Das Wichtigste aus 1969 – Nixon, Vietnam-Proteste und der erste Mensch auf dem Mond – The Beatles bis Captain Beefheart

Richard Nixon wird Präsident der Vereinigten Staaten und kann sich direkt mit dem Massenprotest der Jugend gegen den Vietnam Krieg auseinandersetzen. 500.000 Menschen protestieren zum Beispiel in Washington. Der Rechtsaussen propagiert in seiner Innenpolitik einen „War on Drugs“, der hauptsächlich die Bürgerrechte Schwarzer Amerikaner untergräbt. Rassismus hat wieder gewonnen.

In Frankreich endet die Ära de Gaulle und in Deuschland wird Willy Brand Bundeskanzler. Zwischen China und Russland kommt es zu einem ernsthaften Grenzkonflikt. Die Welt ist unruhig, die gesellschaftlichen Veränderungen durch eine neue Generation sind überall spürbar. Neil Armstrong landet (angeblich…) mit Apollo 11 als erster Mensch auf dem Mond und Thor Heyerdahl überquert mit dem Papyrus-Boot Ra den Atlantik. Graham Coxon, Ice Cube, Jay Z und Dave Grohl werden geboren, Brian Jones von den Stones, Judy Garland und Jack Kerouac sterben, der Motorrad-Revoluzzer Streifen Easy Rider kommmt ins Kino, Monty Pythons Flying Circus senden ihre erste Staffel absurder Komik im BBC. In Woodstock soll ein zweitägiges Festival mit 50.000 Zuschauern stattfinden. Das ganze artet zu einem Spektakel in Schlamm und Regen mit 500.000 Zuschauern aus. (Man schätzt, dass sogar 1 Millionen Zuschauer gekommen wären, die Verkehrswege ließen dies allerdings nicht zu). Dieses Festival wird zum Synonym für die Hippie-Bewegung, wobei es zugleich ihren Scheidepunkt markiert und es geht als DAS großes Festival ins kollektive Bewusstsein ein. Und dann passiert es: Bei einem Free Concert der Rolling Stones am 6. Dezember in Altamont bringen die von den Rolling Stones als Ordner angeheuerten Hell’s Angels einen Zuschauer um, drei weitere sterben bei der ausbrechenden Panik. Spätestens da endet die Zeit der Unschuld in der Gegenkultur der 60er. Interessanterweise scheinen einige Bands diese düstere Wendung geahnt zu haben – düstere Musik gibt es schon das ganze Jahr ’69 von den Stooges, den Velvet Underground, den MC5… Viele erfolgreiche Bands der letzten Jahre haben sich etabliert und bringen eine weitere Ladung von Klassikern zur Veröffentlichung. Insbesondere der britische Folk-Rock und Psychedelia erleben ihre Blüte, aber all das war nach den Jahren 65-68 irgendwie zu erwarten. Das Niveau jedenfalls bleibt erstmal hoch und viele der unten vorgestellten Alben gehören in den Grundstock einer Plattensammlung. Aber natürlich gibt es auch 1969 erfolgreiche Musik, die ich verachte: Die Musik der Jackson 5 missfällt mir, und den Soundtrack zum Musical Hair mag ich auch nicht – Aber: es gibt in den Top 40 Worldwide wirklich sehr viel gute Musik. Das waren Zeiten – als King Crimson und sogar Captain Beefheart Präsenz im Radio hatten! Im heutigen Wohlfühl/Formatradio völlig undenkbar.

https://music.apple.com/de/playlist/der-gro%C3%9Fe-rockhaus-1969/pl.u-gxblkKGT5zRNABq

The Beatles
Abbey Road

(Apple, 1969)

Cover Design – John Kosh. Foto – Ian
MacMillan, innerhalb von 10 Minuten

Zwar wurde Let It Be später veröffentlicht, Abbey Road aber ist tatsächlich die letzte LP, die von den Beatles (halbwegs) als Einheit/Band aufgenommen wurde. Und es kann neben Sgt. Peppers, Revolver und dem White Album mühelos bestehen, denn es ist zweifellos eine enorm facettenreiche LP. Das mag dem Umstand geschuldet sein, dass die vier Beatles hier wieder teilweise zumindest aufeinander gehört haben – was man aber weit weniger heraushört, als beim White Album – und das, obwohl alle vier Musiker sich in unterschiedliche Richtungen orientierten. Der ansonsten immer im Hintergrund stehende George Harrison ist mit zwei Songs vertreten: „Something“ und „Here Comes The Sun“ gehören zu den besten Tracks auf diesem Album und zugleich zum Besten, was Harrison zeiltlebens aufnehmen würde. Die Songs von Lennon/McCartney sind teils äußerst experimetell und psychedelisch „(I Want You (She’s So Heavy)“ oder „Come Together“) und auf gewisse Weise spiegeln sie die Uneinigkeit und Zerrissenheit der Band wieder. Tatsache ist auch, dass diese Songs – wie in den letzten Jahren üblich – entweder von Lennon oder von McCartney sind und nicht gemeinsam geschrieben worden waren. Die Produktion von George Martin freilich war wieder fantastisch, und die Band wollte – wohl vor Allem auf Betreiben McCartney’s – ein letztes Mal versuchen, friedlich miteinander auszukommen.So gelang es ihnen tatsächlich ihre Uneinigkeit noch einmal in Kreativität umzuwandeln. Die zweite Seite der LP mit ihrer patchworkartigen Songzusammenstellung gilt zu Recht als letzter Höhepunkt in der Karriere der Beatles. Es ist ein Abschied in Würde

