2006 Troum & All Sides bis Aidan Baker – Drrrrrooooooooooooooouuuuuuuuunnnnn mit metallischem Nachhall

Achtung! Anstrengend. Fast wie Free Jazz… Mal ganz vereinfacht: Ein Drone ist eigentlich ein durchgezogener tiefer Ton, bei alten Folksongs gerne auf mittelalterlichen Instrumenten wie Dudelsack oder Drehleier gespielt, der einer Melodie unterlegt wird. Diese Melodie hält sich wiederum an dem Drone fest. Soweit so gut.

Dieser Drone wird in der Rockmusik schon seit den 60ern mit diversen modernen Mitteln eingesetzt. The Velvet Underground hatten John Cale und sein Cello, Robert Fripp (von King Crimson) unterlegte die Musik seines Kollege Brian Eno in Zusammenarbeit mit Selbigem auf dem Album No Pussyfooting mit seinen „Frippertronics“ (= geloopten Gitarrensounds). Noch früher hatten innovative Musiker aus dem Bereich der modernen Klassik – wie La Monte Young oder Steve Reich – ihre Musik unter den Einfluss von Drones gesetzt, und Lou Reed – Kopf der Pioniere Velvet Underground – hatte mit seinem Verweigerungs-Album Metal Machine Music 1975 ein reines „Drone-Album“ hergestellt, das Vielem gleich kommt, das in diesem Kapitel folgen wird… übrigens auch in kommerzieller Hinsicht. Und auch (deutsche) Acts aus dem Bereich der elektronischen Musik haben „flächige“ Musik gemacht (Siehe Tangerine Dream, Klaus Schulze, Harmonia etc…). Die aber wurden nicht ausdrücklich „Drone“ genannt, vielleicht weil zu sphärisch – zu wenig nervenzerfetzend. Diese sog. Drones auf solche Art einzusetzen steht somit auf dem Blatt/in dem Kapitel namens Ambient oder Elektronische Musik und bleibt hier aussen vor. Und dann gibt es ja auch noch die von Drogennebel durchzogenen Meditationen des (Freak)-Folk (wie die im Hauptartikel 2006 beschriebenen Natural Snow Buildings) – aber auch die will ich in diesem Kapitel aussen vor lassen. Da macht ein eigenes Kapitel Sinn, weil der Ausgangspunkt der Musik ein anderer ist. In diesem Kapitel hier geht es um die Alben von Acts, die ihren Ursprung eher in der Noise/Industrie/Metal Ecke haben. Die ihre Musik so verlangsamt haben, dass sie letztlich nur aus wenigen durchgezogenen Tönen und subsonischem Dröhnen besteht (Siehe Boris, SunnO))), Earth oder Birchville Cat Motel). Die wiederum stilistische Überschneidungen mit Acts aus der Noise oder der Doom Ecke haben. Man sieht – die Schnittmengen sind groß. Thema sind die krassen, extremen Drone Acts, von denen gerade in der Zeit nach den 00ern etliche verstörende Alben veröffentlicht wurden. Wohlgemerkt: Drone kann extrem langweilig werden, das Kunststück ist es, diese Musik so zu gestalten, dass sie den Hörer einfängt – aber es gibt seit dem Beginn der 00er einige Acts, die da sehr gut sind. Und interessanterweise hat sich seit einigen Jahren „Drone“ als ein Element entpuppt, das auch bei kommerziell erfolgreicheren Acts gern genommen wird. Siehe Stars of the Lid, Tim Hecker…

The Goslings – Grandeur of Hair
(Archive, 2006)

…um nur mal kurz einen Hinweis auf den Hauptartikel 2006 mit einem Album zu verbinden. Da Noise, ENORMER Noise – auch zu einer Art Drone werden kann, steht dieses Album als Beispiel ohne beispielhaften Charakter diesem Kapitel voran. Hört es euch an und erholt euch dann bei…

Troum & All Sides
Shutun

(Old Europa Cafe, 2006)

