Das Wichtigste aus 2001 – 9/11 und die Wiederentdeckung des Extremismus – The White Stripes bis The Stars of the Lid

Nach einem schmutzigen Wahlkampf wird George Bush Jr. als 43.Präsident der Vereinigten Staaten und Marionette seiner Familie und der Konservativen in den USA vereidigt. In Afghanistan zerstören die Taliban zwei 1500 Jahre alte riesige Buddha-Statuen, dort und im Iran/Irak ist der gesellschaftliche und politische Druck gewaltig – die Zeichen stehen auf Krieg.

Und am 11.09.2001 rasen zwei von Al-Kaida Terroristen gesteuerte Düsenflugzeuge in New York in die Twin Towers und bringen diese zum Einsturz. In der Folge gerät das gesamte westliche Wertesystem ins Wanken und 9/11 wird zum bestimmenden politischen Ereignis der kommenden Jahre: Zunächst erklären die USA den Krieg gegen den Terror und rechtfertigen damit massive Einschnitte in den Freiheitsrechten aller – auch der eigenen – Bürger. Zugleich werden sie in Afghanistan, am Horn von Afrika und auf den Philippinen militärisch und geheimdienstlich tätig. Die westliche Welt ist erschüttert und Terror und Angst breiten sich weltweit aus und der Konflikt zwischen der muslimischen und der westlichen Welt nimmt an Schärfe zu. Aber die Musikwelt reagiert zunächst kaum auf 9/11 – dazu ist es anscheinend noch zu früh. 2001 stirbt George Harrison, John Fahey, John Lee Hooker und Soul-Pop Sängerin Aaliyah. Derweil setzen Bands wie die Strokes und White Stripes ein willkommenes Garage-Rock Revival in Gang („The“- Bands ist das Wort der Stunde), die Aufsplitterung in viele mikroskopisch kleine Stil-Nischen nimmt Fahrt auf und es gilt, was auch 2000 galt: Es gibt eine Vielzahl guter Alben, ob Elektronik, HipHop, Americana oder Metal, man kann in allen Genres einen tollen Favoriten finden, bemerkenswert sind auch Alben aus dem als „Freak-Folk“ wiederbelebten Folkbereich und aus den lauteren Ecken des Hardcore und Post-Rock. Björk und Radiohead – sind als musikalische Vorreiter etabliert, weil sie gute Musik machen, die sie mit Elementen aus der elektronischen Musik organisch ergänzen – und immer mehr Musiker scheinen immer weniger Lust zu haben, sich in Kategorien packen zu lassen. Gut so. Zugleich ist die Compilation mit den No 1 Hits der Beatles kommerziell immens erfolgreich – als gäbe es nichts Neues, das den Aufwand lohnt… Na ja, Blink 182’s Pop-Punk für Dummköpfe lohnt nicht – ebenso wenig wie Crazy Town’s weichgespülter Crossover-Pop, Staind’s angestaubter R.O.C.K. oder der nächste Versuch Robbie Williams‘ sich das Frank Sinatra-Jackett anzuziehen. Immerhin gibt es den gelungenen Po(p) von Kylie Minogue – wenn man mal Radio hören mag.

Hier musste ich bei Pelt (Vorletzte Empfehlung) auf ein anderes Album zurückgreifen…. das auch toll ist. Ayahuasca aber gibt es nicht bei Spotify – Aber wenn du https://peltusa.bandcamp.com/album/ayahuasca eingibst, kommst du zur Bandcamp-Website

The White Stripes
White Blood Cells

(Sympathy for the Record Industry,2001)

