Aber die Saat war gesät und in den folgenden Dekaden gab es immer wieder Musiker, die die bunten Träume solcher Psychedelic Rock Acts wie Jimi Hendrix Experience, Doors, Pink Floyd, Gong neu entdeckten, veränderten, an ihre Realität (und ihre Träume) anpassten. Da waren zu Zeiten des New Wave Ende der 70er The Soft Boys und Teardrop Explodes, da waren in den 90ern die Flaming Lips oder Mercury Rev… Und auch in den 10ern geht es weiter. Natürlich hat diese Generation inzwischen das Wissen um fast 50 Jahre (Psychedelic) Rock aufgesogen und die Entwicklungen der populären Musik in ihre Neo-Psychedelischen Ergüsse integriert. Neo-Psychedelia ist nach den 00ern ein Konglomerat aus allem möglichen… und damit genau das, was in der populären Musik seit den 00ern üblich ist: Eine bunt zusammengewürfelte Mischung von Einflüssen, bei der jeweils ein bestimmter „Spirit“ vorherrscht. Bei den Alben ín diesem Kapiltel wird „psychedelische“ Ästhetik besonders in den Vordergrund gestellt. Und damit wird das Album als Neo-Psychedelic wahrgenommen. Es ist logisch und gelungen, wie der Tame Impala-Kopf Kevin Parker bei der australischen Band Pond seine patentierten Modernismen mit einbaut und ansonsten die Drums bedient. Es beeindruckt, wie Motorpsycho ihren Stoner Rock in diesem Jahr mit komplexen Orchester-Arrangements zu einem psychedelischen Prog-Monster zusammenbauen. Es ist psychedelischer Irrsinn, in dem die Japaner Acid Mothers Temple and the Melting Paraiso U.F.O. Klassiker der Rockmusik in musikalische Trips verwandeln. Es zeigt, wie weit Neo-Psychedelik ausufern kann. Oder wie Goat und Moon Duo Psychedelik, Space Rock und moderne elektronische Sounds zusammenführen. Oder was altgediente Ex-Spacemen 3 Drogen-Psychedeliker heute machen… Die hier folgenden Alben zeigen, wie breit das Feld der Neo-Psychedelik geworden ist. Es ist auch interessant zu beobachten, dass Neo-Psychedelik in diesen gesellschaftspolitisch so schwierigen und bewegten Zeiten erblüht. Es sind Zeiten, in denen ein gewisser musikalischer Eskapismus zelebriert wird, der oft mit der Härte des Metal/Hard Rock verbunden wird. 2012 ist ein Jahr, in dem es viele unterschiedliche gelungene Beispiele für diese Facette der populären Musik zu hören gibt. Und hier schreibe ich wohlgemerkt nur über ein paar Facetten – am Schluss verweise ich noch auf andere Alben, die in anderen Kapiteln vorkommen sollen…
Neil Young and Crazy Horse – Psychedelic Pill
(Reprise, 2012)
Psychedelic Pill… Das sagt Alles. Neil Young & Crazy Horse wurden schon Anfang der 90er als Väter des Grunge jung gemacht. Jetzt – mehr als 20 Jahre später – ist Neil Young’s Musik immer noch richtig. Dabei macht er kaum etwas anders als zu Zeiten von Zuma in den Mitt-Siebzigern. Er dehnt den Psychedelic Rock hier ins Unendliche und macht eines DER Alben 2012 – lies im Hauptartikel…..
Tame Impala – Lonerism
(Modular, 2012)
…wo ich einen weiteren Klassiker der Neo-Psychedelik beschreibe. Lonerism kommt unter dem Namen Tame Impala von dem junger Australier Kevin Parker. Ein Typ, der aus seinem Wissen um elektronische Musik und psychedelischen Pop ein ganz großes Album macht…
Pond
Beard, Wives, Denim
(Modular, 2013)
…die Australier Pond wiederum sind eng mit Tame Impala verbunden. Beide Bands kommen aus Perth, die Bandmitglieder helfen einander aus, unterstützen sich auf Tour, Kevin Parker – der Tame Impala IST – spielt auf Beard, Wives, Denim – dem 4. Album der Band – die Drums und produziert… die Szene in Perth dürfte nicht riesig sein, der Aufstieg von Parker hat seinen Kumpels sicher gefallen. Zumal die Musik des Kollektives Pond um Nick Allbrook, Jay Watson und Joe Ryan seine musikalischen Projekte im Gefolge von Lonerism nun auch weltweit bekannt machen konnte. Soviel zum Business… und das Wichtige als Beschreibung eines modernen psychedelischen Albums, das tatsächlich anders ist, als Lonerism. Diese Band baute auf Jam-Sessions, aber das führte nicht zu ausuferndem Gedaddel. Tatsächlich sind Songs wie der Opener „Fantastic Explosion of Time“ bunt und zugleich ziemlich muskulös. Immer wieder hört sich der Beginn eines Tracks an, als würden die Beteiligten gerade mal nach den Instrumenten greifen und loslegen… aber die habe offenbar immer einen Plan. Produzent Kevin Parker hatte sich einiges von David Fridmann abgehört – Drums und Gitarren sind LAUT, alles ist technicolor-bunt. Und der Gesang von Nick Allbrook erinnert manchmal mit seinem Echo und abgedrehten Wahnwitz an die Flaming Lips. Aber – Pond waren nicht psychotisch. Nur psychedelisch. Und es gab etliche Song-Perlen, die wunderbar bunt funkelten. „Allergies“ könnte von den Beatles sein, wenn sie in der Zukunft gelandet wären, fließt sanft dahin. „You Broke My Cool“ und das darauf folgende „Moth Wings“ sind reichhaltiger Psychedelic Rock – in modern!! Und wer mag, kann die Ähnlichkeiten mit Tame Impala raussuchen. Beide Acts (eine „Band“ ist Tame Impala nur live…) teilen sich die Musiker, kein Wunder, dass beide Alben so gelungen sind. Geschwister-Alben irgendwie. Der NME nannte Pond damals „The Hottest New Band In The World“ und sie tourten erfolgreich durch die Welt. Die Karriere schien durchzustarten. Aber Wellen brechen auch wieder… was Beard, Wives, Denim nicht schlecht macht…