Rolling Stones
Let It Bleed

(Decca, 1969)

Cover Design – Robert Brownjohn. Inspiriert vom Arbeitstitel des Albums
Automatic Changer

Zum größten Teil ohne Brian Jones aufgenommen (Er ertrank wenige Monate vor der Veröffentlichung des Albums in einem Swimming-Pool und war bei den Aufnahmen meist unpässlich) dafür auf zwei Stücken mit seinem Nachfolger Mick Taylor, ist Let it Bleed eine der ikonischen und damit automatisch besten Platten der Rolling Stones (Nur knapp übertroffen von Sticky Fingers und Exile on Main St.). Hier klangen sie expliziter, dämonischer und härter als auf dem ein Jahr zuvor veröffentlichten, durchaus auch gelungenen Beggars Banquet. Sie hatten teils sogar die besseren Tracks versammelt, und machten mit nur wenigen halben Aussetzern eine ihrer konzisesten Platten: Da ist zuvorderst „Gimme Shelter“ – ein Gitarrenriff für die Ewigkeit, mit apokalyptischen Lyrics, die zu den Vorfällen beim unseligen Altamont-Konzert in Bezug gesetzt werden müssen. Da ist das von Jaggers Harp angetriebene „Midnight Rambler“, das drogenbenebelte Titelstück und natürlich das ausladende „You Can’t Always Get What You Want“ mit Bläserpassagen und schwellenden Chören. Und da ist auch die fantastische die Version von Robert Johnsons „Love in Vain“, der Song, mit dem sie dem archaischen Blues ihrer frühen Vorbilder wieder sehr nah kamen. Da sind im Hintergrund edle Begleiter wie Ry Cooder und Dave Mason und da ist die Band, die den Verlust eines ihrer kreativen Köpfe trotzig zu überwinden sucht. Let It Bleed ist ein würdiger Abschluß der 60er und ein nur halb eingehaltenes Versprechen für die 70er. Es entstammt der Zeit, in der die Stones trotz – oder vielleicht sogar wegen – aller Tumulte innerhalb der Band und um sie herum alles richtig machten – und wer genau hinhört, bemerkt ganz nebenbei, dass Oasis nicht nur bei den Beatles geklaut haben.

The Velvet Underground
s/t

(MGM, 1969)

Cover Design – Dick Smith: VU hängen in der Factory ab…

Hier also das Album, durch das man The Velvet Underground „nett“ finden sollte. Lou Reed hatte Maureen Tucker und Sterling Morrison vor die Wahl gestellt: Entweder Er oder Cale mußten gehen – und Cale war draußen. Als Ersatz wurde der liebenswerte Doug Yule in die Band geholt – und Reed war endlich Alleinherrscher. Als erstes gab er für das dritte Album seiner Band den Schritt in Richtung einer Form von Popmusik vor, wie er sie sich vorstellte. Reed ließ auf Velvet Underground seinen Vorlieben für Doo-Wop, Gospel und Motown freien Lauf, achtete natürlich auf die literarische Qualität der Texte und benutzte als Vehikel zur Umsetzung all der Nettigkeit diese auch mit dem harmlosen Yule immer noch seltsam ungeeignet erscheinende Band. Es geht die Mär, dass die relative Ruhe in den Songs daher kommt, dass ihnen zuvor ihr Equipment gestohlen worden war. Für die paar Fans der Band jedenfalls mag ein so zurückhaltendes Album damals überraschend gekommen sein, die Kritiker waren durchaus erfreut, aber in Verkaufszahlen drückte sich der Wandel in Richtung „Kommerzialität“ nicht aus. Und die Themen der Songs waren noch immer VU Trademark: Absurdität, Transzendenz und immerhin auch mal Erlösung. So ist Velvet Underground irgendwie tatsächlich die „optimistischste“ LP der Band. Ein Song wie „Candy Says“ ist gewiss lieblicher als „All Tomorrows Parties“ vom Debüt. Und Reed’s Liebe zum scheinbar schlichten Rock ’n’Roll ist Songs wie „Beginning to See the Light“ anzuhören. Aber immer ist da eine gewisses Unwohlsein, eine Dunkelheit, die jedes Licht mindert. Und „The Murder Mystery“ hätte in seiner Kompromisslosigkeit auch auf White Light/White Heat gepasst. Wer es nicht gewusst hätte, musste es spätestens jetzt sehen: Aus Lou Reed würde nie ein sonniger Typ werden und VU waren die dunkle Seite der populären Musik.

