Auch Brasilien wird wieder demokratisch, in Neuseeland versenkt der französische Geheimdienst das Greenpeace-Schiff „Rainbow Warrior“, das Wrack der „Titanic“ wird am Meeresboden entdeckt, die „Achille Lauro“ wird von palästinensischen Terroristen entführt. In der afrikanischen Sahelzone führt eine schon lange anhaltende Dürre zu einer immer fataler werdenden Hungersnot – auch ein Hinweis darauf, dass sich die klimatischen Bedingungen weltweit verändern. In England wird als Spendenaktion dafür das 1. Live Aid Konzert organisiert. In Kolumbien kommen bei einem Vulkanausbruch 31.000 Menschen ums Leben. Mit dem Schauspieler Rock Hudson stirbt einer der ersten wirklich Prominenten an AIDS. Arrangeur Nelson Riddle (Frank Sinatra) stirbt und am 31. Dezember 1985 kommt Rock’nRoll/ Country-Rock Pionier Rick Nelson bei einem Flugzeugabsturz ums Leben. Wie so oft in den 80er Jahren gibt es eine relativ geringe Anzahl von besonderen bzw. hervorragenden Veröffentlichungen und danach eine Menge Musik, die zurecht in Vergessenheit gerät. Das Debüt von The Jesus and Mary Chain ist einer der absoluten Klassiker, so unterschiedliche Künstler wie Kate Bush, Tom Waits oder The Fall geben uns fantastische Alben. Heavy Metal ist auf dem Sprung zu hochinteressanten Extremen wie Thrash- und Death Metal und in der heute unter dem Begriff Alternative Rock zusammengefassten äußerst heterogenen Sparte der Musik erscheinen einige Klassiker (Siehe Hüsker Dü). Und dann sind da noch The Smiths und Prefab Sprout und The Chameleons und The Cure (zuverlässig wie immer…) und die Pogues. Aber diese schönen Alben werden in den Charts von Unsinnigem und Peinlichem verdrängt – so zum Beispiel vom Debüt der Hochleistungssängerin Whitney Houston, die eine ganze Armee von seelenlosen Gesangsmaschinen nach sich ziehen wird, oder da ist wieder einmal Phil Collins mit Banalitäten – oder man kann sich an 80er Schmock von Foreigner oder Starship (ehem. Jefferson Airplane, leider abgestürzt) delektieren, wenn man Musik nur als Geräuschkulisse für den Hintergrund braucht. Aber solche Musik findet hier nicht statt.
https://music.apple.com/de/playlist/der-gro%C3%9Fe-rockhaus-1985/pl.u-WabZZAGtdKkB04b
The Jesus And Mary Chain
Psychocandy
(Blanco Y Negro, 1985)
Wenn man über The Jesus and Mary Chain und ihr bahnbrechendes Debüt Psychocandy spricht, müssen die Namen Phil Spector und Brian Wilson sowie Velvet Underground und The Stooges fallen. Denn die disparaten Elemente aus der Musik solcher Musiker waren die Einflüsse der beiden Reid-Brüder und ihres Schulfreundes Doug Hart, die den Kern der Band ausmachten. Und man muss ihre chaotischen, gerade mal 20-minütigen Konzerte erwähnen, bei denen die Band mit dem Rücken zum Publikum einen Sturm aus Feedback und Lärm losließ, der für regelrechten Aufruhr beim Publikum sorgte. Der Trick, diesen „White Noise“ mit süßen Harmonien aus der Beach Boys-Schule zu verquicken, sollte in den kommenden Jahren Legionen von Musikern und Bands inspirieren – unter anderem den jungen Kevin Shields, der sich hier wohl einen Teil seiner Inspiration für seine Band My Bloody Valentine holte. Jesus and Mary Chain brachten mit ihrem Debüt Psychocandy auf einen Schlag Rückkopplungen und bewußt herbeigeführten Kontrollverlust zurück in die doch recht clean gewordene Rockmusik. Tatsächlich waren sie mit ihrer Musik seinerzeit ein Schlag ins Gesicht des musikalischen Establishments – und mit ihrem durchaus kalkulierten Image zwischen den Velvets und den Stooges zugleich so altmodisch wie Elvis oder zumindest die Sex Pistols. Daß unter all dem Noise auch noch Pop verborgen lag, macht Psychocandy (der LP-Titel ist äußerst passend) zu dem, was es ist: Zur besten Platte dieses Jahres, und zugleich zu einem der prägendsten Alben der 80er. Beste Songs unter vielen sehr guten: Die Single „Just Like Honey (süß und wild) und „Never Understand“ (rasend und gewalttätig) …und der Ramones-mit-Rückkopplung Pastiche „In a Hole“ etc etc…. Klug: Die Idee, die Songs in der Regel nicht länger als 2-3 Minuten andauern zu lassen, stylish: der gleichgültige Gesang von Jim Reid – genau wie das Outfit der Musiker ganz in Schwarz und mit hochtoupierter Frisur – das war nicht nur Mitte der Achtziger der Dresscode für Rebellen. Und natürlich wusste der Radio Guru John Peel schon beim erste Hören, das da eine weitere Revolution angezettelt worden war.