Layout – The Third Man = Jack White

Die White Stripes sind zweifellos die farb-orientierteste Band der Rock Geschichte. Das durch die komplette Karriere durchgezogene Schwarz/Weiss/Rot Konzept ist genauso konsequent wie ihre Anlehnung an die alte Tante Blues. Das Überraschende war, dass sie damit – nach zwei ebenso tollen wie erfolglosen Alben – 2001 auf einmal Erfolg hatten. White Blood Cells klingt alt und neu zugleich, etwa wie ein Exile on Main Street Tour Stop im legendären Punk-Schuppen CBGB’s. Hier gibt es minimalistischen Rock mit einem bis anderthalb Füßen in Blues-Traditionen und mit dem Rest Standfestigkeit im New Yorker Rinnstein. Auf diesem dritten Album ließen die Stripes den reinen Blues des Vorgängers De Stijl hinter sich und der vor Energie und Ehrgeiz sprühende Jack White haute massive Riffs zu emotionalen Lyrics raus, beispielsweise beim Citizen Kane Zitat „The Union Forever“. Und damit gab er der Musik eine Tiefe, die man bei anderen „aktuelllen“ Garagenbands schon lange nicht mehr gefunden hatte. Songs wie „The Same Boy You’ve Always Known“ oder das nostalgische „We’re Going to Be Friends“ wurden in kürzester Zeit zu Klassikern, und wer dachte, der Rock der Altvorderen wäre nicht mehr zeitgemäß – altmodisch gar – der wurde eines Besseren belehrt. Und auf einmal war da wieder dieser Moment, in dem sich Qualität und Geschmack durchsetzen, in dem Rock aus der Garage doch wieder ein breiteres Publikum zu finden schien. Eine Hoffnung, die zur gleichen Zeit noch befeuert wurde durch…

The Strokes
Is This It

(Rough Trade, 2001)

Cover-Foto – Colin Lane. Der Hintern seiner Freundin und ‚rumliegender Handschuh

Fünf Kinder aus privilegierten Familien, die ohne Skrupel Velvet Underground, Television und Wire ca. Pink Flag kopieren, die von der britischen Presse noch vor dem Album-Release nur aufgrund einer EP mit Lob überschüttet werden, die ihr Debüt dann trotz eines wohldotierten Plattenvertrages so klingen lassen, als wäre es in der Garage aufgenommen worden: Es gab und gibt eine Unzahl von Gründen dafür, die Strokes zu hassen, zu verachten – oder aber auch zu lieben. Von der ersten Note von Is This It an jedoch war allen damaligen Geschmacksaposteln klar, dass das Album das Zeug zum Klassiker hatte. Und es ist bei aller Voreingenommenheit bis heute schwer, Fehler zu finden. Die Arrangements sind glasklar und auf’s Notwendigste reduziert, Die Songs haben Hooks und Attitüde, The Strokes spucken klassische Proto-Punk Tunes aus, als wäre das keine Kunst. Selbst das an Andy Warhol erinnernde Cover hat eine Ästhetik die in ihrer Coolness an die Cover der früheren NY Größen Ramones, Blondie oder Television erinnert – und es war zugleich provozierend genug, dass es von den prüden Republikaner-Moralwächtern in den USA verboten wurde. Alles Faktoren, die man je nach Sympathie als Berechnung oder Stilbewusstsein interpretieren mochte. Dereinst mag 2001 somit als das Jahr gelten, in dem The Strokes loslegten, um dann im Nirgendwo zu enden. Aber wer die Bedeutung ihres Debüts mindestens für die Beginnenden 00er Jahre nicht anerkennt, ist ignorant oder neidisch – und wer die Klasse von Songs wie „Last Nite“ oder „New York City Cops“ nicht erkennt, hat etwas eminent Wichtiges in der Populärmusik nicht verstanden.

Radiohead
Amnesiac

(EMI, 2001)

Artwork – Thom Yorke und Stanley Donwood

Das unter Anderem in dieser netten Form – als Büchlein + CD – veröffentlichte Album Amnesiac schwamm stilistisch sozusagen noch im Fruchtwasser des epochalen Vorgängers Kid A und wurde daher vermutlich – wie ein ungewolltes zweites Kind – als das vernachlässigte Album danach behandelt. Dabei gab es – bei Radiohead doch eigentlich selbstverständlich – auch auf diesem dritten Klassiker hintereinander wieder ein paar Veränderungen. Da war einerseits eine Rückkehr zu „kommerzielleren“ Elementen von OK Computer, aber es fand auch eine Weiterentwicklung und – Erforschung neuer Soundwelten statt. Radiohead waren von der Brit-Pop Strasse abgebogen in Richtung Experiment. Aber den Pop hatten sie deswegen nicht vergessen. Wo auf Kid A manchmal das Experiment den Song überdecken wollte, traten Radiohead nun einen Schritt zurück. Vor allem insofern, als sie mit den elektronischen Sounds und Spielereiene etwas subtiler umgingen. Da sind etwa die fein arrangierte orchestrale Passagen im „Pyramid Song“ und bei „Morning Bell“, die auf Kid A undenkbar gewesen wären. Das komplette Album hat eine trügerisch sanfte und ruhige Atmosphäre, die zwar den Songreigen zusammenhält, die aber auch immer wieder klug durchbrochen wird. „Knives Out“ und „You and Who’s Army“ sind noch am nächsten an den Songs von OK Computer und waren wohl auch live schon vielfach erprobt worden. „Life in a Glasshouse“ überrascht gar mit einer taumelnden New Orleans Begräbnis Kapelle. Ja, auf Amnesiac mag es „nur“ eine Fortsetzung der Ideen von Kid A geben, aber was heißt schon „nur“ bei der (in dieser Zeit…) besten Band der Welt ? Auch diese Songs waren mit all ihren Verzierungen von großer Schönheit und Dauerhaftigkeit.

