1993 – Bikini Kill bis Liz Phair – Riot Grrrl’s… und wen man dafür halten mag

Wie so oft schreibe ich über einen musikalischen Trend zu dem Zeitpunkt, an dem er sich am besten an bestimmten Alben festmachen lässt – denn mir geht es in erster Linie um die auf Tonträgern dokumentierte Musik – und nicht so sehr um das erste Mal, an dem eine bestimmte Absicht in Musik gegossen wurde.

Die Riot Grrrl Bewegung gibt es schon seit Beginn der Neunziger. ’91 haben sich etliche junge Künstlerinnen In Olympia im US-Bundesstaat Washington zusammengetan, um Kunst zu erschaffen, politisch aktiv zu sein, Musik zu machen – und um sich gegenseitig dabei zu unterstützen, in der klar männerdominierten Musik-Szene ihr eigenes Ding zu machen. Anlass ist insbesondere die Unzufriedenheit mit dem Machismo in der von ihnen geliebten Punk-Szene. Inspiriert von gerade stattfindenden anti-rassistischen Demo’s und Ausschreitungen, wird der Begriff „Girl Riot“ in das aggressiver klingende Riot Grrrl (klingt nach Knurren…) umgewandelt. Das Kollektiv veröffentlicht Fanzines, nimmt Tapes auf und arbeitet mit dem Label Kill Rock Stars zusammen, auf dem alles Geschäftliche von Frauen gemacht und organisiert wird. Die berechtigte Empörung über die Diskriminierung von Frauen im Musikbusiness ist seit Ewigkeiten virulent, aber der Einfluss des Feminismus ist im männerdominierten Geschäft immer noch (und bis heute) minimal. Von Bessie Smith über Billie Holiday, Nina Simone, Joni Mitchell, Kate Bush und Patti Smith bis zu den feministischen Punk Bands der frühen Achtziger gab es immer starke Frauen, die ihre Position zu verteidigen wussten – aber diese Künstlerinnen musste etwas erobern, was viele Männer für geschlechts-spezifische Privilegien hielten. Und das lief nach dem Prinzip zwei Schritte voran, einer zurück. Nina Simone’s Karriere war selbstbestimmter als die von Billie Holiday und Joni Mitchell war wiederum Nina Simone voraus – aber sie alle hatten Männer vor bzw. über sich. Auch Punk Bands wie die Slits oder Raincoats mussten auf Männer bei Plattenfirmen, im Mangement, als Produzenten Rücksicht nehmen – ganz zu Schweigen vom Macho-Publikum der Szene, das sie nach dem Motto Frau = Sexobjekt betrachtete. Es war einfach an der Zeit, dass eine neue Generation von Frauen den Hardcore-Punk Ethos solcher Vorbild-Bands wie Fugazi in einen feministischen Kontext setzten. Und in gewisser Weise gaben die Riot Grrrl’s unfreiwillig einer Bewegung den Namen, die auch ohne dieses Etikett stattfand. Musikerinnen wie PJ Harvey, Liz Phair, L7 oder die Breeders gaben femistischen Grundsätzen Ausdruck, ohne sich der Riot Grrrl Bewegung zuordnen zu wollen. Den Bands aus Olympia ging es zudem um eine klare Botschaft mit deutlicher Ästhetik, um klare Prinzipien. Heavens to Betsy, Bratmobile und Bikini Kill sind die Flaggschiffe, und sie alle haben den erkennbaren DIY-Punk Ethos. Alles, was sie machen, kommt ohne männliche Beteiligung aus, ihre Lyrics behandeln Themen wie weibliche Sexualität, Missbrauch, Sexismus, Rassismus, Machismo etc. ihre Musik ist bewusst „Punk“, voller Energie, aber ohne bemühte Virtuosität (was den Breeders oder PJ Harvey wichtiger war) – es ist Punk mit Überzeugung. Eine der ganz großen Bands, die aus dieser Szene erwuchs, sind die Heavens to Betsy Nachfolger Sleater-Kinney – aber die begannen ihre Karriere, nachdem Riot Grrrl von den Medien zuende gehyped worden war. Ende ’93 war die Sängerin der Gits (die eigentlich nur am Rande mit den Riot Grrrl movement zu tun hatte) brutal vergewaltigt und ermordet worden. Sofort solidarisierten sich etliche Mitläufer/innen mit Riot Grrrl – und trugen diese Solidarität wie ein Banner vor sich her – was von „echten“ Riot Grrrl’s als Verrat an den Idealen gesehen wurde. Dogmatik übernahm das Kommando, einige Bands zerstritten sich und Riot Grrrl war inoffiziell perdu. Viele der Protagonistinnen machten natürlich weiter (Siehe Riot Grrrl ’95…) und der Gedanke selbstbestimmter, explizit weiblicher Musik setzte sich fort – weil er jetzt angestoßen worden war, aber auch weil sich immer noch nicht wirklich viel geändert hat.

