Power, Coruption and Lies, man hört, dass sich alle Musiker in ihrer neuen Rollen einfinden müssen, aber Movement hat Stärken satt. Da ist das Memorandum „ICB“ (Ian Curtis Burial), oder das deutlich an die JD erinnernde „The Him“, aber da sind auch einige Songs, die nicht wie bloße Reminiszenzen klingen – der Opener „Dreams Never End“ etwa, oder „Senses“ – sie zeigen eine Band, die zwar unter einem riesigen Schatten steht, die aber auch unbedingt dort herauswachsen will. Und dabei ließen sie ihre besten Songs („Procession“, Everything Gone Green“ und „Temptation“) in schöner britischer Tradition als eigenständige Singles außen vor. (Die sind dann aber auf der essentiellen Compilation Substance von 1987 versammelt). New Order hatten einen Weg gefunden, der sie seltsamerweise ganz ohne Probleme ein paar Dekaden weiter führen würde, und einen ganz eigenen Zweig der elektronischen Musik – wenn nicht erfunden -so zumindest mit-entwickelt hat
A Certain Ratio
To Each…
(Factory, 1981)
Die ebenfalls bei Factory unter Vertrag stehenden A Certain Ratio kamen wie Joy Division aus Manchester, und ihr nur auf Cassette veröffentlichtes Debüt von 1979 gehört zu den ersten „Produkten“ des Factory-Labels. Das war noch ein wenig unerquicklich gewesen, aber nach zwei Jahren des Tourens hatten sie ihren Stil und die notwendige Sicherheit gefunden. Auf To Each… schufen sie die Verbindung zwischen dunklem Post-Punk und „Afro-Music“, insbesondere Funk und Jazz, womit sie wiederum Begleiter der NY Post Punk/Dance Szene waren, die mit Bands wie Liquid Liquid oder ESG weit in die Zukunft weisende Musik hervorbringen sollten. A Certain Ratio besaßen die musikalischen Fähigkeiten einer Fusion-Band, hatten mit Donald Johnson eine Percussionisten und mit Jez Kerr einen Bassisten, der auf keiner ECM-Jazz Platte fehl am Platz gewesen wäre, mit Simon Topping hatten sie einen Trompeter und Sänger, der ihrer Musik eine weitere eigenwillige und charakteristische Facette hinzufügte. Dazu kamen der Gitarrist Moscrop der sich – wie bei Acts des Factory Labels üblich – meist eher im Hintergrund hielt sowie geisterhafte Electronics und Synth-Sounnds von Pete Terrell. Toppings Gesang war eindeutig an Ian Curtis ausgerichtet, aber A Certain Ratio saßen mit ihrem Konzept auf To Each… stilistisch zwischen mehr Stühlen, als New Order mit ihrer eindeutig an die Indie-Disco gerichteten Musik. Wer tanzt zu düsterem Funk wie „Felch“, wie bewegt man sich zu Afro-Funk mit Gitarren-Workout („My Spirit“) oder dem Zombie Dance-Track „Winter Hill“? Macht man das überhaupt ? Aber es gab zu dieser Zeit eben keine eindeutige „Funktions“-Musik für die Tanzfläche. Die hier genannten Bands aus dem Factory-Stall erschufen gerade erst eine Szene + Musik, die sich bald in Richtung Tanzmusik mit Hilfe von synthetischer Klangerzeugung bewegte. Dass sie selber Synthesizer nur als optionales Instrument nutzten, spielt da meiner Meinung nach keine Rolle. Der Einfluss zählt.
Section 25
Always Now
(Factory, 1981)
Section 25 werden zu Unrecht (und zu Unrecht despektierlich) als eine Art Disco-Version von Joy Division bezeichnet. Die Produktion von Martin Hannett mit ihrem typischen kühlen Sound legt den Vergleich mit den Labelkollegen natürlich nahe – zumal Ian Curtis bei der Produktion seine Hände im Spiel hatte ehe er sich umbrachte… Die Songs allerdings sind womöglich noch monotoner (…das ist positiv gemeint…), der Bass um einiges tiefer gelegt. Die Gitarre sägt sicherlich ähnlich im Hintergrund wie bei Joy Division und die (bei weitem nicht so charakteristische) Stimme von Bassist Larry Cassidy verschwindet fast im Mix: Aber die Songs und die Musik, die in ihrer Rhythmik auch von Dub beeinflusst sein dürfte (…wie ihn John Lydon’s PIL spielte…) – diese Elemente sind es, die Always Now zu einem kostbaren Produkt des beim Factory Labels macht. Man merkt, dass Section 25 mit Joy Division und A Certain Ratio bei gemeinsamen Auftritten einiges an Informationen und Inspirationen ausgetauscht haben. Dies ist ein Album, bei dem man erkennt, dass Post-Punk noch viele Facetten hatte, die es zu entdecken gab – und dass der Schritt vom Post-Punk hinüber auf den Dancefloor ein logischer war. Auf dem Debüt von Section 25 bekam man etliche in den Jahren zuvor ausgefeilte Songs, gepaart mit einigen frischen Ideen, die die Band sich vielleicht sogar bei New Order abgehört haben mochten – was nicht heißen soll, dass hier kopiert wurde. Wer vom dünnen Back-Katalog von Joy Division nicht genug hat, dem bietet sich mit Always Now eine Alternative, die weit mehr als nur eine Kopie ist.
