Aber Fairport lassen sich auch wunderbar im Kontext mit Kollegen und Zeitgenossen beschreiben – so sind sie also hier gelandet (und Nick Drake’s Five Leaves Left auf dem Haufen mit anderen Singer/Songwriter-Alben – so ist hier das Prinzip…) Im UK hat sich die psychedelische Revolution (mit ein bisschen Verspätung) durch Bands wie Pink Floyd oder The Soft Machine bemerkbar gemacht – und ist auch in den Kreisen weniger dogmatischer Folk-Musiker angekommen. Man tritt schließlich gemeinsam auf, und wer nicht sklavisch an den Vorbildern aus den traditionellen Musik-Bibliotheken festhängt, der kann nicht anders, als auch elektrische Gitarren, Improvisation und eine gewisse Hippie-Seligkeit in die alten Vorlagen einfließen zu lassen – oder direkt selber Songs zu schreiben, die die alten Vorlagen nicht verleugnen, aber auch die „moderne“ Form von populärer Musik in sich tragen. Dass dazu noch auf die andere Seite des Atlantik geschaut wird, dass Dylan und Joni Mitchell gecovert werden, ist nur logisch – zumal in den USA eine ähnliche „Modernisierung“ alter Vorbilder (Country in Country-Rock bzw. Cosmic American Music) stattfindet. Ob DAS in britischen Folkmusiker-Kreisen auch wahrgenommen wird, weiss ich nicht – in dieser Zeit gibt es noch kein Internet – aber die Tendenz, aus und mit Folkmusik eine neue Art von (Rock)Musik zu machen ist weltweit virulent und wird auch von sehr nah an den Traditionen arbeitenden Künstlern wie Shirley Collins praktiziert. Hier also Fairport Convention, Matthews Southern Comfort, The Pentangle, die Strawbs – und ein paar Alben britischer Musiker, die an der Grenze zwischen Folk und Singer/Songwriter stehen: Pentangle’s Bert Jansch, Michael Chapman, Roy Harper oder Al Stewart oder Bridget St. John arbeiten mit Vorbildern aus der englischen Musik-Historie – aber sie haben sich dabei als Verfasser ihres eigenen Materials emanzipiert – und hätten damit auch an anderer Stelle in meinem Blog Platz finden können… Auch ein Musiker und angeblicher Dylan-Adept wie Donovan Leitch wäre als ernst zu nehmender Folk-Musiker hier nicht falsch – aber ich habe ihn den Singer/Songwritern zugeordnet, weil ich ihn da eher gesehen habe. Heilige Subjektivität…
https://music.apple.com/de/playlist/der-gro%C3%9Fe-rockhaus-1969-brit-folk/pl.u-oZyl3q1CR7y8N5z
Fairport Convention
What We Did On Our Holidays
(Island, 1969)
Mir fällt außer den drei Dylan-Alben der Jahre 65-66 keine andere Alben-Trilogie ein, die in der kurzen Zeitspanne von nur zwölf Monaten einen solchen Ausbruch an Kreativität dokumentiert und zugleich so einflussreich ist, wie die drei Alben der britischen Folk-Rocker Fairport Convention aus dem Jahr 1969. Ihr künstlerische Durchbruch gelang ihnen in diesem kurzen Zeitraum nach einem guten, wenn auch uneinheitlichen Debüt mit der neu (..von den Strawbs – siehe weiter unten) dazu geholten Sängerin Sandy Denny und mit einer Musik, die das Beste aus britischem Folk und zeitgenössischem Singer/Songwriter Material vereinte – und dieses mit den Erkenntnissen aus Psychedelic Rock und Improvisation aus der Londoner Szene um den UFO-Club vermengte (sie hatten sogar gemeinsam mit den ProgJazzern Soft Machine getourt!). Ähnlich wie Gram Parsons verbanden sie Musikstile miteinander, die von anderen vom traditionellen Folk geprägten Bands ihrer Zeit eher gemieden wurden – und transzendierten Folk in Rockmusik. Dabei waren Songs wie das Eröffnungsstück „Fotheringay“ von Sandy Denny oder Richard Thompson’s „Meet on the Ledge“ durchaus stark vom britischen Folk beeinflusst – klingen in ihrer Melodik teilweise, als wären sie schon hunderte von Jahren alt, dazu gab es auf What We Did on Our Holidays aber auch einige klug gewählte Coverversionen von Dylan-Songs („I’ll Keep it with Mine“) und von der zu dieser Zeit noch vollkommen unbekannten Joni Mitchell („Eastern Rain“). Aber all das hätte nicht funktioniert, wäre die Band nicht so perfekt ausbalanciert, wären da nicht Sandy Denny’s großartige unverstellte Stimme und Richard Thompsons exquisites Gitarrenspiel und seine Fähigkeiten zu wild wuchernden Improvisationen. Auf What We Did… war der junge Ian Matthews noch dabei, bei den Sessions zum folgenden Album aber verließ er die Band – und entfernte damit anscheinend die „amerikanischen“ Einflüsse aus dem Sound, um die dann mit Solo bzw. mit Matthews Southern Comfort auszuarbeiten (siehe hier unten…).
