1990 – Death bis Blasphemy – Metal Teil 1: Die bösen Frühlings-Blüten des Death Metal

Eines als Einführung: Für den Nicht-Initiierten hört sich in den extremen Bereichen des Metal vermutlich vieles ziemlich gleich an – aber für einen Inuit ist Schnee ja auch nicht gleich Schnee – es gibt Unterschiede, die man bei genauem Ansehen erkennt.

und die drei Artikel über den Metal 1990 sollen nicht nur den Metal-Eskimo ansprechen. Denn wenn man sich ernsthaft mit dieser Musik befasst, und über ihre Klischee’s hinwegsieht (bunte Gruselcover, Krümelmonstergesang etc.), bzw sie als Stilmittel akzeptiert, gewinnt sie an Reiz und macht großen Spaß. Mit dem Ende der Achtziger hatte sich die zunächst noch nachvollziehbare Doppelspitze aus britischer NWoBHM und amerikanischem Thrash-Metal weit aufgefächert. Es gab Variationen wie Speed-, Doom-, Death- Technical Death- und Technical Thrash-Metal, es gab Grindcore und Sludge und all die US-Hardcore Acts, die Metal in ihren Punk rührten… und das war nur die Spitze des Eisberges. Die Weiterentwicklung des 80er Thrash – Death Metal – war immer noch Underground. Die – fast immer – hasserfüllten Botschaften und das dazu passende finstere Getrümmer von gerade der Pubertät entwachsenen Langhaarigen wurde selbst vom Metal-Mainstream noch nicht als ernstzunehmende Musik akzeptiert. Noch war das ein Underground, der sich allerdings schon entwickelt hatte und dessen main acts inzwischen bei Labels angekommen waren (Earache und Roadrunner…), die im Laufe der kommenden Jahre mit diesen Bands zu erfolgreichen Genre-Plattenfirmen werden würden. Und diese mit dem Begriff „Death Metal“ auf einen Haufen geworfenen Bands bildeten wiederum die Speerspitzen von einzelnen Mikro-Genres – Technical Death Metal, Gore-Metal, Brutal Death, Scandinavian Death Metal, Doom Death, Sludge,… und Black Metal. So sind hier unten einige visionäre Alben vorgestellt – etliche Death Metal Alben, die den guten Ruf der jeweiligen Band zementieren werden (Death, Entombed, Atheist), Doom-Death (Paradise Lost und Winter), Sludge (EyeHateGod), Begründer des Viking Metal (Bathory) und des Black Metal (Blasphemy)… Kurz: Wir sind erkennbar mitten in einem der entscheidenden Jahre des (extremen) Metal – wobei ein weiteres Mal anzumerken ist: Es gibt auch im Metal-Kosmos damals wie heute kein Reinheitsgebot, die Grenzen sind unscharf und vieles, was Death schreit, ist auch Thrash. Manche dieser Alben mögen inzwischen unter dem immensen Haufen von Nachfolgern fast vergessen sein, aber sie haben die Zeit meist erstaunlich gut überstanden – unter anderem auch deshalb, weil neue Generationen von Metallern diesen in ihren Augen alten Kram lieben und sich auf ihn beziehen – und eigentlich genauso klingen…. Metal eben. Und weil die Auswahl und die stilistische Breite so groß ist, lies über Thrash und Anverwandtes aus 1990 in einem zweiten, über den Rest in einem dritten Kapitel

Playlist ohne Atheist. Sieh den Link dortselbst

Death
Spiritual Healing

(Under One Flag, 1990)

Artwork – Ed Repka – der auch Atheist bedient hat. Und Megadeth und Possessed und und und

