Die Playlists in diesen Stationen sind bewusst anders als die normaler Radiosender, sie werden von musikbegeisterten Studenten zusammengestellt – und wie das so ist bei Musikbegeisterten: Die wollen das hören, was im Formatradio nicht vorkommt. Nun hinken die USA der musikalischen Entwicklung in Europa in manchen Bereichen ein bisschen hinterher. New Wave und Punk aus Europa – genauso wie der US Hardcore und Post-Punk aus NY und LA – wird von den Republikanern unter Reagan, von der in den USA auch damals schon sehr starken religiösen Rechten und damit auch vom Mainstream der Bevölkerung in die Ecke des Anrüchigen und Bösen gerückt. Schlock wie die Musik von Mr. Mister, REO Speedwagon, oder Starship regiert die Charts, und wird von der Mehrheit der US-Bürger kritiklos konsumiert. der Soundtrack zur 80er Lifestyle Krimi-Serie Miami Vice ist eines der meistverkauften Alben in den USA… Und doch gibt es Hirn in diesem Land. Es gibt hunderte kluge, politisch meist links stehende, bewusst unkommerzielle Acts in den USA. Bands wie R.E.M. (… die sind noch beim Indie I.R.S.) oder trunkene Romantiker wie die Replacements oder den geschmackvollen Revivalisten Chris Isaak – oder die rasenden Art/Hardcore Bands des SST Labels, über die ich in einem gesonderten Kapitel schreiben will – und DIE machen die Musik, die bis heute interessant ist, die damals die Zukunft vorbereitet. Und dieses Angebot der Bands, die man unter dem Begriff College Rock faßt, ist noch breiter gefächert – College Rock ist KEINE Stilbezeichnung, sondern ein Wort für Musik, die für eine bestimmte Haltung ihrer Hörer und der Ausführenden steht. Noch ist College Rock ein Thema für Eingeweihte. Bald wird die Industrie auf diesen Markt aufmerksam, bald bemerken auch die großen Radiostationen (denen man in den Achtzigern noch zuhört), dass sie da eine Entwicklung verpassen und eine ganze Generation von Zuhörern zu verlieren drohen. Und in fünf Jahren gelingt es einer Band aus Seattle, Anspruch mit kommerziellem Erfolg zu verbinden. Aber 1985 ist College Rock noch immer unschuldig und relativ „unkommerziell“. Er ist schon ein erwachsenes Phänomen, aber er macht noch Spaß. Hier also ein paar Alben amerikanischer Bands, die in diesem Jahr von den Studenten in den USA gehört wurden. Die College Radio’s hatten natürlich auch die Smiths, The Cure, New Order und dergleichen in den Playlists, aber die lasse ich hier aussen vor, weil sie nicht aus den USA kommen…
R.E.M.
Fables Of The Reconstruction
(IRS, 1985)
R.E.M. war von Beginn an eine College-Radio-Band, die sich in einem klaren stilistischen Rahmen bewegte: Sie benutzten die anglo-amerikanische Folkmusik, den Jangle der Byrds und die nervösen Kraft des Post-Punk. Dazu kam der unbedingte Wille zur Unabhängigkeit (siehe Label…) und die damit einhergehende Glaubwürdigkeit. Aber es hatte sich eben auch gezeigt, dass sie beachtliches Pop-Appeal hatten – bei all der Reduktion im Sound und trotz – oder gerade wegen – der kryptischen Lyrics. Nach zwei Alben war es nun wohl Zeit für eine Neujustierung, also ging man nach London und verpflichtete den legendären Folk-Produzenten Joe Boyd (of Brit Folk und UFO Club Fame…) zu den Aufnahmen zum dritten Album. Fables of the Reconstruction gilt seltsamerweise als eines der schwächeren Alben der Band – woran die Musiker mit Schuld tragen: So sagte Drummer Bill Berry in der Rückschau zunächst „it sucks“ – aber diese Meinung wurde im Laufe der Zeit von allen Bandmitgliedern revidiert. Tatsächlich bekamen die vier Musiker im verregneten London Heimweh, mit Joe Boyd wurden sie auch nicht so recht warm – und vielleicht ist die Grundstimmung des Albums deswegen eher eine (gewollt) düstere, die Thematik (trotz des Aufenthaltes in England) „American Gothic“. So beginnt das Album mit dem dunklen Folkrock von „Feeling Gravitys Pull“ incl. Streicherquartett, da hat sogar ein Singalong wie „Driver 8“ widerspenstige Haken und die Single „Cant get There from Here“ mag upbeat beginnen, aber das Grinsen wirkt falsch. Tatsächlich sind auf Fables… einige wirklich große Songs – auch wenn sie nicht sofort ins Ohr gehen. Für mich gingen R.E.M. hier in eine Tiefe, die sie bald einfach besser meistern würden – und auch ein schwächeres R-E-M.-Album ist gut. Songs wie „Kohoutek“ oder „Wendell Gee“ mögen nicht die Hit-Qualitäten späterer Singles haben, aber sie sind gerade wegen der verwaschenen Produktion und ihrer unwilligen Spannung reizvoll. Fables of the Reconstruction ist ein für diese Band ungewöhnliches Album – aber es klingt so, wie nur diese Band klingen konnte.