System Of A Down
Toxicity

(American, 2001)

Cover Art – Mark Wakefield. Früher mal Sänger von Linkin Park…!

Was soll man über das beste Album der einzigen „Nu Metal“ Band von Bedeutung sagen? System of a Down’s zweites Album Toxicity hat alle Stärken des Debüts – und noch eine ganze Menge mehr. SOAD sind sowieso die originellste und virtuoseste Band des unseligen Nu-Metal Genres, eines Genres in das sie letztlich auch nicht wirklich passten, das für sie viel zu eng war. Sie hatten nach ihrem Debüt drei Jahre lang exzessiv getourt, um im Anschluss mit Toxicity alle Vorgaben ihres schon großen ersten Albums zu überbieten. Sie wurden einerseits kommerzieller indem sie noch mehr Melodik in ihre halsbrecherischen Songs einfließen ließen – ja sie hatten mit dem wundervollen „Aerials“ sogar so etwas wie eine Ballade dabei, aber selbst die war so abgefahren und geschmackvoll zugleich, dass da nicht der geringste Verdacht an Ausverkauf aufkommen konnte. Sie waren explizit politisch, mit Hinweisen auf ihre armenische Herkunft und mit der massiven Anklage gegen den Völkermord an ihren Vorfahren in der Türkei – aber auch das kam nie oberlehrerhaft ‚rüber. Der Spaß und das Engagement für die eigene Musik – auch an den eigenen Musiktraditionen, die man in den Harmonien ihrer Songs immer wiederfindet – bleibt immer Hauptbestandteil ihrer Musik. Und selbst die chaotischsten Stücke sind immer noch catchy, klingen wie eine Symbiose aus Zappa und Slayer unter armenischer Flagge, und genau dadurch sind SOAD immer und vor allem Sie selbst geblieben…und „Chop Suey“ ist einer der beste „Metal“ Hits aller Zeiten. Toxicity ist eigenständiger Metal der besten Sorte, das Einzige, was man SOD vorwerfen kann, ist dass sie in manchmal fast ZU perfekt sind.

Unwound
Leaves Turn Inside You

(Matador, 2001)

Layout – Pat Castaldo

Das Trio Unwound aus Olympia, Washington hatte in den Jahren zuvor mit intelligentem Hardcore geglänzt, war aber unter all den Grunge Bands jener Tage begraben worden. 1997 beschlossen sie in ihrer Heimatstadt ein eigenes Studio unter dem Namen Magrecone einzurichten und ihr nächstes Album selber zu produzieren. So ein Entschluss kann fatale Folgen haben, wenn die Band sich in den Möglichkeiten eines eigenen Studios verzettelt – und der Gedanke, dass das jetzt passiert war, lag eingedenk der drei-jährigen Dauer der Aufnahmen nahe. Aber Leaves Turn Inside You ist ein Beweis dafür, dass so etwas auch gut gehen kann: Ja – das Album ist mit 74:38 Minuten sehr lang, und ja – die Band hatte sich verändert, war experimentell geworden. Aber nicht zu ihrem Schaden. Die Beschreibung „If Radiohead had a baby with Sonic Youth and Slint was somewhere in the family tree“ ist so lang und albern wie passend – nicht nur bezüglich der Stilistik, sondern auch qualitativ. Leaves Turn Inside You ist der ultimative Soundtrack für einen kalten, grauen Tag, Frontmann Justin Trosper singt über gefrorene Sommertage, über Dämonen, Geister und eine Zukunft ohne Hoffnung. Aber die musikalische Ausführung ist mitnichten eintönig: Das atmosphärische „One Lick Less“ paart Hardcore mit My Bloody Valentine, “October All Over“ kommt mit Trosper’s leierndem Gesang über einem seltsam schrägen Riff in anderer Tonart daher – ein für Unwound charakteristischer Zug. Zentrales Stück ist das epische 9+ Minuten Monster „Terminus“. Da nutzen sie das eigene Studio und die unbegrenzten Zeitressourcen wirklich aus – mit einer dreiteiligen Suite bestehend aus einem ihrer typischen gitarren-getriebenen Vocal-Parts, einer Godspeed You! Black Emperor- artigen Orchester-Sektion und einem kreiselndem Gitarre/ Keyboard Instrumental. Leaves Turn Inside You ist das Unwound-Äquivalent zu Fugazi’s The Argument. Eine experimentelle Hardcore-Platte mit String Section, Mellotron und Spoken Word Passagen. Die 78 Minuten sind harter Stoff, aber es lohnt sich, das komplette Werk durchzuhören – mehrmals – Es ist in vieler Hinsicht einzigartig geblieben – und einziger Konkurrent 2001 war …