MC 5
Kick Out The Jams

(Elektra, 1969)

Cover Design – Elektra Haus-Künstler Robert Heimall (der auch The Stooges designt…)

„Kick out the jams motherfuckers!!!“ – MC 5 haben den Furor ihres Debütalbums irgendwie nie übertreffen können. Aber wie soll das auch gehen? Man kann die Energie eines Blitzes ja auch nicht zweimal in einer Flasche einsperren. Und das ist Kick Out the Jams – Ein Gewittersturm von einem Album, genau zur rechten Zeit am richtigen Ort live eingefangen – wobei – der historische Kontext mag interessant sein, aber die Historie spielt letztlich keine Rolle, Kick Out the Jams ist zwar in einem bestimmten Kontext entstanden, die auf diesem Album dokumentierten Energie-Ausbrüche wären aber jederzeit und überall beeindruckend und führten zu im besten Sinne zeitloser Musik. Kick Out the Jams ist mit Sicherheit eines der rohsten, lautesten Live-Alben seiner Zeit, dagegen klingt das Meiste aus jenen Tagen zahm – ja – auch das hiernach beschriebene erste Album der Stooges hat nicht den Live-Charakter und so viel Proto-Metal Geist. Und es verleiht der Musikszene Detroits – aus der auch die genannten Stooges kamen – ihre Bedeutung. Da sind die beiden Power-Chord Gitarren von Wayne Kramer und Fred „Sonic“ Smith (der Mann, der aus Patti Smith Ende der Siebziger eine Ehe- und Hausfrau machen wird…). Und mit dem Titelsong und mit „Motor City Is Burning“ sind da zwei herrlich simple Songs, die für eine Urschrei-Therapie perfekt sind. Und der Freak-Out am Ende von „Starship“ mag oldschool sein, aber er passt dazu. Dass das böse „Motherfuckers !“ im prüden Amerika der End-Sechziger zensiert wurde und gegen ein zahmes „Brothers and Sisters !“ ausgetauscht wurde, daß The MC 5 dagegen protestierten und daher von Elektra gedroppt wurden – geschenkt. Dieses piece of art hatten sie in die Welt gesetzt und das ließ sich nicht mehr retuschieren und aus der Welt schaffen. Die Jugend hatte gesehen, dass man mit Rockmusik mehr machen kann, als ein bisschen protestieren und dann wegdriften. Diese Musik hier war weit konkreter. Zum Glück.

The Stooges
s/t

(Elektra, 1969)

Cover Design – Elektra Haus-Künstler Robert Heimall (der auch Kick Out the Jams designt)

Das Debüt der Stooges dürfte ’69 schon allein wegen des Cover-Foto’s mit diesen gefährlichen Deppen für jedes noch so realitätsferne Blumenkind klar als Gegenentwurf zu Love & Peace erkennbar gewesen sein – und es war seinerzeit durch die darauf enthaltene Musik und Haltung der Ausführenden ein kommerzielles Desaster. Einer der Talentscouts von Elektra hatte die Band mit dem charismatischen, aber eben auch ziemlich durchgeknallten Iggy Pop im Vorprogramm der MC5 gesehen und ihnen, beeindruckt von ihren Live-Qualitäten, gleich einen Plattenvertrag angeboten. James Osterberg, der sich ab hier Iggy Pop nannte, beschmierte sich auf der Bühne mit Erdnussbutter, Steaks und Blut, wälzte sich auf dem Boden oder sprang ins Publikum und überhöhte damit das Verhalten seines Idols Jim Morrison von den Doors ins Absurde. (Tatsächlich soll er nach Morrison’s Tod als dessen Ersatz im Gespräch gewesen sein… aber das ist eine andere Geschichte). Dazu spielte die Band einen primitiven Garagenrock mit energetischen, simplen Gitarrenchords auf einem extrem reduzierten Rhythmusfundament, aus dem alle Bestandteile von Blues und Beat entfernt worden waren. Ganz passend wurde mit John Cale ein Mann als Produzent engagiert, der mit Velvet Underground einen vergleichbaren Nihilismus und auch eine gewisse rohe Primitivität in die Rockmusik zurückgebracht hatte. Das einzige Problem war: Die Stooges hatten zu diesem Zeitpunkt gerade mal fünf Songs in Petto und mußten vor den Aufnahmen schnell noch drei weitere schreiben. Die erzwungene Spontaneität und die damit gepaarte Primitivität bildete dann wohl den Zündlumpen für diesen musikalischen Molotow-Cocktail. Schnell geschossenen Brachial-Songs wie „No Fun“ oder „I Wanna Be Your Dog“ wurden Jahre später zur Blaupause für Punk.

