1991 – Screaming Trees bis Neil Young & Crazy Horse – Ein Jahr voller Grunge

Nirvana’s Nevermind – und damit der angebliche Startschuss für den kommerziellen Siegeszug der „alternativen“ Rockmusik – wird am 24. September 1991 veröffentlicht. Die Nevermind-Single „Smells Like Teen Spirit“, die via MTV den Siegeszug der Band Nirvana einläutet, erschien 14 Tage zuvor.

Und schon in den Monaten davor erscheinen (soon to be…) Klassiker der kommenden Big Seller des alternativen Rock in erstaunlicher Anzahl. Das lässt vermuten, dass einige wichtige Business-Leute spätestens Anfang ’91 gewusst haben, dass da eine Verschiebung im Musikgeschmack mit Auswirkungen auf das Musikbusiness bevorstand. Der Siegeszug Nirvana’s – und mit ihnen einer ganzen Generation von Musikern – hat vielleicht wirklich in der Luft gelegen. Diverse große Plattenfirmen hatten in den Monaten zuvor schon diverse Bands von ihren bisherigen Indie-Labels weggelockt. Nirvana, im Jahr zuvor noch bei Sub Pop, veröffentlichten ihr Nevermind schließlich bei Geffen, die Screaming Trees zum Beispiel waren ebenfalls beim Major gelandet und hatten ihr Uncle Anesthesia schon im Januar dieses Jahres rausgehauen. Die Proto-Grunge Band Dinosaur Jr war zum Einen schon eine Weile beim Warner Sub-Label Sire, zum Zweiten hatten sie ihr sehr gelungenes Major Debüt Green Mind schon im Februat `91 draußen – und ihr bisheriges Label SST nutzte im August den möglichen Hype für die gelungene Compilation Fossils. Die Smashing Pumpkins waren beim Virgin-Unterlabel Caroline und formten schon im Mai ’91 ihren progressiven Kram, Pearl Jam’s Ten wurde fast exakt einen Monat VOR Nevermind von Epic veröffentlicht, Badmotorfinger von Soundgarden wurde zwar „erst“ im Oktober ’91 bei A&M veröffentlicht, aber das All-Star Projekt Temple of the Dog, bestehend aus Mitgliedern von Soundgarden und Pearl Jam veröffentlicht schon April ’91 sein Album – auch beim Major A&M. Aber noch hatten auch ein paar Indie-Label die Bands unter Vertrag, die bald von den Majors umworben wurden: Die ehemalge Heimat Nirvana’s, das Seattle-Label Sub Pop veröffentlichte im Juli ’91 Mudhoney’s Meisterwerk Every Good Boy… – und hielt sich nach dem Weggang Nirvana’s damit finanziell über Wasser, der Kurt Cobain-Gönner Tad veröffentlichte sein Meisterwerk Anfang des Jahres bei Sub Pop, die Melvins waren den großen Labels wohl noch (!) zu extrem und blieben bis ’93 bei einem kleinen Label – aber künstlerisch waren auch sie schon im Mai ’91 auf dem Kamm der Welle – ebenso wie Sebadoh, die Band des geschassten Dinosaur Jr Bassisten Lou Barlow, die ebenfalls im September ’91 ihre Anti-These zu Nevermind beim ehrenhaften Indie Homestead veröffentlichten – und dann zum Major überlaufen würden. Was auch für die Band der späteren Kurt Cobain Ehefrau Courtney Love gilt, deren Pretty on the Inside Monate vor Nevermind beim Indie City Slang erschien. Und Neil Young, die Vaterfigur für alle Flanellhemden tragenden, Rückkopplung liebenden Musiker der frühen Neunziger, veröffentlichte Ende ’91 noch eine dröhnende Live-Rückschau auf seine bisherige Karriere – und erfreute damit die Alternative Rock-Hörer der Neunziger. Sprich:: „Grunge“ in all seinen Facetten entstand nicht als Reaktion auf das zweite Album Nirvana’s, dieser „Stil“ hatte sich in den Jahren zuvor entwickelt, Nevermind war nur das Album, das bislang tauben Massen die Ohren für die Vielfalt einer nicht ganz so kommerziellen Musik freiblies. Hier also die wichtigsten Zeit- und Stilgenossen von Nevermind im Jahr ’91.

https://music.apple.com/de/playlist/der-gro%C3%9Fe-rockhaus-1991-grunge/pl.u-WabZv3GfdKkB04b

Screaming Trees
Uncle Anesthesia

(Epic, Jan. 1991)