Die scheinbaren Namensgeber eines ganzen Genres – Die BAND Death – war 1990 in einer Phase des Überganges. Das vorherige Album Leprosy war noch stark mit Thrash-Elementen durchsetzter Death Metal, auf Album No.3 machten sie den Schritt hin zum komplexen Technical Death Metal. Aber nicht nur daran kann man erkennen, daß Chuck Schuldiner seinerzeit die Spitze der Entwicklungen im Death Metal besetzte. Für Spritual Healing hatte der Egozentriker wieder einmal das Line Up verändert, – James Murphy war nun an der zweiten Gitarre, und Schuldiner ließ niemanden mehr in seine Vision von Metal hineinreden – was dazu führte, dass der virtuose Gitarrist Murphy bald frustriert die Band verließ, um sich Obituary (siehe unten) anzuschließen. Schuldiner’s Ego – und seine Fähigkeiten – waren allerdings so überlebensgroß, dass das sich ständig drehende Besetzungskarussell für die Musik von Death unerheblich war. Die war und blieb allein Schuldiners Werk. Auf Spiritual Healing sind einige der besten (= nachvollziehbarsten) Songs der Band versammelt: „Altering the Future“, „Low Life“ und der Titeltrack haben ihren Reiz genau dadurch. dass sie noch die Thrash-Riffs aus der Anfangszeit der Band haben, aber durch seltsame Tempowechsel und vertrackte Sequenzen aus allen alten Schemata ausbrechen. Im Vergleich zu den folgenden Alben mag Spiritual Healing immer noch unentschieden scheinen – weil es noch ein paar Konventionen gibt, u.a. weil Drummer Bill Andrews den hohen technischen Anforderungen nicht gewachsen war. Aber dieses Album ist der nächste wichtige Schritt in der Entwicklung der Band und in der Entwicklung des gesamten Genres. Zugleich aber klingen Death schon 1990 durch Schuldiner’s virtuoses Gitarrenspiel, durch den harschen Gesang, der weit vom Death Metal üblichen „Growlen“ entfernt ist und durch die eigenartigen Songstrukturen sehr eigenständig.

Atheist
Piece of Time

(Active, Rec. ’88, Rel.1990)

Artwork .- Ed Repka . der hunderte von Metal-Covern gemacht hat.

Und hier ein Album, das tatsächlich in gewisser Weise die Musik vorwegnahm, die Death ab diesem Jahr entwickelten. Das Debüt von Atheist war sogar schon 1988 aufgenommen worden, und wurde nun mit zwei Jahren Verspätung veröffentlicht. Man sollte sich also bewusst machen, dass diese Band seit ihren Anfangstagen großen Einfluß auf die Szene hatte – und dass Chuck Schuldiner sich bei Atheist mindestens ein paar Ideen holte… Piece of Time ist ein Death Metal Album mit der Ästhetik des Jazz-Rock, mit unvorhersehbaren Tempowechseln, mit nicht linearen Riff Progressionen und einer technischen Virtuosität, die bis dahin in diesem Genre, das sehr auf Effekte und Brutalität setzte, unbekannt war. Hier wurden Maßstäbe gesetzt, denen andere, genauso abenteuerlustige Bands wie Cynic, Pestilence oder eben Death (die gerade erst vergleichbar „progressiv“ wurden) erst mal gerecht werden mußten. Songs wie „Mother Man“, „Room with a View“, „On They Slay“, und „I Deny“, bei denen sich wahnsinnige Akkorde mit seltsam kargen Melodien und den gequälten Growls von Frontman Kelly Shaefer vermischten, brauchen bis heute mehrmaliges Hören, um ihre Wirkung zu entfalten. Aber dann zeigt sich die Klasse dieses Albums. Alben wie World Downfall oder Altars of Madness brachten im Death Metal Speed und Bösartigkeit ins Spiel, Atheist fügten ein enormes musikalisches Niveau hinzu und definierten so den Technical Death Metal – der dann wiederum – von Death und Cynic beispielsweise – auf ein nächstes, noch höheres Niveau gehoben wurde. Piece of Time zeigt eben auch, welchen technischen Anforderungen Musiker aus dieser Ecke gerecht werden mussten. eat this, Jazz-Snob….