The Fall
This Nations Saving Grace
(Beggars Banquet, 1985)
„Feel the wrath of my Bombast!“ ruft Mark E. Smith auf dem Nachfolger zum großartigen Vorgängeralbum Wonderful and Frightening World of the Fall . Und so zeigt This Nation’s Saving Grace The Fall tatsächlich ein weiteres mal – besser: Schon wieder!! – auf der Höhe ihrer Kunst. Stücke wie „Barmy“, „What You Need“ und das kraftvolle „Gut of the Quantifier“ werden angetrieben durch die twanging Leads von Smith’s nun fest integrierter Ehefrau Brix. Sie lärmen mit polternden Drums und Rückkopplungen, und dazu beschimpft Smith Alle und Jeden – das Rezept ist doch eigentlich bekannt, auch wenn es nur diese eine Band gibt, die ihre Suppe auf diese ganz spezielle Weise zusammenkocht. Diesmal ist es eine teilweise Abkehr von den bekannten Mustern und Sounds, die This Nation’s Saving Grace wieder interessant macht.: „L.A“ verweist mit seinen Sythesizer-Sounds schon auf kommende Experimete der Band im Bereich der Electronica, „I Am Damo Suzuki“ – das Tribut an den inzwischen bei den Zeugen Jehova’s und sonstwo abgetauchten Sänger von Can – klingt wie die Quintessenz der Musik von The Fall. Und die (natürlich mindestens halb-ironische) Verbeugung vor diesem Sänger macht bei Mark E. Smith sogar Sinn. Wenn Smith irgendwelche Musiker widerwillig bewundert haben mag, dann die von Can – und insbesondere ihren Sänger…. The Fall klingen auf diesem Album zugleich abenteuerlich, geerdet und witzig – sie sind bei einer wohltuenden Balance angelangt. Nicht ganz zu Unrecht gilt This Nation… bis heute als bestes Album der John Peel-Darlings unter einer wirklichen Unmenge von Alben. Die Musik nahm in ihrer Kompromisslosigkeit und Klasse gewiß einiges vorweg, was Bands wie die Pixies oder Pavement dann in den 90ern machen sollten..