Die Screaming Trees haben nie den vergleichbar großen (kommerziellen) Erfolg wie andere große Acts ihrer Zeit und Art erreicht. Ich vermute, da spielt die Tatsache eine Rolle, dass sie sozusagen „zu früh“ da waren – Uncle Anesthesia war schon ihr fünftes Album, ihr erstes bei einem Major nach Jahren bei SST Records, dazu kamen die Alkoholprobleme der einzelnen Bandmitglieder, wüste Streitereien, die dazu geführt hatten, dass sie im Vorjahr reihum Solo-Alben gemacht hatten – und ein kompromissloser Sound, der weit weg vom schlauen Punk meets The Beatles Nirvana’s war – und somit ein kleineres Publikum ansprach. Dabei sind die Alben der Screaming Trees keinen Deut schwächer als die solcher Brüder im Geiste wie Mudhoney oder Soundgarden. Auch sie wühlen im Krach der Garagen und der Stooges, laden ihre Songs mit Fuzz-Gitarren, psychedelischen Jams und schweren Rhythmen auf – und die Screaming Trees haben mit Sänger Mark Lanegan zusätzlich eine extrem wiedererkennbare Stimme dabei. Dessen dunkles Organ holt selbst aus schwächeren Songs noch ein letztes Fünkchen Energie – und er wurde auf einigen Tracks auch noch von Soundgardens Chris Cornell unterstützt – die Band war in der Seattle-Szene tief verwurzelt… Uncle Anesthesia jedenfalls hat kaum Schwächen. Die Screaming Trees hatten mit Terry Date einen namhaften Produzenten dabei, der sie klarer und erwachsener klingen ließ als je zuvor, aber die Band hatte immer einen sehr dichten Sound. Selbst eine Halbballade wie das mit Trompeten nach Mexiko geschobene „Disappearing“ schwimmt auf einem Teppich von Gitarren. Und sie hatten weitere feine Songs dabei, die man allerdings im Grund-Dröhnen des Album erst einmal heraushören muss. Der Opener „Beyond this Horizon“ beginnt mit zischenden Gitarren und rollenden Drums – und ist so psychedelisch wie die frühen Siebziger. Das nachfolgende „Bed of Roses“ klingt dagegen fast luftig und wurde mit Video für MTV als Single auserkoren. Auch der Titeltrack, „Something About Today“ und „Ocean Of Confusion“ sind unter dem Grundrauschen der Gitarren erstaunlich melodisch und energetisch. die Gitarren Gary Lee Conner’s sind mindestens so prägend für den Sound der Band, wie Lanegans Stimme. Uncle Anesthesia hätte mehr Erfolg verdient, aber es kam für die Charts wohl einach sieben Monate zu früh

Tad
8-Way Santa

(Sub Pop, Feb-1. 1991)

Auch dieses Album hätte groß werden sollen: Tad – benannt nach dem ziemlich beleibten Bandleader Tad Doyle – waren eine etablierte Größe in der Musikszene Seattle’s, Doyle hatte Kurt Cobain immer sehr unterstützt. Er war mit Nirvana auf Tour gewesen und er war eine Urgewalt, dessen Band zwei Jahre zuvor mit God’s Balls den Fans harter alternativer Musik einen massiven Brocken vor die Füße geworfen hatte. Aber Tad machten es sich Zeit ihrer Karriere immer selber schwer. Der Titel des ersten Albums dürfte im bibeltreuen Amerika kontrovers sein, das Cover von 8-Way Santa wurde schleunigst indiziert (sie hatten das Foto in einem Second Hand Shop gefunden), Tad Doyle sah (im Gegensatz zu Eddie Vedder, Kurt Cobain oder Chris Cornell) zum Fürchten aus – und verhielt sich bei Konzerten auch so. Dazu kommt der sumpfige, hart und düster rumpelnde Sound der Band. Dabei hatte Tad Doyle (weit mehr als die Screaming Trees etwa) durchaus ein Händchen für ins Ohr gehende Hooks. Die werden nur eben mit sumpfigen Rhythmen, harten Gitarren und donnernden Drums zugeschüttet. Und wenn Tad Doyle dazu mit feister Stimme Anzüglichkeiten krächzt, dürften Mainstream-Hörer ihre Ohren verschlossen haben. Man sollte sich klar machen, dass es all den hier reviewten Band nicht um Erfolg im Pop-Business ging – das war weder bei Nirvana noch bei Mudhoney, den Melvins, Dinosaur Jr oder eben Tad der Fall. Manche der hier gelobten Alben waren zum richtigen Zeitpunkt in den Läden, andere kamen zu früh oder waren einfach eine Spur zu extrem. Zu denen zählt eben auch 8-Way Santa, das mit „Delinquent“, „Trash Truck“ oder „3-D Witch Hunt“ einige echte schmutzverschmierte Perlen dabei hat. Und dann benutzten sie für das Cover der Single „Jack Pepsi“ das Pepsi Cola-Logo und wurden prompt verklagt. Ein Schelm, wer dahinter Methode erkennen will. 8-Way Santa ist vor allem für Freunde von Sludge Metal eine Offenbarung…

