1999 – Pavement bis American Football – Gimme even more US-Indie-Rock

Und wieder: Es gibt dieses tolle Buch von Andrew Earles mit dem von der Band Sebadoh entliehenem Songtitel „Gimme Indie Rock“. In dem werden 500 Alben von teils auch hier genannten US-(!) Bands aus der Zeit von 81 bis 96 als wichtige Beispiele für den extrem heterogenen (Stil)-Begriff „Indie Rock“ vorgestellt.

Nun – Indie Rock hört 1996 nicht auf zu existieren. Es geht weiter, viele der in diesem Buch genannten Bands machen auch ’99 noch tolle Alben. Manche werden erst nach ’96 wirklich toll, manche Bands/Alben, die ich hier nenne, wären in einer Erweiterung von Gimme Indie Rock dabei (vermute ich…). Also – ich setze das Buch hier gewissermaßen fort, halte mich sogar an die mindestens seit der Mitte der 90er unerhebliche und unnötige geografische Beschränkung auf Bands aus den USA – obwohl Indie Rock inzwischen ein weltweit verbreiteter Begriff für eine Art von Musik ist, die sich in Europa und den USA kaum mehr unterscheidet. Britische, niederländische, deutsche „Indie Bands“ klingen nicht undedingt anders als ihre Freunde/Tour-Kollegen aus den USA. Immerhin GIBT es ein paar stilistische Facetten, die typisch US-Indie Rock sind. Da ist ein Psychedelic-Einfluss den viele US-Bands haben, der in Europa zumindest anders klingt. Da ist die US- Hardcore-Punk Historie und deren Einflüsse, den viele europäische Indie-Bands nicht haben… die wurzeln eher im UK-Punk – der aber wiederum den US-Hardcore beeinflusst hat. Inzwischen ist (populäre) Musik aber internationaler geworden, als zu Beginn der 80er. Die weltweit vernetzten Handelswege, die es spätestens seit dem Ende der 80er leicht gemacht haben, sich in Europa mit Musik aus den USA zu versorgen und von ihr beeinflussen zu lassen. Immerhin – umgekehrt ist es tatsächlich schwieriger: In den USA sind viele in den 80er/90ern erfolgreiche europäische/britische „Indie“ Bands unbekannt geblieben. Die USA sind und bleiben ein Land der Ignoranz und wenn eine Band/ein Album keinen großen kommerziellen Erfolg verspricht, wird sie nicht dem Publikum in den USA angeboten. Aber – das inzwischen wichtige WorldWideWeb kennt keine Grenzen man kann als junger Mensch in den USA auch obskurere – weil in Plattenläden kaum auffindbare – Alben von Bands wie dEUS, Hood oder Tocotronic zumindest kennenlernen. Aber – das Feld in den USA ist auch reich bestellt. Etliche hier genannte Indie Bands haben lange Karrieren hinter sich, sind aber immer noch enorm spannend. Manche haben nach dem Durchbruch von Nirvana (’91) verdiente Aufmerksamkeit erlangt… Und es gibt umgekehrt auch viele, die in Europa unbekannt und obskur bleiben werden, obwohl sie mehr Aufmerksamkeit verdient hätten… Dafür ist dieses Buch da. Und weil der Begriff Indie Rock sehr beliebig ist, wird so manches ’99er Album, das man Indie Rock nennen kann an anderer Stelle unter anderer Überschrift stehen…

https://music.apple.com/de/playlist/der-gro%C3%9Fe-rockhaus-1999-gimme-indie-rock/pl.u-xlyNq9Nska7bN8Y

The Flaming Lips – The Soft Bulletin
(Warner Bros., 1999)

Das beste Album einer Band, die im Buch Gimme Indie Rock genannt, gelobt, gefeiert wird, das tatsächlich so großartig ist, dass sie im Hauptartikel ’99 ganz oben steht. Lies dort über ein Meisterwerk des US-Psychedelic-Indie Rock, und lies dort auch über…

Low – Secret Name
(Kranky, 1999)

…die ebenfalls im Buch Gimme Indie Rock stehen, die schon seit Jahren tolle Alben gemacht haben, und die vielleicht ganz gut zeigen, WIE heterogen der Begriff Indie Rock war… und ist. Hier die verlangsamte – Slow Core genannte – Version des sog. Indie Rock auf einem Meisterwerk des Jahres 1999. Lies auch darüber im Hauptartikel.

Wilco – Summer Teeth
(Nonesuch, 1999)

Und weil aller guten Dinge drei sind… hier ein im Hauptartikel ’99 gelobtes Beispiel für Indie Rock, country rooted. Aber da sind Wilco so weit vom Cowboyhut entfernt, wie die Erde vom Mond. Ein Meisterwerk, das eine weitere Facette des Indie Rock zeigt. So wie aber auch…

Pavement
Terror Twilight

(Domino, 1999)

