1992 – Ice Cube bis Ganksta N-I-P – Die West Coast und Southern HipHop

Das Golden Age of HipHop ist an seinem Höhepunkt angelangt. HipHop hat seit beginn der Neunziger die Charts erreicht und die Rapper der verschiedenen Szenen im Osten, Westen und Süden der Staaten haben sich in Stellung gebracht.

Man kann Geld verdienen – auch außerhalb der jeweiligen Hardcore-Fan-Base – denn es gibt inzwischen auch ein weißes Publikum – eines das wohl auch mehr Geld zur Verfügung hat (das ist in den USA schlicht immer noch Realität…) – und die verschiedenen Protagonisten – ob in Los Angeles oder New York, ob in Houston, Texas oder Atlanta – machen einen großen Hype darum, dass sie besser sind als ihre Konkurrenten aus der jeweils anderen Community. Dass daraus ein regelrechter Krieg mit prominenten Opfern (Tupac Shakur, The Notorious B.I.G…) werden wird, ist absehbar, wenn man die gesellschaftlichen Hintergründe und Herkünfte der Beteiligten und die mitunter nicht einmal aufgesetzte Gangsta Attitüde mit den aggressiven Aussagen bedenkt – etliche der Protagonisten haben entweder einen tatsächlichen „Gangsta“ Hintergrund – oder sie erfinden ihn. Aber noch liegt der traurige Höhepunkt dieses „Krieges“ in der Zukunft – Thema an der Westküste sind die Rodney King Riots in LA – bzw. der Rassismus, der dahinter steht, wenn ein unbewaffneter Afro-Amerikaner von vier weissen, rassistischen Polizisten straflos zusammengeschlagen werden kann. Und noch gibt es kein breites „Black Life’s Matter“ bündnis, noch ist so ein Mord für viele (weisse…) einfach das, was wahrscheinlich bösen schwarzen Jungs passieren kann Nach den Freisprüchen für die vier Polizisten rastet ein Teil der Bevölkerung LA’s aus und am Ende stehen ca 50 Tote, hunderte von Verletzten und Schäden in Milliardenhöhe. Die Diskriminierung der schwarzen Bevölkerung steht zu dieser Zeit daher bei vielen Rappern im Vordergrund – was aber (noch) überhaupt Nichts ändert… Und ob man sich für die geografisch/sozialen Realitäten und Rivalitäten interessiert oder nicht – wer eine breite Palette an HipHop kennenlernen will, der wird ’92 gut bedient. Hier also zuerst die Alben von der Westküste, die meiner Meinung nach Beachtung verdienen: Wie oben dargestellt veröffentlicht Dr. Dre (ehemals N.W.A. – DIE L.A. Gangsta) sein epochales Album The Chronic – und entwickelt seinen eigenen Style, genannt G-Funk. Aber auch sein Ex-Kollege Ice Cube kommt mit einem gelungenen, aus der Wut über den institutionalisierten Rassismus inspirierten Album daher. Andere, unbekanntere Acts tun es ihm gleich. Und dass von der West Coast auch weniger ernster, leicht wahnsinniger HipHop kommen kann, zeigen The Pharcyde….

Dr.Dre – The Chronic
(Death Row, 1992)

Wie in der Einleitung gesagt: Die Erfindung des G-Funk, eines der stilprägendsten HipHop Alben aller Zeiten, dass ich im Hauptartikel ’92 ausführlich würdige, und dessen Wirkung nicht überschätzt werden kann, weil es das macht, was auch das folgende Album tut. Es definiert den…

West Coast / Gangsta / Political Rap

Ice Cube
The Predator

(Priority, 1992)

Art Direction – Dino Paredes. Hat Cover für American Rec. gemacht und war Bassist bei den Red Temple Spirits…

