1975 – Lou Reed bis Janis Ian – Die unendliche Geschichte vom Singer/Songwriter

… ist in diesem Jahr 1975 eine Geschichte mit einigen Klassikern. ’75 ist voller Alben von hervorragenden Songschmieden, die in allen möglichen Zwischenbereichen musizieren… sprich: Es gibt sehr viele sog. Singer/Songwriter(-alben), die AUCH Country, Folk, Rock, Pop, etc. sind.

Im Hauptartikel beschreibe ich mit den Werken von Bob Dylan, Neil Young, Bruce Springsteen, Willie Nelson, Patti Smith (…und Peter Hammill) fünf (sechs) Alben, die in dieses expilzit den Songwritern gewidmete Kapitel hier passen würden. Zugleich gibt es noch die im Country-Kapitel beschriebenen Singer/Songwriter Terry Allen oder Guy Clark, die noch weniger Country“ als Wille Nelson oder Waylon Jennigs sind… aber ich habe sie dort dem Country zugeordnet. So wie ich die Briten Roy Harper oder Richard Thompson eben in ein Kapitel über Brit-Folk(-rock) gepackt habe. Die hier folgenden elf Alben blieben übrig, weil ich sie so weit ausserhalb von Folk oder Country sehe wie Zuma, Blood on the Tracks, The Hissing of the Summer Lawns, Born to Run und Horses. Die Klasse dieser Alben haben die folgenden elf LP’s freilich nicht. Aber sie sind manchmal dran. Und sie sind weit genug von den Schubladen Country oder Folk entfernt, pasen dort nicht rein. Selbstverständlich kennt Paul Simon English- und US-Folkmusic. Ganz sicher ist Ronee Blakley nah am Country (lies darüber…) und ganz gewiss kann man Kevin Coyne oder John Martyn auch als britische Folkmusiker bezeichnen. Aber sie sind nicht so… „sortenrein“, dass ich sie als Beispiele für Folk oder Country etikettieren und beschreiben will. Und Lou Reed oder John Cale, Elton John oder Dion sind in ganz eigenen Kategorien unterwegs. DAS ist es, was Singer/Songwriter-Musik ausmacht: Sie hat sich seit der Mitte der 60er aus Folk und Country und Pop und Avantgarde zu einem eigenen Genre entwickelt. In ihm haben Musiker ihre Einflüsse in eigene Lyrics, Songs und Alben gefasst – und dabei die Stilgrenzen – möglicherweise nicht einmal bewusst – in alle Richtungen überschritten. Sowas kann Alben zu dem machen was man gemeinhin Klassiker nennt. Das macht in meinen Ohren diese Singer/Songwriter-Alben in diesem Kapitel aus… Hier also elf Beispiele für meine Definition des Singer/Songwriters aus 1975…

Bob Dylan – Blood On The Tracks
(Columbia, 1975)

…so wie z.B. DER Singer/Songwriter und eines DER Singer/Songwriter-Alben der 70er. Blood on the Tracks ist ein Klassiker – keine Frage. Daher im Hauptkapitel 1975 beschrieben. Eines der besten Beispiele für die Kunst, Geschichten und Melodien in eine Form zu gießen, die Stilgrenzen transzendiert und dabei dieser Kunst einen komplett eigenen Stempel aufzudrücken…

Neil Young & Crazy Horse – Zuma
(Reprise, 1975)

… was Neil Young plus Band auf Zuma genauso meisterlich schafften Wer könnte oder wollte Neil Young einem bestimmten Genre zuordnen? Und er hat ’75 ja auch noch Tonight’s the Night veröffentlicht. Auch ein Meisterwerk der Kunst der Singer/Songwriter. Lies über beide Alben im Hauptartikel ’75. Und Neil Young kannte aus dem Laurel Canyon auch….

Joni Mitchell – The Hissing Of Summer Lawns
(Asylum, 1975)

… die sich seit den frühen 70ern ebenfalls ein eigenes Feld bereitet hatte. Bei ihr werden die Songs und Texte in Folk und Jazz-Einflüsse gebettet. Ebenfalls ein Meisterwerk.

