1990 – Megadeth bis Psychotic Waltz– Metal Teil 2: Von Thrash bis Technik

Die Populärmusik der frühen Neunziger hat an „Härte“ gewonnen. Acts wie die Pixies, Nirvana (NOCH keine Mega-Stars), Crossover Helden wie die Red Hot Chili Peppers oder HipHop Acts wie Public Enemy sind laut, hart, schnell, depressiv bis aggressiv – und spiegeln mit ihrer Härte den Zeitgeist wieder.

Da ist es nicht verwunderlich, dass eines der am meisten gehypten Alben des Jahres 1990 Slayer’s Seasons in the Abyss ist – der wirkliche Nachfolger zum Meilenstein Reign in Blood… dass Metallica inzwischen auf der Stufe zum Stardom stehen (und gerade das „Schwarze Album“ aufnehmen) und wirklich an Musik interessierte Indie-Kids sich jetzt auch mit Metal beschäftigt. Dazu passt, daß etliche junge Musiker den regelrecht „etablierten“ Thrash Metal via Death Metal in noch bösere Extreme führen. DAS sind die großen Innovatoren ’90 und über diese Bands und Alben habe ich in Teil 1 dieses Kapitels geschrieben – hier nun die Alben, die nicht ganz so laut „TOD!!!“ schreien, die aber auch große Klasse bieten. Und auch hier sind die Grenzen fließend. Sadus oder Demolition Hammer etwa klingen sehr nach Death Metal, dessen Einflüsse sind deutlich hörbar. Aber bestimmte Eigenarten (insbesondere der Gesang und Gitarren, die nicht tiefer gestimmt sind…) lassen sie mich in den Kontext der Thrash Metal Klassiker von Forbidden oder Megadeth stellen. Die meisten Fans harter Musik lernen gerade Death Metal Acts wie Death, Obituary oder Deicide kennen und lieben – auch weil die Musikpresse sie jetzt (be)achtet. Damit hat sich das beackerte Feld vergrößert: Es gibt Bands, die Thrash mit Speed-Metal vermischen, oder die wie Metallica mit komplexen, progressiven Strukturen hantieren und in die sehr breite Schublade passen, auf der Technical Thrash Metal steht. Und es gibt die ersten Anzeichen von „alternativem“ Metal – den sog. Groove Metal – bei dem die Musiker bald sogar kurze Haare (!) tragen. Die stilistische Breite ist enorm, und letztlich sind die Alben, die in diesem Kapiltel beschrieben werden, sich vor Allem in Klasse, Rasanz und Wucht ähnlich.

Slayer – Seasons In The Abyss
(Def American, 1990)

Von Slayer ’90 euin weterer Klassiker des Thrash Metal. In diesem Jahr das beste Album des Genre’s – weil sie hier die Extreme von Reign in Blood (86) mit modernen Mitteln wiederbeleben. und daher im Hauptartikel ausführlich beschrieben.

Megadeth
Rust In Peace

(Capitol, 1990)

Artwork – Ed Repka…

Um 1990 war der Wunder-Gitarrist und cholerische Exzentriker Dave Mustaine wahrscheinlich wieder einmal für kurze Zeit clean und hatte wieder ein neues Line-Up um sich versammelt um ein weiteres Album mit seiner Band Megadeth zu fabrizieren. Mit dem Gitarrenvirtuosen Und Ex-Cacaphony Member Marty Friedman, mit Bassist David Ellefson und Drummer Nick Menza hatte er einige der besten Leute außerhalb von Metallica um sich versammelt … und die erforderliche Tagesform für den Master-Stroke. Und so wurde aus Rust in Peace dementsprechend Megadeth’s bis heute bestes Album. Wie seine Intimfeinde von Metallica setzte Mustaine einen Akzent auf Progressiven Thrash mit komplexen Rhythmen und verspielten akustischen Parts, und konzentrierte sich auf ausgefeiltes Songwriting – mit überzeugenden Ergebnissen. Das orientalisch anmutende, epische „Hangar 18“ (über Aliens natürlich), „Holy Wars… The Punishment Due“ mit technisch extrem herausfordernden, teils akustischen Passagen, die er und Friedman anscheinend mit Links bewältigten oder der Titeltrack: All diese Songs wurden mit der hörbaren Finesse und Lust eingespielt, die auch derjenige erkennt, der sonst mit Metal nichts am Hut hat. Was auch dieses Album erstaunlich zeitlos klingen lässt. Hier konnte man sehen, was Mustaine und Megadeth hätten sein können, wäre der Kopf der Band nicht so unberechenbar. Und interessanterweise war zum Einen das Album so gut und zum Anderen Megadeth’s Stellenwert noch immer so hoch, dass das Album den verdienten kommerziellen Erfolg hatte. Ganz nebenbei: Die Coverkunst stammt – wie die von Death’s Spiritual Healing – von Ed Repka. Der hat ein komplettes Genre bedient und die Vorstellung davon, wie Metal Alben aussehen, für ganze Generationen von Metal-Fans geprägt.