https://music.apple.com/de/playlist/der-gro%C3%9Fe-rockhaus-1993-riot-grrrl/pl.u-xlyNqGXIka7bN8Y

Bikini Kill
Pussy Whipped

(Kill Rock Stars, 1993)

Bikini Kill waren DIE Band der Riot Grrrl Szene in Olympia/Washington – und ihre Frontfrau/Sängerin Kathleen Hanna ist die Frau, mit der man diese Art Punk mit feministischer Botschaft identifiziert. Und bei Pussy Whipped ist es ihre Energie, sind es ihre Alarm-Sirenen Schreie, die die Musik aus der Masse ragen lässt. Grundsätzlich wird hier krachender Punk gespielt, mit Noise-Anklängen, ohne unnötige Spielereien – und die Tatsache, dass Frauen hier den abgehalfterten 77er Punks oder den 81er Hardcore Veteranen die geliebte Nostalgie vermiesten, soll zum Hass und zur Häme – und zu übelsten frauenfeindlichen Beleidigungen geführt haben. Durchaus vorstellbar, ist doch gerade der Alt-Punk gerne ein Ausbund an Intoleranz. Dabei kann man es auch so sagen: Bikini Kill holten Punk zurück zu seinen Wurzeln. Die „männliche“ Variante war immer technischer und virtuoser geworden, es ging nicht mehr darum, „Was“ gesagt wird, sondern nur noch um’s „Wie“ – und das ist immer schlecht. Zumal Bikini Kill ihre feministischen Botschaften in infektiöse Songs packten: Da wird Sexismus in seiner widerlichsten Form angeprangert, es geht um Vergewaltigung und Pädophilie und Hanna verlangt schlicht, dass Frauen über ihre Sexualität – wie über ihr ganzes Leben – selber bestimmen sollen. Sie erzählt vom „Star Bellied Boy“, einem Typen, der sich als netter Indie-Boy gibt, aber die gleiche sexuelle Aggressivität an den Tag legt, wie die Leute, die er zu verachten vorgibt – und das schreit und gurgelt sie mit erfreulicher Brutalität hervor, untermalt vom Feedback-kreischen von Billy Karren’s Gitarren. Und bei „Lil‘ Red“ klagt sie ganz konkret das eigene Geschlecht an, wenn sie singt: „You are not the victim / though you’d like to make it that way“ – und mit „Rebel Girl“ ist eine der größten 90er Punk-Hymnen dabei. Logisch, dass sie wegen der Lyrics und der bewusst DIY- gehaltenen Ästhetik der Musik Angriffsfläche bot. Aber die Kritik an Pussy Whipped basiert meistens auf Hass und Intoleranz. Das Album ist so kraftvoll, dass es für mich unangreifbar ist. Und mit einer Länge von knapp 25 Minuten extrem kurzweilig.

Bratmobile
Pottymouth

(Kill Rock Stars, 1993)