Fairport Convention
Unhalfbricking
(Island, 1969)
Das fünf Monate später veröffentlichte Unhalfbricking ist ein Album des Übergangs, der Sound ist bei den eigenen Kompositionen noch stärker an britischem Folk ausgerichtet, aber es sind auch wieder drei Dylan-Songs dabei, von denen insbesondere „Si tu dois Partir (If You Gotta Go, Go Now)“ beeindruckt. Auch die Version von „Percy’s Song“ ist sehr gelungen, die Band schaffte es immer besser, fremdem Material den eigenen Stempel aufzudrücken, die besten Songs sind jedoch Sandy Denny’s „Autopsy“ und ihr berührendes und berühmtes „Who Knows Where the Time Goes“. Sie hatte sich in dem kurzen Zeitraum seit dem Anschluss an die Band zur prägernden Figur entwickelt, deren Songs insbesondere das Bild von Fairport prägte. Mit dem späteren Band-Mitglied Dave Swarbrick an der Violine wies das 11-minütige Traditional „A Sailors Life“ in die Richtung, in welche die Band in der Zukunft gehen sollte. Dass es noch im selben Jahr zu großen Veränderungen kam, lag allerdings nicht nur an der Experimentierlust der Fairports‘. Dazu trug auch ein Schicksalsschlag bei, als bei einem Unglück mit dem Tour-Bus Drummer Martin Lamble und Richard Thompsons Freundin umkamen. Die Band versuchte das Unglück durch Arbeit zu verdrängen – und nahm noch im selben Jahr ihr definitives Meisterwerk auf.
Fairport Convention
Liege & Life
(Island, 1969)
Auf Liege & Life ist Folk zwar immer noch wichtigster Einfluss, allerdings elektrifizierten Fairport Convention diesen nun auf unvergleichlich organische und gekonnte Weise. Geiger Dave Swarbrick war nun vollwertiges Bandmitglied – und Gegengewicht zu Thompson’s Improvisationen, mit Dave Mattacks war ein neuer famoser Drummer rekrutiert worden, und Ashley Hutchings hatte das Cecil Sharpe House nach passenden Traditionals durchsucht. „Tam Lin“ und „Matty Groves“ sollten zu Favoriten werden, ihre Lesung hier ist definitiv, die Band nutzte das traditionelle Material um die instrumentalen Fertigkeiten strahlen zu lassen. „The Deserter“ z.B. klang in kaum noch nach traditionellem Folk. Und Sandy Denny’s Gesang war sowieso über jeden Zweifel erhaben – sie war nun als beste Folk Sängerin der Insel etabliert, Richard Thompsons Gitarre spielte in der gleichen Klasse, und seine Komposition „Farewell, Farewell“ paßte sich perfekt in das Material ein. Fairport Convetion waren auf dem Höhepunkt, und Liege & Life ist beredtes und zeitloses Zeugnis davon – aber statt den Status zu zementieren, verließen Hutchings und Denny die Band, um mit Fotheringay eine eigene Band zu starten…. und Fairport Convention wurden zum sich bis heute drehenden Karussell für Folk-Veteranen.
