1986 – Sonic Youth bis High Rise – Lärm ist nice ist Noise

Genau wie Hardcore, Punk, Blues – wie alle Genre’s und ihre Bezeichnungen – ist auch Noise-Rock ein äußerst ungenaues Wort für Musik von Bands, die Einflüsse aus unterschiedlichen Richtungen mit EINER Gemeinsamkeit verbinden:

Es ist lauter, fieser, nicht-transkribierbarer Lärm in, über, unter dem Punk, Pop, Psychedelic Rock oder Hardcore liegt. Dissonanzen, Distortion, Rückkopplungen sind mindestens genauso wichtig wie der „Song“, Lautstärke und Kontrollverlust spielen eine größere Rolle als ohrfreundliche Melodieseligkeit. Damit ist die Generation der Post-Punk, Post-Hardcore Bands der Mitt-Achtziger in den USA nicht einmal wirklich innovativ. Vorbilder gibt es spätestens seit den Sechzigern mit The Velvet Underground, den Stooges, Red Crayola, aber auch mit den Japanern Les Rallizes Denudes (wenn man die in den USA kennt…). Auch „klassische“ Minimalisten wie John Cage oder LaMonte Young hatten Einfluss auf das Geschehen – sind (bei Sonic Youth) sogar unmittelbare Lehrer. Man bewundert die Briten Public Image Ltd. ob ihrer Weigerung, den „Regeln“ des Punk zu folgen, ebenso wie den schillernden Dreck, den The Birthday Party bis zu ihrem Ende 1983 abgesondert haben. Man kennt wahrscheinlich auch Kraut-Rock, die Einflüsse aus der New Yorker No Wave Szene, aus Punk und dem daraus in den USA entstandenen Hardcore Punk laufen zusammen, etliche Musiker haben keine Lust dazu, den wachsenden Fundamentalismus und die damit einhergehenden stilistischen Limitierungen insbesondere in Hardcore-Kreisen zu befolgen und machen ihr eigenes Ding, indem sie sich optisch und stilistisch abgrenzen. So gibt es ab Anfang der Achtziger entgrenzten Lärm, gepaart mit Strukturen aus der Rockmusik – und man nennt das Noise-Rock. Erste Lautzeichen gibt es schon vor ’86 mit Debüt-Alben der Swans und ihrer New Yorker Kollegen Sonic Youth. Mit Live Skull, mit den EP’s und Alben der Butthole Surfers, Big Black, Flipper, Squirrel Bait. Manche Hardcore-Flaggschiffe wie Minutemen oder Black Flag haben die Grenzen des Hardcore schon lange überschritten und werden möglicherweise von den selben Leuten geliebt, die auch Swans und Butthole Surfers hören. Aber machen die Noise-Rock? Wer das so nennen will, darf das tun – und so ist der Artikel über das SST-Label 1986 die Ergänzung zu diesem hier. Wollte ich 80er Noise-Rock definieren und das Jahr benennen, in dem er erstmals in beachtenswerter Zahl in Album-Form entzückte, so ist IMO ’86 das beste Jahr dafür – denn es gab folgende Alben:

Big Black – The Hammer Party
(Homestead, Rec. ’81-’83, Rel. 1986)

Big Black – Atomizer
(Homestead, 1986)

Zwei mal Noise-Rock in seiner besten und reinsten Form. Big Black um den Meister-Produzenten Steve Albini präsentieren auf The Hammer Party die EP’s, die uns entgangen sein dürften, und auf Atomizer das, was Noise-Rock (auch) sein kann. Lies darüber im Hauptartikel 1986, wo genauso gut folgendes Album hin gepasst hätte:

Sonic Youth
EVOL

(SST, 1986)

Cover Girl – Lung Leg, Schauspielerin aus dem Underground-Horror-Sex Film Submit to Me