Nocturnus
The Key

(Earache, 1990)

Artwork – R.P. Roberts

In diesem Jahr, in dem Chuck Schuldiners Death sich allmählich der komplizierteren „technischeren“ Variante des Death Metal zuwandten, gab es neben Atheist noch eine Band, die diesen Schritt schon hinter sich gebracht hatte, die Death Metal, Progressiven Rock und eine gewisse Jazz-Ästhetik miteinander verband. Nocturnus aus Tampa, Florida hatten als Band ebenfalls in den späten 80ern begonnen, und sie hatten schon deswegen einen eigenen Sound, weil sie mit Louis Panzer eine Keyboarder im Line-Up hatten – absolut unüblich bei Death Metal Bands zu Beginn der Neunziger. Dazu kamen bei ihnen Genre-untypische, okkulte Science Fiction Lyrics und unwahrscheinliche Tempowechsel innerhalb der Songs. The Key ist nicht weniger brutal und hart, als andere Veröffentlichungen dieses Genres, aber ihre Songs, die Melodieführung und der Sound der Band heben The Key sehr vom Rest der anderen Alben dieser Zeit ab. Technisch waren auch Nocturnus natürlich absolut auf der Höhe und in ihren Songs waren mit dämonischen Growls (von Mike Browning) und rasantem Tempo alle Trademarks des Death Metal vereint. Aber The Key ist eines der interessantesten DM-Alben dieser Zeit, weil es sich durch den technoiden Klang, durch die Keyboards und eine hohe Komplexität doch sehr von den „normalen“ Alben des Genres abhebt – so sehr, dass Nocturnus auch im Death Metal zu den Aussenseiter gezählt wurden. Schade, denn Songs wie „Lake of Fire“ oder das chaotische „Visions from Beyond the Grave“ haben die Zeit seit 1990 überraschend gut überstanden, denn sie erinnern heute tatsächlich an den chaotischen Black Metal von Bands wie Deathspell Omega – allerdings addiert um eine verborgene und somit überraschende Melodik und eine Thematik, die Black Metal Verehrer wohl eher uninteressant finden würden.

Obituary
Cause Of Death

(Roadrunner, 1990)

Artwork – Mark R. Whelan. Auch Sepultura oder Cirith Ungol oder… die Jackson 5

Weit mehr als Death stehen Obituary heute synonym für amerikanischen – genauer – für „Florida-Death Metal“. Sie hatten mit ihrem ’89er Debüt Slowly We Rot einen fundamentalen Klassiker des Genres geschaffen, und das zweite Album Cause of Death wurde um keinen Deut schlechter. Zwar war mit Alan West ihr erster Gitarrist ausgestiegen, aber der Virtuose James Murphy nahm dessen Platz gerne ein, da er neben dem egozentrischen Chuck Schuldiner bei Death keine Zukunft sah. So bekam er hier die Gelegenheit, bei einer neuen und dankbaren Band seine Ideen fließen zu lassen: Cause of Death wurde durch sein – bei Death geschultes – gewundenes Spiel einerseits und die extreme Brutalität und Schnelligkeit der Mitstreiter bei Obituary andererseits zu einer Art Hybrid aus dem Besten beider Bands. Da ist auf der einen Seite das Spiel mit Tempowechseln, da sind andererseits die extremen Growls von Sänger John Tardy, dessen Stimme völlig krank klang, und der damit Horden von jungen Männern zum Extrem-Growlen verführte. Diese extrem faulige Seite des Death Metal kannte man vom Debüt, aber Obituary gewannen durch die Kombination verrotteter Glorie mit Murphy’s abgedrehter Virtuosität bei Songs wie dem Titelstück (mit einem der besten Gitarrensoli in einem DM-Song) die entscheidende neue Dimension. Tracks wie “Find the Arise” oder “Circle of the Tyrants” wurden zu Klassikern eines ziemlich „puren“ Death Metal. Von “Body Bag” bis “Turned Inside Out“ ist hier jeder Song ein Tribut an die letzte Wahrheit: Den Tod. Cause of Death ist also ein weit „typischeres“ Death Metal Album, als Spiritual Healing, Piece of Time oder The Key..

Deicide
s/t

(Roadracer, 1990)