Creedence Clearwater Revival
Bayou Country

(Liberty, 1969)

Cover Foto – Basul Parik. Fotograf für Bill Graham und auch für Fantasy Records

Wenn man sich den Output mancher Bands in den End-Sechzigern anschaut – und die musikalische Qualität die dabei produziert wurde – fragt man sich unweigerlich, was heute im Kreativ-Bereich falsch läuft. Fairport Convention schufen in England nicht nur drei hervorragende Alben in einem Jahr, sie definierten dabei sogar ein ganzes Genre. Und Creedence Clearwater Revival taten dasselbe in den USA. Zwar hatten sie zumindest zu Anfang nicht die Credibility der britischen Folk-Rock Pioniere, aber ihr Ruf wandelte sich innerhalb dieses einen Jahres vom simplen Hit-Lieferanten zur ernst zu nehmenden Rock-Band. Zu Recht: Bayou Country zeigt, wie sie sich vom San Francisco Underground abwenden und ihrer eigenen Vision von Rock’n’Roll folgen. John Fogerty schrieb hier – mit einer Ausnahme – alle Songs selber, der Sound der Band war sparsam und roh, Gitarre, Bass, Drums ohne jeden Firlefanz und der Albumtitel zeigt, wo die vier Kalifornier ihre Inspiration suchten. Sie spielten Swamp-Rock, klangen als kämen sie aus den Sümpfen Louisianas und die beiden herausragenden Stücke der LP – „Born on the Bayou“ und „Proud Mary“ – spielten auch textlich genau dort. Dies ist Southern Rock und Roots Rock in Reinform, lange bevor es diese Schubladen gab.

Creedence Clearwater Revival
Green River

(Fantasy, 1969)

Cover Foto – Basul Parik. siehe oben…

Auf dem Nachfolger Green River gingen sie mit ihrer Reduktion noch mal ein Stück weiter. Joni Mitchell mag ja die Menschen in Woodstock aufgefordert haben „back to the garden“ zu gehen, John Fogerty war da Mitte ’69 schon weiter: Auf dem Titeltrack heißt es: „I can hear the bullfrog callin‘ me, home / Wonder if my rope’s still hangin‘ to the tree“ und bei „Commotion“ sang er „Backed up on the freeway, backed up in the church / Everywhere you look there’s a frown, frown….“ und propagierte damit das einfache Leben. Was sich auch in der Musik widerspiegelt. Auf gerade mal 28 Minuten wurden diese Songs in den Sun Studios in Memphis in Stein gemeißelt. Ausnahmsweise überschreitet hier kein Song die 6-Minuten Marke, dafür ist die Dichte an kurzen und prägnanten Song-Klassikern auf Green River äußerst hoch: Die gespenstischen „Bad Moon Rising“, „Tombstone Shadow“, die Southern Ballade „Wrote A Song For Everyone“ und das traurige „Lodi“ – sie alle sind ökonomisch und unwiderstehlich. Wie ich gelesen habe… Thanks to Doug Clifford, Stu Cook and the Fogerty brothers, unflinchingly badass.

Creedence Clearwater Revival
Willie and the Poor Boys

(Fantasy, 1969)

Cover – wieder Basul Parik

Und kaum drei Monate später erschien dann mit Willy and the Poor Boys das dritte Album von Creedence Clearwater in einem Jahr. Hier erweiterten sie nun ihr Spektrum ein wenig, behielten dabei aber den ökonomischen Sound bei. Es gibt mit dem traditional Country-Blues „The Midnight Special“ und mit Leadbelly’s „Cotton Fields“ zwei Klassiker des Blues, die sie sich gekonnt zu eigen machten. Und John Fogerty’s Songs bekamen nun auch mal lichtere Momente, „Fortunate Son“ ist zwar ein Working-Class Protest Song, gegen den der angesagte Vietnam-Protest albern klang, aber die Band spielte mit einer Wucht und Wildheit, die keine Depression aufkommen ließ. Mit ihrer ökonomischen Spielweise waren sie wohl durchaus bewusst ein Gegenentwurf zu ihren Kollegen aus San Francisco – Bands wie Grateful Dead oder Jefferson Airplane – die ihre Zuhörer mit extended Jams auf einen vollkommen anderen Trip mitnahmen. Wobei: auch hier gibt es mit „Effigy“ einen Track der über sechs Minuten geht Willy and the Poor Boys hatte weniger Hit-Singles, ist aber das konziseste Album der Band. Und es ging im folgenden Jahr sogar noch weiter…