Bruce Springsteen – Born To Run
(CBS, 1975)

…was man auch über diesen Klassiker sagen kann. Hier wurden Songs und Stories in Soul, Folk und Rock gepackt. Und die Stimme und die Songs dieses Songwriters wurden zu Ikonen…

Patti Smith – Horses
(Arista, 1975)

…was auch für Patti Smith gilt: Ihre in New York-Straßendreck und Poesie gebadete Kunst denkt Punk vor und ist damit eines DER Kunstwerke der Musik der 70er. Auch diese Musikerin hat Stilgrezen weit überschritten – und sich nicht einmal darum geschert.

Lou Reed
Coney Island Baby

(RCA, 1975)

… was man natürlich auch von Lou Reed sagen kann. Einen Begriff für seine Musik damals oder auch heute zu finden, ist schwierig… Aber es ist beim Anhören seiner Musik ja auch nicht unbedingt erforderlich, einen Stilbegriff parat zu haben. Mit dem ein paar Monate zuvor veröffentlichten Metal Machine Music (hier nicht beschrieben… weil es hier beim besten Willen nicht hinpasst) hatte Reed seiner Plattenfirma vermutlich einen Schrecken eingejagt. Da kam nun sein „freundlichstes“ – ja, man kann sagen sein positivstes – Album gerade recht. Coney Island Baby ist eine liebevolle Verbeugung vor dem NY-Stadtteil, in dem er der kleine Lewis Allen Reed einst aufwuchs. UND es ist eine Liebeserklärung an seine damalige Freundin Rachel Humphries (Eine Transgender-Person… btw). Die wurde im Titelsong sogar namentlich genannt: „I’d like to send this one out to Lou and Rachel, and all the kids at P.S. 192“… letzteres Kürzel stand für Klein-Reed’s Kindergarten. Man sollte aber nicht denken, dass auf Coney Island Baby nur Schmetterlinge fliegen und bunte Blumen blühen: Reed und seine Hairdresserin und Tour-Managerin Humphries waren meist auf Speed, zerstörten Hotelzimmer, lebten ein recht unstetes und wildes Leben, um es vorsichtig auszudrücken. Und all diese Facetten des Lou Reed-Lebens in den 70ern war auf diesem Album zu hören. Wenn er sang „…Kill him now, now ‚Cause I need kicks Yeah, n-n-n-n-n-n-n-need some kicks..“ dann beruhte das auf Erfahrungen. Aber da war eben auch die liebevolle Erinnerung an seine Heimat und die Vergangenheit in Coney Island und die Begeisterung für die Partnerin und das freie Leben, das sie gerade feierten. Lou Reed schöpfte aus diesem Glück hervorragende Songs wie „She’s My Best Friend“ (das hatte er allerdings einst mit The Velvet Underground aufgenommen, es wurde erst 1985 auf der Compilation VU veröffentlicht). Oder der Titeltrack oder das kurze „Charley’s Girl“. Und dazu begleitete ihn eine erlesene Band und er ließ eine saubere Produktion zu. Und seine Stimme klang erschöpft-zufrieden… Dass er mit Coney Island Baby ein so (vergleichsweise) „kommerzielles“ Album aufnahm, hat wohl auch finanzielle Gründe gehabt. Metal Machine Music war kommerzieller Selbstmord und drei Wochen nach dem Release von RCA zurückgezogen worden. Nun konnte sein Manager aufatmen. Und ich bin amüsiere mich über einen Song wie „The Gift“: „I’m just a gift to the women of this world Responsibility sits so hard on my shoulder Like a good wine, I’m better as I grow older….“ Sowas war ’75 offenbar völlig ok…

John Cale
Slow Dazzle

(Island, 1975)

