Das Wichtigste aus 1988 – Hurricane Gilbert und George Bush und der Iran-Irak Krieg – Sonic Youth bis Pogues

Der Iran-Irak Krieg endet aber die USA führen zuletzt noch eine Seeschlacht gegen den Irak, bei der eine unbeteiligte Passagiermaschine abgeschossen wird. Der Republikaner George Bush wird Präsident der Vereinigten Staaten und in der UdSSR verkündet Michail Gorbatschow, dass jeder sozialistische Staat sein Gesellschaftssystem selber wählen darf.

Diese sogenannte Perestroika führt zur Entspannung im Ost-West Konflikt – und in der Folge zum Auseinanderfallen des Ostblocks. Im Irak kommen bei einem Giftgasangriff der irakischen Armee auf eine von Kurden bewohnte Stadt tausende Menschen um, in Myanmar sterben Tausende bei der Zerschlagung der Demokratiebewegung und bei einem Erdbeben in Armenien sterben 25.000. In den USA richtet der Hurrikan „Gilbert“ in Florida die größten bislang gesehenen Zerstörungen an: Eine Warnung vor klimatischen Veränderungen, die bald immer deutlicher werden. Gil Evans, Chet Baker, Nico und Roy Orbison sterben. 1988 ist ein Jahr mit einer Menge musikalischer Höhepunkte im Albumformat. HipHop’s Golden Years beginnen. Er wird gefährlich und kommerziell erfolgreich – manchmal auch gefährlich albern mit seiner macho-haften Gangsta-Attitüde – wobei man allerdings zugeben muß, dass da Realitäten geschildert werden. Kleine, unabhängige (independent…) Plattenfirmen wie 4AD, Rough Trade, Beggars Banquet oder SST bringen Platten heraus, die zu Klassikern werden – mit unterschiedlicher Musik, die unter dem Oberbegriff „Indie“ einen undefinierten Stilmix zusammenfasst, der aber dann mit dieser Bezeichnung bis weit in die Neunziger durch die Musikwelt geistert. Da gibt es z.B. Bands, die Rückkopplung von Gitarren als wichtigstes musikalisches Element entdecken (siehe Galaxie 500 oder My Bloody Valentine), während in Seattle und Umgebung im Underground Punk und Beatles verquirlt werden. Und harte Musik wird noch härter – Bands wie Carcass, Napalm Death und Death deklinieren den Sound der Sub-Genres der kommenden Jahre durch, aber noch gilt diese Musik Vielen als reiner Krach. Prince veröffentlicht seine letzte wirklich große LP, Country-Rock wird durch hinzufügen von Punk-Einflüssen allmählich zu Americana und Talk Talk und Mary Margaret O’Hara machen Platten jenseits aller Kategorien, die zu mehr oder weniger bekannten Klassikern werden. Es gibt einige ganz hervorragende Alben, aber auch Musik, die ich nur hier mal kurz erwähnen will, weil sie sonst komplett unnötig ist. Daß in diesem Jahr die CD erstmals höhere Verkaufszahlen hat als die LP, ist schon schlimm genug, aber ganz vergessen will ich Bon Jovi und andere peinliche Dicke Eier-Rockmusik oder Luther Vandross und seinen Schmuse-Soul oder gar Boygroups wie die inzwischen hoffentlich vergessenen Bros mit ihrem Konfektions-Pop.

Sonic Youth
Daydream Nation

(Blast First, 1988)

