1991 – Entombed bis Master’s Hammer – und was ist Growling? – Der Tod fährt die Ernte ein, Teil 2 – Europa

Der Artikel über Death Metal 1991 wäre ohne eine Zweiteilung einfach zu lang geworden. Ich habe mich für den zweiten Teil auf Bands ausserhalb des Anglo-Amerikanischen Raumes konzentriert. Denn Tatsache ist, dass gerade im Metal spätestens seit den Mitt-Achtzigern eine erstaunliche Internationalität herrscht. Bands aus Skandinavien, aus Süd-Amerika, aus Zentral-, Süd- und Ost-Europa, aus Asien und Australien, sprechen EINE musikalische Sprache – und ein Beweis dafür findet sich in diesem 2. Teil des Artikels über Death Metal 1991.

Death Metal in Europa unterscheidet sich in ein paar Merkmalen von dem der Kollegen in den USA. In Schweden gibt es eine regen Szene in und um Stockholm – und mit den Sunlight Studio’s und Tomas Skogsberg einen Ort und Produzenten, der dem Morrisound und Scott Burns in den USA entspricht. Skandinavische DM-Bands scheinen einen Hang zur Melodie zu haben, den ich bei den Bands in Kapitel 1 nicht so wiederfinde. Die Niederländer Pestilence und Asphyx sind so exzellent, unterschiedlich und eigenwillig wie ihre Kollegen Massacra und Loudblast aus Frankreich. Die Niederländer werden aber wegen ihrer Verträge bei inzwischen namhaften Labels und durch bessere Vermarktung weit erfolgreicher. Diese Privilegien haben die Wolfsburger Protector leider nicht. Und dass sie sich genau an der Grenze zwischen Death und Thrash bewegen, scheint auch geschadet zu haben. Die Österreicher Pungent Stench (Stechender Geruch – Aha!) sind so herrlich geschmacklos, dass sie in Zeiten wie diesen alleine schon dadurch erwähneswert sind. Die Schweizer Messiah wiederum bleiben trotz eines stylishen Albums nur KVLT… obwohl technisch komplexer Death/Thrash doch angesagt ist – verstehe einer die Welt. Und die Tschechen Master’s Hammer machen Symphonic Black Metal, als es das noch nicht gibt – und sind damit ihrer Zeit hoffnungslos voraus. Dass all diese Alben seinerzeit mit ihrer Todes-Symbolik, nihilistischen Lyrics und enromer Brutalität provoziert haben, erscheint heute seltsam. Aber damals wurde das Fundament für den extremen Metal der kommenden Jahrzehnte zuende betoniert. 1991 habe ich diese Alben genossen, und in den 2010ern/2020ern klingen sie wieder seltsam zeitgemäß – weil sich wieder junge Musiker zwischen 18 und 25 an den Death Metal wagen, der von ihnen offenbar neu entdeckt wurde. Vielleicht sind die gesellschaftlichen Bedingungen – und die apokalyptischen ökologischen Aussichten – nach der Jahrtausendwende so erschreckend, dass Nihilismus eine Option ist. Denn Hoffnungslosigkeit war für diese Musik immer ein fruchtbarer Nährboden.

https://music.apple.com/de/playlist/der-gro%C3%9Fe-rockhaus-1991-death-metal-teil-2-au%C3%9Ferhalb-der-usa/pl.u-8aAVX96To1eBM48

Dismember – Like An Ever Flowing Stream
(Nuclear Blast. 1991)

Wie man bemerkt, wenn man über DM ’91 liest, ist Like an Ever Flowing Stream zwar fantastisch – aber es ist nur eines von etlichen Alben, die den Platz im Hauptartikel ’91 verdient haben. Es ist großartig, fast wie…

Entombed
Clandestine

(Earache, 1991)

