1977 – Television bis Mink DeVille – New York und das CBGB’s in seiner Blüte

New York war – und ist bis heute – die Welt-(Sub-)Kultur-Hauptstadt. Mitte der Siebziger manifestierte sich diese Tatsache in einem kleinen Club mit dem Kürzel CBGB’s (Genauer – CBGB’s OMFUG – steht für Country, Bluegrass and Blues Club – Other Music For Uplifting Gourmandizers).

Dieser Club wurde damals entgegen seinem Namen zur Keimzelle des Punk in den USA. So einfach. Das CBGB’s existierte schon seit 1973, zunächst in relativer Obslurität – aber ab ca ’75 versammelten sich dort Künstler und Musiker einer alternativen Szene (Siehe Review Television…), einer Szene, die mit den Hippies nichts zu tun hatte – einer Szene mit Musikern, die sich kleideten wie die Penner auf der Straße – und deren pekuniäre Lage wohl auch nicht mehr hergab. Diese „Punks“ waren im Grunde das, was die Hippies in den Sechzigern waren – Gegenkultur – und das CBGB’s wurde auch mangels Alternativen ihr Fillmore. Patti Smith, The Ramones und die anderen hier unten mit ihren Alben beschriebenen Bands haben, wie es oft üblich ist, schon ein bis zwei Jahre zuvor ihre musikalischen Statements auf Singles oder sogar mit einem Debütalbum abgegeben – siehe Ramones (’76) und Horses (’75) von Patti Smith… aber bei einigen der wichtigsten Vertreter dieser Szene erscheinen die ersten LP’s in eben diesem stilprägenden Jahr 1977. Die Debütalben der Ramones und Patti Smith’s waren auch in England gehört worden – und sie trafen dort auf offene Ohren und führten (neben etlichen anderen Faktoren) zu der Erschütterung, die man bald weltweit als „Punk“ kennt. Die Aufzählung der Namen dieser aus dem Umfeld des CBGB’s kommenden Bands jedenfalls liest sich wie ein Who’s Who der Geschichte der Alternativen Musik – Television, Richard Hell, The Ramones, Talking Heads, Suicide oder Heartbreakers. Und wie das so ist – wer im Underground zu was werden will, der geht jetzt nach NY, tritt im CBGB’s auf – und macht sich einen Namen: Bands und Musiker wie The Plasmatics, Lou Reed, Jim Carol, Dead Boys, Sonic Youth, Mink Deville, B-52’s – sie alle kreisen um diese Szene – und die Liste der Namen derer, die sie wiederum beeinflusst haben, wird noch länger, die Namen noch illustrer… Und es gibt einen wichtigen Unterschied zwischen Punk aus den USA/New York und Punk in England. Die US-Bands gaben eher ein künstlerisches, nur unterschwellig gegen die etablierte Gesellschaft gerichtetes Statement ab – während die britischen Bands oft deutlich ihren Unwillen gegen die herrschende politische Klassen und die musikalischen Zuständen zeigten. Punk aus den USA ist anders als Punk aus dem United Kingdom/Europa. Aber lies weiter…

Suicide – s/t
(Red Star, 1977)

Suicide’s erstes Album ist vielleicht nicht „Typisch“ für die Musik der Acts aus dem CBGB’s. Aber was ist da typisch? Und Suicide waren nicht absolute Stammgäste. Zu weit ausserhalb der Norm? Aber das waren Television, Patti Smith, Blondie… auch. Auch wenn man sich das all die Jahre danach vielleicht nicht vortsellen kann. Suicide ist unbedingt epochal und einzigartig. Daher – lies im Hauptartikel, wo das folgende Album aber genauso hingepasst hätte…

Television
Marquee Moon

(Elektra, 1977)

Cover-Foto – Robert Mapplethorpe – der auch
das Cover von Patti Smith’s Horses
fotografierte