Dinosaur Jr.
Green Mind

(Sire, Feb. 1991)

Und wiederum: Man beachte das Erscheinungsdatum unter dem LP-Titel… Green Mind von Dinosaur Jr, – ausgewiesenen Vorbildern von Kurt Cobain – erschien schon im Februar ’91 – d.h. Sieben Monate vor Nevermind. Und ’91 wurde der bislang wortwörtlich „independent“ Rock endgültig zum Thema bei den Majors. So war auch das vierte Album von Dinosaur Jr. deren Einstand beim Warner Bros – Untertan Sire. Zuvor hatte J Mascis allerdings Bassisten Lou Barlow entlassen und auch Drummer Murph durfte nur auf ein paar Stücken mit-trommeln – den Rest übernahm Napoleon Mascis, und wer Dinosaur Jr. kennt, weiss dass das so gut wie garnichts ausmacht. Green Mind mag nicht ganz die ungezügelte Energie der SST-Alben Bug oder You’re Living All Over Me haben, da mag die Anpassung an den kommerzielleren, gezähmteren Sound beim „Major“ eine winzige Rolle gespielt haben, aber die grundsätzlichen Elemente der Musik von Dinosaur Jr. bleiben reichlich vorhanden: J Mascis ausladendes Gitarrenspiel, Soli die sich mit denen von Greg Sage und Neil Young messen können, ein erstaunliches Pop-Verständnis, das sich in süßesten Harmonien äußert, die gepaart sind mit lärmenden Punk und Noise Ausbrüchen und natürlich die hohe, immer so müde klingende Stimme, die vermuten läßt man habe es hier mit dem Urbild des Slackers zu tun. Aber ganz so müde kann Mascis nicht gewesen sein, denn die Songs sind ohne Tadel: „The Wagon“ ist ein gelungenes Sequel zu „Freak Scene“, „Blowing It“ paart akustische Gitarren mit donnernden Drums, „Thumb“, „Puke + Cry“ und der Titelsong sind ganz einfach: Alternative Rock as good as it gets. – und dieses desillusioniert-coole Mädchen auf dem Cover könnte ja auch als hintergründiger Hinweis auf die verlorene Unschuld in der Rockmusik zu verstehen sein

Temple Of The Dog
s/t

(A&M, May 1991)

Auch hier: Die Beteiligten dürften nicht geahnt haben, dass dieses Projekt mal als regelrechte „Supergroup“ wahrgenommen würde. Temple of the Dog bestanden aus dem Soundgarden Sänger Chris Cornell plus Soundgarden-Drummer Matt Cameron sowie aus Jeff Ament, Mike McCready und Stone Gossard, Bassist und Gitarristen von Mother Love Bone. Deren Sänger Andrew Wood – eine der Hauptfiguren der Musikszene in Seattle – war just an einer Überdosis gestorben, und sein buddy Chris Cornell hatte zwei Songs zu seinem Gedenken geschrieben. Die wollte er zunächst mit den oben genannten Kollegen als Single aufnehmen, aber die Chemie bei den Aufnahmen war so gut, dass ein ganzes Album herauskam – die drei Ex-Mother Love Bone Musiker hatten vor den Sessions einen Sänger namens Eddie Vedder kennengelernt, der Background-Vocals beisteuerte – und diese vier würden bald Pearl Jam gründen. Tatsächlich hört sich Temple of the Dog wie eine Kreuzung aus Soundgarden’s Led Zep- und Psychedelic-Rock Einflüssen, gepaart mit dem straighteren Grunge-Rock von Pearl Jam an. Cornell hatte mit „Say Hello 2 Heaven“ und „Reach Down“ zwei mächtige – und mächtig pathetische – Rocker geschrieben, die er dann in seiner Robert Plant Manier herausschreien konnte, die zwei Gitarristen und der Bassist unterlegten diesen Rrrock mit gerade genug roher Kraft, dass es unpeilich blieb. Bei „Hunger Strike“ übernimmt Eddie Vedder den Gesang – und der erste „Pearl Jam Moment“ ist da… Die Songs sind mit einer unschuldigen Leidenschaft und Hingabe performt, Temple of the Dog ist – wie man an der Hintergrundstory erkennet – kein geistloses Tribut-Album, sondern ein von Herzen kommendes, etwas kitschiges Pearlgarden-Album voller gelungener Tracks. Dass diese Art Rockmusik ab Mitte des Jahrzehntes durch peinliche Imitatoren verdorben wird, sollte diesem Album (und den anderen hier…) nicht schaden… zumal es zu dieser Zeit und an diesem Ort ja auch völlig Cooles gibt wie…