The Durutti Column
LC
(Factory, 1981)
…und hier eine Art Ausreisser, den ich hier einfüge, weil er ’81 auf dem Label veröffentlicht wurde, dessen Story ich hier nun einmal erzähle… Schon im Vorjahr hatten The Durutti Column mit ihrem Debüt The Return of the Durutti Column dem Factory Label eine ungewöhnliche Variante seines Trademark-Sounds hinzugefügt. Es ist eindeutig Gitarrist und Mastermind Vini Reilly, der durch seine unspektakuläre Virtuosität sowohl aus der Reihe der Musiker dieses Labels heraussticht, als auch aus der Reihe der Gitarristen, die in Post Punk Bands spielten. Er führte eine fast delikate Fragilität in die Musik der Bands seiner Zeit ein – etwas, für das er oft genug auch verspottet wurde. Aber da wir heute keine stilistischen Einengungen mehr kennen (…tun wir das nicht…?), kann man die Musik von Durutti Column nun sicher besser bewerten. Mit LC jedenfalls bewegte Vinnie Reilly sich eher auf dem Feld klassischer Komposition, manchmal driftet die Musik in Bereiche, die ich bei Brian Eno gefunden habe, manchmal klingt die Musik wie hingetupft. Es ist Impressionismus in Tönen – und wäre da nicht das meisterliche „The Missing Boy“ (natürlich über Ian Curtis), das den Hörer wie ein Fanfarenstoß auf die Erde zurückholt, dann würde man davonschweben wie ein Samenkorn. LC ist gewiss nicht jedes Synth-Pop-Fan’s Sache und für ein doch scheinbar so „monochromes“ Label wie Factory erstaunlich untypisch. Es hat mit dem dancefloor-tauglichen Material von New Order oder Section 25 genauso wenig zu tun, wie mit dem Synth-Pop, der hier folgen wird. LC ist ein Solitär, der in den hier dargestellten Zusammenhang nicht ganz hinein passt. Aber wunderschön ist das Album allemal.
…und der kalte Klang der Synthesizer
Synth-Pop ist, wie ich in der Einleitung zum Hauptartikel über das Jahr ’81 feststelle, einer der wichtigsten und interessantesten Trends dieser Zeit. Wobei man bei der Definition dieses Begriff’s sofort ins schwimmen kommt. Zwar weiss jeder (den es interessiert) was gemeint ist, aber eigentlich ist fast jede Popmusik per Definition „elektronisch“. Ich mache es mir einfach, und nenne die Musik, die sich auf Kraftwerk bezieht, die eine bestimmte Atmosphäre erzeugt, die den seit ein paar Jahren erschwinglichen Synthesizer als einen der Haupt-Klangerzeuger nutzt, Synth-Pop. Und schon wird das beackerte Feld riesig. Eine Band wie Japan etwa baut ihren Sound durchaus mit traditionellem Instrumentarium auf, erzeugt aber mit „Electronics“ eine Atmosphäre, die mir für Synth-Pop typisch scheint. Das ist ein subjektiver Eindruck, aber hier ist Alles subjektiv…
Kraftwerk – Computerwelt
(Warner Bros., 1981)
Die Väter des Synthie-Pop, 1981 mit einem ihrer besten Alben. Mehr dazu im Hauptartikel…
Ochestral Manoeuvres In The Dark
Architecture & Morality
(Dindisc, 1981)
OMD sind in einem Artikel über die elektronische Musik/ den Synth Pop der beginnenden 80er ein household name. Und – man mag es nicht glauben – aber ganz am Anfang waren sie bei Factory unter Vertrag, ihre erste Single „Electricity“ von 1979 war auf dem Label erschienen, und auch das Cover-Design ihres vierten Albums hat eindeutig den Factory-Style – ist schließlich auch von deren Peter Saville entworfen. Und natürlich hat auch die Musik auf ihrem dritten Album etliche Charakteristika der Factory-Kollegen – was entweder zeigt, wie „up to date“ Factory war, oder wie modern OMD waren. Die hatten allerdings einen Sinn für Melodramatik und