1976 – Rainbow bis Kiss – Die zweite Häutung des Hardrock

Heavy Metal entsteht in keinem bestimmtem Jahr – auch nicht 1976. Moderner Metal hat sich über einen längeren Zeitraum entwickelt. Die erste Häutung war Ende der 60er, als Bands wie Led Zeppelin, Black Sabbath, Deep Purple und viele unbekanntere Acts aus Blues und Psychedelik Hardrock und Heavy Psych zusammenbrauten.

Und nun bezeichne ich im Hauptartikel ’76 Sad Wings of Destiny von den Briten Judas Priestals als eines der ersten „modernen Metal Alben“. Die Briten „erfanden“ nicht nur viele als archetypisch geltende Stilmerkmale des Metal, sie schufen auch ein ziemlich haltbares Image. Sie hatten einen Sänger und Songs die sich in ihrer Konsequenz, ihrer „Härte“, ihrer Theatralik von den in diesem Kapitel beschriebenen Hardrock Alben noch abhoben. Die in diesem Kapitel folgenden Alben bieten aber keinesfalls „weicheres“ Metall. Ich halte von Rising bis Destroyer alles für gelungen – Rainbow, Thin Lizzy oder auch Kiss müssen sich vor Judas Priest und ihrem Klassiker nicht verstecken. Sie waren nur nicht ganz so konsequent. Zugleich geht es mir in diesem (und anderen) Kapitel(n) um die IMO mangelnde Wertschätzung dieser Musik. Man muss Metal denselben Stellenwert beimessen wie Punk, Post-Punk, Jazz, HipHop, whatever. Man sollte einfach die hier unten bechriebenen Alben genau und unvoreingenommen anhören. Metal hat – wie jeder Stil in der populären Musik – bestimmte Grundformen und Stilmittel, die irgendwann von wenigen Musikern entwickelt wurden. Die wurden im Laufe der Zeit abgewandelt und mit Images besetzt, die man beim Hören auch außer Acht lassen könnte. Die bunten Cover, die Fantasy-Motive, der Kleidungsstil (den Judas Priest in dieser Zeit mit Leder und Nieten-Look auf die Spitze trieben) war eine (jugendliche) Form der Provokation. Lange Haare zu haben reichte ’76 nicht mehr, martialisches Auftreten war nur eine Variante des ’76 aktuellen No Future-Gehabe der Punks. Tatsächlich waren die Metaller in den Bands hier unten meist so alt wie ihre Kollegen von den Sex Pistols, The Damned oder The Clash. Aber sie legten – der gewählten Ästhetik entsprechend – Wert auf eine durchaus altmodische Virtuosität. Das wurde noch von Bands wie Led Zep oder Depp Purple übernommen (Rainbow ist schließlich die Band des Ex-Deep Purple Gitarristen Richie Blackmore…). Zumal viele Bands weiter unten meist Anfang der 70er ins Rennen gegangen waren… siehe UFO, Blue Öyster Cult oder Thin Lizzy. Hier kommt also Klischee-Metal von Rainbow. Hier kommt Theater-Metal von Kiss, hier kommt mit AC/DC bluesiger Stampf-Metal… und das sind die Vorläufer von Bands wie Iron Maiden, Metallica, Slayer, Death, Darkthrone…

Judas Priest – Sad Wings Of Destiny
(Gull Rec., 1976)

Wie oben erwähnt. Ein Album und eine Band, die Heavy Metal definiert hat. Die mit ihren Twin-Gitarren, mit Rob Halford’s kehliger Sirenen-Stimme und seinen Leder und Nieten-Klamotten einen damals eigenen und bald metal-typischen Stil etablierte. Somit ein Klassiker, über den mehr im Hauptartikel 1976 steht.

Rainbow
Rising

(Polydor, 1976)