Melvins
Bullhead

(Boner, May 1991)

… die Melvins… wahlweise eine Grunge-Kapelle, experimentelle Noiseniks, Sludge-Pioniere (um noch ein Genre zu bemühen), Institution des Indie-Rock und Kurt Cobain-Freunde – und in diesem Jahr allen Anderen zwei bis drei Schritte voraus. Ihr drittes Album ist einer der fundamentalen Schritte in der Entwicklung „harter“ Musik, Das Trio um den Gitarristen King Buzzo fügt mit rumpelden Rhythmen und Distortion alles zusammen, was Bands wie die Swans, Black Flag und Black Sabbath im einzelnen erschaffen haben. Und das von ihnen zusammengesetzte Monster gebiert in den folgenden Dekaden etliche Bastarde des alternativen Metal. In Japan benennt sich aus gutem Grund eine Drone-Metal Band nach dem Opener des Albums – „Boris“ – und als sie Bullhead veröffentlichen, explodiert gerade der „Grunge“ – eines der Ergebnisse ihrer Kopulationen – um sie herum. Bullhead dürfte unter anderem aufgrund seiner Unkommerzialität 1991 nur ein Thema für Leute mit weit offenen Ohren sein. Selbst als die Melvins zwei Jahre später beim Major Atlantic landen, lassen sie keinerlei Kompromisse zu – das wurde vertraglich so festgelegt – was für Zeiten – aber ihre Kreativität war schon ’91 auf dem Zenith. Bullhead ist eine – ebenfalls von Butch Vig produzierte – Schlammlawine aus Drones und Rückkopplungen, getaktet durch Dale Crovers mal tribalistische, mal spastische Drums und den abgrundtiefen Bass von Buzzo’s Freundin Lori Black. Die Bandbreite reicht vom oben genannten Ein-Riff-Drone „Boris“ über das regerecht radiofreundlichen „It’s Shoved“ bis zu „Zodiac“, dem rasenden Gegenpol zu „Boris“. und innnerhalb dieses Spektrums verbinden die Melvins Ironie mit Depression, Spaß mit Wahnsinn und gehen von Stasis bis zur Explosion. Harte Musik kann sehr innovativ sein – der Beweis wäre Bullhead…. und die beiden Nachfolger Lysol und Houdini.

Smashing Pumpkins
Gish

(Caroline, May 1991)

Die Smashing Pumpkins stehen in noch höherem Maße als Soundgarden oder Pearl Jam exemplarisch für die Entwicklung der alternativen Rockmusik in den Neunzigern – weil sie die Entwicklung von einer krachigen, alternativen Band zum aufgeblasenen Mega-Act innerhalb von vier Jahren hinlegten und dabei (angeblich) alle sogenannte Glaubwürdigkeit verloren haben, aber auch weil sie damit eigentlich nur dem Masterplan ihres exzentrischen und (bald) größenwahnsinnigen Kopfes Billy Corgan folgten, der seine Vision von Rockmusik einfach nur so vielen Menschen wie möglich um die Ohren hauen wollte. Und weil sie mit dieser Musik in dieser Zeit Erfolg hatten. Alternative Rock aus den USA wurde in den paar Jahren nach ’91 gleichgesetzt mit dem Begriff „Grunge“ bei dem die jeweiligen Bands hauptsächlich kräftige Gitarren und die Verbindung von Punk-Energie und Pop-Harmonien gemeinsam hatten. Gish erschien ca vier Monate vor Nirvana’s Nevermind – man kann Billy Corgan somit nicht vorwerfen, er sei auf einen fahrenden Zug aufgesprungen, auch Gish wurde von Butch Vig produziert, aber wenn man sich dieses Album wirklich anhört, verschwinden die Parallelen zu Nirvana und Konsorten schnell. Nirvana waren eine Punk-Band mit Beatles Vorlieben, die Smashing Pumpkins d.h. vor Allem Billy Corgan – klangen schon hier wie eine progressive Arena-Rock Band mit Vorlieben für obskure 70er Acts wie ELO, Queen, die Scorpions – gefiltert durch das Wissen um Hardcore und Noise. Aber immerhin hatte Corgan nicht komplett die Kontrolle übernommen, so überließ er Bassistin D’Arcy beim veträumten Closer „Daydream“ die Vocals und schrieb „I am One“ gemeinsam mit Gitarrist James Iha – und beide Songs gehören zu den gelungenen auf Gish. Noch sind manche Ideen nicht ganz zuende formuliert, noch sind die Lyrics prätentiös UND unbeholfen, aber Corgan weiss jetzt schon, wie man einen Song bombastisch arrangiert, wie man auch aus kleinen Ideen Alles herausholt. Ich habe mal gelesen, dass Corgan zu diesem Zeitpunkt My Bloody Valentine’s Loveless noch nicht kannte, und dem Album daher die Dichte des folgenden Siamese Dreams fehlt. Das stimmt wahrscheinlich (Loveless erscheint Ende ’91), es ist aber auch ein bisschen gemein, Corgan ist offenkundig ein guter Songwriter, der gerne auf Effekte setzt und der zu diesem Zeitpunkt noch nicht so starke Songs hat, wie in zwei Jahren. Beweis für sein Können: Das psychedelische „Rhinoceros“, mit Shoegaze Sound, röhrendem Gitarrensolo und dem „…she knows, she knows, she knows...“ Refrain, der nicht aus dem Kopf gehen will. Gish ist Smashing Pumpkins in bescheiden, das hat auch seinen Reiz.