John Cale einen Singer/Songwriter zu nennen, dürfte kontrovers sein – oder? Aber hört euch das Jahrhundertalbum Paris 1919 an… Aber John Cale hatte eben auch immer – auch beim ’73er Meisterwerk – einen zutiefst avantgardistischen Zugang zur Musik. Ich sag‘ mal: Er war/ist ein Singer/Songwriter, der Elemente aus Klassik, Avantgarde – in dieser Zeit auch vom angesagten Glam Rock – organisch in seine Musik einfließen ließ. Er hatte nie Berührungsängste, er war musikalisch kenntnisreich, er war ein toller Songwriter, er war ein versierter Instrumentalist an Cello, Klavier, Gitarre und er war ein großartiger Sänger… dessen Stimme angsteinflössend, aber dann auch wieder seltsam tröstlich klingen konnte. Man kann ihn kaum mit Paul Simon oder mit Bruce oder Bob vergleichen… Er besetzte mit seinem ehemaligen Velvet Underground-Kollegen Lou Reed eine Ecke der Popmusik, die aufregend und dunkel ist. Und ’75 kamen zwei Alben von ihm, die zwar nicht die Klasse von Paris 1919 hatten, die aber eigenständig und schön sind. Slow Dazzle war ein nicht ganz so klaustrophobischer Brocken wie der – ebenfalls große – Vorgänger Fear. Der Opener „Mr. Wilson“ bezieht sich auf den von John Cale bewunderten Brian Wilson von den Beach Boys… und ist dessen Schicksal entsprechend süß und dunkel zugleich. Und es würde auf Paris 1919 passen. Manche Tracks fallen etwas ab – „Dirty-Ass Rock’n’Roll“ ist nicht besonders spannend, auch wenn die Keyboards im Hintergrund schön unheilverkündet heulen. Aber es gibt Songs wie „I’m Not the Loving Kind“ (ach…?) oder das bittere „Guts“. Und dann ist da noch Cale’s Version von Elvis‘ „Heartbreak Hotel“. Mit bösen Schreien und Brian Eno’s unheimlichen Synth-Sounds. Der brachte auch noch seinen Kollegen Phil Manzanera von Roxy Musik mit zu den Aufnahmen. Und für den Closer „The Jeweler“ bezog Cale sich nochmal auf die alten VU-Tage. Was will man mehr? Slow Dazzle ist ein spannendes Album, das etwas in Vergessenheit geriet.

John Cale
Helen of Troy

(Island, 1975)

Noch im selben Jahr nahm Cale kurz nach der Tour zu Slow Dazzle und nach dem Produktions-Job für Patti Smith’s Horses (!! – ja, das hat Cale produziert) mit Helen of Troy das dritte Album für Island auf. Dass er mit der Plattenfirma im Anschluss in Streit geriet, lag vor Allem am kontroversen „Leaving It Up to You“. Die Referenz zu der von Charles Manson umgebrachten Sharon Tate wollte Island nicht veröffentlichen (die LP’s nach ’78 beinhalten den Track wieder…). Unabhängig davon ist es ein weiterer großer Song von Cale – eben mit der bei ihm typischen düsteren Seite und mit zähne-knirschendem Gesang. Übrigens mit Phil Collins von Genesis an den Drums. Cale hatte ansonsten seine edlen Tourbegleiter dabei: Chris Spedding an der Gitarre ist einer der ganz Großen und Brian Eno machte auch noch mit und brachte experimentell-kühle Synth-Sounds ein. Und Cale hatte für Helen of Troy noch weitere Songperlen geschrieben: „I Keep a Close Watch“ und „Sudden Death“ gehören zu seinen Besten. Das Album klingt „kalt“, es ist kein freundliches Singer/Songwriter-Album sondern eine zynische, eisig glitzernde Angelegenheit. Aber es zeigt einen großen Künstler in Top-Form.