Mit Punk bzw Hardcore haben Sonic Youth wenig zu tun. Sie entstammen eher der Avantgarde-Ursuppe New Yorks, haben sich seit ihrer Gründung 1981 als intellektuelle, lärmende Seite des NY-No Wave etabliert, mit ihren beide vorherigen Alben Confusion is Sex und Bad Moon Rising unter klugen Köpfen mit Geschmack schon Interesse geweckt, aber durch die konsequente Vermeidung aller „Rockismen“ noch nicht so viel Erfolg, wie man sich ihnen wünscht. Aber nun wechseln sie auf Bitten von Greg Ginn zu dessen Label SST (der will ‚raus aus der engen Hardcore-Kiste – siehe weiter unten), sie tauschen ihren Drummer Bob Bert gegen Steve Shelley von den (da noch) Anarcho-Punks Crucifucks und beginnen nun erstmals ihrem bis dato bewusst formlosen Noise Form zu verleihen, lassen Melodie zu, gar so etwas wie „Romantik“… nicht missverstehen – sie sind noch weit von 1990 und Goo entfernt, aber sie schlagen jetzt den Weg Richtung Daydream Nation ein. Und so ist EVOL das erste wirklich große – „bedeutende“ – Album der New Yorker Noise-Rock Institution, eines, das mit Tracks wie dem unheimlichen Duo „Shadow of a Doubt“ und „Star Power“ samtene Düsternis verbreitet, das mit „Expressway to Yr. Skull“ tatsächlich eine der „Hymnen“ des Noise Rock liefert. Am Rande zu bemerken sei noch, dass bei „In the Kingdom #19“ der Minutemen-Bassist Mike Watt mittut – dessen Freund D Boon ein paar Wochen zuvor bei einem Auto-Unfall ums Leben kam und dem die Vier hiermit helfen wollten. Zu bemerken sei, dass Kim Gordon schon hier die coolste aller Sängerinnen und Bassistinnen ist, dass Steve Shelley’s präzises Drumming die Songs nun zusammenhält, dass das traumhafte Zusammenspiel dieser Band schon hier hörbar ist – dass Sonic Youth eine beeindruckende Band waren – und das mit EVOL auch einem normalen Indie-Publikum Noise-Rock als konsumerabler Stil angedient wurde.

Live Skull
Cloud One

(Homestead, 1986)

Cover – Amy Lipton

Dass Sonic Youth oder Swans irgendwann zumindest zum künstlerischen Establishment der populären Musik gehören würden, wurde Mitte der 80er höchstens von den Optimisten vorhergesehen, die sich mit gleicher Berechtigung auch für deren Fellows Live Skull begeisterten. Diese ’82 gegründete NY-Noise Band war bei etlichen Konzerten Co-Headliner, war im CBGB’s zuhause, hatte mit Bringing Home the Bait im Vorjahr sogar schon ein ausgereiftes Debüt geboten, ging zum gleichen Produzenten wie die Kollegen (Martin Bisi) und hatte – da noch im Gegensatz zu Sonic Youth und vor Allem Swans – die Fähigkeit Noise mit Songs zu verbinden. ’86 waren die Vier eine solide Einheit, die beiden Gitarren von Tom Paine und Mark C. ein wunderbarer Wall of Noise, der aber auch Licht durchließ, die Stimme von Bassistin Marnie Greenholz genauso cool wie die von SY’s Kim Gordon, die Drums von James Lo so kraftvoll und flink wie die von Steve Shelley. Vor Allem diese beiden waren zu dieser Zeit die beste Rhythm-Section in New York – man höre nur ihr komplexes Zusammenspiel auf „I’ll Break You“. Der rezitierte misanthropische Text, der Gitarrenwirbel darunter – da würden Sonic Youth erst in ein paar Monaten hin kommen. Dass ihre Lyrics mitunter leicht psychotische Tendenzen haben, mag den Radio-Rock Hörer gestört haben – das von No Wave und Swans abgehärtete Publikum wohl nicht. So beenden sie Cloud One – mit seinem durchaus unheimlichen Cover – mit dem Track „The Loved One“ mit den lebensfrohen Zeilen: You know I’m coming / to wreck your life / to tear your face off drive the stake / through the heart of your loved one „ Hier machten sie alles richtig, aber sie hatten nicht die Ausdauer der beiden anderen Noise-Rock-Institutionen. Sie machten mit Dusted und Positraction (da schon mit Thalia Zedek statt Marnie Greenholz) noch zwei sehr schöne Alben, aber dann war Schluss und die Live Skull verschwanden vom Radar. Ihre ersten vier Alben dürften jeden Noise-Interessenten erfreuen.

