1969 – Grateful Dead bis Santana – Psychedelische Herbstblumen aus der Bay Area

…dieses Kapitel mag der Leser im Anschluss an die ’67er und ’68er Kapitel über den Psychedelic Rock an der Westküste der USA lesen. In „1967 – Monterey und der „Summer of Love“ – Psychedelische Plakatkunst“ und „1968 – Die Ernte des Summer of Love und seine Konzert-Venues“ sind die entscheidenden Ereignisse und einige Alben des Psychedelic Rock der Bay Area beschrieben.

1967 war Summer of Love, Alles war schön, es gab Freie Liebe und das Monterey Pop Festival… aber schon im Herbst leerte sich San Francisco’s Studenten-Viertel Haight Ashbury wieder – und die Szene wurde zu Grabe getragen… Danach erst kamen die Alben, die den Psychedelic Rock/Acid Rock für die Zukunft definieren würden. Es ist durchaus üblich, dass entscheidende Vinyl-Objekte erst NACH der jeweiligen Hipness-Explosion zutage treten. So erscheinen in den Jahren ’67 bis ’69 viele große Westcoast-Hippie-Style-LP’s in stilecht bunten, fantasievollen Covern – die übrigens oft von den im ’67er Kapitel vorgestellten Plakatkünstlern gestaltet wurden… Aber was die Alben angeht – von denen bekommt man 1969 einige der ganz großen, stilprägenden Meisterwerke für seine Plattensammlung geliefert. Die Live Alben von Grateful Dead, Jefferson Airplane und Quicksilver Messenger Service sind unersetzlich… zumindest für diejenigen, die Psychedelische Musik kennen(lernen) wollen, denn sie sind perfekt in ihrer Ausführung und fangen den Spirit dieser Zeit ein. Bedenke!! Der Traum von Peace & Love war inzwischen zerstoben, aber bei diesen Alben bemerkt man das nicht unbedingt! ’69 gab es keinen Summer of Love – der Vietnam Krieg etwa eskalierte – aber es war zugleich das Jahr des Woodstock-Festivals. Und The Grateful Dead, Jefferson Airplane, Santana waren dabei, als nahe New York der Hippie-Traum noch einmal aufflackerte. Und auch ihre Kollegen haben den last push für ihre Ideale durch Woodstock sicher gespürt. Ein anderer wichtiger Faktor in der Entwicklung der Musik an der Westcoast war die durchaus eskapistische Wendung vieler Musiker in Richtung Country. Die Byrds und The Band waren vorangegangen, nun tauschten auch manche Kollegen Hippie-Klamotten gegen Cowboyhüte. Hier folgt somit der Rückblick auf einige der wichtigsten Psychedelic Rock Alben der 60er am Ende des „Trends“ – wobei ich mich in diesem Kapitel auf Acts beschränke, die in den Straßen, Clubs und Venues von San Francisco ihr Unwesen trieben. Dese Bands haben ’69 schon eine längere Entwicklung hinter sich, haben sich weiterentwickelt, sowohl technisch und als Live-Acts, als auch kompositorisch und im Studio. Der Psychedelische Rock von der Westküste der USA ist inzwischen ein weltweit beachtetes Phänomen und schlägt sich in vielen Ecken der USA und Europa nieder (siehe UK – UFO-Club…). Hier geht es um Musik, die seinerzeit große Bedeutung hatte, die auch Dekaden später noch zitiert wurde – und wird. Hier also einige Klassiker der populären Musik…

https://music.apple.com/de/playlist/der-gro%C3%9Fe-rockhaus-1969-psychedelic-bay-area/pl.u-jV8994ksdNerA95

Creedence Clearwater RevivalBayou Country
(Liberty, 1969)

Creedence Clearwater RevivalGreen River
(Liberty, 1969)

Creedence Clearwater RevivalWillie and the Poor Boys
(Liberty, 1969)

Diese drei (!!) Alben von CCR erscheinen alle 1969 – und sie wurden von den Hippies in der Bay Area genauso gehört, wie von tausenden von jungen „Normalo’s“ – wenn auch möglicherweise heimlich. Denn CCR hatten den Ruf etwas „banal“ zu sein. Nicht genug Drogennebel. Trotz der Tatsache, dass sie auf jedem Album auch den typischen 7+ Minüter hatten. Es sind Meistewerke, die ich im Hauptartikel beschreibe. Die sind aber nicht so psychedelisch wie…

The Mothers Of Invention – Uncle Meat
(Reprise, 1969)

… aber Frank Zappa hätte es gehasst, in einer Reihe mit „psychedelischen“ Bands zu stehen. Und hat sich seine Musik nicht über Psychedelia hinaus entwickelt? Ich jedenfalls will ihn anderswo beschreiben…

Alexander Spence – Oar
(CBS, 1969)

…so wie Oar, das ich im Kapitel über Singer/Songwriter ’69 beschreibe. Dabei ist der Ex-Moby Grape Songwriter auf seinem einzigen Solo-Album aber mal sowas von abgedreht..! Ganz unten werde ich nochmal darauf eingehen – 1969 gibt es noch weit mehr Psychedelische Meisterwerke als die nun folgenden…

Grateful Dead
Aoxomoxoa

(Warner Bros., 1969)

An den Anfang stelle ich die beiden ’69er Alben einer der Bands, die durchaus auch im Hauptartikel der wichtigsten Alben 1969 vertreten sein könnten… denn im Juli 1969 erschien das erste wirklich durchdachte Studio-Album der San Francisco Psychedelic Rock-Könige The Grateful Dead. Aoxomoxoa wurde somit einige Wochen vor dem Auftritt der Band in Woodstock veröffentlicht. Davor hatten The Dead sich allerdings acht Monate (!) Zeit gelassen, ihr drittes Album aufzunehmen. Es gab einige Neuerungen: Erstmals nahmen sie auf üppigen 16 Spuren auf, erstmals nahmen sie in ihrer Heimatstadt mit ihren eigenen Tontechnikern auf, erstmals arbeitete Bandkopf Jerry Garcia mit Robert Hunter als Komponist zusammen und erstmals wurden Akustik-Songs aufgenommen. Das Album war ein 180.000 $ teures Abenteuer – und Garcia und Phil Lesh waren zuletzt so unzufrieden mit dem Zuviel an Experiment, dass sie Aoxomoxoa 1971 neu abmischten. So bekommt man das Original nur zu hören, wenn man eines der alten Exemplare findet. Letztlich ist die ’71er Version vielleicht die bessere – aber darüber mag sich mit den Deadheads streiten, wer will. Aoxomoxoa ist ein experimentelles Album, ist Grateful Dead in Studio-Form, also NICHT live!! Und das ist mitunter auch erfreulich. Die Songs sind etwas kürzer, es gibt mit „St. Stephen“ und „China Cat Sunflower“ nur zwei Tracks, die ins Live-Repertoire übernommen wurden, dafür bekommt man aber schöne psychedelische Balladen wie „Rosemary“ und „Mountains of the Moon“. Songs, die in ihrer leichten Wirrheit vermutlich genau den spirit der Band wiedergeben, der im Studio unter dem Einfluss diverser Rauschmittel herrschte. Damit will ich sagen, dass diese Musiker zwar womöglich auf diesem oder jenem Trip waren, aber sie hatten ihre Sinne genug beisammen, um einige sehr schöne Songs zu schreiben. Hunter und Garcia sollen beim Schreiben von „China Cat Sunflower“ auf LSD gewesen sein, die Gefahren des – damals durchaus üblichen – Konsumes dürfte inzwischen jeder kennen. Aber hier ging alles gut und der Song ist zwar spinnert und von Alice in Wonderland beeinflusst, aber er ist eine dieser Grateful-Dead-typischen blumenübersäten Spielwiesen für Garcia’s spinnenhafte Gitarrensoli. Und zugleich ist es wieder mal ein Song, der trotz aller Drehungen weiter im Kopf herumspukt. „What’s Become of the Baby“ mag ein drogenbenebeltes Experiment sein, das nicht dringend nötig gewesen wäre – aber das gehört so!! Das IST Psychedelic Rock. Und Aoxomoxoa ist eines der Studio-Referenzwerke dieser Musik