Romantik, der sie von den „kälteren“ Zeitgenossen auf Factory unterschieden, und sie hatten – auch zu dieser Zeit schon – die Pop-Sensibilität, nach der New Order noch eine Weile suchen mussten. Ihr Sound auf Architecture & Morality ist schon weit synth-lastiger als der von New Order, es gibt kein Pappkarton-Schlagzeug und keinen prominenten Bass – die Produktion ist nicht Factory, aber man könnte sich die Musik ohne weiteres im sparsameren Sound vorstellen. Heute werden OMD mit ihren ziemlich leichtgewichtigen Hits der Mitt-Achtziger und beginnenden Neunziger verbunden, die eine Zeit lang das Formatradio beherrschten, aber ihre ersten vier Alben – also auch das folgende Dazzle Ships – sind perfekter Synth-Pop – experimentell, anspruchsvoll, durchaus auch tanzbar und zugleich voller Sinn für Melodien. Auf diesem Album No.3 ist es ihr Klassiker „Joan of Arc (Maid of New Orleans)“, der heraussticht, aber sie hatten den Ehrgeiz, ein komplettes Album voller hörenswerter Songs aufzunehmen. Also sollte man auch „She’s Leaving“ oder „Sealand“ seine Aufmerksamkeit widmen. Und die experimentelle Elektronik beim Titelsong macht Sinn im Gesamtkonzept. Die Bonus-Tracks auf der CD heben das Album dann endgültig auf die Stufe des Synth-Pop Klassikers neben dem Besten von Depeche Mode – oder Human League – deren Dare hier folgt….
Human League
Dare !
(Virgin, 1981)
Was für ein Schlag. Kurz vor den Aufnahmen zum neuen Album verließen Martin Ware und Craig Marsh Human League nach zwei recht experimentellen – und gelungenen – Elektronik/New Wave Alben um zunächst die B.E.F. und dann Heaven 17 (Siehe unten) zu gründen. Sie überließen Philip Oakey und Adrian Wright den Bandnamen – und die Verpflichtung eine komplette Tournee abzuleisten. Oakey orientierte sich hin zum Pop und nahm mit Ian Burden einen Multi-Instrumentalisten – und mit Susanne Sulley und Joanna Catherall zwei minderjährige Tänzerinnen/ Background-Sängerinnen in die Band auf, um die anstehenden Konzerte zu absolvieren. In den Monumental Studios in Sheffield begannen Oakey und Wright dann schnell ohne die schulpflichtigen Mädchen-Stimmen und ohne den zunächst nur für die Tournee verpflichteten Burden mit den Aufnahmen für neue Songs, von denen „Boys and Girls“ als Single veröffentlicht wurde und in Großbritannien in den Charts schon mal Platz 47 erreichte. Oakey lud Burden als festes Bandmitglied ein, da er einsah, dass seine und Wrights musikalische Fähigkeiten nicht ausreichten, um die angestrebte Neuausrichtung hin zur Popmusik ins Werk zu setzen. Simon Draper von Virgin Records verpflichtete Martin Rushent im März 1981 für die Produktion von „The Sound of the Crowd“, der ersten Single in dieser neuen Besetzung, die im April 1981 veröffentlicht wurde. Unter Rushent’s Regie drehte sich der Sound der Band stark in Richtung Pop und Tanzbarkeit und die Single erreichte Platz 12 der britischen Top 40. Nach der Veröffentlichung von „The Sound of the Crowd“ kam der Gitarrist Jo Callis von den Rezillos neu in die Band, der sich für den neuen Sound nun mit Synthesizern vertraut machte. Mit „Love Action (I Believe in Love)“ wurde die nächste, noch erfolgreichere Single veröffentlicht und Rushent begann, ein ganzes Album mit dem Arbeitstitel Dare! zu produzieren. Dieses Album sollte den Synth-Pop der kommenden Jahre mindestens so sehr, wie OMD’s Architecture… oder New Orders kommendes Power, Corruption and Lies definieren. Und es funktioniert auch heute noch.
