So gibt es zum Ende der Sex Pistols im United Kingdom einige weitere Bands, die mit ihren Singles in den ersten paar Stunden des Punk hoch gespült wurden (The Adverts). Es gibt die, die fälschlicherweise in die Sparte „Punk“ geschoben wurden (The Stranglers, Saints) und es entstehen ab ’76 reihenweise Bands, deren Kenntnis von Musiktheorie, Gitarre, Bass und Schlagzeug gering – deren Innovationskraft und Idealismus dafür um so größer ist (Wire, Siouxie & the Banshees, X-Ray Spex etc). Das wiederum sind oft Musiker, die mit dem selbstzerstörerischen Nihilismus der Pistols Wenig bis Nichts am Hut haben. Zur gleichen Zeit und kommen etliche aufmerksame „gestandene“ Musiker auf die Idee, ihre vorhandene Virtuosität den einfacheren Strukturen dieser neuen Art von Musik unterzuordnen (Vibrators, The Only Ones…). Und all diese Bands – so z.B. auch Public Image Ltd. um den Ex-Sex Pistol John Lydon – machen letztlich die Art von Musik, die eigentlich ganz passend unter dem Begriff New Wave oder Post Punk zusammengefasst werden wird – sie machen die Musik, die zunächst noch als Gegenentwurf zum Rock der Siebziger steht, die im Laufe der Zeit Dinosaurier wie Led Zeppelin oder Yes überflüssig macht und die musikalischen Entwicklungen in den 80ern und 90ern (Hardcore, Grunge, Alternative Rock etc…) auf den Weg bringen wird – und die ganz nebenbei dann mit Bands wie U2 oder den Simple Minds eigene Dinosaurier hervorbringen wird. Hier nun ein paar der wichtigsten und besten Alben des Jahres ’78 aus dem Bereich, den man heute Post-Punk/New Wave nennt – Ein Bereich der Musik, der auf beiden Seiten des Atlantik mindestens bis Mitte der ’80er extrem fruchtbar sein wird.
The Clash
Give ‚em Enough Rope
(CBS, 1978)
Nach ihrem fantastischen Debüt – einem der definitiven „Alben“ des Punk – bei dem doch eigentlich nur die Single zählt – hatten The Clash in England einiges an Aufruhr verursacht. Die einzelnen Bandmitglieder mussten wegen diverser Untaten immer wieder in den Knast: Gründe waren der übliche Vandalismus in dieser und jener Form und absurde Vergehen wie „Kopfkissendiebstahl“. Aber neben all dem Unsinn begannen sie sich tatsächlich politisch zu engagieren, spielten bei „Rock Against Racism“ auf und wetterten zu Recht gegen Thatcher und die von ihr praktizierte Politik der sozialen Kälte – und nahmen nun mit dem Ex Blue Öyster Cult Hit-Produzenten Sandy Pearlman ihr zweites Album mit einer richtigen, „glatten“ Produktion auf. Ein Vergehen, das ihnen ein paar Fundamentalisten in der Punk-Szene äußerst übel nahm. Aber heute können selbst die es ja zugeben: Give ‚em Enough Rope ist ein würdiger Nachfolger zum Debüt – das zu übertreffen ja sowieso unmöglich war. Insbesondere die erste Hälfte des Albums mit „Safe European Home“, „English Civil War“ und vor allem „Tommy Gun“ ist schön kraftvoll und rotzig, der bessere Sound beraubte die Band nicht ihrer Energie und der von Deppen als skandalös angesehene Umstand, dass sie inzwischen erkennbar über den Tellerrand des Punk hinwegsahen, erwies sich für die Band als Segen. Give ‚em Enough Ropegilt aber auch im Nachhinein zu Recht als eines der letzten wichtigen Manifeste des Punk.