Wenn eine Band in den 90ern für den Begriff Indie Rock stand, dann wohl Pavement. Steven Malkmus‘ Band definierte Independency, hatte laut Andrew Earles einen ähnlichen Effekt auf Indie Rock, wie Nirvana’s Nevermind. Diese Band stand mit zwei Zehen im Hardcore-Punk, mit 1 1/2 Füßen im Experiment und mit einem zusätzlichen Fuß im Pop, auch wenn man das nie so sagen durfte, als „Pop“ noch verpönt war. Aber Bandkopf Steven Malkmus hatte immer ein Händchen für tolle Melodien. Auch wenn er die dann oft zur Unkenntlichkeit verdrehte. 1999 war Pop kein Schimpfwort mehr, Indie Rock war schon fast Mainstream – und Pavement standen kurz vor dem Ende. Dass Malkmus mit dem Ende der Band nicht wartete, bis sie verwelkte, sondern noch ein wirklich gutes Album ans Ende setzte, spricht für seine Intelligenz. Terror Twilight hat noch etliche Faktoren der beiden ersten Alben, aber diese Band spielte hier so konzentriert, klang so tight, wie nie zuvor. Was seltsamerweise eigentlich dem Stil von Crooked Rain, Crooked Rain entgegensteht… und meine Vermutung bestärkt, dass das mitunter sehr lose Zusammenspiel der Musiker gewollt war. Für Terror Twilight holten sie sich den Radiohead-Produzenten Nigel Goodrich und Malkmus ließ sich von seiner Plattensammlung beeinflussen… um Musik zu machen, die sich bei allen Veränderungen immer noch nach Pavement anhörte. Dass hier viel Geld für die Produktion ausgegeben wurde, würde Malkmus später als Nachteil bezeichnen. Mir ist es egal – es passt in die Zeit, in der Indie Rock zum Mainstream geworden ist. So glänzen Songs wie der psychedelische „Folk Jam“ in bunten Farben, und das verträumte „You Are the Light“ wird hell ausgeleuchtet. Die psychedelischen Texturen klingen auf Terror Twilight tatsächlich nach Radiohead – was ja nicht schlecht ist, zumal wenn die Songs immer noch diese seltsame Drehung haben, die nur Steven Malkmus hinbekommt. Dass er sich von Dylan, Black Sabbath und Captain Beefheart beenflusst sah, mag ER erkennen. Für den Hörer klingt diese Band auch in poliertem Sound immer noch nach Pavement. Songs wie „Cream of Gold“ oder „Platform Blues“ brauchen den dritten-vierten Spin -bis man die Details kennen- und lieben gelernt hat. Es ist ein Album, das wachsen muss, weil man Pavement so nicht kannte. Ein würdiger Abschluss für eine wichtigen Phase (und Band) des Indie Rock. Am 20. November 1999 spielten Pavement ihr letztes Konzert. Danach vesammelte Malkmus die Jicks um sich – und machte weiter fantastische Musik, die aber nicht mehr so deutlich wahrgenommen wurde.

Dismemberment Plan
Emergency & I

(DeSoto, 1999)

Hier – eine von leider so sehr vielen Veröffentlichungs-Katastrophen: Emergency & I vom Washingtoner Quartett Dismemberment Plan ist ausserhalb der USA nur zu absurden Preisen zu bekommen. Deren Label DeSoto sitzt in Washington und hat scheint’s keine Kontakte nach Europa. Zwar nahmen DP dieses dritte Album für den Major Interscope auf – aber noch vor der Veröffentlichung wurden sie gedroppt, gingen mit dem fertigen Album zurück zu DeSoto – und uns entging ein Meisterwerk des intelligenten, textlich anspruchsvollen Post-Hardcore/Math Rock, sag‘ meinetwegen Indie Rock dazu… Dass hier was besonderes passiert, merkt man schon bei den ersten Takten des Openers „A Life of Possibilities“. Ein abgrundtiefer Bass, vertracktes Drumming, die Stimme von Travis Morrison, ehe dann irgendwann Jason Caddell’s Gitarre die Melodie begleitet. Die Texte sind perfekt (man sollte sie mitlesen…) behandeln das Leben eines Mitt-Zwanzigers Ende des Milleniums – und sind klar aus eigener Erfahrung geschrieben. Das ist nicht Teenage-Angst, es geht um College-Angst. Die Fehler, die man in dieser Zeit macht, in der man schockiert bemerkt, dass Alles endlich ist, dass die eigenen Fehler Konsequenzen haben. Die zu Bruch gegangenen Beziehungen, die Ziellosigkeit… genau dafür hat Morrison perfekte Worte. Dazu spielt seine Band nah an der Grenze zur Jazz-Perfektion, aber immer mit der Härte des Hardcore. Dazu Songs, die sich ein bisschen so drehen, wie man es von Pavement kennt. Tatsächlich braucht man Zeit, bis Tracks wie „Spider in the Snow“ im Ohr ankommen. Wieder als Basis ein komplexer Rhythmus, dann halb-leidenschaftsloser Gesang, dann setzt ein schwebenes Keyboard ein… Dismembement Plan sind ein traditionelles Quartett – Bass, Drums, Gitarre/Keyboards und Gesang – aber was bei ihnen herauskommt, klingt nicht nach Tradition. Selbst wenn sie für „You Are Invited“ ihr famoses Rhyrthmus-Gespann gegen eine Drum-Machine austauschen gelingt das, sind Song und Lyrics so schlau und packend, dass man zuhören muss. Emergency & I hat den seltsamen Effekt, dass es beim ersten Hören zu viel, zu gut, zu lang scheint. Das ist anstrengende Musik, die mehrfaches Hören erfordert, wie es nur wirklich lohnende Alben tun. Sucht danach, denn tatsächlich ist das Album 2023 nochmal in Europa veröffentlicht worden… teuer, aber immerhin….