Cover – Gerhard Richter

Sheets of sound“ ist eine Bezeichnung für Musik, die meist mit John Coltranes tonal/atonalen und virtuosen Saxophon Klangwellen verbunden wird, sie passt jedoch durchaus auch auf die sonischen Attacken, den Sonic Youth auf Daydream Nation auf ihre Hörer losließen. Wellen von Feedback und dissonanten Akkorden, ein Meer aus Noise, auf dem zu surfen nicht gerade einfach war, denn es handelte sich um trügerische See mit Untiefen und gefährlichen Strömungen. Daydream Nation ist mystisch und seltsam. Surreale Texte („Here he comes again/ Magic Monkey Friend“ – „Total Trash“) treffen auf gewagte und seltsam harmonische Tunes. Dieses Album ist aufregend, immer wieder unvorhersehbar und gilt nicht umsonst als Meilenstein – zumindest in Bereichen der Musik, die unterhalb des kommerziellen Radars der Dümmlichkeiten der Reagan Jahre in den USA stattfand. Sonic Youth wurden bis dahin oft mit Velvet Underground verglichen, obwohl sie doch schon auf den beiden vorherigen Alben eigene Wege gegangen waren, obwohl sie – wie die Swans etwa – aus eine eher akademischen Kunst-Szene stammten, die den Lärm schon lange als Kunstform erkannt hatte und ihn nicht als reines Mittel zur Zerstörung altbekannter Schemata nutzte. Nun demonstrierten sie mit mit ihrer ausgefeilten Mixtur aus Noise, Improvisation und Pop, dass anspruchsvolle Musik voller Schönheit sein kann, dass man Zugänglichkeit und Lärm miteinander verbinden kann. Man höre „Teen Age Riot“, „Total Trash“ oder „Candle“ und sieht: Dieses Album steht auf gleicher Höhe neben Zen Arcade und The Velvet Underground & Nico – und es diente in den folgenden Jahren Legionen von Bands als Quelle der Inspiration. Es machte aus Kunst und Noise Pop – und Noise-Pop zu Kunst.

Talk Talk
Spirit Of Eden

(Parlophone, 1988)

Illustration – James Marsh

Ich stelle ja gerne das mir am wichtigsten erscheinende Album des jeweiligen Jahres ganz an den Anfang eines solchen Artikels. Und eigentlich ist Spirit of Eden, das vierte Album von Talk Talk, das beste aller in disem Jahr veröffentlichten Alben – ja, eigentlich ist es sogar eines der paar „besten Alben aller Zeiten“… Aber ich habe ihm hier Sonic Youth’s Daydream Nation vorangestellt, weil der Klassiker der New Yorker Noise-Könige größeren Einfluss hatte, mehr Musiker – und mehr Musik – von ihm beeinflusst wurden. Spirit of Eden ist ein Solitär, nur wirklich vergleichbar mit seinem Nachfolger… es war seiner Zeit weit voraus bezüglich Stimmung, Instrumentierung, Arrangements, Konzept und Produktion, und man kann Spirit of Eden – im höchsten Falle wenn man will – als erstes „Post Rock“ Album bezeichnen. Jedenfalls waren Talk Talk auf ihrem vierten Album eine vollkommen andere Band als zu Beginn ihrer Karriere. Ende der Achtziger war aus einer synthetischen Charts-Pop Maschine eine lose Versammlung von Musikern geworden, die mit Dobro, Harmonium, akustischem Bass, Ausbrüchen auf der Blues Harp, Strings, Gitarren-Noise und mit einem Kinderchor etwas einzigartig Schönes erschufen. Über all dem lag Bandkopf Mark Hollis‘ fragiler Gesang und sein so harmonisches Songwriting, dem man die Vergangenheit in den Pop-Charts immer noch anhören konnte – der sich aber nach dem schon erstaunlich komplexen Vorgänger The Colour of Spring nun endgültig in Richtung Kunstlied verabschiedete. Zwei Jahre zuvor war man sich ja noch nicht sicher gewesen, wo Talk Talk sich hin bewegen würden, aber Spirit of Eden war dann eindeutig. Spiritualität spielt sowohl bei der Musik als auch bei den Lyrics eine große Rolle, und das Album besteht aus sozusagen nach Innen gekehrten Texten und Songs – Songs die eher Meditationen gleichen, die erstaunlich organisch von Stille bis ins symphonische Chaos stürzen. Miles Davis, Can, die Velvets und klassische Musik werden zitiert ohne zu dozieren oder zu kopieren. Selten war Musik emotionaler, selten wird der Hörer auf so faszinierende Weise in ihren Bann gezogen – es ist emotionale Kopfmusik, konstruiert, ohne konstruiert zu wirken, zufällig erscheinend, aber doch geplant – und nur durch den Nachfolger Laughing Stock noch einmal erreicht. Spirit of Eden ist eines der originären Meisterwerke der Musik und steht außerhalb des Kontextes der Pop- oder Rockmusik – und hat ganz nebenbei auch mit dem, was in zehn Jahren Post Rock genannt wird letztlich wenig zu tun.