The Smiths
Meat Is Murder
(Rough Trade, 1985)
Es ist wirklich mein Ernst. Schon wieder taucht hier ein Album der Smiths auf – so wie The Fall oder The Cure hat die Band um Morrissy letztlich kein Album gemacht, das man NICHT beachten sollte- Und im Vergleich mit anderen Alben das Jahres ’85 ist dieses wieder so wichtig, dass ich es hervorheben muss. Das zweite Studioalbum der Smiths Meat Is Murder mag im Vergleich als eines ihrer schwächeren gelten, aber was heißt das bei der Band, die die Charts in den Achtziger erträglich machte (und die letztlich doch sowieso viel zu wenige Alben gemacht hat). Es ist ganz einfach das Album, auf dem sie sich ihres Stils und ihres Könnens versicherten, denn hier begannen sie den Jangle Pop des Debütalbums zu variieren. In anderen Worten: Es ist das Album am Wendepunkt, aufgenommen als man sich über die Richtung, in der es weitergehen sollte gerade klar wurde. Wie so oft bei solchen Platten sind die guten Songs wirklich sehr gelungen: „How Soon Is Now ?“ ist düsterer und zugleich tanzbarer als Alles, was sie zuvor gewagt hatten, die Band schreibt Mid- Tempo Nummern wie das melancholische „That Joke Isn’t Funny Anymore“, aber am besten sind sie wenn sie sich auf ihre eigentlichen Stärken besinnen: Die wunderbaren Gitarren und das Songwriting auf „The Headmaster Ritual“ and „I Want the One I Can’t Have“ zeigen die Band in Hochform. „Rusholme Ruffians“ ist sogar Rockabilly von den Smiths. Dazu gibt es noch die Tatsache, dass die Produktion des Albums definitiv besser war, als auf dem Debüt. Also muß ich sagen: Trotz einiger schwächerer Songs ist Meat is Murder ein großes Album mit der besten Popmusik, die die Achtziger im United Kingdom zu bieten hatten. Es verblasst ganz einfach nur im Licht des kolossalen Nachfolgers The Queen is Dead wie Rubber Soul vor Revolver verblasst..
The Cure
Head On The Door
(Fiction, 1985)
Head On The Door kann man als das Album ansehen, das The Cure so vorstellt, wie wir sie bis heute kennen – es ist der abschliessende Archetyp für das Image der Band. Sie ließen den hüpfenden Post-Punk von Three Imaginary Boys genau so hinter sich wie die trübe Düsternis der „Goth-Trilogie“ und den dekadenten und eher ungeliebten Funk von The Top und etablierten hier endgültig die Eine, immer erkennbare – aber zuvor immer gefilterte Facette in Robert Smith’s musikalischer Persönlichkeit: Den Pop. Natürlich ist Pop bei The Cure immer abgedunkelt und experimentell – die Geschichte der Band und die Person Robert Smith ließe gar nichts anderes zu – aber der Fokus liegt ab hier auf der Suche nach dunklen Pop-Songwriter Perlen. Und fündig wurde Smith sofort mit dem Album-Opener und dissonanten Ohrwurm „In Between Days“ und – auf der zweiten, besseren LP-Seite – der klaustrophobischen Hit Single „Close to Me“. Diese beiden sind umrandet von vier Album-Tracks, die so gelungen sind, dass sie das Album bis zum Ende unterhaltsam sein lassen. „A Night Like This“ is a blast, mit lustigem Saxophon-Teil, „Screw“ und „The Baby Screams“ sind so schön bedrohlich, wie es nur The Cure können und mit dem Closer „Sinking“ versinkt das Album dann wohltuend in der Hölle. Da hat man das asiatische Plinkern des „Kyoto Song“ und die spanischen Gitarren von „The Blood“ auf der ersten Seite der LP gerne vergessen. Man könnte beklagen, dass Robert Smith, der alle Songs allein geschrieben hatte, zu viel versucht hatte und das Album dadurch etwas zu zu eklektizistisch wurde, aber die Variabilität kann man auch als Qualität ansehen. Dass The Cure mit dem folgenden Album Kiss Me, Kiss Me, Kiss Me, Kiss Me eine wahre Disco-Kugel mit tanzbarem „Gloom and Doom“ machten, war nur logisch. Robert Smith hatte sein Rezept gefunden, und Head on the Door wurde zum internationalen Erfolg. Dass sich die Gothic-Gemeinde unbehaglich schüttelte oder sogar abwandte, ist mir egal. Es ist ein gutes, sehr eigenes und wiedererkennbares Album, wenn auch nicht ihr Bestes…
Prefab Sprout
Steve McQueen
(CBS, 1985)
Hier das Album zu den Themen smart, stylisch und zeitlos. Steve McQueen ist ein Klassiker, und das obwohl das Album viele der in den Achtzigern modischen und heute ungeliebten Trademarks der Popmusik seines Jahrzehntes hat. Da ist natürlich die Produktion von Thomas Dolby: Dieser Sound war damals State of the Art, und er klingt heute im Zusammenhang mit den Songs seltsamerweise immer noch passend. Passend zu Songs, die freilich alle Moden überstrahlen. Songwriter Paddy McAloon gilt nicht umsonst als eines der Genies seiner Zunft, hier erreichte er seinen ersten Gipfel. Die Musik ist leicht wie Baiser und zugleich vertrackt – wie die von Steely Dan vielleicht – immer mit einer gewissen Ironie in den Texten, aber weniger weltmüde, britisch verschroben manchmal, und zugleich auch immer mit einem herzergreifenden Sinn für Romatik. „Bonny“ – „Appetite“ – „When Love Breaks Down“ – „Goodbye Lucille #1“. Auf der ersten Seite der LP vier Songs in einer Reihe, auf denen Andere wahrscheinlich ein komplettes Album aufbauen würden – oder eine ganze Karriere. Die zweite Hälfte des Albums ist auf den ersten Blick schwächer, aber immer noch grandios. Sie erfordert weiteres Nachhören…. Und ein Weiteres….so, wie das gesamte Album. Nach dem Album wurde die Band immer mehr zum Solo-Projekt des Paddy McAloon, und der wurde immer exzentrischer, aber bis heute schreibt er seine wunderbaren Songs. Sophisticated Pop, so darf man das hier nennen.