Grateful Dead
Life/Dead

(Warner Bros., 1969)

…und dann kam im November ’69 Live/Dead. Und für die Deadhaeds wurde Alles gut. Die Dead waren live ein Erlebnis, sie hatten ihre Konzerte eigentlich immer auf ihren Alben mitgedacht, ihre ersten beiden Studio-Alben bestanden aus zusammengeschnittenen Live-Outtakes plus Studio-Material, diese Band WAR Improvisation. Und zwar (wie gesagt) Improvisation under the influence… Für Live/Dead nutzen sie ihr inzwischen hunderfach erprobtes Live-Repertoire und nahmen mit den eigenen Ton-Leuten ebenfalls auf 16 Spuren auf. Diese Band war wirklich eingespiel – der Opener des Albums, das 23-minütige „Dark Star“ gilt als eines der besten, schönsten Beispiele für improvisierte psychedelische Musik. Es ist einerseits ein schöner Song, mit toll geschriebenen Lyrics von Robert Hunter – es ist aber auch eine Improvisationsorgie genau auf der Kante zwischen abgehobener Selbstvergessenheit und tiefster Konzentration. Das Zusammenspiel ist telepathisch, der rumpelnde Bass und die beiden Schlagzeuger erzeugen ein regelrechtes Powerhouse, nehmen sich aber immer im genau richtigen Moment zurück. Und natürlich sind Jerry Garcia’s Soli und Bob Weir’s Rhythmus-Gitarre ein Fest für Saiten-Fexe. Dazu noch der freundlich-bekiffte Gesang der Beiden… Keiner klang wie The Grateful Dead. Sie hatten einen Sound entwickelt, der unnachahmlich war, der Platz für Weiterentwicklung bot, zugleich zeitlos und typisch für diese Phase und diesen Ort in der Entwicklung der populären Musik ist. „Dark Star“ überstrahlt (ha!) den Rest des Albums zumindest in seiner Rezeption. Aber wenn man das Album komplett hört (das sollte man…), dann erfreut man sich natürlich am von Aoxomoxoa bekannten „St. Stephen“, das hier schön in „The Eleven“ übergeht. Man hört, wie gekonnt The Dead „Death Don’t Have No Mercy“ von Rev. Gary Davis in ihr Universum holen. Diese Generation kannte ihre Wurzeln, hatte die noch selber voller Ehrfurcht ausgegraben – und daraus eigene Pflanzen gezogen. Da kann man genau erkennen, dass die nicht nur bekifft waren – die waren vor Allem inspiriert, die spielten ihre Musik voller Lust und Wucht. Der Moment des „Aufbruchs in eine neue Zeit“ mochte vergangen sein. Aber solche Bands wussten genau, dass ihre Musik NEU war!!! Und sie inspiriert bis heute Musiker aus allen möglichen Szenen. Live/Dead zählt zu den besten Live Alben aller Zeiten. Und Grateful Dead veröffentlichen nach der Milleniums-Wende Hunderte davon!!

Jefferson Airplane
Bless Its Pointed Little Head

(RCA, 1969)

Jefferson Airplane sind in dieser Zeit in der Musikszene San Francisco’s eine ebenso unverzichtbare und etablierte Kraft wie The Grateful Dead oder Qicksilver Messenger Service. Und auch sie taten, was ’69 hip war: Mit Bless Its Pointed Little Head veröffentlichten sie ein – bei zwei Dates im New Yorker Fillmore East und in San Francisco’s Fillmore West aufgenommenes – Live-Album. Klar – diese Bands hatten ein Momentum. Die waren inspiriert, waren eingespielt, hatten Lust und Kraft und inzwischen wohl auch die Technik, um ganz große Live-Alben aufzunehmen. Es ist beeindruckend, wie man in Bless… einsteigt – die Ankündigung der Band, Filmausschnitte, das Donnern einer Rückkopplung und dann legt die Band ohne Umschweife los mit Marty Balin’s „3 / 5 Of a Mile in 10 Seconds“. Und alles passt zusammen… auf die immer leicht derangierte Art, die Jefferson Airplane zu eigen war. Dann folgt direkt der ’67er Hit „Somebody to Love“, bei dem Grace Slick sofort auf dem Punkt ist, bei dem ihre kraftvolle Stimme diese Hymne aller refusenicks weit trägt. Es sind die Stimmen und das massive Rhythmusgespann von Jack Casady und Spencer Dryden, die die Songs tragen Und Jefferson Airplane waren mehr als Grateful Dead oder QMS eine Band, deren Songwriting der entscheidende Punkt war. Ganz einfach: Nenn‘ mir „Hits“ von den Kollegen..? Und dazu kommt, dass sie auf Bless… Fred Neil und Donovan covern, also nicht die Studio-Alben nachspielen (…das war in diesen Kreisen und in dieser Zeit sowieso nicht üblich…) Ich will nicht vergessen, auf ihren Gitarren-Virtuosen Jorma Kaukonen hinzuweisen. Der war nie ganz so selbstvergessen, wie seine Kollegen, wusste aber natürlich auch, dass die Zuschauer dringend wegdriften mussten. Schön ist seine psychedelisierte Version des Blues-Klassikers „Rock Me Baby“. Dieses Album ist die Vollbedienung. Und es zeigt, dass Jefferson Airplane mit ihrem eigenen Profil zu Recht neben Grateful Dead im Gedächtnis geblieben sind.

