Das Wichtigste aus 1978 – Papst Johannes Paul I &II, J.R. Ewing und Dallas – Elvis Costello bis Patti Smith

1978 ist das Jahr, in dem im Iran erstmals der bis dahin mundtot gehaltene Ayatollah Chomeini zu Wort kommt. Noch erklingen seine Worte aus dem französischen Exil, aber sie schlagen Wellen in der islamischen Welt. In Italien wird der Politiker Aldo Moro von der Terrororganisation „Rote Brigaden“ entführt und getötet.

Nach dem Tode von Papst Paul IV bleibt der italienische Nachfolger Papst Johannes Paul I nur 33 Tage im Amt. Sein plötzlicher Tod ist bis heute Quell von Gerüchte und Verschwörungstheorien, man sagt die Mafia oder die Kurie habe da ihre Hand im Spiel gehabt…. Sein Nachfolger ist der weit konservativere Pole Karol Woytila. In London wird das erste Retortenbaby geboren, Die Fernsehserie „Dallas“ startet. Vor der Küste der Bretagne geht der Öltanker „Amoco Cadiz“ auf Grund und löst eine gewaltige Ölkatastrophe aus. Im Iran kommen bei einem Erdbeben 15.000 Menschen um, und der Sektenführer Jim Jones treibt in den USA 900 Gläubige in den Zyankali -Selbstmord. Musikalisch ist 1978 das Jahr des Post-Punk. Pere Ubu, die Buzzcocks, Wire, sie alle machen Musik, die die Freiheiten des Punk mit Kunst paart und so zum Post-Punk wird. Auch der Reggae hat das Ende des Punk sehr lebendig überstanden. Währenddessen wird Ambient von Ex Roxy Music Gehirn Brian Eno im Alleingang erfunden, Die 70er klingen aus, und viele neue Acts etablieren sich in den Nachwehen des Punk mit Musik, die weit in die Zukunft weist. Peter Gabriel emanzipiert sich vom progressiven Rock, Marvin Gaye macht ein Scheidungsalbum, Hard Rock wird langsam zu mehr als nur Deep Purple, Heavy Metal in der Form wie wir ihn kennen ist noch nicht da, aber es beginnt laut zu rumoren. Country ist immer noch lebendig, und Scott Walker macht mit den Walker Brothers auf einmal Musik, die seltsam und unheimlich ist. Die Dire Straits und The Police, zwei Bands aus ganz unterschiedlichen Bereichen, beginnen in diesem Jahr Karrieren, die bis weit in die 90er führen sollen und die sie an Stelle solcher Dinosaurier wie Led Zeppelin oder Yes treten lassen werden. Ignorieren will ich Boney M oder auch die Soundtracks zu Grease und Saturday Night Fever, die für mich als peinliche Variante von Disco stehen, welche aber sehr erfolgreich sind (und von vielen bis heute anders eingeschätzt werden). Das zweite Album der Band Boston kann ich heute auch einfach nicht mehr gut finden (obwohl ich es im Alter von 15 Jahren mochte…), wenn ich mir im Vergleich dazu etwa Wire oder die Talking Heads anhöre. Ebenfalls erfolgreich, aber für mich ohne Belang: Bob Seeger’s Hemdsärmel-Rock oder George Benson’s Leichtgewichts-Jazz.

Elvis Costello
This Year’s Model

(Radar, 1978)

Cover-Foto – Chris Gabrin. Angeblich guckt
Costello so wütend, weil im Hintergrund
Hotel California läuft…

Nach seinem Debüt My Aim Is True – noch mit der Backing Band Clover und ohne die Attractions aufgenommen und somit eher im West Coast/Pub Rock Sound – gelang Elvis Costello mit This Years Model dieMetamorphose vom Folkie zum angry young man des New Wave. Dieses Album bietet das, was man bis heute mit Costello verbindet: Es ist eine einzige Attacke – von „No Action“ über „Lip Service“ und „Lipstick Vogue“ bis zum gruseligen, Gänsehaut erzeugenden “Night Rally“. Wieder von Nick Lowe ohne überflüssiges Beiwerk produziert, schießt Costello seine Worte wie Pfeile in den Wanst der britischen Wohlstandsgesellschaft. Beißend, giftig, sardonisch sind die Texte, und die Musik entsprechend angriffslustig und zugleich mit dem für Costello typischen melodischen Aplomb. Die Attractions waren dafür die richtigen Waffenbrüder, mit Steve Nieve’s schneidendem Orgelklang statt der brutalen Gitarre, die Costello nicht spielen konnte, mit einem Sound, der eher von 60er Garagen-Bands beeinflusst war, als vom Punk-Sound der Stunde. Die Musik ist freilich Pop, aber der ist voller Wut, Zynismus, Verzweiflung und Liebe, gesungen von einer Stimme, die all diese Emotionen trefflich in sich vereint – und entsprechend unschön klingt. Das sind die Faktoren, die Costellos Musik in der folgenden langen Karriere immer wieder auszeichnen sollen. Er mag später stilistische Sprünge nach links und rechts gemacht haben, aber er kehrte immer wieder zum zynischen Pop zurück. This Years Model ist das Album, das die allgemeine Vorstellung von Costello’s Musik definiert – einer Musik, die die unbequemen Seiten des Zusammenlebens behandelt… und genau darin perfekt ist.