Emmylou Harris
The Ballad of Sally Rose
(Warner Bros., 1985)
Mitte der Achtziger schien Country – ausser im Radio unverbesserlicher Rednecks – eigentlich tot. Keine Kreativität mehr, die Outlaws der Siebziger assimiliert oder von Drogen künstlerisch und kommerziell zerstört und von Punk, New Wave, Disco, Pop und Rock in die Ecke des konservativen Amerika gespült. Und da kommt auf einmal Gram Parson’s Muse Emmylou Harris mit einem schlicht wunderschönen, durchdachten Album daher, das Alles vereint, was Country irgendwann mal spannend gemacht hat. Und das, nachdem sie selber zu Beginn der Achtziger kreativ geschwächelt hatte. Ihre Stimme war freilich immer toll geblieben, und mit diesem Pfund allein könnte auch The Ballad of Sally Rose wuchern. Es handelt sich um ein Konzept-Album, das die Geschichte einer jungen Sängerin erzählt, die einen talentierten Musiker kennenlernt, neben ihm aufsteigt, sich in ihn verliebt, ihn für eine Solo-Karriere verlässt, dann wieder zu ihm zurückkehren will – aber er stirbt… Na ja, Harris und Gram Parsons‘ Geschichte mit gerade so vielen Veränderungen, dass man keine schlichte Autobiografie daraus liest… Dass Harris diese Geschichte aus vollem Herzen wiedergibt, dass ihre immer ein bisschen gebrochene Stimme jede Emotion transportieren kann, ohne die Kontrolle zu verlieren… geschenkt. Aber die emotionale Verbundenheit mit den Songs war deutlich zu hören. Und sie hatte mit Paul Kennerley einen Co-Autor, mit dem sie gerade frisch verheiratet war – was die Inspirationsquellen wohl noch üppiger sprudeln ließ. Das Personal war natürlich ebenfalls gediegen: Albert Lee, Hank DeVito, Russ Kunkel… alles illustre Namen aus der Studio-Szene in Nashville, teils auch erprobte Mitglieder ihrer Tour Band. Emmylou Harris hatte in den späten Siebzigern schon ein ganzes Paket hervorragender Alben gemacht (die auch hier hin gepasst hätten…), und The Ballad of Sally Rose ist eben aus dem gleichen Holz geschnitzt wie Pieces of the Sky (’75) oder Luxury Liner (’77). Songs wie der Titeltrack, das wunderschöne „I Think I Love Him“ oder das flotte „Bad News“ decken alle Bereiche der Country-Balladenkunst ab – und bleiben allesamt kurz und bündig – ein weiterer Beweis von Klasse. Dass einer der Songs „Sweetheart of the Rodeo“ heisst (wie das Byrds-Album, das unter Gram Parsons Einfluss entstand), war wohl auch kein Zufall. Das Cover gibt die Musk perfekt wieder: Kitsch mit enorm viel Geschmack. So soll Country sein.