The Replacements
Tim
(Sire, 1985)
Tim ist das Album nach Let It Be, nach den ersten, für die Band wohl überraschenden anerkennenden Schulterklopfen… und nach dem sie nun endlich bei einem größeren Label gelandet waren. Und man sollte bedenken, es gab einen Grund, warum sich die vier Musiker „Der Ersatz“ nannten. Sie waren mit unbekümmerter Wucht immer wieder vor die Wand gefahren – und auf einmal wurde ihnen gesagt, dass sie das gut gemacht hatten. Wenn also Let It Be das Album über die Teenage Angst in den USA der Achtziger ist, dann ist Tim das Album über den Punkt, an dem man die Zwanziger erreicht, wenn man bemerkt, dass man keine Ahnung hat, was es heisst erwachsen und verantwortlich zu sein und wenn man erkennt, dass man keinen Schimmer hat, was „richtig“ ist. Für diese Gefühle war Paul Westerberg genau der richtige Songwriter. Er gab der Verlorenheit seiner Generation eine Stimme – und die richtigen Melodien. Am besten stehen die beiden Hymnen „Bastards of Young“ und der Opener „Hold My Life“ für die Stimmung, die Westerberg einfängt, als er singt:“…It’s time for a decision to be made...“ um sich dann umzudrehen und zu bitten „…hold my life, until I’m ready to use it,“ Die Ratlosigkeit und das Erkennen dieser Ratlosigkeit wird in eine so sehnsüchtige und catchy Melodie gepackt, dass dieser Moment um so verheerender scheint. Dazu hat die Band die taumelnde Kraft des Vorgängers inzwischen regelrecht kultiviert und einen höchst eigenständigen Sound entwickelt – einen Sound, den sie nach diesem Album nur noch in einzelnen magischen Songs wiederholen konnte. Die Kombination aus Hoffnung und Angst, Erkenntnis und Verzweiflung wird auf Tim perfekt eingefangen und sogar das charmante „Kiss Me on the Bus“ bekommt in diesem sehr kompletten Album einen besorgten, ängstlichen Unterton. Let It Be mag die besseren einzelnen Songs haben, Tim bleibt stetig auf hohem Niveau – und man kann auch heute noch das Lebensgefühl nachvollziehen, das die Replacements hier – übrigens ein letztes mal als komplette Band – vertonten. Danach wurden sie immer mehr zum Solo-Projekt Westerbergs.
Thin White Rope
Exploring The Axis
(Frontier, 1985)
Viel Spaß bereitet den College-Kids in den Mitt-Achtzigern auch die Musik des sog. Paisley Uderground. Eine eigentlich kleine, inzestuöse Szene in L,A. und Umgebung, die als bekannteste Vertreter die Bangles hervorbringt, der Bands wie Green On Red, Rain Parade, Dream Syndicate, Opal, The Three O’Clock und eben Thin White Rope angehören. Alles Bands, die den Sound der 60ies durch Post Punk und Power Pop filtern. Da werden die Byrds zitiert, die Grateful Dead, Girl Groups wie die Ronettes aber auch die Garage Rock Bands des Nuggets Samplers und die Beach Boys – und all das bekommt einen Schuss Reduktion mit viel Eigensinn. Thin White Rope kommen aus Davis, sind somit näher an San Francisco, aber sie sind mit der Paisley Underground Szene L-A’s eng verbunden – und sind zugleich eine der eigenwilligsten Bands dieser Szene. Ihre Musik balanciert immer nah am Chaos, Sänger Guy Kyser hat eine harsche, gequälte Stimme, die an John Cale und an Gun Club’s Jeffrey Lee Pierce erinnert. Die Musik auf dem Debüt dieses ungehobenen Schatzes der Achtziger kann man als eiskalten Psychedelic Rock bezeichnen, sie klingen, als würden Can und The Velvet Underground gemeinsam Grateful Dead Tracks covern, die Rhythmen sind hypnotisch und „motorisch“ – nicht umsonst war einer der Höhepunkte von Thin White Rope Konzerten „Yoo Do Right“ von Can. Aber sie haben ihre Wurzeln auch im Süden der USA – da werden dann mit „Down in the Desert“ Tex-Mex Roots in den Boden gestampft, da wird das „Disney Girl“ in Feedback versenkt und all die diversen Einflüsse von Kyser’s Stimme zusammen gehalten. Die Band hatte ihren Namen übrigens einem Euphemismus William S. Burrough’s für Ejakulation entliehen und mit Exploring the Axis wurde mindestens die Grundlage für die folgenden glorreichen LP’s gelegt.