Paul Simon
Still Crazy After All These Years

(Columbia, 1975)

DAS wiederum ist klar, das ist typisch: Still Crazy After All These Years ist ein klassisches Singer/Songwriter-Album von einem Musiker, für den dieser Begriff buchstäblich erfunden wurde. Das Folk-Duo Simon & Garfunkel war geprägt von Paul Simon’s Stimme und seinen Songs. Songs, die aus der Quelle britischer und amerikanischer Folkmusik schöpfte. Aber Paul Simon hatte sich inzwischen weit von diesen Quellen entfernt. Seine Musik war inzwischen urban, vom Leben in New York geprägt, hatte unwiderstehliche Pop-Hooks und intellektuelle Texte. Der Hit „50 Ways to Leave Your Lover“ schreit „Evergreen“ – und ist hedonistisch und ironisch und auf komische Art romantisch… hat schlicht mehrere Ebenen, die man auch ignorieren kann, weil er so eine feine Melodie hat. Wer sucht, mag auch Spuren von Folk hier finden – bei „My Little Town“ macht sogar Art Garfunkel mit und es funktioniert wunderbar. Der Titeltrack und „I Do It for Your Love“ sind erwachsene Beziehungs-Beobachtungen. Ein bisschen desillusioniert, ein bisschen romantisch. Das Backing wechselt von Folk zu (manchmal ZU) gepflegtem Jazz. Na ja – Simon hatte einen Ruf und Beziehungen. Das passte, das war Singer/Songwriter-Musik 1975. Still Crazy After All These Years ist nicht Paul Simon’s Meisterwerk. Da waren Paul Simon von 1972 und die Weltmusik-Pioniertat Graceland (1986) besser. Aber er hatte Geschmack und auf jedem Album immer tolle Songs. Ein Singer/Songwriter, wie er im Buche steht.

Maggie & Terre Roche
Seductive Reasoning

(Columbia, 1975)

Ja – ein Geschwister-Duo. Und zugleich passt der Begriff „Singer/Songwriter“ bei dem Album Seductive Reasoning gut. Die zu dieser Zeit 22 und 24 Jahre alten Schwestern Maggie und Terre Roche hatten schon Jahre in der New Yorker Folk-Szene hinter sich. Sie waren noch ohne ihre da gerade 19-jährige Schwester Suzzy in Folk-Clubs in den USA und Europa und unterwegs gewesen. Terre hatte etliche Songs geschrieben, Paul Simon hatte sie gehört und sie gebeten auf seinem 73er Album There Goes Rhymin‘ Simon die Backup-Vocals einzusingen. Er kannte Terre’s Songs, die sie mit ihrer Schwester noch mit wunderschönen Vocal Harmonies präsentierte. Er machte seinen Einfluss geltend, so dass die beiden mit ihm als Produzenten und etlichen Musikern aus den Muscle Shoals Studios Songs aufnehmen konnten. Hinzu kamen Aufnahmen mit Paul Samwell-Smith und fertig war ein extrem gelungenes Debüt. Dass Seductive Reasoning kaum beachtet wurde, ist eine Sünde – die Executives von Columbia waren – wie das fast immer ist – offenbar taub dumm und ohne jeden Geschmack. Es ist bezaubernd, wie erwachsen, wie humorvoll und stilvoll Terre Roche’s Songs sind. Man muss bedenken, dass diese 10 Songs in knapp 30 Minuten von einer sehr jungen Frau gechrieben wurden, die sich große Hoffnungen gemacht haben dürfte. Da sind etliche Einflüsse zu hören: Die Beiden kannten Folk, es war allerdings der urbane Folk der New Yorker Coffee House Scene. Terre schrieb erstaunlich abgeklärte Lyrics mit leicht absurden Zügen. Dazu sangen Maggie und Terre mit äußerst eigenständigen Stimmen, wechselten spielerisch von hohen in tiefste Lagen – ohne dabei auch nur den Anschein von Mühe oder Leistungsschau zu erwecken. Da sind Songs wie das großartige „Down the Dream“ oder „Malachy’s“, nach denen sich jeder Singer/Songwriter die Finger lecken würde… Seductive Reasoning ist in der Tat verführerisch, die Musik klingt viel einfacher, als sie ist, sie machten den Besten dieser Zeit Konkurrenz – aber das Album ging unter wie einen Bleiklumpen und die Roche’s gingen erst mal zurück nach New Jersey… um drei Jahre später mit Schwester Suzzy als Trio neu zu starten… Als The Roches machten sie ab ’79 tolle Alben mit anspruchsvoller, leicht querliegender Musik. Nur als Hinweis: Robert Fripp von King Crimson sah sich veranlasst, sie zu supporten