Die andere Riot Grrrl Vorzeige-Band ist Bratmobile – und deren einziges Album ist – für mich – ganz einfach die etwas weniger spannende Angelegenheit. Ihre Herangehensweise ist vergleichbar mit der von Bikini Kill – sie spielen Punk im wahrsten Sinne des Wortes, die Gitarren dengeln schmucklos, Alles hat den Charme, der den Garage Punk aus den Sechzigern so sympathisch gemacht hat. Es gibt keine Virtuosität, wie wir sie von Fugazi oder Quicksand kennen. Auf Pottymouth geht es um die Position, die eingenommen wird. Es gibt deutliche feministische Aussagen, man ist autark und der Kommerz und die melodischen Finessen, die sich in den letzten Jahren in Punk eingeschlichen haben, sind nicht vorhanden. Dafür ist massenweise Glaubwürdigkeit da. Allison Wolfe deklamiert ihre Lyrics mit charmanter Unprofessionalität – und das muss auch so sein. Bratmobile sind Fans einer bestimmten Musik und sie nutzen das, was sie lieben, um ihren Protest gegen eine patriarchalische Welt rauszulassen – aber bei ihnen ist ganz einfach die Song-Trefferquote nicht so hoch, wie bei Bikini Kill. Sie sind ganz einfach nicht so gute Songwriter. Lyrics wie „I don’t wanna hear how many friends you have/I don’t have any anymore“ treffen nicht so tief wie die auf Pussywhipped, die Energie des Trios ist nicht so deutlich zu fühlen, wie bei Bikini Kill. Der DIY-Charme verfängt bei mir nicht so sehr, wie bei anderen Bands, ganz einfach, weil die 17 Songs in 27 Minuten zu gleichförmig vorbei ziehen.

Adickdid
Dismantle

(G Rec., 1993)

Weit besser als Bratmobile’s Pottymouth gefällt mir Adickdid und deren einziges Album Dismantle. Die Band um die baldige Team Dresch Gitarristin/Sängerin Kaia Wilson stammt aus dem drei Stunden von Olympia entfernten Eugene/Oregon – und spielt bald im Umkreis der Riot Grrrl Bewegung mit – ist auf dem Sampler Stars Kill Rock dabei und tourt mit Bikini Kill und Bratmobile. Adickdid sind der Beweis dafür, dass Riot Grrrl nicht ein „Stil“ ist, sondern vor Allem eine Haltung. Hier wird Punk mit Noise, New Wave und Hardcore überzogen, die bewusste Unprofessionalität mancher Riot Grrrl’s weicht einem erkennbar durchdachten Soundkonzept, das Songwriting hat das gleiche Gewicht wie die Lyrics – und mir ist es ein Rätsel, warum dieses Album nicht den gleichen Stellenwert hat, wie Pussywhipped oder die Alben von Team Dresch. Kaia Wilson’s Stimme ist großartig, souverän, mal sanft, mal hart, ihre Songs verbinden Schönheit mit Finsternis, der Sound auf dem ganzen Album ist durchsetzt von Distortion, Bass und Gitarre sind extrem verzerrt, dazu der Wechsel zwischen melodischen Songs und lärmenden Passagen – da geht mitunter die Aufmerksamkeit für die Lyrics flöten – die sich auch weniger mit Feminismus in all seinen Facetten befassen, als das bei Bratmobile oder Bikini Kill der Fall ist. Hier geht es meist um weibliche Homosexualität – logisch, da Kaia Wilson sich mit 14 als Homosexuell ge-outed hatte und damit im konservativen Westen der USA aber sowas von Aussenseiterin war. Dass man dem Thema in der Presse auch ein Etikett gab, kann sich jeder denken. Also sagen wir mal laut „QueerCore“ – und vergessen das wieder, weil Dismantle so schlichte Kategorien nicht verdient hat. Das Album ist schwer zu finden, K Records waren streng DIY, die Band löste sich noch ’93 nach diesem Album auf, aber ich finde, es ist musikalisch eines der besten aus dieser „Szene“. Zum Glück begegnet man Kaia Wilson bald bei Team Dresch und den Butchies wieder. (Zusamen mit Jody Bleyle von Hazel – siehe unten…) Tolle Musikerin.

Scrawl
Velvet Hammer

(Simple Machines, 1993)