Jeffrey Lee Pierce
Wildweed
(Statik, 1985)
Und so hangele ich mich an einem der gerade genannten Namen weiter- Gun Club’s Jeffrey Lee Pierce hatte seine Band nach kräftezehrendem Touren und drei Alben erst einmal still gelegt und machte ’85 mit Wildweed ein erstes Solo-Album unter eigenem Namen. Ich kann mit dem üblichen vergleichenden Namedropping starten: Wildweed ist die Mschung aus Gun Club (natürlich) Television und Bob Dylan (ca. Highway 61) – es klingt somit nach Gun Club, was kein Wunder ist, da Pierce Stimme und Seele der Band war. Mag sein, dass hier der Fokus ein bisschen mehr auf Rockabilly als auf heulendem Blues liegt, aber diese Verschiebung hätte Pierce vielleicht auch mit Band praktiziert. Die Themen seiner Songs sind die gleichen wie auf Fire of Love oder Miami: Liebe, die sich in Besessenheit verwandelt, Mord, Totschlag und die fieberhafte Suche nach dem nächsten Abgrund, in den man sich stürzen kann. Und die Songs auf Wildweed klingen beileibe nicht wie Reste, die bei Gun Club übrig geblieben wären: Das Eröffnungs-Duo „Love and „Desperation“ und „Sex Killer“ hat alles, was Gun Club-Klassiker wie „Sex Beat“ oder Fire of Love“ so groß gemacht hat, sie sind fiebrig und getrieben, durch Pierce’s Gesang und die jagenden Gitarren unverwechselbar. In den Liner Notes sagt Pierce, er habe viel Velvet Underground (.. deren Compilation VU just in diesem Jahr erschienen war) und Dylan gehört, bevor er sich ans Songwriting machte, und in der Tat sind einige der Lyrics so surreal wie bei „his Bobness“ und manche der Songs haben den Drone der VU. Es mag ein paar weniger gelungene Tracks geben, aber die genannten Eröffnungs-Tracks, das krachend vor die Wand gefahrene „Sensitivity“, der Titeltrack oder der Tex Mex Rockabilly „Hey Juana“ wären weitere gute Gründe für dieses Album. The Gun Club und Pierce Solo gehörten seinerzeit definitiv in eine geschmackvole College-Radio-Playlist.
Green On Red
Gas Food Lodging
(Enigma, 1985)
Zurück zum aufblühenden Paisley Underground. Green On Red waren aus Tucson/Arizona nach L.A. gegangen, hatten ihre Punk-Ursuppe mit Country und Psychedelic Rock gewürzt und Kontakt zu anderen Paisley Underground Bands wie Dream Syndicate oder Rain Parade geknüpft. Heraus kam ’83 zunächst ein Debüt (Gravity Talks), das nach Roots Rock , Garage und Punk klang, das schon seine Qualitäten hatte, das aber nun von Gas Food Lodging übertroffen wurde, weil Hauptsongwriter Dan Stuart nun bessere Songs hatte, weil er mit Chris Cacavas als Keyboarder und Multi-Instrumentalisten und mit dem neu hinzugestoßenen Chuck Prophet als Keith Richards‘ musikalischem Wiedergänger die perfekten Gegengewichte an Bord hatte. Gas Food Lodging ist – wie das Debüt – ein Roots Rock Album, durchschossen von Byrds’ianischer Psychedelic und Punk. Die Songs beschreiben das Amerika der Reagan Jahre aus der Sicht einer kleinen Rock-Band on the road, die umgeben ist von Verlierern und Trinkern, es zeigt die USA von unten, ohne Pathos aber voller Liebe. Green On Red klingen wie ernüchterte Replacements, die den Versuch, vernünftig und erwachsen zu werden, aufgegeben haben. Dazu rotiert Cacavas‘ Orgel und Chuck Prophet haut steinerne Riffs heraus. Gas Food Lodging sitzt – wie viele Alben, die in den College Radio Programmen liefen – zwischen den Stühlen. Abenteuerlustige Country-Hörer dürften das Album genauso mögen wie verlassene Neil Young Fans (der machte in den Achtzigern nur schlechte Alben…) – und die Reihe von gelungenen Songs wie „That’s What Dreams“ oder „Sixteen Ways“ ist beeindruckend. Noch waren Green On Red eine Einheit und noch wurden die Credits für die Songs gerecht unter der ganzen Band verteilt – aber das würde sich bald ändern. Dies ist tatsächlich ihr stärkstes komplettes Album.