Kate Bush
Hounds Of Love
(EMI, 1985)
Auch Hounds of Love ist eines jener Alben, das trotz, ja vielleicht sogar WEGEN seiner in den Achtzigern verwurzelten Klangästhetik alle Moden überdauern wird. Unterstützt von dem gerade von ihr entdeckten Fairlight Synthesizer und versehen mit einer fast kristallinen Produktion schuf Kate Bush (in meinen Ohren neben The Dreaming ) hier ihr bestes Album. Dem Vorgänger hätte man eine berechnete Unkommerzialität vorwerfen können, auf Hounds of Love war das Songwriting – zumindest auf Seite 1 der LP – kohärenter, das Konzept klarer erkennbar, und mit „Running Up That Hill“ mit seinen gallopierenden Percussion, mit der wunderbaren Verschwörungsballade „Cloudbusting“ mit gleißenden Strings waren gleich zwei der größten Hits von Kate Bush’s Karriere dabei, die dazu mit spektakulären Videos auf MTV beworben wurden. Auf der zweiten Seite der LP hatte Bush mit der Suite „The Ninth Wave“ einen Songzyklus über Geburt und Wiedergeburt konzipiert. Eine klar femistische Thematik, die sich auf Papier wie eine esoterische Kopfgeburt anhören mag. Aber heraus kam ein in Pop geerdeter Songreigen, der vor allem durch seinen melodischen Reichtum und Kate Bush’s bislang beste Gesangsleistung zu beeindrucken wußte. Hounds of Love ist ein völlig individualistisches Album -eines, dem Musikerinnen wie Björk mindestend konzeptuell etliches abgeschaut haben dürften, auch wenn der Stil von Kate Bush sich als unkopierbar erwiesen hat – und es ist auch noch perfekte Popmusik. Die Musikerin trieb ihren Individualismus hiernach noch weiter auf die Spitze, bis sie dann ab den 00er-Jahren nur noch Musik machen würde, wenn Mutterschaft, Lust und Laune es ihr geboten erscheinen liessen.
The Pogues
Rum, Sodomy & the Lash
(Stiff Rec., 1985)
„My task was to capture them in their delapidated glory before some more professional producer fucked them up“ So sah Elvis Costello seine Rolle bei der Produktion des zweiten Albums der irischen Folk-Punks The Pogues. Und dieses gewünschte Festhalten der Band in all ihrer Spontaneität, ihrer Rage, ihre Feuer und der schmutzigen Glorie gelang ihm auch: Rum, Sodomy & The Lash zeigt die Band so, wie man auf es sich schon auf dem Debüt gewünscht hätte. Aber es ist natürlich nicht nur ein gelungener Produzenten-Job, Rum Sodomy & the Lash zeigt auch, dass Trinker-Genie Shane MacGowan’s riesige Schritte als Songwriter und Texter gemacht hatte. Hier gelang es ihm, die Wut des Punk – übrigens durchaus klischeehaft – mit der genauso klischeehaft scheinenden Erzählkunst des irischen Folk zu vereinen. „The Sick Bed Of Cuchulainn“ oder die Stricher-Serenade „The Old Main Drag“ zeigen seine Vielseitigkeit und sein Talent in Beidem – Text und Songwriting. Man kann seine Zitate alter Folk-Traditionen durchaus als Fake oder als schlechte Imitation klassischer Vorlagen diskreditieren – aber machte Dylan z.B. nicht auch genau das auf SEINEM zweiten Album? Das Beispiel Dylan nenne ich hier ganz bewußt. Zu dieser Zeit war McGowan ein moderner, von Punk beeinflusster Dylan aus Irland. Seine Lyrics waren schlicht spektakulär. Dass er dazu eine Band im Rücken hatte, die die irische Musik mit fast unanständigem Furor spielte, ist natürlich ein Unterschied zum Übervater des Folk. Und natürlich hatten die Pogues, wie jede gute Folk Band, auch die Songs anderer Musiker bzw. ein paar wohlgesetzte Traditionals drauf: Bassistin Cait O’Riordan’s gespenstische Performance auf „I’m a Man You Don’t Meet Every Day“ ist superb (… Costello würde sie übrigens später heiraten…), und Shane MacGowan mag zwar „Dirty Old Town“ und die abschliessende Anti-Kriegs Hymne „And the Band Played Waltzing Matilda“ nicht selber geschrieben haben, aber er machte sie zu Songs, die man bald zum großen Teil mit den Pogues und vor Allem mit seinen genialisch torkelnden Vocals verbinden würde. Toll, dass das drei Jahre später folgende If I Should Fall From Grace With God noch eine kleine Stufe besser war. Schade, dass McGowan nicht die Disziplin eines Dylan hatte und im Alkohol ersoff.