The Band
s/t

(Capitol, 1969))

Cover Foto – Elliott Landy – Einer, der etliche Rock-Ikonen fotografierte (u.a. Dylan)

Dass eine LP mit solcher Musik von vier Kanadiern und einem Jungen aus Arkansas gemacht werden konnte, ist eigentlich absurd – ist das Thema doch vom Cover bis zur Songkollektion originär amerikanisch. Verhandelt wird ein mythisches Amerika -eines, nach dem sich die meisten Amerikaner nur noch sehnen konnten, das in einer glorreichen Vergangenheit verschwunden zu sein schien, und höchstens noch in Filmen oder Büchern lebte – und somit natürlich der Realität enthoben war. Der Vietnam-Krieg und die gespaltene Haltung der Nation dazu sowie die damit einhergehenden gesellschaftlichen Veränderungen machten eine eskapistische LP wie The Band vielleich einfach notwendig. Denn man muß auch bedenken – die moralische Instanz Bob Dylan war zu dieser Zeit verstummt! So kam seine Begleitband gerade rechtzeitig mit einer gewissen Glorifizierung und Romatisierung der Vergangenheit ihrer Heimat – auch wenn diese vordergründig eher unpolitisch war, denn dieses Album ist altmodisch, ja altertümlich – und zwar von der Thematik über die Melodien bis teilweise sogar zur Instrumentierung. Und natürlich tat das Cover mit den Abbildern dieser fünf bärtigen jungen Pilger ein Übriges. Mit dem vorjährigen Debüt und nun dieser Zemetierung ihrer Idee von neuer „alter“ amerikanischer Musik erschuf The Band zu dieser Zeit tatsächlich etwas Aufregendes. Nun waren die Songs noch besser, das Zusammenspiel noch ausgefeilter und Tracks wie „Rag Mama Rag“, „Up on Cripple Creek“ oder das hymnische „The Night They Drove Old Dixie Down“ wurden zu zeitlosen Klassikern, die klangen als wären sie hundert Jahre alt und zugleich für genau diese Zeit geschrieben worden. Womit die Musik von The Band zur Vorlage für das Americana- Genre wurde.

Townes Van Zandt
Our Mother The Mountain

(Tomato, 1969)

Cover Foto – Milton Glaser, Gründer der
Push Pin Studios, die etlche Cover designt haben

Der texanische Singer/Songwriter Townes Van Zandt hatte im Vorjahr sein Debüt For The Sake Of The Song veröffentlicht und sich mit diesem Album vor Allem unter anderen Musikern Respekt verschafft. Der kommerzielle Erfolg jedoch blieb bescheiden. Dabei war Van Zandt (Nachkomme einer der frühen holländischen Siedler-Familien übrigens…) ein hervorragender, am Stil Lightnin‘ Hopkins‘ geschulter Gitarrist mit einer angenehmen, wenn auch etwas brüchigen Stimme. Das Pfund aber, mit dem Van Zandt wuchern konnte, waren seine Songs und deren Lyrics: Nicht umsonst gilt er Manchen bis heute als der Shakespeare der Textdichtung – was heißen soll: Er war in der Lage, in kurzen Zeilen eine komplette und komplexe Geschichte entstehen zu lassen. So dürfte er eigentlich zeitlebens von den Tantiemen seiner Songs ein befriedigendes Einkommen gehabt haben. Sein zweites Album Our Mother the Mountain ist nur eines von einer ganzen Abfolge hervorragender Alben des Texaners – bis er in den Siebzigern über seinen exzessiven Lebenswandel stolperte und seine Kreativität im Alkohol ertrank. Das zweite Album produzierte wieder Jack Clement, der den Songs ein barockes Gewand verlieh, das sie nicht unbedingt benötig hätten. Umso beeindruckender ist es, wie wenig die Arrangements dem Songmaterial bis heute geschadet haben. „Kathleen“ beispielsweise ist in jeder Form als großartiges Stück zu erkennen, „Tecumseh Valley“ kannte man schon vom Debüt, war hier immerhin etwas sparsamer arrangiert und ist in beiden Fällen zeitlos schön. Insbesondere die zweite Hälfte des Albums profitiert dann von einfacheren Arrangements. Und Van Zandt lernte daraus:

Townes Van Zandt
s/t

(Tomato, 1969)