Als Extrem-Metal Aufhänger des Jahres habe ich im Hauptartikel ’91 das Debüt der Schweden Dismember gewählt – ich hätte aber durchaus auch Entombed’s Zweitling Clandestine exponieren können – wenn deren ’90er Debüt Left Hand Path nicht ihre Sternstunde gewesen wäre. Die Geschichte von Entombed ist mit der von Dismember eng verflochten, bei Carnage hatten Musiker beider Bands zusammen gespielt, Entombed hatten bis ’89 unter dem Namen Nihilist im Metal-Underground gewirkt – jetzt waren sie eine der erfolgreichsten europäischen DM-Bands. Ihr Sound ist zu dieser Zeit dem von Dismember sehr ähnlich (bzw. umgekehrt), sie haben mit Nicke Andersson einen Drummer/Gitarristen und vor Allem Songwriter der Extra-Klasse an Bord, sie bekommen die patentierte Produktion von Tomas Skogsberg im Stockholmer Sunlight Studio (der europäischen Entsprechung zu Florida’s Morrisound/Sott Burns) und auch sie vermitteln diese lustige, ein bisschen blumige schwedische Melodik in ihren donnernden Tracks. Die Härte von Tracks wie „Severe Burns“, der massive Drive von „Chaos Breed“ lässt freilich zunächst keine Gedanken an schwedische Volksmusik aufkommen, aber im Vergleich zu Bands wie Suffocation oder Death sind Entombed sicher eher zugänglich. Immerhin hat Johnny Dordevic ein schön brutales Organ, er gröhlt statt zu growlen – und macht dadurch die Rock’n’Roll Affinität der Band deutlich. Wer will, kann hier schon die baldige Hinwendung der Band zu ihrem Death’n’Roll auf dem kommenden Album Wolverine voraus-ahnen. „Evilyn“ etwa hat einen klaren Rock’n’Roll-Rhythmus – in einer Härte, die Motörhead den Motor stottern lassen dürfte. Clandestine ist das letzte Death Metal Album von Entombed, sie haben mit ihren beiden ersten Alben den schwedischen Death Metal geprägt. Das reicht mir. Ihre folgenden Alben sind schlicht eine andere Geschichte (die mir nicht mehr so richtig gefallen hat) aber dieses Album mit seinen melodischen, enorm kraftvollen Songs und der klaren Produktion ist fast so gut wie Like an Everflowing Stream. Das will was heissen.

Dark Throne
Soulside Journey

(Peaceville, 1991)

Für den 90er Metal-Kenner ist das Debüt der Norweger Dark Throne ein Kuriosum. Diese Band hat sich ab Ende ’91 klar der aufkommenden Second Wave of Black Metal um den Plattenladen-Besitzer und Szene-Guru Øystein ‚Euronymous‘ Aarseth von Mayhem zugewandt, sie haben mit den nächsten drei Alben Bild und Sound dieses Stils (mit)geprägt – sind für Viele DIE archetypische Black Metal Band – ihr Debüt Soulside Journey aber ist eines der besten Death Metal Alben im reichhaltigen Jahrgang 1991. Auf dem Back-Cover sind die vier Bandmitglieder ohne Corpse Paint und ohne jede Pose im Wald abgebildet, stellen sich noch nicht mit ihren gar förchterlichen Pseudonymen vor. Die Musik auf Soulside Journey hat sicherlich auch Black Metal-Anklänge, insbesondere in der Melodieführung gibt es ein paar BM-typische Dissonanzen, die eisige Atmosphäre und die Lyrics dürften manchen Satanisten erfreut haben – aber da sind Dark Throne nicht weit von Morbid Angel entfernt – das Ganze ist der nächste Beweis für meine Überzeugung, dass auch in dieser Phase die Stilgrenzen zwischen Death- und Black Metal durchlässiger waren, als es manchen Fundamentalisten recht war. Aber all das wäre uninteressant, wäre Soulside Journey nur durchschnittlich: Dass die Band schon seit ’86 existiert, somit reichlich Erfahrung hat, instrumental auch noch enorm versiert ist, dass sie wissen, wie man einen spannenden Track schreibt, dass sie einen recht eigenen Stil haben – auch wenn damals gerne Vergleiche mit Chuck Schuldiner’s Death gezogen wurden (was ja schon als hinreichend großes Lob gelesen werden kann…), dass sie im Stockholmer Sunlight-Studio von Tomas Skogsberg glasklar produziert wurden (die europäische Entsprechung zu Morrisound und Scott Burns) – das alles zeigt, dass man sie als DM-Act ernst nehmen musste. Überraschen mag das komplexe und gekonnte Drumming von Gylve Fenris Nagell aka Hank Amarillo (hier) aka Fenriz (ab 1992) – der sich in seiner Virtuosität aus Stil-Gründen bald anscheinend sehr zurückhielt. Auch die tiefer gestimmten Gitarren, die blitzschnellen Leads, die rasanten Riffs, das Bass-Solo auf „Iconoclasm Sweeps Cappadocia“ sind stilsicher – und Ted Skjellum’s (bald Nocturno Culto) Growls sind auf diesem Album noch Growls, er kreischt noch nicht. Soulside Journey ist einfach ein hervorragendes Death Metal Album, das wegen des Bandnamens und der weiteren Entwicklung der Band etwas in Vergessenheit geraten ist. Sollte man ändern.

