1986 – Metallica bis False Prophets – Thrash, New York Hardcore, Crossover – die Welle bricht

1986 steht Metal in voller Blüte. Da ist vor Allem Thrash, die härtere, amerikanische Variante des punk-infizierten Metal aus Großbritannien. Vorbilder wie Iron Maiden, Diamond Head oder Saxon klingen gegen Bands von der US- Westküste wie Slayer, Metallica, Megadeth oder Metal Church inzwischen fast zahm, zugleich bringen New Yorker Hardcore Bands wie Cro-Mags, Crumbsuckers oder Agnostic Front ihre Härte in den Thrash ein – und werden wieder selber von ihm beeinflusst

Gemeinsam haben beide geschrubbte Gitarren, hartes Riffing, Betonung auf den Rhythmus, oft unmelodisch herausgebellten Gesang und politisch-dystopischen Lyrics, Unterschiede findet man in den Gitarrensoli, in den Vorbildern aus Metal (Thrash) oder Punk (Hardcore). 1986 werfen vor Allem die großen Bands des Thrash Metal aus der Bay Area ihre Bomben ab: Slayer mit dem Über-Meisterwerk Reign in Blood, Metallica mit Master of Puppets – dem facettenreicheren Nachfolger von Ride the Lightning – lassen die erste Welle brechen. Dahinter drängen sich in der Königsklasse des Thrash Metal etliche andere Acts – die entweder schon ihre ersten Alben hinter sich haben (Overkill, Metal Church…) oder schon Jahre im Proberaum und auf der Bühne standen. In diesem Jahr wird eine reiche Ernte eingefahren – und – das muss man eingestehen – danach beginnen die Bands des Genres damit, sich zu wiederholen. Nachfolgende, durchaus sehr gute Alben erfinden den Thrash nicht mehr neu – sie verfeinern ihn nur noch. Ebenfalls von Interesse – weil musikalisch verbrüdert mit Thrash Metal – sind Bands aus der Hardcore-Szene New Yorks. Die haben sich beeinflussen lassen bzw. haben Thrash beeinflusst, wie man hören wird, wenn man einfach mal vergleicht – auch wenn sie diese Verwandtschaft of leugnen. Metallica allerdings haben diese Einflüsse nie geleugnet, die New Yorker Hardcore-Thrash-Institution Anthrax kam im letzten Jahr mit Spreading the Disease, heuer gibt es Nuclear Assault oder z.B. die Cro-Mags, die Hardcore mit Thrash „crossovern“. Und auch in Deutschland liefern Bands wie Kreator, Destruction und Sodom exzellente und eigenständige Thrash-Alben ab, die man mit geschlossenen Augen auch mit NY-Hardcore-Alben oder gar mit Prä-Black Metal Meistern wie Venom und Hellhammer verwechseln könnte.

Slayer – Reign In Blood
(Def American, 1986)

Was für ein Jahr (nicht nur in Metal) – man hat die Wahl zwischen etlichen großartigen Alben, deren Wirkung bis ins kommende Jahrtausend reichen wird. Ob ich nun Slayer oder Metallica oder Dark Angel in den Hauptartikel ’86 erhoben habe, ist eigentlich unwichtig. Daher verfasse ich ja thematische Ergänzungen zur Beschreibung des EINEN auserwählten Albums.

Metallica
Master Of Puppets

(Vertigo, 1986)

Wie gesagt… das epochale dritte Album von Slayer (Reign in Blood) habe ich an exponierterer Stelle beschrieben und zum Klassiker erklärt – das dritte Album der Kollegen von Metallica hätte aber durchaus an gleicher Stelle stehen können. Einfach Pech gehabt – dabei könnte man (…auch ich selber…) einwenden, dass Master of Puppets sogar das bessere, weil facettenreichere der beiden Alben ist. Tatsächlich überlege ich, während ich schreibe, Master of Puppets an die Stelle von Reign in Blood zu setzen – und entscheide mich dagegen. Nach dem puren Thrash von Ride the Lightning – mit dem Metallica zu der Zeit Slayer um eine Nasenlänge voraus waren – hatten sie das definitive pure Thrash Album gemacht. Mit toller Produktion, großen Songs und einer unerreichbaren Intensität und Härte. Nun hatten sie beschlossen, neue Bereiche zu erforschen – und das Feld des reinen Thrash zu verlassen. Master of Puppets fängt den Moment ein, an dem die vier Musiker die perfekte Balance zwischen thrashiger Aggression und progressivem Pomp halten – und daraus mehr machen, als die Summe dieser Teile eigentlich ergeben dürfte. Tatsächlich gibt es Leute, denen die Abkehr vom reinen Thrash hier schon zu weit geht, denen Metallica ab hier immer weniger bedeutet. Ich persönlich halte den Versuch, sich weiter zu entwickeln mindestens für ehrenwert, zumal hier auch noch für gelungen. Aber: Auch ich finde, nach Master of Puppets ging es (immerhin aus großer Höhe) bergab. Aber hier haben wir noch das klassische Quartett mit Bassist Cliff Burton – der bei der anschliessenden Tour in Schweden bei einem Tourbus-Unglück ums Leben kommen wird. Hier haben wir den Opener „Battery“ – beginnend als martialischer Militärmarsch, auslaufend in furiosem Thrash, hier haben wir den progressiven Thrash „Welcome Home (Sanitarium)“, der als Kraftpaket, hervorragend ausgedachte Story und als Song die Klasse von Metallica repräsentiert, hier gibt es mit „Orion“ ein weiteres Instrumental, das die enorme Tightness der Musiker herausstellt, bevor es dann mit „Damage, Inc.“ noch ein letztes Mal so richtig was auf die Ohren gibt. Da kann man das unaufhaltsam dahin-schrubbende „The Thing That Should Not Be“ zu langsam finden, muss aber dessen Kraft bewundern, da sind Kirk Hammett’s ausgefeilte Gitarrensoli, die ihn jetzt endgültig an die Spitze der Konkurrenz aller namhafter Genrevertretern stellen. Da ist James Hetfield’s Un-Gesang, der nun endgültig zum Markenzeichen wird – und der die Band positiv von der Konkurrenz abhebt. Master of Puppets ist der Beweis, dass man mit viel Talent und ein paar Einschränkungen mitunter mehr erreichen kann, als mit Können allein (Siehe Megadeth). Dieses Album hat auf seine Art womöglich mehr Einfluss auf die diversen Spielarten des Metal, als Reign in Blood. Negativ gesagt – es ist ein bisschen beliebiger – aber es ist zugleich eines der wegweisendsten und zeitlosesten Metal-Alben aller Zeiten.