Swans
Greed

(K422, 1986)

Design – michael Gira. Der überließ Nichts dem Zufall…

Swans sind von den hier versammelten Bands wohl diejenigen, die am wenigsten mit Punk bzw. Hardcore zu tun haben. Ihr Gehirn Michael Gira dürfte zwar grundsätzlich andere Musik als Seine wahrgenommen – aber nicht als Inspiration gesehen haben. Der hat von Beginn an sein eigenes Ding gemacht. Dass die vorherigen Alben und EP’s dem Noise-Rock zugeordnet werden, hat mehr mit den Leuten zu tun, vor bzw. mit denen seine Band ihre ohrenbetäubenden Konzerte zelebrierte, als mit der Zugehörigkeit zu einer Gruppe von Bands. Dass Filth von 1983 eines der ganz großen Noise-Alben ist – dessen Klasse u.a. auf seiner stilistischen Einzigartigkeit beruht – sollte Appetit auch auf das ’86er Duo Greed und Holy Money machen. Beide Alben sind gleichzeitig in New York – wieder mit Martin Bisi – aufgenommen worden und – natürlich – thematisch miteinander verbunden. Und – beide Alben stehen gemeinsam für den Moment, in dem Swans bzw. Gira sich von der reinen kompromisslosen Härte und dem übertriebenen Machismo der Anfangstage hin zu einer gewissen „Milde“ bewegen – die irgendwann in den Neunzigern zum Gothic Folk führen wird. Aber! Greed und Holy Money sind immer noch Brocken aus Noise. Beton-Klötzen aus Drums, Gebet und Lärm, tief in den Boden gerammt. „Fool“, der Opener von Greed klingt nach einer abgemagerten, hasserfüllten Version eines Bad Seeds Songs, „Heaven“ wiederum lässt heutige Wissende an manchen Funeral Doom-Act denken – die wiederum den Noise aus dem NY der Mitt-Achtziger und die Swans insbesondere sicher kennen werden. Dass auf dem Titelsong des ersten Albums Gira’s neue Muse Jarboe mit Piano und ihrer majestätischen, aber eindeutig femininen Stimme für ein bisschen Milde sorgt, macht Greed zum Album des Überganges bei dem Gira das neue Konzept noch nicht ganz durchdacht hatte. Greed scheint so der„schwächere“ Teil des Alben-Duo’s…

Swans
Holy Money

(K422, 1986)

Design – Michael Gira

Für Holy Money hat Gira dann anscheinend die besseren – weil besser durchkomponierten – Songs zusammengestellt (…zur Erinnerung, beide Alben entstammen den selben Sessions). Schon der Opener „A Hanging“ hat eine gewissermaßen unterdrückte Bedrohlichkeit, zeigt eine Dimension mehr, als die pure Misanthropie vorheriger Alben. Jarboe’s Chorgesang mag manches Gebet hier irgendwie „menschlicher“ wirken lassen, obwohl die Texte und das Konzept dieses Albums sich nach wie vor um Isolation, sexuelle Abhängigkeit und andere unerfreuliche Bestandteile der menschlichen Existenz dreht. Und bei „A Screw (Holy Money)“ hilft auch Jarboes femininer Einfluss nicht: Da donnern mehrere Schlagzeuge und Gira fordert dazu auf, sich vor dem neuen Gott „ Geld“ zu erniedrigen. Beide Alben sind – wie eigentlich alle Swans-Alben – schwer und anstrengend, aber Swans sind auch einmalig und schon zu diesem Zeitpunkt schon von einer beeindruckenden Konsequenz. Ich halte es für wichtig, auf folgendes hinzuweisen: Gira hat in den 00er Jahren diese beiden Alben sowie die Vorgänger Cop und Young God als Doppel-CD imt geändertem Tracklisting veröffentlicht – was insbesondere bei Greed/Holy Money aus naheliegenden Gründen durchaus Sinn macht. Hier ist die Mischung gelungen, die eventuell schwächeren Tracks von Greed werden erhoben, das Konzept bleibt schlüssig, beide Alben bilden die Einheit, die ’86 noch nicht erkennbar war. Hier empfehle ich also tatsächlich ausnahmsweise mal die CD… Aber Filth sollte als LP in die Sammlung…

Butthole Surfers
Rembrandt Pussyhorse

(Touch and Go, Rec. ’84, Rel. 1986)

Cover – Vermutlich von der Band…?