Tom Waits
Rain Dogs
(Island, 1985)
Die beste Beschreibung für Tom Waits Musik auf Rain Dogs war wohl „Die Dreigroschenoper gesungen von Howlin‘ Wolf“. Tom Waits hatte sich zwei Jahre zuvor mit Swordfishtrombones neu erfunden, das Image des Poeten, Säufers und Bohemiens gegen ein weit surrealeres Bild eingetauscht – bzw. sein altes Image zumindest mit einem Schleier der Absurdität versehen. Und dieses Image ist bis heute sein ureigenes geblieben, von manchen höchstens schlecht kopiert, aber nie erreicht – zumal Waits immer schon das Zeug dazu hatte, seine Außenwirkung mit fantastischen Stories und dazugehörigen Songs zu unterfüttern. (In dem Zusammenhang bezeichnend und ganz lustig: Der Typ auf dem Cover ist NICHT Tom Waits…) Ich denke, auch als Folkie oder Power-Pop Musiker wäre er wohl einer der ganz großen Songwriter und Geschichtenerzähler geblieben. Rain Dogs nun war Fortsetzung und Zementierung des neuen künstlerischen Selbstbildnis. Der Unterschied zum vorherigen (in meinen Augen etwas besseren) Album war zum Einen der neue Gitarrist Marc Ribot, der zu der Kakophonie der Geräusche faszinierende Licks und Leads beitrug, sowie eine größere Zugänglichkeit des Materials. Da sind nun Kabarett-Songs wie „Singapore“, Voodoo-Grooves wie „Big Black Mariah“ oder ein Delta Blues wie „Gun Street Girl“. Und natürlich ist auf diesem Album das wunderbar romantische „Downtown Train“ – leider inzwischen zu oft von weniger talentierten gecovert. Rain Dogs ist als mittlerer Teil einer der großen Album-Trilogien der populären Musik nicht der beste Teil (der kommt noch mit Bone Machine), aber es ist eine schöne Kollektion von Songs aus einer anderen Welt.
Einstürzende Neubauten
½ Mensch
(Some Bizarre, 1985)
Nach Tom Waits scheint es auf den ersten Blick sogar passend, Musik anzupreisen, die mit Gegenständen aus Schrottplätzen und Baumärkten in Berlin von den Einstürzenden Neubauten erzeugt wurde. Was dabei herauskam, hat allerdings mit der Songkunst Waits‘ wenig gemein. Auf ihren ersten Alben waren die Neubauten noch ganz image-konform chaotisch, kaputt, berlinerisch punk ‚rüber gekommen. Beim dritten Album hatten sie den ersehnten Bekanntheitsgrad erreicht, der es ihnen erlaubte, mit Gareth Jones den krediblen und kompetenten Depeche Mode Produzenten ins Studio einzuladen – Und das besten EN-Album kam zustande. DieNeubauten waren und sind einzigartig. Sänger und Aushängeschild Blixa Bargeld mag ein enorm auf sein Image bedachter eitler Sack sein – aber er weiss, wie Pop funktioniert und er nutzt sein Wissen zu dieser Zeit, um beeindruckende Musik zu veröffentlichen. Wobei die Hilfe von Bargeld’s Mit-Arbeitern keinesfalls vernachlässigt werden sollte – auch wenn Christian Emmerich (so sein wahrer Name…) die gerne in die zweite Reihe drängt. Denn gerade musikalisch ist ½ Mensch revolutionär. Mann kann es als eines der ersten „reinen“ und nicht völlig obskur gebliebenen Industrial-Alben bezeichnen. Wobei die saubere, kalte Produktion von Jones die Band erstmals dazu treibt, regelrechte „Songs“ zu schreiben und nicht allein auf den Lärm zu achten. Dass sich das Kreischen von Sägen und das Prügeln auf Stahlplatten zu echten Songs formte, ist einem Zusammenspiel von kluger Produktion, aber auch einer gewachsenen Kenntnis im Umgang mit all den Geräten