Dark Angel
Darkness Descends

(Combat, 1986)

Das weitere Schicksal der großen Thrash-Bands der Mitt-Achtziger ist unterschiedlich. Die einen werden zu Mega-Stars (Metallica), andere halten ewig und werden immerhin zu Legenden in Metal-Kreisen (Slayer, Megadeth, Overkill), einige dienen den Großen als Personalreservoir (Flotsam & Jetsam) – und dann sind da diejenigen, die spätestens Anfang der Neunziger trotz fantastischer Alben untergehen. Zu denen gehört Dark Angel. ’86 allerdings weiss man nur, dass Dark Angel mit Darkness Descends ernsthaft in Konkurrenz zu Slayer getreten sind. Die Band um die beiden Gitarristen Jim Durkin und Eric Meyer hat nach einem mittelmäßigen Debüt mit dem ehemaligen Slayer Drum-Tech Gene Hoglan einen Düsenantrieb für ihren High Speed Thrash gefunden, der das verbesserte Songwriting auf diesem Klassiker des Metal fast in Grund und Boden trommelt. Es kann sein, dass die enorme Schnelligkeit und Härte, die Konsequenz mt der Dark Angel spielten, ihnen den Weg an die Spitze verbaut hat, aber dieses eine Album MUSS jeder hören, der Reign in Blood liebt und seinen Thrash an der Grenze zum Death Metal will. Der Sound mag damals gewöhnungsbedürftig gewesen sein, die Drums sind sehr präsent, aber die Gitarren schrubben glasklar dahinter. Es gibt keine freundlichen Riffs wie bei Metallica oder gar Megadeth, keine Singalong-Lyrics wie bei Anthrax oder Helloween – und ganz gewiss keine Power-Balladen a la „Fade to Black“. Dafür gibt es mit „Darkness Descends“ einen Titeltrack, der Slayer links überholt, Tempowechsel von sehr schnell bis rasend schnell, die dem Album genug Abwechslung bescheren, um es über die ökonomischen 35 Minuten zu tragen – und mit „The Burning Of Sodom“ und „Merciless Death“ mindestens zwei Tracks, die zeigen, dass die Straße vom Thrash zum Death Metal schon gebaut wird. Wer wirkliche Härte will, sollte das hier hören.

Megadeth
Peace Sells… But Who’s Buying

(Capitol, 1986)

Dass Megadeth-Diktator Dave Mustaine ein extrem talentierter Gitarrist und Songwriter ist, wusste man, seit klar war, dass er bei Metallica Einer zuviel war. Und dass er mit Megadeth dann eine zweite Speerspitze des Thrash schmieden würde, war ja wirklich ein toller Nebeneffekt seiner Trennung von Metallica. Blöd nur, dass er ein Drogenproblem hatte und für seine Bandkollegen zu einem äußerst unangenehmen Zeitgenosse werden konnte. Diese Faktoren dürften den größeren Erfolg seiner Band verhindert haben. Ich behaupte, dass Mustaine und Band unter anderen Umständen kommerziell mindestens neben Metallica hätten bestehen können. So verlief die Karriere der Band so erratisch, wie Mustaine’s Persönlichkeit. 1986 aber standen sie mit diesem, ihrem dritten Album ganz knapp hinter Slayer und Metallica – ich finde sogar, dass Peace Sells… But Who’s Buying von diesen drei das sauberste und geschmeidigste Album ist – will sagen – die Produktion ist hervorragend, die instrumentalen Fertigkeiten von Mustaine und Gitarren-Kollege Chris Poland sind beeindruckend, das Rhythmusgespann spielt so sauber und rasant, dass es eine Freude ist – und das Songwriting ist (zum größten Teil) exzellent. Die ersten vier Tracks lassen sich in ihrer Melodik und Kraft kaum mit der Konkurrenz vergleichen. Dave Mustaine’s zynisches Krächzen soll Live unsäglich klingen, im Studio klingt es gut und passt zur Musik. Die Coverversion des Blues-Klassikers „I Ain’t Superstitious“ passt einfach nicht hier hin – sie zeigt, dass Mustaine gerne Jimmy Page UND Robert Plant wäre – und das ist er nicht. Aber wenn der Schuster bei seinen Leisten bleibt – wie beim abschliessenden „My Last Words“ – ist Alles gut. Melodischer, rasanter Thrash mit brennenden Gitarren. Das nächste Album wird weniger toll, aber das 1990er Rust In Peace wird endgültig zum Meisterwerk.