… und schon geht es weg vom Washington State und von den Riot Grrrl’s. Ich habe es oben schon gesagt, Bands mit weiblichem Personal, mit entsprechender Sichtweise in den Lyrics und mit Punk im musikalischen Genmaterial wurden in dieser Zeit automatisch dem Riot Grrrl movement zugerechnet. Und Scrawl waren eine All-Girl Band, passten, was das angeht, in den damals durchaus angesagten „Trend“. Dabei kamen Scrawl aus Columbus/Ohio, waren schon seit Mitte der Achtziger aktiv, waren mit dem Meat Puppets auf Tour gewesen und kannten Bands wie Bikini Kill oder Bratmobile höchstens aus dem Indie-Radio. Ihr viertes Album Velvet Hammer hat sowohl musikalisch als auch textlich mehr gemein mit Bands wie Silkworm oder Seam als mit Bikini Kill. Der Ex-Big Black Musiker und Nirvana Produzent Steve Albini hat mit seinem nacken, unmittelbaren Sound massiven Einfluss auf die Wirkung, die das Album erzeugt. Es gilt zu Recht als eines der traurigsten und desillusioniertesten der Neunziger. Sängerin Marcy Mays Stimme hat die emotionale Zurückhaltung, die die schmerzlichen Texte so wahr klingen lassen: Beim John Peel-Liebling „Your Mother Wants to Know“ ist sie Mediator zwischen Mutter und Kind wenn sie singt: “She wants you to like her so try to forget it/ And she’s sorry for all the years and what happened to you when you were a kid“. Und bei „Take a Swing“ singt sie über eine zerstörte Beziehung: „Can we handle this like adults or do you wanna scream? / Do you wanna take a swing?“ um dann ironisch und explizit Gewalt heraufzubeschwören: „Show me your fist, put me in my place“. Wegen seiner Schroffheit und Unverblümtheit und wegen seiner deutlich weiblichen Sicht passt Velvet Hammer also auch in die Reihe der Riot Grrrl Alben – Aber – Etiketten sind nur Vereinfachungen für faule Musik-Journalisten und schaden mitunter mehr, als sie nutzen. Ich sehe hier die Gelegenheit, auf ein übersehenes und erfreulich tief gehendes Album hinzuweisen.

The Breeders
Last Splash

(4AD, 1993)

Und wieder – The Breeders waren nie der hier thematisierten Szene in Olympia/WA zuzuordnen, sie haben sich gewiss nie Riot Grrrl’s genannt, zumal sie zwar die Ex Pixies-Bassistin Kim Deal in front hatten, aber auch einen Mann als Bassisten dabei hatten. Deal gelang mit ihrer Schwester Kelly und den Breeders das, was den Pixies letztlich verwehrt geblieben ist. Sie wurde dank einer Single und dank der Tatsache, dass die Musik ihrer Band auf einmal angesagt war, zum „Alternative Rock Star“, zur Indie Ikone. Das zweite Album Last Splash ist aufgrund des Hits „Cannonball“ vielleicht das bekanntere, wiewohl es nicht den gleichmäßigen Flow von Pod hat – was bedeutet: Man muss beide hören. Neben der Single schrieb Kim Deal wieder einige sehr gelungene Songs: Da ist Country-Pop bei „Drivin‘ on 9“, da sind das sexy „Divine Hammer“ und das bittersüßen „Invisible Man“. Die Tatsache dass Tany Donnelly von Kim Deals Schwester abgelöst worden war, führte dazu, dass der Gitarrensound mehr mehr nach Garage klang – und dass Kim nun ein adäquater Partner fehlte, obwohl die Throwing Muses Gitarristin auf dem Debüt kaum beim Songwriting zum Zuge gekommen war. Mit „S.O.S.“ und „Flipside“ gibt es zwei Instrumentals, „Roi“ und „No Alha“ sind experimentell und poppig zugleich. Last Splash wurde etwas überraschend zu einer Ikone unter den Alternative Rock Alben der Neunziger und blieb das letzte Album der Breeders in dieser Dekade. Kim Deal verbrannte im eigenen Feuer und es war niemand mehr da, sie zu löschen. Der Ruhm war zu schnell gekommen und er war vielleicht auch zuviel. Es dauerte Jahre, ehe sie wieder Fuß fassen würde.

Hazel
Toreador of Love

(Sub Pop, 1993)