Built To Spill
Keep It Like a Secret

(City Slang, 1999)

…zurück zu dem Indie Rock, den man immerhin noch irgendwann irgendwo in Europa physisch finden konnte. Die auch im Buch von Andrew Earles gelobte Band Built to Spill hatte in den 90ern mit City Slang ein deutsches Indie Label im Rücken. Man bekam ihre Alben. Und Album No. 4 Keep it Like a Secret war eine Bestätigung ihrer Klasse, ein würdiger Nachfolger zu Perfect from Now On (siehe Hautartikel ’97) – einem der großen Alben des Indie Rock. Built to Spill, das war vor Allem der Gitarrist/Sänger Songwriter Doug Martsch, der seit ein paar Jahren den Drummer Scott Plouf und den Bassisten Brett Nelson an der Seite hatte. Doug Martsch war eine Koryphäe. Ein veritabler Songwriter mit einem Ohr für eingängige Hooks, ein sehr guter Gitarrist, der sich (wie J Mascis von Dinosaur Jr…), gerne lange Gitarrensoli erlaubte… die man sich tatsächlich auch anhören konnte. UND – der Mann muss ein guter Verhandler gewesen sein: In den USA waren Built to Spill beim Major Warner Bros. – und hatten dennoch größte künstlerische Freiheit. Sicher auch, weil sie mit Perfect from Now On recht erfolgreich gewesen waren. Dennoch – das vorherige Album war Martsch zu viel gewesen. Zu lange Songs, zu durchkonstruiert. Also kam man zusammen, jammte ein paar Tage, Martsch nahm die besten Ideen aus den Jams und baute daraus einfach 10 kürzere Songs (wobei der Closer „Broken Chairs“ dennoch fast neun Minuten lang wurde… heilige Improvisationen). Der Ex-Treepeople Hardcore Gitarrist hatte immer eine Vorliebe für US-Rock Marke Boston oder Journey, Punk war also nur ein Teil seiner Genealogie. Und so ist Keep It Like a Secret manchmal erstaunlich „melodieselig“ – nenn es meinetwegen cheesy – aber das war der Stil dieser Band, ja – eigentlich ihr Geheimnis. Manche Songs wie „You Were Right“ sind regelrecht majestätisch in einem Voranschreiten, gegen das dann Martsch’s jammrige Stime steht. Das mag ein Geheimnis ihres Sounds sein: Dass jede eventuell peinliche Pose gebrochen wird. Dass er es sich erlaubt, bei „Center of the Universe“ die Gitarre in den Himmel schießen zu lassen, aber dennoch in 2:40 Minuten fertig wird. Und dann bei „Carry The Zero“ zu romantischem Hardcore schlaue Zeilen singt wie „You have become/ What you thought was dumb/ A fraction of the sum!“ Auch hier: Indie Rock kommt mit Keep It Like a Secret zu einem triumphalen Schlusspunkt.

Guided By Voices
Do the Collapse

(TVT, 1999)

Die nächste Indie-Institution, die Andrew Earles in Gimme Indie Rock mit ihren ersten Alben feiert. Aber beim 12. Album der Ex-Lo-Fi Könige Guided By Voices stellte sich eine gewisse Ermüdung ein… die ungerecht war. Hätten die Mannen um den inzwischen unumstittenen Band-Kopf Robert Pollard die Songs von Do the Collapse vor fünf Jahren in Rohfassungen veröffentlicht, dann wäre die Begeisterung womöglich groß gewesen… Ach ja…. das HABEN sie ja gemacht. Aber ’94 gab es den Abschied aus Lo-Fi Heaven mit dem Meisterwerk Bee Thousand (Siehe Hauptartikel ’94) und dann ’95 mit Alien Lanes die Ankunft im bösen bösen Mainstream. Sie hatten den Lo-Fi Gedanken in den Augen der fundamentalistischen Teile der Indie Gemeinde verraten, indem sie besser produzierte Alben folgen ließen, indem Tobin Strout wegging, indem sie sauberer arbeiteten und sogar Songideen ausformulierten. Und nun wurden sie auch noch vom Power-Pop Polier-Meister Ric Ocasek produziert. Und? Ist das wirklich schlecht? Ich sage Nein. Pollard hatte immer noch und immer wieder Songs in Petto, um die man ihn beneiden musste. Wieder fasste er sich in 16 Tracks ökonimisch kurz, auch wenn er das damals auf Bee Thousand amateurhafter und kürzer und wilder gemacht hatte. Ich finde ja, dass man Musikern den Willen zur Verfeinerung und Weiterentwicklung nicht anlasten sollte. Und manche Songs – zumal wenn sie auch in Rohform schon (Power) Pop schrien – können in Politur eigentlich doch sehr schön glänzen. Das taten Tracks wie der unwiderstehliche Opener „Teenage FBI“, „Dragon’s Awake“, „Surgical „Strumpet Eye“. Und wenn GBV bei „Dragons Awake“ mit Streichern sogar in XTC-Gefilde wanderten, war das – mal ganz unvoreingenommen und ohne Blick in ihre Lo-Fi Vergangenheit – einfach nur gelungen. Und jeder, der sagt, dass „Hold On Hope“ „NUR“ eine MOR Power Ballade ist, hat weder die signifikanten Beatles-Einflüsse gehört, noch die Bizzarro Lyrics gelesen. Ja – wer ’99 noch „Gimme Indie Rock!!“ schrie, war nicht mehr jung. Aber auch der Herbst hat schöne Tage. Wie man auch sieht an…. geniales Cover übrigens.