Metal Church
The Dark

(Elektra, 1986)

Jetzt zwei Bands, die bis ca ’85 als ernsthafte Konkurrenz zu Metallica galten – die aber den Schritt in den Crossover unterließen und damit den breiten Erfolg verpassten. Metal Church hatten ’84 ein formidables Debüt hingelegt, einen Klassiker des Thrash mithin, der (IMO) besser war, als Metallica’s Debüt und kaum schwächer als das zeitgleich erschienene Ride The Lightning (aber ein furchtbares Cover-Design hatte). Und mit The Dark toppten sie ihren Erstling sogar noch einmal. Kontinuität ist da wohl von Vorteil: Es war immer noch das klassische Line-Up um den Gitarristen und Songwriter Kurdt Vanderhoof mit Shouter David Wayne,, Drummer Kirk Arrington, Bassist Duke Erickson, and Gitarren-Mitstreiter Craig Wells – die allesamt auch ihren Beitrag zu den Songs leisteten. Schwankte Metal Church 1984 noch an der Grenze zwischen Thrash und klassischem Metal, so wurde nun auf The Dark die Grenze zum Thrash öfter überschritten. Aber Metal Church hatten mit David Wayne nun einmal einen Rob Halford-Wiedergänger am Mikro, und immer noch war Vanderhoff in der Lage auch mal eine kraftvolle Metal-Balladen zu schreiben, die dennoch Kitsch vermeidet („Watch the Children Play“) – somit enthält The Dark etliche Thrash-Tracks mit klassischen Metal-Anteilen – nur so progressiv und zugleich Hit-tauglich wie Metallica sind Metal Church nicht – und so extrem und Hit-tauglich wie Slayer auch nicht. Auf The Dark gibt es großartige Soli, rasantes Shredding, pumpende Rhythmen – man muss vielleicht Nieten-Armbänder tragen um das zu lieben. Die Sache mit den finsteren Song-Themen und Texten gibt dem Album eine zusätzliche Dimension, das Songwriting ist durchgehend gelungen und The Dark ist gut produziert, aber Metal Church blieben letztlich zu metallisch für den großen Erfolg (den – nebenbei bemerkt – Metallica ja auch erst in ein paar Jahren mit ihrem „schwarzen“ Album haben würden).. 1986 waren sie noch ernsthafte Konkurrenz für Metallica – gingen mit ihnen auf Tour, warfen den ständig besoffenen Sänger ‚raus, verloren Kurdt Vanderhoof – und machten mit Blessing In Disguise (89) ein weiteres großartiges Album. Aber Superstars wurden sie einfach nicht – was vielleicht auch so gewollt war…

Flotsam & Jetsam
Doomsday For The Deceiver

(Metal Blade, 1986)

Es geht das Gerücht um, dass sich Metallica mit der Absicht am Personal der Konkurrenz bedient haben, um diese aus dem Feld zu räumen. Das sicher Quatsch ist. Wenn ein Musiker wie Jason Newsted 1986 von Flotsam and Jetsam zu Metallica wechselte, dann war das seine freie Entscheidung – und dass er bei den Thrash-Königen zunächst „nur“ als Ersatz am Bass fungierte, ist logisch. Metallica waren eine festgefügte Einheit, die auf tragische Weise ihren vorherigen Bassisten verloren hatten. Der „Neue“ musste sich eben erst einmal etablieren… Aber dass damit eine extrem talentierte Band eines ihrer wichtigsten Mitglieder verlor, kann man durchaus bedauerlich finden. Das Debüt von Flotsam and Jetsam wiederum nur als Audition-Tape für das spätere Metallica-Mitglied zu sehen, täte der Klasse von Doomsday for the Deceiver unrecht. Diese Band gab es immerhin schon seit 1981 und sie waren eine eingespielte Mannschaft – noch mit besagtem Bassisten und Songwriter in ihren Reihen, aber eben auch mit einem großartigen Sänger (Eric A.Knutson) der sich locker mit Judas Priest’s Rob Halford messen konnte (…was die Band immer auch ein bisschen nach klassischem „Heavy Metal“ klingen ließ…), mit einem Gitarrengespann, das etliche Konkurrenten mit sehr melodischen Twin-Gitarren-Duellen blass aussehen ließ und mit einem vituosen Drummer, der dem Speed-Thrash der Band den nötigen Turbo-Nachbrenner verlieh. Doomsday for the Deceiver muss sich neben den ’86er Thrash-Meilensteinen nicht verstecken, ist schlagender Beweis dafür, dass die ganze Stilrichtung in dieser Zeit regelrecht aufblühte. Und – ja – auf diesem Album zeigte sich, dass Newsted auch ein hervorragender Songwriter war: Aber die Songwriting-Credits gingen an die ganze Band und das zweite Album von Flotsam and Jetsam (No Place for Disgrace) – zwei Jahren später – bewies, dass Newsted nicht der alleinige Grund für die Klasse von Songs wie „Hammerhead“, „Metalshock“ oder dem Titelsong des Albums war. Doomsday… gehört unter die großen Thrash-Debüt Alben der Achtziger – auch wenn die lange Karriere der Band nach dem oben genannten zweiten (noch besseren) Album keine weiteren Höhepunkte mehr hatte… und auch wenn das Cover so furchtbar schlecht gezeichnet ist, dass es fast schon wieder gut ist.