Kurzfassung: Man stelle sich vor, Tangerine Dream würden ihr .’72er Meisterwerk Zeit in diesem neuen Jahrtausend aufnehmen… Die Musik für Shutun hatte das Bremer Drone-Duo Stefan „Baraka[H]“ Knappe und Martin „Glit[S]ch“ Git schon live – mit Videoinstallationen insziniert, für die CD-Aufnahme holten sie sich die geistesverwandte Nina Kernicke alias All Sides dazu und spielten mit diesem Album eines der Referenzwerke dieser Musik-Gattung ein. Die CD ist schon allein wegen der Metal-Box ein Objekt der Begierde, aber Shutun hat den Vorteil, für diese Art von Musik sehr „abwechslungsreich“ zu sein. Drone scheint prinzipiell etwas zu sein, das leicht herzustellen ist: Ein paar Töne, mystisches Brummen, finstere Atmosphäre – ensprechend inflationär ist die Zahl der Veröffentlichungen, und entsprechend schwierig ist es, die guten Beispiele zu entdecken…. und entsprechend schwierig ist es auch, den Reiz eines bestimmten Albums zu beschreiben. Troum mixen auf Shutun die 25 Tracks der Live-Performance zu einem einzigen zusammen, sie beginnen mit Vocals (für Drone schonmal untypisch) von Marin Git, die sie durch diverse Verzerrer jagen, dann kommt eine geloopte Gitarre dazu, die Stimme wird zum Chor aufgetürmt, mehr Gitarren kommen dazu und es entsteht eine majestätische Prozession. Die Musik schwillt an, ebbt wieder ab, alle Beteiligten nutzen ein beträchtliches Arsenal an teils für diese Musik ungewöhnlichen Instrumenten wie Mandoline, Mundharmonika und Akkordeon (allerdings so verfremdet, dass man sie kaum zu erkennen vermag) um Sounds dann gegen- oder nebeneinander zu stellen. Mal pulsiert ein Rhythmus wie der Herzschlag, mal verschwindet er vollkommen, Nina Kernicke setzt ihre Stimme ein indem sie wie eine Verdammte schreit. Man kann sich trefflich in Metaphern verlieren, um die Musik und ihre Atmosphäre zu beschreiben, Tatsache aber ist: Man muß die CD hören, oder besser noch, All das Live erleben und wird feststellen, dass die Zeit überraschend schnell verfliegt, um zu merken wie abwechslungsreich sie ist. Troum & All Sides stehen mit Shutun für Drone in Reinkultur,

Sunno)))/Boris
Altar

(Southern Lord, 2006)

Sunn O))) und Boris gemeinsam sind für die metallische Seite des Drone „a pair made in heaven“. Die Japaner Boris – benannt nach einem Stück der legendären Melvins, live eine Macht mit ihrem Bandkopf und Gitarristen Takeshi. der gerne die Gitarre mit zwei Hälsen spielt und mit Wata, der japanischen Kim Gordon am Bass und einem Sound zwischen Stoner-Rock und Noise – und gleichberechtigt daneben SunnO))), die sich nach ihrem Lieblings-Amp benannt haben, die gerne in Mönchskutten auftreten um die Hörer zu zermalmen, denen es immer wieder gelingt, ihre felsigen, langezogenen Drone-Epen spannend zu gestalten. Das gemeinsam eingespielte Album Altar erschien auf Southern Lord, dem Label des SunnO))) Mitgliedes Greg Anderson. (Eines der Label, bei denen man etliche großartige Bands und Platten finden kann, und das Alles immer wieder in wunderbaren Vinyl-Versionen veröffentlicht…) Aber um es ganz klar zu sagen: So eine Zusammenarbeit kann ein Kampf sein – oder es gelingt – wie hier – das Beste aus dem Kosmos der Beteiligten zu kombinieren. Meinetwegen die schiere Kraft und Tiefe SunnO)))’s und der melodische Reichtum (auch wenn er fast immer im Moll-Bereich stattfindet) von Boris. Deren Noise- und Psych- Eskapaden gepaart mit SunnO)))’s dunkler Hitze. Das wurde auf Altar tatsächlich eingefangen. Ich liebe es einfach, wie hier Sound zelebriert wird, dem zugleich noch ein Sinn gegeben wird. Diese Stücke sind natürlich (wie bei Drone üblich) hauptsächlich auf Atmosphäre ausgerichtet, der Opener „Etna“ etwa brodelt bedrohlich (jaja, witzig), „The Sinking Belle (Blue Shell)“ ist eine Ballade mit sanften Vocals, der Nachfolger „Akuma No Kuna“ kommt direkt aus der Hölle, „Fried Eagle Mind“ ist moderne Psychedlik mit Drone-Verlängerung – undsoweiter, hör dir dieses Album an, wenn du Drone kennen und lieben lernen willst. Und besorge dir die Version mit der Bonus CD, denn da macht noch Dylan Carlson von Earth mit. Boris haben mit Flood (2000) und Feedbacker von 2003 mindestens zwei weitere definitive Drone-Klötze gemacht, SunnO))) alleine sind zum Beispiel auf Black One eine physische Erfahrung und Live ist solche Musik mindestens ziemlich beeindruckend. Altar allerdings ist ein definitives Statement.