Ach ja… Was wäre Metal ohne heroische Fantasy, ohne Mittelalter-Bezüge oder ein bisschen bis ganz viel Horror. Schon seit Black Sabbath wird da tief gegraben. Und so kamen Rainbow, die Deep Purple Nachfolger, die Hardrock Fans sich erhofft hatten um auch in diesem Feld zu graben. Gitarren-Genie Richie Blackmore hatte sich mit dem Shouter der ziemlich mittelmäßigen Band Elf zusammengetan, weil ihm der Kurs seiner alten Band Richtung Funk und Blues missfiel und ’75 ein (fast) so klassisches Heavy Metal-Album wie Sad Wings of Destiny aufgenommen. Mit Fantasy-Touch und dem Heroen-Posing und der beeindruckenden Stimme des gerade mal 1,63 m große Ronald James Padavona aka Ronnie James Dio (= Gott). Der zweite Streich dieser Band ist in vieler Hinsicht dem Klassiker von Judas Priest ebenbürtig. Man mag den Einsatz der Keyboards beim Opener „Tarot Woman“ noch zu „proggig“ nennen, aber sobald Cozy Powell’s Drums einsetzen und Dio’s majestätisches Gebrüll anhebt, ist die Pommesfaust in der Luft. Na ja – und Richie Blackmore’s Gitarre ist sowieso über jeden Zweifel erhaben. Der brauchte keinen Gitarren-Twin. Es gibt wenig zu beklagen bei diesem Dungeons and Dragons-Rock, denn die sieben Songs auf Rising sind allesamt fein durchkomponiert, trocken produziert und stilecht. Mit Powell und Jimmy Bain hatte Blackmore eine kraftvolle Rhythm-Section angeheuert und dass Dio mit seinen Posen und seinem Heldengesang einen riesigen Einfluss auf kommende Metal-Generationen haben würde, muss man anerkennen. Der Typ hat besagte „Pommes-Gabel-Faust“ schließlich erfunden. Und – wie gesagt – Rising ist voller extrem memorabler Riffs: Das melodisch und rhythmisch rasante „Starstruck“, und vor allem die beiden 8-Minüter „Stargazer“ und „A Light in the Black“ sind die Highlights. Man muss aber wohl beachten, dass Rising in vieler Hinsicht nach einer aufgefrischten Version von Deep Purple MK II klingt. Es sind Hymnen, die auch ein bisschen im Blues stehen, bei denen die „Härte“ noch nicht ganz so stählern ist, wie bei Judas Priest in diesen Tagen. Das ist kein Nachteil, das ist einfach nur ein Stil, der anders und etwas altmodischer ist. Rising ist ein „klassisches“ Hardrock Album am Rande des Heavy Metal.

UFO
No Heavy Petting

(Chrysalis, 1976)

Es gab natürlich noch viel mehr Hardrock auf dem Weg zum Heavy Metal. Wobei die Briten UFO ganz glaubhaft nie den Schritt zum wirklich harten Metal gemacht haben. Sie waren schließlich schon ’69 entstanden, hatten Space Rock und Psychedelic Rock erforscht – waren also schon was älter – und machten nun seit 1974 (seit dem Album Phenomenon – ihrem Meisterstück) ihre eigene Art von Hardrock. Mit Phil Mogg war da ein Sänger und Komponist, der gerne komplexe Songs und schlaue Lyrics an den Mann brachte und mit dem jungen Michael Schenker aus Deutschland hatte er 1974 einen blutjungen Gitarristen angeheuert, der sich als großer Könner und formbarer Charakter erwies (was bald zu ziemlich schrecklichen Streitereien führen sollte…). No Heavy Petting war das fünfte Album einer Band, die wussten was sie tat – der Erfolg blieb allerdings übersichtlich. Dabei hatten UFO einiges zu bieten. Mogg’s Stimme ist toll: Ein bisschen rauh, kehlig, wandelbar und mitunter erstaunlich emotional. Und Schenker veredelte jeden Song mit tollen, melodischen Gitarrensoli. Dazu sind Songs wie der Opener „Natural Thing“ oder „Can You Roll Her“ fettester Hardrock. Mit überraschenden melodischen Wendungen und viel Power ‚rausgeschossen. Und dann ist da die Ballade „Belladonna“. Balladen von Hardrock-Acts waren ’76 noch keine Peinlichkeit. Diese ist eine der wirklich schönen. Weil Phil Mogg’s Stimme nicht schmachten will, weil Schenker’s Gitarre immer geschmackvoll klingt, weil es ein guter Song ist. Weil Keyboarder Danny Peyronel auch ein Könner war. Der gab der Musik auf No Heavy Petting eine weitere Dimension. Ich könnte sagen, dass UFO Progressiven Hardrock spielen, aber dafür sind sie wiederum zu hart und geerdet. Dass sie mit ihren deutschen Kollegen von den Scorpions viel gemein hatten – eben nicht nur den Bruder des Scorpions-Gitarristen Rudolf Schenker – kann man deutlich hören, wenn man (wie ich empfehle ) die hier folgenden beiden Alben anhört. Zuletzt weise ich noch auf das meisterliche „Martian Landscape“ als Album-Closer hin. Vielleicht ein Verweis auf die Vergangenheit der Band, ergänzt um die inzwischen erarbeiteten Fähigkeiten. UFO waren in diesen Jahren nicht sehr erfolgreich… aber sie waren eine der verborgenen Mächte des intelligenten Hardrock.