Voivod
Rrröööaaarrr

(Noise, 1986)

Hier eine Band aus Kanada – genauer aus Quebec – die den Begriff „Thrash“ von Beginn an weit gefasst hat… wenn die sich überhaupt um Genre-Klassifizierungen geschert haben – was ich nicht annehme. Das zweite Voivod-Album mit dem wunderbaren Titel Rrröööaaarrr ist genau das, was der Titel verspricht. Ein lauter, gutturaler Noise-Ausbruch. Voivod wurden bald „thinking man’s Thrasher“ – aber dieses ist ihr bei weitem brutalstes Album. Drums und Bass sind ganz vorne im Mix, nur die chaotischen Gitarren-Soli schieben sich zwischendurch nach vorne, Chords und Riffs wirken abstrakt, zugleich noisig und futuristisch. „Sänger“ Snake’s Stimme ist gewöhnungsbedürftig, er gröhlt in Punk-Manier, sein Gebell hat aber nicht die im Thrash sonst übliche Brutalität. Voivod waren schon hier eine eigenartige – sofort wiederkennbare – Band. Sie würden auf den kommenden Alben ihren Sound dem futuristischen Konzept weiter anpassen, Rrröööaaarrr klingt noch nach einer begeistert ihren Weg suchenden Band, die Thrash ausprobiert, dabei aber alle Abzweigungen mitnimmt. Da sie hier noch die Attacke, die Brutalität in den Vordergund stellten, kann man eine gewisse Ein-Dimensionalität beklagen. Viele Tracks ähneln sich, die Band rast voran, Snake gröhlt, schimpt und kotzt – aber genau das war logisch und auch beabsichtigt. Nur der Album-Opener „Korgüll, The Exterminator“ und der lupenreine Thrasher „To the Death“ stechen wirklich heraus. So wurde die Konzentration auf Thrash hier ein zweischneidiges Schwert. Das Album rast am Ohr vorbei und wenig bleibt hängen – ausser der Kraft und dem psychedelischen Sound der Band. Voivod waren am Anfang einer langen Karriere, in der sie einen eigenartigen Stil entwickelten. Mag sein, dass ihre Herkunft aus dem französisch-sprachigen Teil Kanada’s sie von vorne herein exponierte. Man muss sich ihre folgenden Alben anhören, wenn man Voivod’s ganz eigenen Metal-Sound kennenlernen will.

Kreator
Flag of Hate EP

(Noise, 1986)

In der Einleitung zu diesem Kapitel weise ich darauf hin – Deutschland ’86 ist auch Thrash-Metal-Land. Denn hier kommen die Essener Kreator her, die mit ihrem zweiten Album eine schön eigenwillige Spur verfolgen. Die einen teuflischen Thrash spielen, der Vieles vom kommenden Death Metal vorwegnimmt, der aber auch nach Hardcore im New York Style riecht. Das Debüt (Endless Pain) hat das Trio der damals noch minderjährigen Musiker in Berlin eingespielt, mit Flag of Hate folgte eine noch bessere EP. Drei Tracks, die alles sagen, was Thrash Marke Kreator ausmacht: „Flag of Hate“ ist ein Überfall, mit einem Gitarrensolo Marke Slayer, hasserfüllt und vom Debütalbum neu aufgenommen. Bei „Take Their Lives“ wird es fast episch, die Primitivität des Debütalbums weicht komplexeren Strukturen, die Härte ist geblieben. Und das sieben-minütige „Awakening of the Gods“ geht als eine der großen Hymnen des Thrash-Metal in die Annalen ein. Mit Tempo-Changes und der Brutalität, die Kreator in ihren besten Jahren (die spätestens jetzt begannen) eben auszeichnete. German Thrash begann spätestens hier. Er würde nicht immer diese Klasse haben – aber die Alben der drei großen deutschen Thrasher sind bis ’89 allesamt lohnend.

Kreator
Pleasure to Kill

(Combat, 1986)

So wie dann das im März (vor der EP…!) veröffentlichte zweite Studio-Album der Essener. Mit Pleasure to Kill lieferten Kreator eine abwechslungsreiche, extrem harte und aggressive Konkurrenz zu den großen Thrash Alben aus den USA ab. Und Pleasure to Kill ist nicht nur richtig hart, es unterscheidet sich auch von all den anderen Alben, die man ’86 Thrash nennt. Durch das Gebell von Drummer Jürgen „Ventor“ Riel und das zynische Krächzen von Gitarrist Mille Petrozza wird der Rost des Alt-Metall weggeätzt, es gibt hier abwechslungsreiche und rasante Songs wie „Ripping Corpse“, „Under The Guillotine“ „Pestilence“. Und der allmächtigen Titel-Track bereitete Eingeweihte schon auf die Death Metal-Dämmerung vor. Kreator hatten in dieser Zeit ein Händchen für wiedererkennbare Riffs – was mancher Death Metal Raserei der kommenden Jahre abgehen würde. Der Sound von Pleasure to Kill ist chaotisch und dreckig – und steht der Band hervorragend. Aber hier haben sie das erforderliche Mindestmaß an Klarheit. So wurde Pleasure to Kill zum ersten echten Klassiker Kreator’s – die mindestens bis Ende der 80er noch ein paar weitere Meisterstücke folgen ließen: Speziell diese Band hat eine ganz eigene, sehr aggressive und rohe Form von Thrash eingespielt, die eigentlich ohne Konkurrenz blieb…