Jesu
Silver EP

(Hydra Head Rec., 2006)

Wie nah Drone und Metal sich kommen können, wie sehr diese Arten von Musik sich überschneiden – Höre – Jesu. Der ehemalige Napalm Death-Gitarrist Justin Broadrick hatte sich noch vor dem Release von deren epochalem Debut mit Godflesh vom Highspeed-Grindcore Richtung knirschendem industrial verabschiedet, dann kamen verschiedenste Nebenprojekte – so viele, dass man sich fragte, ob es den Typen mehrgach gibt, und dann hatte er 2004 mit dem Trio Jesu eine EP und eine LP gemacht, die Shoegaze, Metal, Doom, Industrial zu Drone verbanden. Bassist Diarmud Dalton und Drummer Ted Parsons kannte er schon von Godflesh, Parsons ist auch im Swans-Umfeld zu finden, das Personal ist also geschult und qualifiziert, das Trio-Format bietet die notwendige Reduktion… und ja – Silver kann neben etlichen Metal-Veröffentlichungen ebensogut stehen, wie hier – im Zusammenhang mit Drone – Epen wie der Boris/SunnO)) Kollaboration – zumal Broadrick auf dem über 22-minütigen Stück auf der EP mit klarer Stimme singt, die Rhythmen variiert werden, mal der Shoegaze-Faktor überwiegt, mal der Metal-Faktor, mal die Drone-Maschine angeworfen wird. Genausogut würde dann doch etwa die Musik der Japaner von Mono hier hinpassen? Stimmt. Es gibt einfach den subjektiven Eindruck, dass sich diese EP gut mit Troum und Birchville Cat Motel verträgt. Silver ist die beste EP des „Projektes“, mitunter herzergreifend melodisch, teils mächtig und manchmal lyrisch. Drone oder nicht Drone ? Wen interessiert’s. Hoffentlich nicht denjenigen, der auch dies hier hören will…

Skullflower
Tribulation

(Crucial Blast, 2006)

Drone + Elektronischer Noise = Drone-Metal… sort of. Die Band Skullflower entstand Mitte der 80er um den Multi-Instrumentalisten Matthew Bower. Der kannte sie alle: Coil, Whitehouse, Godflesh etc. Alles, was Noise und Elektronik und eine Art Psychedelik in Drone-Metal verarbeitet. Und schon mit seiner ersten Band Total hatte er Noise und Elektronik zu unerträglichem Lärm zusamengeführt. Irgendwelche Kompromisse hinsichtlich Kommerzialität machte er nicht, dafür aber sind seine ersten Alben Pionierwerke des Noise-Rock: Form Destroyer (’89) und Xaman (’90) muss jeder mal hören, der Sonic Youth, Swans und The Dead C liebt. Tribulation war No. 14 als Skullflower. Dass diese Art Musik in den letzten Jahren eine gewisse Anerkennung fand, verhalf vielleicht zu etwas mehr Geld. Aber – wie gesagt – wer Noise/ Drone etc. spielt, macht das nicht, um ein reicher Rockstar zu werden. Tribulation nun war der Nachfolger zum „Erfolgsalbum“ Orange Canyon Mind. Nun betonte Bower den Faktor Drone so weit, dass es hier auch hin passt. Skullflower hatten einige Jahre pausiert, dann beschloss der Mann, sich allein ans Werk zu machen und seine ehemals Drum und Bass-basierten Doom-Noise Ausbrüche nun mit harschen elektronischen Drones und kreischenden Gitarren in andere extreme Seitenzweige der Popmusik zu schieben. Tribulation ist sein härtestes, gewälttätigstes Album. Eines, das Jesu’s Silver doch sanft erscheinen lässt. Man kann es so beschreiben: Wie Lou Reed’s Metal Machine Music, nur mit noch konsequenterem Gitarren-Workouts. Es sind keine „Soli“, es sind Riffs, die durch ihre endlose Wiederholung zu Drones werden wollen. Dazu kommen die Computer-generierte Drones, deren Oberflächen so schrundig sind wie ein alter Gletscher. Dazu gibt es noch an einigen Stellen (höre „Silver Stars Rot Mindlessly“…) metallische Maschinen-Percussion. Und so hat man ein Album, durch das man erst einmal durch muss. Die Noisige Metal-Seite des Drone…

Hototogisu
Chimärendämmerung

(De Stijl, 2006)