Forbidden
Twisted Into Form

(Under One Flag, 1990)

Artwork – Kent Mathieu – siehe auch Artillery und Exhorder

Nach einem guten, aber auch an manch andere Szene-Größe erinnernden Debütalbum (Forbidden Evil von 1988) kamen die San Francisco-Thrasher Forbidden mit diesem sorgfältig austarierten Werk auf eine Szene, die inzwischen stark in Bewegung war. Ihr Stil; eine clevere Mixtur aus Thrash- Dynamik und melodischem und powervollen Songs war beeindruckend eigenständig und klang wunderbar – wenn man angesichts des neuen Trends Death Metal hinhören mochte. Sie erinnerten an eine Mixtur aus Helstar und Exodus, hatten in Russ Anderson einen agilen, kraftvollen Sänger, Songs und Riffs wie geschmolzenen Metall und die beliebten wechselnden Solo-Gitarren von zwei fähigen Gitarristen. Das krachende und zugleich melodiöse “Step By Step” und der abgedrehte, komplexe Titelsong zeigen alle Stärken der Band. Dazu das muskulöse und schnelle Drumming von Paul Bostaph, der sich mit Forbidden einen Namen machte und der Songs wie dem facettenreichen “Tossed Away” viel Dynamik verpasste (und dadurch bald von etlichen namhafteren Bands umworben wurde: Zwei Jahre später holten ihn sich Slayer…) Vielleicht lag es am deutlichen Überangebot an hervorragenden Thrash-Acts und an der Neuorientierung vieler Fans Richtung NOCH härterem Death Metal zu Beginn der 90er, vielleicht an fehlender „Härte“ im Vergleich zu anderen Acts – Twisted Into Form wurde 1990 weniger beachtet, als die Alben der Konkurrenten, obwohl es ist definitv eines der Alben ist, an die man sich zu Recht gerne erinnern sollte – eines das neben den Klassikern von Metallica, Slayer, Anthrax und Megadeth ohne weiteres bestehen kann.

Sadus
Swallowed in Black

(Roadracer, 1990)

Illustration – Alvin Petty

Hier ein Album, das in vieler Hinsicht als Death Metal-Album durchgehen könnte: Sadus hatten zwei Jahre zuvor mit Illusions ein sehr anspruchsvolles, gelungenes Debüt hingelegt, bei dem sie allein schon wegen ihres Gitarrensounds und ihrer wilden Aggressivität ohne Probleme neben den Alben von Atheist oder Death stehen könnten. Sadus hatten sich eingespielt, sie waren in der Bay Area-Szene legendär wegen ihrer Virtuosität, besonders Bassist Steve DiGiorgio erweckte die Begehrlichkeiten anderer Bands und fand sich 1991 im Line-Up von Death wieder. Dabei war er mit seiner eigenen Band durchaus in der Lage dagegen zu halten. Swallowed in Black hat eine bessere, klarere Produktion als das Debüt, das Zusammenspiel der Band ist traumhaft – Einzig: Große Songwriter waren sie nicht. So kann und muss man sich an den kleinen Details in den Songs delektieren: DiGiorgio’s Bass-Arbeit habe ich erwähnt. Der Mann wäre in jeder Fusion-Jazz Band erwünscht, er spielt so prägnant und aufregend, dass er die Rhythmus-Gitarren-Parts von Sänger Darren Travis überflüssig machte. Der wiederum hatte einen giftigen Sanges-Stil, den man mit Chuck Schuldiner’s harschem Kreischen vergleichen könnte. Drummer Jon Allen wird mit jedem Tempo-Wechsel, jedem Break fertig und harmoniert mit seinem Bassisten auf’s Feinste. Und dass die Gitarre von Band-Gründer Rob Moore da nicht abfällt, macht Swallowed in Black fast ZU perfekt. In seiner technischen Finesse fast anstrengend- Das Tempo bleibt grundsätzlich hoch, die Riffs sind gelungen, aber eben nicht auf dem selben Niveau wie die Virtuosität. Natürlich stechen Perlen wie „Good Rid’nz“ oder der sehr DM-hafte Opener „Black“ wegen ihrer besseren Komposition heraus. Ganz einfach: Sadus hätten sich ein-zwei schwächere Tracks sparen können, dann wäre Swallowed in Black vielleicht erfolgreicher geworden. Aber 1990 war diese Art Musik Underground – zumal wenn mit solcher Rasanz, Härte und Komplexität gespielt. Dennoch – ein tolles Album.