Destruction
Eternal Devastation

(Steamhammer, 1986)

… die sind nämlich mit diesem ebenfalls zweiten Album auf ähnlichem Terrain unterwegs. Destruction gelten als eine der dienstälteste Thrash-Bands Deutschlands, sie sind ’82 in Weil am Rhein entstanden und haben 1984 mit Infernal Overkill bewiesen, dass Thrash nicht nur von US-Musikern von der Westküste kommen muss. Bassist/“Sänger“ Marcel „Schmier“ Schirmer, Drummer Tommy Sandmann, und Gitarrist Mike Sifringer hatten eindeutig Bands wie Venom, Mercyful Fate und Motörhead als Vorbilder – und aus diesen Einflüssen eine giftige Brühe gekocht, die zum Thrash der Zeit passt. Der Sound von Destruction ist womöglich noch roher als der von Kreator, Schmier’s Vocals gehen von aggressivem Krächzen zu hysterischem Kreischen (und sind damit in der Extrem-Metal Tradition zuhause), ihre Songs haben oft regelrechte Marsch-Rhythmen mit seltam komplexem Riffing. „Curse the Gods“ dürfte Gotteslästerern gefallen haben, ist aber textlich weit reflektierter als man es bei dieser gewalttätigen Musik erwarten würde. „Life Without Sense“ nimmt die Tradition der „Horror im Hospital“-Themen von Metallica oder Dark Angel auf. Und auch für Eternal Devastation gilt – es hebt sich vom US-Thrash ab, ist eigenständig, voller Wucht und Härte. Destruction hatten keine so durchgehend erfolgreiche Karriere wie die Kollegen aus Essen, aber Eternal Devastation ist ein Album, das man haben muss, um die drei großen deutschen Thrash-Bands im Jahre ’86 hören zu können. Mit Pleasure to Kill und mit…

Sodom
Obsessed By Cruelty

(Steamhammer, 1986)

Hier also die nächste Institution des Thrash aus Deutschland. Sodom aus Gelsenkirchen um den förchtelich evil Grunzer Tom Angelripper (eigentlich Thomas Such) sind nicht bloß Kult. Ihre ersten Alben sind Meisterwerke, eigenständiger extremer Metal, der sicher auch Vorbilder hatte, der aber schon im Vorjahr mit der EP In the Sign of Evil (empfehlenswert!!) auf einer eigenen Spur lief. Bei ihnen ist auf diesem ersten kompletten Album Vieles so, wie man es erst in ein paar Jahren von Bands wie Mayhem hören wird. Kreissägen-Gitarren, ein „Sänger“, der vor allem böse krächzt. rasendes Tempo, seltsam verbogene Songs… Tatsächlich wurde das Album zweimal aufgenommen – was ihm in den Augen von Fans ein bisschen credibility nahm – weil die Plattenfirma die Band nach der ersten Version zum Nachsitzen zurück ins Studio schickte… Auf Version 2 spielte Michael „Destructor“ Wulf die Gitarrenparts von Josef „Grave Violator“ Dominic neu ein, und durch ein Versehen wurde der Song „After the Deluge“ vergessen… Man sieht, hier war Manches noch etwas unprofessionell. Dazu passt, dass Sodom ’82 eher zusammengekommen waren, um zu saufen und dass die Band später die Songs von Obsessed By Cruelty nicht spielen wollte, weil sie „…die Riffs vergessen hatten“. Mich interessiert das nicht. Obsessed By Cruelty ist nicht nur Kult. Es ist ein Thrash-Album nah am Chaos, nah am Black Metal, nah an Bathory und Venom (die ich beide schätze) und der Titeltrack oder „Deathlike Silence“ sind toller Extrem-Metal, der Metallica auslacht. Dass sich Sänger und Bandkopf Angelripper später auch an den Sinn der von Aleister Crowley beeinflussten Texte erinnern konnte, mag zeigen, dass da auch eine Menge Alkohol floss… aber diese Leute waren um die 20 Jahre alt. Da schafft man sowas und macht sogar noch beeindruckende Musik. Und wem es nicht gefällt…..