Als zwei gerade mal zwanzigjährige Jugendliche die Bowery in New York heruntergehen, sehen sie wie das neue Schild für den “Country, Bluegrass and Blues -Club“ aufgehängt wird. Sie sprechen den Manager an und behaupten, Country sei genau ihr Metire. Sie bekommen einen Gig…. und werden mit völlig Country-ferner Musik in kürzester Zeit zur Hausband des bald legendären CBGB: Des Clubs mithin, der sich mit ihnen und der Szene, die sich um sie herum bildet, zur Brutstätte für Literatur und Kunst in der aufblühenden New Yorker Punkszene entwickelt. Televisions Debüt Marquee Moon ist in all den Jahren seither ein zeitloses Stück Musik geblieben, mit den beiden vorgenannten Alben der Briten Sex Pistols und The Clash ist es wohl DAS wichtigste Stück Musik des Jahres ’77 – und von diesen Dreien das am wenigsten den Moden ausgesetzte. Television entwickelten ihre Songs aus einem bluesfreien, psychedelischen Sound, interpretierten ihn für ihre Zwecke in ihrer Zeit und schufen einen eigenen musikalischer Kosmos. Mit sich umschlingenden Gitarrenlinien, seltsam leidenschaftslosem Gesang und existentialistischen Lyrics. Aber Marquee Moon ist ein Album, das zu beschreiben wenig sinnvoll ist. Es ist eine Hörerfahrung, die man selber machen muß, um die Rockmusik am Ende der 70er zu verstehen. Und zugleich gibt es bis heute wenige – ja eigentlich gar keine Bands – die etwas vergleichbares dieser Art erschaffen hätten. Songs wie der lP-Titeltrack oder „See No Evil“ sind zeitloser Post Punk und Psychedelic Gitarrenrock in Einem – und damit doch eigentlich garnicht das, was wir uns unter „Punk“ vorstellen. Was kein Wunder ist, denn was in New York Punk hieß, war weit mehr „Kunst“, als die proletarischen Klänge aus dem UK. Ich sag’s ja – Marquee Moon IST Punk, nur eben in der New Yorker Version – und vor Allem: Es ist ein komplettes Album ohne eine einzige schwache Minute.

The Heartbreakers
L.A.M.F.

(Track, 1977)

Cover-Foto – Roberta Bayley – die auch das
erste Ramones Cover fotografiert hat

Die Heartbreakers wiederum könnte man als eine Band bezeichnen, die besonders typisch für die Musik und die personellen Hintergründe im CBGB’s ist. Sie haben einen Sound und ein Image zwischen dreckigem Rock’n’Roll, 60ies Pop, Punk und Chaos. Ihre Geschichte beginnt mit dem Aufeinandertreffen der beiden Ex-New York Dolls Johnny Thunders (g, voc) und Jerry Nolan (dr) mit Richard Hell, dem ersten Bassisten von Television. Letzterer versucht zuerst, das Zepter an sich zu reissen (zuviele Ego’s in einer Band…), worauf Thunders und Nolan die Band verlassen – und den zweiten Gitarristen Walter Lure und den Bandnamen mitnehmen. Darauf gründet Hell seine neue Band The Voidoids und macht ein formidables Album (siehe unten) während die Heartbreakers dem Angebot ihres britischen Freundes und Sex Pistols Managers Malcolm McLaren zu einer Support Tour der Pistols nach England folgen. Die Tour verläuft klischeehaft chaotisch, Thunders legt sich eine massive Heroin-Sucht zu, die Band versumpft und hat nicht mal mehr das Geld zur Rückkehr nach New York, aber ihr Manager verschafft ihnen ein paar (diesmal gelungene) Auftritte und einen Vertrag beim englischen The Who-Label Track Records – sowie die Produktion des Debütalbums L.A.M.F. (soll heissen „Like a Motherfucker“). Die Aufnahmen verlaufen zwar auch chaotisch, aber das Album wird fertig. Und dann zerstreiten sich Thunders und Nolan, jedes Bandmitglied mixt das Album nach eigenen Vorstellungen – und am Ende kommt ein Album mit etlichen gelungenen Songs aber mit dumpfem Sound in die Läden und wird entsprechend verrissen oder bedauert. Inzwischen gibt es empfehlenswerte Reissues mit optimierten Fassungen der Songs – und man kann sich vorstellen, dass L.A.M.F. – in NY unter anderen Bedingungen aufgenommen – zu den ganz großen Alben seiner Art und Szene hätte gehören können. Songs wie „Born to Lose“, „It’s Not Enough“ oder „Let Go“ haben eine schmutzige Glorie, die im besseren Mix endlich erkennbar wird. So aber brach die Band auseinander, Nolan kam bei der anschliessenden Tour als Miet-Bassist mit, aber die Luft war ‚raus. L.A.M.F. kann man jetzt aber wunderbar anhören. Immerhin.