zu verdanken. Aber natürlich sind auch die deutschen, vom exzessiven Speed-Konsum beeinflussten Texte große Kunst – das muss ich bei aller Antipathie zugeben. Bargeld wusste diese martialische Marschmusik mit entsprechenden Parolen zu schmücken. Immer lauert der Wahnsinn in seiner Stimme, immer klingt er getrieben, böse, zynisch. Und dass der Titelsong/Marsch oder das darauf folgende „Yü-Gung“ einen Kreislauf der Sucht einleiten – und dabei irgendwie sogar Hit-Qualität hatten – ist, wie ich glaube, geplant. ½ Mensch ist die Industrial-Vertonung der Spirale aus Kicks, Abhängigkeit und Verfall. Ganz Einstürzende Neubauten also. Schönes und wichtiges Album. Such‘ nach der Version mit dem Bonus-Track „Das Schaben“…
Celtic Frost
To Mega Therion
(Noise, 1985)
Bathory, Venom, Mercyful Fate und Celtic Frost: Das sind die vier Bands, die man gemeinhin als Begründer des Black Metal bezeichnet. Dabei sind mindestens drei von ihnen nicht wirklich mit den BM-Bands der Neunziger zu vergleichen – nur Bathory haben Pioniere wie Mayhem und Darkthrone auch musikalisch und soundmäßig inspiriert und klingen auch vergleichbar. Mercyful Fate und Venom dürften insbesondere durch Image, Thematik und ihre rohe Aggression ihre zu dieser Zeit noch sehr jungen Bewunderer beeindruckt und beeinflußt haben. Und was ist mit den Schweizern Celtic Frost? Die vereinen auf ihrer Debüt-LP To Mega Therion (nach diversen erschütternden EP’s wohlgemerkt…) diverse Sparten des extremen Metal. Da ist die diabolische Aggression des Black Metal, da ist nicht zuletzt das Coverdesign von HR Giger, dessen Bild I, Satan die Band nutzen durfte – das natürlich perfekt zu Black Metal passt – aber dann klingt da auch etliches nach futuristischem Thrash, nach Death Metal und progressivem Metal oder nach Doom. Celtic Frost waren ganz einfach – zu dieser Zeit logisch – stilistisch nicht vorbelastet. Es ist falsch vom besten Album der Band zu sprechen, weil sie über 20 Jahre später mit dem Doom-Brocken Monotheist einen würdigen Konkurrenten zum Debüt schufen, aber To Mega Therion ist zweifellos das revolutionärere und ungewöhnlichere Album – eines, das sich bis heute kaum einordnen lässt. Ich kenne wenige Metal-Alben deren Atmosphäre so düster ist – ein Vergleich wäre vielleicht Burzum’s Hvis Lyset Tar Oss – das betrifft wirklich nur die Atmosphäre! – aber es ist weit genießbarer, die Stile werden vermischt und statt Monotonie gibt es große dynamische Schwankungen bei stringentem Sound. „Dawn of Megiddo“ weist auf den eigenartigen Doom des 2006er Albums, „The Circle of Tyrants“ ist komplexer Death-Metal, „Eternal Summer“ ist Speed und Wahnsinn und „Usurper“ und „Jewel Throne“ sind wütender Thrash- Whatever-Metal. Sänger und Gitarrist Tom G Warrior (Thomas Gabriel Fischer…) ist der unangefochtene Bandkopf mit halb gekreischten, halb höhnisch hervogestoßenen Vocals und extrem verzerrten Gitarren. Drummer Reed St. Mark und Bassist Dominic Stein waren nur Ausführende unter seinem Befehl und ich schätze, vor Allem Warrior’s dominante Persönlichkeit dürfte einen größeren Erfolg verhindert haben. Der Nachfolger Into the Pandemonium war eine logische stilistische Wandlung Richtung Gothic, das genannte 2006er Monolith Album ist als Konkurrent gleichwertig, aber To Mega Therion war die Revolution.