Elton John
Captain Fantastic and the Brown Dirt Cowboy

(DJM Rec., 1975)

Was muß man noch über Elton John sagen? Der ist 1975 ein household name, etabliert wie Paul Simon. Er ist voll im GlamRock-Trend aufgegangen, seine Unsicherheit und seine Homosexualität (die in den Mitt-70ern nicht offen zur Schau gestellt wird) kann er wunderbar hinter bunten Brillen und schrillen Outfits verbergen. Da ist ein dermaßen „buntes“ Cover, ein so aufwändig gestaltetes Album kein Wunder. Captain Fantastic and the Brown Dirt Cowboy ist ein Konzeptalbum, das Elton John’s frühe Karriere und seine Zusammenarbeit mit Texter Bernie Taupin (dem Brown Dirt Cowboy…) verhandelt. Es ist Elton John’s Sgt Pepper, es ist die Verarbeitung einer Karriere, die den Singer/Songwriter und Pop-Genius offenbar auch oft überfordert hatte. Das Album krankt – vielleicht – mögen Kritiker bemängeln – daran, dass sich die Songs der Story unterordnen. Aber solange dabei Songs wie die Single „Someone Saved My Life Tonight“ herauskommt, sollte man mit Kritik sparen: Da ging es um die katastrophale Beziehung John’s zu Linda Woodrow, mit der er ’68 verlobt war. Das Ganze endete mit Trennung und einem Selbstmordversuch – aber auch mit der Befreiung aus den Fesseln der Konventionen eines bürgerlichen Lebens. Der Kollege Long John Baldry hatte ihm geraten, die Verlobung zu lösen, um nicht auf seine Karriere zu verzichten. Manche Phasen seiner Karriere vor dem ersten Hit („Your Song“ in 1970) waren schwierig genug und man sollte es Elton John hoch anrechnen, dass er keinen rosa Schleier über seine Erinnerungen wirft. Sogar der zum Album beigefügte Comic ist da ehrlich genug. Und einige weitere Songs sind gut gelungen: „Tower of Babel“ oder das ebenfalls sehr desillusioniert klingende „We All Fall in Love Sometimes“ sind keine „Evergreens“, aber sehr gute Songs. Captain Fantastic… hat die Eigenschaft guter Konzeptalben – die Summe seiner Teile macht es zu mehr, als die Einzelteile hergeben würden. Und sentimental war Elton John nicht: Danach entließ er einen Teil seiner altgedienten Band… und machte noch ’75 mit Rock of the Westies ein zweites Album, das bei Weitem nicht an dieses letzte große Album des Songwriters und Entertainers herankam. Nur ’76 kam mit Blue Moves noch ein erwähnenswertes Album. Danach hat Elton John noch ab und zu eine feine Single veröffentlicht und ansonsten seine eigene Legende verwaltet. Es sei ihm gegönnt.

John Martyn
Sunday’s Child

(Island, 1975)

…bis 1977 würde Sunday’s Child, das er schon ’74 aufgenommen hatte, das letzte Album John Martyn’s sein. Er hatte sich schon auf den vorherigen Alben entschieden von den Regularien und Gewohnheiten der traditionellen britischen Folkmusik abgewandt (die er sowieso nie als verbindlich angesehen hatte). Und er wollte vom Image des netten Lockenkopfes weg. Inzwischen war seine Ehe mit Beverley Martyn aufgrund ausgiebigen Tourens und wegen seines Alkoholkonsumes nur noch eine Ruine. Das neue Album angesichts der persönlichen Krisen Sunday’s Child zu nennen mag da ironisch wirken – aber Martyn vermochte seinem Leben offenbar noch etliche positive Aspekte abzugewinnen. Seine Frau begleitete ihn hier noch einmal auf zwei Stücken, das Album war noch songorientierter als der Vorgänger – auch weil Martyn die abgedrehte Gitarrentechnik und den lautmalerischen Gesang nun als integralen Bestandteil seiner Musik betrachtete. Er ließ alle Erkenntnisse der letzten Jahre auf diesem Album zusammenfließen. Es gab pure, romantische Schönheit („My Baby Girl“), so wie er es so trefflich beherrschte. Es gab mit „Spencer the Rover“ traditionelles Liedgut, das er perfekt in seine Welt überführte, einen Country-Standard dem er dieselbe Behandlung angedeihen ließ („Satisfied Mind“) – und auch verfremdeten Noise-Folk-Rock („Root Love“) und ein letztlich doch gebeuteltes „Sunday’s Child“. In seiner Uneinheitlichkeit mag Sundays Child als weniger „interessant“ gelten als Solid Air etwa oder als der perfekte ’77er Klassiker One World – der kam aber dann auch von einem ganz anderer John Martyn. Ein Album wie dieses würden weniger begabten Musiker aber sicher als Krone ihrer Karriere bezeichnen.