Melody’s Echo Chamber
s/t
(Fat Possum, 2012)
Dass Kevin Parker 2012 der go-to mastermind of all things to do with the state of modern psychedelia war, muß erstmal erwähnt sein. Nun – Kevin Parker hatte seine Freundin Melody Prochet kennengelernt, als sie ihn als Vorband bei der Europa-Tournee begleitete. Prochet ist Französin, sie hatte schon vor Parker psychedelischen Dream Pop gemacht. Nun nahm sie mit Parker und ein paar französischen Freunden ihr Debüt Melody’s Echo Chamber auf. Nun – Melody baute ihren Himmel definitiv mit einer eigenen Wolkenmaschine. Sie sagte bei einem Interview zwar, dass sie ihren Freund/Produzent gebeten habe, sie aus der Comfort-Zone zu holen und es sind sicher einige Effekte und Ideen in der Sound-Architektur des Albums zu hören, die man auch bei Tame Impala finden kann. Aber Prochet geht anders an Psychedelia heran. Ihre Musik ist weit verträumter… Auch hier will ich gerne Vergleiche bemühen – es ist 2012 und überall hört man Referenzen. Man mag Cocteau Twins, My Bloody Valentine, Stereolab nennen – Letztere allein schon, weil Prochet auch französisch singt bzw. den Akzent hat. Aber das sind ja keine schlechten Namen. Und wenn man aus diesen Acts eine Essenz destilliert und mit schönen eigenen Songs und eigenem Stil verbindet, kommt dieses feine Neo-Psychedelc-Album heraus. Alein schon durch die honigsüße Stimme von Melody Prochet wird der Vergleich mit Tame Impala sinnlos. Und ein Track wie das schlicht-schöne „Bisou magique“ ist in einer eigenen Welt unterwegs. Mit jazzy Drumpattern, repetitivem Synthsizer, Sci-Fi Sounds und dunstigem Gesang. Hier wird genau die seltsam verwaschene Stimmung erzeigt, die auf dem Cover des Albums abgebildet ist. Als würde man durch einen Vorhang in einen psychedelischen Morgen treten. Gitarrenwände, die wie Nebelbänke heranziehen, dazu intelligente Rhythmen, die wohl von Kevin Parker bereitgestellt wurden. Melody’s Echo Chamber ist eine moderne Variante von Psych-Pop. Es ist in diesem Kapitel das Album, das am Nächsten am POP ist. Wie gesagt: Hier glitzern Neo-Psychedelic-Facetten…
TOY
s/t
(Heavenly, 2012)
Jetzt wieder ein Beispiel für den großen Einfluss, den 90er Shoegaze auf die Psychedelische Musik (nicht nur) der 10er hatte. 2012 wurde das übrigens womöglich so nicht wahrgenommen. TOY kamen aus Brighton, auch bei ihnen war EINE Person – Tom Dougall, der Bruder von Rose Elinore Dougall von den wunderbaren Pipettes – der Kopf hinter der Musik. TOY klangen einerseits wie aus der Zeit gefallen, waren da sicher auch auf dem virulenten Eskapismus-Trip… und passten natürlich gerade dadurch sehr gut in diese Zeit. Dougall nahm sich etliche Ideen und Einflüsse, die den Psychedelischen Rock der 60er groß gemacht hatte und unterlegte sie mit Shoegaze-Rauschen und moderner Aufnahme-Technik zu eigener Musik. TOY klingt nach Drogen, es gibt betäubend/betörende Kraut-Motorik („Dead and Gone“), die in Shoegaze-Rasen ausläuft. Es gibt aber auch die deutlich heraushörbaren Vocals von Dougall, die durch alle Schichten hindurchklingen. Man mag sich auch an ein paar der oben erwähnten Bands aus der New Wave Ecke erinnert fühlen. Dass der erste Track „Colours Running Out“ heisst, führt auf die falsche Spur. Vielmehr fließen auf TOY die Farben von 45 Jahren Psychedelia zusammen. Und diese Band traute sich mit „Drifting Deeper“ auch mal ein noisiges Experiment zu, das man mögen kann, oder eben auch redundant finden mag. Aus nachvollziehbaren Gründen wurden auch TOY mit allen möglichen Bands verglichen: Stereolab, Pulp, Felt – alles gute Namen. Man muss aber anerkennen, dass ihr Debüt-Album zuletzt doch komplett eigenständig ist… soweit Psychedelic Rock als Stil Eigenständigkeit erlaubt. Es gibt tolle Songs, die mit schön altmodischen „crazy sound-effects“ bepudert sind. Diese spezielle Kombination von ALLEM, was psychedelisch ist, muss man erst mal so geschmackvoll hinbekommen. Und wenn dabei auch noch Songs wie das wundervoll treibende „Motoring“ Grundlage für einen ausgefeilten Sound bilden, dann muss das Ergebnis gut sein und man vergisst alle Refernzen. Die hat es schließlich immer gegeben in den letzten 50 Jahren Populärmusik. Natürlich endet das Album mit einem fast 10-minütigen Kraut/New Wave/Psych Monster mit dem Titel „Kopter“. TOY ist stilecht. Wer Psychedelic will, bekommt hier eine exquisite Facette.