Scorpions
In Trance

(RCA Victor, 1976)

Die Scorpions kennt man natürlich (nicht nur) in Deutschland. Sie sind eine Institution des Hardrock, sie haben eine recht lange Zeit ziemlich tolle Alben gemacht, ehe sie sich via Friedens-Flöte institutionalisiert haben. 1976 erschienen gleich zwei Alben der Band, die damals noch den Psychedeliker Uli Jon Roth als Komponisten und Gitarristen in vorderster Reihe stehen hatten. Ein mindestens so virtuoser Gitarrist, wie Michael Schenker, der wiederum der Bruder des Skorpionkopfes Rudolf Schenker ist. Roth’s Einfluss auf den Sound der Band hatte sie zwei Psychedelic-Hardrock-Alben lang geleitet, bei In Trance wurde erstmals eine noch größere Portion Härte hinzugegossen. Schon hier war die Stimme von Klaus Meine ein Erlebnis. Diese Klarheit, diese Sicherheit, dazu klingt er ein bisschen rauh und (wie Phil Mogg) niemals kitschig. Dass die Scorpions immer auch psychedelisch Glühen konnten, war ihr signature move. Aber auf In Trance sind sogar Songs, wie das eigentlich fast ZU schöne „Life’s Like a River“, erstmals auch stahlhart. Der Proto-Metal auf In Trance weiss scheinbar noch nicht, dass zu viel Melodie im Heavy Metal meist ein bisschen verschämt hinter Lärmwänden zu verschwinden hat. Die Scorpions würden auch auf späteren Alben glühende Songs schreiben, die in einen Hochofen aus harten Gitarren geschoben wurden. Auf In Trance war mit Uli Jon Roth ein Gitarrist für die Glut zuständig, der die Ästhetik des Psychedelic Rock inhaliert hatte. „Robot Man“ allerdings kann man tatsächlich als verfrühten Metal a la NWoBHM hören. Der Song ist in seiner Schlichtheit fast untypisch für die Scorpions – und zugleich kann er nur von dieser Band sein, die schon ’76 einen charakteristischen Sound hatte.

Scorpions
Virgin Killers

(RCA Victor, 1976)

…was die Scorpions allerdings geritten hat, ihrem vierten Album ein dermaßen pädophiles Cover und einen so dämlichen Titel zu verpassen, wie „Virgin Killer“ (das Cover bilde ich aus rechtlichen und moralischen Gründen hier nicht ab…), bleibt mir rätselhaft. Zumal es Musik diskreditiert, die sich logisch und klug weiterentwickelt hatte. Hier wurde ein bisschen Led Zeppelin gefeiert – aber die Charakteristika der Scorpions waren deutlich hörbar. Uli Jon Roth’s dunkle Psychedelik, dazu Rudolf Schenker’s Heavy Metal-Wucht, darüber Klaus Meine’s Stimme… da konnte man nix verwechseln, das war – wenn überhaupt – nur die Hommage an eine Band auf einem eigenen hohen Level. Schon der Opener „Pictured Life“ – mit Gitarren-Glissandi und theatralischem Gesang und Rrrums-Rhythmus ist perfekt und typisch zugleich. Dieser Theaterdonner ist auf den folgenden Scorpions-Alben oft integraler Bestandteil, gehört zu ihnen und wurde von anderen Heavy Metal Bands adaptiert. Und dann kam mit „Catch Your Train“ einer dieser unwiderstehlichen harten Rocker, die man auf den folgenden vier Alben finden kann. Ein Song, der hart und zugleich so süß melodisch ist. Dass Meine seine Stimme auch noch doppelte und so eine weitere, viel zu schöne Ebene in den Song einfügte, dass dann die Soli von Roth AUCH noch mal Zucker über die Lava streuten, macht diesen Song zum Archetypen für den Heavy Metal der Scorpions. Virgin Killer hat mehrere dieser Kracher dabei. Beim Closer „Yellow Raven“ werden sie dann noch mal psychedelisch. All das konnten sie zu der Zeit noch sehr überzeugend. ’76 war die Band auf hohem Niveau unterwegs… die Alben dieser Zeit gefallen mir besser als die Hitalben von ’79-’82.