Captain Beefheart and the Magic Band
Shiny Beast (Bat Chain Puller)

(Warner Bros., 1978)

Cover-Art – Natürlich Don Van Vliet

Captain Beefheart ist seit dem Ende der Sechziger eine feste Größe – in der Sparte „populärer Musik“, die weit ausserhalb des „Mainstreams“ genossen wird. In der Ecke, die sich durch Punk und was danach kommt, gestärkt sieht. Ich schätze mal, dass 90% der Punk- und Post-Punk Künstler Don Van Vliet verehrt oder zumindest gekannt haben. Und Van Vliet hätte Ende der Siebziger angesichts der Exzentrik so mancher neuer Helden eigentlich Oberwasser haben müssen. Dass seine Plattenfirma das nicht erkannt und mit mehr finanzieller Freiheit und Unterstützung honoriert hat, ist tragisch – und führte letztlich zum Ende der musikalischen Karriere dass Allround-Künstlers, der sich ab Mitte der Achtziger komplett aus der Musikwelt zurückzog um nur noch zu malen. Aber ’78 kam immerhin das Album Shiny Beat (Bat Chain Puller) über die, die darauf gewartet haben. Der Captain war ’76 ins Studio gegangen, um mit Frank Zappa als Produzent ein Werk unter dem Titel Bat Chain Puller für das Label seines Freundes aufzunehmen. Der aber hatte Streit mit seinem Management und Alles,was auf DiscReet herauskommen sollte, wurde gestoppt. Erst ’78 hatte der Capt’n einen neuen Vertrag bei Warner und nahm nun mit neuer Band – natürlich wieder Könner höchster Klasse – einen Teil der Songs neu auf. Lustigerweise ist das Ergebnis zwar auch keine leichte Kost – aber wenn ich von Beefheart’s Alben eines als consumer friendly auswählen sollte, würde ich dieses nehmen. Hier bekommt man sozusagen alle Facetten seiner Musik zu sehen. Es gibt wilde Instrumentals wie „Suction Prints“ oder das mit Posaune und kratziger Slide in den Jazz verschobene „Ice Rose“. Es gibt die wilde Geschichte „Floppy Boot Stomp“, die nach New Wave klingen würde, wäre nicht auch hier eine irre instrumentale Komplexität.„Apes-Ma“ ist ein Gedicht, vorgetragen im Trout Mask Replica Modus. Van Vliet fiel wieder ein ein herrlich absurder Songtitel ein: „When I See Mommy I Feel Like a Mummy“ – und der Song ist auf Beefheart-Art Pop. Genau wie „Tropical Hot Dog Night“ – der übrigens PJ Harvey zu ihrem „Meet Ze Monsta“ insiriert haben soll . Und der Titelsong „Bat Chain Puller“ dürfte in einer besseren Welt ein Hit sein. Die Musik auf Shiny Beats (Bat Chain Puller) hat ihre Strahlkraft bis heute nicht verloren. Und Musiker/innen wie Frank Black oder besagte PJ Harvey würden ihren Einfluss auch nicht leugnen. Und wer Captain Beefheart nicht kennt, sollte sich schämen.