Ice Cube und Dr. Dre sind ’92 vielleicht nicht mehr die besten Freunde, aber sie geben den Hörern dieser Musik in diesem Jahr beide ein feines Album – und vielleicht ist die gegenseitige Antipathie ja nur Fake und es ist egal, dass ich beide Alben höre und mag. Wie auch immer, The Predator, das dritte Album in drei Jahren bietet einige Veränderungen zu den (mindestens textlich fragwürdigen) Vorgängern. Er produziert nun selber, lässt sich hier und da u.a. von DJ Pooh, Sir Jinx und DJ Muggs (von Cypress Hill) helfen, gibt den beiden MC’s von Das EFX bei „It Was a Good Day“ das Mikro – und wird bei diesem Track regelrecht jazzy. Aber das ist dann die Ausnahme, den Rest des Albums regt er sich mehr oder weniger laut über Polizei und Gesellschaft auf. Anlass sind – wie oben gesagt – die im April ausgebrochenen Unruhen in LA (Grund für die Riots: Der Afro-Amerikaner Rodney King wurde von der Polizei grundlos zusammengeschlagen und die Polizisten kamen ohne Strafe davon… kennen wir das?). Aber im Vergleich zu den beiden Vorgänger-Alben ist seine wortgewaltige Kritik im Ton relativ zurückgenommen. Er ist immer noch ein zynischer Beobachter, aber er will nach eigenen Worten auch zeigen, dass er cool bleiben kann. Daher mag es kommen, dass auf The Predator die ruhigeren Tracks besser sind – dieses Album hat nicht die Energie und Wut von Death Certificate oder den durchgängigen rasanten Flow von Amerikkka’s Most Wanted – es ist eine Ansammlung von guten bis sehr guten Tracks, mit den drei unzweifelhaften Highlights „Now I Gotta Wet ‚Cha“, „The Predator“ und „It Was a Good Day“. Gegen das in diesem Jahr übermächtige The Chronic kommt es nicht an. Ice Cube konzentrierte sich seit diesem Jahr sowieso mehr auf seine Film-Karriere – vielleicht war ein bisschen Zurückhaltung da auch nützlich. Es ist sein letztes gutes Solo-Album.

West Coast / Gangsta Rap

Da Lench Mob
Guerillas in tha Mist

(Eastwest, 1992)

Cover-Foto – Mario Catellanos. Der hat die Cover der ersten beiden Ice Cube Alben fotografiert…

Da Lench Mob wiederum IST Ice Cube in allem ausser im Namen. Auch hier nimmt er Bezug auf die Geschehnisse, die zu den LA Riots im April und Mai ’92 führten. Die Wut der schwarzen Bevölkerung über das straflose Davonkommen der vier Polizisten war nur der Anlass, der Empörung über jahrhundertelange Ungerechtigkeiten Luft zu verschaffen – und Ice Cube war mehr noch mit diesem Album als mit The Predator einer der Wortführer der Empörten. Der Titel dieses Albums bezieht sich auf einen der freigesprochenen Polizisten, der im Radio Schwarze, die ihm verdächtig vorkamen, mit dem rassistischen Vergleich als „Gorillas in the Mist“ (damals ein aktueller Filmtitel) bezeichnete. Da Lench Mob besteht aus den vier MC’s Shorty, T-Bone, J-Dee und Maulkie, aber Ice Cube’s Einfluss als Produzent und Rapper ist am deutlichsten erkennbar (Die vier Rapper hatten Ice Cube schon bei Amerikkkas Most Wanted geholfen). Guerillas in Tha Mist beginnt mit der dokumentarischen Aufzählung diverser Hinrichtungsarten für Afro-Amerikaner im Laufe der US-Geschichte – von der Zeit der Sklaverei bis in Heute – und das ist erst der Anfang. Da Lench Mob sind wirklich angepisst, und obwohl sie ganz klar Position gegen das Unrechtssystem beziehen und für den Track „Buck Tha Devil“ (wurde als Aufruf zur Gewalt gegen die Polizei angesehen) viel Kritik einstecken mussten, kann man ihnen nicht bloß unreflektierten Rassismus vorwerfen. Sie kritisieren durchaus auch die eigenen Leute („Ain’t Got No Class“)- aber die Wut richtet sich eindeutig – und immer noch erschreckend aktuell – gegen den institutionalisierten Rassismus in US-Justiz und Gesellschaft. Aber all das wäre ja nur für Soziologen von Interesse, wäre Guerillas in Tha Mist musikalisch nicht so gelungen. Das Album passt wunderbar neben die Klassiker Straight Outta Compton und Ice Cube’s erstes Album, die Produktion ist sauber und angenehm reduziert, er hat kluge Samples ausgesucht und die Beats sind angemessen hart. Das Album hat sicher mehr polarisiert als The Predator – die eigentliche Absicht hinter all dem Geschrei aber ist eine wünschenswerte Verbesserung der Zustände. Da kann man sich doch gerne mal im Ton vergreifen.