The Adverts
Crossing The Red Sea with The Adverts
(Bright, 1978)
Wie in der Einleitung gesagt: Punk war ’78 Geschichte, und die Bands die nun ein Album veröffentlichten, hatten das Wichtigste zuvor auf ihren Singles gesagt: The Adverts zum Beispiel gehören zu den Pionieren des Genres, sie hatten als Live-Act Im Roxy ganz zu Anfang des Hypes bestanden, ihre Singles „No Time to be 21“, „One Chord Wonders“ und vor Allem „Gary Gilmore’s Eyes“ (über einen Mörder, der seine Augen nach Vollzug der Todesstrafe der Medizin spenden wollte) hatten zu Recht für Furore gesorgt. Tatsächlich soll John Lydon sie später als eine der wenigen Punk-Bands erwähnt haben, die Gnade vor seinen Augen fand. Zu ihrem Ruhm mag auch beigetragen haben, dass sie mit Gaye Advert (eigentlich Black) eine Bassistin in ihren Reihen hatten – in der doch sehr chauvinistischen Szene eine Ausnahme. Ihr ’78 etwas verspätet veröffentlchtes Album-Debüt Crossing the Red Sea with the Adverts ist tatsächlich das zu Unrecht unbekanntere Pendant zu den famosen Debütalben der Pistols und der Clash. Es ist eines der wenigen Alben seiner Zunft, bei denen neben den Singles auf LP-Länge noch weitere gelungene Songs zu finden sind – Songs, die das Album tatsächlich komplett genießbar machen: „Bored Teenagers“, „Bombsite Boy“ und der „Great British Mistake“ hätten als Singles genauso gut funktioniert, die Band bekam von Produzenten John Leckie einen für Punk recht „cleanen“ Sound, der aber den Genuss erhöht, zumal die Energie der Adverts doch regelrecht aus den Boxen birst. Die Texte mögen selbst-referentiell sein – es geht eben um junge, desillusionierte Menschen – aber so war ihr Leben, und Punk war nur eine kurze Explosion. Um so besser, dass davon etwas so genießbares übriggeblieben ist.
Public Image Ltd.
Public Image / First Issue
(Virgin, 1978)
John Lydon als Idealist: Während die restlichen Sex Pistols noch als Ruine des Punk weitermachten, hatte er die Band nach der desaströsen US-Tour im Januar ’78 verlassen, um mit anderen Leuten andere Musik zu machen. Er rekrutierte mit John Wardle einen Freund aus College-Tagen als Bassisten. Der benannte sich um in Jah Wobble – Jah als Bezug zum von ihm geliebten Dub-Reggae und seinen abgrundtiefen Bässen. Dazu kam der Gitarrist Keith Levene, der einst Gründungsmitglied bei The Clash gewesen war, und dessen Gitarrenspiel vielleicht nicht im althergebrachten Sinn virtuos war, der dafür aber Splitter in die Ohren des Publikums schoss. Dazu kam der Kanadier Jim Walker als Drummer. Dass Lydon von Punk, und von den Anhängern aus Sex Pistols Tagen und dem Ausverkauf der ganzen Szene äußerst angewidert war, hatte er schon bei den Pistols deutlich zum Ausdruck gebracht. Nun machte er auch Musik, die genau diese Abscheu und Ablehnung vermitteln sollte: Er verband Noise, Sound Collagen, Dub und durchaus auch Elemente des Progressive-Rock auf First Issue zu etwas, das man in bald Post-Punk nennen würde (Ein Begriff, zu dem er sicherlich auch einen passenden Kommentar hätte…). Dass man Public Image Ltd. mit den Pistols in Verbindung bringen würde, konnte er nicht verhindern. Sein „Gesangs“-Stil war ja unverkennbar , aber Songs wie der neun-minütige Opener „Theme“ haben mit Punk genau soviel zu tun, wie mit Jimi Hendrix. Und da ist vor Allem der massive, tiefergelegte Bass-Sound von Jah Wobble, der das Album besonders macht. So ein Sound war bislang außerhalb des (damals nur in Szene-Kreisen bekannten) Dub-Reggae noch nicht da gewesen. P.I.L. wurden tatsächlich vom Label gezwungen, First Issue wegen seiner „Andersartigkeit“ für den amerikanischen Markt teilweise neu aufzunehmen – aber auch diese Aufnahmen wurden aufgrund „mangelnder Kommerzialität“ bis 2013 nicht in den USA veröffentlicht..! Ignoranz ist zeitlos.