Kraftwerk
Die Mensch-Maschine

(Kling Klang, 1978)

Cover & Grafik – Karl Klefisch. Düsseldorfer
Grafik-Designer

Die Düsseldorfer Kraftwerk sprangen 1978 auf den nächsten Gipfel ihrer Entwicklung. Ihre Musik war von Beginn an ihrer Zeit voraus gewesen, ihr Einsatz von Computern in der Musik visionär, ihre Ästhetik einzigartig. Mit dem Vorjahresalbum Trans-Europa Express hatten sie einen künstlerischen Höhepunkt erreicht, hatten sich nach der konzeptuellen Klarheit von Radio-Aktivität auf’s Songwriting konzentriert. Aber Die Mensch-Maschine war mit seiner Verbindung von Musik und Design zu einem Gesamtkonzept der logische letzte Schritt. Die vier Musiker bauten sich ihr dauerhaftes Image aus den Bildern des Stummfilm-Klassikers Metropolis und aus der Kunst des russischen Konstruktivisten El Lissitzky. Das ikonisches Cover des Düsseldorfer Grafik Designer Karl Klefisch würde die Bildsprache etlicher New Wave und Synth-Pop-Acts der kommenden Jahre definieren, der kalte Sound der Synthesizer, die Art des Gesangs und besagtes ästhetisches Konzept wurden bald darauf von Epigonen wie Gary Numan erfolgreich kopiert. Entscheidend für den Klassiker-Status von Die Mensch-Maschine aber ist die durchdachte Kombination aus Musik und Aussenwirkung. „Das Model“ ist ein Traum von einem Popsong, so kühl, elegant und verführerisch, wie eines der Geschöpfe vom Laufsteg. Das experimentelle „Neonlicht“ und die dagegen fast schlichte „Mensch-Maschine“ wirken mit sanfter Monotonie wie urbane Mantras. Und der zackige Funk von „Die Roboter“ bringt den Albumtitel auf den Punkt und entstand beim Zusammenspiel der beiden Schlagzeuger Wolfgang Flür und Karl Bartos mit ihrem neuen Sequenzer. Die Idee, sich auf der Bühne durch Androiden/Alter-Egos vertreten zu lassen, entstand in logischer Folge aus musikalischem und optischem Konzept – und wurde bald von etlichen gläubigen Anhängern der elektronischen Lehre kopiert. Man findet in der Geschichte der populären Musik nicht viele Alben, die so weite Kreise gezogen haben.

Wire
Chairs Missing

(Harvest, 1978)

Art Direction – Brian Palmer

Gerade mal acht Monate nach dem Debüt Pink Flag veröffentlicht, war Chairs Missing der nächste Schlag ins Gesicht einer Punk-Szene, die die Band gerne für sich vereinnahmt hätte. So mancher Fan jedenfalls war nicht begeistert – und einige Kritiker zumindest befremdet : Wire teilten das Label mit Pink Floyd, den etablierten Prog-Rockern und natürlichen Feinden aller Punks, und Produzent Mike Thorne spielte – auf Wunsch der Band wohlgemerkt! – auf dem neuen Album sogar Synthesizer. Fazit: Es wurde mehr Wert auf den Sound gelegt als zuvor, die Songs wurden länger, das Tempo langsamer. Dazu kamen nun Texte, die durchdacht und düster waren, die der Musik zusätzlich Tiefe gaben. Nicht dass Chairs Missing wirklich einen Verrat an Punk-Idealen dargestellt hätte, im Gegenteil, was ist mehr „Punk“, als gerade die konsequente Verweigerung gegenüber der Vereinnahmung durch eine „Szene“? So jedenfalls schufen Wire eines der ersten und zugleich besten Post-Punk Alben – was im Rückblick auch anerkannt wurde. (Der LP-Titel übrigens bedeutet soviel wie „nicht mehr alle Tassen im Schrank“). Songs wie „I Am the Fly“ mit insektenhaft schwirrenden Gitarren, das elektronisch verfremdete „Practise Makes Perfect“, oder das kurze, noch an die Attaken auf Pink Flag erinnernde „Outdoor Miner“, – all diese Songs erklingen in einem eiskalten Soundgewand. Und sie zeigen Wire wie in einem Schnappschuß an einem bestimmten Punkt ihrer rasend schnellen Entwicklung. Zugleich sind sie eine der Bands, deren Musik – und zwar gerade die Musik, die sie in diesen zwei kurzen Jahren vor und nach Chairs Missing erschaffen – weit in die Zukunft weist. Hier holten sich später etliche Bands aus Hardcore und Post-Punk ihre Ideen – und Wire machen bis heute überraschend glaubwürdig weiter…

Kate Bush
The Kick Inside

(EMI, 1978)

Cover-Foto – Jay Myrdal. In den USA zensiert!!!