Matthews Southern Comfort
s/t
(MCA, 1969)
Auf den ersten beiden Alben von Fairport Convention war Ian Matthews noch einer der Protagonisten und Songwriter der Band – aber als die Band sich immer mehr dem britischen Folk zuwandten (siehe hier oben…), verabschiedete Matthews sich, um seinen eigenen – eher dem US-Folk und Country anverwandten Stil zu etablieren. Tatsächlich widmet Matthews dieses erste Album auf dem Back-Cover den Kollegen mit den Worten „Dedicated to Fairport Convention who showed me new directions“. Und – Ja – zu Beginn waren die ja auch noch näher am US-Folk gewesen – sie hatten schließlich immer wieder Dylan gecovert – aber im erignisreichen Jahr ’69 wandten sie sich dem britischen Folk zu – was sie nicht daran hinderte, mindestens personell auf Matthews’s Southern Comfort mitzutun. Richard Thompson macht mit, Ashley Hutchings und Simon Nicols sind dabei – aber ganz wichtiger Bestandteil des Sounds von Matthews Band ist Gordon Huntley’s Steel-Guitar, die die Songs hier immer wieder in ein warmes Wild West Sonnenuntergangs-Licht tauchen. Andererseits ist „The Castle Far“ deutlich britischer Folk – mit Richard Thompson’s Gitarre und der Brit-Folk Ur-Mutter Dolly Collins an der Flöte (!). Dennoch muss ich sagen: Matthews’s Southern Comfort ist weit mehr Westcoast- als britischer Folk, ich würde es in dem entsprechenden Artikel beschreiben – wären die beteiligten Musiker nicht ausnahmslos Briten mit Folk-Hintergrund. Songs wie „Fly Pidgeon Fly“ sind klar von Country beeinflusst. Hinter dem Produzenten und Co-Songwriter „Steve Barlby“ verbargen sich die Songwriting-Partner Ken Howard und Alan Blaikely, die zu der Zeit Matthew’s managten. Das Album schwebt so sehr angenehm zwischen den Welten – man höre nur das schöne „For a Friend“. Matthews etablierte sich mit dieser Band als Songwriter, die beiden im kommenden Jahr folgenden Alben Second Spring und Later That Same Year kranken ein wenig an der Eile, in der sie hinterher geschossen wurden – und daran, dass – bis auf den Steel-Guitar Player – kein konstantes Personal dabei war. Schön sind sie aber allemal, Matthews sanfte Stimme und sein Songwriting zwischen Folk und Country sind der Entdeckung wert.
Strawbs
s/t
(A&M, 1969)
Für kurze Zeit war Sandy Denny Mitglied bei den Strawbs gewesen hatte auf deren erstem – zunächst nicht veröffentlichtem Album – ein paar Songs eingesungen um dann zu Fairport Convention zu gehen. Das übrig gebliebene Trio um den Gitarristen und Sänger Dave Cousins bekam bald nach ihrem Weggang einen Vertrag bei A&M und spielte dieses gleichnamige Debütalbum ein. Natürlich profitierten die Musiker von ihrer großen Live-Erfahrung, aber auf den ersten Blick ist das hier recht traditionell angehauchter Folk Rock – allerdings hatte Dave Cousins die Stücke allesamt selbst geschrieben und sich damit als talentierter Songwriter ausgewiesen. Der später durch seine Zusammenarbeit mit David Bowie so bekannte Tony Visconti produzierte das Album und diverse Gastmusiker gaben den Songs reichen instrumentalen Background. Manche der Songs schienen direkt aus der Zeit von Queen Elizabeth I ins Jahr ’69 transferiert, „That Which Once Was Mine“ wird von Blockflöte getragen, die angeblich Visconti beisteuerte, der bekannteste Song ist wohl „The Man Who Called Himself Jesus“ – aber das Album enthält einige Highlights und funktioniert locker über seine knapp 40 Minuten Dauer. Strawbs wird angesichts der folgenden, moderner klingenden, rockigeren Alben der Band etwas stiefmütterlich behandelt. Zu Unrecht, es mag nicht so gut sein wie die Alben von Fairport, aber es bietet schönen Folk anno ’69.