Hüsker Dü
New Day Rising
(SST, 1985)
Hüsker Dü waren Mitte der Achtziger beeindruckend kreativ. Im Vorjahr hatten sie mit Zen Arcade ein überbordendes Doppelalbum voller Rage, Wucht und weissem Rauschen herausgeschossen, New Day Rising kam keine sechs Monate später auf den Markt – unter anderem weil SST darauf bestand schnell neuen Stoff nach zu liefern. Der Druck mag entsprechend groß gewesen sein, und man kann sich denken, dass die Band nicht glücklich damit war, aber ihre Kreativität wurde dadurch nicht negativ beeinflusst. Gitarrist Bob Mould näherte sich für dieses Album an Grant Hart’s Pop-Affinität an, Hart schrieb ein paar Tunes, die fast klassischer Rock sein könnten, wäre da nicht immer noch das rauschen und zischen der Gitarren und das mitunter aberwitzige Tempo, mit dem sie durch die Songs jagen. Trotzdem. Wenn du ein wirklich genießbares Album der Hardcore Band suchst – New Day Rising wäre erste Wahl. Das Album scheint kürzer als es ist, weil die 15 Songs ein solches Tempo vorlegen und so reduziert und zugleich abwechslungsreich sind. Damit verweist New Day Rising schon auf Mould’s spätere Band Sugar – und auf die Musik der gesamten Alternativen Rock-Szene des kommenden Jahrzehntes. Bei „Celebrated Summer“ gehen sie mal kurz vom Gas und lassen akustische Gitarren klingeln, das Titelstück wiederholt die drei Worte „New Day Rising!“ so oft, bis man daran GLAUBT, und Mould’s „I Apologize“ ist einfach bewegend. Und Grant Hart zeigt ein weiteres mal, dass er ein genauso großer Songwriter und Storyteller ist, wenn er bei „Books About UFOs“ singt: „She tells the same old story to everyone that she knows / She’s just sittin‘ in her room reading books about ufos…“ Immer wieder finden sich Perlen: „Powerline“ hat wieder einen ruhigeren Part, es gibt kaum Ausfälle und der pure Noise von Mould’s Gitarre macht selbst Banales beeindruckend einzigartig. Und natürlich gab es Idioten, die der Band „Ausverkauf“ attestierten, weil sie langsamer und besser produziert wurden…
Hüsker Dü
Flip Your Wig
(SST, 1985)
Für die Klugen unter uns war es kein Wunder, dass sie dann kaum acht Monate später ein weiteres großes Album schafften. Flip Your Wig ist das erste Album, das sie selber produzieren durften und das letzte für SST, es ist besser ausbalanciert und dadurch vielleicht weniger elektrisierend – aber im Grunde ist es mehr vom wunderbaren Selben. Es ist der endgültige Beweis, dass die Bedeutung ihrer Musik immer im Songwriting und nicht nur in dieser noisigen Wucht lag. Hier gibt es auch den inzwischen klar erkennbaren und sehr eigenständigen Power-Pop von Bob Mould, der nun noch mehr auf seine spätere Band Sugar verweist. Da ist wieder sein famoser Titeltrack und insbesondere der Ohrwurm „Makes No Sense At All“ – einer von Mould’s besten Songs und einer, den er auch nach dem Ende Hüsker Dü’s performte- Da ist – in Konkurrenz würde ich vermuten – Grant Hart’s „Green Eyes“, ebenfalls ein Klassiker der Band und – wenn man’s genau nimmt – ein Klassiker des Power Pop insgesamt. Und da ist immer noch der einzigartige Sound von Hüsker Dü aus völlig übersteuerten Gitarren, die die Chords nur so ‚raushauen, einem muskulösen Schlagzeug, den No Fun Vocals von Mould und Hart und dem wieder einmal kaum hörbaren Bass. Es gab und gibt bis heute keine Band, die klingt wie Hüsker Dü, all ihre Alben sind ein Anhören wert – da sind sie mit den Smith’s vergleichbar – aber die Alben-Trilogie Zen Arcade, New Day Rising und Flip Your Wig ist der real deal. Muss man kennen…