Das Wichtigste aus 1989 – Mauerfall, George Bush d.Ä. und das Ende des Kommunismus – New Order bis Beastie Boys

George Bush Sr. wird Präsident der USA, und löst den Schauspieler Ronald Reagan ab. Ein geld- und machtgeiles Arschloch für eine Marionette also. Vor Alaska havariert der Öltanker Exxon Valdez und löst die größte Ölpest in der Geschichte der Vereinigten Staaten – und damit bis dato in der gesamten Welt – aus.

Irans religiöser Staatsführer Ayatolla Khomeini stirbt – sein fundamentalistisches Regime aber leider nicht. Im Ostblock lösen sich derweil die Herrschaftssysteme der kommunistischen Parteien auf: Zuerst In Ungarn, dann in Polen, in der CSSR und in der UdSSR, und schließlich auch in der DDR müssen kommunistische Regimes dem Druck ihrer Bevölkerungen nachgeben, freie Wahlen zulassen und die Grenzen zum Westen öffnen – das Ereignis „Mauerfall“ in Berlin am 09.November ’89 bewegt die ganze Welt. Estland, Lettland und Litauen werden selbständig. Die Truppen der UdSSR ziehen sich aus Afghanistan zurück. In Rumänien wird Diktator Ceausescu hingerichtet und in der CSSR wird der Schriftsteller Vaclav Havel Staatspräsident. Freiheit und Demokratie haben also gesiegt? Mitnichten – jetzt hat lediglich der Raubtier-Kapitalismus keinen weltanschaulichen Widerpart mehr. In Japan kommt mit dem sog. „Gameboy“ ein Gerät auf den Markt, das die Aufmerksamkeitsspanne seiner jungen Nutzer senkt. Salvatore Dali stirbt, R.E.M, bekommen einen hoch dotierten Vertrag bei einem Major, was ihnen etliche dogmatische Indie-Fans verübeln. Acid House und Dance weiten ihren Einfluß auf die Rockmusik aus, Independent-Rock ist nicht mehr ganz so unabhängig, bietet aber etliche LP-Highlights, Neil Young ist wieder da, Lou Reed läutet seinen dritten Frühling ein, in Seattle machen sich ein paar Bands, die in Punk, Pop und Rock gebadet haben, zum Sprung in die Verkaufsregale bereit. Auch HipHop und Crossover machen sich auf den Weg in den Mainstream und Death Metal erhebt den Schrumpfkopf aus modrigem Untergrund. Von dort kommen etliche Metal-Klassiker, die jetzt auch von einem breiteren Publikum goutiert werden. Es erscheinen viele spannende Alben, die kommende Entwicklungen andeuten, auch wenn nicht jedes Werk sofort bemerkt wird. Viele Kreative sind auf dem Sprung ins neue Jahrzehnt. Aber natürlich gibt es wie immer auch Berge von Alben, die sich elend gut verkauft, die aber richtig schlecht ist – Ich erwähne hier mal kurz Milli Vanilli oder die immerhin nicht völlig entsetzlichen Simply Red und den Mainstreamservice, den uns Phil Collins mit seinen Hitsingles bietet. Die verkaufen ihre Produkte in Massen, und wenn man diese Musik als typisch für ’89 ansieht, dann ist es kein schönes Jahr. Aber ich will und werde sie nicht meiner Aufmerksamkeit würdigen und empfehle statt dessen…

New Order
Technique

(Factory, 1989)