Demolition Hammer
Tortured Existence

(Century Media, 1990)

Cover – Vinnie Daze, auch Drummer der Band

Die New Yorker Demolition Hammer kamen mit ihrem Debüt Tortured Existence leider ca. drei Jahre zu spät auf eine Szene, die sich langsam aufzulösen begann. Gestartet waren sie ab ’88 mit diversen im Underground zirkulierenden Demo’s mit Thrash Metal in der Art, wie man ihn sich von den da gerade langsamer werdenden Slayer gewünscht hätte: Sie setzten auf Härte und ließen dafür vordergründig filigranes Gefrickel außen vor. Dabei ist es nicht so, dass Tortured Existence primitiv eingeprügelt wurde – aber Demolition Hammer spielten einen „proletarischen“ Thrash, wie man ihn aus den New Yorker Projects erwarten würde. Thrash mit ausgestrecktem Mittelfinger sozusagen. Den Gesang übernahm Bassisten Steve Reynolds – einem Front-Shouter, dessen Organ die notwendige Wut mit entsprechender Vehemenz transportierte – und teilweise durch sogenannten „Riot-Vocals“ ergänzen ließ (= Choreinsatz der ganzen Band). Die Gitarristen Derek Sykes und James Reilly waren natürlich virtuos und spielten zugleich banddienlich, und mit dem Band-Logo Zeichner und Tattoo-Künstler Vinny Daze hatten sie einen ganz hervorragenden Drummer der leider fünf Jahre später an einer Kugelfisch-Vergiftung sterben würde. Die Songs sind bei aller Urgewalt auch noch abwechslungsreich, werden immer wieder durch einfallsreiche Breaks und Soli unterbrochen und bekommen durch die dazwischen gebrüllten Riot Vocals etwas anthemisches. Dazu mindestens eigenwillige Lyrics über Umweltkatastrophen, medizinische Experimente und Seuchenausbrüche – wie es sich seit Slayer eben so gehörte. Beste Beispiele unter gleichen: „Gelid Remains“ und „Infectious Hospital Waste“. Seinerzeit mag Tortured Existence nicht den verdienten Erfolg gehabt haben – insbesondere weil Thrash im neuen Jahrzehnt regelrecht implodierte, aber über die Jahre hat die Band mit diesem und dem Nachfolge-Album zu recht einen gewissen Kult-Status erreicht – und das ist im Metal bekanntermaßen einiges wert…

Kreator
Coma of Souls

(Epic, 1990)

Artwork – Andreas Marschall, deutscher Metal-Cover Zeichner und bald auch Video-Regisseuur