Cover Foto – auch hier, Milton Glaser…

Auf dem im selben Jahr veröffentlichten Nachfolger Townes Van Zandt verzichtete er auf die Dienste von Clement und nahm seine Songs selber vergleichsweise karg auf. Da ihm die Aufnahmen einiger Songs der vorherigen Alben nicht mehr gefielen, nahm er die wichtigsten Tracks erneut auf: „Waiting Around To Die“, „I’ll Be Here In The Morning“ und der Titelsong des Debüts sind in der hier gebotenen Askese intensiver noch als auf dem Debüt For The Sake Of The Song – wenn das überhaupt möglich ist. Die Melancholie und Düsternis seiner Geschichten kommt bis heute in sparsamer Instrumentierung besser zur Geltung, und neben den „alten“ Tunes gab es selbstverständlich wieder wunderbares neues Material. Die Minenarbeiter-Ballade „Lungs“ ist sowohl melodisch als auch textlich perfekt, genau wie „None But the Rain“, ein Song über eine fehlgeschlagene Beziehung – oder die hoffnungslose Ballade von „St. John the Gambler“ vom vorherigen Album… Nicht umsonst werden Van Zandt’s Texte in ihrer Prägnanz und poetischen Eleganz mit den Großen der Musik – mit Dylan und dem Vorbild Hank Williams – auf eine Stufe gestellt. Und die Musik auf seinen Alben – meist eher Folk als Country (obwohl er später meist von den Größen des Country gecovert wurde) hat weit mehr Beachtung verdient, als sie bekam. Die beiden ’69er Alben gehören zu Townes Van Zandts Besten – aber man kann mindestens bis zum 1978er Album Flyin‘ Shoes bei den musikalischen Hinterlassenschaften dieses Mannes nichts falsch machen.

Dusty Springfield
Dusty In Memphis

(Atlantic, 1969)

Cover – Atlantic Haus-Designer Haig Adishian

Mary O’Brien’s (..so Dusty Springfields Geburtsname) Karriere schien 1968 ihren Höhepunkt überschritten zu haben. Ihr Image und der aufkommende Summer of Love passten nicht zusammen, sie galt als „Girl Singer“ – zwar mit beachtlicher Stimme, aber mit einem Sound, der unmodern war. ’68 jedoch unterschrieb sie beim Soul Spezialisten Atlantic, ging nach Memphis in die USA und nahm dort ein Meisterwerk auf. Das Soul-erfahrene Produktionsteam aus Jerry Wexler, Arif Mardin und Tom Dowd traf eine erlesene Songauswahl mit Songs von Koryphäen wie Mann/Weill, Goffin/King oder Randy Newman und Dusty Springfield sang das Alles auf dem selben Niveau ein, wie ihr großes Vorbild Aretha Franklin. Die Einzige die zweifelte, war Dusty selber: Sie hatte Angst vor dem Vergleich mit den Größen des Soul, die ja auch hier in Memphis aufgenommen hatten. Zu den Sessions erschien die unsichere Künstlerin grundsätzlich in vollem Ornat und sang die Stücke bei tosender Lautstärke ein – einige der letzgültigen Vocal-Tracks nahm sie dann noch im Anschluss nach ein paar Nervenzusammenbrüchen in New York auf. Die Sorge freilich war unbegründet… Dusty in Memphis ist fraglos eines der besten Soul Alben aller Zeiten und muß keinen Vergleich mit Alben etwa von Aretha Franklin oder Ann Peebles scheuen, Songs wie „Son of a Preacher Man“ oder „Just a Little Lovin‘ wurden zu Recht Hits, obwohl das Album selber zunächst verkaufstechnisch hinter den Erwartungen blieb. Auf lange Sicht sollte es zu ihrem erfolgreichsten Album werden. Und wie es sich bei einem wirklich großen Album gehört: Selbst etwas schwächere Songs lassen zusammen mit den Hits einen Flow entstehen, der das Album zu mehr macht, als der Summe seiner Teile. Was gerade im Soul nicht häufig vorkommt.

King Crimson
In The Court Of The Crimson King

(Polydor, 1969)

Cover-Zeichnung – Barry Godber. Sein einziges Cover!!