Design – Peter Saville Associates

Während der drei Jahres Pause nach dem Vorgängeralbum Brotherhood hatten New Order die Sommer auf Ibiza verbracht, und dort – beeinflusst von der inzwischen in den entsprechenden Clubs regelrecht explodierenden Dance-Szene – die Rhytmustracks zu ihrem neuen Album aufgenommen. Mit diesen als Basis gingen sie zurück in ihr Studio in Manchester, und nahmen ihre bis dato optimistischste und tanzbarste LP auf. Mit Technique begruben New Order endgültig Ian Curtis, verließen das Factory-Label und setzten sich an die Spitze der Club Szene. Ein Stimmungsumschwung, der schon auf dem immerhin noch vom Factory Designer Peter Saville entworfenen Cover erkennbar wurde – das erste New Order Sleeve Design, das wirklich „bunt“ zu nennen ist und die strenge Goth-Ästhetik durchbricht. Und ganz passend war die Musik hinter dem Cover tatsächlich New Order in hellsten Farben: Ihre Musik war nie wirklich komplex – auch zu Joy Division-Zeiten nicht. Da war immer eine reduzierte Melodik, die zusammen mit den schlichten Texte von Bernard Sumner im Kontext von hedonistischem Techno und Disco doch ehrlich gesagt ganz wunderbar zusammenpasste – ihr sogar den besonderen Kick verpasste. So war die erste Album-Auskopplung „Fine Time“ einer ihrer tanzbarsten Songs, zwar mit Wegwerf-Lyrik, aber mit einem ansteckenden Beat und einem tollen Riff. Allerdings ist dieser Hit im Vergleich zum Rest des Albums am wenigsten würdevoll gealtert. Besser klingen heute Songs wie „Round and Round“ und „Mr. Disco“. Tracks, die ebenfalls den Dancefloor bedienen. Und ein paar Songs – wie „Love Less“ oder „Run“ – hatten doch noch das Flair bleichen Alternative-Rock’s – vor Allem wegen des unnachahmlichen Bass-Drive’s, der New Order immer auszeichnete und der Technique zum gelungenen Spagat zwischen Disco und Indie macht- Letztlich erkennt man gerade an diesem Album, dass Modernität oft nur Mode ist – und die kommt und geht… und kommt auch wieder.

The Stone Roses
s/t

(Silvertone, 1989)

Cover vom Stone Roses-Gitarristen John Squire. Für das Q Magazine eines der 100 besten Alben-Cover

Tanzbarkeit: Ende der Achtziger ist das ein immens wichtiger Faktor in der Musik, egal ob im Mainstream oder ausserhalb. Und da gab es im UK neben New Order auch die Stone Roses: Eine Band aus Manchester, die sich seit 1983 einen hervorragenden Ruf in und um London erspielt hatte, die die Leute mit einem Sound aus Byrds-Jangle und Rave-Rhythmen auf die Tanzfläche brachte – es aber in einer Mischung aus Arroganz und Ungeschicklichkeit nicht geregelt bekamen, einen vernüftigen Record Deal zu organisieren. Zuletzt unterschrieben sie für acht (!) Alben beim Indie Silvertone und veröffentlichten endlich mit The Stone Roses ihr Debüt. Das Debüt der Stone Roses gilt als eine Art Nevermind für Great Britain – und tatsächlich gab es um diese unglückliche Band – wie demnächst um Nirvana – einen gewaltigen Hype, der allerdings auch berechtigt war, wenn man nur dieses Album hört. Man höre nur die wunderbar leichtfüßigen Gitarren-Chords von John Squire und die Dance-Rhythmen von Reni und Mani… dazu den coolen und zugleich so britisch-arrogante Gesang von Ian Brown, den sich der kleine Liam Gallagher – wie er auch zugegeben hat – genau angehört hat. Und dann noch die in sechs Jahren ausgefeilten Songs: Hier ist eines der ganz wenigen kompletten Alben voller Hymnen der aufkommende „Madchester Scene“. Songs, die Tanzbarkeit und einen gewissen „independent spirit“ in sich vereinen. Bei „Elephant Stone“ oder „She Bangs the Drum“ wird Neo-Psychedelia und Dance gepaart, „I Wanna Be Adored“ ist zurecht herrlich arrogant – mit seinen klingelnden Gitarrenschichten und seinem unverschämten Text ist es einfach adorable. Und wenn Ian Brown am Ende der LP „I am The Resurrection“ singt, mag er sich wie der Erlöser vorkommen, das acht-minütige Monster aus Gitarrenlärm und rollenden Rhythmen aber läßt wirklich buchstäblich Tote auferstehen. Es ist tragisch und leider auch nicht verwunderlich, dass die Band nach diesem formidablen Debüt an der eigenen Arroganz und den daraus resultierenden Vertragsquerelen (immerhin grandios) scheiterte.

The Cure
Disintegration

(Fiction, 1989)

Cover Art – Parched Art. Porl Thompson und Andy Vella, die gemeinsam etliche Cover für The Cure gestaltet haben.