Und dass Matt Bower ein produktiver Musiker ist, konnte man 2006 an seinem Album als/mit Hototogisu sehen. Chimärendämmerung ist der nicht-ganz-so-brutale Zwillingsbruder von Tribulation. Natürlich – die harsche Giatrre, die nicht Soli spielt, sondern vielmehr gequält kreischt, ist auch auf diesem Album allgegenwärtig. Aber sie schreit nicht ganz so furchterregend. Das Feedback ist natürlich trotzdem satt, blutig, in your face. Aber Hototogisu war nicht Bower allein. Er arbeitet in dieser Konstellation mit der Künstlerin Marcia Bassett zusammen. Die wiederum hatte in den Jahren zuvor mit dem samtigen Folk-Drone Projekt Double Leopards nicht ganz so metallisch ge-droned. Deren 2003er Album Halve Maen wiederum ist einer der must have’s für Free Folk-Freunde. Das ist perfekter Drone mit Folk und Psychedelic Anmutung. Nun – Bassett bewegte sich auf andere Weise im selben Feld wie Bower. Die Beiden waren in gewisser Weise ein perfect match. Ihre Kenntnis von Folk und Psychedelic, ihre New Yorker Geist, der vielleicht etwas weniger Wut, dafür Neugier mit Kompromisslosigkeit paarte, mag Chimärendämmerung ein bisschen mehr Luft gelassen haben. Nicht missverstehen – Das Album ist ebenfalls schwer, laut und zieht EINEN Ton lang – aber er landet nicht in der Hölle, sondern wandert zwischen erlöschenden Sternen in die Unendlichkeit. Wie machen die das? Die elektronischen Sounds sind nicht so schrundig. Sie klingen nach… Outer Space, Als hätten Pink Floyd ihre Drums, ihren Bassisten, ihren Sänger weggeschickt und würden nur noch ein Feedback mit alten Synthesizern untermalen. Mit Chimärendämmerung wird harte Psychedlik an die äußerste Grenze gejagt und zu einem noisigen Drone eingeschmolzen. Ja – das sind alles komische Beschreibungen und Vergleiche – ich weiss. Aber die Musik in diesem Kapitel IST nicht einfach zu beschreiben. Und wer mag, kann sich angewidert abwenden.

Birchville Cat Motel
Our Love Will Destroy the World

(PseudoArcana, 2006)

Hier nun zu einem Meister des konsequenten Drone. Einem Künstler, der diese grundsätzlich unzugängliche Musik in aller Konsequenz in viele Richtungen ausgelotet hat. Dazu die Information, dass der Neuseeländer Campbell Kneale Kunst studiert hatte, seine Musik vielleicht als Klangskulptur sah…(?), dass er mit dem zuvor genannten Matt Bower (Skullflower etc.), mit Aidan Baker, Sonic Youth’s Lee Ranaldo, SunnO))) etc. zusammengearbeitet hatte. Der Mann war im Drone/Avantgarde-Bereich überall dabei – und was ihm an kommerziellem Erfolg fehlen mag, das hatte er dafür an Bedeutung. Seit Mitte der 90er arbeitete er unter dem Namen Birchville Cat Motel, hatte auf eigenen und anderen Kleinst-Labels allein oder in Kollaboration mit Anderen (siehe hier weiter unten…) über 30 Alben veröffentlicht. Ich will gerne auf das Drone-Referenzwerk Beautiful Speck Triumph hinweisen, das ich im Hauptartikel 2004 lobe. 2006 erschlug er die Hörer mit zwei Alben als BCM, einer Kollaboration mit den ebenfalls „dronigen“ Yellow Swans und zwei Doom-Drone Brocken als Black Boned Angel. Our Love Will Destroy the World – nun – auch das hört sich nicht nach friedlichen Klängen an. Kneale hatte Metal entdeckt und verarbeitete ihn nun schon seit ein paar Alben. Bei Our Love… ließ er Drums zu – die waren zwar weit im Hintergrund, klopften aber mit Black Metal-hafter Eintönigkeit über Dinge, die mit der Gitarre gemacht wurden, die Eric Clapton entsetzt hätten. Insbesondere „55.000 Flowers for the Hero“ ist mächtig..! und nah am „Rock“ gebaut. Die Improvisa- /Kompositionen klingen wie letzte Rückkopplungen eines sehr harter Metal-Acts. Nur dass diese Enden zu 10+ Minuten langen Drones ausgewalzt werden. Der Titeltrack am Scluss des Albums ist sanfter, weniger Metal, mehr Drone. Aber dennoch – Our Love Will Destroy the World mag manchem Metal-Fan gefallen, der nicht nur säuft und die Pommesgabel in die Luft reckt. Bald würde Kneale sein neues Projekt – wieder mit Haufen von CD’s – nach diesem Album benennen. 2006 aber gab er uns mit BCM ein weiteres Stück Kompromisslosigkeit.