Heaven 17
Penthouse And Pavement
(Virgin, 1981)
…was für mich auch für das Projekt der beiden Ex-Human League Musiker Martin Ware und Craig Marsh gilt. Die beiden gaben sich nach der ziemlich unfreundlichen Trennung von Human League unter dem Namen Heaven 17 und unter der Geschäftsbezeichnung British Electric Foundation als innovative Hersteller junger Musik, die alle Wünsche und Belange der neuen Generation befriedigen würde. Das Konzept, das Cover, die dargestellte Absicht waren damals verstörend genug. Da wollte jemand nicht mehr nur Musiker = Unterhalter sein, sondern vielmehr ein Produkt herstellen, das so viele Bereiche wie möglich abdecken würde. Aber letztlich und natürlich ist Penthouse and Pavement ein ironisierender Kommentar zu den musikalischen Produkten der Zeit, hergestellt als schnöde LP, von Musikern, die genau wussten was sie taten. Die Musik bewegt sich auf dem Grat zwischen Soul und Roboter, mit der Stimme von Glen Gregory haben Heaven 17 ein geeignetes Vehikel, um die bewusst revolutionären politischen Inhalte zu transportieren. Dabei klingt Gregory zwar kühl und überlegen, aber in keinster Weise seelenlos. Und einige dieser Songs hier sind hochinfektiös und extrem tanzbar. Selten hat man dermaßen groovende elektronische Musik gehört – die durch den wuchtigen Funk-Bass dann noch weiter auf die Tanzfläche geschoben wird. „(We Don’t Need This) Fascist Groove Thing“ wurde regelrecht sprichwörtlich, „We’re Going To Live For A Very Long Time“, „Geisha Boys And Temple Girls“, „Let’s All Make A Bomb“, und „The Height Of Fighting“ – alles tolle Songs, denen man aber natürlich aus heutiger Sicht das Alter anmerkt. Lustigerweise ist dieser 80er Synthie-Klang irgendwann in den 00ern ja noch mal modern gewesen – um dann wieder im Meer der Moden unter zu gehen, wie jeder Trend. So kann ich mich an die Songs halten, und mich fragen, was länger hält – Human League’s Dare! Oder Heaven 17’s Penthouse and Pavement? Eigentlich egal.
Soft Cell
Non-Stop Erotic Cabaret
(Sire, 1981)
Non-Stop Erotic Cabaret ist eines der stilprägendsten – und wie das mit solchen Alben so oft ist – zugleich eines der „unkopierbarsten“ Alben seiner Art. Das Duo Soft Cell entstand 1977 in Leeds, Sänger Marc Almond und Instrumentalist Dave Ball erspielten sich mit ihrer Mischung aus reduzierten, harten Synthesizer Beats und -Sounds und Marc Almond’s exaltiertem Gesang vor allem in der schwulen Club-Szene einen beachtlichen Ruf, hatten aber – trotz der famosen Prä-Techno-Hymne „Memorablia“ – zunächst noch keinen kommerziellen Erfolg. Mit dem Release der nächsten Single, der Cover-Version des 64er Soul Songs „Tainted Love“, sollte sich das massiv ändern. Dieser Song ist in ihrer Version ins kollektive Bewusstsein eingesunken – ein bisschen zum Schaden der Karriere Soft Cell’s. Das Duo wird meist auf diesen Song reduziert, und das ist zu wenig. Non-Stop Erotic Cabaret enthält etliche wunderbare, dramatische, dekadente bis aggressive Oden ans nächtliche Club-Leben, an Liebe und Homoerotik. Das Album ist durchgehend gelungen und so schlüssig, dass eine Aufzählung der besten Tracks fast der Abschrift der Tracklist entspricht. „Sex Dwarf“ wurde ob seiner S/M Inhalte als Video sofort verboten (England war noch sehr prüde), kaum ein Song – oder Video – stellte das Leben der hedonistischen Party-Szene so gelungen dar wie „Bedsitter“, „Seedy Films“ stellt die triste Realität in Porno-Kinos dar, und das wunderbare „Say Hello, Wave Goodbye“ ist eine traurige Liebesgeschichte aus dem schwulen Umfeld der Band, inspiriert von einer Transvestiten-Bar in der Nähe des Hauses, das sich Matc Almond nach dem Erfolg von „Tainted Love“ gekauft hatte. Interessant, dass dieses hedonistische Album erschien, kurz bevor AIDS als eigenständige Krankheit anerkannt wurde – und Schwulenszenen weltweit in Panik gerieten. Und das ganze Fest wurde mit billigsten Mitteln veranstaltet – die beiden Musiker brauchten nur einen ReVox Tape Recorder, eine geborgte Drum-Machine, einen kleinen Roland Bass Synthesizer und das Synclavier von Mit-Produzent Mike Thorne. Wieder mal bestätigt sich die These, dass die Klasse von Musik weit mehr vom Songwriting abhängt, als von Stilmitteln oder technischen Gadgets.