The See See
Fountayne Mountain
(Dell’Orso, 2012)
The See See kamen aus London. Und wie das schon füher bei Psychedelic Acts aus dem UK war – die Bezüge zu den US-Vorbildern waren unverstellt: The Byrds, Buffalo Springfield – dazu kam ein Schuss Brit-Pop Energy a la Teenage Fanclub und weltmüde Verlorenheit a la Jason Pierce/Spiritualized (siehe weiter unten). Daraus wurde für zwei Alben sehr schöne, charakteristische Psychedelia, die nur leider nicht Viele mitbekamen… Womöglich klangen The See See ein bisschen ZU „retro“, denn „modern“ war ihre Musik nur in Spurenelementen. Man kann allerdings auch erkennen, dass sie mit ihrer liebevollen Retromanie Bands wie den Allah-Las den Weg bereitet haben – auch wenn The See See statt auf harten Fuzz auf weinende Steel und dengelnde Rickenbacker setzten. Mit ihrer (relativen) Unbekanntheit bewegen sie sich immerhin in den erlauchten Kreisen obskurer Psychedelic Bands. Ihre beiden ersten Alben jedenfalls – Late Morning Light (2010) und Fountayne Mountain – klingen wie klassische Psychedelic-Kult Objekte. Und dabei haben The See See haben doch eigentlich jede Aufmerkamkeit verdient, soweit es um feines Songwriting und eine authentische Atmosphäre geht. Allein schon “Automobile“ mit seliger 60ies Melodie und kraftvollen Distortions am Ende. Oder die Sehnsucht beim folgenden „Sweet Hands“… Die Band meinte es ernst mit ihrer Verehrung der Vorblider. Das waren Adepten eines Psychedelic Rock, der vergangen war und nun auf einer Meta-Ebene verklärt wurde. Was heisst, dass auch moderne Elemente einflossen. Schließlich waren The See See eine Band der 10er Jahre, 45 Jahre zu spät dran für den Summer of Love. Und was bleibt? Ein Album mit 60ies Melodien und moderner Technik und – sehr wichtig – immer wieder beindruckend hart hereinbrechenden Gitarren. Für mich klingt das, als würden The See See auf Fountayne Mountain Shoegaze ohne übertriebenes Rückkopplungs-Brimborium machten. Und – auf jeden Fall – dass diese Leute um den Songwriter Richard Olson stilbewusst waren und letztlich ziemlich eigenwillig und eigenständig klangen. Ein Song wie „The Day That Was the Day“ wäre 1967 undenkbar gewesen… aber man hätte ihn sich damals gewünscht.
Bad Liquor Pond
Blue Smoke Orange Sky
(MT6, 2013)
Ich mein‘ ja nur… Vermutlich gibt es überall und irgendwo hunderte von Bands, die man toll finden kann. Nehmen wir mal die 2006 in Baltimore entstandenen Bad Liquor Pond. Das Songwriting-Duo Dave Gibson und Poridge Blackwell, das sich in den Jahren seither in der Nische Psychedelic Rock einen Platz geschaffen hat, der definitiv Beachtung verdient hätte. Denn die Beiden + Freunde an Drums, Bass, Vocals machen alles richtig, was man im Psych Rock richtig machen kann. Sie haben feine Songs, sie haben Stil, sie erzeugen eine Stimmung, die „Retro“ ist, aber zugleich kennen die Typen natürlich Shoegaze und Indie Rock in all seinen Formen. Das heißt in ihrem Fall, dass sie die Songs erfreulich kurz halten, sich nicht in ellenlangen autistischen Jams verlieren. Da haben sie sich vielleicht was von den Garage-Rock Bands der 60er (oder deren 2010er Nachfolgern a la Thee Oh Sees etc.) abgehört. „Down With Barrel Fever“ etwa ist drei Minuten lang, das folkige „Silence in You“ dauert gerade mal zwei Minuten. Selbst der „Apocalyptic Love Jam“ dauert gerade mal fünf Minuten an. Man kann sich vorstellen, dass diese Band live gerne mal ausufert, die Songs bieten den Platz, weil sie – typisch Psychedelic – simpel strukturiert sind. No offence meant... Blue Smoke Orange Sky war das letzte von drei Alben von Bad Liquor Pond, die Musiker wandten sich anderen Projekten zu, ihre Alben sind allesamt sehr hörenswert und sollten gesucht werden. Weil sie alle sehr stylish und überragend energetisch sind. Hier waren Leute mit echter Leidenschaft und Liebe zum Stil am Werk. Leute, die genau wussten, was Psychedelic Rock braucht. Die können auch einen Sitar-getriebenen Track wie „Great Planes“ überzeugend mäandern lassen und werden beim Titeltrack fast ein bisschen majestätisch. Lustiges Side-Fact: Die Band sah nie aus, wie man sich 67er Hippies vorstellt. Kurzhaarige working class guys. Und ich will auf das tolle Cover-Design hinweisen, das 1:1 die Inspiration von Plakaten und LP’s aus der Zeit Ende der 60er aufnimmt. Vergleiche das mit Kalleidoscope’s Side Trips (Schau ins Kapitel 1967 – 13th Floor Elevators bis The Standells – Ab in die psychedelische Garage). Nur leider… das Album gab es nur als CD.