Fugazi
The Argument

(Dischord, 2001)

Cover Design. Fugazi und Jem Cohen, Designer und Filmemacher

… ein Album, das man als Abbey Road des Punkrock bezeichnen könnte. Na ja, sobald eine Band bislang unübliche Melodik in ihre Musik einfließen lässt, werden die Beatles als Vergleich herangezogen. Es war jedenfalls ein langer Weg vom Straight Edge Hardcore von Fugazi’s Debüts bis hierhin. Wobei – auf The Argument gibt es beileibe keinen Softcore oder dergleichen zu hören. Wie die meisten großen Alben verweigert sich auch dieses der Schubladisierung, und das, obwohl im selben (Inner Ear-) Studio mit denselben Leuten aufgenommen wurde, wie bei den vorherigen Alben. Fugazi’s Sound verbindet nun Schönheit und Noise, sie schaffen es Musik zu machen, die melodisch und zugänglich, zugleich dicht und herausfordernd ist. Ein Kontrast, den man wunderbar bei „Full Disclosure“ präsentiert bekommt – wenn weibliche Backing Vocals den Chorus so wunderbar catchy und fröhlich klingen lassen, dann der Rest des Songs jedoch in kreischendem, atonalen Gitarrenlärm versinkt. „Cashout“ erinnert an die alten Fugazi, die zwar auch schon immer ihren eigene Identität hatten, die aber manches Experiment, das hier vorkommt, nicht gewagt hätten. So spielt nun meist der zweite Drummer/ Percussionist Jerry Busher mit, so werden fast alle Songs um Sounds von Piano, Cello, sogar akustischer Gitarre ergänzt. Das brilliante „Strangelight“ wird mit Piano und Cello ausgestattet, die am Ende des Songs ein Riff solange wiederholen, bis es zu einer abstrakten Form zu mutieren scheint – was noch ? Ian MacKaye’s raues Geschrei wird auf diesem Album tatsächlich zu Gesang, Guy klingt so sexy wie immer, es gibt bei jedem Song eine Kombination aus Experiment und regelrechtem Pop, The Argument ist der Schritt einer reifen Band heraus aus ihrer comfort zone in neues Territorium – und die Tatsache, dass sie dabei weder an Kraft noch an Glaubwürdigkeit einbüßten, spricht für sie.

Microphones
Glow, Pt. 2

(K, 2001)