The Kick Inside war und ist bis heute eines der erstaunlichsten Debütalben der Rockhistorie. Schon als 15-jährige hatte Kate Bush Songs geschrieben und an ihren musikalischen Ideen gefeilt. Ein Freund ihrer Familie machte David Gilmour auf ihre außergewöhnliche Musik aufmerksam, und der reichte sie an EMI weiter. Erstaunlicherweise ließen die der jungen Künstlerin die Zeit ihre Ideen und ihren Stil zu entwickeln – was für Zeiten… – und gaben ihr exzellente Studio-Musiker an die Hand, die ihr bei den Aufnahmen zum Debüt halfen. Kate Bush klang mit ihrer extrem hohen Stimme und Texten, die esoterisch und literarisch befrachtet waren, wie niemand zuvor. Sie setzte sich gegen die Empfehlung von EMI damit durch, den von Emily Bronte’s gleichnamigem Roman inspirierten Song „Wuthering Heights“ als Single auszukoppeln. Schon wenn man bei den ersten Tönen des Album-Openers von „Moving“ von dieser Stimme überrascht und möglicherweise erschreckt wurde, konnte man sich dem Reiz ihrer Songs nicht entziehen. Natürlich war sie ein Kind von Hippie-Eltern – und hatte mit Punk und New Wave eher wenig am Hut. Aber gewöhnlicher „Pop“ war das hier definitiv nicht. Es war schon mit diesem Debüt Musik einer solitären Künstlerin. Ausserhalb von Moden und Trends. Es gab verstörende Songs wie „The Man With the Child in his Eyes“, Songs die ihr sexuelles Erwachen beschrieben („Feel It“) und Musik, die seltsam außerweltlich klang – von einer Künstlerin, die einer ganzen Generation selbstbewußter und selbstbestimmter Musikerinnen den Weg bereiten sollte. Kate Bush ist bis heute eine der außergewöhnlichsten Künstlerinnen Großbritanniens mit einem völlig eigenständigen und erfreulicherweise oft genug ziemlich avantgardistischen „Body of Work“. Musik von Künstlerinnen wie Tori Amos etwa wäre ohne sie undenkbar.

Big Star
3rd/Sister Lover

(PVC, Rec. 1974, Rel. 1978)

Cover-Foto – Michael O’Brien (?)

Und hier noch ein perfektes Aussenseiter-Album: Die Geschichte der Band Big Star ist eine der Tragödien in der Rockgeschichte. Ihr drittes und letztes Album war schon 1974 aufgenommen worden – zu einem Zeitpunkt, als es die Band eigentlich schon nicht mehr gab. Nur (Ex Box Tops…) Sänger, Gitarrist und Songwriter Alex Chilton und Drummer Jody Stephens waren noch übrig – und das Ergebins ihrer Arbeit wurde erst im Jahr 1978 äußerst halbherzig veröffentlicht. Aber dieses Album fängt nicht nur aufgrund der desolaten Entstehungsgeschichte auf’s genaueste den Moment ein, in dem das Leben auseinander zu fallen scheint. Die desperate Stimmung ist dem Sänger so deutlich anzuhöre, die Fragilität der Songs so berührend, dass man nicht anders kann, als zuhören. Hier werden in regelrecht apokalyptischen Texten Momente größter Verletzlichkeit eingefangen („Holocaust“). Alex Chilton war zum Zeitpunkt der Aufnahmen vollkommen desillusioniert: Die Karriere lief auf Grund, er war von Alkohol- und Drogenproblemen geplagt – aber das machte ihn zum Meister der düsteren Popmusik. Hoffnungslosigkeit klang aus seinem klaren Soul-Gesang und aus jeder Gitarrennote. 3rd/Sister Lover ist ein Nacht-Album („Kangaroo“ wurde tatsächlich des nachts insgeheim aufgenommen, da die Band sich keine Studiozeit leisten konnte) und sollte auch Nachts gehört werden. Die fragilen Arrangements von Chilton und dem genialen Jim Dickinson sind minimalistisch („Big Black Car“) und klingen nach Kammermusik („Stroke it Noel“, „O Dana“). 3rd/Sister Lover ist ein dunkler Stern und das beeindruckende Vermächtnis einer Band, die einfach zur falschen Zeit die richtige Musik machte. Es mag bezeichnend sein, dass dieses Album tatsächlich nie wirklich zuende definiert wurde. Ein abschliessendes Track-Sequencing fand nie statt, so dass es diverse Versionen des Albums gab, das Cover wurde in verschiedenen Varianten von der jeweiligen Plattenfirma gestaltet und selbst der Name der Band könnte entweder Big Star oder Sister Lover lauten – man weiss es nicht… Und Alex Chilton kann es uns nun nicht mehr sagen, er ist inzwischen verstorben und weigerte sich zeitlebens, sich genauer zu diesem Album zu äussern… Möglicherweise ist ihm bewusst gewesen, dass banale Fakten bei solcher Musik keinen Wert haben. Die Kehrseite von Pet Sounds vielleicht ?