Moon Duo
Circles
(Southern Transmissions, 2012)
Circles, der Name verrät bereits das Sujet dieser Band. Denken wir an Kornkreise, Sonnen und Planeten, die wir als Himmelsscheiben wahrnehmen. An pulsierenden Formen der Psyche, wahlweise freigelegt durch Rausch oder Fantasie. Es ist der ideale Titel für den Space-Rock von Moon Duo. Wooden Shijps-Kopf/ Gitarrist Ripley Johnson und Sanae Yamada, deren musikalische Partnerschaft auf dem unsicheren Boden einer Beziehung fußte, fanden ihre Titelinspiration diesmal im gleichnamigen spirituellen Essay Ralph Waldo Emersons. „…the eye is the first circle; the horizon which it forms is the second; and throughout nature this primary figure is repeated without end“ Inhaltlich geht es also um die unendliche Widerkehr des „Kreises“ in der Natur, die musikalische Umsetzung soll genau das widerspiegeln… was freilich in die Hose gehen kann… oder den Effekt erzielt, der hier wohl gewünscht ist. Den Hörer in eine bunte Unendlichkeit driften lassen. Das ist eines der Klischees des Psychedelic Rock, bzw. eines der hehren Ziele, die erreicht werden sollen. So habe ich Reviews gelesen, in denen hier „zielloses“ Geschwurbel bekrittelt wird. Diese Leute haben Circles nicht verstanden. Das soll so sein. Die ständig im Kreis drehenden drei Töne, auf denen „I Can See“ basiert, der sich darin drehende Kreis der Vocals. Dazu ein Sound , der austariert und reduziert ist. Sanae Yamada spielt eine dröhnende Orgel, Johnson lässt die Gitarre psychedelisch wimmern oder krautrock-haft Riffs widerholen und der Rhythmus ist schlicht und repetitiv. Dass die beiden dabei tatsächlich „Abwechslung“ und Spannung erzeugen, ist ein hohes Verdienst (…und der Grund, aus dem ich Circles hier erwähne). Auch DAS wurde von manchen bemängelt: Dass hier ein bisschen zuviel zusammenläuft. In der Tat ist Circles abwechslungsreich und zugleich monoton. Das liegt daran, dass die Tracks unterschiedlich sind, und kurz gehalten wurden. Auch eine bewusste Entscheidung, die dem Flow des Albums in meiner Welt gut tut. Circles ist eine klug ausgedachte Facette des esoterischen Psychedelic Rock. Und damit gelungen. Danke.
Goat
World Music
(Rocket, 2012)
Auch Goat sind eine weitere Band, die aus der Zeit gefallen ist. Das Kollektiv kommt aus Schweden, aus dem Örtchen Korpilombolo (wobei das womöglich wegen des Namens ausgedacht ist…) die unklare Anzahl von Musikern hat angeblich schon seit der Kindheit Ende der 90er zusammengespielt… oder wohl eher -gejammt. Irgendwann wurde aus den Jams die Essenz destilliert und die Plattenfirmen Rocket Records und Sub Pop in den USA boten ihnen an, ihr Debüt zu veröffentlichen. Nun – wenn man sich World Music anhört, wird das in allen Farben flimmernde Cover zum letzten schlüssigen Teil dieser Geschichte. Die Bandmitglieder traten nur maskiert auf, gaben ihre Namen nie bekannt, ließen sich erkennbar von Metal, afrikanischer Musik, Jazz, Krautrock und Drone beeinflussen… und heraus kam ein schlüssiges Psychedelic Rock Album. Eines, das (auch wieder…) kaum zu vergleichen ist. Aber Vergleiche sind nützlich – also stell‘ dir vor, Amon Düül II wären in einer Zeitmaschine über ein paar Kontinente geflogen. Da gibt es als Gesang Frauen-Chöre, die nach Südafrika, nach Schweden oder nach Riot Grrl klingen. Fuzzgitarren zischen darüber hinweg, mal donnert der Rhythmus wie im Metal, mal tanzt er afrikanisch, mal springt er jazzig hin und her. Bei „Let it Bleed“ zerbläst ein Free-Jazz-Saxophon den enorm tanzbaren Rhythmus. Überhaupt – von all den Alben in diesem Kapitel ist World Music das tanzbarste. Und das ist nur EINE erstaunliche Eigenschaft dieses Albums. Die meisten Tracks sind (für Psychedelic) erstaunlich kurz und kurzweilig. Die Ideen wurden dankenswerterweise nicht ausgewalzt. Dass sie am Schluss bei „Det som aldrig förändras / Diarabi“ die Sieben-Minuten Marke reissen mussten, war schlüssig. Das macht man am Ende eines Psych-Albums so und der Orgel- und Gitarren Freak-Out ist Pflicht. World Music ist im besten Sinne modern und zugleich erkennbar von Leuten gemacht, die den „Summer of Love“ voller Liebe erinnern. Gerecht, dass dieses Album als eines der besten Psych-Alben der 10er Jahre gefeiert wird.