Artwork – Leo Visser

1998 Haben Neutral Milk Hotel mit In the Aeroplane Over the Sea schon einmal so etwas geschafft: Ein Album, das LoFi sein müsste, dafür aber viel zu viele Ideen und Soundschichten aufbietet, eines, das ohne Hype zum Meisterwerk wurde, eines, das sich ein Eigenbrötler ausdenkt, der anscheinend nur seine eigene Vision verfolgt, ohne sich darum zu kümmern, ob ihm jemand folgen will. Auch The Glow, Pt 2 hört sich an, als wäre es völlig aus Zeit und Raum gefallen. Es ist ein Album, das irgendwann entstehen musste. The Microphones waren Phil Elvrum, ein Musiker aus Olympia, Washington (… wo auch Unwound herkommen…), der sich in den Jahren zuvor in der Indie Szene seiner Stadt auch als Produzent einen Namen gemacht hatte + wechselnde Begleiter. Unter diesem Namen hatte er schon zwei feine LoFi Alben gemacht, aber für The Glow , Pt. 2 packte er all seine Fähigkeiten und Ideen auf ein 70-minütiges Album. Es gibt keine klar voneinander getrennten Songs, die übliche Verse/Chorus Struktur ist nur Option, das Album ist unterlegt vom Rauschen der Tapes, dazu erklingen simple, übereinandergelegte akustische Gitarren, donnernde Drums, Noise – Ausbrüche, Elvrum’s sanfter, authentischer Gesang, der mal verzerrt, mal gedoppelt wird. Kleine und große Sound-Gadgets wie Steel Drums bei „The Gleam Pt. 2“ zeigen Elvrum’s Ideenreichtum, dann lärmt es wie bei einer Black Metal Kapelle über Folk-Melodien und Texten, die vom Werden und Vergehen des Menschen und der Liebe handeln. Da wird im Titelsong mit dem Suizid kokettiert, wenn Elvrum singt: „I faced death / I went in with my arms swinging / But I heard my own breath / I had to face that I’m still living“ oder beim folkigen „I Felt Your Shape“ über die zu große Nähe zum Partner philosophiert, die dann zur Trennung führt. Und all das wird immer wieder ins Verhältnis zur Größe und Schönheit der Natur gesetzt. Es gibt wunderschöne Passagen, dann wieder bricht ein Gewittersturm aus Lärm los, aber all das geht organisch ineinander über, und man will das Album in einem Stück hören, um dann erschöpft zu Boden zu sinken. Eigentlich ist eine genaue Beschreibung von The Glow, Pt. 2 unmöglich, weil das Album für einfache Worte zu komplex ist. Ganz passen schien mir folgender Vergleich – The Glow Pt 2 ist Henry David Thoreau’s Walden übersetzt in Indie-Rock. Oder ich zitiere die Lyrics zu „The Moon“: „And, like the moon, my chest was full because we both knew / We’re just floating in space over molten rock / And we felt safe and we discovered that our skin is soft / There’s nothing left except certain death / And that was comforting at night out under the moon

Gillian Welch
Time (The Revelator)

(Acony, 2001)

Foto – Mark Seliger. U.a. auch Bon Jovi…

Gillian Welch macht (mit ihrem Partner Dave Rawlings) in schöner regelmäßigkeit Alben mit einer Art von Musik, die gänzlich aus der Zeit zu fallen scheint – oder ihre Zeitlosigkeit ständig neu beweist. Denn was bedeuten Country und (Apallachian) Folk in dieser Zeit noch? Sie hatte 2000 beim Soundtrack zum Coen Brothers Film O Brother, Where Art Thou? mitgewirkt, sie waren sowas wie der hoffnungsvolle Nachwuchs der progressiven Country-Szene und sie hatte mit ihren ersten beiden Alben der US Folksmusic einen Energieschub verpasst. Ihre Songs klangen immer uralt, zeitlos und neu in Einem. Auf Time (The Revelator) wurden diese Stories nur mit Banjo, Dobro, Gitarre und Gesang vorgetragen – so sparsam, dass jeder Knochen sichtbar wurde. Und so hört man jede feinziselierte Gesangsharmonie, so hört man den Virtuosen Dave Rawlings, dessen Können aber nie zum Selbstzweck wird – und so bleiben diese Songs und ihre Texte auf sich selbst konzentriert. Die Beiden wurden 2001 mit Nominierungen bepflastert – bekamen aber keinen Preis, weil Dylan oder Buddy & Julie Miller oder Dobro-Legende Jerry Douglas vorgezogen wurden… Aber was soll’s. Das Einzige, was man Time (The Revelator) vorwerfen kann, ist, dass es ZU geschmackvoll, in seiner eleganten Sparsamkeit ZU schön ist… was ja eigentlich nicht schlecht sein kann… Und dann diese Songs: Schon die einsame Ballade „Revelator“ als Opener – von Welch allein gesungen – mit einer Ergebenheit, die Weisheit wird. Die Ruhe und Abgeklärtheit, die manchmal tiefste Gefühle nur mühevoll verdeckt, die Lyrics mit Bildern von weiten Landschaften, intensiven Momenten der Liebe und den für Old Time Country typischen dramatischen Ereignissen sind durchweg hörens-/lesenswert („April the 14th“ oder „Ruination Day“). Und dass sie „I Want to Sing That Rock and Roll“ im Ryman Auditorium in Nashville mitgeschnitten haben, und die Live-Situation nicht einmal auffällt, soll ein weiterer Beweis für die Klasse der beiden Musiker und ihrer Songs sein. Time (The Revelator ist weise, uralt, zugleich aktuell, wunderschön… ein perfektes Beispiel für Musik, die sich aus den Moden heraus bewegt hat. Und wer sich dann in die 14 Minuten von „I Dream a Highway“ vertieft, der findet in all den Anspielungen auf Gram und Emmylou, Cash, Dylan und die Geschichte der amerikanischen Volksmusik den tiefen Brunnen, aus dem Welch und Rawlings immer noch frisches Wasser schöpfen…. Und dass es dieses Album immer noch nicht auf Vinyl gibt, ist eine Schande.