Um die Typologie des „Florida Death Metal“ weiter zu erforschen, muss jetzt das Debüt der bösen Buben von Deicide erwähnt werden. Die überhöhten das 1990 schon weit verbreitete Image der Gotteslästerer, der geschmacklosen Leichenfledderer in bislang unerhörte Dimensionen – und gaben damit insbesondere den vielen fundamentalistischen Konservativen in ihrem Heimatland das, wonach diese voller unterdrückter Lust verlangten. Da war (der 23-jährige) Bürgerschreck Glen Benton an vorderster Front unterwegs, dessen Texte noch blasphemischer, dessen Growls womöglich noch hasserfüllter und unappetitlicher klangen, als die vom Kollegen Tardy. Der angab wie Nichts Gutes und behauptete, seine Texte und der Metal seiner Band wäre allein seinem haßerfüllten Kopf entsprungen – und dessen äußerst satanistische Texte heutzutage – nach Black Metal – fast Standard sind. Damals immerhin weigerten sich Firmen, die Texte abzudrucken und in Schweden (?) wurde das Album komplett verboten. Was dazu führte, dass Deicide zum bestverkauften DM Album seiner Zeit wurde. Da gibt es den Opener „Lunatic Of God’s Creation“ mit den Textzeilen: Servants of death, enchanter of pain/From the land of no return, you’ll kill again/Smear the blood on the naked corpse/Manson... und der Manson am Ende dürfte alle Moralwächter in Aufruhr versetzt haben. Besser, weil ein bisschen näher am Splatter-Kino, ist „Dead By Dawn“, ganz hervorragend ist durchweg die chaotische Gitarrenarbeit der Brüder Brian und Eric Hoffman. Das Tempo ist meist aberwitzig, aber „Technical Death Metal“ ist das nicht. Es ist strukturierter, theatralischer Death Metal, und es gibt etliche Metal-Hörer, denen die ersten beiden Deicide Alben schlicht als „Kult“ gelten, weil sie in vieler Hinsicht für die „Old School“ stehen. Aber sowohl Deicide als auch Legion (92) sind erstaunlich abwechslungsreich, den Musikern fielen tolle Riffs ein, Image und Auftreten Benton’s erfüllten liebe Klischees und letztlich sind die beiden ersten Alben der Band klassischer Death Metal mit dem dazugehörigen Kick in Richtung Geschmacklosigkeit. Wer das nicht mag, wird nur wenige Alben dieses Stils goutieren.

Cannibal Corpse
Eaten Back to Life

(Metal Blade, 1990)

Vincent Locke hat den seine eigenen Eingeweide futternden Zombie gemalt. DAS ist Comic, Mutti!!!

… und wenn es um Geschmacklosigkeit geht, dann fällt im Death Metal reflexhaft der Name Cannibal Corpse. Die Band aus Buffalo gehört zumindest zu frühen Vertretern des Genres – auch wenn sie mit ihrem Gründungsjahr ’88 nicht wirklich Pioniere waren. Seit ’89 hatte die Band den Vertrag bei Metal Blade… und sich schnell den Ruf als splatternder Bürgerschreck erarbeitet. Dazu wurde der Coverzeichner Vincent Locke engagiert, der die Gore und Splatter-Texte schön comic-zeichnerisch umsetzen durfte. Dass die skandalöse Aussenwirkung komplett geplant war, kann sich jeder denken. Die Konservativen in den USA aber schäumten, alles wurde versucht, um Konzerte und Alben zu verbieten, dass der Sticke „contains lyrics that may offend“ auf das Cover musste, war den Jungs um Sänger Chris Barnes sicher lieb. Und ja -auch in Deutschland ist das Album indiziert… Wem DAS Grund genug ist, sich das Album zu beschaffen, der hört Death Metal nicht nur aus Begeisterung für musikalische Höchstleistungen. Chris Barnes klingt natürlich, als würde er seine Innereien ausbrechen. Der Sound ist dumpf, die Riffs sind gory brutal, aber sie sind nicht weltbewegend. Da sind die Lyrics tatsächlich besser: Dass sie etwa bei „Put Them to Death“ für die Todesstrafe plädierten, sollte die Reps in den USA eigentlich gefreut haben. Aber „A Skull Full of Maggots“ handelt von Maden, die sich durch einen Körper fressen, bei „Mangled“ und „Scattered Remains, Splattered Brains“ geht es um in den USA allseits beliebte Serienmörder… es ist ein blutiges Fest. Und JA – das Ganze ist infantil – was allem die Spitze nimmt. Es mag junge Menschen geben, denen dadurch geschadet werden könnte. Aber die dürfen auch keinen Zombie-Film sehen, die dürfen nur nette Computerspiele ballern, die sind beim Death Metal falsch. Eaten Back to Life ist ein gutes, kein weltbewegendes DM-Album. Cannibal Corpse wurden besser und mit The Bleeding gelang ihnen ’94 ein Klassiker. Aber da waren sie auch ein bisschen harmloser und konzentrierten sich nicht nur auf den Gore-Effekt. Und übrigens macht hier auch Deicide’s Glen Benton mit. Fein fein…