Pestilence
Testimony Of The Ancients

(Roadrunner, 1991)

Jetzt geht’s in die Niederlande und wende mich der nächsten Pionier-Band des Death Metal zu. Pestilence kommen aus Enschede und haben mit Consuming Impulse im Jahr ’89 – wie so viele andere Bands jener Tage – eines dieser Alben zwischen Thrash und Death geschaffen. Ihr unumstrittener Band-Kopf Patrick Mameli ist angeblich ein ähnlich schwieriges Genie wie Death’s Chuck Schuldiner, aber die Besetzungs-Wechsel, die der Band Zeit ihrer Existenz den ganz großen Erfolg verwehrt haben mögen, haben für das dritte Album Testimony of the Ancients zu sehr kompetentem Personal geführt: Mit dem Cynic-Bassisten Tony Choy ist ein ausgewiesener Könner dabei (der nach dem Job für Pestilence zu Atheist ging – siehe oben…), Mameli’s Kollegen, Gitarrist Patrick Uterwijk und Drummer Marco Foddis, sind eingespielt, weil von Beginn an dabei, und Mameli, der jetzt den Gesang übernimmt, nachdem Martin Van Drunen zu Asphyx wechselte (siehe unten…), muss seine Kompetenz ganz gewiss nicht mehr nachweisen. Die Band ging für die Aufnahmen nach… Florida, zu Scott Burns ins Morrisound Studio… aber sie haben einen so distinktiven Sound, dass ihnen dessen Einheits-Produktion nicht schadete. Da ist zum Einen Mameli’s gewöhnungsbedürftiger Gesang, der eher ein gehetztes Krächzen ist, der tatsächlich ein bisschen an Death’s Chuck Schuldiner erinnert, da sind Songs, die auf sehr eigene Weise Komplexität und melodische Wendungen verbinden, da ist der Einsatz von Synthesizern, es gibt kurze instrumentale Zwischenspiele, die Atmosphäre ist manchmal eher panik-artig, nicht nihilistisch, sondern eher wütend und verzweifelt. Dass Bass und Schlagzeug auch hier (wie bei Atheist) deutlich erkennbar und bei weitem nicht so dumpf und fett wie bei anderen Bands üblich aufgenommen wurden, lässt oft an besonders harten Prog-Rock denken. Songs wie „Twisted Truth“ etwa haben Momente, die an Pink Floyd denken lassen, aber Pestilence sind zugleich eindeutig Death Metal – für den an Marillion oder dgl. gewöhnten Hörer sicher zunächst einmal inakzeptabel. Ich empfehle dieses Album jedem, der Facetten im Death Metal sucht.

Asphyx
The Rack

(Century Media, 1991)