Björk
Vespertine

(One Little Indian, 2001)

Cover – Inez van Lamsweerde & Vinoodh Matadin. Haben auch Videos für Björk gemacht

Nach dem Film „Dancer in the Dark“ – in dem sie auch die Hauptrolle gespielt hatte – und nach dem dazugehörigen bezaubernd/verstörenden Soundtrack Selmasongs war Björks viertes Studioalbum Vespertine natürlich von ihrer Arbeit an besagter Filmmusik beeinflusst – Björk und organisches künstlerisches Wachstum gehören zusammen… So gibt es auf Verspertine natürlich die vom Soundtrack bekannten verfremdete Beats, Fußstapfen im Schnee, Clicks, Flüstern und Seufzen und nur noch ab und zu tauchen Reminiszenzen an den Widescreen Sound von Post und Homogenic auf. Die neuen Songs klingen im Vergleich zu den ersten Studioalben fragil – und sind doch überraschend robust. Björk hatte wieder einmal einen abenteuerlichen Cast an Kollaborateuren zusammengerufen: Diesmal waren der UK Electronic Whizz Herbert, das kalifornische Avant-Laptop Duo Matmos und die Harfenistin Zeena Parkins dabei. Und Björk vertonte nun Poesie von E.E.Cummings‘ bei „Sun in my Mouth“ gepaart mit Glitchy Electronics und einem Chor im Hintergrund – und es entstanden Songs, die eine seltsam verwaschene Atmosphäre bekamen. Und vor und über Allem ist es auf Vespertine Björks erstaunliche Stimme, die sich auch hier perfekt in die Atmosphäre einzupassen vermag – vielleicht weil sie – obwohl ihr Gesang immer noch Gläser zerspringen lassen konnte – sich hier etwas zurücknahm, manchmal fast gebrochen klang. Beste Songs auf dem sehr einheitlichen Album herauszuheben ist schwer. „Cocoon“ und „Undo“ wären neben dem oben genannten „Sun in My Mouth“ zu nennen, aber das Album sollte unbedingt als Ganzes gehört werden. Wieder einmal hatte die Isländerin experimentiert und dabei völlig selbstverständlich ihre eigene Stimme behalten. Das Album klingt teilweise so fremd, dass man es mehrmals hören muss, aber – wie bei Radiohead – irgendwann schimmert die Schönheit durch.

Hood
Cold House

(Domino, 2001)