Black Sabbath
Technical Ecstasy

(Vertigo, 1976)

Black Sabbath sind bekanntermaßen die „Erfinder“ des Heavy Metal. Soviel muss man ihnen zugestehen. Aber 1976 war das Quartett ausgepumpt, hatte sein Management gefeuert und war vom Business fast aufgefressen worden. Das siebte Album in sechs Jahren, dazu extensives Touren und massig Drogen… dass Technical Ecstasy nicht der nächste Geniestreich wurde, kann man verzeihen. Und es ist – obwohl strenge Richter das anders sehen mögen – in meinen Ohren kein so schlechtes Album. Es ist Eines, bei dem die Band tatsächlich neue Ideen versuchte und ein paar gute Riffs erfand. Gitarrist Tony Iommi hatte seine patentierten kurz-Noten-Soli ausgefeilt, aus einigen Songs perlt Power, wie man sie mit dieser Band verbindet. Aber natürlich – „It’s Alright“ mit dem Gesang des Drummers Bill Ward – ist ein vergeblicher Versuch irgendwie „Mainstream“ zu werden. Die Band managte sich inzwischen selber und war sich nicht darüber im Klaren, dass ihre Fans die Härte der vorherigen Alben weiterhin wollte… und keine Wendung Richtung Radio. Manche Songs wollen Glam sein. Manche wollen ein bisschen ProgRock sein („Gypsy“) und letztlich klingen Black Sabbath doch immer nach Black Sabbath… in Verkleidung. Tony Iommi beklagte sich später, von seinen Kollegen allein gelassen worden zu sein. Aber immerhin gab es einen Song wie den Closer „Dirty Women“, seltsam komplexes Geriffe bei „All Moving Parts (Stand Still)“ oder die gelogene Aussage „You Won’t Change Me“. Technical Ecstasy erzeugt keine Extase, ist keine Meisterleistung und leitete das Ende der Ur-Formation ein… bis Ozzy Osbourne von Ronnie James Dio ersetzt wurde und 1980 mit Mob Rules eine wirklich kreative Phase anbrechen sollte.

Thin Lizzy
Jailbreak

(Vertigo, 1976)

Der Kopf dieser irischen Band war schon lange im Geschäft. Phil Lynott hatte Ende der 60er mit dem später sehr erfolgreichen Gary Moore bei Skid Row gespielt. Da war es noch harter Psychedelischer Rock gewesen, Lynott verließ die Band, gründete ’69 seine eigene Band Thin Lizzy. Sie bekamen einen Vertrag, gingen nach London und erspielten sich live schnell eine hervorragende Reputation. Lynott’s Bass, seine an Jimi Hendrix erinnernde Stimme und Erscheinung waren sicher nicht im Wege. Aber der Mann war vor allem ein sehr guter Songwriter, er schaffte es, harten Rock mit feinen, klugen und eingängigen, auch an Folk orientierten Melodien zu schreiben. Dazu kamen inzwischen mit Brian Robertson und Scott Gorham gleich zwei fähige Gitarristen – unerlässlich im Hardrock, wie man in diesen Zeilen liest. Und Ja – Jailbreak ist auch kein Heavy Metal. Es bietet harten, kurzentschlossenen Hardrock mit wunderbaren Melodien, mit leichter – hier ganz leichter – Blues-Schlagseite. Und auch Thin Lizzy werden von vielen Metal-Acts und -Fans bis heute gefeiert. Wobei Jailbreak das Studio-Album der Wahl ist. Die Stimme und das muskulöse Bass-Spiel von Lynott allein sind ja schon ein Genuss. Die beiden Gitarristen Robertson und Scott Gorham umspielen einander auf’s köstlichste, manchmal klingt die Rhythm-Section ein bisschen dünn – aber dass die Band bei der Produktion unter großem Druck stand, ist nicht hörbar. Vertigo verlangte definitiv Hits und drohte mit Entlassung aus dem Vertrag, sie hatten wenig Zeit, die Songs auszufeilen und Produzent Joh Alcock redete ihnen in ihre Entscheidungen hinein. Aber Songs wie der Titeltrack oder „Romeo and the Lonely Girls“… und vor allem der Mega Hit „The Boys Are Back in Town“ sind zeitlos. Wirklich zeitlos!! Und Jailbreak IST harter Rock. Ich nenne das sogar Metal.