…und eine weitere, für das Thema „Riot Grrrl“ wichtige Musikerin ist Jody Bleyle. Die würde noch in ’93 bei der ikonischen Riot Grrrl Band Team Dresch Gitarre und Gesang übernehmen. Bei Hazel war sie Drummerin und sang zusammen mit dem Songwriter und Gitarristen Pete Krebs… Wobei – zusammen? Lustigerweise singen beide auf Toreador of Love zu Songs, die im Affenzahn voranrasen eher gegeneinander. Und Ja!! Toreador of Love ist somit schon per Definition NICHT der hier thematisierte Riot Grrrl-Punk. Hazel waren bei Sub Pop, dem zu Beginn der 90er wegen Nirvane hoch gehypeten Label, sie kamen aus Portland – und hier spielten drei Männer mit einer Frau zusammen – da gab es kein feministisches Statement. Man kann höchstens sagen, hier war ein Idealzustand gegeben. Das Geschlecht der Drummer-/Sängerin spielte keine Rolle. Und Hazel waren in vieler Hinsicht einzigartig. Neben Bleyle, Krebs und dem Bassisten Brady Smith war der Tänzer Fred Nemo festes Bandmitglied. Ein bärtiger Riese, der wild über Bühne und Lautsprecher turnte. Man kann es sich vorstellen – Hazel waren nicht einfach nur ein weiterer Grunge-Act, sie waren (trotz ihres geringen Erfolges) ein ziemlich beeindruckendes Erlebnis. Nicht nur Live und nicht nur als „Ursprung“ für Team Dresch, sondern für sich genommen. Man möge sich Songs wie „Shiva“ oder „Day-Glo“ anhören. Man möge die Energie von Bleyle’s Drumming hören, die rasante Gitarre von Pete Krebs. Man hat auf jeden Fall ein beeindruckendes Album, das weit über die ’92 angesagten Trends hinaus reichte. Leider ist Bleyle’s Stimme zu selten zu hören, eigentlich singt sie nur ab und zu mit. Aber man kann ihren Einfluss erkennen. Sie blieb der Band auch treu, als sie bei Team Dresch mitmachte – und es gab ’95 mit Are You Going to Eat That ein zweites, gleichwertiges Album. Toreador of Love steht hier, weil es mir passt. Weil die Drummerin eine der wichtigen Figuren des Un-Begriffes Riot Grrrl war. Einfach so.

Babes in Toyland
Painkillers EP

(Southern, 1993)

Die Babes in Toyland. Die könnte man durchaus wegen der Zusammensetzung als reines Frauen-Trio in dieser Zeit zu den „Riot Grrls“ zählen. Aber die Band aus Minneapolis um die großartige Gitarristin/Sängerin Kat Bjelland hatte nicht die klare politische Botschaft solcher Bands wie Bikini Kill oder Bratmobile. Andererseits wurden sie wegen ihres Sounds, ihrer Punk-Attitüde und wegen ihres selbstbewussten Auftretens einer Bewegung zugeordnet, die sie zwar akzeptierten und wichtig fanden, mit der sie aber sonst nicht viel zu tun hatten. Kurz: Babes In Toyland spielen „Indie Rock“, Grunge, noisigen Pop und passen als reines Frauen-Trio in eine Zeit, in der allein das Geschlecht einer Band eine politische Aussage ist. Die Drei hatten im Vorjahr mit Fontanelle ihre zweite und beste LP veröffentlicht, sie traten auf diversen Festivals neben den Größen der inzwischen kommerziell erfolgreichen Alternative Bands auf – und sie waren beim Major-Label Reprise. Dabei war ihr Sound sehr nah am Punk, sie hatten sich aus einem Drei-Akkorde Act zu einer mächtigen Band entwickelt, die den Respekt etlicher Kollegen hatte (Sonic Youth, DJ John Peel…), Nach ihrem spektakulären Auftritt beim krediblen Lollapalooza-Festival veröffentlichten sie Painkillers – nominell nur eine „EP“ – die aber mit 50 Minuten Spieldauer länger ist, als die vorherige LP – und die sich in höchstem Maße lohnt, weil sie neben fünf sehr harten Studio-Tracks auf der zweiten LP-Seite ihre Performance im CBGB’s in New York beinhaltet. Auf CD ist das ein durchgehender Track mit dem Titel „Fontanelette“ – und tatsächlich donnern die drei mit enormer Energie durch das Album. Der Sound ist gut – und man kann hören, was diese Band ausgemacht hat. Es ist energetsicher Punk, bei dem insbesondere Bjellands Gesang zwischen Kontolle und absolutem Kontrollverlust, dazu die Power einer eingespielten Band beeindruckt… Jede Band wäre froh, wenn sie ein solches Live-Album hätte. Painkillers passt thematisch genauso gut oder schlecht in diesen Artikel, wie Last Splash… und es ist losgelöst vom Thema ein großes Album.