Birchville Cat Motel
Curved Surface Destroyer

(Last Visible Dog, 2006)

,,,, denn es folgte mit Curved Surface Destroyer ein über drei-stündiges Live-Album: Sechs Tracks zwischen knapp 30 und 40 Minuten Dauer, bei diversen Konzerten im Zeitraum von 1998 bis 2006 in Wellington, Osaka, Nagoya, Kopenhagen und Glasgow mitgeschnitten. Ein Karriere-Überblick einerseits, ein Monolith andererseits. Auf CD 1 sind zwei frühe Live-Tracks aus Wellington ausgebreitet. Beide Male war ein Kollege an der Gitarre dabei, der die Sound-Manipulationen ergänzte. Da ist der Metal-Anteil noch nicht so groß, da schwellen warme Drones an und ab, da wird eine seltsame, submarine Atmosphäre erzeugt, die erstaunlicherweise trotz der „EIN-tönigkeit“ immer neu und anders klingen, weil es mikroskopische Verschiebungen, unmerkliche Ergänzungen gibt. Kneale war schon da ein Meister in seiner individuellen Kunst. CD 2 ist schwieriger. DAS war Noise, Kneale hatte seit ca. 2000/2001 diesem Faktor mehr Gewicht gegeben und damit sicher… Fans (?)… …verschreckt (?). Das Gute ist ja, dass der Mann mit dieser Musik ausserhalb der Kategorie „Verkäuflichkeit“ rangierte. Da ist der erste Track „Zenkoji“ im gleichnamigen buddhistischen Tempel aufgenommen – und man erkennt Natur-Geräusche, Glocken, man vermutet, dass hier Meditation eine Rolle spielen mag. Dass Kneale seine Tracks den Orten anpasste, an denen sie entstanden, scheint mir logisch. Die 40 Minuten in „Copenhagen“ sind ebenfalls zunächst stiller Noise, knarzende Saiten, schwimmende Synthesizer, klappernde Percussion, die Klingeln aus Japan hatte er mitgenommen. Es ist ein langer Ritt in die Katharsis, die ebenso lang abebbt. Dass er bei den 2005/2006 aufgenommenen Tracks auf CD 3 den Rhythmus hervorhebt und automatisch in die Ecke des hier thematisierten Drone-Doom/Metal rückt, ist der nächste Schritt. Vor Allem das in Glasgow mitgeschnittene „Drawn Towards Chanting Hordes“ sollten sich SunnO))) anhören. Dröhnen da tatsächlich Bagpipes in dieser wuchtigen Sound-Lawine? Wundern würde es mich nicht. Egal, was man davon hält. DAS Album zeigt Drone als Idee, als Experimentierfeld.

Black Boned Angel
Bliss and Void Inseperable

(20 Buck Spin, 2006)

…dass Campbell Kneale Metal/Doom als Spielfeld entdeckt hatte, kann jeder erkennen, der sich Curved Surface Destroyer anhört. Aber Kneale konnte Drone-Doom-Metal noch besser. Konsequenter und besser sogar, als erfolgreichere Pioniere wie SunnO))) oder Boris. Beweis? Bliss and Void Inseperable von Black Boned Angel. In einem Interview nannte er Metal als großen Einfluss seit seiner Jugend… genauer – die Kraft des Metal. Den Begriffen „Drone“, „Doom“, „Metal“, „Avantgarde“ konnte er wenig abgewinnen. Seine Musik war ästhetischer Ausdruck von bestimmten Gefühlen und Stimmungen. Und die schiere Freude am Sound und der Macht, die mit den gewählten Mitteln erzeugt werden konnte. Letztlich dienen auch mir die Stilbegriffe nur als Beschreibung für diejenigen, die die Musik nicht unmittelbar hören. Also: Wer Bliss and Void Inseperable nicht gerade hört – dies ist Doom-Metal a la Sleep oder SunnO))), ausgeführt mit allerletzter Konsequenz. Da beginnt der ein-stündige Track mit einer Fanfare aus der Hölle, dann mehr als sechs Minuten formloser, speaker-zerfetzender Donner, ehe endlich die regelrecht ersehnte Rückkopplung einsetzt. Es gibt den EINEN Ton, es gibt die sich langsam voranschiebenden Veränderungen, die Kneale so gut kann, es entsteht eine Stimmung, zu der mönchshafte Chören beitragen sollen… und dann – bei Minute 17 – kommt das, was man womöglich bei SunnO))) schneller findet: DAS RIFF… Tonnenschwer. Zwei Töne. Kleine Variationen, beschwörende Trommeln, irgendwann ein Klavier. Nach 40 Minuten der Ausklang mit kreischenden Gitarren… Black Boned Angel waren als Band eingeführt worden. Ob James Kirk an der Gitarre und Jules Desmond am Bass mitgemacht haben, wird auf dem schwarz in schwarzen Cover nicht mitgeteilt. Man kann es aber annehmen. Einzige Aussage: Transcendence can only be reached at maximum volume. Ich hab mich das noch nicht getraut.