Pixies
Surfer Rosa

(4AD, 1988)

Cover – Vaughan Oliver

Frank Black, Kim Deal, Joey Santiago, und David Lovering waren The Pixies und 1988, als die Radiolandschaft mit Synth-Pop und Hair-Metal kontaminiert war, waren es diese vier „Oddballs“, die den den Alternative Rock in die Richtung schoben, die in den Neunzigern vorherrschend werden würde – und dann in gezähmter Form zum Mainstream mutierte. Hüsker Dü und die Minutemen übertrumpften sich in dieser Zeit – zum Ende ihrer jeweiligen Karrieren – gegenseitig mit Doppelalben und Sonic Youth pflügten die Noise-Landschaften durch, aber die Pixies machten mit Surfer Rosa (und dem Nachfolger Doolittle ) etwas ganz Anderes. Sie zeigten, dass Musik bedrohlich und wahnsinnig… und zugleich Pop sein kann. Hüsker Dü mögen ähnlich getrieben geklungen haben, aber die Pixies waren beim Wüten witziger und nicht so unmittelbar aggressiv – und damit in der Folge auch erfolgreicher. Man kann Frank Black wohl kaum unterstellen, dass er sich darüber im klaren war, dass er mit dieser Musik den Rock der kommenden Dekade entscheidend beeinflussen würde. (Die Pixies hatten großen Einfluss auf Kurt Cobain und den Erdrutsch, den der ein paar Jahre später mit Nirvana erzeugte). Da gab es Indie-Hits wie “Where is My Mind ?“ oder das unsterbliche „Gigantic“, die Lärm mit süßestem Pop paaren – die Lyrics allerdings sind manchmal nicht gerade leichte Kost: Wer die Vagina „Bone Machine“ nennt, denkt sehr funktional – oder hat ein Problem mit Geschlechtsteilen – und Kim Deal singt auf „Gigantic“ bei einem vordergründig niedlichen Pop-Song über Penisgröße. Und der geniale „Zu-Der-Zeit-Noch-Indie“ Produzent Steve Albini kreierte einen Sound, der mit seiner trockenen Wucht Maßstäbe setzte und der zum Vorbild vieler anderer Bands werden sollte – womit er sich selber nebenbei unentbehrlich machte. Surfer Rosa läutet den Indie Rock der Zukunft ein.

My Bloody Valentine
You Made Me Realise EP

(Creation, 1988)

Was für ein Jahr für die irische Band My Bloody Valentine: Im August und September die EP’s You Made Me Realise und Feed Me With Your Kiss, und dann im November ihr (tatsächlich zweiter!) Longplayer Isn’t Anything – aber vor Allem, nach einigen Jahren als nette Twee-Pop Band nun die Etablierung eines Sounds, der sich anhört – oder besser anfühlt – als würde man von einem Düsenjet eingesaugt und lebendig wieder ausgespuckt. Ja, die Vergangenheit als melodieverliebte Indie-Pop Band ist noch lebendig, aber mit dem Weggang des ehemaligen Sängers Dave Conway und dem Zugang von Gitarristin/ Sängerin Bilinda Butcher und Bassistin Debbie Googe – und mit dem Wechsel zum krediblen Label Creation – hatte sich der Sound von My Bloody Valentine so sehr geändert, dass Bandkopf Kevin Shields später den Fans abriet, irgendwelche Musik seiner Band aus der Zeit vor ’88 zu erwerben. Die erste Single mit Bilinda Butcher („Strawberry Wine“) war noch Jangle-Pop gewesen, aber auf You Made Me Realise beginnen sie ihren Pop mit heftigsten Gitarren-Rückkopplungen zu übergießen – und damit den Sound zu erzeugen, der bald etliche Nachahmer fand. Dass das Titelstück der EP zu ihren besten Kompositionen gehört, ist ein Argument für diese EP, dass dieses Stück im Mittelteil das weisse Rauschen der Gitarren in den Vordergrund stellt, dass die restlichen drei Stücke dagegen kaum abfallen sind weitere Argumente für diese EP.