West Coast / Gangsta Rap

Comptons Most Wanted
Music to Driveby

(Epic, 1992)

Cover – Peter Dokus

Comptons Most Wanted sind eigentlich im gleichen Atemzug mit N.W.A. zu nennen – sie gehören mit zu den ersten, die an der Westküste eine Antwort auf den New York HipHop formulieren, sie kommen natürlich auch aus Compton, ihr Gangsta Rap ist mindestens so authentisch wie der ihrer berühmteren Konkurrenten – nur brauchten sie bis ’92 um ihr erstes vernünftiges Album herauszubringen. Music to Driveby bietet genau das, was es benennt – und ist damit natürlich bewusst fragwürdig und provokativ. Rapper MC Eiht gilt bis heute als einer der stilprägenden Rapper, er erzählt in klaren Worten mit sehr wiedererkennbarer – manchmal etwas eintöniger – Stimme von seinen Erlebnissen in den Slums von Compton: Von Driveby-Shootings und dem Leben als Dealer und Gang-Mitglied, von der „Hood“ und von Feinden und Freunden – und zeichnet aus eigener Erfahrung ein Bild vom Leben in Compton. Textlich der beste aus vielen Tracks ist „Niggaz Strugglin“ mit wunderbarem Soul-Sample unter einer Art Rundumschlag über das Leben im Ghetto. Die Arbeit von DJ Slip & Unknown DJ ist durchweg ohne Fehl und Tadel. Sie produzieren harte Prä-The Chronic Beats, reduziert und ohne unnötige Spielereien mit geschickt gesetzten Samples, ab und zu gibt es ein paar Hinweise auf die Entwicklung hin zum smootheren G-Funk. Das Album hat neben MC Eiht’s Stimme auch einen sehr eigenen Sound – und hätte Dr.Dre nicht den Platz des herausragenden Gangsta-Rap Albums besetzt gehalten, dann wäre Music to Driveby heutzutage vielleicht nicht nur bei Hardcore HipHop Heads bekannt. Wie gesagt: Die Zeit war reich an sehr gutem HipHop.

West Coast / Political HipHop

Paris
Sleeping with the Enemy

(Scarface, 1992)

Cover – Victor Hall. Der hat auch Paris‘ erstes Album fotografiert und etliche andere HipHop Acts becovert

Oscar Jackson Jr. – besser bekannt als Paris – machte auf diesem und dem Vorgängeralbum den HipHop, den sich Chuck D von Public Enemy vielleicht gewünscht hätte. Das ’90er Album The Devil Made Me Do It gehört mit seinem Nachfolger zu den klügsten, extremsten und wortgewaltigsten Political HipHop-Alben aller Zeiten. Jackson hatte einen Abschluss in Volkswirtschaftslehre, war Mitglied der Nation of Islam – und sich sicherlich der Vorgänge in seiner Heimat und der Ressentiments gegen seine Leute bewußt – und er war Vielen außerhalb seiner Community offensichtlich ZU wortgewaltig. Das erste Album bekam kein Airplay, die Single wurde indiziert, und Sleeping with the Enemy wurde vom Label abgelehnt, so dass Paris es auf dem eigenen Label veröffentlichte – so blieb er gezwungenermaßen nur ein Thema für Hardcore Fans – und das nicht weil dem Album irgend etwas fehlen würde. Paris‘ Flow, ist mitreissend, er hat eine gute Stimme und die richtigen Stories, er produziert zusammen mit DJ Shadow (… ja, DEM DJ Shadow…) und die Beats sind klug, unterhaltsam und zeitgemäß reduziert und die immer wieder eingestreuten Samples von Polizeieinsätzen, Sirenen und wütenden Streitereien mit Cops sind die perfekte Untermalung zu seinen Stories. Man kann ihm seine extremen Positionen vorwerfen, man kann sagen, dass er mit einem Track wie „Bush Killa“, in dem er den Mord am damaligen Präsidenten durchspielt, die Kritik zu weit treibt und damit nebenbei vielleicht bewußt kommerziellen Selbstmord begeht. Aber er geht nicht nur auf Cops und Weisse los, bei „Sleeping with the Enemy“ etwa geht es gegen die eigenen Leute. Und er hat wie Da Lench Mob einen Song titels „Gorillas in the Mist“, der sich auch auf den erwähnten Polizisten bezieht, der Rodney King grundlos zusammenschlug. Sleeping with the Enemy ist eher Public Enemy an der Westküste als Ice Cube 2.0 – aber es ist so gut, wie die besten Alben der genannten bekannteren Acts. Jackson machte noch zwei weitere Alben, ehe er sich von der Musik zurückzog, den Aktienhandel studierte, eine Menge Geld machte und dann dieses Geld in seine Community steckte. Inzwischen macht er wieder HipHop-Alben. Soviel zum Thema Credibility…