PJ Harvey
Rid Of Me

(Island, 1993)

Also: Alles, was ich in diesem Kapitel hinter Adickdid reviewe, ist NICHT Riot Grrrl – aber: Viele Alben, die in dieser Zeit von Frauen gemacht wurden und sich mit feministischen Positionen befassen, kann man in den Riot Grrrl-Kontext stellen, wenn man will. Wie gesagt – Riot Grrrl ist kein musikalischer Stil sondern eher die Haltung zu- und der Umgang mit bestimmten Zuständen im Musikgeschäft. Viele Frauen arbeiteten in dieser Zeit mit Selbstbewusstsein und Energie mit einer dem Punk nahen Sprache. Die „echten“ Riot Grrrl’s aus Washington spielten DIY Punk und wollten in jeder Hinsicht autark sein. Die Britin Polly Jean Harvey machte ähnliche Musik mit einem weniger ausgeprägten DIY-Ethos. Sie hatte sich mit ihrem 92er Debütalbum Dry schon als sehr bewusst feministische Frau exponiert, aber sie dürfte sich genausowenig wie Scrawl als der doch recht lokalen „Riot Grrrl-Szene“ zugehörig betrachtet haben. Mit den zusammengehörigen Alben Rid of Me und 4-Track Demos stellte sie sich klar in eine Reihe mit anderen Frauen, die vehement eine Veränderung überkommener Rollenschemata einfordern. Und sie hatte – genau wie die oben beschriebenen Scrawl – für das neue Album Rid of Me auch den Produzenten Steve Albini gewählt. Eine Zusammenarbeit, die auf dem Papier perfekt schien. Seine rohe Produktion ließ kaum Raum für Grautöne, der kraftvolle Sound, den er ihrem Trio gab, stand der Musik ganz hervorragend. Das Album gilt als post-feministisches Manifest – dabei waren die Texte laut Harvey’s Aussage nicht geschlechts-spezifisch zu verstehen – sie sagte: „…I never write with gender in mind…“. Andererseits ist ihre Sicht eindeutig weiblich, wenn sie dem Hörer den Titelsong beispielsweise regelrecht um die Ohren haut – und PollyJean Harvey’s Stimme klingt beunruhigt und zugleich beunruhigend wenn sie flüstert: „Don’t you wish you’d never met her?“ Ihre Lyrics waren zweifellos besser geworden, genau wie das Songwriting. „50ft Queenie“ war ihre beste Single bis dato, auch „Rub ‚til It Bleeds“ ließ an Eindeutigkeit nichts vermissen, das komplette Album fordert, dass man sich auf die Vermischung von musikalischen und lyrischen Texturen einlässt, und wenn man das tut, ist es keine leichte Kost. PJ Harvey schwor, dass hier Nichts autobiographisch war, aber der Schmerz in den Lyrics klang, als würden die eigenen Wunden geleckt und die Wut, die dahinter stand, konnte persönlicher nicht sein – schöpfte offenbar doch aus der eigenen Wahrnehmung von Unrecht und Missbrauch – was sie mit den sog. „Riot Grrrl’s“ in Verbindung bringen mag.

PJ Harvey
4-Track Demos

(Island, 1993)

Da Steve Albini Rid of Me seinen kompromisslosen, rohen Trademark-Sound aufgedrückt hatte, machte es für PJ Harvey wohl Sinn, sechs Monate später die Original-Demo’s als autarkes Album zu veröffentlichen. (Sie hatte schon bei der britischen Version von Dry die Demo’s als Bonus-Disc hinzugefügt). Die getrennte Veröffentlichung der 4-Track Demos wies darauf hin, dass PJ Harvey den Sound von Rid of Me nachträglich wohl zu hart fand und die Songs vielleicht in ihrer ursprünglichen, ein bisschen weniger agressiven Version bevorzugte. Letztlich ist es vor Allem für den Hörer Geschmackssache, ich glaube nicht, dass die von Albini im Bandformat aufgenommenen Versionen schlechter sind – sie sind schlicht anders. Auf Rid of Me spielte eine Band, und alle drei Musiker trugen zum Sound bei. Die Demos dagegen, – von PollyJean alleine eingespielt – sind von einer emotionalen Direktheit, die sich im Bandformat nicht einfangen lässt. Das ist – neben der Tatsache dass einige Songs dabei sind, die es nicht auf das Album schafften – der Vorteil der 4-Track Demos. Und damit ist das Album erfreulicherweise mehr als eine bloße eine Ergänzung. Es zeigt eine weitere Facette der Künstlerin PollyJean Harvey. Es ist eher ein beeindruckendes Solo-Album.