Spiritualized
Sweet Heart Sweet Light
(Double Six, 2012)
Einige Jahre zurück in der Geschichte der psychedelischen Musik. Nicht ganz so weit wie für Neil Young. Die Wurzeln von Spiritualized liegen in den 80ern, bei den legendären Spacemen 3. Bei Jason Pierce, einem Typen, der vermutlich mehr Drogen zu sich genommen hat als Keith Richards… allerdings in kürzerer Zeit. Nachdem Pierce (aka J. Spaceman) diese Band verlassen hatte, machte er mit psychedelischem „Shoegaze“ (so nannte man das damals etwas hilflos…) ganz logisch weiter, integrierte aber mehr und mehr andere Bestandteile in seinen Sound… Bläser, Streicher, Chöre, Noise… Das kulminierte dann 1997 im bombastischen Dekadenwerk Ladies and Gentlemen, We Are Floating Into Space, ehe besagter Bombast – nach einem gewaltigen Live-Album – zusammenbrach und gezwungenermaßen in kleinerer Form in Alben wie Let It Come Down und Songs in A&E auslief. Pierce hatte sich (musikalisch) gefangen… sozusagen. Und holte sich nun für das neue Album Sweet Heart Sweet Light doch wieder ein Orchester und einen Chor ins Studio. Nun – seine Songs vertrugen das. Da ist ein Opener mit dem Velvet Underground-Titel „Hey Jane“, der fast neun Minuten andauert. Mit genau DER schlichten Melodie, die einen Song so weit trägt. Mit sich auftürmenden Chören und Pierce’s suchender, schwächelnder Stimme, der man ANHÖRT, dass er froh war, noch am Leben zu sein. In der Tat bedankte er sich in den Credits namentlich bei dem medical staff, der ihn über die letzten Jahre getragen hatte. Er wollte – laut eigenen Angaben – die Schönheit der Musik, die ihn bewegte, in allen Facetten in ein paar Sekunden einfangen. Ein Glück, dass er dafür länger brauchte. (Auch wenn das berührende „Too Late“ gerade mal drei-einhalb Minuten braucht). Er ließ Sonne und Blues in seine Musik – natürlich nicht pur, sondern gefiltert durch ein chemisch verändertes Gehirn. Pierce hat was von Brian Wilson. Seine musikalischen Visionen und Ideen sind fraglos genial, seine Songs natürlich nicht so komplex, wie die von Brian, aber er hat einen großen Plan. Sweet Heart Sweet Light ist ein individualistisches Meisterwerk des Psychedelc Rock – von der barocken, üppig blühenden Sorte, die gänzlich Pierce’s Charakter entspringt. Und sowas macht großen Psychedelic Rock aus…
Cheval Sombre
Mad Love
(Sonic Cathedral, 2012)
Um beim Thema Spiritualized zu bleiben: Da ist der New Yorker Christopher Propora, der auf Mad Love, seinem zweiten Album als Cheval Sombre, von J Spaceman’s ehemaligem Partner und jetzigem Feind produziert und begleitet wird. Dieser Pete Kember wiederum nennt sich Sonic Boom, und man mag die Feindschaft zwischen ihm und Pierce bedauern, aber sie führte dazu, dass seither ZWEI Psych-Kreativköpfe in Konkurrenz ihre Musik unter die Erleuchteten werfen. Sonic Boom als Spectrum, als Experimental Audio Research und als Sonic Boom. Kemper kollaborierte seither mit interessanten Musikern. So ist auf Mad Love ein Cast versammelt, der es in sich hat. Neben Sonic Boom sind da Dean Wareham & Britta Phillips (…Ich hoffe, ihr kennt deren gemeinsame Band Luna!!). Andrew VanWyngarden und Ben Goldwasser, die beiden Köpfe von MGMT, machen auch mit und in ihrem Studio wurde das Album produziert. Mad Love ist ein sehr folkiges, sehr ruhiges, sehr melancholisches Album mit tiefen psychedelischen Unterströmungen. Sonic Boom bedient Keyboards und Orgeln, die flächige Klangteppiche auslegen. Propora spielt akustische Gitarre und singt mit sanfter Stimme verträumt-depressive Lyrics zu schlichten Melodien. Die anderen Gäste steuern ab und zu eine E-Gitarre, eine weinende Steel bei. Und so entsteht eine fließend-somnambule Atmosphäre. Die ist es, die dieses Album auszeichnet. Es gibt kaum ein vergleichbar weggetretenes, warmes Album – was nicht mit Langeweile gleichgesetzt werden darf. Man mag in der passenden Stimmung sein müssen (…muss man das nicht immer, wenn man Musik hört…?). Aber Songs wie der „February Blues“ oder „Someplace Else“ fließen mit einer seltsamen untergründigen Spannung dahin. Einzig Hope Sandoval und ihre Musik fällt mir als Vergleich ein. Das meint – diese Tracks sind auf ihre Art sogar abwechslungsreich. Mad Love ist das entspannteste große Psychedelic-Album des Jahres 2012 und seine relativ schwere Erhältlickkeit ist ein Ärgernis…
Brian Jonestown Massacre
Aufheben
(a, 2012)
Die nächsten Veteranen des Psychedelic Rock. Das Brian Jonestown Massacre wurde 1990 von einem gewissen Anton Newcombe in San Francisco – wo sonst? – gegründet. Die ersten Alben zu Beginn der 90er nannte man Shoegaze, dann Garage Rock, dann Folk, inzwischen gab es auch Anteile Elektronischer Musik… Es ist der nicht unübliche Entwicklungsweg, einer Band, die das Zeug hat, so lange durchzuhalten. Und das war und ist bei BJM definitiv der Fall. Man mag Anton Newcombe als Scharlatan, als Kopisten, als getriebenes Genie ansehen. Aber der Mann hält bis heute (2023) stur durch. Aufheben war Album No. 15 – und auch wenn es nicht an die Klasse von – sagen wir Their Satanic Majesties‘ Second Request (’96), Give it Back (’97) oder Bravery, Repetition and Noise (’01) hat, so ist Aufheben doch wieder ein Stück Psychedelic Rock as good as it gets. Ich habe es so gelesen: …the band’s vast discography is nothing less than a sonic history of psychedelic music, a kaleidoscopic collage boldly connecting the dots from The Byrds and The Rolling Stones to Spacemen 3, Ride, and beyond…. Nun – hier grub das BJM an den Wurzen des Psychedelic Rock. Bei den Stones ca. Their Satanic Majesties Request und im weiten Feld moderner Psychedelik. Newcombe hatte den Ex-Spacemen 3 Bassisten Will Carruthers dabei und mit Matt Hollywood einen alten Gefährten an der Gitarre reaktiviert. Der Sound von Aufheben ist im besten Sinne „vintage“. Dass Newcombe ein Überzeugungstäter war, ließe sich allein an diesem Album beweisen. Und seine Songwriting-Skills mögen auf einem Zitatenschatz beruhen… Aber das ist auch bei weit erfolgreicheren Musikern der Fall (Siehe Oasis, siehe Spritualized… siehe alle hier…).Was soll an erwarten bei einem Song, der „I Want to Hold Your Other Hand“ heisst? Und der ist wunderbar, der ist verschlafen, von psychedelischen Schwaden durchzogen und völlig überzeugend. Auch ein toller Song ist „Seven Kinds of Wonderful“ Mit Flöten und Frauenchören und stampfendem Rhythmus und einer bekifften Melodie, die Rave und Raga zusammendenkt. Es gibt Fans, die Aufheben auf einen Thron neben die oben genannten Meisterwerke der Band heben. Letztlich gibt es vom Brian Jonestown Massacre einen durchgehenden Strang an gelungenen Alben. Wer sich hat anfixen lassen und Psychedelic Rock versteht findet in dieser Band eine ebenso wichtige und gute Referenz, wie Spiritualized.