Richard Hell & The Voidoids
Blank Generation

(Sire, 1977)

Cover-Foto – auch Roberta Bayley – die das
erste Ramones Cover fotografiert hat…

Das Debüt des Ex-Television, Ex-Heartbreakers Richard Hell mag ein etwas weniger bekanntes Album des New York Punk ’77 sein – aber es ist der perfekte Querschnitt der Musik aus der Szene um’s CBGB’s. Richard Hell (eigentlich Richard Meyers aus Kentucky – der Arme) hatte die beiden wichtigsten CBGB’s Bands (mit)begründet, um dann wie oben beschrieben ihr Auseinanderbrechen zu bewirken – und er gilt als der Mann, der den Kleidungs- und Frisurstil des Punk begründete, indem er dem damals noch in NY ansässigen Malcolm McLaren Sicherheitsnadel und mit Zuckerwasser verwilderte Frisuren gezeigt hatte. Hell war eher Literat als Bassist (auch die Frisur hatte er sich angeblich beim literarischen Vorbild Rimbaud abgeschaut…), er hatte personality galore, und er war als Texter und Songwriter durchaus gut, wenn er im richtigen Moment die richtigen Leute um sich hatte… Was man am ersten Album seiner Voidoids hören kann. Blank Generation liegt exakt zwischen Television, Talking Heads und den Heartbreakers, Gitarrist Robert Quine – den Hell im Buchladen kennengelernt hatte – machte zusammen mit Ivan Julian den Twin-Guitars von Television Konkurrenz, Hell’s hämische Vocals, seine Texte zwischen Wut und Obszönität tauchten die Songs wieder in die Punk Ur-Suppe, die Vorbilder Stooges und MC5 wurden mit stilsicherer Reduktion zitiert, und in Songs wie „Another World“ ist auch der Kunst-Gedanke der New Yorker Szene deutlich erkennbar. Mit Marc Bell hatte er den späteren Drummer (dann Marky Ramone) der Ramones dabei und mit dem zweiten Gitarristen Ivan Julian hatte er einen Partner für’s Songwriting, mit dem ihm hier Songperlen wie „Liar’s Beware“ gelangen. Bekanntester Song auf Blank Generation ist das wundervoll obszöne „Love Comes in Spurts“ – Punk in Reinform, aber das Album schwebt irgendwie zwischen Prä- und Post Punk und ist nicht ganz so ausserhalb aller Kategorien wie etwa Marquee Moon. Das mag ein Grund für den geringeren Stellenwert von Blank Generation sein – und das ist natürlich ungerecht. Hinderlich für breiteren Erfolg der Voidoids war aber auch die Tatsache, dass es wegen Hell’s Drogenkonsum fünf Jahre bis zum nächsten (nicht ganz so tollen) Album dauern sollte – da war Punk schon lange vorbei. Danach konzentrierte Hell sich komplett auf die Literatur.

Ramones
Leave Home

(Sire, 1977)

