Das Wichtigste aus 1987 – Perestroika und Börsencrash – Prince & the Revolution bis Bathory

In der UdSSR wird nun auch offiziell die sogenannte Perestroika von Michail Gorbatschow verkündet, die Neujahrs-Ansprache Ronald Reagans wird in der Sowjetunion im Fernsehen übertragen. Bei einem Besuch des amerikanischen Präsidenten in Berlin fordert dieser, die Mauer niederzureißen.

Ende des Jahres vereinbaren die beiden Supermächte den Abbau der atomaren Mittelstreckenwaffen. Die Weltbevölkerung erreicht laut UN die 5 Milliarden Grenze. Am 19. Oktober gibt es am sogenannten Black Monday einen gewaltigen Börsencrash (Irgendwie interessant, dass in Zeiten der Entspannung die Geldmärkte wackeln…) und in Israel beginnt die Erste Intifada der Palästinenser. Andy Warhol stirbt in New York, ebenso Blues Musiker Paul Butterfield, Reggae Musiker Peter Tosh und Jazz Bassist Jaco Pastorius. 1987 ist das Jahr in dem sich in der Gegend um Seattle eine Band namens Nirvana gründet, das Jahr in dem mit Aretha Franklin die erste Frau in die Rock’n’Roll Hall of Fame aufgenommen wird und das Jahr in dem Michael Jackson mit Bad den Nachfolger zum Mega-Seller Thriller veröffentlicht. Ein aufgeblasener und uninspirierter Aufguss des aufgeblasenen und vom Kommerz inspirierten Vorgängers, der jedoch gekauft wird, als wäre er das Allheilmittel gegen den Niedergang der Popularmusik. Es ist auch das Jahr des Hair-Metal – zumindest kommerziell – mit der Veröffentlichung des Debüts von Guns N‘ Roses, U2 werden überlebensgroß, R.E.M. sind im Mainstream angekommen, im US-Underground haben Bands wie die Pixies, Sonic Youth, Replacements oder Dinosaur Jr. die Saat ausgebracht, die in den 90ern aufgehen wird. Dasselbe gilt für wirklich harte Musik jenseits vom Hair Metal, wo Bands wie Anthrax und Heathen den Thrash Metal weiterführen und Bands wie Death, Napalm Death und Bathory ganze Sub-Genres anstoßen. Gothic ist ein weiterer Trend mit Höhepunkten, und Prince ist die echte Alternative zum allgegenwärtigen Michael Jackson – dieweil eine wirklich gehaltvolle schwarze Musik namens HipHop sich ebenfalls im Aufwind befindet. Auch große Acts wie Sting, Springsteen und Fleetwood Mac bringen erträgliche Alben hervor und in England verabschieden sich leider die Smiths endgültig. ’87 ist wie ’86 und ’85, nur das Angebot an Stilvarianten in der populären Musik ist inzwischen breiter gefächert und Geld fließt in dieser Zeit im Musik-Business in Strömen. Die Mini- und Mikro-Genre’s der Neunzger bilden sich heraus, man könnte auch sagen, die Musik der Jugend wird immer beliebiger. Und vergessen will ich neben dem oben gedissten Michale Jackson gerne: Whitney Houston, Rick Astley oder den Schweinerock von Whitesnake… nur um ein paar Beispiele zu nennen

Prince & The Revolution
Sign ‚O‘ The Times

(Warner Bros., 1987)