Auch Asphyx sind aus den Niederlanden, sie existieren schon seit dem Ende der Achtziger und nach ein paar Besetzungswechseln gesellte sich 1990 Ex-Pestilence-Sänger und Bassist Martin Van Drunen zu den verbliebenen Ur-Mitgliedern Bob Bagchus (dr) und Eric Daniels (g), um The Rack einzuspielen. Asphyx haben nicht den seinerzeit gern gemachten Schritt Richtung anspruchsvoller Technik gemacht, sie klingen hart, kompromisslos, düster und langsam, haben mit Van Drunen einen Schreihals am Mikro, der angsteinflössend brüllen kann, dessen Art des Vortrag’s tatsächlich recht eigenständig ist – u.a. auch weil man ihn verstehen kann, obwohl jede Melodie im Text-Vortrag vermieden wird. Wenn ich vergleichen muss (…und ich muss…), dann fallen mir Bolt Thrower ein – allerdings ohne deren Kanonendonner, dafür mit Klängen aus der Folterkammer. Eric Daniels mag kein virtuoser Solist sein, aber er haut mächtige Riffs heraus, gerade die langen Tracks mit den fast unerträglich gedehnten Passagen sind genau so brutal, wie es dem Old School Death Metal Freund gefallen haben dürfte. Chaotische Ausbrüche – dieser gerade mal drei Mann – wie beim zentralen „The Sickening Dwell“ etwa sind besonders furchterregend, und genau das ist das entscheidende Alleinstellungs-Merkmal dieses Albums und der Band auch in den folgenden Jahren: Asphyx sind finster. Sie klingen alt, brutal, bar jeder Hoffnung – Death Doom Metal ist ihr Metier – und das wird hier von ihnen erfunden. Der Titeltrack des Albums dürfte etlich Anbeter und Adepten tief in noch extremere Ecken des Metal gerieben haben. Ich kann mir vorstellen, dass Bands wie My Dying Bride oder Evoken The Rack ganz genau kennen.

und WAS ist Growling?

Bei Vielen löst der seltsame „Gesang“ auf Death Metal-Alben mindestens Befremden aus – wenn nicht sogar Abscheu und Verachtung. Nun – das ist unangebracht: Erstens – wie sollte man die Inhalte dieser Musik sonst vermitteln? Die Themen der Texte reichen von arrogantem Nihilismus über Verachtung und Hass bis zu konkreter Blasphemie. Sie gehen bei Bands wie Cannibal Corpse, Carcass, Autopsy oft weit über der Grenze des guten Geschmacks – sind schlicht unschön. Da liegt es nahe, so hässlich wie möglich zu klingen. Man muss bedenken – die Protagonisten auf den hier beschriebenen Alben waren zu Beginn ihrer Laufbahn irgendwas zwischen 16 und 20 Jahren alt. Sie hatten – immer – Vorbilder, die Thrash, Punk oder Hardcore spielten – und entsprechend sangen. Ihre noch extremere Musik brauchte noch extremere Vocals. Da lag es nah, so unverständlich wie möglich zu brüllen, zu röcheln… zu „Growlen“. Dieser Gesang ist ein Genre-Stilmittel wie die Pedal Steel in der Country-Musik. Hinzu kommt, dass dieser Gesang, wenn man ihn von der technischen Seite betrachtet, dem Hörer eine Portion Bewunderung abnötigen sollte. Es gibt etliche Tutorials, in denen beschrieben wird, wie man „growlt“ (oder „screamt“ (Black Metal) oder „shoutet“ (Thrash)). Letztlich ist Growling eine körperlich sehr anstrengende Art des heftigen Ausatmens, tief aus dem Bauch, die mit diversen, bei jedem Sänger unterschiedlichen Techniken verfremdet, geformt und abgewandelt wird. Es ist eine physische Beanspruchung, die einen klaren Kopf, eine gesunde Kehle und enorme Fitness erfordert, die man nicht so ohne weiteres schaffen kann – die tatsächlich den Oberton-Gesängen tibetanischer Mönche ähnelt. Nicht umsonst lernen etliche „Stars“ der Szene Growling bald bei ausgewiesenen Gesangs-Lehrern. Dass dieser Gesangs-Vortrag höchst individuell ist, kann jeder mit offenen Ohren erkennen. Vergleiche Death’s Chuck Schuldiner (einen „Erfinder“ des Growlings) mit Dave Vincent von Morbid Angel, staune bei Bill Steer von Carcass, ekle dich bei Chris Reifert’s Gerülpse für Autopsy, und erschrick bei Suffocation’s Frank Mullen – und bei Demilich’s Antti Boman stellt sich die Frage: „Ist das ein Mensch?“

Massacra
Enjoy The Violence

(Shark, 1992)