My Bloody Valentine
Feed Me With Your Kiss EP

(Creation, 1988)

Die Tatsache, dass der Nachfolger Feed Me With Your Kiss den gefundenen Sound/ das Konzept der Noise-Behandlung von eigentlich süßen Pop-Songs noch vertieft, zeigt zum Einen dass MBV einen Lauf hatten und ist auch noch Hinweis auf die Bedeutung der EP’s nicht nur für diese Band: Epigonen wie Ride oder Slowdive sollten die EP ebenfalls als vollwertige Ergänzung zur LP etablieren. Beide EP’s sind inzwischen auf der Compilation EP’s 1988-91 billig zu finden – weit billiger als die Originale jedenfalls – und mir gefällt Feed Me… etwas besser als der noch ein ganz kleines bisschen unentschlossenere Vorgänger . Aber es ist ein Unterschied um Millimeter.

My Bloody Valentine
Isn’t Anything

(Creation, 1988)

kann man vielleicht als Bestätigung der gefundenen Identität sehen. Die EP’s waren ja noch eher für die Fan’s, die LP war nun ausgearbeitet – und sie verblasst nur neben dem, was mit den EP’s Glider und Tremolo sowie dann zuletzt mit dem Meisterwerk Loveless noch kommen sollte. Angeblich tüftelte Kevin Shields auch hier schon wochenlang am Sound zum Album, nahm die Gitarren mit soviel Hall wie möglich und allen möglichen weiteren Effekten auf, um dann den Klang der Gitarren selber wieder zu löschen und nur das Rauschen übrig zu lassen. Das Ergebnis jedenfalls hätte nie so toll geklungen, wären unter dem metallischen Klirren nicht so feine Songs wie „(When You Wake) You’re Still in a Dream“, „No More Sorry“ oder „All I Need“. Die zeigen, dass nicht nur US Bands wie Sonic Youth oder Hüsker Dü Noise und Pop verbinden können – auch über die Länge einer kompletten LP – sondern dass diese Iren da einen völlig eigenen Stil entwickelt haben und dabei so klingen wie niemand zuvor (auch nicht wie The Jesus and Mary Chain…). Isn’t Anything hat das Schicksal, vom Nachfolger Loveless regelrecht erstickt zu werden, aber es zeigt für mich eigentlich am Besten, welche Schönheit sich unter all den Soundschichten bei dieser Band verbirgt.

Eleventh Dream Day
Prairie School Freakout

(Amoeba, 1988)

Und hier nun der bei mir immer wiederkehrende Fall von persönlicher Vorliebe – und eine logische Fortsetzung des Prinzips „Gitarren, Gitarren, Gitarren, und der süße Lärm, den sie erzeugen können“. Prairie School Freakout mag obskur sein, aber es ist meiner Meinung nach eines der ganz großen Alben dieses Jahres. Eleventh Dream Day, das Quartett aus Lousiville, hatte zwar schon eine EP veröffentlicht, aber erst ihr Debüt-Album ist ihr wirklich triumphaler Start. Sie wollten ein Album machen, das so nah wie möglich an ihre dynamischen Auftritte heranreichte und spielten deshalb zehn Songs live im Studio ein – wobei das Aussteuern der Gitarren länger gedauert haben soll, als die Aufnahmesession selber. „Watching Candles Burn“ als Opener hat schon eine gewaltige Rasanz, die Band klingt wie die Punk-Version von Neil Young & Crazy Horse, man mag sie auch mit dem Dream Syndicate oder den L.A.-Punks X vergleichen, aber letztlich sind sie zu sehr Midwesterner, zu wenig urban, um sich wirklich mit diesen Großstadt-Pflanzen vergleichen zu lassen. Janet Beveridge Bean und Douglas McCombs sind eine kraftvolle Rhythm Section auf der Rick Rizzo und Baird Figi brennende Soli abfeuern („Tenth Leaving Train). „Beach Miner“ hat eine Richard Lloyd Gitarrenmelodie auf Crazy Horse-Akkordfolgen, bei „Among the Pines“ bricht ein Mann sich in der Dusche den Schädel und sieht zu wie sein Leben in den Abfluss rinnt. Die Band wurde nun – wie so viele bislang eigentlich als unkommerziell geltende Bands – von der Musikindustrie und größeren Labels bemerkt, Atlantic nahm sie unter Vertrag und sie machten vielleicht bessere Alben, aber keines brennt wie Prairie School Freakout .