Thin Lizzy
Johnny The Fox

(Vertigo, 1976)

…und der Hit hatte offenbar ein bisschen den Druck ‚rausgenommen. Noch im selben Jahr kam Album No. 7. Phil Lynott hatte eine kompositorischen Lauf, litt allerdings zu dieser Zeit noch an den Nachwirkungen einer Hepatitis-Infektion, wegen der er die Tour zu Jailbreak hatte unterbrechen müssen. Johnny The Fox ist eine Art Konzept-Album, das das Leben diverser Charaktere in der Großstadt beschreibt… teils autobiografisch von Einem, der durchaus auch die dunkle Seiten des Lebens als Schwarzer in Irland und England kannte (obwohl seine Kindheit glücklich gewesen sein soll…). Die Band war eingespielt, dass Gorham und vor Allem Robertson mit Lynott mitunter heftigen Streit hatten, ist nicht zu hören… oder es führte zu feurigen Soli wie man sie bei „Don’t Believe a Word“ hört. Lynott ließ alle möglichen Interessen in dieses Album einfliessen… Da ist „Jimmy The Weed and Johnny The Fox“, bei dem Thin Lizzy klingen, wie eine astreine Funk-Band. Lynott liebte die O’Jays, hatte kein Problem seine Interessen mit seiner Band auszuleben. Und dauch dieser Song passt in das Konzept – vor Allem, weil die beiden Gitarristen kleine Feuerwerke abbrennen dürfen. Auf Johnny The Fox gibt es auch eine sehr geschmackvolle Ballade: „Old Flame“ behandelt eine erloschene Liebe ohne jeden Kitsch und wird von Twin-Gitarren regelrecht erleuchtet. Natürlich ist AUCH Johnny The Fox kein Heavy Metal Album. Schließlich gibt es fragwürdiges wie „Sweet Marie“. Ein Song wie „Boogie Wooge Dance“ ist immerhin ziemlich muskulös (…trotz des extrem dämlichen Titels…). Nun – das ist das Thema dieses Kapitels: Hardrock, der sich verändert, der auf dem Weg ist, „heavy“ zu werden. Thin Lizzy waren ein Einfluss, aber keine Metal-Band.

AC/DC
High Voltage

(Atlantic, 1976)

Ach ja – die Australier AC/DC. Die hatten 1976 erstmals internationalen Erfolg. Bald würde ihr Logo die Jeans-Kutten pickliger 15-jähriger zieren. Sie würden in den kommenden Jahren zum Urbild der Proleten-Hardrocker werden. Wer sich was auf seinen distinguierten Musik-Geschmack einbildete, würde sie verachten. Und die in Schottland geborenen Brüder Angus und Malcolm Young und ihr Frontmann Bon Scott + hart arbeitender Rhythmusgruppe (Mark Evans (b) und diverse Drummer, ehe Phil Rudd etabliert wure) wurden – zu Unrecht – als niveaulose Rocker gedisst. Nun – ihre Musik hat den Rock’n’Roll Anteil nie geleugnet. Dies WAR eine Rock’n’Roll Band, die etliche klassische Bestandteile aus 20 Jahren Rockmusik bediente. Sie konnten Blues, hatten den in der DNA, aber sie waren härter als die Blues-Bands der frühen 70er, sie waren proletarischer und trinkfreudiger. Und sie hatten bis zum Beginn der 80er ein unfehlbares Händchen für eingängige Songs, mit Schlagwort-Titeln. Dazu kam ein Arbeits-Ethos, der jeder Band zur Ehre gereicht hätte. ’75 hatten sie mit einem ebenfalls High Voltage genannten Debüt und ein paar Monate später mit dem Nachfolger T.N.T. in ihrer Heimat Erfolg gehabt. Anfang ’76 destillierte Atlantic beide Alben zu einer Essenz, die weltweit veröffentlicht wurde. Diese Band konnte Blues – man höre nur „The Jack“, aber das feurige Hard-Rock Gitarrenspiel von Angus und vor allem Bon Scott’s dreckige Stimme und seine Präsenz, die den Hörer sogar beim Zuhören regelrecht ansprang, machten High Voltage zum gefundenen Fressen für die Hardrock-Jugend. Auf dieser Compilation der beiden ersten Alben sind Klassiker versammelt: „T.N.T.“ war angeblich auf Bon Scott’s Persönlichkeit gemünzt, mit dem Titeltrack und mit „It’s a Long Way to the Top“, beschrieb man das harte Tour-Leben und gab sich ansprechend dreckig. Danach gingen AC/DC auf Welt-Tournee und setzten den Standard für Jahre: Tolle Gitarrensoli von einem Typen in Schul-Uniform. Dreckige Vocals von einem Kraftpaket, ein donnernder Rhythmus und Songs zum mitgröhlen. AC/DC waren ’76 mindestens so hart wie Thin Lizzy….