The Pentangle
Basket Of Light
(Transatlantic, 1969)
Dass es allerdings noch andere Wege gab, Folk in die populäre Musik des 20- Jahrhunderts zu transferieren, hatten in den Jahren zuvor auch The Pentangle bewiesen. Und auch deren Stärken lagen zu einem großen Teil in den instrumentalen Fähigkeiten ihrer Mitglieder: Bert Jansch und John Renbourne konnten quasi alles was Saiten hat virtuos bedienen, Jerry Cox (dr) und Danny Thompson (b) waren zwar fest im Folk verwurzelt, hatten aber ein äußerst „jazziges“ Verständnis für Rhythmus – Insbesondere Bassist Danny Thompson würde sich – wie Jansch und Renbourne – über die kommenden Jahrzehnte als einer der ganz großen seiner Zunft entpuppen und Jacqui McShee’s kristallklare Stimme war für Folk schon fast ZU ätherisch. Mit der Single „Light Flight“ und dem Album Basket of Light im Gefolge hatten sie so etwas wie einen Hit in den Album-Charts (Ja, so was ging 1969…). Aber das restliche Material – und hier insbesondere eigene Songs wie der psychedelische „Train Song“ (neben dem üblichen traditionellen Material) – waren Folk-Jazz-Rock eigenwilligster Prägung… sie schafften es ebensogut wie Fairport Convention auch traditionellem Material wie „Once I Had a Sweetheart“ einen eigenen Stempel aufzudrücken und in ihre Zeit zu heben und sie ließen den selbst verfassten „Hunting Song“ klingen als wäre er vor 500 Jahren geschrieben worden und nun neu entdeckt… Nur Eines: Nach soviel Märchen brauchte man damals vermutlich die Stooges
Bert Jansch
Birthday Blues
(Transatlantic, 1969)
Bert Jansch war (wie oben beschrieben) eigentlich mit seiner Band The Pentangle beschäftigt, aber offensichtlich hatte er noch Material, das nicht in das Bandkonzept passen wollte: Auf Birthday Blues, seinem fünften Solo-Album, spielte mit Jerry Cox und Danny Thompson zwar die Rhythmussektion von The Pentangle mit, und Jansch’s Gitarrenspiel wird man – zumal zu dieser Zeit – automatisch mit seiner Band in Verbindung gebracht haben, aber auf Birthday Blues war das komplett selbstverfasste Material etwas blues-lastiger, teils durch dezente Orchestration und die Produktion des The Who-Produzenten Shel Talmy aus der Folk/Jazz/Klassik-Ecke heraus gehoben. Jansch’s Gitarrenspiel ist natürlich über jeden Zweifel erhaben, nicht umsonst gilt er – zusammen mit Richard Thompson – als einer der besten Gitarristen Englands. Manche der Songs sind nicht ganz auf dem Niveau seines Debüt’s von 1965, aber er hatte schließlich in kurzer Zeit eine Menge Material – Solo und mit Band – verfassen müssen. Immerhin war er gerade frisch verheiratet und das junge Glück ließ sich im Instrumental „Miss Heather Rosemary Sewell“ und bei „I’ve Got A Woman“ erahnen und der „Train Song“ gehört zu Jansch’s besten Kompositionen (… das will was heißen…) und lässt Birthday Blues – trotz des Titels – klingen, wie einen angenehmen Urlaub vom Bandalltag. Dass Jansch auch in den folgenden Jahren eine ganze Reihe formidabler Alben aufnahm, die wegen ihrer Sparsamkeit und Coolness zeitlos geblieben sind, muss angemerkt werden…
Shirley & Dolly Collins
Anthems In Eden
(Harvest, 1969)
Achtung ! Dieses Album ist hier in gewisser Weise ein Fremdkörper – denn es bietet Folk in einer sehr traditionellen Form. Shirley Collins und ihre Schwester Dolly haben eine traditioneller klingende Herangehensweise an die Folk-Musik Großbritanniens, als die in den Zeilen zuvor vertretenen Bands und Musiker. Aber sie finden immer wieder – gerade WEIL sie sich der Idee des Folk als „Volks“ Musik verpflichtet fühlen – eine wunderbar offene Herangehensweise an ihr Material. Für ihr erstes gemeinsames Album Anthems In Eden suchte sich das Geschwisterpaar ganz logisch und konsequent Traditionals aus, verfasste aber auch ein paar Songs selber, coverte mit „God Dog“ die Incredible String Band und vertonte dieses Material im Gegensatz zu anderen Folk-Bands der Zeit mit mittelalterlichen Instrumenten. Die komplette erste Seite des Albums erzählt in „A Song Story“ eine Geschichte aus der Zeit des Ersten Weltkrieges, getragen von, Dolly Collins` unheimlichem Harmonium und Shirley Collins wunderbarem Gesang. Die hat (man muß es wirklich betonen!) eine Stimme, die so nur in England möglich zu sein scheint und die nach exakt den Arrangements verlangt, die Dolly Collins zusammen mit David Munrow durch Instrumente wie Kornett, Krumhorn und Dudelsack herstellte. In Songs wie dem irischen Folk-Frühlingsboten „Bonny Cuckoo” – allein Shirley’s Stimme und ihr Banjo – oder bei der ernsten Warnung vor dem unsicheren Kantonisten “Rambleaway” entsteht dadurch eine außerweltliche Atmosphäre – eine Atmosphäre die mich heute eher an den (archaisch/ modernen) Freak Folk der beginnenden 00er Jahre erinnert, die vielleicht gerade dadurch außerhalb aller Moden besteht. Auch Anthems in Eden ist ein Meilenstein des Folk der späten Sechziger – aber einer, der wenig mit dem Folk-Rock Fairport’s gemeinsam hat…