Hole
Pretty On The Inside

(City Slang, July 1991)

Jetzt weiss man es natürlich: Hole, das ist die Band der Nirvana-Yoko Ono Courtney Love, der fatalen drogen- und trunksüchtigen Ehefrau der Ikone Kurt Cobain. 1991 allerdings war sie „nur“ die Chefin der famosen Girl-Grunge Band Hole, eine rebellische Musikerin mit selbstbewusster, emanzipierter und zugleich selbst-ironischer Attitüde und einer erfreulichen Agressivität wie man sie zuvor so (bei Frauen in der Musik) nicht gekannt hatte. Hole waren sympathisch – und sie hatten neben dem Image erfreulicherwerise auch noch die entsprechende Musik. Das folgende Live Through This – angeblich unter Mithilfe des Dann-Ehemannes Cobain geschrieben – gílt als das bessere Album. Ansichtssache. Pretty on the Inside – produziert von Don Fleming und Sonic Youth’s Kim Gordon – ist wütend und laut und rauh, es hat mindestens soviel mit „Grunge“ zu tun, wie mit Riot Grrrl-Wut, Courtney Love ist eine gute Songwriterin aber ihre Lyrics sind noch besser, zwar voller Selbstverachtung, aber die Person Love wiederspiegelnd – genau wie sie es will. Eine Ex-Stripperin, die ohne echtes zuhause aufwuchs, der ihre Wertlosigkeit jeden Tag um die Ohren gehauen wurde, die aber um jeden Preis berühmt und reich werden will – und all das mit einer gehörigen Portion Selbstironie sieht. Dass die Musik dazu dann die Härte von Punk und Noise-Rock entleiht, dass manche Songidee nicht ausgefeilt ist, dass sie, die als Mädchen von der Mutter mit stundenlangen Joni Mitchell Hör-Sessions traktiert wurde – nun ausgefeiltes Arrangieren verachtete, lag nahe. “Sassy“ ist eine unnötige Lärmorgie, aber „Garbage Man“ zeigt, dass sie auch Melodie kann. Auch das bezeichnend betitelte „Teenage Whore“ ist unter all dem Lärm ein feiner Song, und die Wut und Energie, die aus dem kompletten Album sprüht, macht es einerseits anstrengend, andererseits aber auch beeindruckend gut. Dass das, was später kommen würde eine pervertierte Version ihres Traumes werden würde – Heirat mit Rock Star, Reichtum, Drogen, Häme und Spott von allen Seiten – hat Romanqualitäten. Man mag Courtney Love lieben oder hassen, Pretty on the Inside ist ein beeindruckendes Album.

Mudhoney
Every Good Boy Deserves Fudge

(Sub Pop, July 1991)