Art Diretion – Laura DiPuma. Eine, die Millionen Cover designed hat…

Nach dem (relativen) kommerziellen Mißerfolg von Parade und insbesondere dem begleitenden, eher peinlichen Film Under the Cherry Moon hatte Prince die carte blanche, die er für Purple Rain und Around the World in a Day bei Warner Bros. erhalten hatte, anscheinend verspielt. Prince selber hatte dafür allerdings wenig Verständnis und war entsprechend verärgert – zumal das bedeutete, dass Warner ihn zwang, Sign o’ the Times nicht als aufgeblähtes Tripel-Album zu veröffentlichen. Aber man muss gestehen: Das ist einer der wenigen Fälle, in denen das Einschreiten eines Labels dem Künstler zum Vorteil gereichen sollte, denn so wurde das Album als zwar chaotisches, sprudelndes, eklektizistisches, aber auch notwendig reduzierte Doppel-LP veröffentlicht. His Oneness hatte in der Zeit vor der Produktion den Kontakt zu seinen Mitmusikern eingeschränkt und nach der letzten Tour The Revolution in die Wüste geschickt – und nun quasi alleine Songs aufgenommen, in denen immer wieder apokalyptische Bilder von AIDS, Drogen, Bomben, kaputten Familien und weggeworfenen Babys auftauchten, bei denen aber auch immer wieder Hoffnung auf Gott, Liebe oder einfach nur Spaß dagegen gestellt wurde. Vom perfekten, wundervoll reduzierten Titeltrack (einem von Prince’s besten Songs überhaupt) über das verspielte „Starfish and Coffee” bis zum lodernden Minneapolis-Funk von „Housequake” – dieses Album bietet auf 16 Songs mit das Beste, was Prince und die 80er zu bieten hatten. Und für die Wissenden gab es mit diesem Album vor Allem künstlerisch – und auch kommerziell – eine anständige Alternative zum (meiner Meinung nach) unerträglich durchgeplanten Produkt-Pop von Michael Jackson’s Bad.

Eric B. & Rakim
Paid In Full

(4th & B’Way, 1987)

Cover-Foto – Ron Contarsy, NY Fotograf

’88 beginnt das Golden Age of HipHop, bald kann ich im entsprechenden Artikeln etliche Alben empfehlen. Aber ’87 fällt die Wahl noch nicht schwer: Ich könnte über Public Enemy’s Debüt Yo! Bum Rush the Show oder über Boogie Down Productions‘ Criminal Minded schreiben – oder ich begeistere mich für Paid in Full von Louis Eric Barrier aka Eric B (DJ, Produzent) und seinem MC William Michael Griffin Jr, aka Rakim (Sein Name als Mitglied der Nation of Islam). HipHop war noch Underground, noch hörte ein kleines, meist schwarzes Publikum die Musik, die in den Gehtto’s New Yorks entstanden war. Noch gab es nur wenige HipHop-Acts von der Westküste, die erwähnenswerte Alben veröffentlichen. Und noch war die stilistische Palette im HipHop eher schmal. So ist Paid in Full logischerweise purer Old School HipHop. Es steht für den Stil, den man Boom Bap nannte – ein simples Grundgerüst aus einer „booming Bass-Drum“, gefolgt von einer harten Snare, über die Eric B wenige Samples, rudimentäre Melodien und viel Rhythmus variierte. Dazu trug MC Rakim seine Verses und Rhymes bei – ein Typ, dessen Style Blueprint für Generationen nachfolgender Rapper wurde. Allerdings blieb er textlich mit Wenigen vergleichbar – Neben enormem Charisma, einer sehr „coolen“ Stimme und einem stoischen Flow war er ein überzeugender Street Poet, einer, der seine Lyrics nicht improvisierte, sondern vorbereitet hatte, bei den Aufnahmen sogar ablas. Dazu der unaufgeregte Stil, in dem er seine Vorliebe für Jazz einfliessen ließ. Rakim kam aus einer musikalischen Familie: Seine Tante Ruth Brown war Rhythm & Blues- und Soul Sängerin mit einigen tollen Platten auf Atlantic, er selber liebte John Coltrane. Da passt es sicher dass Eric B als der Thelonius Monk des HipHop bezeichnet wurde. Tracks wie „Paid in Full“ oder „I Ain’t No Joke“ sind so reduziert, dass sie aus modischen Kategorien herausfallen. Da gibt es ein kurzes Bläser-Sample von den JB’s, irgendwo Dexter Wansel’s Theme from the Planets, Eric B’s scratching und einen jazzigen Rhythmus… So entstand ein Klassiker des HipHop – einer, der so nicht wiederholt werden konnte, auch wenn das ’88 folgende Album Follow the Leader nah an seinen Vorgänger herankommt. Aber das war keine Revolution mehr…

Guns N‘ Roses
Appetite For Destruction

(Geffen, 1987)

Cover-Illustration basierend auf Robert Williams Bild Appetite for Destruction. In den USA bald indiziert…