Michael Chapman
Rainmaker
(Harvest, 1969)
Auf Michael Chapmans zweitem Album kann man schon allein an der Liste der Mitwirkenden erkennen, wes‘ Geistes Kind der Mann war: Danny Thompson von Pentangle spielt Bass, der spätere Bowie Sidekick Mick Ronson hilft an der Gitarre aus, Blues-Drummer Aynsley Dunbar trommelt, und der spätere Elton John Intimus Gus Dudgeon produziert das Ganze. Ja, Chapman selber war von vorne herein stark von Jazz und Blues beeinflusst, aber er hatte seine Erfahrungen zuerst einmal in den Folk-Kreisen um Roy Harper und John Martyn gesammelt,.. Und Rainmaker ist definitiv ein Folk-Album – mit etlichen Auswüchsen in andere Richtungen. Womit es in ein Jahr wie 1969 passt. Michael Chapman selber war (und ist) einer der ganz großen Gitarristen – er spielt hier sowohl elektrische Gitarre als auch akustisches Folk-Picking – stilistisch irgendwo zwischen John Martyn und Bert Jansch, aber zweifellos auf deren Niveau. Er ist ein hervorragender Songwriter, mit einem Sinn für kluge Lyrics und feine Hooks – und mit einer unnachahmlich gleichmütigen Stimme, der man kaum anhört, dass er erst kurz vor Beginn der Aufnahmen begonnen hatte, zu singen. Schon im Opener „It Didn’t Work Out“ erzählt er weltmüde und fatalistisch von einer zerbrochenen Liebe, „No One Left to Care“ hat bedrohliche Untertöne, klingt nach Folk und Blues und bekommt durch die offen gestimmte Gitarre einen regelrechten Drone verpasst. Heute wird Chapman als britisches Pendant zu John Fahey gehandelt – inzwischen passt das auch durchaus – aber er bleibt ein völlig eigenständiger Künstler. Leider ging Rainmaker in einem Jahr wie diesem in der Flut der fantastischen Alben unter. Es ist aber inzwischen mindestens in Kenner-Kreisen als Diamant anerkannt.
Roy Harper
Folkjokeopus
(Liberty, 1969)
Roy Harper ist Vielen eher als Freund und Mitspieler der Pink Floyd-Mannschaft aus deren erfolgreichsten Tagen bekannt. Die Alben, die er in der Zeit seit Ende der Sechziger selber machte, wurden nie so erfolgreich, wie sie es verdient hätten. ’69 hat er schon zwei Alben hinter sich – mit Musik, die sich zunächst noch stark an den psychedelischen Klängen ihrer Zeit orientieren – die er aber auch da schon durch seinem sturen Individualismus, seine deutlicheren politischen Positionen, als Ende der Sechziger in diesen Kreisen üblich, durch komplexen Kompositionen, die gerne mal die 10-Minuten Marke überschreiten und durch sehr versiertes Gitarrenspiel gekennzeichnet sind. Das dritte Album Folkjokeopus läutet Harper’s eindeutige Hinwendung zum britischen Folk ein. Nun wird der Ton seiner Stimme klarer erkennbar, die Folk-Einflüsse sind vor Allem beim zentralen „McGoohan’s Blues“ erkennbar, einem 18-minütigen Epos, der Dylan erblassen lassen könnte. Hier redet Harper sich gegen die kapitalistische techno-theokratische Gesellschaftsordnung in Rage, und bezieht klar Position, wo andere Musiker im Ungefähren bleiben. („…and the world that Christ fought is supported by using His name). Andere Tracks sind zwar noch vom (zeitgemäßen) britischen Psychedelic Rock dieser Tage geprägt, haben aber alle Eigenschaften, die Roy Harper so besonders machen: Sein virtuoses Akustik-Gitarrenspiel, seine ungewöhnlichen Harmonien, seine eigenwillige, etwas nasale Stimme. „In Time of Water“ arbeitet mit Raga-Motiven, „Composer of Life“ könnte der Incredible String Band an einem guten Tag eingefallen sein und „Some Control“ und „Manana“ rahmen „McGoohan’s Blues“ mit ebenso scharfen wie witzigen Lyrics ein. Keine Ahnung – vielleicht war Harper für den Durchschnitts-Hörer immer ein bisschen ZU zynisch und eigenwillig. Andere Musiker haben ihn immer wieder bewundert und er hat einige ganz großartige Alben geschaffen. Dieses ist das erste in einer Reihe, die in den kommenden Jahren folgen wird. Höhepunkt wird dann das ’71er Album Stormcock. Das MUSS man haben…