Green On Red
Here Come The Snakes

(Restless, 1988)

Keyboarder /Gitarrist und Songwriter Chris Cacavas hatte Green on Red verlassen, um eine beachtliche Solo-Karriere zu starten (und in diesem Jahr Howe Gelb bei Giant Sand auszuhelfen) und sein scheinbar unverzichtbarer Keyboard-Sound war nicht mehr. Man hätte nicht erwartet, dass Chuck Prophet und Dan Stuart diesen Verlust so leicht verkraften könnten, aber die beiden gingen nach Memphis und nahmen dort unter der Ägide des legendären Produzenten und Musikers Jim Dickinson und seinem Kollegen Joe Hardy mit Here Come the Snakes völlig unbeirrt von allen Personalien ihr bestes Album auf. Dafür ließen sie die Psychedelismen der Anfangsjahre hinter sich und spielten einen Roots Rock, der unverkennbar an den Stones ca. Exile on Mainstreet angelehnt war. Das Schöne daran: Der Umbau gelang – denn zum Einen hatten sie die Songs, zum Anderen flossen so viel Soul, so viel Dylan und Gun Club in ihre Musik, dass Gedanken an einen schnöden Rip-Off gar nicht erst aufkommen konnte. Natürlich wurden die Zitate der Vorbilder bewusst gesetzt und die Musiker schämten sich auch keineswegs, das deutlich zu sagen: Der Opener „Keith Can`t Read“ bekam den entsprechenden Titel, steinerne Riffs a la Richards und dazu passende schmierige Vocals, „Rock’n’Roll Disease“ machte sich über New Wave und MTV lustig, aber am besten waren sie bei ruhigen, ein bisschen windschiefen Country-Jams wie „Morning Blue“ und bei der Ballade „We Had It All“…. Hier (und beim folgenden Album) findet man einen der Anfangspunkt des Alternative Country..

American Music Club
California

(Demon, 1988)

Der American Music Club hatte schon in den Jahren zuvor hier und da Aufmerksamkeit erregt, aber mit California wurde die Band um den Schmerzensmann Mark Eitzel zu einer anerkannten – weil vollkommen eigenständigen – Band. Die Musik auf ihrem dritten Album kreist verstärkt um Eitzel’s hoch-emotionalen Gesang und den warmen, oft mit der Pedal-Steel von Bruce Kaphan verzierten Sound einer Band, die oft genug als Wegbereiter des Slow-Core bezeichnet wird – die aber dafür eigentlich zu eigenwillig klingt. Eitzel ist ein großer und tragischer Geschichtenerzähler, zumal Einer, der seine Songs absolut glaubhaft vorträgt. Und auf California hatte er seinen bislang besten Song untergebracht – „Blue and Grey Shirt“ berichtet von einem an AIDS verstorbenen Freund – und es ist ein Song ohne jeden unnötigen Kitsch, tief empfunden und ehrlich. Dass Eitzel das Album California benennt – nach dem Bundesstaat, der doch als so sonnig in jeder Hinsicht gilt – beweist intelligente Subversion. Der warme Sound der Band ließ dazu auch die andere Songs auf diesem Album tiefrot erstrahlen. Vom Steel-Gitarren getragenen Opener „Firefly“ bis zum strahlenden „Luminous“ – das hier ist kein simpel dahinschleichender Slow-Core, auch kein modernisierter Country, das reicht tief und hat genau so viel mit der Weltmüdigkeit eines Leonard Cohen zu tun – mit einer Gesangs-Stilistik, der in ihrer entbößten Emotionalität vielleicht sogar ein bisschen an Morrissey erinnern mag. In den USA waren AMC kein Thema, in Europa wurden sie ab jetzt eine Weile zur Kenntnis genommen, California und der Nachfolger Everclear (von ’91) sind große, zeitlose Musik.