Nirvana, Pearl Jam und Soundgarden mögen die Aushängeschilder des Grunge sein, jedenfalls sind sie diejenigen, die man mit dem Begriff verbindet, aber Mudhoney waren die Band, nach der Sound und Stil benannt wurden. Und sie sind auf jeden Fall neben den Screaming Trees und Alice in Chains mit ihrer sumpfigen Heavyness und neben den Afghan Whigs mit ihrem kalten Zynismus die beste „typische“ Band, um dieses Genre zu beschreiben. Every Good Boy Deserves Fudge war das Album, auf dem sie ihren punkigen Furor zugunsten kontrollierteren Energieausbrüchen zügelten. Die Überlegung hatte im Raum gestanden, sich auch einem Major-Label anzuschliessen, aber die Band blieb dem Indie Sub Pop treu (und bewahrte ihn damit vor dem Ruin…), vielleicht war das trotzdem der Grund für die (moderate) Zivilisierung des Sounds. Es gibt natürlich immer noch die Verneigung vor den Stooges („Let It Slide“) mit reichlich Fuzz-Gitarren und natürlich bleiben Mudhoney Blue Cheer und dem Garage-Punk verpflichtet, dazu hat Mark Arms Stimme die notwendige Mischung aus Langeweile und Lässigkeit, und die Band strotzt vor Energie. Ihr Garage-Rock ist aber nun noch mehr durch Pop-Hooks versüßt, hier und da verweist die Harmonika von Steve Turner auf ältere Wurzeln, die Gitarren bei „Good Enough“ klingen auch mal nach den 80ern, nach New Order und Wedding Present. Die simple Eight-Track Produktion trägt zum energetischen Sound bei und Mudhoney geraten nur noch beim sechs-minütigen „Broken Hands“ außer Kontrolle und lassen die Amplifier krachen. Es ist egal, ob man das hier „Grunge“ nennt und somit einem Trend zuordnet, Every Good Boy Deserves Fudge ist so zeitlos wie eine Urgewalt.

Dinosaur Jr.
Fossils

(SST, Aug. 1991)

Ja – hier EIN „Erfinder“ des Grunge mit einem anderen Album in 1991. Oder sagen wir es im Rückblick besser so – hier nochmal die Band, die Alternative Rock as good as it gets definiert hat. Dinosaur Jr. hatten dieses Jahr mit Green Mind auf Warner/Sire – ähnlich wie etliche andere hier – den Schritt aus dem Untergrund gemacht, aber SST, ihr altes, extrem kredibles Label, tat den Fans den Gefallen, mit den bezeichnend benannten Fossils drei genre-defining Singles + B-Seiten auf einer LP zusammenzufassen. Drei Singles, die zwischen 1987 und 1989 dem da gerade zwanzigjährigen Kurt Cobain ziemlich gefallen haben dürften. Hier bekam man das, was man im Alternative Rock Anno ’91 so bewunderte: Süße Melodien, massive, weibglühende Gitarrensoli, ein Sänger, der klingt, als wäre er lebensmüde, und mit Dinosaur Jr. einen Sound, den so keine andere Band hatte. Und auf Fossils in gerade mal 22 Minuten acht Songs, von denen mindestens fünf zu Recht als Klassiker gelten. Die Pop, Punk und Rrrrock auf’s organischste und orgiastischste verschmelzen: „Little Furry Things“ mit kreischender WahWah Gitarre und einer zuckersüßen Melodie. „In a Jar“ – Indie Rock, vom Bass angetrieben, unverschämt catchy, „Freak Scene“, nach dem gleichen Rezept wie „Little Furry Things“ – alle drei existieren auch auf den Alben You’re Living All Over Me und Bug – hier wurden sie einem neuen Publikum nochmal ans Herz gelegt. Zumal es tolle Non-Album Tracks gab: Das Peter Frampton-Cover „Show Me the Way“, dem hier jede Albernheit fehlt, den The Cure-Track „Just Like Heaven“, der fast mit Death Metal Gesang daher kam…. Es ist eine kleine Compilation, die jeden, der es damals nicht wusste, darauf hinwies, dass diese Musik, die ab hier „Grunge“ hieß, schon seit Jahren existierte. Und dass der Begriff „Hype“ hier nicht gelten konnte. Nicht nur Nirvana hatten eine glorreiche Vergangenheit.

Pearl Jam
Ten

(Epic, Aug. 1991)

Nirvana’s Nevermind mag das bessere Album sein, aber Ten (benannt nach der Rückennummer des New Jersey Basketball Stars Mookie Blaylock) war das Album, das Grunge im kommenden Jahr (!) zum Massenphänomen machte und Michael Jackson vom Thron des King of Pop stieß. Das Quartett aus den beiden Ex-Mother Love Bone Gitarristen Mike McCready und Jeff Ament sowie dem Bassisten Stone Gossart und dem Sänger Eddie Vedder hatte sich schon vor dem einmaligen Projekt Temple of the Dog (siehe oben) kennengelernt, man fand noch einen Drummer, kannte die notwendigen Leute bei einem großen Label, und hatte bald ausreichend Songs für eine LP beisammen. Mit den epischen, mitreißenden Hardrock-Hymnen und Eddie Vedders kraftvollem Gesang gelang es Pearl Jam klassischen Rock mit Punk und Independent Rock zu verbinden und nach ein paar Monaten Verzögerung im Kielwasser des Nirvana-Erfolges ein breiteres Publikum zu erreichen, als die meisten anderen Bands aus Seattle. Der Erfolg allerdings schien insbesondere Eddie Vedder regelrecht peinlich zu sein. Dabei gab es keinen Grund, sich für Songs wie „Once“, „Even Flow“ und „Alive“ (Alle hintereinander am Anfang des Albums!) zu schämen. Und bei all dem Pathos klang zu jener Zeit auch eine liebenswerte Unschuld durch, und die Dynamik und Begeisterung, die der Musik auf Ten innewohnt, sollte eine ganze Generation prägen. „Jeremy“ und „Release“ wurden – wie die zuvor genannten Songs – zu Klassikern der Rockmusik der Neunziger und Pearl Jam eine der meist-imitierten Bands der Dekade – und vor Allem Sänger Eddie Vedder zu unser Aller Leidwesen einer der meist-imitierten Sänger- da kann er aber nichts dafür..