Nicht Alles, was „Noise-Rock“ genannt wird, kommt also aus den kulturellen Hochburgen der USA: In Texas gibt es auch eine Traditions-Linie experimenteller Bands – ich sag‘ nur 13th Floor Elevators. Und auch die Butthole Surfers kamen aus der studentischen Punk-Szene der texanischen Großstadt San Antonio. Sie hatten sich nach Jahren der Erprobung, nach einem wunderbar chaotischen Debüt-Album (Psychic… Powerless… Another Man’s Sac von ’84) und nach Europa Tourneen etabliert, bei denen sie auch John Peel auffielen. Und sie hatten sich insbesondere hier einen exzellenten Ruf als wilde Punk/ Psychedelic/ Avantgarde Band erarbeitet… somit als Band, die dem Noise-Rock zuordnen mag, wer will. Dass die drei Freunde Gibby Haynes (voc), Paul Leary (g, b) und King Coffey (dr) enorm ideenreich, obszön und witzig waren, dass sie dazu sehr musikalisch waren, kann man an Rembrandt Pussyhorse deutlich erkennen (,,,sie hatten das Album zum größten Teil schon ’84 aufgenommen). Hier etablierten sie sich in ihrer Einzigartigkeit, hier erkennt man, dass die Verwendung von manipuliertem Tape-Material, Propeller-Drums und hämischem, durch alle möglichen Filter gejagtem Geschimpfe, Methode hatte. Sie hatten sich eine gebrauchte 16-Spur Bandmaschine zugelegt, spielten nun mit all den wunderbaren Möglichkeiten herum, hatten unter all den Effekten und Lärm-Spuren seltsam verdrehte Songs zu bieten, die (fast) an Captain Beefheart-Wahnwitz heranreichten. Bei „Mark Says Alright“ knurrt der Bandeigene Pitbull mit, der Opener „Creep in the Cellar“ enthält Country-Fiddle Teile, die die Vorbesitzer der Bandmaschine auf einem Tape vergessen hatten… Die Band beließ die Sounds aus einer Mischung aus Vergesslichkeit und Faszination in ihrem Track. „Strangers Die Everyday“ klingt nach Gothic – wird aber von verfremdeten Radio-Klängen in den Wahnsinn getrieben, ehe es untergeht. Dass sie den patriotischen Guess Who-Hit „American Woman“ kaputt-coverten hat eine erfreuliche Logik. Rembrandt Pussyhorse ist (auch wieder) chaotisch und seeeehr experimentell. Die Klammer Noise-Rock wird mit ihrer Musik sehr gedehnt – oder man sagt, dass dieses Album der Butthole Surfers zeigt, was in Noise-Rock möglich ist.

Butthole Surfers
Cream Corn from the Socket of Davis EP

(Touch and Go, Rec. 1985)

Tolles Cover – aber wer hat’s gemacht und wer ist die Frau?

Auf CD Releases dieses Albums war dann noch die nach diesem Album – also ’85 – aufgenommene EP Cream Corn from the Sockes of Davis zu finden. Und da hört man dann, was passiert, wenn ein paar Wahnsinnige ein Konzept wie das von Rembrandt… durch-deklinieren. Mit „To Parter“ gibt es einen wirklichen „Hit-Song“, der auf späteren Wahnsinn hinweist, „Moving to Florida“ wiederum hat auch nach Butthole-Standards äußerst bizarre Lyrics: (Well, I been movin‘ down to Florida / And I’m gonna bowl me a perfect game / Well I’m gonna cut off my leg down in Florida, child / And I’m gonna dance one-legged off in the rain…) – und Gibby Haynes Stimme erreicht erstmals die Muezzin-Qualitäten, die ihn bei allen Freunden des Abseitigen beliebt machen würde. Dass diese Band zu Beginn der Neunziger tatsächlich so etwas wie „Erfolg“ haben würde, scheint ein Wunder – aber sie verorteten ihre Wurzeln angeblich bei Dean Martin, Grand Funk Railroad und den Beatles. Egal – wenn dann solch unglaubliches Zeug dabei herauskommt…

Kilslug
Answer the Call

(Taang!), 1986)