West Coast / Political HipHop

Disposable Heroes Of HipHoprisy
Hypocrisy is The Greatest Luxury

(4th & B’Way, 1992)

Art Direction. U.a. auch wieder Victor Hall. Siehe Paris

Wie gesagt: Seit den Riots in L.A. ist die Zeit für politischen HipHop reif. Noch zwei Jahre zuvor schien es, als würden die Speerspitzen des politischen Rap – vor Allem die East-Coast Heroen Public Enemy – schlapp machen. Aber da kommen von der Westküste diese beiden Freigeister daher, und klingen sogar manchmal wie PE – MC und Producer Michael Franti’s Stimme erinnert jedenfalls an die von Chuck D… Aber keine Sorge, Die Disposable Heroes of HipHoprisy sind keine Kopie der Ostküsten-Polit Rapper – sie machen es auf ihre Weise. Statt eine Flammenwand aus Raps loszulassen wird eher ruhig überzeugt, gibt er eher eine Art Spoken Word Performance, die ihn als eine Art MC Gandhi hinstellt. Kein Vertun hier: Hipocrasy Is The Greatest Luxuryist informativ, wütend, leidenschaftlich UND politisch, Franti behandelt mit gedämpfter Wut Themen wie Korruption in Politik und Wirtschaft, AIDS, den Irak-Krieg, Rassismus (wie gesagt, gerade sehr aktuell an der Westküste) und nutzlosen Hass aus der Warte des Afro-Amerikaners (er selber ist irischer, deutscher, afrikanischer und indianischer Abstammung…) – ohne selber in Hasstiraden zu verfallen. Stattdessen mischt er schlauen Humor in seine Lyrics. Und so zurückhaltend wie die Texte ist auch die Musik. Franti arbeitet mit seinem Kollegen von den Beatnigs, dem Percussionisten Rono Tse, es gibt Industrial Beats, das kreischen von Kettensägen, aber die Jazz Gitarre von Charlie Hunter, und diverse Jazz-Samples sorgen für eine gewisse Zurückhaltung im Sound. Das Album hat eine ganz anderen Sound als Dr. Dre’s The Chronic oder Ice Cube’s Alben dieser Zeit, es hat vielleicht auch ein paar Längen – es dauert über eine Stunde – aber da sind Tracks wie die an Gil Scott-Heron erinnernde Single „Television, the Drug of the Nation“, da ist „Famous and Dandy (Like Amos and Andy)“ in dem er sich über die Posen der Rapper amüsiert, da ist die wundervolle HipHop Cover-Version von „Kalifornia über Alles“ von den Dead Kennedy’s- Das Album lohnt das Anhören, es ist sehr eigenständig und es ist eines der reflektiertesten politischen Rap Alben überhaupt. Franti machte hiernach mit einer Band namens Spearhead einen wilden Crossover aus HipHop, Funk, Reggae, Jazz und was noch Alles… der mir nicht so befriedigend vorkam. Die Heroes of HipHoprisy machten kein Album mehr.