Superchunk
Come Pick Me Up

(Merge, 1999)

Und auch Superchunk sind schon bei ihrer siebenten LP angekommen. Diese Band hat den „independent“ Gedanken tatsächlich gelebt: Mit Merge haben die beiden Köpfe der Band – Mac McCaughan und Laura Ballance – ein eigenes Label gegründet, das nicht nur Ihnen die absolute Kontrolle über die eigene Kunst gewährleistet. Auf Merge veröffentlichen ab den 90ern extrem namhafte Bands ihre Alben. Ich sag nur Lambchop, Polvo, Neutral Milk Hotel, Pram, Arcade Fire… Aber egal. Das siebte Superchunk Album Come Pick Me Up ist typisch Indie Rock ’99. Die Band hat die rauhen Kanten gebrochen (was Manche als negativen Faktor ansehen) aber ihre wirklichen Qualitäten sind immer noch da. Sie sind immer noch glaubwürdig – und werden das bis weit in die 2020er bleiben… und auch bei ihnen sind die Produktionsstandards hoch gefahren worden, McCaughan’s Stimme kommt besser zur Geltung, Bläser und Streicher kommen zum Einsatz – und jeder Lo-Fi-Ästhet möge bedenken, dass wir nicht mehr 1990 haben, dass Bands und Technik sich weiterentwickeln… müssen und sollen!! Der Noise/Power/Emo Pop der Band ändert sich nur äußerlich, die Songs aber haben immer noch unwiderstehliche Hooks. Man höre nur „Hello Hawk“: So, wie der Song arrangiert ist, hätten Superchunk das 90 nicht gekonnt. Der Song hat immer noch die Wucht und Schönheit von dereinst, ist nur eben weicher gebettet und mit effektiven Streichern verziert. Und wenn sie die Verzierungen weglassen und – wie bei „1000 Pounds“ – nur mal kurz eine Geige erklingen lassen, aber dazu Powerchords und ein kurzes und abstraktes Solo von Jim Wilbur erklingt, dann kann man doch nicht von Ausverkauf sprechen? Die Songs sind wieder auf Superchunk-Art gelungen. Ich habe mal den Vergleich mit den Pixies gehört. McCaughan’s Stimme hat nich Black Francis‘ Wahnsinn, aber die Hooks sind oft genug nah an denen der Pop-Hardcore-Spinner. Auf der zweiten LP-Seite wird das Budget anscheinend ‚runtergefahren, die Songs sind noisiger, näher am Lo-Fi. Aber Lo-Fi war sowieso nie das Ding dieser Band. Die haben immer Pop und Schönheit vorangestellt. Und inzwischen kannten sie auch mehr Variationsmöglichkeiten, als zu Beginn. Come Pick Me Up hat nicht die Kraft ihres ’94er Meisterwerkes Foolish – DAS ist eines der besten Breakup-Alben des Indie Rock. Aber es ist immer noch nah dran.

Sleater-Kinney
The Hot Rock

(Matador, 1999)

In Gimme Indie Rock feiert Andrew Earles Sleater-Kinney und ihre beiden ersten Alben sehr. Das Gitarre, Gitarre , Drums-Trio gehört zu den Eckpfeilern des Riot Grrrl Hypes (…obwohl sie erst 1994 entstand, als Riot Grrrl zum Un-Begriff wurde). 1999 ist diese Band eine feste Größe, hält voller Stolz und Macht die Fahne des selbstbewussten, virtuosen, unverbogenen, feministischen Indie Rock hoch. Und hat sich von Album zu Album gesteigert. Auch sie lassen auf The Hot Rock – Album No.4 – vom puren Hardcore-Punk, sie haben sich seit ’94 gewandelt, vom furiosen Garagen Punk des Debüt’s zu differenzierterem, klugem Post-Hardcore-Punk. Schon durch die Twin-Gitarren sind sie ja eigenständig, aber dann gibt es da noch ihr sehr eigenes Songwriting, die schlauen Lyrics, der geteilte Gesang von Corin Tucker und Carrie Brownstein… wer diese Band nicht kennt, hat eine komplette Facette des Indie Rock verpasst. The Hot Rock ist ruhiger als die vorherigen Alben, die Songs sind immer noch voller Energie, aber die beiden Gitarren umschlingen einander mitunter wie Efeuranken. Ein Song wie „Burn, Don’t Freeze“ ist so komplex, dabei dennoch so klar und nachvollziehhbar, wie man es nur ganz selten zu hören bekommt. Zur Zeit der Aufnahmen stand das Trio angeblich kurz davor, sich zu trennen… Gerade dieser Widerstreit im Bandgefüge mag dazu geführt haben, dass man oft meint, zwei Songs zugleich zu hören. Die Texte sind so kathartisch, wie die Musik. Es geht um Schmerz und Erlösung, darum, dass gerade die Krisen und Zerstörungen im menschlichen Leben seine Schönheit ausmachen können. Die größte Kunst ist, dass diese Band genau DAS in Musik auszudrücken vermochte. Dass sie durch ihren bass-losen Sound auch noch so klangen, wie keine andere Band, macht sie noch ungewöhnlicher. Ich will darauf hinweisen, dass es bis zu ihrer Auflösung 2005 KEIN schlechtes Album gab. Dass ihr letztes Album The Woods ein Meisterwerk ist (siehe Hauptartikel 2005…). Und ich will jeden dazu bringen, sich Tracks wie „Don’t Talk Like“ oder eine tatsächlich wunderschöne, unkitschige Ballade wie „The Size Of Our Love“ anzuhören. Ein großes Album, das zeigt, WIE toll Indie Rock war. Dass Sleater-Kinney 2014 noch mal zusammenkamen und nicht mehr auf dem Niveau weitermachten, finde ich angesichts acht fantastischer Alben unwichtig.