Guns N’ Roses und ihr Debüt Appetite For Destruction sind wohl das willkommene, ungeschminkte Gesicht des ansonsten doch ziemlich furchtbaren Hair-Metal. Die Band aus L.A. benutzten zwar dessen Image, trug vermutlich sogar die gebrauchten Klamotten der Bands aus dieser Szene, aber sie waren schmutziger und gefährlicher, ihr bluesiger Hardrock hatte mit AC/DC und Aerosmith genausoviel zu tun wie mit den Sex Pistols – und ihre Haare waren tatsächlich ungeföhnt – ja, man konnte sogar annehmen, dass sie ab und an ungewaschen waren! Sänger Axl Rose hatte wohl nicht nur die Fun-Seite des Lebens in L.A. gesehen, seine Art des Gesangs und seine Texte klangen nicht nur nach Attitüde, die Misogynie, der Ärger und auch die Ängste waren echt. Und er hatte nicht nur Ängste, er zeigte in der Power-Ballade „Sweet Child O‘ Mine“ sogar eine gewisse Verwundbarkeit – im Testosteron-Genre doch eher unüblich. Der Horror des Lebens in einer Stadt wie L.A. wurde in Songs wie „Welcome to the Jungle“, dem Heroin-Song „Mr. Brownstone“ oder eben „Paradise City“ perfekt wiedergegeben. Aber all das hätte nicht gereicht und funktioniert, wären da nicht die klassischen Twin Gitarren von Izzy Stradlin und Slash und das Rhythmus-Fundament von Duff McCagan und Drummer Steven Adler gewesen. Inzwischen wird gerne vergessen, dass Guns N‘ Roses 1987 eine erfreuliche Überraschung waren – sie wirkten sogar skandalös und gefährlich – und diese verschworene Gemeinschaft spielte eines der besten Hard Rock-Alben der 80er ein. Cock-Rock? Ja, aber so funktioniert er und so macht er Spaß, und er führte dazu, dass sich ein paar andere Bands neben einer Attitüde auch auf die Qualität der Musik konzentrierten – Und vor Allem: „harter“ Rock oder meinetwegen „Metal“ fand (auch) durch sie jetzt ein breites Publikum, welches dann wiederum ein paar noch interessantere Bands wie etwa Metallica entdeckte… Und noch ein P.S. zum Albumcover – dass das tolle Covermotiv in den USA indiziert wurde (sexueller Inhalt ?) ist so traurig wie bezeichnend für die Fremdheit der Kultur da drüben…

The Smiths
Strangeways, Here We Come

(Rough Trade, 1987)

Cover-Foto ausgesucht von Morrissey. Das ist „Jenseits von Eden“ Co-Star Richard Davalos. Morrissey war James Dean-Fan…

Strangeways, Here We Come ist nach eigenen Aussagen sowohl das Lieblingsalbum von Johnny Marr als auch das von Morrissey – dabei erschien es sogar erst einige Zeit nach dem unerfreulichen Split der Band, zu einer Zeit also, als die beiden sich wohl ansonsten in Nichts einig waren. Und tatsächlich ist das Album fast so gut wie The Queen is Dead,- es gibt nur wenige Songs, die nicht an die Qualität des vorherigen Albums heranreichen. „A Rush and a Push and the Land Is Ours“ und „Stop Me If You Think You’ve Heard This One Before“ sind genau wie „Paint a Vulgar Picture“ enorm catchy. Die Band klingt reifer und ruhiger, sowohl das bittersüße „Girlfriend in a Coma“, als auch „Death of a Disco Dancer“ und das rührende „Last Night I Dreamt That Somebody Loved Me“ sind weit glatter als die Songs der vorherigen Alben. Hätten sie sich nicht schon aufgelöst, so würde Strangeways, Here We Come als perfektes Übergangsalbum durchgehen können. So war es zumindest ein würdiger Schlußpunkt und man kann mit Recht – und voller Bedauern – spekulieren, ob die Smiths möglicherweise noch größer geworden wären – wenn auch vielleicht nicht unbedingt besser – wenn sie weitergemacht hätten. Letztendlich sollte ja dann zumindest die Solo-Karriere von Sänger Morrissey eine Fortsetzung der Musik der Smiths garantieren….