Kevin Coyne
Matching Head and Feet

(Virgin, 1975)

Der Brite Kevin Coyne ist das perfekte Beispiel für Singer/Songwriter, wie ich sie hier definiere: Er kam aus Folk und Blues, klang aber schon mit seiner ersten Band Siren (Lies über die im Kapitel … 1969 – British Blues auf dem Höhepunkt – Teil 2) wie niemand anders – sowohl was sein Songwriting anging, als auch bezüglich seiner Lyrics und seines „Stils“. Coyne’s Stimmeist sicher gewöhnungsbedürftig. Er klingt wie ein wütender Captain Beefheart mit Halsschmerzen. Mit Siren mag er noch eine Art Blues gespielt haben, aber inzwischen war er in einer eigenen Welt unterwegs. Dass Virgin (noch ein paar weitere Jahre) an ihm festhielt, ist erstaunlich und ehrenhaft. Was nicht heissen soll, dass seine Songs schlecht gewesen wären. Er hatte für Matching Head and Feet sogar eine Band im Studio, nachdem sein erstes, fantastisches Solo-Alum Marjorie Razorblade noch ziemlich underproduced gewesen war. Nun begleitete ihn u.a. der spätere Police-Gitarrist Andy Summers und auch die Slide-Einlagen von Gordon Smith waren beeindruckend. Aber die Zurückhaltung und der hintergründig-tragische Humor der drei vorherigen Alben machte nun wilden Ausbrüchen Platz. Dazu gab es Bläser, eine Pub-Rock Atmosphäre, die manchmal die Klasse des Songwritings überdeckte. Aber dann waren da wieder Tracks wie das unschlagbare „Sunday Morning Sunrise“, das man eigentlich dem ’75 schwächelnden Van Morrison hätte geben sollen. Oder das fast an Glam erinnernden „Turpentine“. Oder den verstörend lauten Opener „Saviour“. Bei „Tulip“ wurde es bluesig und etwas ZU lang, aber insgesamt hatte Coyne auf Matching Head and Feet etliche sehr gute Songs versammelt: „One Fine Day“ ist sogar Reggae-Offbeat und „Lucy“ und „Lonely Lovers“ sind perfekte Songs irgendwo im Feld zwischen Folk, Blues und Rock… da wo man Singer/Songwriter eben findet.

Dion
Born To Be With You

(Phil Spector International, 1975)