Entombed
Left Hand Path

(Earache, 1990)

Cover – Dan Seagrave… Der mit hunderten von Death und Thrash Metal Albencovern

Aber nicht nur in Florida erreichte der Death Metal 1990 seinen ersten Gipfel: Auch der Schwedischer Death Metal (es gibt den blöden Ausdruck „Elchtod“ dafür) hatte mit Left Hand Path seinen ersten Klassiker. Entombed waren aus der Urzelle Stockholmer Nihilist entstanden, deren Demo als erstes Death Metal Lebenszeichen Skandinaviens gilt, und aus deren Asche Unleashed – und eben Entombed entstand. Im Gegensatz zu den amerikanischen Bands war der Sound skandinavischer Bands „dreckiger“, „swingender“ und mehr am Rock’n’Roll orientiert. Bands wie Entombed vermischten ihr Songwriting, das an Bands wie Obituary erinnerte, mit der punkigen Härte englischer Extrem-Metal Bands wie Napalm Death. Dazu kam bei den Skandinaviern ein für DM Bands untypischer Hang zu regelrecht melodischen Passagen – vielleicht, weil alle Skandinavier ABBA mit der Muttermilch aufnehmen (?) Die Songs auf Left Hand Path waren teils schon einige Jahre alt und von ihrer Struktur recht primitiv, aber der monumentale Sound und die schiere Urgewalt mit der Songs wie „But Life Goes On“ herausgehauen wurden, machten das Album seinerzeit zu einem Ereignis in der Szene. Duale Gitarrenattacken und ein Ambientpart im Titeltrack sowie die monströsen Growls von Sänger Lars-Göran Petrov – der mit seinem kranken Organ auch John Tardy und Glen Benton Konkurrenz machen konnte – gaben der Musik der Schweden einen eigenen Anstrich und beeinflusste eine große Anzahl anderer Bands. Schwedischer Death Metal wurde zum eigenen Markenzeichen, und Entombed wurden zum ersten Vertreter dieses Mikro-Genres, ihre Kollegen Unleashed brauchten Zeit für ihr Debüt, ein paar der Beteiligten trafen sich bei Carnage und die daraus entstehenden Dismember haben dann ’91 mit Like an Everflowing Stream einen der ganz großen Klassiker des Death Metal geschaffen (Siehe Hauptartikel ’91)

Carnage
Dark Recollections

(Necrosis Rec., 1990)

Artwork – auch Dan Seagrave…

…und a propos Carnage: Deren Debütalbum Dark Recollections erschien auch noch Ende 1990 und ist die willkommen eigenständige Ergänzung zu Left Hand Path. Man muss darauf hinweisen – Dieses Debüt wurde veröffentlicht, als es Carnage nicht mehr gab. Bassist/Gitarrist Michael Amott war nach den Aufnahmen zu Dark Recollections zu den Grindcore-Meistern Carcass nach England abgewandert, Growler Matti Kärki, Gitarrist David Blomqvist und Drummer Fred Estby hatten ’89 Dismember aufgelöst und taten sich nach dem Carnage-Zwischenspiel wieder unter altem Namen zusammen (…um wie gesagt ’91 DAS Swedish Death Metal Album einzuspielen…). Dark Recollections wurde zunächst als Split-Release mit dem eher mittelmäßigen Grindcore-Album der Norweger Cadaver veröffentlicht, dann aber schnell als eigenes Werk unter das Volk gebracht, das inzwischen nach Tod und Spielen verlangte. Durchaus mit Recht, auch wenn diese verworrene Geschichte und die fehlende Live-Präsenz vielleicht größere Wertschätzung verhindert hat. Carnage hatten mit Grindcore begonnen – was man durchaus hört – ihr erstes Demo von ’89 klang wie schmutziger Sex zwischen Carcass und Entombed. Das Debütalbum bekam durch die drei Dismember-Mitglieder den seltsam melodischen Touch, der etliche Alben dieser Zeit und dieser Szene auszeichnet. Aber kein Vertun bitte: Songs wie „Torn Apart“ sind wuchtig und bluttriefend brutal. Der bei den Aufnahmen gerade mal 18-jährige Matti Kärki würde auch bei Dismember mit saftigen Growls auffallen – hier passte seine „Stimme“ perfekt in ein Bett aus verfaultem Fleisch. Und bei „Blasphemies Of The Flesh“ beeindrucken sie mit Passagen, die an die Vorblider Morbid Angel erinnern. Die satte Produktion tut ihr übriges, dieses Album beachtenswert zu machen. Und dann noch das wunderbare Artwork von Dan Seagrave, der auch Entombed und Dismember bediente. Ein weiteres unverzichtbares Death Metal Album – in diesem Buch.