Langsam nähere ich mich den Death Metal Alben, die (unverdient) weniger bekannt sind. Bei Massacra dürfte vor Allem ihre Herkunft aus Frankreich im Wege gestanden haben – die etablierten Labels (Roadrunner, Earache, Nuclear Blast) hatten kein Interesse an der Band, obwohl sie live eine Macht waren, obwohl sie eigenständig und mit Klasse in die Lücken zwischen Death, Obituary, Entombes und dergleichen gepasst hätten. So musste das kleine Essener Label Shark Records einen Job übernehmen, der ohne finanziellen Background und die Unterstützung der (damals noch) mächtigen Print-Medien fast unmöglich war. Massacra bedienen mit ihrem zweiten Album (nach dem deutlich von Thrash und jugendlicher Unerfahrenheit durchzogenen Debüt Final Holocaust) das Extrem-Metal-Publikum mit einem glasklar produzierten Riff-Gewitter, das immer noch Thrash im Gedärm, aber auf der Haut nun deutlich den Tod trägt. Sänger Fred „Death“ Duval growlt verständlich, ist genauso in der Mitte zwischen Thrash und Death wie das Riffing seiner Kollegen. Dass die allesamt unter fünf Minuten langen Tracks ernorm abwechslungsreich sind, dass es bei „Revealing Cruelty“ ein akustisches Intro gibt, dürfte keinen neuen Metallica-Anhänger anlocken, weil danach Bass, Gitarren und Drums einen komplexen Wirbel erzeugen, der von Duval so aggressiv niedergebrüllt wird, dass sogar James Hetfield sich verstecken würde. Enjoy the Violence ist das stringente, abwechslungsreiche Death/Thrash Album einer Band, die ein sehr eigenes Profil hatte, die sich mit etwas Glück und mehr medialer Präsenz in der Reihe der Besten hätte einordnen lassen. So blieb es – auch nach dem ähnlich guten Nachfolger (Signs of the Decline – 1992) beim Kult-Status.

Loudblast
Disincarnate

(Semetery, 1991)

Loudblast kommen aus der französischen Provinz und gelten als Pionire des extremen Metal in ihrem Land. Sie hatten 1985 mit Thrash a la Kreator begonnen, machten ’89 mit dem Album Sensorial Treatment in ihrem Land Morbid Angel Konkurrenz, und gingen nun für ihr drittes Album nach Florida, um sich von Scott Burns produzieren zu lassen. Kam Lee von Massacre lieh dem Track „The Horror Within“ seine Stimme – was so gesehen nicht nötig war, weil Loudblast mit Stéphane Buriez einen Gitarristen und Sänger hatten, der mit seinen abgehackten Growls eigenständig genug daher kam. Dazu passen Nicolas Leclerq’s Black Sabbath-artige Gitarren-Leads ganz hervorragend. Loudblast sind auf Disincarnate dem Death Metal näher als ihre Landsleute von Massacra, Bass und Schlagzeug rattern voller Wucht durch sehr abwechslungsreiche Songs: Diese Band ist mit Tracks wie „Dusk to Dawn“ mit seinen seltsamen Pausen nicht mit anderen Bands zu vergleichen. Dass Loudblast gerne abgehackt vor sich hin taumeln, ist gewöhnungsbedürftig, macht aber Sinn. Dass sie bei all der Gewalt sehr melodisch bleiben, weist schon auf den ’93er Nachfolger Sublime Dementia – einen Klassiker des Melodic Death Metal (ja, das gibt es…). Loudblast hatten zu Beginn der 90er ihre beste Zeit, aber sie haben noch Jahrzehnte weiter gemacht – in Frankreich zumindest gelten sie immer noch viel. Die Produktion von Scott Burns soll ihnen seinerzeit zum Nachteil gereicht haben – es gab besagte Übersättigung und sein Produktions-Stil stand in der Kritik. Ich kann diese Kritik aus heutiger Sicht nicht nachvollziehen. Disincarnate ist schlicht das nächste, eigenständige Death Metal Album auf einem zugegebenermaßen großen Haufen.

Protector
A Shedding of Skin

(C&C, 1991)