AC/DC
Dirty Deeds Done Dirt Cheap

(Atlantic, 1976)

Und das heisse Eisen wurde weiter geschmiedet. Noch im selben Jahr nahmen die Fünf, die nun Phil Rudd als festen Schlagzeuger etabliert hatten, daheim in Australien ihr nächstes Album auf. Auch Dirty Deeds Done Dirt Cheap wurde für den Rest der Welt nochmal umgebaut und mit anderem Cover versehen. Und jetzt war der Erfolg in Europa immerhin erwähnenswert. Man muss es aber erwähnen – erst 1979 wurden diese beiden ersten AC/DC-Alben auch in den USAveröffentlicht, und erst als Sänger Bon Scott 1980 starb, gelangten sie in die Charts. In Europa immerhin wurde ihr Hardrock deutlich früher von der jungen Hörerschaft anerkannt. Mit dem Titeltrack und dem Brecher „Problem Child“ hatte Dirty Deeds mindestens zwei weitere Klassiker des Hardrock dabei. Dem Album mag – so wie High Voltage – noch der Flow fehlen. Diese Band war noch hauptsächlich live ein Erlebnis und das Rezept für ihre Songs war ein einfaches. Wenn auf ihren Alben ein paar Tracks dabei waren, die nicht ganz so ins Ohr gingen, dann war das sicher verzeihlich. So haben auch hier beide Alben ein paar mediokre Tracks dabei. Die Gitarrensoli und Scott’s Stimme können im Studio eben nicht alles auf das erforderliche Spaß-Niveau heben. Aber sie würden auch hierin besser werden und die folgenden drei Alben sind definitiv Klassiker des Hardrock – die enromen Einfluss auf Hunderte von jungen Metal-Musikern hatten. Die Verehrung für diese Band in bestimmten Kreisen mag somit angesichts der ersten beiden internationalen Alben übertrieben wirken. Aber auch hier gab es schon klassische Tracks und das, was da noch kam ist große, harte Rockmusik.

Blue Öyster Cult
Agents Of Fortune

(CBS, 1976)

…von Australien in die USA… hier war Metal in den frühen 70ern eine weit obskurere Angelegenheit gewesen. Man hatte sich an die Importe aus dem UK gehalten. Led Zeppelin, Deep Purple und Black Sabbath waren die Namen, die 15-jährige US-Kids kannten, Metal-Acts kamen selten aus dem eigenen Land. Es gab nur ein paar Ausnahmen… deren Metall-Anteil anders und meist geringer war als der der Vorbilder aus dem UK. Blue Öyster Cult etwa hatten immer einen großen Psychedelic Rock Anteil in ihrem Sound. Ihre ersten drei Alben sind äußerst eigenständig, sind manchmal auch „hart“, aber man tut sich schwer, sie Metal zu nennen. Das galt noch einmal mehr für Agents of Fortune, ihr viertes Album. Dabei hatte die Plattenfirma die Band darum gebeten, eine Art „American Black Sabbath“ zu fabrizieren. BÖC hatten sicher ein geheimnisvolle Image, hatten das immer wieder auftauchende Symbol (Kreuz mit dem Haken unten = Symbol für den Göttervater Kronos – und das Symbol für Blei…), ihre rätselhaften Plattencover, die Tatsache, dass man bei BÖC keinen der Musiker wirklich identifizieren konnte… Und dennoch – die hatten immer schon weit über die Grenzen des Hardrock hinaus gedacht. Die waren befreundet mit Patti Smith, die sang bei „The Revenge of Vera Gemini“ sogar mit und Agents of Fortune wurde zum Pop-Metal Album mit Hirn. Tatsächlich sind Songs wie „This Ain’t the Summer of Love“ und vor Allem der Superhit „Don’t Fear the Reaper“ ganz sicher kein Metal. Nicht einmal Hardrock. Selbst wenn Gitarrist Donald „Buck Dharma“ Roeser noch so gewagt soliert. Die Stimmen aller fünf Bandmitglieder sind völlig un-charakteristisch. Da gibt es auch kein bisschen Machismo. Alle Songs winden sich und scheinen irgendwie gebremst. Und dazu ist das Album auch noch seltsam zurückhaltend produziert. Aber dennoch: Ich denke Agents of Fortune hat mit seinen abstrusen Lyrics und seiner Symbolik großen Einfluss auf kommende Metal-Acts gehabt. Es ist ein verdammt schlaues Stück Musik, das seltsamerweise von vielen Metal-Heads geliebt wird. Wer die härteren Töne der Band kennenlernen will, der höre Secret Treaties von 1974.