Al Stewart
Love Chronicles
(CBS, 1969)
Der Glasgewian Al Stewart wird (in meiner Generation…) vermutlich immer mit seinen Mitt-Siebziger Folk-Pop Hits verbunden werden: Mit Songs wie „Year of the Cat“ und „Time Passenger“ und dem Sound, den er sich von Alan Parsons auf den Leib schneidern ließ. Dass Stewart davor sechs sehr gelungene Folk-Rock Alben abgeliefert hatte, ist weniger bekannt – und Schade. Stewart ist ein feiner Gitarrist, ein noch besserer Texter/Geschichten-Erzähler und Songwriter mit etwas zu freundlicher Stimme (für meinen Geschmack immerhin…). Aber wenn ich (…nur Ich…) über diese Manko hinweghöre, kann ich ein Album wie Love Chronicles nur rückhaltlos bewundern und empfehlen. Dass Love Chronicles so naiv freundlich/fröhlich klingt kommt nicht von ungefähr. Al Stewart war zu jener Zeit frisch verliebt und hatte die Songs und Texte, diese Liebe zu preisen – und er hatte Songs und Texte in denen er deutliche soziale Kommentare abgab. Nehmen wir nur „Life and Life Only“, seine Fortsetzung von Dylan’s „It’s Alright Ma (I’m Only Bleeding)“ wo er singt: „Mr Willoughby/ Who’s only luxury/ Is the sugar in his tea…“ oder die fast acht-minütige „Ballad of Mary Foster“, in der das Leben der Nachkriegs-Generation mit all seinen spießigen Regeln und Enttäuschungen auf’s bildhafteste beschrieben wird. Er hat eine unnachahmliche Art, den Alltag zu beschreiben, die im 17-minütigen, natürlich autobiografischen Titeltrack ihren Höhepunkt findet. Und noch etwas spricht für dieses Album: Als Begleiter hat er vier Mitglieder von Fairport Convetion an seiner Seite – unter anderem den großartigen Richard Thompson, sowie den zu dieser Zeit extrem populären Led Zeppelin-Gitarristen Jimmy Page (und auf einem Track auch Led Zep Bassist John Paul Jones). Instrumental steht das Album also auf hohem Podest. ’69 ist ein Jahr, in dem hervorragende Alben im Wochen-Rhythmus erscheinen, vielleicht ist Love Chronicles wegen dieses Überangebots relativ obskur geblieben. Dazu ist britischer Folk trotz seines End-Sechziger Popularitäts-Schubes immer eine Sache für Liebhaber und Kenner geblieben. Würde ich gerne hiermit ändern…
Al Jones
Alun Ashworth Jones
(Parlophone, 1969)
Der Gitarrist und Folk-Singer/ Songwriter Alun Ashworth-Jones macht sich zunächst in der Musik-Szene Bristol’s einen Namen, spielt im Trio mit dem Harmonika-Player Elliot Jackson und dem späteren Folk-Club- und Magazin-Gründer (Folk Roots…) Ian A. Anderson (… der mit Ian Anderson von Jethro Tull nichts zu tun hat…) Blues, ehe er sich Richtung London und Folk orientiert. Er freundet sich mit Pentangle’s John Renbourne und Bert Jansch an – die seine Fähigkeiten als Gitarrist, Sänger und Songwriter schätzen, spielt im In-Club „Les Cousins“ und lernt dort etliche bald bekannte Musiker kennen (John Martyn, Nick Drake, Gordon Giltrap – und den Folk-Producer Sandy Roberton…) und bekommt die Gelegenheit seine Songs für das Parlophone Label aufzunehmen. Das nach ihm benannte Album ist ein weiterer versunkener Edelstein des britischen Folk. Warum auch hier kein größerer Erfolg zustande kam, ist ein bisschen rätselhaft und vor Allem Schade. Die Songs sind verträumter elektrischer Folk mit Blues-Anleihen, mit prominenter Flöte von Harold McNair und mit der in diesem Zusammenhang wunderschönen und erstaunlichen Steel-Gitarre von Gordon Huntley. Bass spielt der spätere Jazz-Könner Percy Jones, dazu beweist Al Jones bei Instrumentals wie „Ire and Spottiswoad“ und dem durch die Steel fast country-haften „River Bend“ beachtliches Können an der Gitarre. Aber auch hier wäre das instrrumentale Feuerwerk ohne Songs wie „Siamese Cat“ oder „Big City, bei dem er seine Erlebnisse mit seinem Freund Anderson in London vertont, völlig nutzlos. Dass Jones nicht weiter Musik machte, hat viel mit Pech, unglücklichen Entscheidungen, schlechter Promotion und seinem mangelnden Interesse an einer „Pop“ Karriere zu tun. 1972 kam noch ein etwas profaneres Folk-Album zustande und dann machte Jones erst in den Neunzigern wieder öffentlich Musik, dieses Album hier gibt es als CD mit haufenweise Bonus-Material, es lohnt sich danach zu suchen, die ’69er LP ist gebraucht extrem teuer..