Nirvana – Nevermind
(DGC, rel. 24.Sept. 1991)

Ja, am 24. Sptember ’91, 14 Tage nach dem Erscheinen der Single „Smells Like Teen Spirit“ – somit Monate nach den hier zuvor reviewten Alben, die man dann später als Nachahmer-Alben von Nevermind wahrnimmt – erscheint Nevermind. DAS Album, das entweder als Startpunkt für die hemmungslose Kommerzialisierung der ehemals „alternativen“, „unabhängigen“ intelligente und extremen (Rock)musik oder als Beginn eines (kurzen) goldenen Zeitalters für genau diese Musik steht… Aber das Review zu diesem unzweifelhaften Klassiker habe ich an anderer Stelle verfasst, (siehe das Kapitel 1991 – Talk Talk bis Bob Dylan) – hier geht’s um die Alben ‚drumherum…

Sebadoh
III

(Homestead, Sept. 1991)

Man kann das dritte, fast am selben Tag erschienene Album des Projektes von Dinosaur Jr. Bassist Lou Barlow, seinem Partnern Jason Loewenstein und Eric Gaffney als Anti-These zu Nirvanas Nevermind bezeichnen. Lou Barlow war Anfang des Jahres von Dinosaur Jr. Kopf J Macis ‚rausgeworfen worden, aber das Nebenprojekt Sebadoh lief immerhin schon seit zwei Alben, und nun war die Zeit gekommen, die eigenen Ideen weiterzuführen und auszuformulieren. Die vorherigen Alben hatten noch mehr nach Lo-Fi geklungen, das Doppelalbum Sebadoh III war etwas fokussierter, aber dieses Weisse Album des Indie-Rock bietet von radikalem Hardcore bis zu dunklem Folk ein äußerst heterogenes Gesamtbild – ist eigentlich nicht einmal ansatzweise das, was man „Grunge“ nennt. Die Musiker tauschen fröhlich ihre Instrumente untereinander, der Opener „Freed Pig“ könnte ein Beatles Cover im Punk-Folk Gewand sein, es gibt rohen Folk („Truly Great Thing“), Fuzz-Rock bei „Scars, Four Eyes“, und dann wird mit „Wonderful, Wonderful“ auch noch Johnny Mathis gecovert! Lou Barlow durfte unter Band-Diktator J. Macis bei Dinosaur Jr maximal einen Song beisteuern, was nicht seinen Fähigkeiten entsprach und dazu geführt hatte, dass es andauernd Streit mit Diktator Mascis gegeben hatte. Sebadoh waren für Barlow der komplette Gegenentwurf, hier gab es Spaß, hier gab es Demokratie, und auch das Chaos, das Barlow so mochte, und das Sebadoh immer auszeichnen sollte. Weitere acht Jahre waren Sebadoh noch tätig, nie belanglos, immer changierend zwischen rohem Hardcore und Indie, und immer gut. Und nachdem Lou Barlow ab 2005 wieder bei Dinosuar Jr. Bass spielte, reformierte er 2013 sein Ausweichsquartier – selbstredend mit beachtlichen Ergebnissen

Soundgarden
Badmotorfinger

(A&M, Oct. 1991)