Black Boned Angel
Eternal Hunger EP

(Battlecruiser, 2006)

Und er hatte Spaß (wenn man das so sagen darf. Als Kneale 2013 mit Black Boned Angel aufhörte, tat er das, weil er sich von der „großen, erdrückenden Traurigkeit“ trennen wollte…) Keine zwei Monate nach Bliss and Void Inseperable erschien eine zweite CD. Eternal Hunger ist eine EP – ist nur 20 Minuten lang, somit vielleicht etwas leichter zu konsumieren. Es ist also „kurz“ gehalten – schon nach drei Minuten fiepender Rückkopplungen donnert ein Bass/eine Gitarre ein paar Töne los. Ein Klavier wiederholt das Thema, der Berg darf seine Geröll-Lawine ausspeien. Nach ca. einer Viertelstunde kommt der Grabes-Gong, der Eternal Hunger hat seine Opfer gefordert. Auch hier gibt es keine Angaben auf dem Cover, James Kirk und Jules Desmond dürften aber mitgemacht haben. Laut meinen Informationen übernahm Campbell Kneale die Drums und die Gitarre und war der Komponist. Und – Obacht! – komponiert sind beide Alben. Nicht im Sinne von „viele Noten aufschreiben“ sondern im Sinne von „Töne konzeptuell und gletscherhaft gegen geplante finstere Geräusche voranschieben“. Now Sleep, SunnO))) and the like, dig this!!

Yellow Swans & Birchville Cat Motel
s/t

(Important Rec., 2006)

Nun – es kam nicht überraschend – Das gemeinsame Album von Campbell Kneale aka Birchville Cat Motel mit den aus Portland stammenden Yellow Swans IST eine Verbindung zweier nah beieinander liegenden Welten. Pete Swanson und Gabriel M. Saloman aka Yellow Swans erzeugen schon seit Jahren IHREN Noise und Drone mit Tape-Manipulation, mit elektronischen Mitteln, nur ab und an mit einer Gitarre. Kneale kommt von den sechs Saiten, hat aber auch immer schon Geräusche und Tape-Loops eingebaut. Die Frage ist da nur noch, wie hoch/laut der Noise-Anteil bei einem gemeinsamen Album sein mag. und auf Yellow Swans & Birchville Cat Motel mit den zwei Tracks „Terminal Saints“ und „Marble Carcass“ ist er sehr hoch. Kneale war Mitte der 00er wohl in der Stimmung für böse Härte. Und die Yellow Swans wollten die Zusammenarbeit mit Kneale vermutlich gerne ausprobieren. Man muss sich bei den Amerikanern vor Augen halten, dass sie ihren Krach gerne etwas sanfter gestalteten. Sie sprachen von „Psychedelic Noise“. Ihr in diesem Buch für 2010 zu den wichtigsten Alben gewähltes Abschieds-Album Going Places ist eines der „wärmsten“, ambientesten – und überzeugendsten – Noise/Drone Alben, die es gibt. Es steht für mich auf dem Gipfel, auf dem seit 2004 auch Birchville Cat Motel’s Beautiful Speck Triumph ruht. Und somit ist Yellow Swans & Birchville Cat Motel Pflicht. Eine Pflicht, die von den drei Musikern auch wunderbar erfüllt wird. Insbesondere die heulende, dröhnende, kreischende Kakophonie am Ende von „Marble Carcass“ ist begeisternd. Jaja, sie lässt auch die Ohren bluten, aber das lässt man dann gerne zu. Und auch Jaja – es ist Drone und Noise und damit mag man sich fragen, was das ganze soll. Ist doch leicht zu machen, ist doch keine Kunst, nur Lärm. Und ich sage: „Eben“. Das will ich. Danach kann ich ja dann Belle and Sebastian hören. Wunderbares Album. So wie auch…

Seht
The Green Morning

(Digitalis, 2006)