Cover – Stephen Royle; Drummer von Hood

Der Beginn des 21. Jahrhunderts ist eine Zeit, in der etliche Alben erscheinen, die die Sounds und das Songwriting der sogenannten „alternativen“ Rockmusik mit elektronischen Sounds incl. diversen experimentellen Spielereien, Krautrock-Anwandlungen und der Verweigerung der üblichen Spielregeln der normalen Rockmusik verbinden. Es gibt noch Bands, die eindeutig „Kategorien“ angehören (was nicht schlecht oder falsch ist…), aber es gibt auch Bands wie die Briten Hood, die sich der Kategorisierung verweigern – und das ist genauso willkommen. Insbesondere dann, wenn sie durch ihre Klasse eine eigene Nische, ihre eigene Kategorie erschaffen. Dass sie damit nicht den verdienten Mega-Erfolg haben, ändert nichts daran, dass man IMO ihre Alben kennen sollte. Hood hatten schon zu Beginn der Neunziger einen eigenwillig unentschiedenen Stil entwickelt, in dem experimenteller Rock auf seltsam ängstlichen Gesang und das kluge Spiel mit Laut/Leise Dynamik traf. Im Grunde waren sie damit schon beim Post-Rock, ehe es den Begriff gab. Auf ihrem fünften Album Cold House integrierten sie nun LoFi Elektronik auf eine Weise in ihren Sound, wie Radiohead es nicht besser machten. In der Tat sind die Vergleiche mit den ungekrönten Königen der klugen britischen Popmusik dieser Zeit nicht unpassend, obwohl Hood melancholischer, winterlicher klingen. Es gibt auch den Vergleiche Bark Psychosis meets cLOUDDEAd (von denen zwei Mitglieder hier mittun, ebenso wie MC Dose-One von den anticon-Rappern Why?), aber alle Vergleiche dienen nur der Erklärung eines Sounds, der zuletzt völlig eigenständig bleibt. Die Stimmung, die Sounds auf Cold House – Alles hier ist so kühl und veränderlich wie eine Atemwolke im Winterwind. Songs wie der Opener „They Removed All Trace That Anything Had Ever Happened Here“ oder „Branches Bare“ haben eine melancholische Ergebenheit, die seltsam tröstlich ist. Im Untergrund fließt meist ein Drone von Celli, Keyboards, weißem Rauschen dahin, der den Songs eine pastorale Ruhe verleiht. Dazu erklingen perkussive Elektronik-Sounds, die von Drummer Stephen Royle kunstvoll unterstützt werden. Minimalistische Gitarren, Keyboards, ein die Rhythmen locker unterstützender Bass, und die ängstliche Stimme von Chris Hood…

Hood
Home Is Where It Hurts EP

(Domino, 2001)

Cover – Stephen Royle – siehe oben…

Es gibt keine Band die so klingt wie Hood, und Cold House ist gemeinsam mit der etwas weniger elektronisch verzierten EP Home is Where It Hurts ihre Sternstunde. Das sah wohl auch ihr Label so, das sie jetzt auch dem US-Markt vorstellte. Leider – und wie zu erwarten – mit nur moderatem Erfolg. Um Hood kennenzulernen beginne man hier und beachte dabei ihre etlichen EP’s . Sehr gelungen ist auch ihre corporate identity mit unscharfen Polaroid-Schnappschüssen als Cover-Motiv, die sich durch ihre komplette Diskografie zieht.

Pelt
Ayahuasca

(VHF, 2001)

Cover – Keine Info’s – vermutlich von Pelt

Wenn ich den Bewertungen meiner rateyourmusic-Gemeinde trauen darf, ist Ayahuasca eines der drei „besten“ Free Folk-Alben aller Zeiten – und somit natürlich sehr speziell: Über zwei Stunden Musik, die meist auf den durchgezogenen Drones mit solch seltsamen Instrumenten wie Dulceola, Tanpura, Esraj und tibetanische Riesenklangschale basiert. Dazu dröhnt ständig die Rückkopplung einer elektrischen Gitarre über einzelnen, bis zu 25-minütigen Tracks. Also: Harter Stoff. Pelt existieren zu 2001 schon seit fast einem Jahrzehnt, Kopf des Trio’s ist der Saitenvirtuose Mike Gangloff, der hier mit Patrick Best und Jack Rose und ein paar Gästen improvisiert. Vor Allem der John Fahey-Bewunderer Jack Rose, der hier die Gitarrensounds beisteuert (… und der einige sehr beachtliche Solo-Alben gemacht hat..) steht vermutlich hinter den deutlichen Bezügen zur altehrwürdigen amerikanischen Folkmusik. Ein Track wie „The Cuckoo“ hat den Titel und das melodische Grundgerüst vom Original von Clarence Ashley aus den Zwanzigern – wird aber hier der Lyrics entblößt und als Drone in die Länge gezogen. Den Bezug zur legendären Anthology of American Folk Musik von Harry Smith aus 1952 (siehe ebenort…) – haben Pelt mit vielen Bands der Freak-Folk-Gemeinde der Jahrtausendwende gemein. Hier wird diese Musik in all ihren Facetten ausgeleuchtet – auch wenn man dadurch gezwungen ist, das Album in Portionen zu genießen. Ich will noch das nerdigen Faktenwissen ergänzen, dass „Ayahuasca“ eine Droge ist, die von den Schamanen der indigenen Bevölkerung Südamerikas benutzt wurde, um in Trance zu geraten – und nach einem Trip auf dieser Droge klingen die 10 Tracks auf der Doppel-CD auch. Das sind Free-Form Improvisationen mit Einflüssen aus indischen Ragas, aus Musik aus dem mittleren Osten und aus Apallachian Folk – und daraus machen Pelt ein dichtes, meditatives und – ich sag’s mal so -„spannendes“ Kunstwerk. Die Forschungsreise in Folk und ethnische Musik hat mehr Tiefe und klingt natürlicher, als die Versuche etlicher anderer Kollegen. Ayahuasca hat seine Position in der Welt des Free Folk nicht zufällig inne.