In the Court of the Crimson King dürfte 1969 so Manchem regelrecht das Gehirn herausgeblasen haben. Natürlich gab es gerade am Ende der Sechziger Jahre etliche Bands, die die Grenzen des Rock and Roll weit hinaus schoben, aber King Crimson beschritten einen eigenen und – auch zu dieser Zeit – extremen Weg. Nachdem ihr Vordenker Robert Fripp eine erfolglose – und extrem britische – Platte unter dem Namen Giles, Giles & Fripp veröffentlicht hatte, gründete er King Crimson, die schon vor den Aufnahmen zum Debüt diverse Besetzungswechsel durchmachten. Als Fripp schließlich seinen Schulfreund, den Bassisten und Sänger Greg Lake zum Drummer Michael Giles und Ian McDonald (Mellotron) holte, fielen die Mosaiksteinchen für den entscheidenden, kurzen Moment perfekt zusammen. Auf In the Court of the Crimson King verbanden die vier Musiker alles von Folk über Jazz, Klassik und insbesondere Heavy Psychedelic Rock zu einem losen Konzept, zu einer Chronik von Wahnsinn, düsterer Mythologie und Schicksal. McDonalds krafvolles Mellotron beherrscht die Atmosphäre, Fripp’s Gitarre spielt eine Mischung aus Hendrix und Klassik und über Allem throhnt Greg Lake’s Stimme. Dieses Album hat – wie The Velvet Underground and Nico etliche Nachahmer, aber seine majestätische Kraft und Größe erreichte niemand mehr. Sogar King Crimson selber brauchten Jahre und diverse Besetzungswechsel bis sie mit Red ein ähnlich überzeugendes und mächtiges Album aufnahmen. Und in der Folge würde sich herausstellen, dass „Progressive Rock“ nur noch selten so imposant und überraschend sein konnte, wie in seiner Geburtsstunde. Insbesondere der „21st Century Schizoid Man“ ist in seiner Wucht, gepaart mit Komplexität und Psychose ein Höhepunkt, der kaum noch übertroffen wurde. Es ist eines der Stücke, an denen sich noch Generationen von Musikern abarbeiten sollten.

The Can
Monster Movie

(United Artists, 1969)

Cover – Wandrey’s Studio aus Hamburg – die etliche Cover u.a. für Passport machen werden

Und nun – Avantgarde aus Deutschland und der Beginn des sog. „Krautrock“. Der Bassist Holger Czukay und der Keyboarder Irmin Schmidt hatten Mitte der Sechziger musikalische Freiheit unter Karlheinz Stockhausen erlernt, Gitarrist Michael Karoli und Sänger Malcolm Mooney waren befreundet mit den beiden Musik-Studenten, Drummer Jaki Liebzeit kam vom sich inzwischen von den Vorbildern aus den USA befreienden Free Jazz – und diese fünf Musiker traten im sich langsam vom Staub der Nachkriegsjahre befreienden Deutschland dazu an, eine von den anglo-amerikanischen Vorbildern emanzipierte, europäische Form der Rockmusik zu entwickeln. Gemeinsam nahmen sie zunächst ’68 in Nörvenich bei Köln ein Album auf, das den Plattenfirmen aber nicht gefiel (…und 1981 als Delay 1968 veröffentlicht wurde). Aber sie gaben nicht auf, probten, experimentierten und starteten einen neuen Anlauf. Das erstaunliche ist: Mit Monster Movie wurde das im Vergleich „gewagtere“ Album veröffentlicht. Der äußerst eigenständige Mix aus Psych Rock, Free-Jazz, World Music und kollektiven Improvisationen jedenfalls war bis dahin unerhört. Die drei Stücke auf der ersten Seite der LP mögen für den an amerikanische Psychedelik gewöhnten Hörer vielleicht noch konventionell geklungen haben, aber der Musik ist ein federnder, monotoner Rhythmus unterlegt, der Schwindelgefühle auslöst, und Malcolm Mooney’s Kindergesang bei „Mary Mary Quite Contrary“ klingt seltsam lautmalerisch und hat mit den Vocals zeitgenössischer britischer oder amerikanischer Sänger nichts mehr zu tun. Und die zweite Seite mit der über 20-minütigen Improvisation „Yoo Doo Right“ steht dann komplett ausserhalb der Grenzen der Anglo-amerikanischen Rockmusik. Es ist ein Stück reine Improvistion – auf hohem technischen Niveau äußerst diszipliniert ausgeführt – und dabei dennoch nahe am atavistischen Schamanen-Gesang. Die einzige US-Band, die dieser Idee von Musik seinerzeit nah kamen, waren die experimentellen Köche von The Red Krayola. Das Album Monster Movie ist die Initialzündung des Kraut-Rock und The Can sollten noch Generationen späterer Bands wie Pere Ubu, Sonic Youth und Tortoise inspirieren. Hiermit haben wir den Beginn der populär-musikalischen Emanzipation Deutschlands.