Was haben The Cure in den 80ern nicht für Meisterwerke abgeliefert. Schon ihr zweites Album von 1980 – Seventeen Seconds – war ein Klassiker. Die nachfolgenden Alben gehören zum Sound der Achtziger und sind zugleich eigenständig. Es gibt auch heute noch keine Band, die „klingt wie The Cure“. Manche lehnen sich an deren Sound an, aber die Paarung von Gothic, New Wave und Pop-Elementen mit dem eigenartigen Klang von Robert Smith’s Stimme ist einzigartig. Und irgendwie schaffte Robert Smith es in diesen Jahren immer wieder, neue Facetten seiner Vorstellung von Popmusik zu zeigen. Disintegration ist zu gleichen Teilen aus der Düsternis von Faith und der Experimentierlust von Kiss Me, Kiss Me… zusammengesetzt. Die verwaschene Synthesizer und Keyboardsounds unterlegen die Songs mit einem Gefühl der Erhabenheit, Bass und Schlagzeug treiben die Melodie an, und Smith singt zutiefst persönliche Texte, die aber zugleich von universellen Sehnsüchten und Ängsten handeln könnten. Bei den Aufnahmen war Bandmitglied Simon Tolhurst zwar zugegen, aber meistens betrunken. Der Musik und ihrer Qualität tat dies keinen Abbruch. Wieder einmal schrieb Smith etliche unsterbliche Popsongs – wie etwa das klaustrophobe „Lullabye“ oder den schon fast ZU romantischen „Lovesong“. Natürlich ist das Musik, die hauptsächlich auf die Emotionen zielt – wie The Cure sie von Beginn an spielten – und es ist zugleich und genau deswegen perfekte Pop-Musik – mit einem unkopierbaren Sound. Disintegration ist ein weiteres Meisterwerk von The Cure und eines der ganz großen Alben der Achtziger – und es ist zeitlos geblieben – was man nur bei wirklich guter Popmusik manchmal findet..

The Blue Nile
Hats

(Linn, 1989)

Cover Art – Die Werbeagentur Marr Associates Inc.

Gerade habe ich bei The Cure noch über den etwas zeitloseren Sound in der Populärmusik berichtet, der auf einigen Alben des Jahres ’89 Einzug hält. Der Sound von Blue Nile, insbesondere die Art der Produktion von Drums und Synthesizern auf ihren beiden wunderbaren Alben A Walk Across the Rooftops und Hats allerdings unterliegt ganz massiv den modischen Prinzipien der Achtzigert, ist so „Eighties“ wie möglich – und somit eigentlich modisch im schlechtesten Sinne. Aber Hats ist wieder eines dieser Alben, bei denen das Songwriting, die Themen der Songs und auch Paul Buchanan’s Stimme die Musik zeitlos machen. Hats ist ein Album voller verzweifelter Hoffnung und vergeblichem Begehren,; eines, das es trotzdem schafft, nie düster zu klingen. „Let’s Go Out Tonight“ und „Downtown Lights“ ragen heraus, aber jeder einzelne der gerade mal sieben Songs besteht als perfektes Beispiel für außerordentlich kunstvoll konstruierte Musik. Die Präzision, mit der diese Band arbeitete – sie brauchten nicht umsonst ganze fünf Jahre, um den Nachfolger zum formidablen Vorgänger A Walk Across the Rooftops zu erschaffen – ist aus jeder Note, jeder Melodie und jedem Beat herauszuhören. Die Songs haben cineastische Qualität, ohne ausladend zu werden. Bilder werden angedeutet, eine suggestive Atmosphäre dazu erschaffen und der Rest spielt sich im Kopf des Hörers ab. Es sind Bilder von nächtlichen Bars, glitzernden Skylines, Subways und Neon-Laternen, unter denen der Protagonist voller melancholischer Erinnerungen nach Hause schlendert. Es ist eine Atmosphäre, wie sie Frank Sinatra für seine Generation 25 Jahre zuvor mit In the Wee Small Hours so perfekt erschuf. Die Reaktion der Kritik war enthusiastisch und Kollegen in England und den USA zollten größten Respekt. In der Tat sind die beiden ersten Alben von Blue Nile unverzichtbare Klassiker der „sophisticated“ Popmusik, und die Frage, ob sie in anderem Klanggewand besser geklungen hätten, ist lediglich akademisch.