https://peltusa.bandcamp.com/album/ayahuasca

Stars Of The Lid
The Tired Sounds of the Stars Of The Lid

(Kranky, 2001)

Cover – Craig McCoffrey. Designer für Thrill Jockey

Mit den 00er Jahren beginnt in meinem Buch die Zeit der ausgedehnten Werke. UND 2001 ist ein Jahr der „Drones“… „Stars of the Lid“ etwa sind einerseits die Lichtpunkte, die man bei geschlossenen Augen auf der Innenseite der Augenlider zu erkennen meint…. und Stars of the Lid sind Adam Wiltzie und Brian McBride aus Austin, Texas, die unter diesem Namen seit Mitte der Neunziger mit einem Mix aus Klassikelementen, ambienthaften Drones und elektronischen Sounds eine eigenwillige und vor Allem eigenständige Musik erschaffen. Spätestens mit ihrem dritten Album The Ballasted Orchestra von 1997 waren sie wirklich spannend geworden, die beiden Nachfolger Per Aspera Ad Astra und Avec Laudenum (’98 und ’99) hatten erstaunliche Melodiebögen geboten, aber es sind die Tired Sounds…, bei denen die Ideen der beiden Musiker vollends erblühen. Diese Art von Musik „spannend“ zu nennen, würde wohl in die Irre führen – man soll mit diesen „Tired Sounds“ eher in eine Art Trance geleitet werden. Wichtig bei solcher auf durchgehaltene Klänge basierenden Musik sind die strukturellen Veränderungen – und typisch für Stars of the Lid sind die unter Allem liegenden, wunderbar warmen – „fetten“ – Soundschichten. Auf dieser Doppel-CD/ 3-fach LP hatten sie endlich die Tiefe erreicht, die für diese Musik wichtig ist – und sie begannen nun ihre Tracks mit einer größeren Anzahl von Strings, Bläsern, Piano-Chords auszubauen. Wohlgemerkt: Die zusätzlichen Elemente werden nicht etwa „aufgesetzt“ – beim „Requiem for Dying Mothers Part 1“ etwa sinken die Strings in den Drone ein, werden logischer Bestandteil des Tracks. Dadurch bleibt die Musik im Grundsatz minimalistisch, erreicht aber eine größere Tiefe. SotL’s Musik pulsiert langsam und hüllt den Hörer ein und genau das ist auch gewollt. Auf der zweiten Disc werden bei „Gasfarming“ ein paar kratzende, statische Klänge eingefügt, die die Musik schneller atmen lassen, ihr eine weitere Struktur geben – was klug ausgedacht ist, weil schon die kleinste Veränderung der Textur wie eine Erlösung wirkt. Und solche Veränderungen finden immer wieder in kleinen Dosen statt. Da basiert „Piano Aquieu“ auf einer kleinen Klavier-Melodie, auf Chords, die so lange ausklingen, dass man meint, jede Vibration verfolgen zu können. Den beiden Musiker hinter Stars of the Lid ist dafür jedes Mittel recht – ein Drone, einzelne oder multipel aufgeschichtete Instrumente – die beiden Musiker haben inzwischen alle Tricks auf Lager, um Atmosphäre und Texturen zu erschaffen, die ihre Musik – die doch so trügerisch einfach „herzustellen“ scheint – so einzigartig und charakteristisch klingen zu lässt. The Tired Sounds of the Stars of the Lid ist – bis heute – eines der besten Alben seiner Art. Perfekter Minimal Drone, um dem ganzen einen Namen zu geben.