Siouxie and The Banshees
The Scream
(Polydor, 1978)
Siouxie and the Banshees entstehen – wie viele Post Punk Bands – um ’76, nachdem sich die junge Susan Janet Ballion aka Siouxie Sioux und der Gitarrist Steven Severin bei einem Konzert von Roxy Music (!) kennenlernen. Beide hängen bald im hippen Umfeld der Sex Pistols herum, Sid Vicious spielt mal kurz bei den Banshees mit, Visionär und Radio-DJ John Peel liebt ihre Singles (die als 81er Compilation Once Upon a Time gesammelt unverzichtbar sind) aber die Banshees bekommen erst ’78 auf Druck ihrer Fans den gewünschten Plattenvertrag und veröffentlichen die erfolgreiche Single „Hong Kong Garden“ und ihr großartiges Debütalbum Scream. Und was soll man sagen – hier ist auch wieder alles das vertreten, was Post-Punk zur Frischzellenkur für die lahmende Pop-Musik der Siebziger macht: Simplizität, Furor, Stil. Siouxie’s selbstbewusste, schneidende Stimme nimmt den neuen Typus Sängerinnen kommender Jahre vorweg, drohend grummelnder Bass, marschierende Drums, uneitel jangelnde Gitarren – und dazu das wichtigste Element – diese Songs. Die Singles haben sie tatsächlich nach alter britischer Tradition aussen vor gelassen, aber keiner der Tracks der LP bleibt unter dem Niveau der „Hits“. Egal ob „Jigsaw Feeling“, „Carcass“ oder „Mirage“, alles spannende Songs, äußerst dynamisch und dramatisch. Dass Siouxie and the Banshees als Begründer der Gothic-Szene gelten, hat sowohl mit ihrem düsteren Sound als auch mit ihren polarisierenden Auftreten zu tun. Dass Siouxie bei Konzerten Nazi-Symbole als modische Accessoires trägt, prägt das Gothic Image, hat mit politischer Gesinnung aber Nichts zu tun. Sie widmen den Song „Metal Postcard (Mittageisen)“ dem Foto-Collagen-Künstler John Heartfield, der als ausgewiesener Gegner der Nazi’s 1933 aus Deutschland geflohen war. Scream ist eines der wichtigsten, eigenständiges, prägendes Alben des Post-Punk – und Siouxie and the Banshees veröffentlichen in den folgenden Jahre etliche weitere tolle Alben, durch die sie gleichberechtigt neben The Cure, Joy Division, Gang of Four etc.. stehen.
X-Ray Spex
Germfree Adolescents
(EMI, 1978)
Und à propos Frauen im (Post)-Punk – es gibt erfreulicherweise inzwischen einige erfolgreiche Musikerinnen in der doch sehr patriarchalischen und macho-haften Szene jener Zeit. Da hat eine gewisse Marianne Elliott Said aka Poly Styrene zusammen mit der Saxophonistin Susan Whitbyam aka Lora Logic + männlichem Bassist, Gitarrist und Drummer – wieder mal nach dem Besuch eines Sex Pistols Konzertes übrigens – 1977 die X-Ray Spex gegründet um Punk mit besagtem Blasinstrument und psychedelischen Ausbrüchen zu vereinen. Und damit wird ihr Debüt Germfree Adolescents zu einem weiteren Solitär in der Musik seiner Zeit. Man kann die Ursprünge der Clash und der Pistols ja problemlos erkennen – die X-Ray Spex hingegen scheinen komplett fertig aus dem Reagenzglas gesprungen zu sein. Insbesondere Poly Styrene nutzt die neu geschriebenen Regeln des Punk um nichts anderes als sie selbst zu sein. Sie ist eine hervorragende Texterin, die die moderne Konsum-Gesellschaft zugleich anspuckt und feiert, fasziniert betrachtet und sich vor ihr ekelt. Das Album enthält mit „Oh Bondage! Up Yours!“ einen der anthemischen Punk-Songs dieser Zeit – eine als zynische Aufforderung verpackte Kritik an grenzenlosem Konsum, und das komplette Album ist voll solcher energetischer, lustvoller Ausbrüche. Das Saxophon – übrigens meist von Rudi Thompson gespielt, weil Lora Logic bei den Aufnahmen zum Album gerade mal 17 war – lässt die X-Ray Spex natürlich aus der Masse herausragen – genau wie Poly Styrene’s opernhafter, schriller Gesang, der für die Szene doch recht virtuos ist. Mit Germfree Adolescents hatte die Band allerdings auch in einem Ausbruch alles gesagt, was zu sagen war. Im folgenden Jahr löste sie sich auf und nach einem Solo-Album schloss sich Poly Styrene der Hare Krishna Bewegung an. 1995 kam es zu einem weiteren Album, aber Germfree Adolescents ist ein Album, das erst einmaö keine vergleichbaren Nachfolger (…erst die Riot Grrrls der Neunziger…) oder Vorläufer hat, und die weiteren Highlights hier – der Titelsong, „Identity, „Plastc Bag“ z-B. – machen es als zu einem kompletten Kunstwerk.