Nirvana
Bleach

(Sub Pop, 1989)

Cover – Lisa Orth, Designerin für Sub Pop

…und so fing es an: In Seattle gab es einen gewissen Kurt Cobain, einen jungen, ein bisschen disfunktionalen, aber ehrgeizigen Musiker, der sich die furchtlose Vermischung von Pop, Punk und Wahnsinn bei den Pixies genau angehört hatte und der in den letzten Jahren ein kleines Trio um sich versammelt hatte – mit wackligem Platz am Schlagzeug, aber mit einem freundlichen Riesen als Bassisten. Dieser Typ hatte bei den Beatles und bei The Clash und den Stooges und bei seinen Kumpels von den Melvins zugehört… Kurt Cobain’s Inspirationen sind „musically correct“ in höchstem Maße. Und seine Musik mag beeinflusst sein von Anderen – wie soll es zu Beginn der Neunziger – also nach 25 Jahren Rockmusik – auch anders sein. Aber er hatte auch immer seine eigene Vision davon, was dabei herauskommen sollte. Das Debüt von Nirvana wurde für gerade mal 600 $ vom Indie-Produzenten Jack Endino in ein paar Tagen aufgenommen, was Cobain’s Ethos entsprach, und man sollte es einfach NICHT vergleichen mit Nevermind, DEM Mega-Seller und Markstein des Alternative-Rock. (Der auch nie als das geplant war, was er dann wurde…) In gewisser Weise spiegelt Bleach die Vorstellung von Musik viel stärker wieder, die Nirvana Zeit ihrer Existenz hatten, ist so auch weit näher an der Atmosphäre ihrer Live-Auftritte. Bassist Krist Novolesic war, wie oben angedeutet, (bis zuletzt) Cobain’s engster Vertrauter, an den Drums half bei diesem Album noch Melvins-Schalgzeuger Dale Crover aus. Dave Grohl sollte erst einige Monate später zu der Band stoßen. Es wäre sicher interessant, sich vorzustellen, wie dieses Album mit der deutlich „kommerzielleren“ Produktion des Nachfolgers geklungen hätte (diese Anführungszeichen sind ernst gemeint, Nevermind war meiner Meinung nach auch nie „kommerziell“ gemeint). Die meisten Songs sind nicht weniger von Pop geprägt, als der Über-Hit und Durchbruch „Smells Like Teen Spirit“. „About a Girl“ etwa hat durchaus schon die Qualitäten der Songs des kommenden Albums, genauso wie der Opener „Blew“ oder das Cover „Love Buzz“. Manchmal versinkt das Album im „Sludge“ (= Schlamm), und das war gewollt – aber selbst Monster wie „Paper Cuts“ haben ihre Qualität. Dass Bleach im Gefolge des Nevermind -Erfolges zum Big Seller wurde ist berechtigt. Es ist nicht so wie Nevermind, aber auch andere Bands hätten auf solch einem Album ihre Karriere aufgebaut. ’89 aber war dem Album nur ein moderater Erfolg… oder besser: Noch hat keiner was bemerkt.

Pixies
Doolittle

(4AD, 1989)

Cover – Vaughan Oliver. Einer der Haus-Designer von 4AD

…Nur im Rückspiegel sind Nirvana ’89 DAS Thema im US-Punk… und ganz zurecht wurde der zu dieser Zeit noch ganz unbekannte Kurt Cobain nie müde, die Pixies als eine seiner absoluten Lieblingsbands und Black Francis als seinen liebsten Songwriter zu loben. Die Pixies waren – für den der sie erstmal sah – ein dicklicher Schreihals mit einer Vorliebe für Surf- und Punkrock und absurde Geschichten, gesegnet mit einer immensen Popsensibilität. Mit einer Band im Rücken, die aus Musikern bestand, die genug Profil für jeweils eigene Bands hatten. Sie spielten auf den dreieinhalb Alben ihrer ersten Karrierephase Popsongs mit den Mitteln des Garagenrock und der manischen Intensität von Heilanstalts-Insassen. Und auch sie landeten zunächst mit ihrem inzwischen schon dritten Albums keine großen Radio-Hits. Es war schließlich das Ende der Achtziger – die Zeit VOR „Smells Like Teen Spirit“ – und die Charts waren voll mit Müll. Übrigens auch, weil die Programmchefs in den kommerziellen Radiostationen und bei MTV feige und bequem waren. Aber die Pixies hatten in Musikerkreisen und bei den intelligenteren Teilen der jungen Generation einen Erdstoß ausgelöst, der – wie gesagt – unter anderem bis nach Seattle reichte. Sie lieferten das Dynamit, das Bands wie Nirvana den Weg freisprengen sollte. Auf Doolittle ist alles zu finden, was die interessante Musik der 90er ausmachen würde. Preziosen wie die unwiderstehlichen Singles „Here Comes Your Man“ und „Debaser“ oder der surrealen Love Song „La La Love You“. Produzent Gil Norton verlieh dem ganzen gerade genug Struktur, um den lyrischen wie soundtechnischen Irrwitz des Black Francis im Zaum zu halten. Songs wie „Monkey Gone to Heaven“ machte die Pixies zu Underground-Helden und Doolittle zu einer der besten LP’s der Dekade. Aber auf dem Album erkennt man auch das Problem, an dem die Pixies letztlich scheitern sollten: Nur bei einem Song noch („Sliver“) bekam die Bassistin Kim Deal einen Credit. Der Rest war vom Diktator Black Francis befohlen. Bald würde die Band am Egoismus Francis‘ zerbrechen und sie konnten ihrer zweiten Inkarnation – 25 Jahre später – nicht mehr an ihre Klasse anknüpfen. In Seattle allerdings gab es einen jungen Mann, der ganz genau zugehört hat…