Seht – dahinter verbirgt sich auch ein Neuseeländer: Stephen Clover kommt aus Wellington, und sein Drone ist von der etwas freundlicheren Art: Man kann den Werbespruch des Labels durchaus ernst nehmen – „the early moments of dawn, bathed in warm plumes of sonic sunlight“. Was auch gut mit dem Cover-Shoot korrespondiert. Dazu die Angabe des Künstlers, der es „…recorded in the fog of autumn 2005 at Dorking Labs II – listening to surface of the earth, and Ray Bradbury’s Die Mars-Chroniken on audiobook. Klar kann man sich auch hier fragen, was das soll: Da hört man fast eine Stunde lang repetitive Drones, die langsam aus einem Wenig in ein Viel schwellen. Tatsächlich hat Clover/Seht auch auf Campbell Kneale’s Celebrate Psi Phenomenon Records veröffentlicht. Er ist keineswegs falsch in dessen Gesellschaft, The Green Morning ist natürlich nicht so ausladend wie Curved Surface Destroyer, wird nie so extrem wie die Sounds, die man von Black Boned Angel um die Ohren gehauen bekommt. Bei „Olympus Mons“ hört man 15 Minuten lang einem perkussiven Ticken und an- und abschwellendem hohlen Rauschen zu. Wer da nicht langsam den höchsten Berg des Mars hochsteigt (26 km über der umliegenden Landschaft… Mout Everest, du Hügel), der wird diese Musik nicht begreifen. Konsum-freundlicher ist da schon das sanfte, fünf-minütige „Cydonia“. Drone in Kurzform sozusagen. Mit Klangwellen, die vom Wind verblasen werden. Zur Info – Seht hat allein 2006 noch fünf weitere Alben veröffentlicht. Manche kenne ich schlicht nicht. Über eines habe ich mal die Worte gelesen: „…the only performer’s skill is turning the volume knob… things get interesting where we hear magnified crackings and other microsounds…“ Das ist gut beobachtet, das beschreibt auch The Green Morning und wem das zuwenig ist, der mag eben keinen Drone.

Prurient
Pleasure Ground

(Load, 2006)

Im Zusammenhang mit Skullflower habe ich auch den Namen Prurient aka Dominick Fernow gelesen. DER ist streng genommen kein Künstler, dessen Haupt-Gewerbe Drone heissen kann. Der macht seine erschreckenden Geräusche nur mit Hilfe von elektronischen Gerätschaften – sprich – benutzt keine Gitarren. Das Ergebnis ähnelt allerdings dem, was Skullflower/Matthew Bower auf Tribulation erzielt. Komplettes Unwohlsein. Erschrecken. Angst. Auf der CD, die Load veröffentlichte, sind die Worte „Violent Narcissistic Nymphomaniac Seeks Same“ abgedruckt. Das soll eine bestimmte Stimmung widerspiegeln, die durch entsprechendes Artwork ergänzt wird. Letztlich ist die CD aber auch offen gestaltet – und man soll sich seinen Teil denken, wenn man die völlig distorted Sounds anhört. Hier schreit ab und zu eine Stimme unverständliches. Man mag Pleasure Ground nicht nur in die Drone-Ecke schieben. Man mag dieses Album nirgendwo hin schieben. Es IST Noise. Es gibt die Genretag’s „Power Electronics“ und „Death Industrial“, die passen auch gut. Aber der Sound unter all dem Unwohlsein ist Drone. Drone aus rauschenden Synthesizern und zerschrammtem Getöse. Beim tollen „Outdoorsman / Indestructible“ weicht die Brutalität einem dementen Piano-Loop und psychotischem Gemurmel. In der Tat – Pleasure Ground ist – wenn überhaupt – nur ein Vergnügungspark in der Hölle. Aber eingedenk der Tatsache, dass die Tracks in diesem Kapitel hintereinander gehört werden sollten, ist diese hässliche Musik eine gute Antwort auf Seht. Und erholen kann man sich ab jetzt mit dem Drone von….

Belong
October Language

(Carpark, 2006)