Fad Gadget
Incontinent
(Mute, 1981)
Schon der Umstand, dass Frank Tovey aka Fad Gadget als erster Künstler beim Mute Label unter Vertrag genommen wurde, ist ein Hinweis auf die Art Musik, die man auf seinem zweiten Album Incontinent zu hören bekommt. Mute -das war das Label von Daniel Miller, der die Band Depeche Mode unter Vertrag genommen hatte, als sie letztes Jahr in Gadget’s Vorprogramm spielte,… Man kannte sich also. DM’s Debüt Speak & Spell aus diesem Jahr ist NICHT so toll – und findet daher hier nicht statt) Incontinent hingegen hat Tiefe. Man kann es so ausdrücken: Depeche Mode waren (zu dieser Zeit) die Bay City Rollers, Fad Gadget war Mute’s Iggy Pop. Seine Lyrics waren klug, gesellschaftskrtisch und wunderbar zynisch, er hatte inzwischen eine breitere Palette an Sounds und Instrumenten gemeistert, holte sich auh ein paar Musiker zu den Aufnahmen, stellte seinen Gesang mehr in den Vordergrund und machte dadurch aus Incontinent ein Album, das auf den ersten Blick konventioneller war, als das Industrial-Debüt Fireside Favorites. Er hatte sich mehr auf’s Songwriting konzentriert und stellte mit „Blind Eyes“, „Swallow It“ und „Saturday Night Special“ drei ausgefeilte Songs an den Anfang des Albums. Darin kritisierte er wortgewandt die Heuchelei der Industrie-Gesellschaft, den Konsumwahn und die Waffen-Politik in den USA. Aber dann kommen zwei bedrohliche Instrumentals, die an Bowie in Berlin und an Joy Division erinnern. Auch das großartige „Innocent Bystander erinnert an Bowie’s Zeit in Berlin, das Album verbindet das Beste von Suicide und dem Thin White Duke zu einem eigenständigen Werk, an das höchstens Soft Cell und in ein paar Jahren Depeche Mode heranreichen. Man muss sich in manche Songs hineinhören, man muss die Unterbrechungen durch die drei Instrumentals als zum Album gehörig erkennen – dann ist dieses Album nicht nur gelungen – es ist eines der besten Minimal-Synth Alben des Jahres. Tovey/Fad Gadget’s Konzerte waren Ereignisse, bei denen er sich mit Rasiercreme und Federn einsaute, rückwärts ins Publikum sprang und sich selbst verletzte. Er machte den Leuten Angst… und das semi-instrumentale „Diminished Responsibility“ gibt dieses Gefühl der Angst sehr gut wieder. Die folgenden beiden Alben sind sehr gelungen, aber nach Under The Flag (82) und Gag (84) nahm er unter seinem echten Namen nur noch Protestsongs auf und hörte ’93 auf, kommerziell Musik zu machen. 2002 starb er an einem Herzschlag. Schade, dass er so in Vergessenheit geriet.
Cabaret Voltaire
Red Mecca
(Rough Trade, 1981)
Nicht umsonst gilt Red Mecca neben 2 x 45 als das beste Album der Industrial Pioniere Cabaret Voltaire – und als weiterer Vorläufer des Industial und des technoiden Disco-Sounds. Sie mögen ’79 als „reiner“ Industrial-Act begonnen haben (wobei es diese Kategorie noch gar nicht gab…), aber auf Red Mecca lassen die Musiker um Richard H. Kirk den harschen Sound aus Synthesizern, Gitarren, Bässen und der verzerrten Stimme von Stephen Mallinder ab und zu einer Melodie und einem straighten Rhythmus folgen. Aber – damit es kein Vertun gibt: Auch heute noch klingen Cabaret Voltaire nicht konventionell, sondern futuristisch und beängstigend. Noch immer ist diese Form von Industrial martialisch, mechanisch und manisch, und solche Musik ist offenkundig nicht zur puren Unterhaltung geschaffen. Man will zu den harten Funk-Beats eher jemanden schlagen als tanzen, aber es gibt vermutlich auch Leute, die zu LFO, Autechre oder Aphex Twin tanzen können. Man kann Red Mecca als Kombination aus Industrial und frühem Techno bezeichnen, man kann es hier oder dort einordnen, und – wie so oft – man liegt immer ein bisschen falsch und ein bisschen richtig. Red Mecca beginnt und endet mit „A Touch of Evil“, dem Titelsong zu Orson Wells‘ Im Zeichen des Bösen, in den Fünfzigern von Henry Mancini komponiert – also ein richtiger Song… Aber Red Mecca ist deswegen so gut, weil es unter all den Experimenten und weißem Rauschen als Album = Kollektion von Songs funktioniert. Richard H. Kirk’s Synthesizer vermischen sich mit Chris Watson’s Tape Effects zu fiesem Noise, der durch den Rhythmus zusammengehalten wird. Man sieht, wo Cabaret Voltaire herkommen, man kann sich denken wo das hinführt, aber bei ihnen gilt, dass dieses (und das unter dem Titel 2 x 45 folgende) Zwischenergebnis ihr bestes Album bleiben würden. Und das leider sehr kurze „Land-slide“ ist der angenehmste Track auf einem anstrengenden Album zwischen den Zeiten und Stilen.