Six Organs of Admittance
Ascent
(Drag City, 2012)
…oder nennen wir mal Six Organs of Admittance psychedelisch. Das Gehirn und die Finger hinter SOoA ist Ben Chasny. Ein Gitarrist, der Anfang der 00er eine gewisse Bekannt- oder gar Berühmtheit als „brother in mind“ von Freak-Folk Posterboy Devendra Banhart erlangte. Womit man ihm nicht gerecht wurde, da Chasny von Anfang an seine eigene Agenda hatte. Eine, die Folk nur als EINEN Ausgangspunkt für seine Musik festlegte. In den Jahren seither hatte er etliche Alben und Kollaborationen probiert und seine musikalische Sprache in Felder wie American Primitivism, Avantgarde, Psychedelic Folk und ebendiesem Rock erprobt. Meisterstücke wie School of the Flower (Free Folk) oder Shelter From the Ash (American Primitivism/Drone) oder Luminous Night (Psychedelic Folk) sind denkbar unterschiedliche Facetten seiner Kunst… und zugleich als seine ureigene Version erkennbar. Mit Ascent machte Chasny ein kraftvolles (Psychedelic) Rock-Album. Nicht aus dem Nichts – er hatte mit Kollegen die tolle Psychedelic Rock Band Comets on Fire, an die er mit Ascent offenbar anknüpfen wollte, denn das Personal ist das der Comets on Fire: Chasny, Noel Von Harmonson und Ethan Miller spielen fuzzy Gitarren, hart und psychedelisch. Dazu donnert das Rhythmusgespann Ben Flashman (b) und Utrillo Kushner (dr). Diese Leute WAREN bis 2006 die Comets on Fire, ehe sie aufhörten Alben aufzunehmen. Die noisigen und bluesigen Facetten dieser Band sind auf Ascent vielleicht ein bisschen verdeckter, aber: „Close to the Sky“ ist Psychedelischer Blues, der in Noise ausblutet. Man mag das altmodisch finden. Ein bisschen haben z.B. Hawkwind ca. ’73 so geklungen. Aber andererseits ist genau Das der Psychedelische Rock, der irgendwie auch zeitlos geblieben ist. Der, bei dem man heute noch abhebt. Mich erinnert Ascent auch an japanische Psych-Noise Terroristen wie die weiter unten beschriebenen Acid Mothers Temple. Bloß, dass auf diesem Album hier Folk und Songwriting noch eine Rolle spielen. Aber Ascent hebt gewaltig ab…
Motorpsycho and Ståle Storløkken Featuring Ola Kvernberg, Trondheimsolistene And Trondheim Jazz Orchestra
The Death Defying Unicorn
(Stickman, 2012)
Hierzu könnte man auch was Anderes sagen: Ist das eher Progressive Rock? Oder Jazzrock? Oder Postrock…? Nun – Motorpsycho waren und sind definitiv vom Psychedlic Rock beeinflusst, sie haben die langen Improvisationen und spielen mit Studio-Effekten, ihre mal folkigen, mal massiven Songs hatten immer eine Heavy Psych-Komponente. The Death Defying Unicorn war ihr nächstes Experiment. Die Köpfe hinter Motorpsycho – Bent Sæther (b, voc), Hans Magnus Ryan (g, voc) und Kenneth Kapstad (dr) – hatten sich ein Konzept-Album zusammen mit dem Trondheimer Jazz-Orchester + Solisten und dem Keyboarder und Komponisten Ståle Storløkken vorgenommen. Der gehörte zur norwegischen Experimental-Band Supersilent, komponierte mit und schrieb für dieses Album die Orchesterparts. Das lyrische Konzept um den Wilddieb, der erwischt und gezwungen wird, entweder über See nach dem „Hollow Land“ zu suchen, oder zu sterben, der auf dieser Reise über das Meer physische wie psychische Extreme erlebt, ist allein schon so komplex, dass man sich eigentlich daran verheben müsste. Aber diese Musiker machten daraus ein Album, das einerseits ungeheuer vielfältig ist, andererseits aber durch die schiere Power der seit ’89 existierenden Band zu einem konzisen Werk wird. Dabei ist es schwer zu beschreiben, was Band + Orchester bei diesem anspruchsvollen Werk zusammenhält. Ja – der Gesang ist typisch Motorpsycho, es gibt Songpassagen, die man von den vorherigen 14 Motorpsycho-Alben wiedererkennt. Aber auf The Death Defying Unicorn verbanden sie ihre ureigenen Charakteristika mit Zappa, Klassik, Jazz, Minimal Music und maximalem Post-Rock… und alles hielt zusammen. Wunderbar zu hören bei den 16 Minuten von „Through the Veil“. Wo Black Sabbath, Zappa, Folk und Klassik in einem Malstrom zusammenfleißen. Toll wie bei „Oh Proteus – A Prayer“ Chor, Orchester und brutaler Bass das verzweifelte Gebet untermalen. Und für diese gargantua’sche Geschichte schaffen sie nach einem gewaltigen Build-Up ein perfektes Ende mit „Into the Mystic“. Wo der Protagonist die Vergeblichkeit der Suche erkennt… und sich damit abfindet. The Death Defying Unicorn ist auf allen Ebenen befriedigend. Die Frage, ob man diese Musik wirklich Neo-Psychedelic nennen kann, finde ich obsolet.