Aerosmith
Rocks

(CBS, 1976)

Und wieder eine US-Band, die ich nicht wirklich dem „Heavy Metal“ zuordnen will. Allerdings haben Aerosmith – auch schon 1970 in Boston gegründet – massiven Einfluss auf eine bestimmte Sparte des Hardrock gehabt: Ohne Aerosmith sicher kein Hair-Metal (auf den man hätte verzichten können), aber auch keine Guns’n’Roses, keine Black Crowes, kein exaltierter Kreisch-Gesang und kein Rap-Metal… Ihr ungeheuer charismatische Sänger Steven Tyler und ihr Gitarrist und Songwriter Steve Perry wurden (von Fans) als US-Jagger/Richards gefeiert. Und ein paar mal haben sie diesem Image sogar standgehalten. Sowohl Drogen-Konsum-technisch als auch (ab und zu) betreffs einiger sehr haltbarer Songs. Im Jahr zuvor hatte die für ihren Drogenkonsum berüchtigte Band mit Toys in the Attic tatsächlich ein fantatsisches, sehr heodinistisches Album gemacht (Meine bevorzugte Wahl…). Die Typen waren dermaßen narkotisiert, dass es ein veritables Wunder ist, dass auch der Nachfolger Rocks noch so lässig und konzentriert scheint. Und die machten KEINEN Pop. Die wurzelten tief im Blues, Tylers exaltiertes Geschrei war beeindruckend, die Rhythmen wurden mit Wucht und Lust gespielt. Und Joe Perry war in der Form seines Lebens (…er war gerade mal 26). Aerosmith waren 1975-76 eine Rhythm’n’Blues/Hardrock-Maschine, die ihren nun zemetierten Stil mit Lust zelebrierte, die mit ihrem Sänger und ihrem Gitarristen und mit ein paar feinen Hits eine große Eigenständigkeit erreicht hatte. Rocks hat nicht die Klasse des Vorgängers – kein „Walk This Way“ oder „Emotions“. Aber das Album hat einen sehr beeindruckenden Flow. Es funktioniert als Gesamtheit. Und „Back in the Saddle“ oder „Nobody’s Fault“ sind archetypischer Aerosmith-Rock. Nach diesem Album lieferten sie noch etliche Singels, aber bis ’89 (bis Pump) kam kein vernünftiges Album mehr zustande. Viel Party aber kein großer Spaß mehr. Danach wurde Steven Tyler im Gefolge seiner Schauspielerinnen-Tochter Liv Tyler zur Celebrity und Aerosmith zum Symbolträger für Sex Drugs’n’Rock’n’Roll US-Style. Da waren sie aber schon lange egal.

Kiss
Destroyer

(Casablanca, 1976)