The Smiths
The World Won’t Listen

(Rough Trade, Rel.1987)

Coverdesign – wieder Morrissey, der dafür ein
Foto aus J. Vollmers Buch Rock ‚N‘ Roll Times:
The Style and Spirit of the Early Beatles and
Their First Fans benutzte

….zunächst aber gab es für die untröstlichen Fans der Band mit The World Won’t Listen einen höchst erquicklichen Nachschlag. Die Singles- Compilation ist so etwas wie Hatful Of Hollow Pt 2. Die Smiths hatten auch in den Jahren 85-87, nach der ersten fantastischen Compilation weiterhin hervorragende B-Sides und Non-LP Singles veröffentlicht, die sie auf diesem und einem weiteren, teils deckungsgleichen Sampler verteilten. The World Won’t Listen ist dabei dem für den amerikanischen Markt gedachten Louder Than Bombs vorzuziehen, da auf Letzterem auch einige Songs vom Debüt plaziert wurden. Fans wollen freilich beide Alben ihr Eigen nennen, zumal es sonst nur wenige Überschneidungen im Material gibt. Auf The World… gibt es große, typische Smiths Songs wie „Asleep“, „Rubber Ring“, „London“, „Unloveable“, „Is It Really So Strange“ und natürlich „Panic“, „Ask“ und die große, verlorene Single „You Just Haven’t Earned It Yet Baby“. Alles selbstverständlich Songs die sich auch auf einem der vier Studioalben der Band nicht hätten verstecken müssen – alles Musik, die die 80er erträglich machten.

U2
The Joshua Tree

(Island, 1987)

Cover – Anton Corbijn

1987 ist das Jahr, in dem Bono und U2 zu den Rock-Ikonen wurden, als die man sie heute kennt. Es ist die Zeit, in der sie noch Suchende waren – Pilger auf einem neuen Kontinent, genau wie auf dem Cover abgebildet. Und auf ihrem 87er Durchbruchs-Album The Joshua Tree – ihrem besten nach dem Vorgänger The Unforgettable Fire – stellten sie sich nicht nur optisch, sondern auch musikalisch so dar: Ihr Trip in die USA veränderte ihren Sound, sie ließen sich von der amerikanischen Musik beeinflussen, aber sie machten es sich Gott sei dank nicht so einfach, nur Blues und Country auf ihre Musik aufzusetzen, sie ließen die amerikanische Musiktradition und ihre charkteristischen Sounds organisch zusammenfliessen, blieben nach wie vor als U2 erkennbar. Das lag neben Bono’s charkteristischer Stimme natürlich auch an Gitarrist The Edge, der seinen Sound lediglich um ein paar bluesige Nuancen erweiterte. Bonos schon immer pathetische Texte waren jetzt vom „American Dream“ beeinflusst, er klang so ernsthaft wie ein Wanderprediger, der voller Visionen aus der Wüste kommen – ein Image, das ihm gut zu Gesichte stand Und genau für dieses Bild hatten sie eine ganze Reihe von gelungenen Songs geschrieben: Hits wie “Where The Streets Have No Name”, “I Still Haven’t Found What I’m Looking For” und “With Or Without You” haben auch nach all den Jahren Nichts an Dringlichkeit verloren, klingen nach einer spirituellen Suche, zumal ihnen der neue Klang ebenfalls bis heute hervorragend steht – was das Album in seiner Gesamtheit so besonders wirken lässt. The Joshua Tree zeigt U2 ein letztes mal in Unschuld und Ernsthaftigkeit, kurz bevor sie zum Mega-Act aufsteigen und die Ironie entdecken sollten.

R.E.M.
Document

(I.R.S., 1987)