Cowboy Junkies
The Trinity Sessions

(RCA, 1988)

Und noch einmal Slow-Core – eine der musikalischen Ideen, die Ende der Achtziger Früchte trägt. Da gibt es natürlich die wunderbaren Galaxie 500, die Psychedelic Rock in Zeitlupe spielen, da sind Codeine, die den Hardcore betäuben – und da ist mit den kanadischen Cowboy Junkies eine weitere wichtige Band dieser Art, die auch eine eigene Handschrift hat: The Trinity Session ist nach dem schon sehr guten Debüt Whites Off Earth Now das Album, auf dem sie ihren Sound perfektionierten. Es ist ein komatöser und zugleich intensiver Klang, eine dem Bandnamen entsprechende Country-Folk-Version von Velvet Underground, die zwar den Eindruck erweckt, als wäre die ganze Band auf Beruhigungsmitteln oder sogar Heroin – die aber dafür letztlich doch zu konzentriert klingt. The Trinity Session wurde in einer einzigen Nacht in einer Kirche aufgenommen – und diese Umgebung gibt dem Album tatsächlich neben dem Titel den sakralem Klang, der so zu den Cowboy Junkies passt. Songwriter Michael Timmons ist mit fünf Eigenkompositionen sowie mit dem Text zu „Blue Moon Revisited“ – einer neuen Version eines Rogers & Hart Klassikers – vertreten. „Misguided Angel“ klingt wie ein uraltes Traditional, wahrscheinlich weil die Junkies immer irgendwie „alt“ klingen. Mit diesem zweiten Album brachten die Cowboy Junkies ihre Verlangsamung von Countrymusik zur Perfektion und insbesondere Margo Timmins Stimme war inzwischen der nicht mehr ganz so heimliche Star. Großartig – und natürlich auch ungeheuer stylish – die Auswahl der Coverversionen: „Sweet Jane“ von den Velvets ist naheliegend, Hank Williams‘ „I’m So Lonesome I Could Cry“ passt ebensogut wie Patsy Cline’s „Walkin‘ After Midnight“. The Trinity Session ist ein nicht ganz so heimlicher Klassiker des Slow-Core – von einer Band, der es gelungen war einen Sound zu entwickeln, der nicht zu imitieren ist.

The Go-Betweens
16 Lovers Lane

(Beggars Banquet, 1988)

16 Lovers Lane ist das letzte Album der Go Betweens vor ihrer 12-jährigen Pause (das erste, das ich selber besaß…) und es ist eine wundervolle Suite aus Songs über zerfallende Beziehungen und verlorene Liebe, ein Album, das man inhaltlich tatsächlich ein bisschen mit Fleetwood Mac’s Rumours vergleichen kann. Die Go-Betweens waren aus dem grauen London nach Australien zurück gegangen, und die Rückkehr in die Sonne weckte vergessen geglaubte Gefühle. Zugleich aber hatten sich Robert Forster und Drummerin Lindy Morrison getrennt und Grant Mclennan und Amanda Palmer begannen gerade eine Beziehung. Robert Forster nannte das Album „the perfect combination between London melancholy and Sydney sunshine“. So kam die Band im Mai ’88 mit der erklärten Absicht in Sydney zusammen, ein letztes großes Album zu machen – und genau das gelang ihnen auch: „The Devil’s Eye“ handelt noch von der glückbringenden Kraft der Liebe, die Single „Streets of Your Town“ aber klingt zwar nach hellen Sommertagen, hat aber schon gefährliche Unterströmungen, „Love is a Sign“ mit seinen halb-erinnerten Bildern ist wunderbar arrangiert mit eleganten Mandolinen und den Strings von Amanda Brown, die auf diesem Album ihr ganzes Können zeigte. Das Album mag nicht so kraftvoll und originell sein wie das ’83er Meisterstück Before Hollywood, – als die Band vor Leidenschaft und Energie strotzte und diese Art von Popmusik noch gänzlich überraschend daherkam – und es ist auch nicht so ausladend und innovativ wie Liberty Belle and the Black Diamond Express aus dem Jahr ’86. Aber es hat in seinen besten Momenten das Beste aus beiden Alben und steht ihnen somit nicht nach. Die Musik der Go-Betweens hat aufgrund ihres zeitlosen Songwritings und der klug gewählten sparsamen Mittel einen Vorteil: Sie klingt auch heute noch modern.