Bathory
Hammerheart

(Noise, 1990)

Jetzt verlasse ich aus gegebenem Anlass die Gefilde des Todemetal: Das fünfte (!) Album der Stockholmer Bathory – Hammerheart – ist das Album, das Bands wie die albernen Muskelmänner von Manowar gerne gemacht hätten – mit klischeehaften Wikinger-Texten, mit epischen Songstrukturen und mit einer Intensität, die es zum (vor)letzten wirklich großen Werk von Bathory machen sollte. Und mit einem Konzept, das Bandkopf Quorthon zum „Miterfinder“ eines weiteren Genres (neben dem Black Metal auf den ersten drei Alben) machte. Der Viking-Metal auf Hammerheart würde in den kommenden Jahren Legionen von jungen Musikern in Skandinavien beeinflussen und er findet sich zehn Jahre später bei Bands wie den großen Moonsorrow wieder. Quothorn erwies sich hier als DER Komponist im epischen Viking-Metal, mit einer Atmosphäre die den Hörer sofort an die Ruder eines Wikingeschiffes versetzte. Das Album ist hervorragend produziert und gespielt, mit sieben klassischen Songs. „Shores in Flames“ als bombastischem Opener, dem massiven Felsklotz „Baptised in Fire and Ice“ und dem Gitarrenmonster „Father and Son“- archetypischer Viking-Metal. Man rauscht auf gleichbleibend hohem Niveau über die kalte See Skandinaviens und kein Song fällt hier ab. Quorthon mag später einige seltsame und enttäuschende Alben gemacht haben, aber nachdem er den Black Metal mit Under the Sign of the Black Mark mindestens mitdefiniert hatte, baute er sich hier – und mit dem Nachfolger Twilight of the Gods (von ’91)- ein unantastbares Denkmal. Und dass dieses Album im Zusammenhang mit Death Metal Klassikern genannt ist, soll den Liebhaber solcher Bands wie Entombed auf diesen Seitenzweig des Death Metal aufmerksam machen.

Paradise Lost
Lost Paradise

(Peaceville, 1990)

Tatsächlich eine auch von Ignoranten erkennbar andere Art von Death Metal ist die von „Doom“ beeinflusste Variante. Da gab es in England das Peaceville Label, das sich in den kommenden Jahren mit einem sehr typischen Sound (und Tempo) einen Namen machen würde, der die metallischen 90er mit Bands wie Anathema, My Dying Bride (großartig!!) und mit Paradise Lost bereicherte. Deren Debüt Lost Paradise war noch nicht der ganz große Wurf, aber es war in Vielem ziemlich einmalig. Ihr verlangsamter DM-Sound und die harschen Melodien brauchen tatsächlich Zeit, hängen zu bleiben. Die Wucht des zweiten Tracks („Feadly Inner Sense“) nach einem atmosphärischen „Intro“, ist beeindruckend, gemahnt an Kollegen wie die Grindcore Pioniere Bolt Thrower. Mit Nick Holmes hatten auch sie einen „Growler“, der einem Angst machen konnte – dessen Vocals aber trotzdem zu verstehen waren und der auch erst 19 Jahre alt war… Der Drummer vermied jedes Klischee – was Paradise Lost direkt sympathisch machte – die Riffs der Gitarristen Mackintosh und Aedy reichten von catchy über brutal bis abgefucked. Manchem Track auf diesem Album fehlt noch die Stringenz der kommenden Jahre, da wurde manchmal zusammenhanglos an der finsteren Atmosphäre gebastelt, aber wenn man die Jugend und Unerfahrenheit dieser Band berücksichtigt, dann ist Lost Paradise regelrecht bahnbrechend. Die Idee, Doom, Death Metal Growls und eine so triefende Produktion miteinander zu verbinden, war damals sehr neu. Das einzige vergleichbare Album von Celtic Frost (Into the Pandemonium) war gerade mal zwei Jahre alt. Ganz einfach: So etwas gab es noch nicht. Dass sie mit „Rotting Misery“ einen stillen Kracher dabei hatten und sich trauten, bei „Breeding Fear“ mit Kay Field eine Frauenstimme in ihre Finsternis zu lassen, zeigt vielleicht schon, wo sie mal hin gehen würden: Spätestens 1993 verließ diese Band mit Icon den Metal Richtung Gothic Rock (und wurden für mich langweilig). Ihre ersten drei Alben sind IMO klassisch.