New York ’78

Weil die Nachbeben des Punk auch ’78 noch die Musikwelt erschüttern, folgen hier ganze sieben Alben, die allesamt aus New York – genauer – aus dem Umfeld des CBGB’s kommen. Tatsächlich ist das einer DER Plätze, an dem Mitte bis Ende der Siebziger die populäre Musik erneuert wird. Ich habe im Hauptartikel ’77 erwähnt, dass das Debüt von Television – das NICHT im Hauptartikel beschrieben ist – dass die ganze Szene, in der es entstand, mir so wichtig sind, dass ich ihnen ein eigenes Kapitel widme. ’78 geht’s natürlich weiter, hier sind sechs NY Alben hintereinander beschrieben….

Various Artists
No New York

(Antilles, 1978)

Cover Foto – Brian Eno.

…und beginnen will ich mit der Anthology, die den Sound der New Yorker Underground Bands mit der Arbeit eines weiteren Innovatoren verbindet. Brian Eno hatte ein paar Monate zuvor mit David Bowie in Berlin dessen Stil, seine Pop-Sensibilität und Elektronik zusamengebracht. Im Anschluss war er nach New York gegangen, weil er natürlich sah, dass da Neues und Aufregendes geschah. Er hatte David Byrne und die Talking Heads kennen gelernt und nahm nun ihr zweites Album mit ihnen auf. Und während seiner Arbeit mit den Talking Heads hatte er sich das Underground-Festival „New York, New York“ angesehen und war von der sogenannten No Wave Szene so beeindruckt, dass er deren Musk unbeding dokumentieren wollte. Jede der vier Bands auf dieser Anthology – James Chance and the Contortions, Teenage Jesus and the Jerks, Mars und D.N.A. – bekam in je vier Songs die Chance, ihre Musik und damit vor Allem ihre Haltung zum Musikmachen darzustellen. Und diese Haltung war offensichtlich WEIT wichtiger als ihre Umsetzung. No New York ist ein Dokument des Chaos und frechen Nihilismus in musikalischer Form. Die vier Bands detonieren in vier Explosionen und sagen damit, dass man ALLES tun darf, dass es keine Regeln und vor Allem keine Einschränkungen durch ein Zuwenig (oder Zuviel) an handwerklichen Fähigkeiten geben darf: Das ist bekanntermaßen der Ur-Gedanke des Punk – nur ist er hier weiter gedacht, als in den doch formal konventionellen Ausbrüchen britischer Ur-Punk Acts. Hier gibt es die Contortions, die noch am „konventionellsten“ scheinen. Mit Funk-Punk der sich anhört wie eine Mischung aus James Brown, Free Jazz a la Albert Ayler und Charles Manson. Teenage Jesus and the Jerks wiederum klingen wie Junkies, die ihre Gitarren stimmen und dabei – in Form von Lydia Lunch’s „Gesang“ – einer Katze auf den Schwanz treten. Auch Mars klingen mit ihrer Kakophonie aus Gitarre, Bass und Schlagzeug nicht viel einladender. Sie rennen – ein bisschen wie im Free Jazz – ausgehend von einer Melodie einfach in verschiedene Richtungen, aber in all dem Lärm versteckt sich irgendwo eine Pop-Band. Ihr „Helen Forsdale“ ist das „Eleanor Rigby“ einer atonalen Welt. DNA schließlich sind fast bluesig, mit Arto Lindsay als Sänger und Free-Form Gitarrist (der später in erlauchten Free-Jazz Kreisen reüssieren sollte). No New York ist definitiv keine Anthology für den gepflegten Nachmittagstee. Die Musik tut weh und sie ist nicht Punk oder Post Punk, obwohl sie beides beeinflusst hat. Das hier ist „No“ Wave, und Viele sagen: „Das ist unverschämter, sinnloser Lärm, der sich als Kunst verkaufen will.“ Könnte stimmen, ist mir aber egal. No New York ist – wie vorhin erwähnt – ein Dokument der absoluten Freiheit, es sind die Gedanken der Hippie Kultur mit denen des Punk zu Ende gedacht.