Public Enemy
It Takes A Nation Of Millions to Hold Us Back

(Def Jam, 1988)

Es gibt natürlich einen Artikel mit dem Titel „Golden Age of HipHop“ – aber für mich persönlich begann HipHop mit genau diesem Album… Womit ich nicht alleine sein dürfte – bis heute hat It Takes a Nation of Millions to Hold Us Back seine Gültigkeit behalten, auch wenn die Zeit und die Moden es soundtechnisch angegraut aussehen lassen. 1988 aber waren Public Enemy „The real deal“: Ein Act von immenser gesellschaftlicher Sprengkraft, bestehend aus einem innovativen Produktionsteam (The Bomb Squad), einem radikalen schwarzen Nationalisten als mediales Aushängeschild und „Sprecher“ (Professor Griff), sogar mit einer paramilitärischen Tanztruppe (The S1W’s), dem Rapper und B-Boy Flavor Flav, und einem politisch wachen Kopf (Chuck D) als ideologischem Anführer – der die nationalistischen Ausfälle von Professor Griff abfedern konnte. Chuck D’s zu dieser Zeit noch völlig unnachgiebig radikale Rhetorik ( später würde er als Schauspieler reüssieren – und weit zahmer werden…) wurde perfekt untermalt von den revolutionären Sound-Clashes vom Bomb Squad, bei dem sich alle zehn Sekunden der Sound veränderte, bei dem Slayers „Angel of Death“ gesamplet wurde, während Flavor Flav (mit einer riesigen Uhr um den Hals) sein HipHop-Theater um die Black Panther Bewegung veranstaltete. Nach einem schon hervorragenden Debüt wurden Public Enemy mit diesem, ihrem zweiten Album im Nekropolis der Reagan Ära zu so etwas wie einem einem kulturellen Molotov-Cocktail. Und sie bekamen den verdienten Erfolg. Das seinerzeit meistverkauften Rap-Album gilt als Höhepunkt des Old-School HipHop und „Bring the Noise“ und „Don’t Believe the Hype“ sind zwei der besten Rap-Tracks überhaupt, letzterer mit einem Titel, der zum Slogan werden würde – und was wäre bedeutender im HipHop ? Und als Post Scriptum noch Folgendes: Die gleiche Bedeutung – aber meine persönliche Aufmerksamkeit ein paar Monate später – bekommt ein im Grunde ebenso fundamentales Album – das damit durchaus auch hier seinen Platz hätte haben können. Aber über N.W.A.’s Straigh Outta Compton lies bitte in besagtem Artikel mehr…

Queensrÿche
Operation: Mindcrime

(Manhattan, 1988)

Eigentlich ist mir “Metal” mit Konzept und übertriebener technischer Brillianz ein Greuel. Ich mag an dieser Musik eher ihre Kraft, als die dafür erforderlichen Skills. Wobei ich bei den klassischen Alben von Metallica, Slayer, Death, Gorguts etc. selbstverständlich auch die Virtuosität (an)erkenne. Und in die Gruppe der technisch UND in ihrer Kraft beeindruckenden Alben passt auch das 88er Durchbruchs-Album der progressiven Power-Metal Band Queensrÿche. Denen gelang das Kunststück, mit einem eigentlich völlig überkandidelten Konzeptalbum incl. komplexem Plot und Streicher-Arrangements von Michael Kamen dennoch ein Album voller Stringenz, Spannung und Härte zu machen,das alle anderen Metal Alben dieses so reichen Jahres übertraf (’88 bietet Metallica, Voivod, Forbidden, Slayer etc….) Operation: Mindcrime handelt von einem Glücksritter, der – enttäuscht von der US-Gesellschaft und ihren politischen Führern – zum Attentäter werden will, sich verliebt, und dabei diverse philosophisch/politische Ansichten kolportiert. Die Story mag manchmal ein bisschen ZU schlau sein, aber die Umsetzung ist furios. Man merkt immer wieder, dass diese Band harten,progressiven Metal gemeistert hatte, aber auch ruhigere, komplexe Songs spielen konnte. Insbesondere die Singles “Eyes of a Stranger” und “I Don’t Believe inLove” blieben bei aller Kraft sogar im Ohr. Dass Queensrÿche mit „Silent Lucidity“ – der Single des kommenden Albums – einen weltweiten Hit landen konnten, ließ sich vorausahnen. Aber wo die Band auf den nächsten Alben mit ihrer Suche nach Anspruch scheiterte, da hatte Operation: Mindcrime die erforderliche Konzentration auf die notwendige Härte: Bei „Revolution Calling“, „Speak“ oder „Spreading The Disease“ kommt nicht nur Geoff Tate’s famose Stimme zu ihrem Recht, da geht diese Band auch noch wirklich in die Vollen. Ganz passend, dass Operation: Mindcrime von Peter Collins produziert wurde. Der hatte mit Rush einer ähnlich glaubwürdigen Progressive Metal Band den Sound designed. DAS Metal Album ’88…