Onslaught
The Force

(Under One Flag, 1986)

Natürlich werden auch im United Kingdom Slayer, Metallica, Anthrax oder Kreator gehört – und die Generation junger Musiker, die sich der harten Musik verschrieben hat, lässt sich von den US-Bands natürlich beeinflussen – aber sie schöpfen auch aus der eigenen Geschichte. Da sind zum Beispiel Onslaught aus Bristol, die schon 1983 als Punk-Band begonnen haben, die sich an die D-Beat Institution Discharge angelehnt haben, die bald Metal in der Art von Bathory oder Venom in ihren Stil einbrachten, die nun nach zwei Alben eine gehörige Portion Thrash a la Slayer in ihre Suppe gießen. Mit Under One Flag hatten sie ein neues Label, mit Sy Keeler einen Sänger, der eine breitere Range hatte (nicht unbedingt nötig, ich weiss…) und mit Jase Stallard einen zweiten Gitarristen. Nun spielten sie als Vorprogramm für Anthrax und Motörhead – und hatten mit The Force ein Album am Start, das sich in punkto Brutalität und Schnelligkeit nicht hinter den Zeitgenossen aus den USA verstecken musste. Und The Force hat auch noch den Vorteil der Eigenständigkeit (sofern man das bei dem Lärm erkennt…), da Spurenelemente aus britischem Punk und vom Proto-Black Metal von Venom immer noch ihre Spuren hinterlassen. Und Onslaugt wissen Epen zu verfassen: Das zentrale „Flame Of The Antichrist“ beginnt als Doom, wechselt immer wieder in rasantes Thrash-Riffing und schweren Metal. Aber auch der Opener „Let There Be Death“ und „Fight With the Beast“ sind ehrenwerte Thrash-Songs, die in ihrer punkigen Schnelligkeit durchaus an Slayer-Klasse heran reichen – nur dass sie eben von Briten stammen. Einziges Manko mag die nicht ganz so geleckte Produktion sein – aber dem Afficionado ist gerade das Qualitätsmerkmal. Schade, dass Onslaught für das nächste Album geschlagene drei Jahre brauchten und von der Plattenfirma drangsaliert wurden. ’91 gingen sie auseinander und blieben so obskurer, als verdient. The Force gehört zu den besten Alben des Thrash der 80er.

10 beste Thrash Alben und wie sieht’s aus mit NY-Hardcore, dem Bruder des Thrash Metal?

Für alle Nerds – egal welcher Liebhaber-Ecke: 1986 ist die Krone der Thrash-Metal Welle erreicht. Das bedeutet für mich – ab jetzt kommt nichts wirklich revolutionäres mehr in diesem speziellen Genre – was aber andererseits NICHT heisst, dass es nach ’86 keine tollen Thrash-Bands oder Alben geben wird. Also werde ich nun die 10 besten Alben aufzählen, die es da meiner Meinung nach gibt. Dabei weise ich auf folgendes hin: Thrash ist – wie jede andere Musikgattung beeinflusst von (…füge ein was dir einfällt…) und hat (dto…) beeinflusst. Reinrassige (um einen fragwürdigen Ausdruck zu verwenden) Thrash-Alben gibt es eigentlich nicht. Daher tauchen in meiner Auflistung auch Alben auf, die man durchaus auch dem NWOBHM oder dem Death Metal oder oder… zuordnen könnte.

Da sind also:

1. Metallica – Ride the Lightning (1984)

2. Celtic Frost – To Mega Therion (1985)

3. Metallica – Master of Puppets (1986)

4. (Das Beste…) Slayer – Reign in Blood (1986)

5. Dark Angel – Darkness Descends (1986)

6. Anthrax – Among the Living (1987)

7. Voivod – Dimension Hatröss (1988)

8. Megadeth – Rust in Peace (1990)

9. Sepultura – Arise (1991)

10. und als Abschluss – ein Album einer anderen Generation von Musikern: Vektor – Terminal Redux (2016)

Natürlich ist diese Auswahl streng subjektiv und mir fallen sofort mindestens drei weitere Alben ein, die ich für unersetzlich halte:

Metal Church – s/t (1984)

Coroner – Mental Vortex (1991)

Power Trip – Manifest Decimation (2013)

… und so könnte ich weitermachen. Andere Alben von Slayer, Metallica, Metal Church, einzelne Highlights wie Num Skull oder Infernäl Mäjesty, Grenzgänger wie Bathory’s Blood Fire Death, irgendwas von Kreator, Exodus oder Testament… So ist das eben. Bei Death Metal, Black Metal, Doom und Grindcore etc sieht es ja genauso aus.

Nuclear Assault
Game Over

(Under One Flag, 1986)

Diese Sache mit dem „Crossover“ diverser Stilarten im Metal wird inzwischen gerne als äußerst unhip – sogar peinlich bis ärgerlich angesehen – vermutlich weil es da spätestens ab den frühen Neunzigern sehr viele ehemals glaubwürdige und fähige Bands gab, die sich aus kommerziellen Gründen diesem Trend anbiederten. Aber wie immer – es gibt sehr positive (meist frühe) Beispiele dafür, dass die Verbindung von Hardcore/Punk und Thrash organisch, gelungen, logisch und sinnvoll war. Eines dieser Beispiele ist das Debüt der Band Nuclear Assault um den Ex-Anthrax /bald Brutal Truth Bassisten Dan Lilker. Wenn man die Scheuklappen weglässt, kann man sehen, das Game Over ohne Probleme neben Kill ‚Em All, Show No Mercy etc. bestehen kann. Und das aus verschiedenen Gründen: Erstens sind hier einige hervorragende Musiker am Werk – besagter Lilker am Bass, dessen Kumpel/Ex Anthrax Roadie John Connelly als Gitarrist und Sänger, Gitarrist John Bramante und Drummer Glenn Evans wissen definitiv, was sie tun. Sie alle haben reiche Erfahrung in New Yorker Thrash und/oder Hardcore Bands gesammelt, und sie wissen offensichtlich Songs zu schreiben, die die Verbindung aus Metal und Hardcore sehr attraktiv machen. Da passt das kompromisslose ein-minütige instrumentale Eröffnungs-Stück „Live, Suffer“ wunderbar vor den Thrash-Hardcore Hybrid „Sin“. Tracks wie „Cold Steel“ und „Betrayal“ sind super Thrash, „Hang the Pope“ nimmt den Grindcore von Lilker’s baldigem Hauptprojekt Brutal Truth vorweg, aber „Vengeance“ ist wieder Crossover-Thrash in Gut und der Closer „Brain Death“ hat sogar ein Akustik-Intro ehe er rasant Tempo aufnimmt. Memorable Riffs, ein Sound, der roh genug ist für ein Debüt, aber den Fähigkeiten der Musiker gerecht wird, Riffs und Soli, kraftvoll wie in dieser Sparte des Metal üblich… Game Over ist ein kurzweiliges Vergnügen – mindestens….