Talking Heads
More Songs About Buildings And Food

(Sire, 1978)

fotomosaik – ausgedacht von David Byrne,
realisiert von Jimmy De Sana

…und Brian Eno hatte die Talking Heads als Produzent in seine Hände bekommen: Schon auf diesem zweiten Album der Band – More Songs About Buildings And Food – kann man Anklänge an den Sound erkennen, den sie zwei Jahre später mit Remain In Light perfektionieren werden – schon hier zeigt sich ihr Interesse an Disco, R&B und Soul. Vom Al Green Cover „Take Me To the River“, (in den U.S. Top 40) bis zu den Disco-Elementen im Mix von “I’m Not in Love” wird intensiv mit den Regularien schwarzer Musik kokettiert. Natürlich sind hier auch noch Songs, die auch auf Talking Heads 77 gepaßt hätten – die nervöse New Wave Seite ihres Sounds würden sie schon wegen David Byrnes Stimme nie gänzlich verleugnen können – aber das Rhytmusgespann aus Tina Weymouth und Chris Frantz spielte ab jetzt intensiv, messerscharf, hoch komplex – und funky. Und Byrne’s Texte und sein sowieso schon unverwechselbarer Gesang wurden jetzt immer selbstbewusster uund somit besser und die fruchtbare Partnerschaft mit Brian Eno begann hier. Es war wohl Eno’s Vision, die Betonung vom zappligen New Wave Sound auf komplexere, „schwarze“ Rhythmen zu verschieben, und genau das tat der Musik sehr gut – machte die Talking Heads noch ungewöhnlicher, als sie es schon waren. Und klugerweise beließ Eno David Byrne’s hypernervösen Gesang so wie er war, versuchte ihn nicht zu verändern, um die Identität der Band nicht zu verschleiern – so dass insbesondere diese Stimme das einmalige Merkmal der Talking Heads bleiben würde. So sind es speziell die beiden letzten Songs, die More Songs.. .vom Vorgänger abheben. Al Green’s „Take Me to the River“ wurde wie gesagt zum Hit und „The Big Country“ ist einer der besten Songs der Talking Heads überhaupt. Eno hatte die Band in die Spur gesetzt – und nutzte die Zeit während des Masterings des Albums für das Projekt No New York..

Ramones
Road To Ruin

(Sire, 1978)

Illustration – Gus MacDonald

Das Studioalbum Nummer Vier der Ramones ist ihr letztes großes Album. Sie hatten schon mit dem 76er Debüt Ramones ihren Stil definiert und mit dem dritten Album Rocket From Russia den kreativen Zenith erreicht. Nun wollten sie endlich Hits landen und Kohle machen. Und diese Suche nach kommerziellem Erfolg ist dem Album deutlich anzuhören, die Songs werden länger, die Produktion ausgefeilter, und das Tempo geht ein bisschen runter – schließlich hätten sie wohl auch kaum noch schneller werden können – und solange ihnen die entsprechenden Songs gelangen, konnte man damit leben. Da sind polierte Gitarren-Overdubs bei „I Just Want to Have Something to Do“, jangly guitars bei der Coverversion von „Needles and Pins“, es gibt sogar echte Gitarrensoli! Mal simple Ein-Finger Soli wie bei „I Wanna Be Sedated“ aber auch komplexere Tonfolgen, die sich fast nach normalem „Rock“ anhören – wie etwa bei „Don’t Come Close“ – was dann leider ein bisschen in die Hose geht. Es gibt mit „Questioningly“ eine echte Pop-Ballade mit netter Melodie, aber es gibt auch ein paar weniger gelungene Momente auf diesem Album. Immerhin sind die guten Songs noch in der Überzahl, die oben genannten „I Wanna Be Sedated“ und „I Just Want to Have Something to Do“ werden zu Klassikern des Punk, „She’s the One“ und „I’m Against It“ sind genauso gut, nur weniger geläufig, und der Versuch, Hits zu schreiben und erfolgreich zu werden, ist ja nicht verwerflich… oder schließt gute Musik aus. Nach diesem Album aber ließen die Ramones immer mehr nach, die Wiederholung ihrer Formel verlor an Reiz, während sie Energie verloren, was u.a.auch den immer größeren Aversionen der Banditglieder untereinander geschuldet sein dürfte. In den 80ern hatten sie auf jedem Album noch hier und da einen guten Track, aber Road to Ruin ist ihre letzte wirklich konsistente Platte (wenn man das folgende Live Album nicht mitzählt, das eher so was wie eine Best Of ist). Sie hätten ab hier auch einfach aufhören können… Das Denkmal jedenfalls stand schon.