Jefferson Airplane
Volunteers

(RCA, 1969)

Und so folgte auch bei Airplane nach dem dem Live-Album und dem erfolgreichen Auftritt in Woodstock das (vorher aufgenommene) Studioalbum. Dass auch in Hippie-Kreisen die Kühe gemolken wurden, widersprach keinen Prinzipien mehr – die waren zu Grabe getragen worden. Was die Klasse von Volunteers freilich nicht mindert… Man war sich seiner Prinzipien auch band-übergreifend einig. Tatsächlich waren bei den Aufnahmen zu Jefferson Airpane’s sechstem Album Volunteers sowohl Stephen Stills und David Crosby als auch Jerry Garcia und der zugleich bei QMS klimpernde Nicky Hopkins zu Gast. Die Band konnte nun bequem im eigenen Studio in San Francisco aufnehmen. Und das tat ihr gut – Kantner, Slick, Balin, Kaukonen und Dryden hatten Songs geschrieben, die ein weiteres mal bewiesen, dass diese Band unter den drei Großen die Hit-Maschine war. Mit Anspruch. Mit politischem Bewusstsein, mit Haltung. Auch wenn Kantner in Interviews sagte, dass die Hymne „We Can Be Together“ nicht als politischer Aufruf zum Protest gedacht war, sondern eher eine Beobachtung aktueller Zustände darstellte. Der Song wurde trotzdem zur Hymne aller weiterhin Widerständigen (die es natürlich immer noch gab (und gibt…)). Zu Recht, denn er hat eine eingängige Melodie und einen Mitsing-Refrain, der Niveau hat. Und auch Jefferson Airplane konnten Improvisation: Jorma Kaukonen ist ähnlich wiedererkennbar, wie Garcia und Cipollina. Fügt sich nur besser in das Bandgefüge ein. In jedem Song hat er Platz, um sich mal kurz in kleinen Soli zu verlieren. Es ist die Dichte an vergleichbar tollen Songs, die Volunteers zum besten Album der Band macht. Man nehme nur das verträumte, zugleich kraftvolle „Wooden Ships – geschrieben von Kantner, Crosby und Stills. Oder die jazzige Öko-Hymne „Eskimo Blue Day“ mit Grace Slick’s Gesang und dem Hinweis, dass der Mensch angesichts der Größe der Natur eher unwichtig ist. Die Band hatte immer noch was zu sagen und war auf dem kreativen Zenith… Aber dann wurde Martin Balin in Altamont von Hell’s Angels-Ordnern verprügelt, die dann drei Fans vor der Bühne killten, Hendrix und Janis Joplin starben, Spencer Dryden hörte auf, Balin fand sich nicht mehr in der Band zurecht, Grace Slick wurde Mutter …kurz… Jefferson Airplane wurden nie mehr so gut, wie vor 1970.

Quicksilver Messenger Service
Happy Trails

(Capitol, 1969)

Dies war die dritte Macht im San Francisco der Hippie-Tage: Quicksilver Messenger Service waren die Band, die mit ihrem livestyle, ihrer Erscheinung, ihren Konzerten und nicht zuletzt mit ihren Alben die Quintessenz des Sound of San Francisco darstellt. QMS entstanden um 1965, Gary Duncan, John Cipollina, David Freiberg, Greg Elmore und Dino Valenti – alles junge Folk-Musiker, die den Summer of Love aber sowas von „lebten“ – gründeten die Band, hatten allesamt mehrfach wegen des Besitzes von Marijuana Probleme (DAS war strafbar, LSD war erlaubt…), und hatten so das Pech, dass sie nur selten in kompletter Besetzung spielen konnten. Meist traten sie umsonst auf, hatten eine große Fanbase in ihrer Heimatstadt, blieben aber ausserhalb der Bay Area seltsam unbekannt. Immerhin – QMS waren in Monterey dabei, nahmen als letzte der drei großen San Francisco Bands einen hoch dotierten Vertrag an und hatten dadurch das Recht, im Studio so ziemlich machen zu können, was sie wollten. Ihr Debüt litt unter der Studio-Situation, also ließen sie bei zwei Dates im Fillmore East und West die Bänder m-itlaufen. Happy Trails ist ein Live-Album, das die Vision, den spirit und das Können der Musiker dieser jungen Szene mindestens so gut wiedergibt, wie das ein paar Monate später veröffentlichte Grateful Dead Album Live/Dead. Die Typen (und mit ihnen herumziehenden Frauen) lebten den Traum der Space Cowboys. Sie lebten auf einer Farm, nahmen Drogen und jammten stundenlang. Dass sie sich im Laufe der Zeit Klassik, Folk, Blues, Flamenco, whatever… draufgeschafft hatten, kam ihnen nur zugute. Dier erste LP-Seite besteht aus einer 25-minütigen Tour De Force durch den Bo Diddley-Stampfer „Who Do You Love“. Den darf jeder der ier Musiker auf seine Art durch den Psychedelic-Wolf drehte. Das muss man hören!! Keine Sekunde ist verschwendet, das schlichte Blues-Riff beginnt in allen Farben zu leuchten, die Musiker sind jeder für sich sehr fähig und verbinden sich zu einer unheimlichen Einheit. Gitarrist John Cipollina sticht besonders heraus. Sein Umgang mit dem Tremolo-Hebel an der Gibson war Legende, seine Soli sind beeindruckend, und haben mit der instrumentalen Selbstbefriedigung vieler sog. Gitarrengötter Nichts zu tun. Die Songs der zweiten LP-Seite von Happy Trails sind nach dem gleichen Prinzip aufgebaut: Jeder der vier Musiker darf glänzen, die Tracks laufen ineinander, die Band wird zu einem Spaceship, das die Musik nutzt, um komplett wegzudriften (und die Zuhörer mitzunehmen…). Es IST schwer, dieses Album nach der Kenntnis um Punk, HipHop, Techno etc. verständlich zu machen. Aber wer sich einmal in Happy Trails hineinhört, wird verstehen, wie die Magie dieser Musik in dieser Zeit funktionierte.

Quicksilver Messenger Service
Shady Grove

(Capitol, 1969)

…und so wurde es gewisser Hinsicht als Rückschritt gesehen, als die Band ein neues Album im Studio aufnahm. Zumal das Personalkarussell rotierte: Gary Duncan verließ die Band, kurz war der Blues-Sänger Nick Gravenites dabei, dann war Mit-Begründer Dino Valenti ein paar Wochen in der Band, Duncan kam kurz zurück, ging wieder, und der britische Session Profi und Pianist Nicky Hopkins kam hinzu und beeinflusste durch sein Spiel und seine Songs den Sound der Band massiv (Er war aber auch mit Jefferson Airplane unterwegs… siehe weiter unten). Und dennoch – John Cipollina’s Gitarre und David Freiberg’s Stimme ließen Shady Grove als QMS-Ding erkennbar bleiben. Das Album ist sehr „vielseitig“ – im guten wie im schlechten Sinn. Nicky Hopkins Piano bringt eine neue Dimension in den Sound, Tracks wie „3 Or 4 Feet From Home“ oder „Holy Moly“ sind nicht so straight und simpel wie die Vorlagen für die Improvisations-Orgien auf Happy Trails. Andererseits ist Cipollina’s Gitarre überall herauszuhöre. SO klang niemand, das waren QMS. Eben etwas komplexer, ein bisschen weiter, vielleicht auch ein bisschen erfahrener im Studio… aber auch durcheinander und seltsam „garagig“ produziert. Man bedenke – dies war die Zeit, in der (zumindest musikalisch) immer noch Alles möglich schien. Aber die Musiker hier standen quasi pausenlos unter Drogen. Immerhin – mit mit Mitte Zwanzig kann man das noch verarbeiten. Wenn man die besten Teile von Shady Grove nimmt, ist es ein tolles, typisches Psychedelic Rock Album, Man kann sich auf den Closer „Edward (The Mad Shirt Grinder)“ konzentrieren – geschrieben von Nicky Hopkins – ein perfektes Stück psychedelische Instrumental-Musik. Dazu noch den Titeltrack, der schlicht und kraftvoll ist, dazu die immer wieder aufschillernden Gitarren-Glissandi von Cipollina… und schon hat man eine feine Ergänzung zu Happy Trails.