Crumbsuckers
Life of Dreams

(Rough Justice, 1986)

… und so ist der Schritt nach NY und in die dortige Thrash/Hardcore-Szene getan. New York HC ist sozusagen die Entsprechung zum Thrash der Westküste, beide Musik-Gattungen beeinflussen sich gegenseitig, beide sind vom US Hardcore-Punk beeinflusst und der „Crossover“ – der bald als Schimpfwort verwendet wird – ist noch einfach eine logische Entwicklung außerhalb kommerzieller Planung. Es gibt auf der Website The Quietus ein paar Worte des Anthrax-Sängers Scott Ian zum Debüt der Crumbsuckers – einer der leider vergessenen Bands der New Yorker Szene, die Mitte der Achtziger oft im legendären CBGB’s die Wände zum Einsturz bringen. Er bescheinigt der Band zu Recht große Musikalität, stellt sie nah an den Thrash seiner Band/dieser Zeit und verweist zugleich auf die deutlich erkennbaren Wurzeln im Hardcore ihrer Stadt. Bassist und Bandgründer Gary Meskil hat sicher auch ein paar Black Sabbath Alben im Schrank, die zwei Gitarristen Dave Wynn und Chuck Lenihan klingen, als hätten sie zu Ozzy Osbourne Songs geübt, und Sänger Chris Notaro hat das Hardcore-Organ, das man auch bei etlichen Thrash-Metal Bands dieser Zeit findet. Interessanteweise hatten die Crumbsuckers in der HC-Szene mit ihren Thrash – und sogar Blues (!)- Zwischentönen keinerlei Probleme. Eine „reine Lehre“ war wohl noch nicht formuliert. Tracks wie „Return to the Womb“ (schön gemein…), der Titeltrack „Life of Dreams“ und „Brainwashed“ (…irgendwas ist immer mit dem Gehirn…) sind kurz, hart und kernig, der Album-Closer „Moment Of Silence/Mr Hyde“ drosselt das Tempo mit. einer.. klar… Akustik-Gitarren Passage, ehe wieder geshreddet wird, dass es kracht. Life of Dreams mag nicht der Beginn einer großen Karriere geworden sein, aber es ist eines der gelungensten Alben seiner Zeit – mit Cover-Artwork von Sean Taggart, der für einige feine Cover in dieser Szene verantwortlich war (Siehe Agnostic Front…).

Cro-Mags
The Age of Quarrel

(Roadrunner, 1986)

Das andere Album aus der NY Hardcore-Szene, das von Anthrax Bassist Scott Ian auf The Quietus hoch gelobt wird, kommt von einer etwas bekannteren Band. Die Cro-Mags haben einen mehr als legendären Ruf, ihr Hardcore stand nie im Anruch, sich kommerziellen Erwägungen zu beugen – und auch sie scheuen ’86 keine stilistische Grenzüberschreitung. Dabei sind sie in vieler Hinsicht das Gegenteil der Crumbsuckers – wo Die mit rasantem Tempo los-shreddern bleiben die Cro-Mags schwer und langsam wie ein Lavastrom, sie klingen „heavier“ als so manche Thrash-Band, haben aber ein Händchen für Hardcore-Hymnen (die im Gegenteil zum Thrash näher an der Realität, politisch bzw. gesellschaftlich aggressiver sind). The Age of Quarrel ist – laut Scott Ian – so brutal wie Reign in Blood und Master of Puppets, aber die Punk-Wurzeln der Cro-Mags sind deutlicher erkennbar… und machen das Album vermutlich ausserhalb des Kreises Eingeweihter zum No Go. Man muss bedenken, dass NY Hardcore ’86 noch ein lokales Phänomen war, welches den kommerziellen Hype erst in 3-4 Jahren – im Zuge des ebenfalls bald folgenden Metal-Hypes – erleben würde. Aber es ist ja immer so: Die echten Perlen eines Genres entstehen vor dem Hype. Hier hat man mid-tempo Hardcore Ohrwürmer wie „Malfunction“, „Street Justice“ oder das für Hardcore regelrecht dahinschleichende „Seekers of the Truth“. Bei all ihren „Metal“-Zutaten gelingt es den Cro-Mags immer noch überzeugend die Punk und Hardcore-Anteile deutlich durchklingen zu lassen. Mag sein, dass die rohe Produktion da ihren Anteil hat, mag sein, dass John Joseph’s Vocals und Harley Flanagans Songwriting (noch) zu weit vom Thrash-Crossover entfernt sind – zu nah an den Ursprüngen der New Yorker Hardcore Szene. Andererseits gilt dieses Album (und diese Band) als Fundament des Crossover – und das ist positiv zu verstehen. Das heißt aber auch, wer „echten“ NY-Hardcore will, sollte sich nach dem folgenden Album umsehen…