NoMeansNo
Wrong

(Alternative Tentacles, 1989)

Artwork – NomeansNo und John Yates

Wie weit sich Hardcore/Punk in den Jahren seit Fresh Fruit and Rotting Vegetables (1980) von den Dead Kennedy’s entwickelt hat, sieht man ja am Debüt von Nirvana. Aber im Vergleich zu den Kinder aus Seattle sind die aus Vancouver (also nur ein paar Kilometer entfernt…) stammenden Kanadier NoMeansNo vor Kraft und Erfahrung strotzende Erwachsene. Ihr Hardcore ist mühelos komplex, ausgefeilt komponiert, schlau, gern mit absurden Lyrics und mit einer Wucht hervorgebracht, die darauf beruht, dass diese Musiker sich blind verstehen. Dass NoMeansNo nicht den Bekanntheitsgrad von Nirvana erreichen konnten, mag traurig sein – aber hätten die das überhaupt gewollt? Das vierte NoMeansNo-Album Wrong jedenfalls ist eines der besten Punk-Alben der Rock-Geschichte, direkt neben The Clash, Fresh Fruit… und Damaged von Black Flag – dazu auch noch völlig eigenständig. NoMeansNo sind Väter des Math-Rock, haben den Hardcore für Intellektuelle erfunden – sind aber gottseidank nicht verkopft wie so manche Nachahmer. Wrong ist ihr Meisterwerk, aber sie haben ihre Klasse bis zum 2006er Abschluss All Roads Lead To Ausfahrt gehalten. Es sind die Brüder Rob und John Wright (aka Mr. Wrong und Mr. Right… two Wrights do make a Wrong…) am Bass und am Schlagzeug, die die Musik prägen. Vor allem der enorme Bass von Rob Wright schafft die Verbindung von Punk und Jazz. Dazu kommen vor Kraft strotzende Songs wie „The Tower“ – mit höchst bildhaften, anspruchsvollen Lyrics – oder das halsbrecherische Fast-Instrumental „Brainless Wonder“, der kurze Ausbruch „Tired of Waiting“ oder der schräge Punk von „Two Lips, Two Lungs and One Tongue“. Das Album ist enorm abwechslungsreich, was auch daran liegen mag, dass die Wright-Brüder ihrem Gitarristen Andy Kerr (credited als „None of your fucking business“) Raum ließen. Den folgenden relativen Erfolg dieses Albums in den kommenden Monaten schrieb John Wright – ehrlich wie er war – dem Hype um Nirvana zu. Vielen Leuten verlangte es nach Hardcore-Punk – nach Musik, die kein Konsum-Produkt war, sondern Ausdruck einer bestimmten Haltung zur Welt. Voller Wut, Liebe, Verzweiflung und Humor. DAS ist Wrong… im Moment (2021) nur zu absurd hohen Preisen bei Discogs zu bekommen. Ein Vinyl- Re-Issue wäre Pflicht!!!