Cover-Design – Ron Scarselli. Hat diverse Cover für R.E.M. gemacht

Und hier – nach U2 – der nächste Mega-Act der Neunziger an der Schwelle zum Ruhm: Document ist das letzte R.E.M. Album für das Indie-Label I.R.S., die letzte Platte bevor sie in den Augen vieler fundamentalistischer Fans ihre Glaubwürdigkeit verloren und sich „an die Industrie (= Warner Bros.) verkauften“ – was ich persönlich für eine elitäre Unsinns-Aussage halte. Schon mit dem Vorgänger Lifes Rich Pageant waren R.E.M. insofern „kommerziell“ geworden, als sie einen weicheren Sound und „schönere“ Melodien gefunden hatten. Aber Document hat noch variablere und zugleich dringlichere Songs, Co-Producer Scott Litt – der die Band von nun an für etliche Jahre begleiten sollte – verabreichte der Band einen transparenteren, noch kraftvolleren Sound als zuvor – was wie gesagt von Manchen als Kommerzialisierung gesehen wurde, in Wahrheit aber nur ein natürlicher Schritt in der Entwicklung ihrer Musik war. Dazu kam die Tatsache, dass Michael Stipe auf einmal verständlich sang, nicht mehr nur nuschelte – auch wenn die Texte nach wie vor kryptisch blieben. „Finest Worksong“ und das rasante Stream-of-Consciousness „It’s the End of the World as We Know It (And I Feel Fine)“ sowie der Überrschungs Top-Ten Hit „The One I Love“ jedenfalls bersten auch in modischerem Klang regelrecht vor Energie und Gitarrenriffs. Und R.E.M. wurden jetzt explizit und verständlich politisch: Im Jangle Pop von „Welcome to the Occupation“ und bei „Disturbance at the Heron House“ oder „King of Birds“ definierten sie musikalisch den Begriff der „political correctness“ (der ihnen später auch im negativen Sinne als Naivität angelastet wurde). Das Wichtigste an Document aber sind und bleiben die memorablen Tunes und die wütende Energie mit der sie rausgehauen wurden. Ich sage: R.E.M. wurden nicht schlechter, sie wurden nur erwachsen. Und damit endet die Entschuldigungs-Ode für R.E.M-’s Kommerziallisierung.

The Replacements
Pleased To Meet Me

(Sire, 1987)

Cover – Jeri McManus Heiden

So Mancher bevorzugt die frühen Alben der Replacements für Twin Tone – die beeindruckend sind – aber die Trilogie der Sire Alben der Mitt-Achtziger (Tim, Pleased… und Don’t Tell a Soul..) kann meiner Meinung nach durchaus mithalten, ist sogar teils befriedigender, weil besser produziert, weil die überbordende Energie der Band in Bahnen gelenkt wird… Oder eben bezähmt ist, wie die Kritiker sagen. Das Highlight dieser zweiten Trilogie ist ohne Zweifel Pleased to Meet Me, denn hier sind einige der besten Momente der Band und ihres inzwischen konkurrenzlosen Leaders Paul Westerberg eingefangen: Der huldigte in einem der besten Songs des Albums dem Vorbild und Big Star Boss “Alex Chilton”. Andere Songs wie “Never Mind”, “Skyway” und vor allem “Can’t Hardly Wait” sind vielleicht ein kleines bisschen gebremster, als die Songs auf dem anderen, ungezügelteren Klassiker der Band – Let It Be – aber sie zeigen zugleich, dass Westerberg als Songwriter gereift war. Pleased to Meet Me klingt durch die Dichte an guten Tunes tatsächlich wie eine Best-Of Compilation. Der Gitarrisn Bob Stinson war gefeuert worden, der Rest war nach Memphis gegangen um mit dem legendären Jim Dickinson aufzunehmen, und der versuchte, nicht einfach nur, Westerbergs ungezähmtes Geheul oder die Angriffslust der Band zu disziplinieren, sondern er zwang sie auch noch dazu, “in tune“ zu bleiben und die Songs vorher anständig einzuüben – eine Vorgehensweise, die die Band zuvor vermieden hatte. Dann holte er noch seinen Sohn Luther und den besungenen Alex Chilton zu den Sessions – und machte damit den Unterschied. Aber vor Allem ist dieses Album wie gesagt Paul Westerbergs endgültiger Durchbruch als Songwriter: Er konzentrierte sich auf seine Qualitäten und machte eines der besten Alben seiner Karriere. Mit diesem Album wurde deutlich, dass er seine Band nicht mehr brauchen würde. Dinge verändern sich…

The Silos
Cuba

(Watermelon, 1987)