Aimee Mann
“Whatever“

(Geffen, 1993)

PJ Harvey ist Britin – sie ist in der Punkszene London’s groß geworden, wo femistische Positionen genauso erkämpft werden mussten, wie in den USA. Und da wiederum gab es einige Frauen, die sich auf ihre eigene Weise durchsetzten – ohne eine wieauchimmer geartete „Szene“ im Rücken zu haben. Zum Beispiel die Songwriterin Aimee Mann: Seit Mitte der 80er mit der Band ‚Til Tuesday recht erfolgreich. Da schon Kopf der Band hatte sie sich stilistisch vom Synth-Pop zum wirklich gelungenen New Wave entwickelt. Zuletzt – beim ’88er Album Everything’s Different Now – war sie klar die Chefin – und wurde von ihrer Plattenfirma regelrecht zerpflückt. Eine Solo-Karriere war die einzig logische Idee. Aimee Mann ist bis heute eine äußerst kompromisslose Künstlerin. Eine, die sich so wenig von der „Industrie“ und ihren Zwängen verbiegen wollte, dass sie dann nach den Aufnahmen zu einem der besten Alben des Jahres 2000 (Bachelor No. 2… HÖREN!!) das System verließ und ihre eigene Plattenfirma gründete. Diese Frau war aber natürlich schon auf „Whatever“ enorm eigenständig und machte ihr eigenes Ding. Ihre Songs sind reich, melodisch, NICHT Punk, sondern Pop – aber mit so erstaunlichen Wendungen, dass man sie hören muss. Dazu hat diese Frau eine rasiermesserscharfe Zunge und eine wunderbare Stimme, die den Hörer regelrecht dazu zwingt, ihren illusionslosen Beobachtungen zuzuhören. Sie wurde zu Recht immer wieder mit Elvis Costello verglichen. Dass es hier um Beziehungen (…kaputte) und die frustrierenden Erfahrungen mit dem Business ging, ist ja schon ein Grund, sie in diesen Kontext zu stellen. Und natürlich – dieses Album könnte ebenfalls im Zusammenhang mit „Singer/ Songwriter ’93“ genannt werden. Aber wegen ihres Mutes und ihrer Haltung schien sie mir hier auch hin zu passen. Und ein Song wie „Stupid Thing“ mit Zeilen wie „Maybe that’s just how I am/ To fall where I stand/ Or I’m weak for that kind of man/ One who looks helpless and brave/ But you turned into a coward/ I don’t care for the parts you saved“ gehört hier hin…

Liz Phair
Exile In Guyville

(Matador, 1993)

Um beim Thema zu bleiben – Liz Phair’s erstes richtiges Album (sie hatte zuvor zwei Cassetten mit Songs veöffentlicht – deretwegen sie den Vertrag beim Indie Matador bekam) – hatte sie beziehungsreich Exile in Guyville benannt (…das soll eine feministische Antwort auf Exile on Mainstreet von den Rolling Stones sein…) und sie hat mit Riot Grrrl-ism so viel zu tun, wie Elefanten mit Eisbären. Aber Viele haben dieses Album seinerzeit in die gleiche Schulklasse gesteckt, in der Bikini Kill sich weder mit PJ Harvey noch mit Scrawl vertrug. Warum? Weil auch Liz Phair textlich von vorne herein in die Offensive ging, weil sie mit deutlichen und provokanten Worten beschrieb, wie man sich als Frau in einer männerdominierten Gesellschaft fühlen muss, wenn man betrogen wird, wenn man als Objekt betrachtet wird, wenn man wegen seines Geschlechtes nicht ernst genommen wird oder sogar attackiert wird. Damit sprach sie vielen jungen Frauen in diesem Moment aus der Seele – und das wiederum fassten insbesondere Männer als Angriff – als „Riot“ – auf. Und das ist auch schon die ganze Verbindung zu den Riot Grrrl’s. Natürlich ist dieses Album durchaus dazu gedacht, zu provozieren. Die Provokation war aber in die seinerzeit angesagte Verkleidung aus Indie-Pop mit ein paar (nicht zu vielen) lauten Gitarren verpackt – und der DIY Punk-Ethos war höchstens noch in Liz Phair’s Vergangenheit als Cassette-Artist zu finden. Songs wie „Fuck and Run“ oder „Flower“ kann man in der Tat wütend, konfrontativ und schockierend von einer 25-jährigen finden. Vor allem in den USA dürften Texte über wundgefickte Schwänze und Blowjobs Aufregung verursacht haben… aber genauso wichtig ist ein Song wie „Shatter“, eine subtile Ballade, die fast Slowcore ist, in der Liz Phair auch mal Schwäche zeigt, wenn sie singt „I don’t know if I could fly a plane. Well enough to tail spin out your name?“. Es ist eine Qualität, dass sie nicht nur die wütende Harpyie gibt, auch Zwischentöne beherrscht – und dass sie Songs schreiben kann, die textlich eindeutig sind, aber dabei ins Ohr gehen. Dem Album hat die Zuordnung zum Riot Grrrl Hype genauso geschadet, wie die Tatsache, dass Liz Phair sich danach zur niedlichen und leider auch beliebigen Indie-Pop Sängerin umstylen ließ. Exile in Guyville ist es ein schönes, wenn auch etwas zu langes Album – 18 Songs? Doppel LP? Aber der Hype war nicht unverdient und die meisten Songs funktionieren noch heute – und der Riot Grrrl-Bezug ist ja letztlich unwichtig – wer es da nicht haben will, stecke es – wie Aimee Mann’s „Whatever“ – in eine andere Schublade.