Galaxie 500
On Fire

(Rough Trade, 1989)

Cover – Bassistin Naomi Yang. Die hat alle drei Galaxie 500 Album-Cover gestaltet

Die New Yorker Galaxie 500 sind eine dieser Bands, die man keiner Zeit zuordnen kann. Natürlich gibt es im Sound, in der Produktion ihrer drei Alben gewisse Hinweise auf die End-Achtziger bzw. die beginnenden Neunziger, aber bei On Fire gab es meiner Meinung nach – auch Dank Produzent Kramer – eine gewisse Neutralität in Produktion und Sound – was der Musik bis heute gut tut. Die Band um den Songwriter Dean Wareham stand in scharfem Kontrast zu anderen Acts ihrer Stadt – war nicht so abgeklärt und urban wie Lou Reed etwa, sondern klang eher nach introvertierter Melancholie und warmem Sonnenuntergang am Pazifik. Sie mögen dem Noise-Rock der NY-Kollegen Sonic Youth und Swans ein paar Rückkopplungen zu verdanken haben, aber der Bezug zur psychedelischen Musik der Sechziger war bei ihnen deutlicher als bei den coolen Kollegen. Aber genug der Vergleiche – denn die brauchen Galaxie 500 eigentlich nicht. Ihr zweites Album (von drei gleichwertigen…) erschuf seine ganz eigene Atmosphäre aus surrealen Slacker-Lyrics, slow-motion Gitarren und einem sozusagen monochromen Sound, der zu jeder Zeit einzigartig geblieben wäre. Wareham’s Vorbilder mögen erkennbar sein, aber seine zurückhaltende Stimme klang immer ein bisschen verschnupft aus dem Off, und das Rhythmus Gespann aus Naomi Yang (b) und Damon Krukowski (dr) spielten zwar unauffällig, aber sehr melodisch und einfallsreich. Die Musik erzeugte eine Stimmung von positivem Fatalismus und sie bekam dank Wareham’s simplem aber einfallsreichem Gitarrenspiel immer im rechten Moment eine Dosis Spannung. Am Ende des Albums wurde mit „Isn’t It a Pity“ George Harrison gecovert – ein Verwandter im Geiste vermutlich. Hier fügte Produzent Mark Kramer sein „cheap organ“ hinzu, anderswo half Tom Waits‘ Trompeter Ralph Carney aus – und all das hatten die Songs nicht einmal nötig. Auch für On Fire will ich keine Highlights benennen, weil sich das komplette Album unauffällig auf extrem hohem Niveau bewegt. In den vier Jahren ihrer Existenz haben Galaxie 500 dreimal die perfekte Quintessenz psychedelischer Musik auf Vinyl gepresst. Dass sie inzwischen als Klassiker gelten, ist verdient. Produzent Mark Kramer sollte ein paar Jahre später die Slowcore Könige Low entdecken, eine von vielen Bands, deren Musik deutlich von Galaxie 500 beeinflusst ist.

Neil Young
Freedom

(Reprise, 1989)

Art Direction – Gary Burden

Neil Young hatte in den 80ern zwar einige wirklich schlechte Platten aufgenommen, aber seit Life (1987) ging die Formkurve endlich wieder aufwärts. This Note’s For You vom Vorjahr war zwar ein unbehauenes oder sogar unbeholfenes Experiment in Blues, aber auch da hatte es einige Lichtblicke gegeben. Den Return to Form von Freedom hätte man allerdings dann doch nicht erwartet (Ganz nebenbei – dasselbe gilt für Lou Reed, der in diesem Jahr 1989 mit New York ein ebenso überraschendes kreatives Comeback hatte, das hier genauso seinen Platz verdient hätte…). Young jedenfalls hatte auf seinem neuen Album gleich mehrere Stücke für die Ewigkeit! Da ist das Straßenepos „Crime in the City“ mit tollen Lyrics, das rührselige, aber sooo schöne „Wrecking Ball“ die Mariachi Ballade „Eldorado“, und als Rahmen gleich zweimal „Keep on Rockin‘ in the Free World“ (wie auf Tonight’s the Night einmal akustisch und einmal elektrisch und auch bald ein Live-Favorit) und das fatalistische „No More“. Es gab auch ein paar Filler, mehr als man einem Musiker von Young’s Statur eigentlich zugestehen sollte, aber selbst die waren zu verschmerzen. Dann gab er einige ziemlich konfuse Konzerte, taumelte durch’s eigene Repertoire, hatte dabei immer mehr magische Momente, trug dieselben Hemden, wie die aufkommende Generation Grunge, und der Gedanke erschien auf einmal doch nicht mehr so abwegig, dass einer (oder zwei – siehe oben) der Helden der 60er und 70er doch wieder etwas zu sagen haben könnten.