Natürlich können auch deutsche Bands Death Metal. Es gibt Bands wie Sodom und Kreator, deren Thrash die Aggression von Death Metal vorweg nahm – die damit die Rolle von Slayer in den USA einnehmen, es gibt zu Beginn der Neunziger Morgoth oder Atrocity, die sich zu eigenständigen DM-Acts entwickeln – und es gibt schon seit 1986 die Wolfsburger Band Protector. Die hatten natürlich auch mit Thrash angefangen, sich aber in den letzten zwei Jahren eine Aggressivität und einen Sound angeeignet, der sie genau zwischen Death oder Thrash positioniert. Sie waren mit Kreator und Sodom auf Tour, hatten ’91 schon zwei gelungene Alben im Rücken und bekamen für A Shedding of Skin mit Harris Johns und Kreator’s Mille Petrozza zwei Könner ihres Fach’s als Produzenten gestellt. Dieses Album ist in seiner Härte und Wucht genauso gut wie Enjoy the Violence oder The Rack. Das rasante Drumming erinnert an die New Yorker Immolation, die Growls sind DM, die abgedrehten Gitarren-Soli dürften jeden Morbid Angel-Fan erfreuen, das Riffing wiederum ist nah am Thrash – und damit sind wir vermutlich bei dem Problem dieses Albums/dieser Band. In dieser Zeit fiel das Album nicht wirklich auf. C&C war keines der großen Labels, auch wohlmeinende Kritiken hatten im Wust der Veröffentlichungen wenig Nutzen – A Shedding of Skin ging unter und Protector blieben eine lokale Macht, obwohl sie sogar mit Szene-Größen wie Napalm Death und Entombed auf Tour waren. Dass Tracks wie „Face Fear“ und „Tantalus“ jeder bekannteren Band zu Ehren gereicht hätte, fiel 1991 einfach nicht auf. Nur Kenner und Beobchter der Szene haben diese Band – und das tolle nachfolgende Album The Heritage – wahrgenommen. Aber das gilt ja für viele Alben, die ich hier vorstelle. Meiner Meinung nach gehört A Shedding of Skin mit unter die besten Thrash/Death Alben seiner Zeit. Wer es hört, wird mir zustimmen.

Pungent Stench
Been Caught Buttering

(Nuclear Blast, 1991)

Been Caught Buttering war das zweite Album der ’88 gegründeten Wiener Freunde lustvoller Vulgaritäten. Das Cover mit den beiden knutschenden Zombie-Männern (es ist tatsäclich das Foto EINES geteilten Kopfes…) zeigt schon, was man hier inhaltlich erwarten darf: Das ist durchaus – hier passt das Wort – hinterfotziger Humor. Natürlich haben sich alle Moralwächter empört, perverse Gore-Lyrics, Paraphilie, Humor, der nicht bloß schwarz, sondern von Blut und Sperma durchzogen ist, Songs mit Titeln wie „Sputter Supper“, „Shrunken and Mummified Bitch“ oder „Splatterday Night Fever“ sollten klar machen, dass hier nicht todernster Satanismus regiert, sondern dass hier eine recht eigene Version des Splatter-Humors von Bands wie Autopsy, Cannibal Corpse oder Carcass gepflegt wird. Und wieder wäre all das uninteressant, wenn Martin „El Cochino“ Schirenc (voc, g), Jacek Perkowski (b) und Alex Wank (dr) nicht einen enorm eigenständigen Sound entwickelt hätten. Manchmal rasen sie im Affenzahn durch ihre Songs, stoppen abrupt ab – um wieder scheinbar loszustolpern, Schirenc’s Stimme ist ein besoffenes Gröhlen, das von Phasen jammervollen Erbrechens unterbrochen wird – eine ganz eigene Art des „Growlens“, und hinter dem scheinbaren Chaos verbirgt sich ein durchgeplantes Konzept und gekonntes Zusammenspiel. Dass dieses Album erstaunlich kurzweilig und abwechslungsreich ist, bemerkt man wohl erst nach dem ersten Schreck, aber Songs wie „Gates of Humiliation“ etwa überraschen mit einem Death Metal untypischen Schluss-Part incl. akustischer Gitarre und entsetzlich hervorgestöhnten Obszönitäten. „Sick Bizarre Defaced Creation“ bekommt einen funky Slap-Bass Part und „Splatterday Night Fever“ hat nicht nur einen gelungenen Titel. Es ist auch ein ernsthaftes Riff-Monster mit einem ekelhaften Gurgel-Gesangs Part, das Punk, Death Metal und Rock’n’Roll organisch verbindet. Man muss sich an den Humor auf Been Caught Buttering wirklich erst einmal gewöhnen – dann erkennt man, dass man hier eine sehr eigenständige Version des ’90er Death Metal vor sich hat.