It’s A Beautiful Day
s/t

(Columbia, 1969)

Das Cover ist natürlich vom selben Designer, wie bei Quicksliver Messenger Service. Und mit It’s A Beautiful Day haben wir eine Band, deren Debüt man mit den ganz Großen auf eine Stufe stellen kann, die aber vor ’69 in der Bay Area nicht ganz so viel Gewicht hatte. 1967 vom klassisch ausgebildeten Geiger und vielfachen Session-Begleiter David LaFlamme gegründet, hatten die fünf Musiker zunächst mit Matthew Katz denselben Betrüger als Manager, wie Moby Grape und QMS. Der verfrachtete sie ’67 nach Seattle und erklärte ihnen, sie „seien noch nicht bereit…“ Mitte ’68 ging es frustriert und ohne Geld zurück in die Bay Area, wo man versuchte, sich von Katz zu trennen und bei jeder sich bietenden Gelegenheit auftrat. It’s A Beautiful Day machten bei einem der ersten mehrtägigen Festivals mit und erspielten sich langsam einen guten Ruf. Jetzt kam auch der ersehnte Plattenvertrag und das Debüt It’s A Beautiful Day wurde in Los Angeles aufgenommen. Die Band hatte schon allein durch LaFlamme’s Violine einen distinktiven Sound. Dazu sangen LaFlamme und seine Keyboarderin und (inzwischen) Ehefrau Linda feine Harmonies. Mit Hal Wagenet bediente einer die Fuzz-Gitarre, der wusste, wie man in dieser Zeit zu klingen hatte. Das Debüt beeindruckt auch heute noch mit seiner organischen Verbindung von Klassik, Folk und Psychedelic Rock. Linda brachte mit Piano, Celeste, Harpsicord und Organ einen zusätzlichen Klassik-Touch in den Sound und – wieder einmal – vor Allem gab es Songs, die memorabel sind, die – in diesem Fall besonders – einen Unterschied zu anderen Bands der Szene machten. Insbesondere „White Bird“ ist der Hit des Albums. Der Song war in Seattle geschrieben worden, wo die Musiker sich wie eingesperrt fühlten – ohne Geld, miserabel versorgt, aber immerhin „inspiriert“. Die sehnsüchtige Melodie, die feinen Harmonies, der poetische Text… es hätte ein Hit werden sollen, die Single blieb aber in den unteren Rängen der Charts hängen, wurde aber trotzdem zum signature tune für die Band. Und natürlich gab es noch mehr auf diesem Album. Zu dieser Zeit ware It’s A Beautiful Day eben nicht nur Psychedelic Rock mit Geige. Mit „Hot Summer Day“ oder dem 9-minütigen zeittypischen Workout „Time Is“ waren noch mindestens zwei weitere Klassiker dieser Tage dabei. Das Album erreichte immerhin Platz 47 in den Charts… aber dann verließ Linda Mann und Band, das Nachfolge-Album Marrying Maiden wurde zwar der größere kommerzielle Erfolg – aber es ist ein schwacher Abklatsch des einzigartigen Debütalbums. Also, wenn It’s A Beautiful Day, dann bitte It’s A Beautiful Day.

The Charlatans
s/t

(Philips, 1969)

Über dieses Album wird aus seltsamen Gründen nicht so positiv berichtet. Eigentlich hatten The Charlatans in der San Francisco-Szene einen regelrecht legendären Ruf! Die Band um den Jug-Band, Blues und Country Liebhaber und Grafiker George Hunter (der hat die Cover von QMS und It’s A Beautiful Day gestaltet!!) entstand schon 1964. Sie entwickelten sofort einen Sound, der die Musik von Grateful Dead und Konsorten lange vorwegnahm. Das waren echte Könner an ihren Instrumenten, die Blues und Country schnell hinter sich ließen. Dazu verkleideten die Musiker sich schon Mitte der 60er gerne als Gunslinger oder viktorianische Dandies – und wurden auch damit zu Vorbildern der Subkultur in der Bay Area. Dass Hunter’s Plakat für eine Konzertreihe im Red Dog Saloon in Virginia City ebenfalls einen Trend setzten, ist da fast nur eine Randnotiz. Dass sie als eine der ersten Bands gelten, die vor Konzerten LSD nahm, ist wiederum bemerkenswert. Sie gelten wohl zu Recht als erste Acid Rock Band… Allerdings hatten sie gewaltige Probleme einen Plattenvertrag und ein vernünftiges Management an Land zu ziehen. Es gab Verträge mit Kama Sutra und mit Kapp, ehe sie 1969 ein Album bei Philips veröffenlichen konnten. Bis dahin hatte die Band fast alle Anfangs-Mitglieder verloren, sogar Hunter war kurzzeitig ‚rausgeschmissen worden. Für die Aufnahmen zu The Charlatans holten die da aktuellen Köpfe Richard Olsen (b, voc) und Mike Wilhelm (g, voc) den alten Kumpel immerhin als Gast zurück – aber alle die dabei waren sagen, die Power der Anfangsjahre wäre auf dem von der Band selber produzierten Debüt nicht mehr zu hören. Da mag man mir (mit Recht) Unkenntnis vorwerfen – aber so ganz verstehe ich das nicht, wenn ich den Opener „High Coin“ etwa höre. Das war nicht nur sehr schön gespielter Country Rock mit Psychedelic-Allüren, das Album ist auch sonst sehr abwechslungsreich: Die Versionen von „Wabash Cannonball“ oder Johnny Cash’s „Folsom Prison Blues“ sind eigenständig, den Traditional „Alabama Bound“ hätte auch Grateful Dead kaum besser machen können… nur den Kritikpunkt, dass das Album ’69 tatsächlich um 2 Jahre zu spät kam, kann man gelten lassen. 2024 muss man darüber sicher nicht mehr streiten. The Charlatans passt – heute! – gut in diesen Haufen Psychedelic Alben. Dass die Band wegen ausbleibenden Erfolges noch ’69 aufhörte… geschenkt.