Cover-Foto – Arturo Vega

… noch mehr New York und CBGB’s: Das erste Album der Ramones (aus dem Vorjahr…) ist einer DER Klassiker der Rockmusik. Simpel, eingängig, rasant, Perfektion in Punk. Und sie hatten mit ihrer Musik ein hungriges, junges Publikum erreicht, hatten ihren Bekanntheitsgrad bald über die Grenzen von New York hinaus erweitert und nahmen als Nächstes mit deutlich höherem Budget und mit mehr künstlerischer Freiheit more of the same auf. Tatsächlich gehörten die 14 Songs auf ihrem Zweitling Leave Home allesamt schon vor dem Debüt zu ihrem Repertoire und haben die gleichen schlagwortartigen Titel, die man so liebt („Gimme Gimme Shock Treatment“). Da wird der Wunsch geäußert, zum Killer zu werden („Glad to see you go“) da sind die geliebten Einflüsse von Kriegs- und Horrorfilmen. Der Song „Carbona Not Glue“ wurde zunächst von der Plattenfirma gestrichen, da er deren Meinung nach „die Inhalation von Dämpfen zum Drogenkonsum verherrlicht“ – was natürlich stimmt – nur „verherrlichen“ wäre da der falsche Ausdruck. Das Cover – nun in Farbe – die Produktion durch den „sechsten Ramone“ Ed Stasium, der sie in den folgenden Jahren begleiten sollte, all das mag die naiven Wildheit des Debütalbums ein wenig vermissen lassen, was dazu führt, dass Leave Home als weniger epochal gilt, als The Ramones oder der noch im selben Jahr aufgenommene dritte Streich…

Ramones
Rocket To Russia

(Sire, 1977)

Front Cover-Foto – Danny Fields, New Yorker Underground Fotograf

…denn das ist das Album, das man sich als Nachfolger des Debüt’s erhofft hatte: Rocket to Russia sieht nun (auch in der Covergestaltung) wirklich so aus wie die Fortsetzung von The Ramones und hier wird die Klasse des Debüt’s übertroffen: Die Produktion – wieder von Ed Stasium – ist kraftvoller, Gitarrist Johnny Ramone hatte „God Save the Queen“ von den Pistols gehört, und verlangt, dass die neue LP besser klingen soll, als die Singles der Kopisten und Konkurrenten aus Great Britain. Zumal die Ramones nun als Songschreiber auf der Höhe ihrer Kunst waren. Es beginnt mit dem absurd fröhlich-hirnlosen „Cretin Hop“, da ist der Surf Punk von „Rockaway Beach“ – angelehnt an die Musik von Bands wie The Thrashmen – die wiederum mit „Surfin‘ Bird“ gecovert werden. Die zweite Cover-Version auf dem Album ist der Klassiker „Do You Wanna Dance“, und dann sind mit der Außenseiterstory „Sheena is a Punk Rocker“ und dem selbsterklärenden „Teenage Lobotomy“ zwei Klasssiker der Band dabei. Und es gibt nun sogar so etwas wie „Balladen“ – wobei das Tempo des Albums nach wie vor rasant ist. Rocket to Russia ist ohne Zweifel der Höhepunkt einer Trilogie von Klassikern des Punk – und Blaupause für den Punk etlicher US Bands der folgenden Jahre ( siehe Bad Religion). Diese drei plus das nachfolgende Album enthalten Alles, was man über die Ramones wissen muss

Dead Boys
Young Loud And Snotty

(Sire, 1977)