Auch hier – Keine Info’s über das Cover zu finden

Noise und „Metal“ – oder Hardcore, verlangsamt bis zum doomigen Black Sabbath-Tempo – ist nicht revolutionär (dafür ist der Black Sabbath-Bezug grundsätzlich ZU altmodisch), aber diese Art Noise-Rock ist Mitte der Achtziger dennoch ein ziemlich neues Konzept. Black Flag und deren Kopf Greg Ginn mit seinem Label SST haben den Doom entdeckt, eine Band wie Flipper (und deren Alben Generic: Flipper (’82) und Gone Fishin‘ (’84) haben da ein Feld bestellt, das inzwischen auch von anderen beackert wird. Wobei ich zu Beachten gebe, dass Kilslug’s erste Single von ’82 ist – somit ist hier nicht von Epigonentum auszugehen. Auf ihrem ersten und (bis zu einem Re-Union Album 2012) einzigen Album Answer the Call bekommt man eine erfreulich ungewöhnliche Mischung aus Black Sabbath-Doom, US-Hardcore und dem hämischem Schrei-Gesang von Larry „Lifeless“ Coyle geboten. Der pflegt auf ansprechend „creepy“ Art und Weise seine Misanthropie, murmelt bei „Tart Cart“ vor sich hin, Wen er alles Wie umbringt, und preist beim Proto Grunge von „Make It Rain“ die Freuden des Blut-Trinkens. Es gibt ein paar kurze Intermezzi zwischen den Songs, die nicht nötig wären, aber dafür sind mit „Death Squad“ oder „Devil Red“ wunderbar düstere und kaputte Songs dabei. Answer the Call wirkt mitunter wie eine bewusst übertrieben Verarsche der Hass-Tiraden etlicher Hardcore Acts dieser Zeit. Somit haben Klislug entweder sehr schrägen Humor, oder sind wirklich krank. Aber All das wäre unwichtig, wäre ihr Proto-Sludge langweilig. Denn das originelle Splatter-Konzept ist genauso gelungen wie der Gitarren-Sound und einige der Songs. Keiner klang so, keiner war so seltsam und noisy – was neben der Unerfahrenheit und der geringen Vertriebs-Breite des Bostoner Labels Taang! Records vermutlich dazu führte, dass das Album ziemlich unbekannt blieb und erst mit der Zeit seinen Kult-Charakter bekam. Kilslug wären bei SST vielleicht besser aufgehoben gewesen. So ist dieses Album in physischer Form zumindest in Europa nur mit erheblichem finanziellen Aufwand erhältlich. Taang! Rec. haben es immerhin 2016 in den USA wiederveröffentlicht. Dass Larry Lifeless in den 00er Jahren eine Band mit dem Namen Adolf Satan hatte, bei der der Noise nur noch dumpf war, kann dieses eine Album für mich nicht diskreditieren.

High Rise
II

(PSF, 1986)

Und auch hier – Das Design – unbekannt. PSF Rec- Alben haben immer schwarze Cover

Zum Abschluss dieses kleinen Kapitels (das seine Ergänzung in dem Artikel über das Jahr ’86 und SST Records finden soll…) MUSS ich die USA – das Land des Noise-Rock – verlassen und mich nach Japan wenden. Denn dort gründen die Wurzeln des Noise Rock mindestens so tief, wie in den USA. Hier gibt es seit Anfang der 80er das Label PSF Records – benannt nach der Band Psychedelic Speed Freaks – die wiederum niemand anders sind, als High Rise zwei Jahre vor ihrem ersten Longplayer. Labelgründer Hideo Ikeezumi hatte eine massive Vorliebe für härtesten psychedelischen (Noise)-Rock, wie ihn in den Jahren zuvor Bands wie Les Rallizes Denudes, Flower Travellin‘ Band, Love Live Life + One oder Far Out definiert hatten: Es ist seltsam – aber die japanischen Psychedeliker der 70er haben allesamt eine völlig übertriebene Nutzung von Distortion und Feedback gemeinsam. Waren Flower Travellin Band in den Siebzigern aber auch durchaus noch von sanfter Psychedelik beeinflusst, so wurde der Lärm in den 80ern immer größer – und gelangte nun mittels PSF an die wenigen Ohren, die dafür bereit waren. High Rise II ist weißes Rauschen, ist unter Gitarren-Gekreische vergrabene harte Rockmusik, bei der der Gitarrist regelmäßig die Kontrolle verliert. Dass die im Grunde „rockistische“ Musik auf High Rise II für mich unter den Begriff „Noise-Rock“ firmiert, hat nicht nur mit diesen Ausbrüchen zu tun. Das Power Trio aus Bassist/Sänger Ahahito Nanjo, Gitarrist Munehiro Nirita und Drummer Yuro Ujiie war ausdrücklich dem Punk der Ramones genauso verbunden wie dem Psychedelik-Kraft-Rock von Cream. Und dann ist die Aufnahme-Qualität hier bewusst dermaßen roh, hässlich und primitiv, dass es genug Hörer gibt, die dem Album unterstellen, mit kaputtem Equipment in einer Mülltonne aufgenommen worden zu sein – Aber mitnichten! Genau dieser Sound ist gewünscht und essentiell. High Rise waren mit dieser Musik und dieser Haltung in der so „disziplinierten“ Gesellschaft Japans ganz sicher Aussenseiter. Und diese Position wird in dieser Gesellschaft anscheinend mit weit größerer Vehemenz vertreten, als in den USA oder Europa. Danach jedenfalls klingt dieses Album und Songs wie das 13-minütige „Pop Sicle“. High Rise II setzte für Dekaden den Standard für japanischen Noise-Rock Bands wie Fushitsusha, Acid Mothers Temple, Boris, Boredoms, Melt Banana, Mainliner (die Nachfolge-Band von High Rise) etc pp…