Rain Parade
Crashing Dreams
(Island, 1985)
L.A’s Paisley Underground – die Dritte. Rain Parade sind 1985 schon fast Geschichte. Sie haben die Szene in L.A. mit begründet, sie haben mit dem Vorgängeralbum Emergency Third Rail Powertrip (83) eines der besten Psychedelic Alben der Achtziger – ach was sage ich – der Popgeschichte gemacht (wirklich!) – sie sind mit Steven und David Roback, mit Matt Piucci und ganz zu Anfang mit Susanna Hoffs eine Keimzelle des intelligenten Indie Rock der kommenden Tage, aber sie haben den Fehler begangen nach dem ersten tollen Album und der ebenso wunderbaren EP (Explosions in the Glass Palace (’84)) den Verlockungen eines nach den Prinzipien der Gewinn-optimierung agierenden Major-Labels zu verfallen – um von dort den Schritt in die Versenkung zu machen- Nicht dass Crashing Dreams schlecht wäre. Es mag ein kleines bisschen schwächer sein als die beiden Indie-Veröffentlichungen, nun klingt manches ein bisschen zu synthetisch und clean – aber es ist ein wunderbares, stark von Psychedelic Rock und schwärmerischem Americana durchzogenes Album mit silbrigen Gitarren, glühenden Melodien und ausreichend Bodenhaftung um dennoch modern zu klingen. Es ist sauber produziert, Songs wie „Fertile Crescent“ balancieren auf einer Linie entlang Twee und Psychedelic. Der Opener „Depending on You“ hätte mindestens solche Charts-Ehren verdient wie die kommenden Hits von R.E.M., aber Crashing Dreams machte seinem Titel alle Ehren: Island beschloss Tage nach Beendigung der Produktion, dass gitarrenorientierte Bands keine Zukunft hätten und ließen Rain Parade „crashen“. Keine Promotion für’s Album, keine Tour – die Anerkennung von College-Radio-Stationen reichte nicht für die weitere Karriere und Rain Parade flogen ’86 in diverse Richtungen auseinander. Roback gründete Opal und später Mazzy Star, Piucci machte ein wunderbares Album unter dem Namen Gone Fishin‘ und kam bei Crazy Horse unter – und der Ruf der Band wurde mit der Zeit immer legendärer. Schade, dass damals nicht mehr kam.
Giant Sand
Valley of Rain
(Enigma, 1985)
Weder gibt es im Jahr ’85 die Bezeichnung „Alternative Rock“, noch gibt es Einteilungen der Musik ausserhalb des „Mainstreams“ (der im kommerziellen Radio gespielten Musik), die von den College Radio Stationen als Ausschlusskriterien für’s Airplay herangezogen werden. Klar weiss der Insider von der Paisley Undergroud Szene in L.A. oder von der Kumulation interessanter Bands mit Folk, Punk und Psychedelic Vorlieben in und um Athens. Aber das Alles ist einfach nur „uncommercial stuff“ – die Musik, die man als junger Student am liebsten hört – und die hat eben viele Facetten. Da sind zum Beispiel Giant Sand… wie Green On Red aus der Punk-Szene in Tucson/AZ stammend – aber sie bleiben im Gegensatz zu Green On Red in der Wüste. Und so steht ihr Debüt Valley of Rain – neben einer Hand voll anderer Alben – für den weitgehend vergessenen Moment, in dem besagte Einöde zum Thema für die Rockmusik wurde. Howe Gelb, Kopf von Giant Sand brauchte dafür nicht viel: In seinem Gitarrensound knirscht der Sand, seine Band gemahnt tatsächlich durch die Country, Folk und Psychedelic-Einflüsse an Cousins aus dem Paisley Underground – aber Howe Gelb hat Wüstenluft eingeatmet, und kann nicht mehr von ihr los – und so klingen Giant Sand dann auch immer nach einem Trip durch’s Death Valley. Im Gegensatz zu späteren Alben waren Giant Sand ’85 noch härter und fokussierter, weniger experimentierfreudig, der Gesang von Gelb verirrte sich noch nicht im Nirgendwo und Punk war noch ein sehr deutlicher Einfluss. „Tumble and Tear“, „Down on Town“ und „Death, Dying and Channel 5“ sind für Giant Sand-Verhältnisse harte Rocker, „Artists“ und „October, Anywhere“ weisen aber schon in die Richtung, in die Giant Sand in den folgenden Jahren schlendern würden. Bildlich gesprochen: Sie fuhren gerade von der letzten Tankstelle vor der Wüste los. Das zweite Album (Ballad of a Thin Line Man) von 1986 klingt noch ähnlich, das dritte Album (Love Songs) würde zum ersten Triumph werden