West Coast / Jazz Rap

The Pharcyde
Bizarre Ride II The Pharcyde

(Delicious Vinyl, 1992)

Artwork vom Graffiti-Künstler Erik Brunetti aka Den One und seiner Company Fuct

Es gibt wohl kein Album aus LA, das ’92 so „New York“ ist wie Bizarre Ride II the Pharcyde. Alles an der West Coast ist beeinflusst vom Gangsta Rap der N.W.A. und ihrer Ex-Protagonisten Dr. Dre und Ice Cube. Aber dass die vier Jungs von The Pharcyde eine ganz andere Schiene fahren, sieht man ja schon am Artwork ihres ersten Albums. Bizarre Ride II the Pharcyde ist in der Tat eine wilde, verrückte und spaßige Abenteuerreise, es wird spekuliert, wie es wäre, Präsident zu sein – wie man sich aus den absurdesten Schwierigkeiten herausmanövriert und wie es wäre, dieses oder jenes Mädchen zu bekommen. Die MC’s Fatlip, Slimkid3, Bootie Brown, und Imani wechseln sich bei ihren Verrücktheiten ab, feuern sich gegenseitig an und schaffen eine Atmosphäre, die an eine unheimlichere Version der Philanthropen von De La Soul gemahnt. Produziert wird von einem gewissen J-Swift – und der benutzt eine Menge Funk und Jazz-Samples, schafft eine eher gechillte Atmosphäre und hält sich von den Prinzipien des Gangsta Rap und G-Funk fern. Da gibt es brilliante Tracks wie „Passing Me By“ mit sagenhaftem Flow und einem Sample, der gottweisswoher kommt. Da ist das tanzbare, funky „Soul Flower“ oder die spaßige Public Enemy-Sound Referenz von „Officer“ – aber das Album funktioniert als komplette Einheit – nicht selbstverständlich im HipHop. J-Swift musste The Pharcyde bald verlassen, da er seinen Crack-Konsum nicht mehr unter Kontrolle bekam. Sein Nachfolger würde Jay Dee, auch bekannt als J Dilla werden. Bizarre Ride II the Pharcyde ist ein Klassiker seiner Zeit. The Pharcyde gelten als Vorreiter für Alternative HipHop an der West Coats und für Acts wie Freestyle Fellowship und Jurassic 5, einzig Ice Cube’s Cousin Teren Delvon Jones aka Del Tha Funky Homosapien hatte an der Westcoast mit seinem letztjährigen Debüt I Wish My Brother George Was Here dieses Feld beackert. Später haben Kanye West oder die Gorillaz den Ball aufgenommen, aber letztlich blieb das Album ob seines Surrealismus ein Solitär. Sogar der Nachfolger Labcabincalifornia ist nicht so.

Southern HipHop

Der Süden der uSA ist die nächste Region, die eigenständigen und anständigen HipHop hervorbringt. Kommerziell bzw in der Aufmerksamkeit der Massen hinken die Acts aus den Südstaaten denen aus New York und Los Angeles ein bisschen hinterher, aber zu Beginn der Neunziger schliessen dann Acts wie die Texaner Geto Boys mit ihrem Mitglied Scarface und U.G.K. (Underground Kingz), Arrested Development (beide siehe hier unten…) und vor Allem ab ’94 OutKast und Goodie Mob aus Atlanta zum Rest des Haufens auf. Der Sound dieser Acts ist basslastiger als der aus West und Ost, weil sich hier Einflüsse aus der Miami Bass Music durchsetzen, und es werden gerne Samples alter Southern Soul Alben verwendet. Man sagt den Rappern auch ein gepflegteres, langsameres Tempo bei ihrem Sprechgesang nach – zusätzlich zu ihrem (wohl nur für Amerikaner erkennbaren) Southern Drawl. Aber egal, wo die Unterschiede herkommen, und wie sie sich äussern – hier wird einiges herkommen, was das Anhören lohnt. OutKast sind bald kreative Spitzenklasse, The Geto Boys waren das schon und (deren Grip It! On that Other Level von ’89 ist ein früher Meisterstreich) und ab den 00er Jahren regnet es Klassiker aus dem Süden. Ich weise schon mal auf Clipse oder die CunninLynguists hin…

Southern/ Conscious HipHop

Arrested Development
3 Years, 5 Months & 2 Days In The Life Of…

(CoolTempo, 1992)