Winter
Into Darkness

(Future Shock, 1990)

Auch das einzige komplette Album der New Yorker Band Winter, mag heute nicht mehr ganz so außergewöhnlich klingen, wie 1990. Aber zu dieser Zeit gab es zwar „Doom“-Metal, es gab Bands wie Saint Vitus und es gab Celtic Frost, die noch finsterer waren als die Klone von Black Sabbath, aber dieses Fanal der Misanthropie, Into Darkness hat mit Black Metal und Doom nur am Rande zu tun. Das hier nennt man heute vermutlich Drone/Doom Metal (wenn man in einer Schublade sucht). Das Trio aus Sänger/Gitarrist John Alman, Bassist Stephen Flam und Drummer John Goncalves verlangsamte die seinerzeit üblicherweise rasanten Gitarren und Drums des Death Metal fast bis zum Stillstand. Dazu „sang“ Alman einfach eine Oktav tiefer als der typische Death Metal Growler und die Band erzeugte mit ihrem monotonen, aber kraftvollen Sound eine klaustrophobische und seltsam kalte Atmosphäre, die den Bandnamen vollkommen rechtfertigt – und schuf damit eine avantgardistische Version des Metal, die gut in die versteckten Hinterhöfe New York’s passte, und die sie eher ans Ende einer Reihe von NY-Noise Bands stellte. Womit sie nicht nur im Cover-Designe ausserhalb der unfreiwillig komischen Grusel-Images der anderen DM Bands standen. Die acht Minuten von „Goden“ etwa klingen wie der Marsch nach Golgatha bei Eiseskälte. Von der Zeitschrift New Yorker Village Voice wurde Into Darkness bezeichnenderweise unter die zwanzig wichtigsten Hardcore-Alben der Stadt gewählt – was aus den oben genannten Gründen richtig und zugleich sehr sympathisch ist. Zwei Jahre nach seiner ersten Veröffentlichung machte Nuclear Blast das Album einem „breiteren“ Publikum zugänglich. Die drei Musiker rafften sich hier und da zu Live-Shows auf, aber Into Darkness (plus vier Jahre später die EP Eternal Frost,…) blieb ihr Vermächtnis.

Eyehategod
In the Name of Suffering

(Intellectual Convulsion, 1990)