Le Tigre
s/t

(Mr. Lady, 1999)

Ein Thema in Andrew Earles Buch sind die Alben der Riot Grrrl’s. Bands wie Bratmobile, Team Dresch, Sleater-Kinney, Heavens to Betsy to name a few. Und eine der wichtigsten Bands aus der feministischen „Szene“ rund um Olympia/WA war Bikini Kill. Deren Kopf wiederum war Kathleen Hanna. 1997 löste das Quartett sich auf, Hanna machte unter dem Namen Julie Ruin ein Solo-Album mit tollem, elektronisch verfremdetem Punk… und holte sich zur Tour mit der Fanzine-Macherin Johanna Fateman und der Filmemacherin Sadie Benning zwei Künstlerinnen dazu, die sie unterstützen konnten. Zusammen nannte man sich Le Tigre und ging von Kill Rock Stars Records zu Kaia Wilson’s (Team Dresch…) queeren und politischen Mr. Lady Records. Le Tigre wurde – im Gegensatz zum feinen Soloalbum von Kathleen Hanna/Julie Ruin – tatsächlich recht erfolgreich…. na ja, zumindest wurde das Album wahrgenommen. Bei Bikini Kill verschwand mancher tolle Song hinter Noise und Wut. Hanna hatte inzwischen wie beschrieben elektronische Sounds entdeckt, eine gute Songwriterin war sie sowieso und schlaue Texte konnte sie auch immer noch. So mag man Le Tigre vielleicht sogar genießbarer finden, als die wunderbaren Bikini Kill Punk Brocken (sie das 1993er Riot Grrrl-Kapitel). Die Sounds klingen nach billigen Computern und Garage, die Gitarren nach Punk, die Texte sind Pamphlete – aber Kathleen Hanna hatte sich den Satz “I don’t want to be part of your revolution if I can’t dance.“ der Feministin Emma Goldman zu Herzen genommen. Der Opener des Albums „Decaptacon“ ist ein infektiöser Hit, beklagt sinnfreie Texte in der Popmusik und macht sich zugleich über diese lustig. Bei „The the Empty“ gehen sie mit stupidem reduziertem Beat und weissem Rauschen auf hohle Popstars los, für „Phanta“ verwandeln sich die drei in weibliche Kraftwerk in Disneyland. Das Album ist sehr abwechslungsreich und hat eine Menge erstaunliche Songs. „Eau d’bedroom Dancing“ sollte wirklich ein Hit sein, „Friendship Station“ klingt wie einer, den man nur gerade vergessen hat. Manchmal erinnern Le Tigre an die B 52’s, freilich mit beissenden Texten statt deren völliger Surrealität. Le Tigre ist die Neu-Erfindung des Dance Punk, wie ihn irgendwann mal Au Pairs in Englands Punk-Szene angedacht haben mögen.

Und ab jetzt: Leider suchen…

…denn die hier folgenden Bands und ihre Alben sind in Europa nur mit Mühe zu finden (was sich zwischendurch mal ändern mag…). Sie haben ähnliche Schicksale wie Dismemberment Plan’s Emergency & I, aber es lohnt, sie zu suchen oder zumindest sie irgendwo/-wie zu streamen

Lowercase
The Going Away Present

(PNMV, 1999)

…da gab es zum Beispiel Lowercase aus Palm Desert/CA. Die existierten schon seit 1993, ihr erstes Album kam ’96 heraus – Gimme Indie Rock endet thematisch genau da und Indie Rock war seitdem… etabliert? Mainstream? Nun – für Lowercase wird das nie gegolten haben. Dabei war die Musik dieses Trios um den Gitarristen, Sänger und Songwriter Imaad Wasif zu wenig radiofreundlich. Ja – Wasif hatte Songs, die durchaus auch „schön“ sind, aber Lowercase klangen immer zu düster, zu traurig, zu intensiv für den Hausgebrauch. Ihre ersten beiden Alben waren vom Dead Kennedy’s Label Amphetamine Reptile veröffentlicht worden, für The Going Away Present, ihr drittes Album, wechselten sie zum kurzlebigen Punk In My Vitamins? Label ihres Freundes Vern Rumsey – Bassist der nicht ganz unähnlichen Unwound. Imaad Wasif’s Stimme erinnert manchmal an Neil Young, die Musik schleicht oft zunächst Slowcore-mäßig dahin, nimmt dann aber Fahrt auf, wird mächtig, die drei Musiker bauen eine Welle aus Noise auf, der angenehm durchscheinend ist. Bass, Gitarre, Drums, diese Stimme, die traurige Beziehungsenden schildert. Manchmal umspielt eine Slide-Gitarre schlichte Gitarrenmuster, der Bass dröhnt und der nächste Song baut sich auf. Man muss sich The Going Away Present genau anhören, der Spannungsaufbau, die immer erwartete, manchmal aber nicht erfolgende Erlösung sind anstrengend – und wenn man nicht aufpasst, kann dieses Prinzip eintönig werden. Aber letztlich ist dieser seltsam zögerliche Hardcore sehr lohnend. Man mag versucht sein, Lowercase mit Slint, mit Unwound, mit Low, mit Duster zu vergleichen. Aber die alle hatten keinen Song wie den massiven Brocken „Floodlit“ oder den Titelsong dieses Albums. Und dass Lowercase sich mit dem Closer „This Train Will Not Stop“ fast 12 Minuten Zeit lassen, ist nur logisch. 2000 ging die Band auseinander, der sehr talentierte Mr. Wasif tat sich mit Lou Barlow bei Folk Implosion zusammen und machte ein paar Solo-Alben. Aber mit Lowercase machte er seine beste Musik.