Camper Van Beethoven
Telephone Free Landslide Victory
(Rough Trade, 1985)
Die Kalifornier Camper Van Beethoven haben von Anfang an das Image eines coolen „Novelty-Acts“. Sie sind virtuose Musiker, die jeden Stil bedienen können, sie nennen sich selber „surrealist absurdist folk“ und lassen in ihre Musik soviel Humor und Selbstironie einfliessen, dass man ihnen sowohl den Novelty-Anteil als auch die Virtuosität verzeiht. Sie gehören selber zu den Skatern, Punks, Hippies und Skinheads, über die sie sich in ihren Songs lustig machen. Auf ihrem Debüt Telephone Free Landslide Victory sind zwei Typen von Songs noch ordentlich voneinander getrennt, die sich auf späteren Alben verbinden würden: Da gibt es die Instrumentals, die trügerisch simpel klingen, in die etliche ungewöhnliche Stilelemente einfliessen. Da klingt es nach TexMex, nach osteuropäischer Folklore, nach 50ies Instrumentalmusik, Polka und Ska, da spült die Orgeln und da fiedelt die Geige. Dem gegenüber stehen die Tracks mit Vocals von Haupt-Songwriter David Lowery, mit wirklich lustigen Lyrics, mit unkonventioneller Melodieführung, die aber immerhin näher an „normaler“ Rockmusik stehen. Mit „Take the Skinheads Bowling“ hatten Camper Van Beethoven einen Hit und kommenden Klassiker des College Rock dabei. Sie covern mit „Wasted“ auf höchst ironische Weise die Hardcore-Institution Black Flag – und damit eine der Bands, die vemutlich vom eigenen Publikum verehrt wird. Aber es gibt ausreichend gute Songs – mit Titeln wie „The Day That Lassie Went to the Moon“ oder „Club Med Sucks“, Instrumentals und Vocal Tracks wechseln sich ordentlich ab, was ein angenehmes Gleichgewicht schafft, und obwohl hier ein breites stilistisches Spektrum abgedeckt wird, hält der typische Sound der Band und die durchgehende Grundironie das ganze Album ganz gut zusammen. Mit der Zeit wurden sie ein bisschen konventioneller, aber den Sinn für’s Absurde haben sie nie verloren. Das Erste in einer Reihe von ziemlich gelungenen, individuellen Alben der „anderen“ US Rockmusik.
The Red Hot Chilli Peppers
Freaky Styley
(EMI, 1989)
Auch das lief sehr gerne im College Radio: Aber wer die Red Hot Chilli Peppers von „Under the Bridge“ oder „Californication“ erwartet, liegt falsch – und wäre wohl enttäuscht. Freaky Styley ist das zweite Album einer L.A. Party-Band, die ihre Vorbilder Sly & The Family Stone und The Meters nicht nur nicht verleugnete, sondern sogar je einmal coverte. Dass mit George Clinton, dem Kopf von Funkadelic/Parliament, ein weiteres Vorbild der den Produzenten-Job übernahm, war nur noch logisch. Der sorgte für eine durchgehende Party-Atmosphäre und für Unmengen Heroin, was die Band wohl teilweise ziemlich fertig machte. Aber RHCP hatte auch immer einen Fuß in Hardcore und Punk, und Psychedelic Rock war ihnen auch nicht fern – ein Einfluss, den vor Allem Gitarrist Hillel Slovak wunderbar bediente. Die Red Hot Chilli Peppers waren eigentlich als Ein-Konzert-Projekt gestartet, waren aber so erfolgreich gewesen, dass sie beschlossen weiterzumachen, Slovak war vor dem letztjährigen Debüt ausgestiegen, kam jetzt aber wieder dazu – und legte sich bei den Aufnahmen eine Drogen-Abhängigkeit zu, die ihn drei Jahre später das Leben kostete. Freaky Styley ist dank Clinton’s sehr sauberer Produdktion enorm funky, die Fähigkeiten der 23-jährigen Musiker sind erstaunlich, allerdings fehlen eindeutig die memorablen Tunes der Zeit nach ’90. „Sex Rap“ zum Beispiel ist völlig typisch für die RHCP’s dieser Zeit: Kraftvoll, funky, witzig, ein Teil Punk, ein Teil Funk, viel Uncorrectness und ein Anthony Kiedis als „Sänger/Rapper“, dem es noch an Charakter mangelt. Aber das würde sich ändern, er würde die Heroin-Phase überleben, die Band würde sich nach einem weiteren Funk-Album auf’s Songwriting verlegen und zu Superstars werden. Hier saßen die Peppers noch zwischen den Stühlen, waren zwar bei College Radio-Stationen beliebt, aber kommerziell erfolgreich waren sie noch nicht.