Noch mehr dem Hardcore verschrieben, noch hässlicher und misanthroper – und damit eigentlich zwei Schritte ausserhalb der Grenzen des „Death Metal“ waren die New Orleans’er EyeHateGod. Deren Debüt In The Name of Suffering erschien erstmals 1990 auf dem kleinen französischen Label Intellectual Convulsion und brauchte dann zwei Jahre, ehe Century Media das Album der restlichen Welt vorstellen konnte. Diese Band entstand angeblich als „Prank“, ihr Sänger Mike Williams betonte seinen Hass auf seine Mitmenschen und seine schlimme Kindheit und gab sehr plakativ den Fertigen. Aber die Musik seiner Band hat ein deutlich erkennbares Konzept, scheint mir so geplant, wie das Image, das sie seither sehr erfolgreich verkauft haben. Vorbilder ihres schmierigen, dumpfen Sounds sind Bands wie Black Sabbath, die Melvins, Black Flag, Discharge, Carnivore, Flipper und Swans – und damit hat man eine ziemlich extreme, aber auch ehrenwerte Ahnengalerie. Man kann sich also über die Haltung der Musiker aufregen – oder sich an einem Sound wie delektieren, der wie fauliges Fleisch riechen würde, wenn er olfaktorische Faktoren beinhaltete. Tatsächlich begründeten EyeHateGod mit In the Name of Suffering den Sludge Metal (auch wenn der Hardcore von Flipper genauso genannt werden kann…). Sie machten hier das archetypische Sludge-Album mit zähen Tempi und plötzlich los-stopernden Passagen, mit hasserfülltem Geschrei, viel Atmosphäre und (man muss es zugeben) wenig Gewicht auf „Songwriting“. Mit bitteren und zynischen Lyrics und kreischenden Gitarren-Ausbrüchen und einem massiven Bass. Wie gesagt wurde dieses Dokument des Sludge-Metal im Jahr 1992 endlich weltweit veröffentlicht. Man kann sagen: EyeHateGod waren ihrer Zeit voraus, und sie machten noch einige sehr hässliche Alben und hatten mit Crowbar und Acid Bath sehr bald ein paar tolle Kollegen an der Seite.

Blasphemy
Fallen Angel of Doom

(Wild Rags Rec., 1990)

Und zuletzt der Blick in die Zukunft und in die Hölle: Blasphemy’s Debütalbum Fallen Angel of Doom war eine Reaktion auf die Situation, in der Metal Anfang der Neunziger war. Death Metal stand für fanatische Credibility-Wächter und Extrem-Metal Fans der ersten Stunde an der Schwelle zur Weltherrschaft – und damit vor dem Ausverkauf. Die „echten“ Fans des Genres befürchteten die „Mainstreamisierung“ ihrer Musik, und so war es logisch, dass in Kanada mit Blasphemy eine Band Erfolg hatte, die einen finsteren Primitivismus hochhielt, die technische Standards zurückbaute und darauf setzte, noch böser, kränker und teuflischer zu klingen, als ihre Vorbilder es vor ein paar Jahren getan hatten. Dass sie damit den Black Metal vorwegnahmen, der sich in ein paar Jahren etablieren würde, dürfte ihnen nicht bewusst gewesen sein, obwohl sie nicht die ersten mit dieser Haltung waren. Es gab ja schon die Brasilianer Sarcofago und natürlich die drei Alben von Bathory, aber Blasphemy sind schon Ende der 80er näher am Black Metal von Darkthrone und Burzum, als ihre anderen Zeitgenossen – und zugleich ist ihnen die Kenntnis von Thrash und Death-Metal anzuhören. Fallen Angel of Doom ist bei einer Spielzeit von gerade mal einer halben Stunde ein Album voller evil vibes, angetrieben von ratternden Drums, finsteren Gitarrenriffs, dumpfem Bassgrollen und satanistischem Gift. Der „Sänger“ kreischt nicht, wie man es im Black Metal kennenlerenen wird, er würgt und kotzt vielmehr seine hasserfüllten Botschaften aus – und dabei klingt die Band tatsächlich weit boshafter und konsequenter, als die Death Metal Bands der Stunde. Dass sie die Musik ihrer verhassten Konkurrenten verachteten, hielt Blasphemy klugerweise nicht davon ab, hin und wieder das Tempo herunterzufahren, um den einen oder anderen erkennbaren Riff (siehe etwa „Goddess of Perversity“) aus der Suppe auftauchen zu lassen. Aber dann rasen wieder Songs wie „Darkness Prevails“ los. Dabei fließt das Album erstaunlich abwechslungsreich vorbei – für diese Musik jedenfalls. Der Kult, der um Blasphemy entstand, ist massiv, Fallen Angel of Doom ist ein ökonomisch zusammengepresstes Meisterwerk voller hasserfüllter Energie, völlig konsequent und absolut unkommerziell. Der ’93er Nachfolger Gods of War konnte gar nicht so gut werden, wie dieses Album, nach einem solchen Energieschub war die Band ausgepumpt. Wie sagt man so schön in diesen Kreisen: „Raise your blood filled goat horn and drink deep