Television
Adventure

(Elektra, 1978)

Foto – Gerrit Van Der Meer

Bei Television hingegen sagt man zu Unrecht, sie hätten schon nach ihrem Debüt ihre Karriere beenden können. Sie sind eine der Bands, die das Problem hatten, einen so großartigen Erstling abgeliefert zu haben, dass ein Nachfolger nicht besser werden KONNTE. Und vielleicht waren sie sich dessen auch bewusst. Jedenfalls versuchten sie gar nicht erst, eine Art Marquee Moon 2.0 einzuspielen. Was irgendwie auch schwierig war, denn sie konnten die Essenz der Band, das ineinander verflochtene Gitarrenspiel von Tom Verlaine und Richard Lloyd, nicht einfach weglassen. Also versuchten sie mit dem neuen, „kommerziellen“ Produzenten John Jansen – der u.a. mit Meat Loaf gearbeitet hatte – den Sound zu variieren – was den Songs leider nicht immer nutzte. Tom Verlaine’s Gesang beispielsweise klingt kaum noch nach ihm selber, der scharfe Sound des Debüts wird deutlich abgeschliffen, Television klingen „softer“ als auf Marquee Moon – und das gefällt vielen Hörern bis heute nicht. Dabei gibt es hier durchaus Songs wie „Glory“ und „The Dream’s Dream“, denen die neue Zurückhaltung durchaus steht. Bei „The Fire“ denkt man an Pink Floyd – und nicht im negativen Sinne. Aber bei einer Band wie Television muss man sich erst einmal daran gewöhnen, in Kategrien wie „die klingen wie…“ zu denken. Letztlich machte die Band mit Adventure ein gutes, teilweise sogar ein tolles Album – eines, das jede andere Band stolz gemacht hätte. Es ist nur nicht so gut wie Marquee Moon, Am besten man hört Adventure zuerst… und vielleicht auch noch ihr sehr gelungenes, aber völlig untergegangenes ’92er Album, das wieder näher am Debüt ist. Übrigens: Das Sleeve Design von Adventure zitiert auf geschmackvollste Weise die guten Bands der 60er.

Blondie
Plastic Letters

(Chrysalis, 1978)

Foto – Phillip Dixon. Modefotograf

Hatten Blondie was mit Punk zu tun? Das seltsame ist, ich habe sie damals nicht in diesem Zusammenhang gesehen, obwohl mich die Fakten dann (später) eines besseren belehrten. Ihre Karriere und die ersten beiden Alben waren im Dunstkreis des CBGB in New York entstanden, dort wo Patti Smith abhing, und wo Television Psychedelic Rock ohne Blues wagten, wo die New York-Version – also die eigentliche Ur-Version – dessen entstand, was man bald Punk nannte. Aber Blondie waren von vorne herein viel mehr Pop, als Bands wie die Ramones – auch wenn sie sich auf eine frühere Periode in der Popmusik bezogen, genau wie es die Ramones taten. Blondie, das war Girl Groups, Brill Building, 50ies/frühe 60ies Ästhetik, der einfache Pop der frühen Sechziger… Immerhin – zunächst war auf Plastic Letters – ihrem zweiten Album – durchaus noch der Einfluss (und Schmutz) der CBGB’s–Szene erkennbar. diese Stilistik wurde erst mit dem dritten Album so glatt gebügelt, dass man den Namen Blondie nicht mehr mit Punk assoziiert. Hier produzierte Richard Gottehrer, seines Zeichens selber Brill-Building Songwriter, das Cover zeigt die Band noch in unseriösem Umfeld, manche Tracks mögen noch Überbleibsel vom Debüt sein, aber dennoch wirkt Plastic Letters kohärent und so, als hätte die Band sich nicht nur musikalisch weiter entwickelt. Debbie Harry’s Stimme ist bezaubernd kühl, mit der Cover-Version „Denis“ ist ein großer Hit dabei, mit „(I’m Always Touched by Your) Presence, Dear“ ein etwas kleinerer, Für die erste Band aus dem Umfeld des CBGB’s ging die Tür zum Mainstream auf…

Blondie
Parallel Lines

(Chrysalis, 1978)