The Blasters
Hard Line
(Warner Bros., 1985)
Dieses Kapitel beschäftigt sich mit einer kleinen Auswahl von US- Bands, die von College Rock Radiostationen gespielt wurden. Und eine der amerikanischsten dieser Art sind die Blasters. Bei denen kann man sehen, wie durchaus „wert-konservativ“ auch das studentische Publikum in den USA war. Die Blasters entstammten ebenfalls der Punk Szene Los Angeles‘, sie spielten einen zwar rasanten, aber durchaus altmodischen Rock’n’Roll mit starken Einflüssen aus Mountain Music, Rockabilly und Rhythm’n’Blues – und so war der Titel ihres famosen ’80er Debütalbums American Music auch als Programm zu verstehen. Aber Tatsache ist eben auch, dass sie mit ihrer kompromisslosen Haltung, ihrem Tempo und ihrer Beschränkung auf’s Wesentliche das gleiche Publikum ansprachen wie die Cramps, X, Gun Club oder sogar Black Flag. Roots, Rock’n’Roll und Punk stehen im Amerika der 80er nicht im Widerspruch. Die beiden Brüder Dave und Phil Alvin waren (und sind bis heute) glaubwürdige Idealisten ihrer Zunft – und Dave Alvin ist einer der großen Roots-Rock Songwriter. Hard Line ist das vierte Album der Band, das Letzte, bei dem Phil und Dave Alvin zusammen spielten, und es ist das Album, für das Dave Alvin seine düstersten Songs schrieb. Der respektable John Mellencamp schrieb Sänger Phil Alvin „Colored Lights“ auf den Leib, Dave Alvin arbeitet auf zwei Songs mit John Doe von X zusammen, Dave Hidalgo von Los Lobos macht ebenso mit, wie Elvis‘ Backing Chor the Jordanairs und mit dem Smalltown Lynch Song „Dark Night“ ist einer dabei, der 10 Jahre später von Quentin Tatrantino für das Gemetzel From Dusk ‚til Dawn verwendet werden wird – und wer die Credibility der Blasters in Frage stellt, mag sich die Lyrics zu den Songs durchlesen: Es geht um falsche Populisten, Liebe zwischen Schwarz und Weiss, die tristen Alltagsjobs eines Rock’n’Rollers und „young men looking for trouble“. In gewisser Weise sind die Blasters wie die Replacements, nur ihre Liebe zur amerikanischen Roots-Music ist ausgeprägter, ihre Stilistik strenger, aber die Energie ist die des US Punk. Hard Line hat nicht mehr ganz die Frische der ersten beiden Alben, aber es ist nah dran.