The Pogues
If I Should Fall From Grace With God

(Stiff, 1988)

Cover-Foto – Iain McCell

Dass es eine solche Band geschafft hat, einen veritablen und zugleich kommerziell erfolgreichen Klassiker der populären Musik zu machen, grenzt an ein Wunder. Irish Folk ist genau wie Punk oder „Weltmusik“ eigentlich kein Garant für hohe Verkaufszahlen. Aber The Pogues vermischten auf ihrem dritten Album völlig unbenommen von kommerziellen Erwägungen all die hier genannten Elemente – und hatten in den Album-Charts einen echten No-3-Hit – und schafften es mit der wunderschönen Single „Fairytale of New York“ tatsächlich einen der ganz wenigen Weihnachts-Songs in die Hitparaden zu bringen, der tatsächlich schön und zeitlos ist. Einen großen Anteil an all der Klasse und Glaubwürdigkeit der Pogues hatte zweifellos Sänger, Songwriter und Zahn-Katastrophe Shane McGowan. Dessen versoffene, zugleich kontrollierte Stimme – sein gefühlvolles Gegröhle – ließ jeden Gedanken an folkloristischen Kitsch vergessen. Und dass er ein hervorragender Songwriter war, solange er seinen Alkohol-Konsum noch im Rahmen hielt, war auf If I Should Fall From Grace With God auch sehr deutlich erkennbar. The Pogues hatten mit dem Vorgänger Rum Sodomy & the Lash – produziert von Elvis Costello – schon große Klasse bewiesen und irischen Folk in Punk gebadet. Nun nahmen sie drei Jahre später die Hilfe von U2 Produzenten Steve Lillywhite in Anspruch und versammelten Songs, die sich in drei Jahren voller Vertrags-Querelen, Touren und Umbesetzungen angesammelt hatten. Da gab es das von einer tagelangen Party in Spanien inspirierte „Fiesta“, da hatte ihr Gitarrist Phil Chevron mit „Thousands Are Sailing“ einen großartigen Song über die Diaspora der Iren in den USA geschrieben – eines DER Themen in der irischen Musik. Da gab es den ruhigen irischen Folk von „Streets of Sorrow“ – geschrieben vom neu dazu gekommenen Terry Woods, einem Veteranen von Steeleye Span – das dann von McGowan’s „Birmingham Six“ jeder Saccharin-Süße beraubt wurde. Es gab den rasanten Titeltrack und den tatsächlich von türkischer Musik beeinflussten „Turkish Song for the Damned“. Und die Sehnsucht und Liebe, die McGowan in „Lullaby of London“ steckte, wurde von der erdigen Kraft der virtuosen Band mit Banjo, Tin Whistle, Mandolinen und Gowan’s besoffenen Stimme auf dem Boden gehalten. Die Pogues waren die Verbindung von Van Morrison, Tom Waits und The Clash – und sie hatten von all diesen Meistern ihrer Kunst nur das Beste genommen, Irish-Pub Kenntnisse dazu gesteckt und mit McGowan einen absoluten Charakterkopf obenauf gesetzt. Und If I Should… wurde zum Füllhorn, das diese Band über uns ausgoss. Danach kam außer dam ’90er Album Hell’s Ditch nichts Dolles mehr.