Von Beginn an ist die Sprache des Thrash und Death Metal eine erstaunlich internationale: Metal kommt auf der ganzen Welt vor und Unterschiede zwischen Nordamerikanern, Briten, Bands aus Südamerika, Skandinavien, Ost- oder Westeuropa sind, was Qualität und/oder Härte angeht, nicht erkennbar. Metal – eine Musik, die eigentlich als recht konservativ gilt – ist überraschend wenig von der Herkunft ihrer Ausführenden geprägt und ihre Fans sind somit schon zu einer gewissen Weltoffenheit gezwungen. Da sind zum Beispiel die deutschen Thrasher Kreator – in der Heimat schnell respektiert und im Ausland auch bald anerkannt – und in den 80ies und frühen 90ies eine der konsistentesten Bands des Genres. All ihre Alben von Pleasure to Kill bis Coma of Souls enthalten äußerst unterhaltsamen und eigenständigen Thrash Metal. der eindeutig Kreator war und die Band in beständiger Entwicklung zeigt. Coma of Souls war die bis dahin am besten produzierte Platte der Band – sie hatten in den Jahren eine gewisse Subtilität erlernt, bombardierten den Hörer nicht mehr nur mit purer Agressivität. Hier sind sie in Topform, sie spielen variabel, mit ihren typischen, stakkatohaften Riffs und mit dem giftigen Gesang von Mille Petrozza. Die erste Hälfte des Albums enthält Killer wie „When the Sun Burns Red“, „Coma of Souls“, „People of the Lie“ und „Terror Zone“ Drummer Ventor hatte internationales Format und Petrozza zeigte, dass er neben seinen Shouter-Fähigkeiten auch ein hervorragender Gitarrist war. Extreme Aggression aus dem Vorjahr ist das einzige Album, das Coma of Souls den Platz an der Spitze der Diskographie Kreators stretig machen kann. Auf jeden Fall waren Kreator zu Beginn der Neunziger Deutschlands beste Thrasher. Und Coma of Souls ein Metal Highlight, das sich neben keinem Death- oder Thrash Album verstecken musste.

Artillery
By Inheritance

(Roadracer, 1990)

Artwork – Kent Mathieu

By Inheritance der Dänen Artillery ist das nächste Trash-Alben, das ich aus der Masse der Veröffentlichungen des Jahres 1990 herausheben muss. Bei dieser Band sind die Einflüsse sicher deutlich herauszuhören, insbesondere Iron Maiden zur Zeit von Powerslave waren durch die orientalisch anmutenden Melodiebögen und den theatralischen Vocals von Flemming Ronsdorf als Vorbilder erkennbar. Aber neben Iron Maiden hatten die Dänen eindeutig auch Metallica gehört und verstanden. Die Hardcore- Fans der Band waren nicht einverstanden mit der Richtung, die Artillery nach dem famosen, aber roheren vorherigen zweiten Album hier einschlugen (Terror Squad von ’87) und auch in der Band selber war man sich zunächst wohl nicht einig über den Kurs, aber dann wurden einige der Songs zu kleinen Klassikern. „Khomaniac“ und „Beneath the Clay (R.I.P.)“ sowie der Titeltrack sind Thrash in Perfektion, mit halsbrecherisch komplexen und zugleich eingängigen Riffs und mit ruhigeren Passagen, die für Abwechslung sorgen („Don’t Believe“). Und auch die Produktion von Fleming Rasmussen war glasklar – etwas, das seinerzeit bei den Thrash-Bands der zweiten Reihe nicht selbstverständlich war. Kurz: By Inheritance ist ein hervorragendes Album, das etwas in Vergessenheit geriet, das seinen Kult-Status aber verdient. Die Band löste sich danach auf, kehrte Jahre später wieder zurück, aber ein besseres Album gelang ihnen nicht mehr, und es hat seinen Platz hier redllich verdient, weil es auch qualitativ neben Alben wie Rust in Peace und Twisted Into Form passt.

Xentrix
For Who’s Advantage ?

(Roadracer, 1990)