Bridget St. John
Ask me no Questions
(Dandelion, 1969)
Mit Bridget Anne Hobbs aka Bridget St. John kommt eine britische Solo-Künstlerin an die Reihe, die sich selber als musikalische Verwandte von John Martyn und Michael Chapman bezeichnete, eine Künstlerin, die den Namen des Radio DJ’s John Peel ins Spiel bringt, der die Folkrock-Explosion jener Jahre genauso wach verfolgt, wie er die gesamte Rockmusik von Beat bis Techno sehr geschmackssicher begleitet hat. Peel gründete 1969 – ausdrücklich wegen ihr – Dandelion Records und verschaffte ihr so die Möglichkeit ihre Musik an die Öffentlichkeit zu bringen. St. John hatte zuvor mit Al Stewart für die berühmten Peel Sessions ein paar Songs aufgenommen, Ask Me No Questions wurde dann von John Peel selber in wenigen Stunden aufgenommen und hatte auf zwei Songs John Martyn als Gast… Aber das namedropping soll nicht von der Klasse von Bridget’s Songs, ablenken, von der Eigenständigkeit und Kraft ihrer dunklen Stimme, die an Nico denken lässt – eine Nico ohne Akzent und mit Sinn für Melodik allerdings. Ask Me No Questions ist logischerweise sparsam aufgenommen – was den Songs einerseits gut tut, aber auch eine gewisse Eintönigkeit erzeugt – die folgenden zwei Alben für Dandelion sind dann „üppiger“, aber Songs wie „I Like To Be With You in the Sun“ oder „Autumn Lullaby“ brauchen eigentlich keine Verzierungen. Man könnte Bridget St. John mit Nick Drake vergleichen (der hier auch hingehört – ich weiss – aber er ist eben im Artikel Singer/Songwriter untergekommen – da wiederum passt St- John auch hin…). Oder man kann sie mit der frühen Chan Marshall aka Cat Power vergleichen. Letztlich aber braucht sie keine Vergleiche. Man höre nur den absurden Text und die bezaubernde Melodie von „Lizard-Long-Tongue Boy“ – Folk(-Rock) 1969 ist ein Fest der Individualisten und Exzentriker. Und Bridget St. John’s erste drei Alben sind toll.
Ralph McTell
Spiral Staircase
(Transatlantic, 1969)
Hier zuletzt zwei Folk-nahe britische Musiker, die – zu Recht oder zu Unrecht ? – weit mehr Erfolg hatten, als Al Jones oder Bridget St. John. Ralph McTell etwa hatte zu seinem Glück oder Unglück – mit „Streets of London“ den einen, lebenslangen Hit, der ihm vermutlich immer noch die Rente sichert – und alle anderen künstlerischen Entäußerungen erdrückt haben dürfte. Er ist ein versierter Gitarrist und Harmonika-Spieler, beeinflusst von alten Bluesmusikern wie Robert Johnson und Blind Blake, er ist ein hervorragender Storyteller, der mehr zu bieten hat, als nur den einen Hit, der dieses Album eröffnet. Er lässt sich auf Spiral Staircase – seinem zweiten Album übrigens – wo nötig von der hervorragenden aber unbekannten Famous Jug Band begleiten (auch John Peel-Favoriten übrigens), dazu verpasst ihm der bald mit Elton John so erfolgreiche Gus Dudgeon (der auch Michael Chapman produziert hatte – siehe oben) eine warme, mitunter ein bisschen plüschige Produktion mit ein paar Orchesterparts. McTell’s Folk ist melancholisch und logischerweise nah am Blues, aber er ist weit mehr, als der eine Hit vermuten lässt. Da sind Song-Preziosen wie „Daddy’s Song“, „England 1914“ oder der Closer „Terminus“, die zwar durch ihre Produktion ein bisschen in ihrer Zeit gefangen scheinen, aber eben auch wunderbares Songwriting bieten. Und der Jug-Band Sound und das bluesige Fingerpicking sind sehr gekonnt und eigenständig – wie in der Beschreibung des Bridget St. John-Albums gesagt: Folk(Rock) 1969 ist ein Fest der Individualisten.