Lungfish
The Unanimous Hour

(Dischord, 1999)

Lungfish gab es schon seit dem Ende der 80er, sie waren ewig auf dem enorm krediblen Label Dischord, sie bildeten mit Fugazi ein Fundament der wichtigen Hardcore-Punk Szene in Washington DC und ihre Alben No. 4 (Pass and Stow) und 5 (Sound In Time) werden von Andrew Earles in Gimme Indie Rock zu Recht hoch gelobt. Und natürlich machte die Band um den Poeten, Maler und Schrei-Sänger Daniel Higgs seither weiter – 1999 gab es mit The Unanimous Hour ihr achtes (und letztes wirklich tolles…) Album. Im Grunde veränderte sich ihre Musik in den Jahren seit 1991 kaum. Diese Band drehte sich wie ein Diamant im Licht, der mal so, mal so funkelt. Mal wurde Punk mehr betont, mal Hardcore, mal ihr sehr eigener Psychedelic-Ansatz herausgehoben. Und dazu schrie, zischte, gurgelte Daniel Higgs seine surrealen Bilder und Geschichten. Und in all dem waren sie eben auch wirklich GUT. Das fängt auf The Unanimous Hour schon mit der bedrohlichen „Space Orgy“ an, einer dieser typischen, finsteren Gechichten ohne Refrain, ohne Chorus. Ein apokalyptisches Gedicht über einem harten Drone. Dass Lungfish aber eben auch eine Band sind, deren Musik auch ohne Higgs‘ Texte besteht, machen sie mit dem folgenden Instrumental „Web of Mirrors“ deutlich. Mit Sean Meadows hatten sie inzwischen einen Gitarristen dabei, der bei Bands wie June of 44 und Sonora Pine post-rockige, differenziertere Töne angeschlagen hatte, der sich hier im Hardcore auslassen konnte, der aber eben auch Struktur und psychedelische Texturen in den Noise von Lungfish brachte. Eigentlich ist die Musik von Lungfish auch auf The Unanimous Hour einfach. Ein, vielleicht zwei Riffs, Higgs surreale, philosophische Texte. Aber im günstigen Fall schafft genau das einen hypnotischen Sog. Es KANN und würde bald zuviel werden. Aber bis ’99 haben Lungfish sieben Alben mit sehr eigenständigem Hardcore an der Grenze zum Psychedelic Rock gemacht. Auch hier lohnt sich die Auseinandersetzung, aber man sollte die Lyrics beachten. Dringend!!!

Sweep the Leg Johnny
Tomorrow We Will Run Faster

(Southern, 1999)

Weit weniger leicht einzuordnen – und damit durchaus in der Gimme Indie Rock Buch-Tradition – sind sicher die Chicago’er Sweep the Leg Johnny und ihr zweites Album Tomorrow We Will Run Faster . Der Namen der Band bezieht sich wohl auf irgend ein Zitat aus dem Film Karate Kid…. Die passen hier hin, weil oder obwohl sie nur im weitesten Sinne Indie Rock spielen: Die komplexe, vom Post-Hardcore, vom Post Rock, vom Jazz durchzogene Sorte. Letzteres allein schon deshalb, weil Sänger Steve Sostak ausgiebig Saxophon spielt. Aber die Rhythmen, die Gitarre von Mit-Bandgründer Chris Daly… die können definitiv in jeder Jazz-Combo mitspielen. Aber sie wollen nicht. Die Musik ist mitunter enorm hart, Bassist John Brady war zuvor bei der Screamo-Band Swing Kids – der wusste wie man einen komplexen Rhythmus in Stahl baden konnte. Dabei ist beileibe nicht alles „hart“ auf diesem Album. „Las Cruces“ hat ruhige Passagen, marschiert dann wieder geradeaus, wird immer schneller, überschlägt sich, brandet in Noise aus. Die 15 Minuten von „Rest Stop“ beginnen gar wie ein SlowCore Track – wie einer der schönen Songs von Low etwa. Aber da ist dann wieder Sostak’s Saxophon in der Melodie, und schon hinkt der Vergleich. Zumal der Track nach vier Minuten in ein abgehacktes Trümmern wandert, dann hektische Jazz Passagen durchläuft… Beeindruckend ist, wie gut sich das Saxophon in diesen Kontext einfügt und wie organisch der Sound dieser Band wirkt. Die wussten was sie taten und die abwechslungsreiche Musik ist aus einem Guss. Sie ist nur – wie gesagt – kaum kategorisierbar… was mich Tomorrow We Will Run Faster hier beschreiben lässt. Es gibt die Bezeichung Math Rock – aber dafür sind Sweep the Leg Johnny zu unakademisch. Avantgarde Rock…? Was ist das denn genau? Also sagen wir mal Indie Rock und freuen uns, dass die Schublade so geräumig ist.

Black Heart Procession
2

(Touch & Go, 1999)

Die beiden nun folgenden Alben von Black Heart Procession und Pinback kann man als Fortsetzung zu A. Earle’s Bericht über zwei Alben der San Diego-Band Three Mile Pilot sehen. Und sie sind genauso sehr oder genauso wenig Indie Rock, wie Tomorrow We Will Run Faster von Sweep the Leg Johnny. Schon Three Mile Pilot mögen Hardcore irgendwo in den Genen gehabt haben. Aber da war immer Gothic, da war immer dunkles Cabaret, man hörte (US-)Folk und Country-Spuren. Three Mile Pilot gingen auseinander, Gitarrist Pall A. Jenkins formte mit dem TMP-Keyboarder Tobias Nathaniel The Black Heart Procession – und gab der neuen Band einen programmatischen Namen. Der „Hardcore“ wurde auf seine Essenz reduziert, das erste Album war noch ein bisschen unausgegoren, aber mit The Black Heart Procession 2 war der Claim abgesteckt. Die Stimme von Jenkins ist genauso prägend, wie der ungeheuer klare Sound, bei dem man meint, die Instrumente neben sich stehen zu haben. Wie einzelne Regentropfen klingen die Saiten der Akustischen Gitarre, die Säge singt, Toy Piano und Pump Organ legen einen Teppich aus, auf dem Pal Jenkins seine Klagen ertönen lässt. Die Musik der Black Heart Procession ist ein bisschen unheimlich, ein bisschen absurd, als wolle Tom Waits seine Melancholie in Hardcore baden. „A Light So Dim“ schaukelt sich acht Minuten in betäubende Trance. Andere Tracks wie „Your Church Is Red“ und das wunderbar benannte „It’s a Crime I Never Told You About the Diamonds in Your Eyes“ sind pefekte Trauergesänge um verlorene Liebe, verlorene Freunde, Verlust jeder Art. In der Sprache des Folk, durchzogen von Gothic und dem, was man inzwischen SlowCore nennt. Diese Band ist im besten Sinne „eigen-“artig, und ja – auch The Black Heart Procession 2 ist Indie Rock. So ist das 1999.