Cover – Carlos Salas-Humara und Marc Macaluso

. und hier nun wieder eines dieser persönlichen Lieblingsalben, das in den üblichen Jahres-Polls und -Charts nicht so oft vorkommt. Die persönliche Note dieser Artikel sozusagen… Die New Yorker Band The Silos wird gerne mit dem Begriff Alternative Country zusammengebracht – was zwar irgendwie berechtigt ist, aber zugleich ein bisschen zu kurz greift. Gegründet vom kubanisch-amerikanischen Songwriter Walter Salas-Humara und dem Country/Punk Visionär Bob Rupe hatten sie ein hoch gelobtes Debütalbum hinter sich und inzwischen ihren Stil etabliert. Die Silos spielten durchaus Country… gefiltert durch die Augen eines New Yorkers. Letztlich also das, was sie waren. Bei ihnen klangen R.E.M. und Gram Parsons durch, aber auch die Feelies und Velvet Underground – was wiederum Cuba zu einem Album machte, das weit tiefer gründete als der übliche Alternative Country – Kram. Der Opener „Tennessee Fire“ beginnt mit dem nervösen, an die erwähnten Feelies erinnernden Drumming von John Galway und endet mit dem Wirbel von Mary Rowell’s Violine. Das akustische „Margaret“ wird von heulender Steel-Guitar Richtung untergehende Sonne geschoben, aber egal, was sie spielen, immer wieder unterlegen Keyboard, Cello oder Violine den Song mit einem Drone, den man eher mit den urbanen Klägen der Velvet Underground verbindet und der so garnicht zu schlichter Cowboymusik passen will. Lyrics mit klugen Alltagsbeobachtungen, die fast Lou Reed-artig teilnahmslos klingende Stimme von Salas-Humara… All das hebt Cuba auf eine höhere Ebene und gibt ihm den Kick in Richtung größerer Bedeutung – und macht es zu einem erstaunlichen Album, das damals nichts vergleichbares neben sich hatte und mir als „unauffälliger Klassiker“ gilt, den zu entdecken ich jedem empfehle.

Dead Can Dance
Within The Realm Of A Dying Sun

(4AD, 1987)

Auf dem Cover ist ein Skulptur fotografiert, die manauf dem Pariser Friedhof Pere Lachaise findet.

Seit 1980 ist 4AD Label offensichtlich DAS Label für geschmackvolle, düster-verträumte Popmusik. Und seit 1984 hat 4AD-Gründer Ivo Watts-Russell mit Lisa Gerrard, Brendan Perry und ihrem Projekt Dead Can Dance DIE Protagonisten des sog. Neoclassical Darkwave im Programm. Dieser Stil, bei dem Elemente klassischer Musik mit Ambient-Klängen und düsterer Gothic Stimmung verbunden werden, passt genauso gut ins 4AD Profil, wie die Cocteau Twins. Und sogar das musikalische Konzept ähnelt dem der Cocteau Twins. Perry und Gerard waren inzwischen allein, wollten die Limitierungen durch das „Rock-Instrumentarium“ auf den beiden vorherigen Alben für Within The Realm Of A Dying Sun beseitigen und holten sich ein Orchester ins Studio. Und was anderswo oft nur zu Bombast und Kitsch führt, brachte der Musik der beiden beträchtlichen Gewinn und zusätzliche Spannung. Within… gilt als Start- und zugleich Höhepunkt des Genres – und das, obwohl hier einige Faktoren mitspielen, die im Neoclassical Darkwave eher untypisch sind: Die beiden legten mehr Wert auf’s Songwritng, als auf den Sound (was ich sehr begrüße) und ihrer beider Gesang ist gut verständlich, verschwindet nicht hinter Hall und Echo. Auf der ersten Seite der LP singt Brendan Perry’s warmer Bariton über Folk-Melodien, die meist minimalistisch beginnen, sich aber dann zu majestätischen Gipfeln auftürmen. Auch er baut eine düstere, getragene Stimmung auf, sein Teil zu diesem Album scheint aber noch in Folk und sogar Pop verwurzelt.„Anywhere Out of the World“ etwa hat durchaus eine Melodie, die ins Ohr geht, einen Rhythmus, der leise „Popmusik“ ruft – Perry hatte zu Begin der Achtziger mit den Marching Girls noch Pop-Punk gespielt… Auf der zweiten LP-Seite hatte offenbar Lisa Gerrard die Zügel in der Hand – und die war schon vor Dead Can Dance eine Sängerin mit ziemlich avantgardistischen Ideen. Ihr Alt ist reich, klingt fast klassich, und sie nutzt gerne das Yangqin – eine chinesische Variante des Dulcimer. Heute würde man bei Tracks wie dem wunderschönen „Cantara“ vielleicht von Weltmusik reden. Aber auch hier wird die exotische Melodieführung von Orchesterklängen unterlegt, auch hier baut sich auf einem simplem Meldoiegerüst ein stiller Berg auf. Dass beide Musiker tatsächlich Stories erzählen, dass beide neben Atmosphäre und ihrem speziellen Sound auch noch „Songs“ geschrieben haben – die womöglich auch in anderem Gewand funktioniert hätten – macht Within… zu einem der besten Alben seiner Art und zu einem der besten Alben des Jahres ’87.