Art Direction – Randall Martin. Alles von Willie Nelson bis L7…

…also fange ich mal ganz sanft an: Arrested Development kommen aus Atlanta – sie haben also mit den Spannungen zwischen Eastcoast und Westcoast/L.A. Und N.Y. nichts zu tun. Sie sind New Age Christen, tragen ihre Botschaften ohne Peinlichkeit hinaus in die Welt, stehen in der gleichen Tradition wie De La Soul oder A Tribe Called Quest, sind aber nicht so urban wie die beiden – wohl weil Southern HipHop immer ein bisschen nach Landei klingt… Mit Todd Thomas aka Speech habe sie eine spiritus Rector, der eine Menge Personality mitbringt, mit Timothy Barnwell aka Headliner den notwendigen geschickten DJ und im Hintergrund eine fröhliche Gruppe von Zuträgern, deren Namen Nichts zur Sache tun. In der Hardcore HipHop Community haben sie ob ihre Naivität und Freundlichkeit nicht den ganz so tollen Ruf, Gangsta Rap war seinerzeit das Ding, Kriminalität gepaart mit (berechtigter) Gesellschaftskritik waren die Themen, über die man rappen sollte, da kamen Spiritualität und Freundlichkeit in Kenner-Kreisen nicht an. Im Mainstream freilich war 3 Years, 5 Months & 2 Days In The Life Of… ein Erfolg (was auch nicht zur Credibility beitrug….) – und so aus der Entfernung (zeitlich und örtlich…) betrachtet, sind hier tolle Tracks zu bewundern wie die No.1 Singles „Mr. Wendal“ oder „Tennessee“ – elegant und auf unnachahmlich „dope“ – Art sprituell/fröhlich und mit „Dawn Of The Dreads“ oder „Give A Man A Fish“ etwa gibt es genug Albumtracks, die das ganze Album sanft durchs Ohr gleiten lassen. Es gibt wenig zu bemängeln, wenn man fair ist. Einzig die Tatsache, dass dieses Album etwas weniger würdevoll gealtert ist, als die immer aktuellen Meisterstücke der großen Conscious HipHop Meister wäre zu bedauern. Das Album war ein Erfolg, aber danach kam nichts bemerkenswertes mehr von Arrested Development, und Speech Solo versank dann im Untergrund. Das Album hören und entspannen – um dann etwas mehr Spannung mit dem folgenden Album aufzubauen…

Southern/ Gangsta Rap/ Dirty South

U.G.K. (Underground Kingz)
Too Hard to Swallow

(Jive, 1992)

Cover – Tar Photography…

… denn damit wird’s ernst. Die Underground Kingz – kurz U.G.K. – bestanden aus den beiden MC’s Chad „Pimp C“ Butler und Bernard „Bun B“ Freeman und kamen aus Houston Texas – was sozusagen das L.A. zum N.Y. Atlanta ist. Sie hatten ihren Style, ihre Karriere in den letzten fünf Jahren konsequent im HipHop Underground ihrer Heimatstadt aufgebaut, waren inzwischen in Texas DIE HipHop Institution mit großer Credibility – und lieferten mit dem sparsam produzierten Debütalbum Too Hard to Swallow die bestmögliche Südstaaten-Antwort auf Grundlagenwerke wie The Chronic/ Sleeping With the Enemy/ Live and Let Die. Die Geto Boys hatten N.W.A. in den Jahren zuvor schon geantwortet, aber sie hatten keinen distinktiven „Southern“ Sound, U.G.K. machten Gangsta Rap mit basslastigen Rhythmen, mit langsamen Raps, mit sparsamen Samples von den Isley Brothers, Bill Withers oder Curtis Mayfield – und so definierten sie die Form des HipHop, die man dann Dirty South nannte. Chef im Ring war Pimp C (der Dicke ohne Brille), ein Rapper mit beachtlichen skillz, einem unnachahmlichen Flow, der selbst banale Zeilen voller Selbstbewußtsein und Überzeugung vorbrachte und einen beeindruckenden Job als Producer ablieferte – auch wenn hier aufgrund des begrenzten Budgets erst die Grundlagen des bald sehr „saftigen“ UGK-Trademark Sounds gelegt wurde. Bester Track unter vielen ist „Pocket Full of Stones“ – ein Klassiker, der auf jedes Mixtape mit den Tracks des Jahres `92 gehört. Noch waren Bun B’s Beiträge nicht auf dem selben Level wie die seines Kollegen Pimp C – aber Too Hard to Swallow ist nie langweilig, verliert nie an Dringlichkeit oder Stil – und es ist vielleicht gerade wegen seiner Underground-Eigenschaften so gut. UGK machten in den kommenden Jahren mit Super Tight und Ridin‘ Dirty zwei ganz große Alben, dann ging Pimp C in den Knast (… gut für die credibility…not) ehe er zurückkam und 2007 an einer Überdosis starb. UGK sind Legende.