Steve Miller Band
Brave New World

(Capitol, 1969)

Cover – Robert Lockart – Designer, der u.a. auch Steely Dan’s Can’t Buy a Thrill gestalten wird…

Dass die Steve Miller Band in wenigen Jahren von einer ernsthaften und schlauen Psychedelic Rock Band zu einer Pop-Maschine wurde, die mitunter Mist fabrizierte (…bis auf die ’76/’77er Geniestreiche Fly Like An Eagle und Book of Dreams…) war ’69 noch nicht abzusehen…? Oder? Brave New World – Album No-3 der Band ist jedenfalls weniger „psychedelisch“ als die zwei Vorgänger…oder ich verstehe Psychedelic anders als diese Band… Aber es ist eine Menge Spaß. Es gibt eine Seite der Musik wieder, die AUCH in dieser Zeit und in dieser Szene entstehen musste. Diese Band war einfach hauptsächlich „cool“. Steve Miller war natürlich ein guter Songwriter und Gitarrist, aber er wirkte nie völlig bekifft. Der liebte den Blues. Und der hielt seinen shit beisammen. Der wollte aber neben Blues und Psychedelic Rock auch Pop – sprich – kommerziellen Erfolg. Sollte er auch bekommen.. und nicht missverstehen – Brave New World verortet sich noch klar im Bay Area Flower Power Universum. Dieses Album ist sehr zeittypisch, UND es ist eindeutig Steve Miller: Die Stimme, die saftigen Licks und -Leads. Man merkt an diesem Album ganz gut, dass sich in der Bay Area etwas geändert hatte. Ein Song wie „Space Cowboy“ ist zum Einen psychedelischer Pop, ein schöner Song, es ist allein schon vom Titel her ein Hippie Traum – Aber die Band klingt dabei hellwach. Viele Songs auf Brave New World sind schnell, muskulös, nicht so weggedriftet, wie man es von anderen Bands aus der Szene kannte. Da gehört natürlich Miller’s Stimme zum Bild. Die mag an Stephen Stills erinnern, der auch immer klingt als wäre er zu genervt, Hippie’s auf ihren Trips zu folgen. Selbst wenn Miller bei „Kow Kow“ von einem Typen singt, “…who was a smooth operator, who kept himself a pet alligator, living in a chrome elevator…“, weiss man, der ist nicht bekifft, der spielt mit Worten. Brave New World ist wie keines der hier beschriebenen Alben…. hier bog Steve Miller ab. Er spielte seine juicy Blues-Gitarre, er konzentrierte sich auf Songs, er wusste, dass er nicht mehr nur den Traum von peace love and happiness verfolgen konnte. Insofern ist Brave New World ein Album des Überganges. Und die sind mitunter besonders interessant. Trivia: Den abschliessenden Blues „My Dark Hour“ jammte und schrieb er mit Paul McCartney…

Moby Grape
Moby Grape ’69

(Columbia, 1969)

Wie sehr diese formidable Band unter den Fehlentscheidungen ihrer Plattenfirma und ihres Managers gelitten hat!! So etwas konnte auch in Zeiten von Flower Power ein gewaltiges Problem sein. Neben Jefferson Airplane und It’s A Beautiful Day hatte auch bei Moby Grape der Manager Matthew Katz seine gierigen Finger im Spiel – und die Band mit egoman-dämlichen moves vor die Wand gefahren (lies im Hauptkapitel 1967 über das Debüt von Moby Grape) Inzwischen hatte die Band Katz rausgeworfen und auch der komplett dem Heroin verfallene Songwriter Skip Spence war nicht mehr dabei (siehe sein Solo-Album in der Einleitung…). Eigentlich kein Problem für eine Band, die noch vier weitere Songwriter und instrumentale Könner an Bord hatte. Und der verlorene Sohn Skip Spence hatte sogar noch eines der Highlights auf Moby Grape ’69 hinterlassen: „Seeing“ ist noch ein Beweis dafür, dass mit seiner Heroin-Katastrophe eines der großen Talente der 60er untergegangen war (hört euch sein ’69er Solo-Album Oar an!! Eine wunderbare Tragödie…) Aber – wie gesagt – Bob Mosley und Peter Lewis hatten auf diesem Album auch was zu bieten. Und Lead Gitarrist Jerry Miller war ganz groß in Form. Sein „I Am Not Willing“ ist wunderschön, einer der großen Songs des Psychedelic Rock. Mit einer traumhaften Melodie, mit schillernden Gitarren, gesungen von einer der besten Stimmen dieser Tage. Man mag beklagen, dass Moby Grape ’69 zusammengestückelt kling. Das IST es auch. Dass hier vier Songwriter einander die Show stehlen, ist eine berechtigte Sicht auf das Album. Da ist z.B. Bob Mosley’s „Hoochie“ als kraftvoller Bluesrock. Und auch Mosley kann singen!! Oder „Going Nowhere“ von Miller und Drummer Steve Doanldson – Moby Grape ’69 ist eine Best Of mit unveröffentlichten Tracks. Voll mit kraftvollem Blues und hoch-melodischem Psychedelic Rock. Es ist der letzte Beweis, dass die Moby Grape-Story eine Tragödie ist. Passt ja, dass Mosley kurz danach die Band verließ, um Soldat zu werden!! Bei der Army wurde er entlassen, weil er einen Offizier geschlagen hatte. Dazu würde ich sagen „…das erste Mal Glück gehabt…“ Das Album gehört re-evalued und re-issued.

Kaleidoscope
Incredible Kaleidoscope

(Epic, 1969)

Kaleidoscope waren die bunten Hunde der San Francisco Scene. Diese Gruppe von absoluten Könnern an den Instrumenten hat das Konzept „Weltmusik“ in die populäre Musik der westlichen Welt eingeführt. Insbesondere Solomon Feldthouse hatte ein großes Interesse an orientalischer Musik, konnte die türkische Saz so virtuos bedienen, wie die Gitarre. Neben sich hatte er David Lindley, der gerne Tex-Mex und natürlich auch orientalische Musik ausprobierte, der ein Virtuose auf dem Banjo und an der Slide-Gitarre war… eigentlich alles beherrschte, was Saiten hat. Dass Saiten-Könner Chris Darrow und Drummer John Vidican die Band verlassen hatten, war ein bisschen bedauerlich, aber sie hatten an den Songs noch mit-geschrieben, die Ersatz-Leute waren ähnlich begabt und diese Band war sowieso mit zu viel Einflüssen und Können ausgestattet. So war auch Incredible Kaleidoscope ein mixed bag aus orientalischen, frankophonen Cajun-, Country- und Psychedelic-Einflüssen. Allein – das Hippie-Publikum war noch nicht so weit. Weltmusik war noch kein Begriff – und dieses Album kann man durchaus als Weltmusik mit Psychedelic-Touch beschreiben. Oder man nennt es ein Experimentierfeld für alle Arten von Saiten-Instrumenten. Dass ein Track schlicht „Banjo“ heisst und jedem Banjo-Player den Schweiss auf die Stirn treiben dürfte, ist bezeichnend. Dann gibt es den puren Cajun-Waltz „Petite Fleur“, dann das mäandernde 11-minütige „Seven-Ate Sweet“, bei dem Feldthouse irgendwann auf türkisch singt (er war in Istanbul aufgewachsen). Da waren das Uralt-Traditional „Cuckoo“ oder der Opener „Lie to Me“ fast normaler Psychedelic Rock. Und das auch noch in toll. Kaleidoscope waren eindeutig Könner, die mit Leidenschaft dabei waren. Dass das Konstrukt intern nicht immer zusammenpasste, war fast logisch. Auf diesem Album war das (finde ich…) nicht einmal wirklich das Problem. Incredible Kaleidoscope ist sehr unterhaltsam und beeindruckend. Es fällt aus einem Rahmen, der damals gesetzt gewesen zu sein scheint. Und es fällt 2024 aus dem Rahmen, weil seine psychedelischen Grundtöne heute unpassend erscheinen mögen. MIR passen sie dazu. Dann ist es ein sehr gutes Album.