Pinback
s/t

(Ace Fu, 1999)

Auch der Three Mile Pilot Bassist Armistead Burwell Smith IV machte in neuer Konstellation Musik. Er tat sich mit Rob Crow zusammen, einem Multi-Instrumentalisten und Ausbund an Kreativität, der ca. 15 andere Projekte nebenher betrieb und bat für das Debüt Pinback den TMP-Drummer Tom Zinser bei zwei Songs um Mitarbeit. Auch hier ist die Musik seltsam – Three Mile Pilot waren eine komische Band, eine, die befremdlich klang – und die Seltsamkeit behielten beide Projekte bei. Auch dieses Album ist sehr transparent, jedes Instrument steht sauber für sich. Aber Pinback wurden im Vergleich zu BHP eine sonnige Band. Aber man bekam das Gefühl, hier will ein Autist Pop machen. Jeder Song basiert auf fast aufdringlichen Wiederholungen. Es sind wunderbare Harmonien, da ist ein sehr sanfter Gesang, die Giterren klingeln sanft, Arnmistead Smith mag seinen Bass manchmal verzerren wie bei seiner alten Band, aber diese netten Spieldosenmelodien, die sich immer weiter drehen… Auch ein bisschen Cabaret hört man bei „Shag“ – da sind sie fast ein bisschen verwandt mit Black Heart Procession. Aber mit dem mechanischen Puls des zentralen Tracks „Loro“ gehen sie dann wirklich ins kunterbunte, zugegebenermaßen recht aufgeräumte Spielzimmer, in dem die Finsterlinge von der Schwester-Band nie spielen würden. Tatsächlich weiss ich nicht, wie weit es noch Symapthien zwischen den Ex-Three Mile Pilot Mitgliedern gab. Diese Band zerbrach an der Unfähigkeit ihres Major-Labels, sie einzuordnen und zu vermarkten. Aber Pinback und The Black Heart Procession haben viele Eigenarten ihrer Mutter-Band im Blut. Beide haben den Hardcore (der schon bei TMP gebrochen war) komplett eingedampft. Beide machen Indie Rock, wie man ihn sich erst ’99 denken konnte. Aber die Einen sind dunkel geworden, die Anderen stehen auf der hellen Seite. Schön für uns (…wenn wir das wahrnehmen…).

The Wicked Farleys
Make It It

(Big Top, 1999)

Es ist nicht unpassend, dass Clint Conley von den legendären Mission of Burma (in Gimme Indie Rock zurecht hoch gelobt…) dieses Album produziert hat. Make It It von der Bostoner Band The Wicked Farleys ist Hardcore Punk 3.1… mindestens. Und mir ist es völlig unverständlich ist, dass dieses Album z.Zt. (2022) nur bei YouTube gestreamt werden kann. Was ist da los? Dateien verloren, Label gestorben? Also kann ich nur darum bitten, nach diesem Album zu suchen, denn.. hier ist Indie Rock so gut, wie man ihne Ende der 90er hinbekommen kann. Schlaue Texte, komplexe Rhythmen, eine Virtuosität, die nicht zur Schau gestellt wird, die nicht Selbstzweck ist, ein Ethos, das Kommerzialität nicht zulässt, der aber nicht daran hindert, regelrecht „schöne“ Songs auf einem Album aus einem Guss zu versammeln. Der Gedanke, dass es solch hohe Qualität immer wieder gab und geben wird, diese aber im Orkus landet, lässt fast verzweifeln. Also hört bitte … wie sich beim Opener „Love Squats“ die Stimmen von Bandkopf Michael Brodeur und Gitarristin Vanessa Downing umeinander winden, während hektische Drums ihren Abzählreim begleiten. Dann lässt Gitarrist Rob Laasko (…Normalerweise bei den wunderbaren Swirlies) seine Metal Gitarre einbrechen und der Song bekommt eine erstaunliche Kraft. Beim folgenden „Raise Dance“ zersetzen kaputte Keyboard-Sounds einen Track von kühler Schönheit. Jeder Track hat irgendeinen Bruch, eine Verzerrung, keiner wird banal, manchmal sind die Wicked Farleys fast „melodieselig“, aber Pop hat bei ihnen immer Schlagseite. Mit mehr Feedback wären sie eine astreine Shoegaze Band. Mit weniger Punk und Experiment eine sehr gute Power Pop Band. So sind sie die Wicked Farleys. Und die Dichte an wirklich guten Songs ist überraschend, fast anstrengend – worin sie dem Dismemberment Plan ähneln. Auch Make It It ist Indie Rock in seiner modernsten Form und in erfreulicher Perfektion.

Burning Airlines
Mission: Control!