The Saints
Eternally Yours
(Harvest, 1978)
Ein bisschen unfair ist es ja schon, die Australier The Saints in diesen Topf hier zu werfen: Sie waren ’77 mit ihrem Album I’m Stranded einfach nur zur rechten Zeit am richtigen Ort (London’s Punk-Szene) – aber ihre Inspiration kam erkennbar von Bands aus den Siebzigern wie den Stooges oder den MC5 (… was sie andererseits mit vielen ihrer Zeitgenossen teilen…) und die beiden Bandköpfe Chris Bailey und Ed Kuepper hatten von Anfang an mehr im Sinn, als den limitierten Sound von Punk – was I’m Stranded letztlich zum zeitlosen Klassiker macht – und was die beiden nachfolgenden Alben zwar einerseits noch weiter vom Punk entfernt, sie aber zu gleichermaßen hörenswert macht. Bailey’s arrogantes Genöle ist inzwischen das einzige Element, das die Saints in die Schublade Punk passen lässt, ihr zweites Album Eternally Yours hat schon etliche Inhaltsstoffe, die im „reinen“ Punk ein No Go gewesen wären: Da gibt es akustische Gitarren, Tempowechsel, Bläserparts, ja, auch regelrechtes Singer/Songwriter Material, wie etwa das von Ed Kuepper geschrieben „Memories are Made of This“. Natürlich gibt es auch schnelle, harte Tracks, die an etwas komplexere Ramones erinnern mögen („No, Your Product“), aber dieser Wechsel zwischen Wildheit und Kontrolle, Punk und hartem Rock macht das Album nicht zum „Punk“-Standardwerk, somdern vielmehr zu einem gelungenen Album seiner Zeit.
The Saints
Prehistoric Sounds
(Harvest, 1978)
…und im selben Jahr noch gingen die Saints noch weiter in Richtung Jazz und Blues australischer Prägung. Prehistoric Sounds klingt gar nicht mehr nach Punk, stattdessen haben wir Ed Kueppers ausgefeilte Bläsersätze, Songs wie „Church of Indifference“ oder die Hymne an die Heimatstadt Brisbane – und mit „Swing for the Crime“ und „All Times Through Paradise“ zu Anfang zwei Stücke, die den Rest dummerweise etwas zu sehr überstrahlen. Was Prehistortic Sounds ist? Jedenfalls kein Punk… Es ist Rock-Musik, bei der Bläser gleichberechtigt neben den Gitarren stehen und ein Vorbild für spätere Bands wie etwa Rocket from the Crypt bilden. Aber es ist auch keine „normale = banale“ Rockmusik, dafür schimmert IMO das Unkonventionelle und die wie auch immer geartete Kraft des Punk doch zu sehr durch. Chris Bailey übrigens war nicht entzückt, und er und Ed Kuepper trennten sich. The Saints blieben als Bailey’s Solo-Vehikel produktiv, Kuepper machte mit den Laughing Clowns und dann alleine weiter.