Cover-Foto – Glenn Brown – ein weiterer „Punk“ Fotograf

Und wer noch „klassischeren“ Punk aus New York haben will, der muss sich Young Loud and Snotty von den Dead Boys anhören. Die entsprechen schon eher dem BILD-Zeitungs-Klischeebild von Punk – optisch wie musikalisch. Die Dead Boys entstehen in Cleveland aus der Asche der Prä-Punk Institution Rocket From the Tombs – deren Archiv-Alben großartig sind – und deren Sänger David Thomas ’77 mit Pere Ubu eine der Speerspitzen des Post-Punk gegründet hat. Cheetah Chrome, Gitarrist der Rockets, formiert mit dem Sänger Stiv Bators zunächst in Cleveland die Band Frankenstein, die sich dann in Dead Boys umbenennt, auf Anraten von DeeDee Ramone nach New York umsiedelt und im CBGB’s bald für Furore sorgt. Musikalisch wurde die Kraft der Rockets mitgenommen, deren experimentelle Noise-Elemente über Bord geworfen und ein Schuss Garage-Rock hinzugefügt – das Rezept für etliche Bands, die man „Punk“ nennt also… Und die Dead Boys halfen – ähnlich wie Richard Hell – dabei, Look und Sound des „Punk“ zu definieren. Sie waren mit ihrer unverfälschten Aggressivität genauso typisch – und genauso gut – wie die Sex Pistols – hatten mit dieser Wut aber nicht deren Erfolg – so sind die USA eben… Das von den Rockets mitgebrachte „Sonic Reducer“ ist eine prächtige Punk-Hymne die nur zu unbekannt geblieben ist, Songs wie „All This and More“ und „What Love is“ sind voller Teenage Angst, Kraft und Häme, durchzogen von einer ernsthafteren Wut als die zynischen Pamphlete der Pistols. Cheetah Chrome’s Gitarrensalven lassen an den Stooges-Gitarristen Ron Asheton denken und Stiv Bator’s Howls klingen nach dem Irrsinn und der Verlorenheit, die Johnny Rotten nie erlebt haben dürfte. Seltsamerweise gelten die Dead Boys als eine Punk-Band der zweiten Stunde – als Nachahmer also… Das sind sie definitiv nicht, sie sind eine rohe, kraftvolle Rock’n’Roll Band, die den Punk mit geprägt hat, und Young Loud and Snotty ist genau das, was der Titel verspricht.

Talking Heads
Talking Heads: 77

(Sire, 1977)

Cover – David Byrne

Am Debüt der Talking Heads kann man gut die stilistische Breite der Bands aus dem Umfeld des CBGB’s erkennen. Chris Frantz (dr), Tina Weymouth (b) und David Byrne (voc, g) gründeten die Band ’75 während des Kunst-Studiums und ergänzten sie 1977 um dem Ex-Modern Lovers Gitarristen (und Architekturstudenten) Jerry Harrison. Ihre Optik bei den Auftritten war das Gegenteil von prätentiös oder rebellisch – sie sahen so „normal“ aus, dass das offenbar Programm war – aber ihre Musik war so reduziert und nackt, wie man es eben nur vom Punk kannte… Dazu hatten sie aber mit David Byrne einen Sänger, der so seltsam autistisch wirkte, dessen Stimme doch eigentlich nicht zum „Singen“ geeignet schien, und dessen Auftreten manchmal so ausserirdisch wirkte, dass es schmerzte. Und dann waren seine Lyrics so fremd, sogar beängstigend, dass solche Musik sich letztlich doch nur im Kunst-Umfeld des CBGB entwickeln konnte. Nach der komischerweise erfolgreichen Single „Psycho Killer“ (DAS Thema in den US-Charts?) und nach etlichen gelungenen Auftritten nahmen die Talking Heads ihr Debüt Talking Heads: 77 unter der Ägide des erfahrenen Soul-Produzenten Tony Bongiovi auf (…der tatsächlich mit dem 90er Hardrock Posterboy Jon Bon Jovi verwandt ist und dessen Karriere mit zu verschulden hat…). Aber hier machte er das Meiste ganz richtig. Er ließ die Talking Heads reduziert klingen, er betonte die Rhythmik, er ließ Byrne’s Stimme kippen und gab der Band die Freiheit ihre durchaus pop-tauglichen Melodien mit all den Haken und Verschiebungen zu versehen, die das Album von jedem Verdacht befreite, zu nah am Pop gebaut zu sein. Der Opener „Uh Oh, Love Comes to Town“ hat Calypso-Anklänge – aber wird im Verlauf völlig verdreht. „New Feeling“ könnte ebenso berechtigt ein Hit sein, wie der Stampfer „Psycho Killer“. Auch „Don’t Worry About the Government“ hat eine wunderbar poppige Melodie und dabei wieder Lyrics, die jeden Gedanken an Kommerz verbieten. Talking Heads: 77 ist noch nicht von dem perkussiven Dauerfeuer durchschossen, das die Band mit Brian Eno ab dem nächsten Album entwickelte, aber es zeigt, dass hier verdammt kluge Köpfe Musik machten. Es ist ein Startpunkt, der überall hätte hinführen können – es wäre immer ein interessanter Weg geworden.