artwork – Dave Higginson

Wie in den USA gab es auch für das UK so etwas wie die „Big Four of Thrash Metal“. Da waren die Fantasy-Thrasher Sabbat, die Death Metal Vorbeter Onslaught und die ziemlich Punk-nahen Sacrilege. Und da waren Xentrix. Die einzigen, die es schafften, eine Art Technical Thrash Made in UK in die neue Dekade zu tragen. Die drei oben genannten Bands hatten ihre beste Zeit zwei Jahre zuvor… und ließen dann nach. Xentrix kamen 1990 mit For Who’s Advantage daher, einem Album, dem man vorwirft, sich etwas zu sehr an Metallica’s …and Justice for All orientierten. Aber wer orientiert sich in dieser Zeit nicht an einem der Vorbilder? Zumal Xentrix ihren technisch ausgefeilten Thrash schon seit 1985 entwickelt hatten. Ihr zweites Album wurde ihr bestes und die Vergleiche mit Metallica waren zwar nicht unberechtigt, aber diese Band hatte mit dem Sänger und zweiten Gitarristen Chris Astley zwar keinen tollen Sänger – aber das war und ist im Thrash nicht unbedingt von Nachteil. Die Songs aber sind sehr catchy, haben UK-typische politische Aussagen – und auch bei dieser Band ist der Gitarrist – Kristian Havard – der Star. Wenn sie zum Abschluss des Albums „Running, White Faced, City Boy“ von Gillan covern, gibt sich der Sänger sogar Mühe, wirklich in der Melodie zu bleiben – was ihm nicht unbedingt zum Vorteil gereicht. Besser sind No-Fun Thrasher wie „Desperate Remedies“ oder der Titeltrack. Dieses Album mag nicht an die Klassiker des Thrash heranreichen, aber es ist gelungen und bietet Vieles von dem, was Thrash in dieser Zeit spannend macht. Xentrix gingen noch ’90 mit Annihilator auf Tour – aber schon ’92 war Thrash ein so alter Hut, so dass sie nach einem dritten Album aufgaben.

Pantera
Cowboys From Hell

(ATCO, 1990)

Art Direction – Bob Defrin. Ziemlich blödes Cover…

Dass die Freunde etlicher Sub-Genre’s im Metal einander nicht wirklich freundlich gesonnen sind, ist bei einer – zu dieser Zeit noch – so hermetischen Szene nicht verwunderlich: Ende der 80er ist dem Metallica-Fans Death Metal nur albernes Getue, und Grindcore sinnloses Getrümmer. Von Aussen bzw. mit zeitlichem Abstand betrachtet natürlich purer Unsinn. Zumal die Bands einander oft bewunderten. Ein neues Feindbild für viele Extrem-Metal Genießer war der „Groove-Metal“. Eigentlich nur stark rhythmusbetonter Thrash mit geshreddeten Gitarren und Hardcore Anmutung. Aber die „Erfinder“ des Sub-Genre’s waren Pantera – und die hatten zuvor neun Jahre und vier Alben lang schlechten Power- und Glam Metal gespielt. Dann wandten sie sich vom Glam ab und machten auf wilde Männer. Glaubwürdig schien das nicht. Und Credibility ist in Randgruppen enorm wichtig. Nun – 1990 waren die Grenzen zwischen Metal und dem Rest der „alternativen“ Populärmusik unscharf geworden, und Bands wie Pantera fanden neben gnädigen Metallern im Indie-Publikum dankbare Abnehmer. Zumal ihr erstes Album im neuen Stil ganz einfach ziemlich großartig ist… und genau genommen nur EINE Variante von Thrash ist. Mit Phil Anselmo hatten die Texaner einen Henry Rollins-Anbeter, der sich in besonders aggressiver Vokal-Gymnastik übte und in Darrell Lance Abbott aka Diamond Darrell eine Gitarristen, der technisch so sehr auf der Höhe war, dass er auf Cowboys From Hell tatsächlich einen eigenen Gitarren-Stil kreierte. „The art of shredding“ ist ein eigenes Kapitel wert und die Tatsache, dass der Mann 2004 bei einem Konzert erschossen wurde, trug zur Legendenbildung bei. Er vermochte wunderbar orientalisch anmutende Soli zu spielen, um Sekunden später roh über die Saiten zu schrubben, während sein Bruder Vinnie Paul und Bassist Rex einen äußerst mitreissenden Rhythmus erzeugten. Hier wurde in Songs wie „Psycho Holiday“, beim sieben-minütigen „Cemetary Gates“, dem Titeltrack oder auf „The Art of Shredding“ Thrash wieder zu Hardcore, während man – wenn man hinhört – tatsächlich noch Glitter aus Glam Tagen durch die Melodien tanzen sieht. Pantera haben danach noch drei wirklich gute Alben gemacht, aber Cowboys from Hell definierte Groove Metal perfekt. Dass Phil Anselmo sich später erst mit Harter Typ/White Power Aussagen und dann mit weinerlichem Getue diskreditierte, soll die Qualitäten der vier Alben bis ’96 nicht mindern.