Dion DiMucci war ’75 eine Legende. Mit den Belmonts und Solo hatte er in den frühen 60ern Popgeschichte geschrieben (…die man allerdings in Europa nicht wirklich mitbekommen hatte). Der DooWop Sound aus den US-Großstädten ist ohne seine Stimme und seine Songs undenkbar. „Runaround Sue“ und „The Wanderer“ sind Meilensteine. Dann kamen Drogensucht und etliche Solo-Alben, die immer weniger beachtet wurden – obwohl einige Schätze dabei waren: Dion (’68) und Wonder Where I’m Bound (’69) seien dringend empfohlen. Da zeigte er, was für ein toller Songwriter war – ein sehr guter Sänger sowieso. ’75 veröffentlichte er das teils zusammen mit der ebenfalls im Vergessen versinkenden Produzenten-Legende Phil Spector (of The Ronettes fame…) aufgenommene Album Born to be With You. Dass er mit dem Wall of Sound-Architekten Spector laut Backcover-Text in denselben Strassen New York’s aufgewachsen sein soll, sollte wohl Verbundenheit illustrieren. Letztlich aber war Dion später nicht besonders zufrieden mit dem Album, das er erst einmal ein Jahr lang zurückhielt. Tatsächlich ist der Wall of Sound gewöhnungsbedürftig. Vieles klingt aus der Zeit gefallen, wenn man es vorsichtig formulieren will. Nun – die Idee, mit Spector zu arbeiten hatten immerhin Leute wie John Lennon oder Leonard Cohen und bald sogar die Ramones. Dass Born to Be With You auch noch etliche Songs aus den Federn anderer Songwriter hat, lässt es hier etwas aus der Reihe fallen: Aber so bekommt man Songs von namhaften Meistern wie Gerry Goffin oder Barry Mann/Cynthia Weil zu hören. Garantierte Hitlieferanten, wie Phil Spector wohl meinte, der selber oft Hand anlegte. Der überwältigende Titelsong kam vom Country-Songwriter Don Robertson, der auch Elvis belieferte. Man hat hier also einen Singer, der ein paar Songs mitschrieb. Immerhin wurde Born to Be With You in den 90ern via Lobpreisung von Primal Scream-Kopf Bobby Gillespie zum Kult-Album. Und das nicht zu Unrecht – der Titeltrack ist nicht die einzige Pretiose. „Only You Know“ ist allen Lobes wert, genauso wie der tolle „New York City Song“. Der Bombast auf diesem Album hat Stil. Dass Acts wie Primal Scream das in Zukunft toll finden würden, ist verständlich.

Ronee Blakley
Welcome

(Warner Bros., 1975)

Ronee Blakley war in den USA ’75 eine große Hoffnung für diejenigen, die auch Dylan oder Cohen feierten. Beide Musiker hatten ihr ’72er Debütalbum hoch gelobt, ihr Songwriting war exzellent, sie war eine versierte Texterin… und hervorragend vernetzt. So gut, dass einige Songs vom Debüt im Soundtrack zum Film Welcome Home, Soldier Boys auftachten. Das Nachfolge-Album Welcome etablierte ihren Stil, wie man so sagt. Sie war erkennbar von Dylan beeinflusst und hatte dazu eine starke Country-Schlagseite – so stark dass dieses Album auch in das ’75er Country-Kapitel passen würde, wäre es nur Country genug. Dafür wiederum war nämlich bei Songs wie „She Lays it on the Line“ der Pop- und Musical-Anteil zu hoch. Manche Tracks klingen wie extra auf einen Hollywood-Film zugeschnitten. Einen guten, einen etwas alternativen… aber einen Film eben. Wenn sie dieses scheinbare Kalkül (…vielleicht war das auch einfach ihr Stil..?) wegfiel, dann war sie am Besten: Der Opener „American Beauty“ ist sehr gelungen und dazu spielen auch noch Könner wie Buddy Emmons an der Steel oder Eddie Hinton an der Gitarre mit. Wie gesagt. Gute Verbindungen. Aber vor Allem die puristischeren Country-Heuler hier überzeugen: „Tapedeck“ und „Idaho Home“ hätten auch von Emmylou Harris gut geklungen. Na ja – Blakley nahm die beiden Songs mit in den Episoden-Film Nashville, in dem sie einen an die Country-Ikone Loretta Lynn angelehnten Charakter spielte. Eigentlich sollte sie nur besagte Songs beisteuern, aber Regissseur Robert Altman gab ihr gleich diese Rolle, die sich auch noch zu einem echten Erfolg incl. Oscar-Nominierung entwickelte. Zugleich ging Blakley ’75 noch mit Dylan auf die Rolling Thunder Tour… Bei ihr lief es. Und dann..? Dann nahm sie Schauspielunterricht, machte erst mal keine Musik mehr und konnte an keinen der Erfolge mehr anknüpfen. Welcome ist ein schönes, typisch amerikanisches Singer/Songwriter Album mit starkem Country-Einschlag. Nicht mehr, nicht weniger. Neben den puren Country-Heulern sind auch Tracks wie „Locked Behind My True Love’s Door“ oder der Titeltrack äußerst geschmackvoll. Da gibt es die erwachsene Gediegenheit, die auch Paul Simon inzwischen zeigte. Bei Ronee Blakley aber war nach diesem Album Schluss… und sie hat keine Stimme wie Emmylou… schade.