10 mal Riot Grrrl’s

Nach dem schnellen Ende des Hypes – sozusagen nach Ende der Album-Saison 1993 – machten die Musikerinnen aus der Szene in Olympia wie gesagt weiter und definierten als Sleater-Kinney, Team Dresch, Le Tigre etc. das, was wir als „Riot Grrrl-Sound“ kennen – indem sie dabei das bisherige DIY-Punk Spektrum unter Anderem um Noise, Post-Punk, Rock, Grunge-Einflüsse und auch um Virtuosität erweiterten. Die oben genannten Bands waren mit dem Presse Hype extrem unzufrieden und sahen es als Pflicht an, ihre Musik zu verändern. Dazu kam eine regelrechte Abscheu davor, andere Musikerinnen mit einem Begriff hausieren gehen zu sehen -Frauen (wie o.g. Liz Phair…) die Feminismus nicht einmal im Ansatz lebten, die sich in jeder erdenklichen Form von der patriarchalischen Musik-Industrie vereinnahmen liessen. Man bedenke, dass sogar die britischen Pop-Sternchen von den Spice Girls mit ihrer „Girl Power“ bald als Riot Grrrl’s bezeichnet wurden! Wie auch immer – Die Musik, die unter dem Etikett Riot Grrrl erklingt, besetzt bald ein stilistisch ziemlich breites Feld, das nur inhaltlich halbwegs geschlossen bleibt. Hier folgt nun eine Aufzählung der zehn Alben, die IMO glaubhaft für den Begriff Riot Grrrl’s stehen – und der Hinweis, dass zwei der besten, formativen Riot Grrrl Acts nicht zum Kollektiv aus Olympia gehört haben.

Babes in Toyland – Fontanelle (1992) New Yorker Vorreiter – Teil 1 – haben ’92 schon ein Album hinter sich.

Lunachicks – Binge and Purge (1992) New Yorker Vorreiter – Teil 2 – haben ’92 auch ein Album hinter sich.

L7 – Bricks Are Heavy (1992) LA Band, die Grunge mit Feminismus paart

Bikini Kill – Pussy Whipped (1993) siehe oben – die Urmütter der Riot Grrrl Bewegung

Adickdid – Dismantle (1993) siehe oben – die Band, die den blöden Begriff QueerCore aufgesetzt bekam.

Heavens to Betsy – Calculated (1994) Vorläufer von Sleater-Kinney, der besten Band dieser Art

Team Dresch – Personal Best (1995) Adickdid Fortsetzung – und genauso toll wie Sleater-Kinney

Red Aunts – #1 Chicken (1995) New Yorker Blues-Punk Riot Grrrls die mehr Erfolg verdient hätten

Sleater-Kinney – Call the Doctor (1996) Die beste (feministische/Riot Grrrl) Band der Welt

Le Tigre – Le Tigre (1999) Elektro-Dance Version von Bikini Kill. Kathrin Hanna lebt