The Long Ryders
State of Our Union
(Island, 1985)
Eine weitere Band, die (uns Europäern etwas altbacken erscheinende…) ur-amerikanische Musik mit dem Geist des Punk verbunden hat, sind die Long Ryders. Aber wenn man weiss, dss Band-Seele Sid Griffin ausgewiesener Byrds-Fan, Freund von Ex Byrd Gene Clark und Bewunderer von Gram Parsons war, dann ist schon klar, dass auch die „konservativen“ Einflüsse in der Musik der Long Ryders den erforderlichen Coolness-Faktor haben. Tatsächlich war besagter Gene Clark kurzzeitig Mitglied der Band, die sich in den letzten Jahren ebenfalls im San Francisco Paisley Underground etabliert hatte. Nach dem roheren Debüt Native Sons sollte jeder Americana-Verehrer sich State of Our Union anhören. Die Musik der Long Ryders ist heute zunächst ein bisschen unauffällig, Americana – also Country mit Punk-Spurenelementen – kennt man. Aber Mitte der Achtziger waren die Long Ryders mit ihrem „Gram Parsons meets the Velvet Underground“ Konzept regelrecht revolutionär. Nich so sehr dem Rock’n’Roll oder Rhythm’n’Blues verpflichtet wie die Blasters, nicht so psychedelisch wie Rain Parade… diese Band hatte eigene Ideen – und wer The Jayhawks, Steve Wynn oder Lucinda Williams mag und hier wiedererkennt, der hat verstanden. Dass Sid Griffin ein bisschen näselt wie Roger McGuinn, dass die 12-String Gitarre gern genutzt wird, dass die vier Jungs auf dem Cover aussehen, wie Mitt-Sechziger Byrds-Klone – geschenkt. Sie hatten nach dem Debüt einen Vertrag beim Major Island Records bekommen, die hatten sie zur Produktion nach England zum von ihnen bewunderten Ex-The Records Musiker Martin Birch geschickt und ihr Jungs vom Lande-Image vielleicht ein bisschen zu stark betont. Aber das ändert nichts daran, dass dieses zweite Album der Band das beste aus zwei Welten verbindet: Griffin fühlte sich eben auch Bands wie den Stooges oder den Circle Jerks verbunden, sagte: „That’s our bag, as it were. Their weirdness and energy played on country and western instruments...“ Viele Songs fallen beim ersten Anhören nicht auf – aber nach 2 bis 3 Spins wächst das Album und Songs wie „Looking for Lewis and Clark“ oder das sehr county-eske „Two Kinds of Love“ gefallen ungemein. Die College-Stationen jedenfalls waren begeistert. Nur Americana sagte da noch niemand.
Chris Isaak
Silvertone
(Warner Bros., 1985)
Ein weiterer Adept ur-amerikanischer Musiktradition tritt 1985 mit seinem Debütalbum auf den Plan. Die kurze Auflistung, die ich gefunden habe, finde ich ganz treffend: Roy Orbison + Duane Eddy + Buddy Holly + Gun Club = Chris Isaak. Und hier stimmt auch die Gewichtung in der Reihenfolge der Einflüsse. Im Erschaffen einer bestimmten Atmosphäre war der fast dreißig-jährige Isaak sehr versiert. Er hatte studiert, war in Japan gewesen und hatte im Land der Kopisten gelernt mit Tolle, Crooner-Stimme, Roy Orbison Falsett und Rock’n’Roll Ingredienzien eine idealisierte Version der Musik der Fünfziger an die Zuhörer zu verkaufen. Die Vorliebe für den Rock’n’Roll der späten Fünfziger, für die oben aufgezählten Vorbilder grenzt nur auf den ersten Blick an sklavische Verehrung, er kopierte die Vorbilder zwar, verbindet deren Stilistik aber auch mit modernerem Sound und einer abgründigen Schwüle, die vor 25-30 Jahren undenkbar gewesen wäre – und macht dadurch etwas Eigenes, das zwar uralt klingt, das aber so überzeugen konnte, dass er sich nach Startschwierigkeiten eine komplette Karriere aufbauen konnte. Zunächst noch war dem von Kritikern hoch gelobte Debüt Silvertone (benannt nach seiner ersten Backing Band) nur wenig Erfolg beschert – so mancher Hörer mag nicht sicher gewesen sein, ob die an Roy Orbison geschulte Theatralik und der twangy Sound ernst gemeint war. Aber Tracks wie „Talk to Me“ (die Paarung aus Orbison und Gun Club) oder „Gone Ridin’“ waren ironiefrei und als dann Regisseur David Lynch den letztgenannten Track für seinen Film Blue Velvet verwendete, wurden mehr Menschen aufmerksam. Tatsächlich hat Isaak mit James Calvin Wilsey einen extrem geschmackvollen Gitarristen und Arrangeur an seiner Seite. Einen, der den Twang der großen Gitarristen der 50ies aus dem Effeff beherrscht. Und Chris Isaak entpuppt sich schon auf Silvertone als famoser Songwriter: „Back on Your Side“, „Voodoo“ oder „Funeral in the Rain“ sind klischeehaft, aber auch unverschämt eingängig. Und Isaak kennt eben auch eindeutig Bands wie die Cramps, Gun Club und die Blasters. Bald würde er als Schauspieler in David Lynch’s Serienhit Twin Peaks mitspielen und mit diversen Soundtrack-Beiträgen immer bekannter werden.