Janis Ian
Between The Lines

(CBS, 1975)

Janis Eddy Fink aka Janis Ian ist eine Songwriterin (von Vielen), die in Europa ist unter dem Radar geblieben ist. Die viel zu unbekannt blieb, selbst als sie Mitte der 70er in den USA erfolgreich war. Warum ihr ausserhalb der Staaten nicht derselbe Erfolg beschieden war wie Joni Mitchell…? Nun – 1975 hatte sie mit „At Seventeen“ – der Single zum No.1-Erfolgsalbum Between the Lines – immerhin eine No. 3 in den Single-Charts. Die Karriere der 24-jährigen war da schon acht Jahre und sieben Alben alt. Sie war nach ihrem ’67er His „Society’s Child“ als „One Hit Wonder“ verschrien, man sagte ihr nach, homosexuell zu sein (was damals schon probelmatisch war) UND sie galt als kompliziert, weil ihr einstiger Hit die Liebe zwischen einem Schwarzen und einer Weissen beschrieben hatte… Andererseits alles Dinge, die in der 70er Gegenkultur doch eher als unwichtig bis sympathisch hätten betrachtet werden sollen…? Immerhin – Was den Erfolg von Between the Lines im US-Markt angeht… der ist verständlich. Das Album ist sehr bewusst und klug durchkomponiert. Es gibt elaborierte Streicher-Arrangements, es gibt diese US-Theatralik, die in Europa vielleicht nicht so gut ankam, die ich áuch bei Ronee Blakely beobachtet habe. Aber Janis Ian’s Lyrics waren womöglich noch genauer durchdacht, noch klüger. Dazu spielten etliche Musiker aus der New Yorker Studio-Szene mit, eine Fiddle brachte ein bisschen Folk ins Spiel, das alles war sehr gekonnt und erinnert manchmal an die Musik, die man zu dieser Zeit auch von Paul Simon bekam. Beeindruckend ist Janis Ian’s Stimme. Sicher, eigenständig, nie zu technisch, nie unpassend, immer mit Ausdruck, den sie manchmal wohltuend zurückhält. Between the Lines ist ein sehr schön durchhörbares Singer/Songwriter-Album, das vielleicht ein bisschen zu „zeitypisch“ geblieben ist. Aber wenn sie sehr gekonnt die Nylon-String-Gitarre zupfte und der Akustik-Bass dazu pulsierte, dann klingt diese Musik sogar zeitlos. Ein Beispiel dafür wäre wohl das etwas temperamentvollere „Light a Light“. Es ist interessant, wie klug diese gerade 25-jährige zwischenmenschliche Beziehungen und Erfahrungen in ihren Lyrics verarbeitete. Ihr Hit „At Seventeen“ etwa beschreibt in klug gesetzten Worten die Enttäuschung einer jungen Frau, die in der Highschool Aussenseiter war und erkennen muss, dass auch die (in den USA so wichtige) „Prom-Night“ keine Veränderung bringt. Das alles in softem Samba-Rhythmus mit erkennbaren, aber nicht überkochenden Emotionen. Der Song ist schlicht perfekter „Soft Rock“ – den man prinzipiell nicht mögen muss, der aber auf diese Art einfach enorm stilvoll ist. Dass mit „From Me To You“ danach ein Song von großem melodischem Reichtum folgt, ist nur noch eine willkommene Zugabe. So klingt ein archetypisches Singer/Songwriter-Meisterwerk der 70er. Wohlgemerkt – Ein Meisterwerk.