Chris and Cosey
Heartbeat
(Rough Trade, 1981)
Die Industrial-Pioniere Throbbing Gristle sind in diesem Kapitel nicht vertreten, weil sie in diesem Jahr ihre Zusammenarbeit beendet haben. Sie hatten in den vier Jahren ihrer Existenz eine ganz Klasse von Musikern beeinflusst und bewusst – mit provokativen bis geschmacklosen Live- Aufführungen und Lyrics – eine Welle von Abscheu und Hass losgetreten. Ihr Einfluss auf Bands wie Cabaret Voltaire oder Soft Cell dürfte jedem deutlich werden, der sich die Alben Second Annual Report, D.o.A.: The Third and Final Annual Report und 20 Jazz Funk Greats anhört (…was ich unbedingt empfehle…). Aber es ist klar, dass die vier Musiker dieses Projektes weitermachen würden. T.G.’s Gitarristin Christine Carol Newby aka Cosey Van Tutti und ihr Ehemann und TG-Synthesizer Experte Chris Carter taten sich zum Duo Chris and Cosey zusammen und setzten die Arbeit ihrer Band fort, indem sie deren harschem und bösartigem Industrial ein bisschen die Spitze nahmen. Ich habe das Zitat von Cosey Van Tutti gelesen: “Industrial music for us was about being industrious, It wasn’t about industrial sounds.” – was sich bei Heartbeat, dem ersten Album des Duos durchaus ablesen lässt. Sie nehmen die analogen Ambient Sounds dieser Zeit, sie nehmen (wie T.G.) Disco-Rhythmen, und wenden sich auf melodischeres, freundlicheres Terrain. Dabei entsteht eine Art Minimal Synth-Pop – nenn‘ es meinetwegen auch Industrial – der an den Kanten immer noch rau genug ist, um auch heute keinesfalls vor 00:00 Uhr ins Radio zu kommen. Dass diese Musik seinerzeit Avantgarde war, mag der digitalen Generation nicht bewusst sein, aber Tracks wie der Opener „Put Yourself in Los Angeles“ oder der Titelsong des Albums sind gerade in ihrer Achtziger-Ästhetik von kalter Schönheit. Modern ist das natürlich nicht – es sei denn 80ies-Synth-Sound ist wieder mal angesagt. Aber auch jüngere Musiker/innen wie Karin Dreijer aka Fever Ray dürften Chris and Cosey gut kennen.