Mink DeVille
s/t (Cabretta)

(EMI, 1977)

Cover-Foto – Eric Stephen Jacobs

Die hier mit ihren Alben vorgestellten Bands aus dem CBGB’s sind zweifellos Vorreiter/Ikonen des Punk, aber in diesem Club gab es zu dieser Zeit auch ein paar Gestalten, die wirklich schwer zu der Vorstellung passen, die wir heute von „Punk“ haben. Die Band Mink DeVille um den in NY aufgewachsenen Exzentriker Willy DeVille (eigentlich William Paul Borsey) klingt schon auf ihrem Debüt schwerlich nach Punk, dabei waren sie von ’75 bis ’77 Hausband im Club und verkehrten ganz zweifelsohne als Kollegen unter Kollegen – sie machten eben (wie alle anderen – ganz nebenbei) ihr eigenes Ding. Das bestand in diesem Falle aus einer Musik, die bestimmt wurde von DeVille’s dreckiger Soul-Stimme und von Songs, die sich im Umfeld von 50ies-Soul, R&B, Blues und Rock bewegten, die zwar durchaus auch reduziert war, aber zugleich auf etwas schmierige Weise „distinguiert“ klang. Als Produzent konnte für das – nur in den USA Cabretta genannte – Album (in Europa ohne Titel…) Phil Spector-Schüler und Jagger/Stones Freund Jack Nitzsche gewonnen werden, die famose Single „Spanish Stroll“ kam im UK in die Charts, die Auftritte der Band konnten an guten Abenden glorreich sein: Mit einem in Zuhälter-Klamotten gekleideten Willy DeVille, einem großartigen Frontmann der gerne eine Leopardenfell-Gitarre spielte und den harten Kerl mit weichem Kern mimte, mit Bläsern und einer tighten Band, mit Stories direkt aus einer verraucheten Bar, waren sie ein optisches und akustisches Erlebnis. Und sie hatten die entsprechenden Songs. Mick Jagger war von „Mixed Up, Shook Up“ begeistert und eine Ballade wie der Album-Closer „Party Girl“ zeigte die Band in voller Pracht… Mag sein, dass diese Musik mit der Vorstellung, die wir von Punk haben, nichts zu tun hat – aber dass das CBGB’s nicht auf ungestüme Wildheit und ‚rausgerotzte Songs reduziert ist, dürfte spätestens mit diesem unter den Musikern der „Szene“ hoch geachteten Debüt klar sein.

Und sonst so?

Wie immer – Dieser Artikel bezieht sich auf EIN Jahr – und natürlich sind die definitiven Alben aus dem Umfeld der (Punk)-Szene im CBGB über mehrere Jahre verteilt. Müsste ich also die soundsoviel besten Alben aus dieser Szene in der formativen Zeit Ende der Siebziger blablabla… dann würde ich zu den hier reviewten noch folgende empfehlen:
Patti Smith – Horses (1975)
The Dictators – Go Girl Crazy! (1975)
The Ramones – s/t (1976)
Suicide – s/t (1977)… welches ich im „Hauptartikel“ über das Jahr ’77 beschrieben habe…
Blondie – Plastic Letters (1978)
Blondie – Parallel Lines (1978)
Talking Heads – More Songs About Building and Food (1978)
…und die Compilation No New York (1978), welche die avantgardistische No Wave Bands Contortions, D.N.A., Teenage Jesus & the Jerks und Mars versammelt.
Und dann treiben sich in dieser Zeit auch noch Bands wie The Cramps, The Feelies, The Fleshtones, Bad Brains etc… in und um diesen Club herum – und im kommenden Jahrzehnt weitet sich der Einfluss dieser Szene über die ganze Welt aus. Also: Dies hier war nur ein Schlaglicht auf eine extrem heterogene Szene.
Das CBGB’s blieb bis in die Achtziger Schmelztiegel und Kreißsaal für neue Musik – und wurde zu schlechter Letzt 2006 wegen immer höherer Mietkosten in der inzwischen gentrifizierten Lower East Side geschlossen… Da sieht man die üblen Seiten des US-Kapitalismus und Konservativismus.