Sweeney’s Men
The Tracks of Sweeney
(Transatlantic, 1969)
Zuletzt (in diesem „Kapitel“ der Geschichte der populären Musik) muss ich von Sweeney’s Men berichten – einer der besten irischen Folk-Bands, die sich um die Modernisierung der irischen Folkmusik auf eigene Art verdient gemacht hat. Irgendwann Mitte der Sechziger hatte die Band als Trio in Irland begonnen, irgendwann kam mit Terry Woods ein 12-String Gitarrist dazu, der in den USA gewandert war, und der amerikanisches Folk-Liedgut mitbrachte. Irgendeiner im Trio brachte eine Bouzouki mit, ein anderer die Konzertina und Sweeney’s Men nahmen ein etwas traditionelleres Debüt auf, traten auf dem Cambridge Folk Festival auf, verloren dort den zwischendurch dazu geholten Henry McCullough an Joe Cocker’s Grease Band (der dann irgendwann sogar zu Paul McCratney’s Wings wanderte!!) und machten hier als Duo aus Terry Woods und Johnny Moynihan ihr zweites Album. Eines, das irische, schottische und amerikanische Folkmusik auf’s wunderbarste verbindet. The Tracks of Sweenry (der Name ist einem Roman des absurd-komischen irischen Schriftstellers Flann O’Brien entnommen) ist in seinem freien Umgang mit den Wurzeln des Folk nah an der Incredible String Band, es gibt mit „Hall of Mirrors“ – von Woods und Moynihan geschrieben – unfassbar schönen psychedelischen irischen Folk, mit „Afterthoughts“ einen, der nah an Nick Drake’s beste Songs kommt, und mit „Dreams For Me“ einen weiteren Song, der die Grenzen irischer Folkmusik ganz ganz weit in Richtung Folkrock verschiebt. The Tracks of Sweeney ist ein unzweifelhaftes Highlight unter den Veröffentlichungen des Jahres ’69, und auch hier ist die Obskurität unverdient. Die Band löste sich noch ’69 auf, aber Terry Woods machte mit seiner Frau Gay als The Woods Band 1971 eine weitere tolle LP, spielte mit Steeleye Span, Dr. Strangely Strange, den Pogues etc… und John Moynihan ging zu den tollen Planxty, deren erste zwei Alben mindestens gehört werden müssen.
Zum Abschluss
Wie hier schon mehrmals im Text dargestellt – die Grenzen zwischen Folk, Folkrock, Psychedelic Rock und Singer/Songwriter-Zeug sind fließend – gerade in einer Zeit wie dem Ende der Sechziger, als die Jugend sich von Zwängen und Reglementierungen jeder Art via Rock’n’Roll befreit hat. Zumal viele Musiker sich gerne genre-übergreifend gegenseitig inspirieren und helfen, aus Clubs wie dem UFO, dem Les Cousins und von diversen Touren und Festivals kennen. Also ist die Auswahl hier oben weder dogmatisch, noch verpflichtend als Leitfaden. Ich habe eher nach Lust und Laune Alben kombiniert, Nick Drake einen Singer/Songwriter genannt, T.Rex als Vorläufer des psychedelischen Freak Folk in einem anderen Kapitel eingeordnet, in das The Pentangle oder die Collins-Schwestern genauso gut passen würden. Dies ist meine Auswahl für die besten Folk-Alben 69 – hör‘ sie dir an, kann man alles auf Spotify oder YouTube finden. Es ist seltsamerweise sehr zeitlose Musik – vielleicht WEIL sie sich auf Vorbilder beruft, die wirkten, als es außer mündlicher Überlieferung keine musikalischen „Dokumente“ gab – was diese Musik so frei macht..