Mad River
Paradise Bar and Grill

(Capitol, 1969)

…um etwas obskurer zu werden… Paradise Bar and Grill ist das zweite Album einer Band, die ’65 im Antioch College in Yellow Springs, Ohio entstand und seit 1967 in Berkeley und in der kompletten Bay Area herumgeisterte. Mad River’s gleichnamiges Debüt war 1967 ein kleiner Erfolg, die Band hatte zwei Solo-Gitarristen, mit Lawrence Hammond einen fähigen Songwriter und ein finstereres Image, als ihre Kollegen. Aber nach dem puren Psychedelic Rock des Debütalbums sprangen sie (wie andere Bands…) auf den Country-Zug auf, den The Band und die Byrds auf die Schiene gesetzt hatten – wobei man gerechterweise darauf hinweisen muss, dass viele dieser Musiker von Beginn an die amerikanische Roots-Musik kannten und auch gespielt hatten. Mad River hatte dunkle Zwischentöne gehabt, war aber tief in den ’67 so hippen Psychedelic Sound getaucht und schon da waren die Gitarrensoli sehr abstrakt, sehr ungewöhnlich. Und so sind auch auf Paradise Bar and Grill weder die Songs noch die Solo-Exkursionen der Haupt-Gitarristen David Robinson und Richard Bockner schlichter Country Rock. Es gibt Songs und Passagen, bei denen die Gitarren einander umschlingen, wie man es in ein paar Jahren bei Television hören wird. Man höre nur „Leave Me / Stay“ – einen der besten Tracks des Albums. Auch der Opener der zweiten LP-Seite „They Brought Sadness“ bietet ungewöhnliche Harmonien und verbindet Baroque-Pop, Country und Psychedelic Rock auf schöne Weise. Manche Leute aber meinten, Mad River wüssten nicht genau, wo sie hin wollten. Das Songmaterial war ihnen zu „uneven“ – und ja – der Closer „Cherokee Queen“ etwa ist im Vergleich zu anderen Songs fast ein bisschen zu banal. Dafür gibt es das mittelalterlich anmutende „Equinox“ – und bei „Love’s Not the Way to Treat a Friend“ arbeitete die Band mit dem Schriftsteller Richard Brautigan zusammen. Man kann Paradise Bar and Grill als eine Art musikalischer Experimentierküche hören – das passt durchaus auch in diese Zeit. Der Erfolg aber blieb aus, der Vietnam-Krieg zwang die Musiker dazu, entweder wieder zu studieren, oder nach Kanada zu gehen. Die gesellschaftspolitischen Umstände und Geschehnisse führten dazu, dass die Bay Area Szene versandete. Und so endete das Kapiltel Mad River noch 1969.

Hunger
Strictly From Hunger

(Public!, 1969)

Hunger waren ’67 in Portland als The Outcasts, dann als The Touch und seit Mitte ’68 mit diesem Namen in den kleineren Clubs in San Francisco unterwegs. Die Musiker – allesamt als Songwriter genannt – erspielten sich mit ihrer Mischung aus Psychedelic Rock mit den üblichen ausgedehnten Solo-Passagen und Garage-Rock Power schnell einen guten Ruf. Angebtrieben von Mike Parkinson’s harter Orgel und Mike Lane’s Gitarren mag man sich an die Doors erinnert gefühlt haben (bei denen Hunger im Vorprogramm auftraten). Dazu kam ihr Sinn für durchaus poppige Melodien – man höre nur „Trying to Make The Best“ – das nennt man wohl ein period piece… Diese Band hatte definitiv mehr verdient, aber bei Ihnen kam zum Pech noch Unglück dazu… Hunger wurden zwei mal das gesamte Equipment gestohlen, die Mini-Plattenfirma war unfähig zu irgendeiner Form von Promotion, und letztlich war das Bandgefüge nach zwei Jahren Sich-Die-Hacken-Abspielen zu fragil um mehr auszuhalten, als die Aufnahme dieses Albums und ein paar weiteren Konzerten. Schade – und dabei half bei den Aufnahmen zu Strictly From Hunger sogar der durchaus virtuose Gitarrist und Freund Ed King von der Strawberry Alarm Clock – der ab ’72 Gitarrist bei Lynyrd Skynyrd werden würde. Will sagen: Instrumental ist Strictly From Hunger sehr ausgereift. Und wie gesagt – Songs wie „The Truth“ oder „Portland 69“ sind toll. Mit Kraft und dem hohen Maß an Virtuosität zelebriert. Hunger hatten einen eigenständigen Sound, waren psychedelisch, ohne sich in Esoterik zu verlieren. Sie hatten das Album übrigens schon ein Jahr zuvor als Demo aufgenommen – diese Version kursierte später in Psychedelic-Conaisseur-Kreisen als forgotten masterpiece. Die Songs dieser Band waren einfach gut und das Demo war erkennbar mit Feuer und Acid aufgenommen. Immerhin gibt es beide Alben auf einer CD, die Original-LP’s wiederum sind praktisch unbezahlbar. Also – dies ist somit die dringende Empfehlung, nach dem Album zu suchen!!