Exhorder
Slaughter in the Vatican

(Roadrunner, 1990)

Artwork – Kent Mathieu – s.a. Forbidden oder Artillery

…aber wer eine Band mit ähnlichem Sound, aber glaubwürdigeren Charakteren haben wollte, der musste nicht weit suchen: Exhorder aus New Orleans hatten sich nicht mit schlechten Alben und Image-Wechsel versündigt und starteten ihre – kurze – Karriere mit einem hochklassigen, von Metal-Spezialisten Scott Burns fett produzierte Debüt, das (damals) ob seines Artwork’s/Titels tatsächlich diverse Moralwächter auf die Barrikaden rief. Und wer sich – wie die meisten Musiker – nicht um Stilistik schert, wird in diesem enorm brutalen Album hören, wie Thrash, Death und Groove zusammenfließen. Sänger Kyle Thomas hat tatsächlich eine mit Phil Anselmo vergleichbare Art zu bellen. Aber mit Chris Nail hatten Exhorder einen weit einfallsreicheren Drummer und sie hatten die weit härteren Tracks. Die sind mitunter so hart, dass man im Geschützdonner untergeht. Dabei sind Songs wie „Exhorder“ (…schön, wenn eine Metal-Band einen Song zum Bandnamen macht…) oder „Legions of Death“ sogar besser, als das, was Pantera auf Cowboys From Hell boten. Letzterer beeindruckt mit komplexen Tempowechseln, bei „Desecrator“ werden sie zur Death Metal Maschine mit Sänger, der eben nicht „growlt“, „Anal Lust“ ist so schnell wie unmoralisch, auf diesem Album ist schlicht kein schlechter Track, das sind 41 Minuten perfekter Thrash/Death mit allen Konsequenzen. Man sagt, Exhorder sind die bessere Alternative zu Pantera: Der Vergleich hat dieser Band nicht gut getan. Beide Bands waren miteinander befreundet, aber Exhorder waren bei einem kleinen Label, Pantera bei Atlantic. Und sein Debüt Slaughter in the Vatican zu nennen, war in den USA 1990 wie angedeutet sicher kein betriebswirtschaflich durchdachter Move – brachte aber ein mehr an Credibility. Schade, dass sie mit dem Nachfolger The Law ihren Kollegen noch näher rückten… aber das war wohl auch nicht der Karriereplanung geschuldet, sondern kam aus dem Bauch.

Annihilator
Never Neverland

(Roadracer, 1990)

Artwork – Nick Gilman

Hier wiederum ist ein Beispiel für die Verbindung aus Thrash und Old School Heavy Metal – wobei hier die Vision eines einzelnen Mannes zu einem sehr eigenen Ergebnis führte. Schon ’89 waren die Kanadier Annihilator mit ihrem Album Alice in Hell Grenzgänger zwischen Thrash und Heavy Metal – und schon da hatte ihr Kopf Jeff Waters den Kurs, die Songs, den Sound, das Konzept seiner Band quasi allein bestimmt. Das ging soweit, dass der in den Credits als zweiter Gitarrist genannte Anthony Greenham keinen Ton spielen durfte. Für das zweite Album wurde der Sänger ausgetauscht, mit Coburn Pharr ein klassischer Metal-Vokalist ans Mikro geholt, der mit klarer Stimme genausogut singen konnte, wie er den Thrash-Shouter geben konnte. Aber Star der Veranstaltung war der Gitarrist, waren vor Allem seine sehr ausgefeilten Songs. Die ersten fünf Tracks auf Seite 1 der LP sind fehlerlos. Teils nah am modernen, technoiden Thrash, aber zugleich vollgestopft mit Riffs, feurigen Soli, klugen Lyrics – und können es so mit dem Besten von Metallica aufnehmen, sind eigentlich nur wegen des Sängers und des etwas gebremsten Tempo’s näher am „normalen“ Metal (was ja nichts Schlechtes ist) Man MUSS sich „Sixes and Sevens“ anhören, das Gitarrensolo im Mittelteil allein ließ Kirk Hammett und Dave Mustaine vermutlich erblassen. Dass dieser Song dann auch noch Härte und Melodik perfekt verbindet, macht ihn unschlagbar. Selbst im etwas schwächeren „Stonewall“ vermeiden die ruhigeren Passagen jedes Klischee. Dass der Titeltrack zugleich Hymne und Thrash-Brecher ist, macht Never Neverland zu einem weiteren 1990er Klassiker. Oder der Opener von Seite 2 – „Imperiled Eyes“ – mit rasenden Thrash Passagen, abgedrehten Gitarren-Effekten, einem entfesselten Coburn Pharr, einer Dynamik, die man sich für die Thrash-Acts wünscht, die sich nur auf schnell und noch schneller konzentrierten. Never Neverland mag von Dogmatikern als „nicht Thrash genug“ bezeichnet werden – aber solche Selbst-Beschränkungen vermeidet, wer dies liest…