The Buzzcocks
Another Music In A Different Kitchen
(United Artists, 1978)
Die Buzzcocks sind mit ihrem schlauen (Pop)-Punk eine der Bands der ersten Stunde gewesen. Ihre Debüt EP Spiral Scratch (von 1977) ist so genial wie der Titel: Neun Minuten, in denen alles gesagt ist. Ihr Sänger Howard Devoto verließ die Band sofort nach dieser ersten EP um mit Magazine ebenso tolle Musik zu machen (siehe unten), wie Mitbegründer Steve Shelley es dann weiterhin mit der Ursprungsband machen sollte – ein Split also zum Nutzen der Musikhörer. Die Beschreibung:„Punks with design school cred and pop hooks.“ ist zutreffend. Den Buzzcocks mag die Häme der Sex Pistols oder die politische und gesellschaftskritische Wut von The Clash fehlen, aber dafür konnte keiner jugendliches Ungestüm und sexuelle Verwirrungen so gut in kurzen, knackigen Songs ausdrücken. Und somit machten sie von Anfang an nicht Punk (das machte doch eigentlich Keiner) sondern Power-Pop, an den frühen Beatles geschult, an der gesellschaftlichen Realität ihrer Zeit gehärtet. Another Music in a Different Kitchen jedenfalls hat die reduzierte Virtuosität, die die hier beschriebenen entscheidenden Alben der End-Siebziger auszeichnet. Da sind die Propeller-Drums von John Maher, effektive Gitarren von Steve Diggle – aber vor Allem ohne unnötigen Ballast auf den Punkt gespielte Songs die oft unter der Drei-Minuten Marke bleiben, mit Steve Shelley’s Lyrics über Teenage Angst und bittersüße Liebe. Da wird in den 2 ½ Minuten von „You Tear Me Up“ alles gesagt, was nötig ist. Und es kulminiert zuletzt bei den den fast sechs Minuten von „Moving away from the Pulsebeat“. Sie KÖNNEN also auch das große Format. Das ist nicht in dem Sinne aggressiv, aber es ist perfekte, harte, schnelle Popmusik.
The Buzzcocks
Love Bites
(United Artists, 1978)
Das Gleiche kann man auch über den nach gerader mal sechs Monaten hinterher geschossenen Nachfolger Love Bites sagen: Womöglich sind die rohen „Punk“ Spuren hier etwas weniger deutlich, vielleicht gibt es sogar ganz kleine Abnutzungsspuren nach so kurzer Zeit, in der die Band im Schnellschußverfahren ein weiteres Album einspielen musste – aber man bedenke: Die Beatles haben dereinst auch oft zwei gleichwertige Alben in einem Jahr aufeinander folgen lassen – und Steve Shelley war mindestens ein kleiner, einsamer Paul McCartney. Songs wie „Sixteen Again“ oder das perfekte und programmatische „Ever Fallen in Love (With Someone You Shouldnt’ve)“ jedenfalls lassen Kritik kleinlich erscheinen. Ich nenne es wieder Power-Pop im Punk Tempo mit einem Sinn für Melodien, die man nur von britischen Bands kennt. Auch wenn der Album-Closer „Late for the Train“ als 5+-minütiges Instrumental fast an Prog-Rock denken lässt!!!
Magazine
Real Life
(Virgin, 1978)
Eigentlich hatte Howard Devoto die Buzzcocks verlassen, um sein Studium zu beenden, aber dann hörte er Ende ’77 die neuen, revolutionären Alben von David Bowie (Low ) und Iggy Pop (Idiot) und beschloss, doch weiter Musik zu machen. Er suchte sich ein paar Musiker zusammen, verkündete groß und breit, dass er mit Punk Nichts am Hut habe, und hatte innerhalb kürzester Zeit die Presse hinter sich und einen Plattenvertrag bei Virgin Records in der Tasche. Tatsächlich ist Real Life einige Schritte von Punk entfernt – und zugleich ist das, was das Album so besonders macht, die Reduktion, die nur aus dem Beben entstand, das Punk erzeugte. Es ist Post-Punk und Art Rock – um es in Kategorien zu beschreiben – und es hat die Eigenschaft, die in jeder Musik entscheidend ist – und die zu dieser Zeit so einige Alben herausragen lässt: Es ist einzigartig und unverwechselbar. Howard Devoto – auf der Bühne meist weiss geschminkt – hatte eine Attitüde, die eher aristokratisch war, passte damit zwar in eine Form, die z.B. Peter Gabriel vorgestanzt hatte, war für den normalen Prog-Rock Fan aber doch zu futuristisch, kühl und fremdartig. Und die Musik auf Real Life mag das Drama eines Peter Hammill und die Experimentierlust von Brian Eno haben, aber all das wird durch die Energie des Punk ergänzt. Beim Opener spielen die moody Keyboards des Könners Dave Formula eine 60ies Melodie, dann verkündet Devoto’s androgyne Stimme „Clarity has reared its ugly head again. So this is real life“ und die Sixties-Sounds werden von dissonantem Piano unterbrochen. Devoto spricht mit Dämonen („My Tulpa“) und mit Gott – dem „Great Beautician in the Sky“. Mit „Shot By Both Sides“ hat er einen unwiderstehlichen Song, der die Rasanz der Buzzcocks mit seiner neugefundenen Artyness verbindet. Und man höre das sich steigernde „Motorcade“ – um zu erkennen, was Devoto’s Magazine von den Buzzcocks unterscheidet (das Ausladende, die Theatralik…) Für mich verbindet Real Life den Pop der Buzzcocks mit der Konsequenz von Wire – was jeden, der die beiden nicht kennt, dazu bringen sollte, die Alben aller drei Bands zu erforschen. Diese Musik ist erstaunlich zeitlos (…was für die meisten Alben hier gilt…).