Kak
Kak-Ola

(Epic, 1968)

Auch obskur… Die Band Kak kam in Davis/CA – einer Studentenstadt nahe Sacramento, ca 100 km von San Francisco – eher zufällig zusammen. Die Musiker hatten zuvor bei ein paar lokalen Garage-Rock Bands gespielt, insbesondere der Gitarrist Dehner Patten und sein Kollege Gary Yoder hatten mit ihrer Band Oxford Circle immerhin eine in der Stadt erfolgreiche Single veröffentlicht. Als sie sich auflösten soll ein Fan namens Gary Grelecki Yoder erzählt haben, dass er ihnen einen Vertrag und Plattenaufnahmen bei CBS verschaffen könnte. Ein halbes Jahr später meldete er sich erneut – und Patten und Yoder mussten mit Freunden diese Band zusammenstellen, schnell Songs scheiben und eine LP aufnehmen. Das hätte schief gehen müssen, so was geht auch oft schief… aber Yoder war ein Songwriter mit Ideen, Patten war ein einfallsreicher Gitarrist und Grelecki schrieb der Band ein paar schön zeit-typische Lyrics. Somit darf man Kak-Ola nicht als pure Obskurität abtun… was diese Band 1968 in sechs Tagen im Studio in San Francisco zusammenbaute – mit Hilfe namhafter Techniker – ist erstaunlich nah an den ganz Großen der Bay Area: Man hört ein bisschen Moby Grape, ein bisschen Jefferson Airplane und sehr viel eigenwillige Psychedelic Music. Es mag sein, dass „Electric Sailor“ etwas zu sehr nach Old School Rock’n’Roll klingt. Dass der Song 1969 nicht mehr ganz so beeindruckend war. Aber es gibt wunderbar abgedrehte Tracks wie den Opener „HC 97658“. Und „Everything’s Changing“ oder „Disbelievin’“ hätte einigen Bands aus der ersten Liga sehr gut gestanden. Und die ineinander fleißende Suite „Trieulogy“ ist perfekt. Die Acid-Gitarren von Patten und Yoder’s Jungs-Gesang sind genau in der Schnittmenge aus psychedelischer Abgehobenheit und Konzentration, die man auch bei bekannteren Meistern hört. Und „Lemonaide Kid“ wurde in den Underground-Radio Stationen wegen seiner LSD-Bezüge mit Freuden gespielt. Und dann? Die Band spielte gerade mal 10 Konzerte (u.a. mit Spirit), bekam keinerlei Unterstützung von Epic und hatte auch selber keinen Plan und kein Management, das nach den Aufnahmen gesagt hätte, wie es weitergehen soll. Ende ’69 war Schluss… Immerhin ging Yoder zu Blue Cheer und nahm mit denen mit The Original Human Being 1970 ein tolles, nicht ganz so vergessenes Album auf.

Earth Opera
The Great American Eagle Tragedy

(Elektra, 1969)

Hier eine Band, die den Schritt Richtung Folk und Countrymusik früh von selber gemacht hatte. Earth Opera hatten schon auf ihrem gleichnamigen ’68er Debütalbum Schlagseite in Richtung Bluegrass gehabt – kein Wunder, wenn man bedenkt, dass hier der Mandolinen-Virtuose und Jerry Garcia-Kumpel David Grisman eine gewichtige Rolle gespielt hatte. Zumal er sich mit dem Sänger, Gitarristen und Haupt-Komponist Peter Rowan die ersten Sporen bei Bill Monroe’s Bluegrass Boys verdient hatte. Aber natürlich hatten die Zwei den Psychedelic-Trend in San Francisco auch bemerkt. Earth Opera wurden bald von Elektra unter Vertrag genommen, Rowan’s Songs für diese Band waren schließlich auch tief in Psychedelic Pop getaucht. Earth Opera tourten mit den Doors, unter Kollegen wurde die Band wegen ihres profunden Könnens hoch geachtet, aber der Erfolg blieb aus. Trotzdem ließ Elektra Earth Opera den Nachfolger The Great American Eagle Tragedy aufnehmen. Da der Keyboarder die Band verlassen hatte, gab es einige weitere Gäste: John Cale spielte Viola, Ben Keith die Steel. Rowan hatte noch ein paar zauberhafte Songs, aber auch wenn das Album in die unteren Ränge der Charts kam – der Erfolg war nicht groß genug. Man muss anerkennen, dass dieses Album handwerklich ziemlich beeindruckend ist. Der 11-minütige Titeltrack ist ein artifizielles Opus irgendwo zwischen Jazz, abgedrehter Psychedelic und Country. Der Opener „Home to You“ ist ein echter Ohrwurm, „All Winter Long“ ist mit seinem melancholischen Touch ebenfalls sehr fein. Man kann sich ja eigentlich nicht beschweren. Zumal Earth Opera nicht klangen, wie andere Bands der Szene. Ich persönlich kann mir vorstellen, dass Pete Rowan’s schwächlicher Gesang – dessen er sich aber nicht bewusst zu sein schien – manche Hörer abschreckte. Wenn er beim epischen Titeltrack ‚rumschreit, ist das unfreiwillig komisch. Wieauchimmer– dass sie auch ’69 aufgaben, ist… ich weiss nicht…? Nachvollziehbar?

Love
Four Sail

(Elektra, 1969)

Die L.A. Band Love hatte einiges hinter sich: Das ’67er Meisterwerk Forever Changes war unter schwierigsten Bedingungen entstanden. Bandkopf Arthur Lee hatte sich mit Bryan MacLean – dem anderen Songwriter in der Band – pausenlos gestritten, hatte dessen Beiträge so weit wie möglich unterdrückt, seine Stimme aus den Songs ‚rausgemischt, sich mit dem Label Elektra gestritten… es war eine Disharmonie in der Band, die den Namen völlig Lüge strafte. Dass MacLean und Bassist Ken Forssi sich eine massive Heroin-Sucht zugelegt hatten, half auch nicht. Ihnen wurde das Equipment gestohlen, der Band Manager starb an einer Überdosis, das Geld wurde gestohlen, Lee wollte immer noch nur in den USA touren… 1968 entließ Lee die komplette Band, holte sich in kürzester Zeit neue Musiker und nahm das Material für drei Alben auf einen Schlag auf. Warum er die besten Songs aus diesen Sessions dann Elektra gab – dem Label, das er inzwischen hasste – bleibt sein Geheimnis. Four Sail (steht für „…for sale“) kam zwei Jahre nach Forever Changes heraus und hat natürlich das Problem, dass es sich an einem Meisterwerk messen lassen muss. Lee hatte versucht, sich an die neue Band anzupassen, die akustischen Gitarren und die Leichtigkeit waren dahin. Elektrische Gitarren und die härtere Rhythm Section sollten betont werden. Soweit jedenfalls Arthur Lee’s Gedanken zu den Songs auf Four Sail. Er wird Jimi Hendrix im Hinterkopf gehabt haben – aber für mich klingt auch dieses Album nach Love. Songs wie der Opener „August“ haben den eigenständigen Charakter seiner Band. Die Melodie fließt, Arthur Lee’s Stimme ist wiedererkennbar – eindeutig Love – nur eben etwas härter. Und Arthur Lee war immer noch ein intelligenter Songwriter (…der übrigens Drogen hasste..!), dem große Songs einfallen konnten. „I’m With You“ hätte ohne die E-Gitarre auch auf die vorherigen Alben gepasst. Da ist diese überlegte Leichtigkeit zu hören. Und der Closer „Always See Your Face“ ist eine von Lee’s besten Kompositionen. Sophisticated, mit sanftem Piano-Part wäre er auch auf Forever Changes nicht unpassend gewesen. Dass das restliche Material noch ’69 auf einem Doppel-Album mit dem Titel Out Here erschien, soll erwähnt sein. Aber Four Sail ist das Album der Wahl. Und wer will, sollte nach Lee’s ’72er Solo-Album Vindicator suchen. Das kommt immerhin noch hier ‚ran. Love wurden nach diesem Album uninteressant.