Sonic Youth
Sister

(SST, 1987)

Illustrationen – Lucius Shepard. Fotos von der Band ausgesucht…

Ein anderes „bestes Album des Jahres 1987`war zweifellos auch Sister von Sonic Youth. Inzwischen mag es als EIN Noise/Alternative Rock Alben unter vielen wahrgenommen werden, aber die Stellung der Band als Vorreiter und Paten einer „Szene“ die es eigentlich gar nicht gab, ist unbestritten. Sister beendete faktisch die Zusammenarbeit von Sonic Youth mit dem verdienstreichen Punk Label SST Records (über dessen Geschichte und weitere bahnbrechende ’87er Alben ich an anderer Stelle berichten will…) und es fasste alle Stärken und Fähigkeiten der vier New Yorker Musiker perfekt zusammen: Thurston Moores Noise-Gitarren, Kim Gordons coolen Gesang. Lee Renaldos Pop-Melodien und Steve Shelleys beste Drum-Performance. Noise, surreale Songs. Kraft. Ruhe. Perfektion: Opener „Schizophrenia“ wies schon den Weg in melodischere Gefilde, aber immer noch machten sie ihre Collagen aus Noise und Distortion, mit denen sie den Untergrund aufgewühlt hatten. Aber inzwischen fand, wer suchte, unter all dem Lärm Struktur und Songs von überraschender Schönheit, hörte man das, was Sonic Youth in den kommenden Jahren immer wieder so besonders machen sollte – und was sie von ihren Kollegen Swans (siehe weiter unten) unterschied. Das Album strahlt bei aller experimentellen Kompromisslosigkeit eine erstaunliche Wärme aus. Tatsächlich wurde das Sister ziemlich simpel auf 16 Spuren aufgenommen, hier und da wurden sogar akustische Gitarren eingesetzt. Die Songs bekamen ein loses Konzept, behandeln das Leben des SF-Autors Phillip K. Dick, auf dessen Roman der ’82er Kino-Klassiker Blade Runner basiert. Hätten die vier Musiker aus Sister und dem Vorgänger EVOL ein einziges Album destilliert, so wäre es besser als der legendäre Nachfolger Daydream Nation. So ist Sister „nur“ ein weiteres fantastisches Album einer der größten Bands der 80er und 90er Jahre.

Swans
Children Of God

(Caroline, 1987)

Cover – michael Gira und ME Company

Ich bleibe in New York’s Noise-Szene: Swans Kopf Michael Gira bezeichnet Children of God als Wendepunkt in der Geschichte seiner Band. Und tatsächlich begannen auch seine Swans die kompromisslos harten Noise-Rock-Strukturen der Vorgänger-Alben um melodiöse Komponenten und akustische Instrumentierung zu erweitern. Vielleicht war es hier der wachsende Einfluß von Gira’s damaliger Lebensgefährtin, der Musikerin/Performance Künstlerin Jarboe, der die notwendige Erweiterung des Konzeptes forcierte. Und natürlich war auch der Schlaukopf Gira selber klug und abenteuerlustig genug, die Notwendigkeit einer Erweiterung des Sounds seiner Band zu erkennen. Aber natürlich sind auf diesem Album immer noch genug Songs von der bekannten und bei den Swans üblichen drastischen Brutalität. Sie sind ja selbst in den 00er und 10er Jahren – zwanzig Jahre später also – eine Band, die Musik eher als physische Tortur erleben lassen. Hier beginnt Child“ mit Gewehrschüssen und beschreibt die Hinrichtung von Kindern aus Sicht des Henkers – Sie waren eben immer drastisch in der Wahl der Mittel und Themen. „New Mind“ erinnert ebenso an die tribalistischen harten Songs der Vorgängeralben, ist mithin Swans, wie man sie immer erinnern wird, aber der Text immerhin weist auf Veränderungen hin. Gira sagte es ja auch selber: „Ich wollte mich anderen Dingen zuwenden und nicht in irgendeinem Musikstil verharren, der in unserem Fall hätte albern werden können, wenn wir einfach so weiter gemacht hätten….“ Children of God ist somit ein bedeutender Wendepunkt für die Swans, und die hier eingeschlagene musikalische Richtung ist der fruchtbare Boden, auf dem kommende Alben – insbesondere die mit den „Nebenprojekten“ und nach einem mehrjährigen Hiatus auch die Musik der Swans – bis weit ins nächste Jahrtausend gewachsen sind