Messiah
Choir Of Horrors

(Noise, 1991)

Wieder würde ich empfehlen, sich die beschriebenen Alben in der Reihenfolge anzu hören, in der sie hier aufeinander folgen. Auch die Schweizer Messiah gehören zu den Bands, denen es trotz eines hervorragenden Albums zum eigentlich richtigen Zeitpunkt nicht gelungen ist, den Trend zu nutzen. Auch hier: Vermutlich die falsche Herkunft, wenig Support vom Label oder durch die allmächtige Metal-Presse… es ist ein Jammer. Denn Choir of Horrors bietet Alles, was auch andere erfolgreichere Alben dieses Jahres haben. Die Band aus Baar im Kanton Zug ist schon seit 1984 aktiv, hat natürlich mit Thrash angefangen, diese Band hat Erfahrung und Können galore, war von früh an nah an der Ästhetik des Death Metal – hatte aber mit ihrem zweiten regulären Album Extreme Cold Weather im Jahr ’87 einen so schlechten Eindruck hinterlassen, dass mancher sich von der Band abgewandt haben mag. Nun sind vier Jahre vergangen, es hat ein paar Besetzungs-Wechsel gegeben und Songs und Produktion werden auf ein neues Level gehoben. Die Produktion im Berliner Sky Trak Studio ist so sauber, dass es fast befremdlich erscheint. Gitarren, Bass, Drums, Gesang, ab und zu Keyboards – sind feiner voneinander getrennt, als es der Death Metal Fan gewohnt ist. Dazu hört man Messiah ihre Thrash-Vergangenheit deutlich an, Sänger Andy Kaina klingt wie ein Widergänger von Chuck Schuldiner, und Choir of Horrors kann die Lücke zwischen den beiden Death-Alben Spiritual Healing und Human füllen – was sich nicht nur auf den Stil bezieht, sondern auch auf die Klasse. Der musikalische Kopf der Band – Gitarrist Remo Broggi – mag nicht ganz so virtuos sein wie Schuldiner, aber mit dem Titeltrack und mit dem Album-Closer „Weena“ macht er dem Death-Mastermind durchaus Konkurrenz. Dazu grenzt sich die Band mit den okkulten Lyrics auch noch von etlichen Bands dieser Zeit ab. Und dann gibt es mit „Northern Command“ auch noch ein feines Instrumenta-Stück zu bewundern. Man kann bemängeln, dass Messiah auf Choir of Horrors etwas zu klinisch klingen – und damit meine ich nicht nur die Produktion – hier will eine Band Alles richtig machen – und vergisst die Spontanität. Aber der Trend ging ’91 Richtung Technical Death Metal. Eigentlich hatten Messiah mehr Hörer verdient. PK

Samael
Worship Him

(Osmose, 1991)

Und apropos Trend (Alle Trve Black Metaller werden aufheulen…) Es gab im Metal inzwischen auch den „Trend“ in Richtung einer denkbar fiesen und unkommerziellen Un-Musik. In der Schweiz hatte es mit Hellhammer, die sich dann in Celtic Frost verwandelten, eine Macht gegeben, die den Gehörnten feierte und viele junge Bösewichte inspirierte. Nach ihrem ’85er Meisterwerk To Mega Therion waren Celtic Frost allerdings in seltsame Glam und Thrash Gefilde abgeschweift. Aber dem Teufel sei dank hatten die aus Sion stammenden Locher-Brüder Alexander und Michael aka Vorphalak und Xytras den blutigen Kelch aufgenommen, der Celtic Frost aus den Händen gefallen war. Und ’91 durften sie dann über das auf extremsten Metal spezialisierte französische Spezialisten-Label Osmose Productions ihr Debü Worship Him veröffentlichen. Die Reaktionen in der damaligen Metal-Journaille waren spöttisch bis entsetzt. Dass DAS der Extrem-Metal der Zukunft war, wusste noch keiner. Vorphalak kreischte und gröhlte – er growlte nicht. Die Gitarren klangen wie bei Hellhammer, die Tracks klangen nach Bathory oder Mayhem, auch Satyricon und Darkthrone klangen an – nur dass die zu dieser Zeit entweder noch Underground waren, oder verhasst… was ihnen gefallen haben könnte. Es ist eine paradoxe Sache mit diesen Bands. Sie veröffentlichten ihre Musik, hassten aber scheinbar alles, was mit Kommerz zu tun haben könnte. Worship Him ist ein überlesener früher Eintrag in die Historie des Black Metal. Vielleicht weil das Album doch recht sauber produziert wurde, vielleicht, weil Doom einen großen Einfuss hat (wie bei Celtic Frost…). An Tracks wie dem meisterlichen „Into the Pentagram“ oder „Morbid Metal“ kann es nicht liegen. Und der Closer „The Dark“ mag auch Thrash-Anleihen haben, aber so böse haben Metallica und Konsorten nie geklungen. Hier wurde der extreme Metal von Celtic Frost weitergeführt.