YMO
BGM
(Alfa, 1981)
Die Technik-Gläubigkeit der Japaner ist so sprichwörtlich wie ihre angebliche Neigung, Errungenschaften der „europäischen“ Kultur zu imitieren. Natürlich sind diese Vorurteile dumm, sie haben aber auch eine Basis, die sie erzeugt hat. So ist Synthie-Pop a la Kraftwerk zu Beginn der Achtziger auch in Japan ein großes Ding. Der auch in diesem Land inzwischen erschwingliche Synthesizer dürfte auch viele junge Japaner dazu gebracht haben, ihn für neue Musik zu nutzen. Aber das Trio Yellow Magic Orchestra hat seine Ideen seit der Gründung Ende der Siebziger selber entwickelt, die sind von Kraftwerk schlicht genauso inspiriert, wie Soft Cell, OMD oder Fad Gadget – aber dieser Einfluss ist wahrlich nicht der Einzige. Mit dem formidablen ’79er Album Solid State Survivor waren sie auch den europäischen Synthie-Pop Acts um Längen voraus – klangen da schon wie eine psychedelische Version von Depeche Mode ca ’84. Und in Japan waren sie schnell Stars geworden, ihr „Technopop“ (…so wurde das in Japan genannt) und ihr Style waren ’81 schon sehr etabliert. Und so sind die beiden ’81er Alben BGM und Technodelic keine Obskuritäten, die überraschend zu Hits werden, sondern Produkte einer Band auf ihrem kreativen Zenith. Sie bauten im Studio Klang-Collagen aus gefundenen Sounds, sie nutzten Synthesizer, Sampler, Sequenzer und digitale Aufnahmetechnik genauso virtuos, wie die Kollegen aus Düsseldorfer – und sie hatten Songs, die zwar in englisch gesungen wurden, aber einen erkennbaren fernöstlichen Akzent trugen, die innovativ und sehr eigenständig waren. Dabei war bei den Aufnahmen zu BGM der bekannteste YMO-Musiker, Ryuichi Sakamoto, wegen Krankheit oft abwesend. Dennoch ist dessen „1000 Knives“ eines der Highlights, das aber vom Opener der 2. LP-Seite – „Cues“ – locker übertroffen wird. Der Song wäre ein Hit geworden, wenn YMO in Europa bekannter gewesen wären. Es gibt Innovation en masse: Frühen Techno Rap bei „Rap Phenomena“, High-Energy Pop mit Piano und galoppierenden Drums beim grandiosen „U•T“, puren, schlauen Synth-Pop bei Sakamoto’s „Music Plans“ – kurz, BGM ist das durchdachte, abwechslungsreiche Album einer Band, die nicht im Verdacht steht, irgendetwas „imitiert“ zu haben.
YMO
Technodelic
(Alfa, 1981)
Und noch im selben Jahr setzten YMO mit Technodelic ein Album ‚drauf, das noch innovativer und mutiger war als sein Vorgänger: Ryuichi Sakamoto, Haruomi Hosono und Yukihiro Takahashi hatten mit einem riesigen Electronic-Equipment offenbar eine Menge Spaß im Studio – und machten Technodelic zu einem Pionier-Werk des Samplings. Der LMD-649 Sampler von Toshiba war DAS Ding , für dieses Album. Es gab geloopte Vocals, Gamelan-Klänge, indonesische Kult-Gesänge, die in Tracks eingebaut wurden, die hier nicht mehr ganz so „konventionell“ nach Hit klangen, die dafür aber auch heute noch nach mehrmaligem Hören einhaken. Und damit machten YMO ein Album, die Kraftwerk’s Electric Cafe (’86) vorwegnahm. Musik mithin, die erst in zehn Jahren populär werden würde. Songs wie „Stairs“ sind Synth-Pop typisch kühl, repetitiv, manchmal sogar düster, aber sie verlieren zu keiner Zeit ihre Spannung. Entgegen der Tendenz zur synthetischen Klangerzeugung spielt Hosono auf Tracks wie „Seoul Music“ eine ziemlich funky Bass-Line – über rhythmischen Vocal Samples, ausdrucksvollem Gesang und einer sehnsüchtigen Melodie. Die abschliessenden Instrumentals „Prologue/Epilogue“ zeigen ein weiteres Mal, warum Sakamoto nach dem Ende von YMO in Europa ziemlich bekannt blieb. Er ist ein hervorragender Komponist und Ideengeber, der bald bald mit David Sylvian von Japan (siehe hier unten…) Musik machte. Technodelic ist das anspruchsvollere und zukunftsweisendere der beiden ’81er Alben vom YMO, schön sind sie beide. Aber beide klingen auch heute noch fast erschreckend modern
Japan
Tin Drum
(Virgin, 1981)