Om
Advaitic Songs
(Drag City, 2012)
Um ein bisschen tiefer in den „Metal“ Bereich des Psychedelic Rock zu blicken, schien mir das ’12er Album der Band Om sehr passend. Die waren eigentlich tiiief im Doom verwurzelt, denn sie entstanden zunächst aus der massiven Doom Band Sleep (…check‘ deren Alben… echte BROCKEN). Deren Bassist (Al Cisneros) und ihr Drummer (Chris Hakius) wurden zunächt mit Recht in die Stoner/Doom Metal-Ecke gelegt. Aber sie standen – wie ihre Mutterband Sleep – immer schon mit ihren Zehen im Psychedelic Rock. Seit 2008 war mit Emil Amos ein anderer Drummer dabei, der auch Gitarre spielen konnte, der mit seiner Band Grails noch tiefer im Psych und Post Rock steckte. Seither hatten Om eine enorme Reputation als Live Band mit bis zu 5-stündigen Konzerten erlangt. Und die beiden Om-Musiker hatten sich eine große stilistische Bandbreite erobert. Sprich – ihre Alben mögen die „schwere“ des Doom und Stoner Rock behalten haben, aber seit ihrem letzten Album (God is Good, 2009) wurde ihr Doom von psychedelischen Blumen überwuchert. Advaitic Songs würde ihr letztes Album sein – aber hier blühte ihr Konzept noch einmal in dunklen Farben auf und hob das Album tief in den Psychedelic Rock. Dabei spielten Om schon seit einiger Zeit mit Musik, Kunst und Ikonografie östlicher Religionen wie der des orthodoxen Christentums (siehe Cover), dem Judentum und dem Islam. Der Titel des Album wiederum bezog sich auf die hinduistische Advaita-Lehre der „Einfachheit des Seins“. Was wiederum beim minimalistischen Sound von Om schlüssig war. Diese Band hatte sich aus philosophischen und religiösen Einzelteilen eine Ästhetik zusammengebaut, die man seltsam finden mag – aber wenn das zu Songs wie „Gethsemane“ führt… Mit an- und abschwellendem Drone, beschwörendem Gesang, treibenden Drums… dann kann das nicht falsch sein (…Gethsemane ist der Garten, in dem Jesus vor seiner Kreuzigung fast verzweifelt wäre). Für den Titel des 11-minütigen Closers „Haqq al-Yaqin“ nutzten sie den Koran: Es geht um Gewissheit und Handlungsfreiheit… Man sieht, Advaitic Songs ist philosophischer Psychedelic Doom. Mit feiner, reduzierter Melodik und der Absicht, den Hörer zu bilden. Kann man machen, zumal wenn es musikalisch so kraftvoll und überzeugend ist. Zuletzt noch der Hinweis: Wer mehr Philo-Psych-Doom will, der höre auch mal Mana Yood-Sushai von Bong..
Bo Ningen
Line the Wall
(Stolen, 2012)
Japanese Psych-Noise anyone? Bo Ningen entstanden 2006 in London, als dort vier japanische Musikern aufeinander trafen, die sich (…wie alle anderen hier…) das Etikett „Psychedelic“ nicht freiwillig umgehängt haben, deren zweites Album Line The Wall aber ganz hervorragend in diesen Zusammenhang passt. Die vier Japaner Taigen Kawabe (b, voc), Yuki Tsujii (g), Kohhei Matsuda (g) und Monchan Monna (dr) entwickelten ihre Musik in ellenlangen Sessions, erspielten sich einen fantastischen Ruf als Live-Act und kollaborierten in den Jahren vor 2012 auf diversen Festivals mit allen möglichen Psych-Koryphäen. (…so 2012 mit Ex-Can Sänger Damo Suzuki). Ich weiss ja nicht, WARUM es so ist – aber irgendwie scheinen japanische Musiker eine Art Godzilla-Komplex bezüglich Rockmusik zu haben. (Psychedelischer) Rock aus Japan wird von Monster-Gitarren oder/und übertriebenem Noise ins Gewaltige überhöht. Ob Bands wie Fushitsusha oder Flower Travelin Band, ob Les Rallizes Dénudés oder High Rise… sie alle sind LAUT!!!! und feiern den Kontrollverlust. In der Hinsicht waren Bo Ningen im Vergleich sogar noch regelrecht zurückhaltend. Aber sie waren sehr eigenständig und bekamen – womöglich nicht mal bewusst – die perfekte Mischung aus Noise, Psychedelic und Alternativem Rock hin. Kawabe sang hier komplett auf Japanisch, was der Band ausserhalb Japan’s vermutlich eine gewisse hippe Authentizität verlieh. Und Bo Ningen konnten sogar verträumt klingen: „Ten To Sen“ ist so betäubt, wie man es sonst nur von den Landsleuten Boris (noch so eine LAUTE Band) dargeboten bekommt, wenn die in ihrer meditativen Phase sind. Bei „23 Kaiten“ wiederum bekam man lauten New York Drone mit Psychedelischen Untertönen… und die sind es, die dieses Album hier hin führen. Besonders die Gitarren (natürlich), die gequält schreien oder in die Wolken abheben. Es ist – trotz der britischen Herkunftsgeschichte von Bo Ningen – Psychedelic Rock Made in Japan. In schöner Tradition, so wie…
Acid Mothers Temple & the Melting Paraiso U.F.O.