Ich bleibe bei der zeitlichen Abfolge der Releases und komme zum dritten Album der dritten Kraft im Grunge. Soundgarden waren schon mit dem vorherigen Album Louder Than Love (’89) beim Major A&M angekommen, aber auch sie haben nicht ahnen können, dass sie mit ihrer an Led Zeppelin, Punk, Black Sabbath und Psychedelic orientierten Musik jemals zum „Big Seller“ werden würden. Und natürlich ist auch Badmotorfinger kein geplantes Kommerz-Produkt. All die Bands hier, deren Album im Verlaufe des Jahres ’91 erschienen, dürften – wenn überhaupt – mit Anerkennung und Verkäufen in der Indie-Gemeinde gerechnet haben – nicht mit Millionen Käufern aus allen Richtungen. Aber Badmotorfinger hat jede Anerkennung verdient. Soundgarden waren zum einen technisch ungeheuer versiert, ihre verschlungenen Metal-Grunge Songs klingen druckvoll und zugleich so leicht gespielt, sind aber weit komplexer als man meint – und mit Chris Cornell hatten sie eine Stimme an Bord, die mit Leichtigkeit vom grollenden Bariton zum melismatischen Countertenor reicht, der kreischen kann wie eine Hafensirene, und dräuen kann wie ein Felssturz. Aber ich misstraue instrumentalen Fertigkeiten und technischen Spielereien und komme mal zum Punkt: Auf Badmotorfinger ist die Dichte an großen Songs höher, als somstwo in der Diskografie Soundgarden’s. Hier ist „Rusty Cage“ (bald von Johnny Cash gecovert…), hier sind „Outshined“ und „Jesus Christ Pose“ und hier ist mit „Room a Thousand Years Wide“ einer der besten Songs ihrer ganzen Karriere dabei – Psychedelic, Pathos und Punk – was will ich mehr… Der Nachfolger Superunknown mit „Black Hole Sun“ ist das bekanntere Album, aber es ist als Doppel-LP 10 Minuten zu lang. Hier ein weiterer Grund für den Durchbruch des alternativen Rock namens „Grunge“.

Neil Young & Crazy Horse
Weld

(Reprise, Nov 1991)

…die 80er waren für Neil Young ein verlorenes Jahrzehnt, er hat erst ’89 mit Freedom wieder…. blablabla. Das wird vermutlich irgendwann auch noch anders gesehen – aber mal ganz ehrlich – Weld ist das perfekte, kraftvoll ins Gleichgewicht gebrachte Live Album für alle Liebhaber des harten, meinetwegen auch punkigen Gitarrenlärms, den man meinetwegen auch „Grunge“ nennen kann – und das nicht nur, weil Neil Young inzwischen meist karierte Flanellhemden trug. Irgendwann in den letzten Jahren war der alte Mann (= 47 Jahre alt…) zu dem Schluss gekommen, dass seine alten Songs mit LAUTEN Gitarren, simplen Rhythmen und viel Feedback am besten klingen. Und er mochte diesen jungen Kurt Cobain und seine Leidenschaft für Musik. Young’s alte Songs funktionieren wirklich am besten genau so episch, laut und körperlich wie hier. Er selber berichtete, dass er vom Lärm der eigenen Boxen Herzrasen und zittrige Knie kekommen habe. Jedenfalls entdeckte spätestens jetzt eine junge Generation eine der Wurzeln ihrer Musik – und Neil Young war wieder cool. Dann höre man doch einfach als Appetizer die 14 Minuten „Like a Hurricane“ – und lasse sich wegblasen. Ja, es könnte peinlich sein – oder aber ergreifend. Weld ist nicht „Grunge“… aber das gilt für mindestens fünf weitere Alben hier oben….

… und hier noch die besten 10…

…weil es natürlich noch etliche Alben gibt, die man unter dem Begriff „Grunge“ kategorisieren kann, die aber genauso vielfältig sind, wie alles, was hier oben beschrieben wird. Grunge ist Hardcore und Metal und Punk und Garage-Rock und Post-Punk und Noise und Rrrock und so weiter in kariertem Flanellhemd aus Seattle und Umgebung – und damit habe ich den Unsinn hinter dieser Kategorien definiert. Und jetzt also die 10 besten Alben ihrer Art – unabhängig vom Erscheinungsdatum?
Dinosaur Jr – You’re Living All Over Me (1988) – ist das eigentlich Grunge? Vielleicht nicht, dafür aber…
Mudhoney – Superfuzz Big Muff (1988) – das schon…
Nirvana – Bleach (1989) das Debüt…
Pearl Jam – Ten (1991) siehe oben
Nirvana – Nevermind (1991) – logisch
Alice in Chains – Dirt (1992) – ist auch dunkler Metal…
Nirvana – In Utero (1993) . der Anfang vom Ende
Soundgarden – Superunknown (1994) – auch Metal…
Stone Temple Pilots – Purple (1994) – alle hassen sie. Ich nicht
Truly – Fast Stories…From Kid Coma (1995) zu Unrecht unbekannter Soundgarden-Ableger, so typisch wie schlechtes Wetter in Seattle.
Und wer da gerne noch ein paar andere Alben sehen will – will ich auch….