Captain Beefheart & the Magic Band
Trout Mask Replica

(Straight, 1969)

Cover – Cal Schenkel – Zappa’s Cover-Designer, mit Einfluss auf etliche Punk-Cover

Die übliche Einschätzung zu diesem Album zuerst: „Es ist kein einfaches Album, und es gibt wohl kaum jemanden, der es von Anfang bis Ende in einem Zug durchgehört hat.“….damit wäre das gesagt: Und Ja – man findet bis heute kaum Musik, die so fremdartig ist, wie die auf Captain Beefheart’s Trout Mask Replica.. Frank Zappa als Produzent ließ seinen Freund und Konkurrenten Don Van Vliet nach diversen Auseinandersetzungen mit anderen Labels und nach dessen Drohung, die Musik ganz an den Nagel zu hängen, eine Platte ohne Kompromisse oder Vorgaben aufnehmen. Und der nutzte seine Freiheit weidlich aus. Das musikalische Personal dafür war exzellent – mußte es auch sein, denn die Magic Band mußte auf Betreiben ihres Kopfes alle Strukturen, die man sonst in der Rockmusik kannte, außer acht lassen. All die Songs,- das seltsam rythmische „Ella Guru“ mit seinem plötzlichen Kinderliedrefrain, das wie ein urtümlicher Blues beginnende „China Pig“, die mittelalterliche Apellation „Well“, der finstere „Dachau Blues“ oder der unirdischen Swing von „Ant Man Bee“ – sind verbunden durch Beefhearts Stimme und den unglaublich klaren, gläsernen Klang einer Band, die sich unter Van Vliets Führung von allen Konventionen verabschiedet hatte und ein faszinierendes Experiment wagte. Für die eigentlichen Aufnahmen brauchten die Musiker wenige Stunden, denn Van Vliet hatte zuvor in einer fast ein Jahr dauernden Klausur in einer kleinen Villa in LA alle Stücke mit ihnen eingeübt. Dabei hatte er, da er keine Notenschrift beherrschte, den versammelten Musikern ihre Parts vorgesungen und dann so lange proben lassen, bis die Ausführung seinen Vorstellungen entsprach, Der Effekt ist, dass hier Vieles klingt, als wäre es im Moment entstanden – was sogar insofern stimmt, als Beefheart die Stücke selber in kürzester Zeit schrieb. Aber jeder Ton auf diesem Album ist festgelegt und geplant. Ein Umstand, den man kaum glauben mag, wenn man Trout Mask Replica erstmals hört. Das Album hatte gewaltigen Einfluß auf kommende Generationen von (Avantgarde-) Musikern, aber letztlich wagte bzw. schaffte es niemand mehr, so zu klingen. Ja, selbst Captain Beefheart würde nie mehr so kompromisslose Musik machen

Etwas zu dieser Auswahl…

In der Tat ist das Jahr 1969 eines, in dem es wirklich bedeutende Alben vom Himmel regnet. Ich belasse es aus Gründen der leichteren Konsumierbarkeit in diesem – wie in jedem anderen Jahr seit ’65- bei zwölf Künstlern mit ihren jeweiligen Alben (12 Monate/12 Künster, got it?) – und habe somit in einem solchen Jahr das Problem, dass einige mindestens genauso bedeutende Alben hier nicht vertreten sind. Ich werde sie allerdings – wie in meinem Konzept vorgesehen – an anderer Stelle beschreiben/loben. Hier will ich aber dennoch kurz die Alben benennen, die ’69 zu einem musikalisch enorm reichen Jahr machten und die ich auch in diesem „Haupt-Artikel unterbringen könnte:

Fairport Convention – What We Did on Our Holidays und Unhalfbricking und Liege and Life – DIE Folk-Rock Trilogie

Scott Walker – Scott 3 und 4… das war schwer, die wegzulassen

Led Zeppelin I und II – Die Erfindung des Hard Rock..?

The Who – Tommy – DIE Rock Oper, jeder andere würde ihr mehr Bedeutung zumessen, oder?

Grateful Dead – Live/Dead und Aoxomoxoa – oder

Quicksilver Messenger Service – Happy Trails – um nur zwei wichtige US-Psychedelic Bands mit ihren Alben zu erwähnen

Frank Zappa – Hot Rats – und das war nicht Alles, die Mothers of Invention waren mit Uncle Meat dabei…

Elvis Presley – From Elvis in Memphis – sein letzer Triumph

Flying Burrito Brothers – The Gilded Palace of Sins – Die Erfindung des Country-Rock

Isaac Hayes – Hot Buttered Soul – um nur ein Soul Album zu erwählen…

Miles Davis – Filles de Kilimanjaro und In a Silent Way – aber dessen visionärer Jazz ist ja praktisch in jedem Jahr dabei…

… und das war nur die Spitze eines Eisberges, die ich dann eben anderswo beschreiben will. Jeder andere würde gewiss ergänzen, neu wählen, sich über mangelnden Geschmack beschweren – aber ich bin nicht jeder andere. Also seid zufrieden.

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