The Stranglers
Black & White
(EMI, 1978)
Ich nehme ja an, dass die Stranglers – wie so viele Bands dieser Generation – nicht die erklärte Absicht hatten, „Punk“ zu sein. Sie haben den Hype genutzt – ob freiwillig oder unfreiwillig – und dabei mit den Mitteln und Ideen ihrer Zeit ihre eigene Art von (Pop-oder Rock-) Musik gemacht. Die vorherigen beiden Alben der Starnglers (siehe 1977 – der deutsch Herbst und Sex Pistols bis Kraftwerk….) gelten trotz komplexer Sound- und Rhythmus- Strukturen, ausgefeilter Songs und virtuoser instrumentaler Könnerschaft als Grundsteine des Punk. Da spielt ihr Name, der textliche Zynismus und ihr Auftreten im Gefolge anderer Bands wohl eine große Rolle. Und auch auf ihrem dritten Album Black & White findet kein Punk statt. Im Gegenteil – die Art, wie sich hier die Gitarren von Hugh Cronwell und die Keyboards von Dave Greenfield umspielen, würde jeder Progressive-Rock Band zur Ehre gereichen. Das 5+minütige „Toiler on the Sea“ hat tatsächlich eine fast zwei-minütige instrumentale Einleitung – aber auf der anderen Seite schieben der Knochenbrecher-Bass von Jean-Jaques Brunel und die No-Fun-Stimme von Cronwell die Musik der Stranglers weit aus jeder Kitsch-Ecke heraus. Dass X-Ray Spex Saxophonistin Lora Logic bei „Rise of the Robots“ aushilft zeigt die Verflechtung der Post-Punk-Szene – und passt natürlich zur erkennbaren Absicht der Stranglers, mehr zu machen, als nur ein weiteres Album in der Art der beiden Vorgänger. Man könnte kritisieren, dass der Versuch, das Spektrum zu erweitern auf Kosten des Songwritings gegangen ist. Black & White gilt als schwächeres Album als die Vorgänger und der Nachfolger The Raven – aber unter den Experimenten verbergen sich immerhin Songs wie „Nice N‘ Sleazy“ oder das schicke „Sweden (All Quiet on the Eastern Front)“. Und im erschaffen einer regelrecht beängstigenden Atmosphäre sind sie immer besser geworden. Als Beispiel dient mir da das ansonsten etwas schlichte „In the Shadows“. Im Quartett der ersten Alben der Stranglers also das ungeliebte Kind – aber auch das hat seinen finsteren Charme.