Cover vom New Yorker Szene Fotografen Edo

…und so holten Blondie sich für ihr drittes Album Parallel Lines den zuvor mit Bands wie Sweet und Smokie erfolgreichen Pop-Produzenten Mike Chapman ins Boot, der ihre Brill-Building-Songs zusätzlich aufpolierte und ihnen damit einen kommerziellen Erfolg ermöglichte, den sie nach eigenen Aussagen weder erwartet, noch erhofft hatten. Alle bisher erkennbare Spurenelemente von Punk in ihrem Sound wurden zugedeckt, und Parallel Lines wurde – ganz passend zum weit zahmeren Platten-Cover – zu schimmernder Popmusik. Höchstens Debbie Harry’s kühler Girl Glamour erinnerte nun noch an die Alben der Vorjahre. Das Gute an diesem Album aber ist: Die Songs hätten auch im weniger poppigen Gewand ihre Klasse bewahrt, aber die ganze Band zog bei der Kommerzialisierung des Sounds mit. Blondie als Band sollten nie mehr besser werden als bei Songs wie den Hits „Sunday Girl“ oder dem Discotheken-Knaller „Heart of Glass“, bei dem Drummer Clem Burke sich zu gleichen Teilen von Kraftwerk und den Bee Gees im „Saturday Night Fever“ beeinflussen ließ. Und wie es sich für ein großes Album gehört, waren auch Non-Single Tracks wie „One Way Or Another“ oder das an Marilyn Monroe gemahnende „Fade Away and Radiate“ – mit Robert Fripp an der Gitarre – von höchster Qualität. Blondie führten mit Parallel Lines den von ihnen geliebten Girl-Group-Pop der Sechziger hinüber in die Achtziger und wurden zugleich eine der ersten wirklich kommerziell erfolgreichen Bands aus der Punk-Szene.

Patti Smith Group
Easter

(Arista, 1978)

Cover – Robert Mapplethorpe. Hat auch ihr
erstes Album-Cover fotografiert

… und damit zum nächsten Mitglied der New Yorker CBGB’s Szene – die Szene, die zu dieser Zeit ganz einfach die Speerspitze der Innovation im Pop war. Patti Smith hatte mit ihrem zweiten Album ein ähnliches Problem wie Television – fand aber eine andere Lösung. Sie wird immer über ihr epochales (hier stimmt das Wort…) Debüt Horses von ’76 definiert werden, genau wie Television über ihr Debüt Marquee Moon. – und das ist nicht die einzige Gemeinsamkeit. Beide kommen aus demselben Dunstkreis – der New Yorker Punk-Szene – die immer etwas anders war. Künstlerischer, intellektueller und avantgardistischer als die Punks in Europa. Zumal Patti Smith mit Tom Verlaine eng befreundet war. Aber die Beiden hatte vollkommen andere Voraussetzungen: Die Patti Smith Group hatte einen eigenen, eigentlich recht „konventionellen“ Rock-Sound, ihre Besonderheit lag in der Sängerin und Texterin Patti Smith, in ihrem atemlosen Vortrag und in ihren mitunter frei assoziierten Lyrics – und nicht zuletzt in ihrer Außenwirkung als (selbst)bewusst feministische und NICHT „niedliche“ Frau und Musikerin. Sie war die Punk-Ikone – wie man das oft so schrecklich vereinfacht bezeichnet – was lustigerweise unter anderem an den nicht rasierten Achselhöhlen auf diesem Cover festgemacht wurde. Aber auch bei Ihr sollte nun das dritte Album Easter zum kommerziellen Durchbruch werden: Nun spielte die Patti Smith Group noch rockistischer als zuvor, der Sound war beeinflusst von Bruce Springsteen, mit dem Patti zu dieser Zeit gerne ‚rumhing und mit ihm gemeinsam schrieb sie auch ihren größten Hit „Because the Night“ – und Springsteen vermittelte ihr mit Jimmy Iovine ebenfalls einen kommerziell erfolgreichen Produzenten, dessen Einfluss auf dem Album deutlich herauszuhören ist. Easter ist von christlichen Motiven durchzogen – vom Titel über die Liner Notes bis zum Song „Privilege“ der sich auf den gleichnamigen (ziemlich schrecklichen) Film bezieht, in dem ein Rockstar von Kirche und Staat zu einer Art Messias aufgebaut wird, der die Jugend konformisieren soll. Ob Patti Smith sich selber so sah? Der Spagat zwischen Kunst und Kommerz jedenfalls gelang ihr besser, als den Kollegen. Bei aller kommerziellen Ausrichtung behielt sie dieses Quentchen Authentizität, das sie vom normalem Pop abhob. Und wenn sie Zeilen sang wie „Love is an angel disguised as lust/ Here in our bed until the morning comes“, verschob sie die Grenzen der Akzeptanz im Radio um einiges Richtung Anspruch. Easter ist also nicht Horses…. so what ?