Morbid Angel
Altars Of Madness

(Earache, 1989)

Cover – Dan Seagrave. Hat hunderte von Metal Alben mit seinen Illustrationen versehen – siehe danseagrave.com

Wenige Alben sind für die Entwicklung des Death Metal – und somit für Metal und extreme Musik an sich – so wichtig wie Altars of Madness. Morbid Angel setzten neben Chuck Schuldiners‘ Band Death mit High Speed Riffs, komplexen Song-Strukturen und den chaotischen Soli von Trey Azagthoth einen Standard, dem bald haufenweise anderer Bands nacheifern würden. Die Texte von Sänger David Vincent und Azagthoth wurden aufgrund ihrer satanistischer Thematik als extrem provokant angesehen (dabei sind sie inzwischen – nach Black Metal – höchstens „Standard“…), und sie waren so eindeutig, dass niemand sie als Pose mißverstehen konnte – was zur voraus-berechneten Empörung in den entsprechenden Fach-Magazinen führte. David Vincents Stimme (das sog. „Growlen“) klang auf diesem Album noch „höher“ und somit vielleicht veständlicher, als auf den folgenden Werken, was neben den kontroversen Inhalten der Lyrics ein weiterer Grund sein mag, warum die skandinavische Black Metal Szene der 90er explizit dieses Album von Morbid Angel als Vorbild bezeichnete. Im Sound der Band aus Tampa, Florida gab es noch reichlich Thrash-Elemente, was die Band seltsamerweise immer leugnete, aber Altars of Madness machte in allen Belangen zweifellos und eindeutig den Schritt vom Thrash in den Death-Metal (der IST ein Kind des Thrash…) und hat mit „Chapel of Ghouls“ mindestens einen Klassiker des Genres an Bord. Die Band hatte schon 1986 ein Demo-Album aufgenommen, das sehr extrem war – aber noch mehr nach Thrash Metal klang (es wurde 1991 nachträglich veröffentlicht…). Laut der Band war auch Altars of Madness – im Vergleich zu den folgenden Werken – amateurhaft aufgenommen – aber ich kann in dem rohen und unmittelbaren Sound keine Fehler entdecken und habe eher mit den überproduzierten Werken der kommenden Jahre Probleme. Altars of Madness ist schlicht eines der einflussreichsten – und beeindruckendsten – Metal Alben der 80er – und somit ein wichtiges Album der populären Musik.

De La Soul
3 Feet High And Rising

(Tommy Boy, 1989)

Cover – vom radikalen Kunst Kollektiv
„Grey Organisation“

…und jetzt – als Provokation für alle Metlheads nach dem Klassiker von Morbid Angel – gleich zwei entscheidende Alben aus der Bibliothek des zu dieser Zeit noch verfeindeten HipHop. 3 Feet High and Rising ist mit Sicherheit bis heute eine der einfluss- und einfallsreichsten Platten in diesem Genre, und es ist eines der innovativsten und positivsten Alben seiner Zeit. Das Trio De La Soul aus Amityville – Long Island erfanden mit seinem Debüt eine Art des HipHop, der sich nicht mit den üblichen Street- und Gewalt Themen sondern mit Liebe, Spaß und positiver „D.A.I.S.Y. Age“ Philosophie befasste. (Das Akronym steht für „da inner sound, y’all„…). Die drei Rapper Posdnuos, Trugoy und Maseo stellten sich nicht einfach nur zum Kampf gegen zu dieser Zeit angesagte Acts wie Public Enemy oder Boogie Down Productions, sie wollten wahrhaftig aufzeigen, dass es auch positive Seiten im Leben gibt, wollten etwas Peace & Love gegen die übliche Gangsta Attitüde setzen und ihre Leute zugleich auf ihre afrikanischen Wurzeln hinweisen. Daraus entstand nicht einfach HipHop, sondern eine Art Pop, der Samples aus ganz anderen Quellen als den im HipHop üblichen verwandte. Steely Dan, Johnny Cash, Hall & Oates und die Turtles werden gesamplet, bei „Pothouse in My Lawn“ erklingt eine Mouthharp und Country-Yodeling (im Chorus!), die Texte handeln von der wahren Liebe („Eye Know“) oder mahnen vor den üblen Folgen von Drogenmissbrauch („Say No Go“). Der eine Hit „Me, Myself and I“ ist purer, selbstbewusster Spaß, der andere Klassiker, „Magic Number“ ist eine kindlich-frohe Sample Orgie mit genialer Melodie. Dieses Album wirkt mit seinen Verweisen auf andere Künstler und mit hintergründigen In-Jokes wie eine DJ-Platte, die mehr mit Spaß zu tun hat, als mit hartem Ghetto-Alltag. Die Rhymes sind flüssig, virtuos und so ungeheuer positiv aufgeladen wie man es bis da nicht kannte. De La Soul waren in dieser Hinsicht die Ersten und definierten ein ganzes Genre – und das über eine erstaunlich lange Zeit. Letztlich klang und klingt bis heute kein Album so wie dieses „Sgt. Pepper des HipHop“.