Janis Joplin
I Got Dem Ol‘ Cozmic Blues Again, Mama!

(Columbia, 1969)

Natürlich. Janis Joplin war integraler Teil der Musikszene San Francisco’s. Auch wenn sie 1969 in den Augen der Community ein bisschen abgehoben war. Auf dem Monteresy Pop-Festival war sie einer der Stars gewesen… ein Star war sie sowieso. Ihr Gesang, ihre Bühnen-Präsenz… da gab es niemanden über ihr, auch Grace Slick kam da nicht heran. Nach Monterey und dem Album Cheap Thrills mit Big Brother & The Holding Company war sie ein paar Monate nach Nepal gereist, hatte sich ein Haus in der Ashbury Street gekauft und dann beschlossen, sich eine neue Band zusammenzusuchen um Musik nach eigenen Vorstellungen zu machen. Mit der Position als Band-Leaderin und Arrangeurin fühlte sie sich allerdings überfordert. Sie trat mit ihrer Band in Woodstock dermaßen stockbesoffen auf, dass das Konzert auf Platte und im Film nicht vorkam. Die Hippie-Community nahm ihr den Ego-Trip übel, sie galt Vielen ’69 als Verräterin an den Idealen der Szene. Das und persönliche Probleme mögen dazu geführt haben, dass sie weiter in Drogen und Alkohol versank. Aber…!! iesI Got Dem Ol‘ Cozmic Blues Again Mama! merkt man das nicht wirklich an!! Zu den Aufnahmen ging sie nach New York, nahm Sam Andrew von Big Brother mit, suchte sich sechs Cover-Versionen aus Blues und Soul sowie zwei beachtliche eigene Songs aus und buchte eine fette Bläser-Sektion dazu. (Damals) warf man dem Album vor, zu „poliert“ zu sein. Das würde heute niemand mehr sagen – denn Fakt ist, dass Janis‘ Gesang den Hörer regelrecht umblies. Sie mag damals alle möglichen Drogen zu sich genommen haben, aber ihrer Stimme merkte man das nicht im Geringsten an. Songs wie der Opener „Try (Just a Little Bit Harder)“ sind mit einer Imbrunst gesungen, die fast ZU viel ist. Bei „Little Girl“ (von 1935 und 1959 von Nina Simone genial eingesungen) ist sie regelrecht zärtlich. Die Art ihres Gesanges, dieser psychedelische, soulige Blues war allein mit dieser Stimme denk- und machbar. Über den in diesem Kapitel beschriebenen „Psychedelic Rock“ geht das weit hinaus, auch wenn die Gitarrensoli vom Studiogast Michael Bloomfield ins Fillmore West gepasst hätten. I Got… ist ein wirklich schönes Album… hätte sie eine eingespieltere Band gehabt, dann wäre es NOCH besser geworden. Na ja – das ist ein Konjunktiv. Sie starb 1970 und ’71 erschien das vor ihrem Tod aufgenommene Meisterwerk Pearl..

Santana
s/t

(CBS, 1969)

Und dann war da noch…. Santana. Diese Band hatte bei Woodstock ihren Durchbruch, ihr Auftritt gilt als einer der Höhepunkte des Festivals. Dabei war das Debütalbum zum Zeitpunkt des Festivals noch nicht einmal in den Läden. Der in Mexiko geborene und Anfang der 60er nach San Francisco ausgewanderte Gitarrist hatte schon ’66 die Santana Blues Band gegründet. Seine Idee einer Verbindung von Rock, Blues und lateinamerikaischen Rhythmen war damals revolutionär. Er war ein Gitarrist mit einem sehr eigenständigen Ton und seine Band war eine bei langen Jams erprobte Einheit. Insbesondere das rhythmische-Feuerwerk von drei Percussionisten/ Drummern das er auch bei den Aufnahmen zu Santana explodieren ließ, war mitreissend. Er hatte vor den Aufnahmen zur LP den Konzert-Manager Bill Graham das geschäftliche Ruder übernehmen lassen – und der hatte ihm geraten, sich nicht nur auf die beeindruckende Kraft dieser Band zu verlassen, sondern echte „Songs“ als Basis für seine Jams zu nehmen. Kluge Entscheidung – Santana – die Band – hatten auf dem kommerziell enorm erfolgreichen Debüt mit „Soul Sacrifice“, „Evil Ways“ und dem nigerianischen Pop-Hit „Jingo“ gleich drei Songs dabei, die auch noch echte Ohrwürmer waren!! Die Band hatte freilich auch einen beeindruckenden Sound und Stil entwickelt. Sie erfanden mit Santana Latin Rock – und niemand würde diese Art Musik je wirklich erfolgreich nachahmen. Basis war natürlich Santana’s fließende Gitarre. Aber die dröhnende Orgel von Gregg Rolie war auf diesem und den beiden folgenden, ebensoguten und erfolgreichen Alben Abraxas und Santana III genauso wichtig. Na ja – und natürlich die Conga’s, Timbale’s und sonstigen Percussion und Drums. Dass er die Percussionisten immer mal auswechselte, war unwichtig. Störte das Fundment der Band aus Rolie, dem Bassisten Gregg Brown und Mike Shrieve an den Drums nicht. Dies war eine neue Art Psychedelic Rock. Santana traten mit vielen der hier vor genannten Bands auf, waren integraler Teil der Bay Area Szene – schon lange vor dem Debüt. Ich denke, diese Musik konnte nur in diesem Umfeld so erblühen. Dass Santana nach feinem Spiritual Jazz in den Mitt-Siebzigern später blöden Kaffeehaus-Samba-Pop gemacht hat, will ich beim Anhören der ersten vier Alben gnädig vergessen.

…noch ein notwendiger Hinweis…

Ja – ich weiss – es gibt noch etliche Alben, die in die Bay Area und in diese Zeit passen (… aber welches Album von ’69 tut das nicht?), aber ich beschränke mich auf 15 Acts. Nur ganz zu Beginn deute ich es schon an – Creedence Clearwater Revival haben seinerzeit sehr großen Erfolg… sind mir aber nicht psychedelisch genug. Etliche Bands aus NY waren damals in der Bay Area mehr als nur unterwegs (genau wie die Bands hier in NY oder Chicago spielten…). Ich nenne nur mal die Youngbloods oder Blood Sweat & Tears. Ich berücksichtige hier auch nicht die obskureren Garage-Rock Bands wie The Litter oder The Shadows of Knight oder die Slow-Heavy Meister Vanilla Fudge. Hier schreibe ich auch nicht über tolle „Singer/Songwriter“ wie Tim Buckley oder Alexander Spence. Es ist eine subjektive Auswahl, andere Alben und Künstler passen zugegebenermaßen auch hier rein, aber dann müsste ich Anderes verschwinden lassen. Ich erhebe keinen Anspruch an Vollständigkeit und folge nur einer diskutablen Logik und einer inneren Playlist. Meine Sache…