Auch Klassiker… für die damaligen, von Pubertätspickeln gebeutelten Jungs, die verzweifelt nach Dingen suchte, die sich von dem alten Kram abhoben. Kiss waren Mitte der 70er DAS Ding. Das Image mit krassen Bemalungen und Kostümen, die Namen und Charaktere (Catman, Spaceman, The Demon und Starchild), dazu feuerspeiende Gitarren und brennende Bühnen… Dass ihr putziger Corpsepaints in 10-12 Jahren im Black Metal eine unheilige Renaissance erleben würden, bleibt nur EIN Detail. Dass Kiss (mit SS-Runen am Ende des Namens… da würden BM-Acts Blöderes wagen) aber auch künstlerische Bedeutung hatten, wird bis heute von Nicht-Fans verneint, der kommerzielle Erfolg dieser Band aber zündete in diesen Tagen die dritte Stufe. Destroyer – Album No. 4 dieser Band aus New York (… da passt sowas hin…) ist allerdings, wenn man ehrlich ist, auch musikalisch gelungen. Durchdacht und voller infektiöser Songs. Natürlich Over The Top, Crass, Trashy, Bombastic, FANTASTIC!! Es ist ein einzigartiger Rock and Roll Circus. Und die Kiss-Army feierte das. Dass Alice Cooper mit ähnlichem Image, ähnlicher Musik und Face-Paint diesen Weg bereitet hatte, will erwähnt sein. Man muss darauf hinweisen, dass Kiss jetzt von Bob Ezrin kommerzieller produziert wurden. Der redete Ihnen auch ins Songwriting ‚rein, was aber auch akzeptiert wurde. Ein Song wie der Opener „Detroit Rock City“ wurde zur Hymne, die Band musste das vorherige Erfolgs-Album Kiss Alive! übertrumpfen – und schaffte das sogar. Die kindliche Fantasien der jungen Fans dürften geholfen haben. Aber Songs wie „Flaming Youth“ waren schließlich auch effektiv. Und ja – Musik von Kiss ist Glam-Metal. Da ist Nichts „heavy“, das ist Theater – und alle die Kiss als kindischen alpha male madness abtun haben recht. Aber diese Band sprach bewusste ein Publikum an, das infantiles Theater mochte. DAS wiederum macht Metal bis heute. Kiss waren in dieser Sparte Inovatoren – und Destroyer ist ihr bestes Studioalbem. Zusammen mit…

Kiss
Rock an Roll Over

(Casablanca, 1976)

…dem schnell hinterhergeschossenen Rock And Roll Over. Man schaue sich nur das Cover an: So bunt, so comic-gruselig, dass man nicht glauben kann, dass das jemnd ernst nehmen konnte. Aber fragte man ’76 die Kiss-Army, dann wäre die Empörung groß gewesen. Was Image-Building und Fan-Verehrung angeht, haben Kiss neue Standards gesetzt. Die Band hatte nun die finanzielle Möglichkeit, mit großem Aufwand zu produzieren (und zu touren). Man mietet sich ein verlassenes Theater und ließ sich von Eddie Kramer produzieren. Der hatte mit Hendrix, Led Zep, den Kinks und den Stones gearbeitet, der wusste, wie man einen guten Sound hinbekam. Kiss hatten wieder ein paar unwiderstehliche Hits geschrieben (fand die Kiss-Army… und die war groß). „I Want You“ und „Calling Dr. Love“ und „Hard Luck Woman“ sind jedenfalls sehr effektiv. Diese Musik IST primitiv bis dumm. Aber das soll so. Kiss waren (lächerliche) Superhelden, die suuuper-harte Musik machten, über die nur lachen konnte, wer unter 17 war. Na ja – andererseits ist die Altersklasse von 12-16 die auf dem Sprung zur Revolte. Und diese (meist Jungs) konnten eine Comic-Image-Maschine ohne Meta-Ebene, wie Kiss es waren, gut gebrauchen. Die Verehrung für für diese Band muss man nicht teilen. Man kann ihre schamlosen Vermaktungs-Techniken sogar verachten. Aber den Einfluss dieser Band auf junge Metal-Fans, die dann erwachsene Metal-Fans wurden, der ist nicht zu leugnen.

…um es zu erwähnen…

Es GIBT noch etliche „harte“ Brocken in diesem Jahr, die ich vielleicht auch hätte in diesen Zusammenhang bringen können… wenn ich gewollt hätte. Wer mag, der höre noch Led Zeppelin’s doofes Album Presence, oder das tolle ProgRock Album 2112 von Rush, oder Max Webster’s Debüt, oder Queen’s A Day at the Races oder Robin Trower’s Heavy-Blues… die sind alle „hart“. Aber die haben IMO mit dem kommendem Heavy Metal nicht ganz so viel zu tun oder sie gefallen mir nicht ganz so gut. Und zuletzt: All das hier ist nicht zu vergleichen mit dem Metal, der ab den frühen Achtzigern die Grenzen sprengen würde. Ich würde die beschriebenen Alben hier niemals mit Iron Maiden oder Motörhead oder gar Metallica oder Celtic Frost oder dem Black Metal von Darkthone vergleichen wollen. Aber ich bin mir sicher – alle Musiker dieser Bands kennen diese Alben hier und haben sich von diesen Images und Ideen beeinflussen lassen. Nur – das würden die vielleicht nicht mal zugeben.