Velvet Underground
VU
(Verve, Rec. 1968/69, Rel. 1985)
In den Achtzigern sind Bands wie The Velvet Underground noch nicht im Kanon „Kulturgut“ angekommen – sie gelten nur bei Post-Punk Afficionados, bei Hörern mit echtem interesse an innovativen Klängen als legendäre Vorbilder, der Mainstream kennt sie nicht mehr, sie entstammen einer vergessenen Generation – genau wie ihre Protagonisten Lou Reed oder John Cale, die in den Achtzigern wenige gelungene – und vor Allem kaum erfolgreiche Alben veröffentlichen. Aber immerhin gibt es Mitte der Achtziger das studentische „College“ Publikum, das sich für die Väter des Abseitigen, Dunklen in der Rockmusik interessiert. Und es gibt College Rock Stationen mit Playlists, die von Musik-Nerds zusammengestellt werden, die neugierig genug sind, die von Musikern ihrer Generation so oft ziteirten Vorbilder zu spielen. Da kommt dann 1985 das „lost“ Album der Velvet Underground ganz recht, um deren Radioprogramme zu bereichern. Interessant, wie nah VU in seiner Reduktion, Coolness, im Sound und in der Haltung an der Musik etlicher Bands der College Radio Playlists sind. VU ist eine Zusammenstellung von Tracks, die die Band in den Jahren 1968 und 1969 für MGM Records aufgenommen hatte. Die Velvets waren ’68 von Verve zu MGM gewechselt, hatten ihr drittes Album veröffentlicht, John Cale hatte die Band verlassen und in diversen Session waren 14 Songs entstanden, die ein zweites MGM-Album ausmachen sollten. MGM aber hatte beschlossen, sich von all diesen verdammten „unkommerziellen“ Hippie-Bands zu trennen, und die Aufnahmen wurden auf Eis gelegt… und vergessen. Somit kann man VU als das rechtmäßige Album zwischen Velvet Underground und Loaded bezeichnen – es ist tatsächlich ein Album, das zeigt, wie weit sie ihrer Zeit voraus waren, das zeigt, dass sie eine damals unbesetzte Nische mit ihrem kühl ironischen aber zugleich so leidenschaftlichen Mix aus Feedback, Rock’n’Roll, DooWop und Pop ausfüllten. Keiner der zehn für VU ausgewählten Tracks ist so experimentell wie das Material der ersten beiden Alben. Cale war weg, Lou Reed hatte das Kommando übernommen und beschlossen, das zu machen, was er Pop nennen würde. Der Opener „I Can’t Stand It“ zum Beispiel „rockt“ regelrecht geradeaus, „Lisa Says“ passt in jede Lounge, und selbst „Ocean“ ist maximal Psychedelic light. Und Reed war als Songwriter in großer Form. Etliche der Songs würden Jahre später in veränderter Form auf verschiedenen Lou Reed Solo-Alben wieder auftauchen („Andy’s Chest“ auf Transformer, „Stephanie Says“ auf Berlin…), mit „Foggy Notion“ gibt es einen hervorragenden „driving song“, „I’m Sticking With You“ beginnt als Kinderlied um in eine dieser seltsam unbeteiligten Lou Reed-Erzählungen zu münden – kurz: VU ist coolster New Yorker Rock’n’Roll und The Velvet Underground wurden mit dieser Compilation mit einem kräftigen Stoß wieder ins Bewusstsein einer jungen Generation gebracht.
…und was lief sonst in den College Rock Radiostationen ?
Das Bild, das ich hier durch diese 11 Beschreibungen schaffe, ist – wie schon in der Einleitung gesagt – zwangsläufig verzerrt, weil ich mich auf Bands aus den USA beschränke, die noch nicht den kommerziellen Durchbruch geschafft habe – die ihn teils auch nie wirklich schaffen werden und die daher heute recht obskur geblieben sind (siehe Thin White Rope oder die Blasters). Aber in den College Radio-Stations wurde natürlich auch Musik britischer Acts wie The Cure oder The Fall gespielt. The Jesus and Mary Chain und The Smiths wurden gewiss auch wahrgenommen, Tom Waits oder John Fogerty aus dem Heimatland, die ganze blühende US-Hardcore-Szene mit Hüsker Dü, Minutemen, den Dead Kennedy’s, etliche neue psychedelic Bands, die nicht der Paisley Park Szene entstammten etc pp… Aber all die finden bei mir anderswo ihren Platz: Über Hardcore werde ich einen eigenen Artikel schreiben, die „Klassiker“ aus England sind z.T. schon im „Leitartikel“ über das Jahr 1985 genannt – wie immer – die Überschrift hier ist nur ein kurzer Hinweis, kein Dogma, dem zu folgen ich mich gezwungen sehe. College Rock ist ein schwammiger Begriff und viel mehr als das, was du hier gelesen hast….