Beastie Boys
Paul’s Boutique

(Grand Royal, 1989)

Cover Art – Panorama Shoot der Ludlow Street in NY als Fold Out Cover, fotografiert von Jeremy Shatan

Und hier wie versprochen, die zweite ganz große HipHop LP des Jahres 1989. Des Zeitpunktes mithin, an dem HipHop – wie Hardcore Punk – aus dem Underground in den Mainstream startete. Dieses zweite Album der New Yorker Beastie Boys ist ebenso genre definig wie 3 Feet High... Dabei waren die drei weissen, jüdischen Jungs Ad Rock aka Adam Horovitz, MCA aka Adam Yauch und Mike D aka Michael Diamond nach dem Erfolg ihres Debüt’s Licensed to Ill und dem Über-Hit „Fight for Your Right (to Party) etwas spöttisch als One-Hit Party-Wonder abgeschrieben worden. Aber die drei Schlauköpfe gingen nach L.A., holten sich die Sample Spezialisten Dust Brothers (auch schöne Namen: E.Z. Mike aka Michael Simpson, King Gizmo aka John King) als Kollegen und Produzenten ins Studio. Paul’s Boutique mag ja auf den ersten kurzen Blick weniger intellektuell scheinen, will mehr Spaß um des Spaßes willen. Das war schließlich das Rezept ihres ersten Erfolges gewesen und die Stimmen der Drei waren nunmal dieselben. Aber mit Paul’s Boutique brachten die weißen B-Boys aus Broolkyn nun das definitive Statement für eine neu definierte Art von schlauem Party-HipHop. Sie sampelten die Geräusche aus der Nachbarschaft von Paul’s Boutique, grölten zum von den Dust Brothers immens geschickt verwickelten Soundsalat, machten Frauen an, gerieten in Gang-Scharmützel und erzählten von allem Möglichen. Und genau damit gelang es ihnen, HipHop mit den von ihnen geliebten Spurenelementen von Punk zu einem sehr charakteristischen Gebräu zu verquirlen. Zu einer Suppe, die keine andere Crew nachkochen konnte. Und es ist eben nicht nur die Tatsache, dass das „Wild-durch-die-Gegend“ sampeln in zwei Jahren aufgrund von „urheberrechtlichen“ Regelungen nicht mehr möglich sein würde, die es zur Tatsache macht, daß dieses definitive Statement nie adäquat wiederholt werden konnte. Interessant ist, dass dieses Album nicht – wie so oft im HipHop – um einen Track/Hit kreist, sondern wie ein verrückter Trip durch das Viertel um Paul’s Boutique wirkt. Man MUSS es ganz hören, kann nichts wirklich hervorheben. Und all diese Tracks mögen aus hundert Samples zusammengesetzt sein – aber heraus kam ein Album, in dem buchstäblich zu keiner Sekunde irgend etwas plagiiert wird. So wie die Beastie Boys 1989 klangen – und auch NACH dem Sample-Verbot von ’91 – klingt auch heute niemand. Dass Paul’s Boutique zunächst kaum bemerkt wurde, dann aber bald als das Meisterwerk erkannt wurde, das es ist, ist bezeichnend für die Karriere der Beastie Boys. Seitdem bietet dieses Album – genau wie 3 Feet High.. – einen perfekten Blick in die Zeit, als HipHop noch wirklich spannend und neu war…