Agnostic Front
Cause for Alarm

(Rough Justice, 1986)

…denn Agnostic Front sind wohl so etwas wie DIE archetypische NY Hardcore Band. Da war der Gitarrist und Bandgründer Winnie Stigma, der die Band nach seinem Fanzine benannt hatte, da war nach einigen tumultösen Jahren an der Konzertfront mit Roger Miret ein Punk-Shouter dabei, der so glaubwürdig und charismatisch war, wie es seine Tattoos versprachen – und da war eine Band, die schon mit dem ’84er Debüt Victim in Pain ihren Sound definiert hatte und die nun mit Cause for Alarm nicht nur ein archetypisches, sondern auch eines der besten HC Alben aller Zeiten ablieferte. Im Gegensatz zu den Crumbsuckers oder den Cro-Mags (siehe oben) gilt dieses Album als Beispiel für New York-Hardcore in Reinform… und zeigt damit, dass die Schnittmenge zwischen Thrash und HC in dieser Zeit recht groß ist. Mit zehn Songs in 24 Minuten wird die Tradition der kurzen, schnellen Alben bedient – was bei der Rasanz nicht einmal negativ ist – mehr wäre langweilig… mit ihrem neuen zweiten Gitarristen Alex Kinon war anscheinend Thrash-Riffing eingeführt worden. Das gerade mal ein-einhalb Minuten lange „Your Mistake“ wird von diversen Band gecovert werden, beim thrashigen „Public Assistance“ lassen AF sich den Text von Peter Steele schreiben (zu dieser Zeit Kopf der Band Carnivore) – und setzen sich damit ganz schön in die Nesseln. Dessen Lyrics sind einfach dumm und geschmacklos in ihrer Verunglimpfung von Sozialhilfe-Empfängern – aber Peter Steele würde sich mit der eigenen Band und später mit Type O Negative oft genug mit seinen „provokanten“ Lyrics disqualifizieren. Erstaunlich nur, dass Agnostic Front sich hier bei ihm bedienten, weil sie sonst eindeutig der sozialkritsch-linken Seite der Hardcore-Szene angehörten. Musikalisch – vor allem auch „gesanglich“ – ist Cause for Alarm mit seiner Wucht, mit Roger Miret’s infernalischem Gebrüll, mit seinem Tempo, ein wirklich mitreissendes Album – das aber auch von dieser Band nicht mehr übertroffen wurde. Es würde aber immerhin noch ein paar mal gut kopiert werden (siehe die Nachfolge-Band Madball).

False Prophets
s/t

(Alternative Tentacles, 1986)

…und als Abschluss grabe ich nach weiter entfernten Wurzeln des Thrash/Hardcore. Die False Prophest sind eine der vielen in Vergessenheit geratenen New Yorker Punk/HC Bands. Diese Band war definitiv kein Vertreter irgendeiner reinen Lehre. Sonst wäre ihr Debüt False Prophets nicht so bemerkenswert. Jello Biafra von den Dead Kennedys war großer Fan, ermöglichte ihnen ’84 die Aufnahme des Debüts – aber Biafra’s Label Alternative Tentacles hatte Probleme mit der restriktiven konservativen Gerichtsbarkeit in den USA und es dauerte bis ’86, dass Fales Prophets veröffentlicht wurde. Diese Fünf fallen in allen möglichen Richtungen aus den Hardcore-Klischees heraus. Sie hatten mit Debra Adele deSalvo eine Journalistin, die für den Rolling Stone schrieb, als Gitarristin/Keyboarderin in der Band, sie hatten Reggae-Einflüsse im Sound, sie sahen einfach nicht so aus, wie man sich als Hardcore-Musiker stylen musste: Sänger Stephan Ielpi lief mit Iro ‚rum, einer hatte sogar lange Hippie-Haare. Tatsächlich wurden sie bei Konzerten von der kurzgeschorenen Fundamentalisten Fraktion mit Flaschen und anderen Gegenständen beworfen und wegen ihrer gerne langen politischen Ansprachen vor einzelnen Tracks verachtet. Dazu kam die Tatsache, dass vieles in ihren Songs an britische Punk erinnerte, dass sie Gang of Four und Joy Division als Einflüsse benannten… Na ja . Eigentlich passen die False Prophets nicht wirklich in dieses Kapitel. Andererseits ist ein Track wie „Mental Ghetto“ mit thrashigerem Sound auch als Metal-Riff denkbar. Das über vier-minütige „Functional“ kommt mit Keyboards daher, mit Passagen, die fast nach Progressive Thrash, vermischt mit britischem Post Punk klingt. Letztlich kann man jedem Metal/Thrash Fan nur empfehlen, sich diesen Ausreißer aus dem Einerlei anzuhören. „Taxidermist“ mag nicht die Härte haben, die den Metal sonst zum Metal macht. Aber ein sehr guter Song ist es. Von einer Band, die regelmäßig im A7 im East Village auftrat. Dem Club mithin, in dem jede der hier genannten Hardcore Bands bis ’84 auftrat. Ein Jahr später gab es mit Impolsion ein letztes ebenso großes Album.