The Only Ones
s/t
(CBS, 1978)
Die Only Ones stehen um noch einige Schritte weiter außerhalb der üblichen Punk-Kategorien als die Stranglers. Sie wurden aber – wie so Viele – wegen des gerade aktuellen Hype’s in diese Schublade gesteckt. Sie sind so Punk wie die Stranglers, die Soft Boys oder Television. Die Musiker sind allesamt schon weit über der Mitte der Zwanziger, haben in England bei diversen Rock- und Art-Rock Band gespielt und steigen jetzt mit ihrem neuen Projekt und – man muss es so nennen – mit einer epochalen Single in das Punk-Karussell ein. „Another Girl, Another Planet“ ist ein Behemoth von einem Song, neben dem noch so gute Begleiter verblassen. Also: diesen Track vielleicht auch mal überspringen, um der Klasse von sparsamen Schleichern wie „Breaking Down“ – mit den bezeichnenden Textzeilen „It’s the pains inside my head that worry me“ – oder des monolithischen „The Beast“ gewahr zu werden. The Only Ones hat vieles mit dem Debüt von Television gemein – insbesondere die nasale Stimme von Sänger und Songwriter Peter Perrett erinnert an Tom Verlaine – aber auch der klare, sparsame Sound der versierten Band, der Verzicht auf Blues-Anleihen, die sich windenden Gitarren und das kluge Songwriting lassen an die New Yorker denken. Dass „Another Girl, Another Planet“ die Klasse der anderen Songs überdeckt, ist regelrecht tragisch – man darf das Album nicht auf den einen Song reduzieren. Das weitere Schicksal der Only Ones‘ krankte jedenfalls an dem einen Hit – und an Perrett’s galoppierender Drogensucht. Dass sie in den folgenden zwei Jahren zwei genauso gelungene Nachfolger machten, grenzt an ein Wunder. Sollte man nur ein Album der Band wollen, wäre The Only Ones wohl das Album der Wahl. Es ist in seiner Art bezeichnend für die Zeit „nach Punk“ – als auf einmal alles möglich war, weil etliche Musiker sich nun auf’s Wesentliche beschränkten – eine Idee, den Song und die Energie, die Popmusik wieder zu einem Ereignis macht.
The Vibrators
V2
(Epic, 1978)
Auch die Vibrators gehören zu den Bands, denen das zu enge Punk-Korsett ein bisschen aufgezwungen wurde. Aber wegen ihrer Vergangenheit im Vorprogramm von Chris Spedding und Iggy Pop, wegen ihrer Auftritte im Roxy Club und wegen des Erfolges solcher Singles wie „Pogo Dancing“ und „Baby Baby“ gelten sie als Punk Band der ersten Stunde. So sind sie 1978 schon regelrechte Veteranen, und V2 schon das zweite Album der Band. Und wie das bei Punk oft so ist – eine komplette LP ist auch hier ein bisschen zu viel. Das Debütalbum Pure Mania gehört noch zu den durchgehend anhörbaren Alben seiner Zunft, auf V2 wurde dann möglicherweise einfach etwas zu viel ausprobiert. Wo die Vibrators gut sind, da sind sie sehr gut: „24 Hour Party People“ klingt nach Chuck Berry und ist entsprechend energetisch, „Feel Alright“ ist feiner Garage-Rock, und sobald die Vorbilder des Punk unverstellt zu erkennen sind, sind die Vibrators wirklich wunderbar – spielen eine harte Version des zeitlosen Power-Pop. Ähnlich wie die Stranglers, mit denen sie auch die Bühne teilten, ist das Punk-Korsett zu eng für diese Band (vor Allem für Gitarrist John Ellis, der dann auch bald bei Leuten wie Peter Gabriel und Peter Hammill aushelfen sollte), aber im Gegensatz zu anderen, länger kreativen Bands hatten sie nicht die Abenteuerlust – oder die Unverschämtheit – sich weiter zu entwickeln und blieben zu guter Letzt auf der Strecke. Ihre ersten beiden Alben aber sollte man hören, wenn man nicht genug bekommen hat von Single-Compilations wie No Thanks! 70’s Punk Rebellion und den fünf bis zehn durchgehend lohnenden Alben dieser „Gattung“.
Klar, da ist auch Punk in den USA!
Natürlich gibt es ’78 noch weitere herausragende Alben, die man Punk oder Post-Punk oder New Wave nennen kann/muss. Hier beschränke ich mich auf Bands aud dem United Kingdom, andere Meisterwerke dieser Art Musik – insbesondere aus den USA – werden unter einer anderen Überschrift anderswo beschrieben. Ich verweise auf den kurzen Artikel über Punk in Cleveland (Pere Ubu, Devo) und auf den „Hauptartikel mit den Bands aus dem Umfeld des CBGB’s. Und ’78 gibt es natürlich noch etliche Alben die Post-Punk nur streifen, die garnichts damit zu tun haben, aber trotzdem toll sind etc. Kommt alles noch irgendwo anders.