Realm
Suiciety

(Roadracer, 1990)

Cover – Peter Hedman

Dass diese Band aus Milwaukee nie den Sprung in die erste Liga des Thrash schaffte, ist eine der traurigen Geschichten des Metal. Sogar der Kult-Faktor blieb ihnen verwehrt, und ihre beiden Alben wurden nur von Kennern der Materie gesucht – und sind heute nur für viel Geld auf den entsprechenden Plattformen zu finden. Ihr ’88er Album Endless War ist ein veritables Meisterstück. Mit ihrem zweiten Album Suiciety bleiben sie auf dem Feld, das ihnen auch bisher nicht mehr als Ruhm und Ehre gebracht hatte. Die beiden Gitarristen Paul Laganowski und Takis Kinis hatten mit Mark Antoni einen Sänger dabei, der sowohl in den hohen Speed Metal-Lagen klar kam – manches Mal sogar klang, wie Geddy Lee von Rush – der aber auch den harschen Thrash Shouter geben konnte. Dazu wickelte die Band selbst eingängigste Passagen immer wieder um technoide Ausbrüche a la Watchtower und Fates Warning. Das macht Tracks wie „Brainchild“ wahlweise abwechslungsreich oder chaotisch. Das ist wohl das Problem, mit dem sich einige Technical Thrash Bands herumschlagen mussten. Es mag sehr viel Können und Ideenreichtum in den Tracks stecken, ihnen zu folgen aber erfordert eine Konzentration, die nicht jeder aufbringen will. Zumal wenn die Musiker keine Ohrwürmer in petto haben wie Metallica oder Annihilator etwa. Das bedeutet dann, dass man sich Tracks wie „La Flamme’s Theory“ oder den epischen Titeltrack mindestens zweimal genau anhören muss. Das aber lohnt sich, denn wenn es geklickt hat ist man Haken einer Band, die ähnlich einzigartig ist, wie….

Psychotic Waltz
A Social Grace

(Rising Sun, 1990)

Artwork – Mike Clift. Hat fast nur Cover für Psychotic Waltz gezeichnet.

Die Art progressive Thrash wiederum, die Psychotic Waltz auf ihrem Debüt A Social Grace kreierten ist bis heute einzigartig geblieben. Nur Fate’s Warning kamen ihnen zu Beginn ihrer Karriere stilistisch nahe, aber die Band um den genialen, durch seinen „high pitched“ Gesang polarisiernden Buddy Lackey spielte eine äußerst eigenständige Art Hippie Metal, der durch komplexes, orientalisch anmutendes Songwriting geprägt war, der überraschende Tempowechsel bot, teils ziemlich thrashige Passagen hatte, die sich mit akustischen Zwischenspielen abwechselten. Die Gitarristen Brian McAlpin und Dan Rock kreierten enorm komplexe Riff-Gewitter, die ab und zu durchaus catchy sein konnten. Ungewöhnlich ist beispielsweise die von Jethro Tull beeinflusste Ballade „Remember“, natürlich mit einem Querflötensolo vom Multi-Instrumentalisten Lackey, da gibt es das atmosphärische „Sleeping Dogs“, das schon auf die späteren, etwas weniger thrashigen Alben verweist, oder das auf einer monströsen Basslinie basierende „Spiral Tower“. Das Album ging 1990 trotz guter Kritiken unter wie ein Stein – sicher auch weil Psychotc Waltz mit Rising Sun nicht das größte Label hinter sich hatten. Aber diese Band schuf trotz anhaltender Erfolglosigkeit noch drei weitere hervorragenden Prog-Metal Alben. Im Laufe der Zeit fiel ihnen aufgrund ihrer Einzigartigkeit zu Recht der im Metal so beliebte KVLT-Status zu. Das heißt: A Social Grace ist ziemlich speziell…