Belong sind zwei Experimental-Musiker aus New Orleans – Turk Dietrich und Michael Jones – die in Dietrich’s Schlafzimmer-Studio schon 2004 ihr Debüt October Language aufnahmen. Hier ist im Vergleich zu Prurient alles sanft und so verträumt, wie es das Cover des Albums womöglich abbilden will. Die beiden Nerds nahmen Gitarrenchords mit Vintage Gitarren auf, hatten ein paar alte Synthesizer (wen es interessiert, dem möge der Wikipedia-Eintrag weiterhelfen), ließen die kleinen angedeuteten Melodien von warmer Schönheit durch haufenweise Effektgeräte laufen und schufen ein Album mit acht (für Drone…) sehr kurzen Tracks (fünf bis sieben Minuten). Es sollte eine Verneigung Richtung Shoegaze-Bands wie My Bloody Valentine sein, ist aber auch eine wunderschöne Art, Drone-Rock zu machen. Der Titeltrack ist majestätisch in seinem dahingleiten, seinen bildschönen Akkorden, seinem zitternden Ausklang. Auch hier wird vor Allem Atmosphäre gestaltet. Zu Anfang mögen die beiden Musiker an „Songs“ gedacht haben, aber dann überkam sie die Begeisterung für den besonderen SOUND. Nach den Informationen wurde das komplette Album unter Kopfhörern aufgenommen – und man kann sich das vorstellen… So wurden immer wieder neue Details in die einzelnen Tracks eingefügt, so wurde verhindert, dass die verfremdeten Gitarren-Sounds allein den Track bestimmen. Das Auf und Ab der Dynamik, das Zersplittern der Klangflächen, immer wieder neue mikroskopische Sounds machen die doch im Grunde simplen Tracks interessant. Man will und muss zuhören. Dass es sich um acht drone-untypisch kurze Tracks handelt, lässt October Language tatsächlich zu einem angenehmen und erhebendenAlbum werden….

Aidan Baker
The Sea Swells a bit…

(A Silent Place, 2006)

Zuletzt Entspannung. Aidan Baker ist einer der wichtigsten und kreativsten Köpfe in diesem Bereich der Musik. Der Kanadier hat mit seiner Partnerin Leah Buckareff das Projekt Nadja, das seit 2003 eine Unzahl von Alben veröffentlichte. Nadja machten Alben mit Troum und mit Black Boned Angel, Aidan Baker machte Solo-Alben, schrieb Gedichte, malte (u.a. dieses Cover, das sich auf das klassische „Die Welle“ vom japanischen Künstler Hokusai bezieht) war komplett mit dem Erschaffen von Kunst beschäftigt… und 2006 ließ er seine Zusammenarbeit mit seiner Ehefrau Leah Buckareff pausieren und nahm geschlagene ACHT Solo-Alben auf. Nicht jedes davon ist interessant, dieses aber möchte ich gerne loben: Baker mag ja zuviel veröffentlichen. Die Musik, die er allein und mit Nadja und Freunden macht, mag leicht herzustellen sein (einen, zwei Töne solange wiederholen, bis sie irgendwo im Unterbewusstsein landen), aber sein Viel-Tun hat ihm offenbar Weisheit gebracht. The Sea Swells a bit… ist hypnotisierend schön. Es gibt drei lange Tracks (Drone eben…), die sich langsam gen Himmel recken, in denen eine kurze Tonabfolge immer weiter verändert wird, mit zusätzlichen Sound-Gadgets angereichert wird, sich zur Katharsis anreichern und erheben, bis man wünscht, dass das bitte nie aufhört. Es war – und ist immer noch – die Kunst von Baker/Nadja, dass sie diese schlichte Musik in einem eigenen, wiedererkennbaren Stil erschaffen. Der Titeltrack etwa schwillt an, wie die Flut. Im Untergrund klappern Percussion, die drei Töne der Gitarre verschwinden unter Synthesizern und Tape-Loops, und dennoch bleibt alles im Gleichgewicht. Aidan Baker weiss um essenzielle Prinzipien von Ästhetik. Und er hat das maritime Thema für dieses Album bewusst gewählt. Bei Drone entstehen im günstigen Fall Bilder – hier sind sie so bewegt, so majetätisch und so tief wie der Ozean. Dass der letzte Track „Davey Jones Locker“ heisst, mag düster scheinen (… es ist ein Euphemismus für das Seemannsgrab), aber bei so viel Schönheit denke ich eher an Trost. Und auch der mittlere Track „When Sailors Die“ folgt der Logik, hat Percussion, die dem Drone eine weitere Dimension eröffnet. The Sea Swells a bit… ist schöner Drone.

Zuletzt nochmal…

Ja – diese Musik ist anstrengend. Das will sie auch sein. Drei Stunden Birchville Cat Motel sind schwieriger anzuhören, als Swans‘ The Seer. Ich persönlich höre eines der hier beschriebenen Alben und erhole mich dann mit etwas „songorientiertem“. Aber die Künstler hier haben den Dreh heraus, einen Drone/Ton so vielfältig zu variieren, dass es beeindruckt. Dazu lernt man mit dieser Musik den Noise zu schätzen, den insbesondere Gitarren machen können. Es gibt gerade in den 00ern etliche Alben dieser Art und diese Auswahl ist – wie alles in diesem Buch – subjektiv. Aber ich empfehle jedem, sich sowas wie Bliss and Void Inseperable mal anzutun. Diese Musik ist günstigenfalls physisch oder kathartisch oder hypnotisch. Das ist was wert…