Son of a Bitches Brew
(Important, 2012)
Noch mal japanischer Psychedelic Rock… besser Psychedelic Freak Out!!! Son of a Bitches Brew und das wenige Monate später veröffentlichte IAO Chant From the Melting Paraiso Underground Freak Out sind irgendwas um die 40. bis 50. Alben des Kollektives um den Gitarristen Kawabata Makoto. Das ist Einer, dessen Produktivität von keinem anderen Musiker übertroffen wird. Seine Band Acid Mothers Temple and the Melting Paraiso U.F.O. existiert seit 1995, er hatte seither noch etliche andere Off-Shoots seiner Acid Mothers Temple gestartet. Unter anderem Acid Mothers Temple & the Cosmic Inferno, Acid Mothers Guru Guru mit Mani Neumayer, dem deutschen Drummer der Krautrock-Band Guru Guru… und so weiter (siehe unten…). Das Konzept hinter seinen unendlich vielen Alben war offen sichtbar. Makoto nahm Vorbilder aus der Geschichte der Psychedelischen Musik (Rock, Folk, Krautrock Jazz…) und editierte sie, veränderte sie, zog sie auseinander, überhöhte, zerriss… such‘ dir Worte aus. Somit wurde für Son of a Bitches Brew natürlich das epochale Meisterwerk Bitches Brew von Miles Davis (…lies dringend im Hauptartikel 1970 darüber und hör‘ es an!!) verarbeitet. Man mag ja befürchten, dass der Mann sich daran verhob. Aber mitnichten. Son of a Bitches Brew übernimmt einige Sound-Elemente vom Klassiker: Mit Atsushi Tsuyama lässt Makoto einen fähigen Saxophonisten an Wayne Shorter’s Stelle treten. Aber den kann und will Tsuyama nicht imitieren. Dazu kommt ein elektrisches Piano, das den Sound des Vorbildes aufnimmt, dazu kommen Gitarren, die sich gerade genug nach John McLaughlin anhören. Und sehr ausgiebig wird auf Son.. mit einer modernisierten Version der prägenden Sound- und Echo-Effekte, Tape Loops und Delays gespielt. So entstehen hier keine „Songs“ (die wurden auf Bitches Brew ja auch eher im Studio aus Improvisationen zusammengesetzt), sondern abgedrehte freie Noise-Kompositionen, die mit „psychedelisch“ nur teilweise erklärt werden können. Das sexuell überhöhte Cover und Songtitel wie „Fellatioh’s Dance Also Bitch’s Blow“ sind seltsam eindimensional in ihrer Aussage – denn die Musik hier hat mindestens n Dimensionen. Hier haben wir Psychedelic Free Jazz oder so…
Acid Mothers Temple & the Melting Paraiso U.F.O.
IAO Chant From the Melting Paraiso Underground Freak Out
(Riot Season, 2012)
…und keine sechs Monate später erschien IAO Chant From the Melting Paraiso Underground Freak Out. Eine weit melodischere, psychedelischere Geschichte, weil Makoto sich hier nicht auf Fusion-Jazz, sondern auf Alben von Daevid Allen und den britischen Psychedelik-Meistern Gong bezog. Mit denen hatte er 2006 als Acid Mothers Gong zwei völlig überbordende Live-LP’s veröffentlicht, nachdem er 2004 als Teilzeit-Mitglied von Gong beim Album Acid Motherhood mitgemacht hatte… Man sieht – Makoto ist ein Überzeugungstäter. Einer der alle Grenzen überschreitet und sich an Allem bedient, was ihm gefällt. Der sich in Unmengen von Seitenzweigen des Psych-Rock verläuft und sich einen Dreck darum zu scheren scheint, WER seinen musikalischen Wegen folgen kann. So sollte man auch IAO Chant… als einen Mini-Ausschnitt aus einem gewaltigen Werk sehen, das erforschen will, wer mag… es wäre eine teure und zeitraubende Angelegenheit. Auf IAO Chant… wurde „Master Builder“ – ein 6-minütiger Song vom (tollen) Gong-Album You von 1974 – durch einen Farb-Wolf gedreht und dann in die explodierende Unendlichkeit geschossen. Also hören wir auch hier übertrieben ausufernde Gitarren-Soli, durchzogen von psychedelischem Rauschen, Fiepen, Rasen, unterlegt von hypnotischen Rhythmen. Hier war der Psychedelic Rock von Gong das Ausgangsmaterial – eindeutig – aber Makoto machte auch daraus sein eigenes Ding. Man KANN sich darüber beschweren, dass der Mann mit wechselnden Begleitern immer das Gleiche macht. Dass er ein Rezept unendlich wiederholt und dass so die Gefahr besteht, dass er in Routine erstarrt (ist…?). Oder man erkennt (…und zwar hier mühelos…), dass er sich und seine Mitmusiker ein weiteres Mal in Ekstase spielt. Dass er das macht, was er schon 1995 versprochen hatte: „Extreme Trip Music“…
…und natürlich gab es noch….
man möge es berücksichtigen… es gibt in dieser Zeit sehr viele Musiker, die das, was man „Psychedelic“ nennen will, als EINE Ingredienz ihrer Musik beifügen. Und wer mag, kann die daraus entstandenen Alben dann in seinem Kopf hier hinzufügen. Denn: Mac DeMarco’s Bedroom Pop ist psychedelisch, der Drone von Earth ist psychedelisch, Alt J haben ein Album gemacht, das so psychedelisch ist, dass es hier hin gehören könnte, Der Garage-Rock der Allah Las oder von Ty Segall… alles von Psychedelia durchsetzt. Die hier vorgestellte Auswahl ist random, ist subjektiv und gezwungenermaßen inkomplett und inkorrekt…. und sie ist genau SO richtig, weil diese Alben hintereinander passen, weil ich dieses Post Scriptum anfüge und weil es ja DIR überlassen bleibt, dich nach dem Anhören der hier genannten Alben weiter zu informieren… über den psychedlischen Hypnagogic Pop von John Maus oder Ariel Pink oder Dean Blunt oder oder oder. Es kann noch etliche Kapitel geben, die sich auf dieses beziehen bzw. auf die sich dieses bezieht…