Southern/ Gangsta Rap/ Horrorcore

Ganksta N-I-P
South Park Psycho

(Rap-A-Lot, 1992)

Art Direction – Soul Enhacement NYC, Don Harris & Ken Henson

… und mit Ganksta N-I-P wird es im Süden ganz hart – so hart, dass ich es für Comedy halte. Ähnlich wie die in dieser Zeit aktuellen Death Metal und Grindcore Bands (siehe Carcass oder Autopsy) ist der HipHop von Lewayne Williams aka Ganksta N-I-P textlich dermaßen gewalttätig, sind seine Lyrics so geschmacklos, dass man sie nicht mehr ernst nehmen kann – und damit wahlweise ignorieren oder mit einer gesunden Mischung aus Ekel und Faszination hören wird. The South Park Psycho gilt in entsprechenden Kreisen als heiliger Gral des 90er Undergroud Hardcore Gangsta Rap, oder besser – wie man das bald nennen wird – des Horrorcore. 55 Minuten lang hört man fasziniert zu, wie eine Gewaltszene die nächste ablöst – das Ganze hat etwas von einem Tarantino Film: „Throw your daughter in the air, hope that bitch break her leg/ Be nice and help her up and kick her dead in the head./No bullshittin‘, you must be smokin that rock hoe/ Snatch some meat out your stomach so I can make me a taco“ Ganksta N-I-P (Nation of Islam is Powerful) ist zu der Zeit Teil der South Park Coalition um die Texaner Geto Boys – deren Bushwick Bill textlich in seine Fußstapfen treten wird – South Park Psycho wird auf dem Label der Geto Boys veröffentlicht und von deren Crew The Terrorists dem Inhalt entsprechend finster produziert und es wird in den R&B/HipHop Charts auch ein kleinerer Erfolg – sicher wegen der expliziten Texte, aber auch, weil Ganksta NIP seine Psychopathen-Lyrics handwerklich sauber ‚rüberbringt. Der Track „Psycho“ geht in die Annalen ein als gewalttätigster HipHop-Track aller Zeiten. Hier nur eine Textprobe, die auf Schlimmeres vorbereiten will: Blood gushin‘ out your head, it’s getting thicker and thicker/ Pour some chocolate on your arm so it can taste like a Snicker/ Push your ass off a building, check to see if you’re dead/ Blast back a second blade, plus I’ll sharpen your fuckin‘ head … die Sache mit dem Arm, der Schokolade und dem Snickers ist wirklich lustig – finde ich, der ich auch die Leichenfresser-Lyrics von Carcass amüsant finde. Dass das Album danach im Rahmen diverser political correctness Kampagnen in den USA aus dem Verkehr gezogen wurde, ist in meinen Augen albern. Niemand wird gezwungen, so etwas zu hören, und ICH glaube nicht, dass irgendjemand durch das Anhören solcher Lyrics zum Massenmörder wird. Dafür sorgen andere Dinge. Ganksta N-I-P wird noch zwei solcher Horrorcore Alben machen, gleiches Konzept, weniger gelungen, es gibt bald ein paar bessere Alben dieser Art – besser produziert und von besseren MC’s ausgeführt. DER Klassiker ist das ’94er Gravediggaz Album 6 Feet Deep – ein unabhängig vom Inhalt sehr gutes HipHop-Album. Aber dies hier ist in der Tat der blutverschmierte heilige Gral. Am besten auf YouTube anhören, weil man dieses Album nur für absurd hohe Preise bei discogs bekommt.