Worum geht es nochmal in diesem Kapitel? Kalter Synth-Pop? – OK, ich stelle hinter das Thema hier schließlich ein Fragezeichen, und die hier versammelten Alben haben einen mitunter weit hergeholten Bezug zum Titel. Japan zum Beispiel spielen keinen Synth-Pop a la OMD – aber ich beschreibe ihr ’81er Album Tin Drum auch nicht nur, weil ich die beiden Alben von YMO vorangestellt habe. Japan waren zu Beginn ihrer Karriere eine von Glam und Roxy Music beeinflusste Band, die mit fernöstlicher Ästhetik kokettierte – eine Band, die sich in den Jahren seit ihrem Debüt (Adolescent Sex – 1978) zu einer sehr eigenständigen Einheit entwickelt hatte – und inzwischen waren zum Glam-Rock massive Synth-Pop-Einflüsse, eine sehr ausgefeilte, „asiatisch“ anmutende Art-Pop Stilistik und aus den Persönlichkeiten und Kenntnissen der einzelnen Musiker erwachsene Elemente in ihre Musik gelangt. Da war Mick Karn’s bundloser Bass, manchmal singend wie ein Blauwal – immer im Dialog mit Steve Jansen’s beredtem Spiel mit diversen Drums und Percussion, da war Richard Barbieri’s Aquarellmalerei mit Keyboards und Synthesizer, in Zeiten von Synth-Pop sehr up to date – und da war natürlich David Sylvian’s Stimme. Ein einmaliges Instrument, die beste Stimme seiner Generation – cool, sophisticated, voller verborgener Emotion – vergleichbar vielleicht mit Bryan Ferry, aber inzwischen weit aus dessen Schatten getreten. Auf diese, ihrem letzten Album sammelten die vier Musiker (Gitarrist Rob Dean hatte die Band verlassen) die Erkenntnisse der vorherigen Alben zu einem Konvolut ihres sehr eigenwilligen Stils (…und ich muss es erwähnen – das hatten sie achon auf dem letztjährigen Album Gentlemen Take Polaroids. getan). Sie erzeugten mit Hilfe von Instrumenten wie der Suona und mit von chinesischer Oper inspiriertem Violinen-Spiel die ihrem Namen entsprechende Atmosphäre, sie hatten mit „Ghost“ und „Canton“ Songs, die in dieses Konzept passten, wie gerade gefundene Puzzle-Teile, sie klangen so einzigartig, dass ich tatsächlich nicht wüsste, womit ich sie vergleichen sollte. Japan sind mit Tin Drum und Gentlemen… zu ihrer eigenen Referenz geworden, die nur am Rande in dieses Kapitel über Synth-Pop passen. Es GIBT die für diese Zeit typische „kühle“ Klang-Ästhetik – die man aber nicht mit Emotionslosigkeit verwechseln kann. Japan sind von Eno und in ihrer konzeptuellen Strenge vielleicht auch von Kraftwerk beeinflusst, aber sie erreichten hier ein ganz eigenes Level. Tin Drum ist eines der ganz großen Alben seiner Zeit, und wenn ich zeigen wollte, was aus dem Jahr ’81 spätere Ambient- oder TripHop-Acts beeinflusst haben mag, komme ich gerne auf dieses Album zurück. Und egal, ob das richtig oder falsch gefunden wird. Tin Drum ist große (elektronische) Pop-Musik..
John Foxx
The Garden
(Virgin, 1981)
Zuguterletzt das zweite Solo-Album eines Musikers, den ich als eine Mischung aus Japan’s David Sylvian, Gary Numan und Howard Devoto vorstellen würde… müsste ich ihn vergleichen: Dennis Leigh aka John Foxx war mal Sänger von Ultravox (als die noch eine aufregende und sehr innovative Post-Punk Band waren), dann verließ er seine Band, wandte sich dem Synthie-Pop zu (wie Ultravox…) und machte mit Metamatic im Vorjahr ein mutiges, minimalistisches und eigenständiges Debütalbum. Aber wer weiss – der Erfolg mag der Plattenfirma oder Foxx selber nicht groß genug gewesen sein, obwohl die Single in die Charts kam – auf seinem zweiten Album jedenfalls ließ Foxx die elektronische Kälte seines ersten Albums von einem Mehr an Gefühlen wegschmelzen. Das war keine ganz unlogische Entscheidung – mit Ultravox hatte er schon auf deren Systems of Romance (1978) den Grundstein (mit)gelegt für das, was man bald als „New Romantic“ bezeichnen würde. Somit ging er nun also einen kleinen Schritt zurück und verband auf The Garden Synthesizer, Elektronik, exaltierten Gesang und insbesondere einige sehr gelungene Songs zu einem schönen Album. Und so sind Tracks wie „Systems“ and „Walk away“ der Sound von Ultravox vor ihrer Kommerzialisierung, und „Pater Noster“ und „The Garden“ klingen tatsächlich nach Ambient mit Vocals. Und auch The Garden ist einerseits in seiner Zeit gefangen – die Synth-Sounds und auch John Foxx‘ Gesang sind sich auf rührende Weise einer Fremdheit bewusst, die heute einfach nicht mehr gesehen wird. Aber das Album zeigt unabhängig von seiner von den Moden der Zeit überholten avantgardistischen Anmutunge eine berührende Schönheit.