Master’s Hammer
Ritual

(Osmose,1991)

Dass hier zum Schluss eine Album wie Ritual von der tschechischen Band Master’s Hammer beschrieben wird, soll auch auf die Entwicklungen Richtung Black Metal in den folgenden Jahren hinweisen. Die 1987 gegründete Band hatte sich bis zur samtenen Revolution 1989 mühevoll über Wasser halten müssen. Metal an sich – und Metal dieser Art im Besonderen – dürfte im Kommunismus wenig Akzeptanz von offizieller Seite erfahren haben, somit gab es vor diesem Album nur ein paar Cassetten minderer Qualität, die das wahre Gesicht der Band nicht darzustellen vermochten. Ritual allerdings ist ein musikalisch erstaunlich reifes und durchdachtes Album – eines, das Darkthrone’s Drummer Fenriz mit den Worten adelte: Ritual „is actually the first Norwegian black metal album, even though they are from Czechoslovakia“ Tatsächlich bekommt man hier symphonischen Black Metal, beeinflusst von Vorbildern wie Bathory, mit (verständlich) gekreischten tschechischen Lyrics, mit einer eiskalten Monotonie, die man erst demnächst von Bands wie Darkthrone oder Emperor geboten bekommt. Ritual ist eben nicht – wie so viele Alben der ersten Welle des Black Metal – schlecht produziert, Gitarren und orchestrale Parts sind deutlich erkennbar, die Drums klingen nach Drums – nicht nach Nähmaschine – und die Vocals von Franta Štorm haben durch die Sprache und seine raue Stimme einen sehr eigenen Charakter. Master’s Hammer erinnern wie gesagt deutlich an Bathory – aber sie heben einen zugleich unschuldig und gespenstisch wirkenden Zugang zu ihrer Musik. Wenn bei „Vykoupení“ gar gruselige Stimmen im Hintergrund stöhnen, fühle ich mich an schwarz-weiss-Horror-Stummfilme erinnert. Ich kann Frenriz‘ erkennbare Begeisterung nachvollziehen. Ritual ist eindeutig Black Metal – mit all seinen avantgardistischen und all seinen albernen Facetten. Diese Band war – vielleicht ohne es zu wissen – ihrer Zeit um einiges voraus. Ritual ist fremd, erstaunlich und faszinierend und ist jedem zu empfehlen, der Old School Black Metal zu goutieren weiss. Und es ist definitiv KEIN Death Metal – wodurch sich mir die Möglichkeit bietet, Unterschiede und Verwandtschaft zwischen diesen beiden extremen Arten von Metal zu zeigen.

Zum Abschluss von Death-Metal ’91:

Es gibt noch einige 91er DM-Alben, die manch anderer der Beachtung für würdig erachten könnte: Da wären die Schweden Unleashed, die mir aber ZU dumpf waren. Da sind Grave mit ihrem Debüt Into the Grave, da sind in den USA Gorguts mit ihrem Debüt, oder Revenant, die mit ihrem einzigen Album Pophecies of a Dying World Beachtung verdient haben könnten. Es gäbe auch Gründe, sich mit dem zweiten Album der US-Kings of Geschmacklosigkeit – mit Cannibal Corpse und ihrem Album Butchered at Birth – zu beschäftigen. Aber all das würde meinen Rahmen sprengen, all diese Alben fallen durch mein Anspruchs-Sieb und ich lasse sie weg. Und der Doom von Cathedral, The Obsessed, Paradise Lost bzw. der Thrash von Sepultura, Coroner, Overkill und Anacrusis gehören in andere Metal-Artikel – versteht sich, oder?