Bathory
Under The Sign of the Black Mark

(Black Mark, 1987)

Cover-Foto – Gunnar Silins, in der königlichen
schwedischen Oper in Stockholm aufgenommen

Und jetzt zu etwas gar nicht mal so Anderem… Black Metal mag für den schlecht Informierten etwas Infantiles haben – die Musiker präsentieren sich gerne in entschlossener Pose – von unten mit verschränkten Armen und finsterem Blick abgelichtet – womöglich noch im finsteren Wald mit Äxten, Schwertern und Corpse Paints – und sind somit unfreiwillig komisch. Wenn sie dann ernsthaft Nihilismus und Haß auf das Christentum/die ganze Welt predigen, kann es ärgerlich – manchmal sogar inakzeptabel – werden. Aber man darf dabei nicht vergessen, dass die paar Bands, die dieses Genre in den mittleren Achtzigern „erfanden“, eine äußerst unkommerzielle und gewagte Variante des damals angesagten Metal spielten. Hits, wie sie etwa Bands des Thrash Metal haben sollten, waren so ausgeschlossen und auch nicht erwünscht, selbst viel später angetretene intellektuelle Black Metal Acts wie Deafheaven bewegen sich in einer Nische, deren Hauptmerkmal es ist, im Vergleich zu geläufigen Idealen unangenehm und hässlich = extrem zu klingen. Die Schweden Bathory um den da gerade mal 21-jährigen Bandkopf Quorthon (Aliasse sind unerlässlich in diesen Kreisen) gab es schon seit 1983, sie hatten schon zwei Alben hinter sich, aber ihr drittes – Under the Sign of the Black Mark – bietet eine perfekt ausgearbeitete Facette des sich in den Neunzigern in etliche Mikro-Genres aufsplittenden Black Metal. Es gibt andere definitive Alben, wie etwa Deathcrush von Mayhem, das eher Hardcore als Black Metal ist. Bathory waren Fans der Extrem Metal Band Venom, begeisterten sich für die Anbetung von Dämonen, schafften eine Atmosphäre, die nach Norwegen, Schnee und barbarischen Heiden riecht – und waren damit die Vorbilder solcher Bands wie Darkthrone (deren Fenriz Under the Sign… als Quintessenz des Black Metal bezeichnet…). Ihr Black Metal ist geprägt von Quorthons rauem Gekreische und Synthesizer-Sounds aus der Hölle, sowie von monotonem High-Speed Drumming und dem weissen Rauschen der Gitarren – ein extremer und zugleich durchdachter Sound, ähnlich durchdacht, wie der Sound der Grindcore-Zeitgenossen Napalm Death. Deren zeitgleiches Album Scum könnten zwar ebenfalls hier stehen, weil sie auch den Metal der Zukunft repräsentieren und weil ihr Konzept ein erfreulich politisches ist, aber Scum ist durch seine Zweiteilung etwas uneinheitlicher als mir genehm ist – und ich werde an anderer Stelle darauf zurückkommen. Bathory waren 1987 weiter als andere extreme Metal-Acts- Die Produktion war besser, das Songwriting reifer, das Ergebnis ein definitives. Da ist der rasante Thrasher „Massacre“, da ist „Woman of Dark Desire“ über die Namensgeberin der Band (Eine legendären ungarischen Gräfin, die im Blut von Jungfrauen gebadet haben soll, um ihre Jugend zu erhalten), und da ist das epische „Enter the Eternal Fire“, das mit Synthesizer, elaborierten Gitarrensoli in Richtung Viking Metal weist, das aber durch Quorthons raue Schreie zugleich nach primitivem Black Metal riecht. Dazu kommen die nun abgedruckten Lyrics auf dem Beiblatt – zu jener Zeit noch völlig unüblich, wenn auch notwendig, da man die Worte wahrhaftig nicht verstehen kann. Auf seine Weise ist Under the Sign of the Black Mark eines der revolutionärsten Alben seiner Zeit, eines, das wohl ebenso viele Nachahmer beeinflusst hat, wie all die hier besprochenen Alben des Jahres 1987.