(Desoto, 1999)

Ganz gut passt hier auch die Band des Ex-Government Issues/Jawbox-Songwriters J. Robbins. Der hatte sich mit denen seit den frühen 80ern einen hervorragenden Ruf erspielt, das waren household-names im „Indie Rock“ – Sparte intelligenter Hardcore. (und beide werden im Buch von A. Earles genannt…) Nach dem letzten Jawbox-Album hatte Robbins die Burning Airlines mit seinem Kollegen Peter Moffett (dr) von G.I. gegründet und begonnen, Songs zu schreiben, aufzunehmen und das neue Album über DeSoto (siehe auch Dismemberment Plan) zu vertreiben. Mission: Control! mag als perfektes Beispiel dafür stehen, WIE sich „Indie Rock“ (…ich setze den Begriff bewusst in Anführungszeichen…) entwickelt hat. Schon Jawbox waren weit komplexer, als die schnellen Hardcore-Meister Government Issue. Die Burning Airlines sind überragend… überragend darin, wie man mit Macht Hardcore-Songs mit komplexesten Rhythmen und abgefahrenen Gitarren-Effekten ins neue Millenium schießen könnte (wenn jemand zuhören würde…) Man höre sich nur das flatternde „Flood of Foreign Capital“ an. Ist das noch Hardcore? Oder Was? Manchmal erinnern einige Tracks an kommende Emo-Bands. An die guten, die ernsthaften – an At The Drive-In (mit denen Burning Airlines bald eine Split-Single aunehmen würden). J. Robbins hatte definitiv ein Ohr für Hymnen, fast als wollen Green Day mal ihre Beatles-Vorliebe außen vor lassen. Sprich – Mission: Control! ist sehr genießbar. Bei aller Aggressivität und aller Kraft hat dieses Trio SPASS! Und ihr Hardcore/Indie Rock ist manchmal regelrecht „schön“. Das getragenen „3 Sisters“ oder Tracks 1-4 der CD/LP. Es ist genau, wie bei Dismemberment Plan oder den Wicked Farleys ein Rätsel und ein Ärgernis, dass diese Musik so unbekannt blieb. Der Trend war zwar ausgelutscht, aber es gab doch noch solche Bands…? Nach einem weiteren tollen Album kam es zum fatalen Ereignis „09/11“. Kein Club wollte mehr eine Band mit diesem Namen auftreten lassen. Tja….

American Football
s/t

(Polyvinyl, 1999)

Bei Andrew Earles kommt das (noch) nicht vor… Midwest Emo wird es genannt: Aber Emo = Emotional Hardcore hat seine „Wurzeln“ im Hardcore Punk solcher Bands wie Rites of Spring – deren einziges Album wiederum in Gimme Indie Rock als eines der wichtigsten Alben des Hardcore-Punk und seiner Kinder gelobt wird. Kann also sein, dass Earles American Football gefällt: Im Zuge des „Erfolges“ von Indie Rock hatten etliche junge Musiker und Bands die Härte des Hardcore mit expressivem Gesang und entsprechenden Texten und mit ausgeprägter Melodik verbunden. Dazu gerne das Spiel mit Dynamik und sehr oft ein fast selbstmörderischer DIY-Ethos. Was wiederum dazu führte, dass frühe Beispiele des Emotional Hardcore/Screamo kaum auf physischen Tonträgern zu finden ist… Versucht mal an Alben von Moss Icon oder Portrait of Past zu kommen… Leichter war das immerhin ’99 mit dem Debüt und lange Zeit einzigen Alben der Band American Football. Deren Zentrum war Mike Kinsella, der wiederum ’95 mit seinem Bruder und ein paar weiteren Genossen als Cap’n Jazz einen anderen Klassiker des „Midwest Emo“ gemacht hatte. Nun – American Football gilt sozusagen als DAS Midwest Emo Album. Es ist „…what Indie Rock is able to give…“ Dabei war das Trio eigentlich nur ein Nebenprojekt von Mike Kinsella, der mit dem Cap’n Jazz Drummer Steve Lamos und seinem College-Freund Steve Holmes (g) ein bisschen ‚rumjammen wollte. Was dabei dann herauskam sind dynamische Songs, virtuose Musikalität, Glaubwürdigkeit, Leidenschaft – und ein sehr feines, monochromes Album, das mit dem Emo-Pop kommender Jahre nicht viel zu tun hat. Mit Hardcore allerding auch nicht… Der Opener „Never Meant“ fließt mit Tempo voran, aber den Hals brechen sich die Musiker nicht. Das Drumming von Lamos ist virtuos, Kinsella’s Stimme ist sanft, die beiden Gitarren bstimmen den Song, das folgende „The Summer Ends“ ist fast SlowCore, „Honestly?“ bekommt ein majestätisches Instrumental-Ende, bei „For Sure“ erklingt eine getragene Trompete. Wunderbar, wie Kinsella’s und Holmes‘ Gitarren einander umspielen, stützen, begleiten. Der Sound dieses „Projektes“ ist unverwechselbar, die beim Jammen entwickelten Songs fließen dahin, die Texte sind eher kurze Gedanken, Lautmalerei, das Album hat – insbesondere weil es diesen sparsamen Sound hat – einen sehr eigenartigen und angenehmen Flow. American Football ist NICHT anstrengend, hier kann man sich in der Musik verlieren, und dass es zwei Instrumentals gibt, passt gut zum Jam-Charakter der Aufnahmen. Und was ist da Emo? Ein Songtitel wie „I’ll See You When We’re Both Not So Emotional“ erfüllt sicher Klischees, aber es ist tatsächlich ein Track voller Schönheit. Ich habe die Beschreibung gelesen: The sonic equivalent of a balmy evening outdoors spent staring into the middle distance accompanied only by your thoughts„. Dass das Album im Laufe der Zeit zum Kult-Hit und inzwischen fast zum „Klassiker“ geworden ist, ist völlig berechtigt. Sehr einzigartige Musik.