1967 – John Coltrane bis Peter Brötzmann Trio – Das „Golden Age of Free Jazz“ Teil 2 – Neues Selbstbewusstsein

Free Jazz Alben kann man seit dem Ende der Fünfziger finden, aber das erste eindeutige so benannte seiner Art ist natürlich Ornette Coleman’s Free Jazz – A Collective Improvisation By The Ornette Coleman Double Quartet. Aber wie das mit allen Genre’s so ist: Einen wirklichen Startpunkt für Free Jazz kann kann man natürlich nicht durch eine Jahreszahl definieren.

Cecil Taylor’s Jazz Advance ist von ’57, Coleman z.B. hat auf seinem 59er Album The Shape of Jazz to Come Sachen gemacht, die sehr „Free“ waren – und Sun Ra ist schon seit Ewigkeiten äußerst frei. Das gilt auch für Free Jazz Koryphäen wie Coltrane, Kirk, Cherry, Ayler etc. Aber – seit ’66/’67 regnet es Free Jazz-Alben – die mehr (oder auch weniger) beachtet werden. Ende der Sechziger ist das die Sparte im Jazz, die die größten Innovationen, die begeisterndste Musik, die höchste Qualität auf einer großen Anzahl von Alben bietet. Es ist die goldene Zeit des Free Jazz. Und so habe ich für 1967 zum zweiten Mal nach ’66 einen ganzen Artikel mit dem Themenschwerpunkt Free Jazz als lohnend erachtet. Das wird weiter geführt, aber hier fangen wir mit dem traurigen Faktum an, dass am 17. Juli ’67 mit John Coltrane eine der wichtigsten Figuren des Jazz und eben auch der Erfinder des sog. „New Thing“ an Leberkrebs stirbt. Wie gesagt, die Ausformulierung auf LP erfolgt inzwischen durch verschiedene Künstler – und die brechen die Regeln inzwischen mit noch größerer Lust und noch größerer Konsequenz. Ich denke, die Tatsache, dass dies die Zeit gesellschaftlichen Aufruhr’s ist, die Zeit, in der insbesondere afro-amerikanische Musiker beginnen, sich gegen die fortgesetzte Diskriminierung zu wehren, dass sie ihre eigene Stimme auch musikalisch deutlich zu Gehör bringen wollen. Und dass sie mit dieser Stimme bewusst provozieren und Regeln brechen wollen, hat die rasante Entwicklung des Free Jazz befeuert. Diese Entwicklung spiegelt sich in den Programmen von Labels wie Impulse! Und Blue Note wieder, sie führen dazu, dass es jetzt etliche selbstbewusste Musiker gibt, die das tun, was Free Jazz macht: „Free Jazz attempts to break free from the conventions and patterns imposed by earlier Jazz subgenres in terms of melodic, harmonic and rhythmic sequences and changes within which improvisation, one of the essential aspects of Jazz, occurs. Dissonance, atonality, disposal of regular harmonic structures and increased rhythmic changes are prevalent in the style“. Also versucht es mal und hört euch ein paar dieser lärmenden Alben an. Gerade ihr, die ihr sonst nur Dissonanz light hören wollt. Hier findet sich Musik, die mit einer Konsequenz gemacht wird, die jeden beeindrucken sollte. Hier gibt es (glaube ich) kaum Kommerzialität, sondern nur Neugier, Forschergeist, Verweigerung gegenüber Regeln… Das, was die Musik, die ich liebe, ausmacht.

https://music.apple.com/de/playlist/der-gro%C3%9Fe-rockhaus-1967-the-golden-age-of-free-jazz/pl.u-2aoqq8yuNvb4X3K

Albert Ayler – Albert Ayler in Greenwich Village

(Impulse!, 1967)

Eines meiner liebsten Free Jazz Alben – eines, das auch von Kennern inzwischen anerkannt wird – aber dazu lies bitte im Hauptartikel ’67…

John Coltrane
Kulu Se Mama

(Impulse !, Rec. 1965 – Rel. 1967)

Kulu Se Mama wurde im Januar 1967 veröffentlicht. Es ist das letzte Album, das zu Coltrane’s Lebzeiten veröffentlicht wurde. Aufgenommen wurde es allerdings schon 1965 mit dem damaligen John Coltrane Quartet – erweitert um Musiker wie Pharoah Sanders, Donald Garrett, Frank Butler und den Texter des Titelstückes, Juno Lewis. Coltrane war mindestens seit ca ’64 sowas von in Form – es gibt einfach eine ganze Kiste voller interessanter Sessions, bei denen er und seine jeweiligen Mitstreiter sich in Gefilde weit jenseits des Hard-, Be, oder Post-Bop wagten. Und so ist dann auch Kulu Se Mama ein weiterer Schritt auf Coltranes‘ Suche nach einer adäquaten musikalischen UND spirtuellen Ausdrucksweise. Die Aussage, dass dieses Album genauso wenig Free Jazz ist, wie das weiter unten beschriebene Album Expressions, finde ich nicht falsch. Coltrane gilt zwar als (eine von mehreren) Gründerfigur(en) des Free Jazz, aber letztlich blieb er meistens innerhalb bestimmter Regularien – oder einfach gesagt: Auch wenn seine Aufnahmen noch so „Free“ genannt werden – er blieb immer gerne harmonisch, sein Free Jazz kommt mir weniger harsch vor – und wurde lustigerweise in Jazz-Kreisen eher als „New Thing“ bezeichnet. Der Titel-Track dieses Albums basiert auf einem Gedicht von Juno Lewis, über die Coltrane und Band semi-tribalistische Musik legt. Da bringen natürlich insbesondere die rasanten Percussion die Musik zum Kochen. Der Track ist ein weiterer Beweis für Coltrane’s Bedeutung für die schwarze Community in den USA. Musik so klar zu thematisieren zeugt vom Selbstbewusstsein, und dass gerade ER gehört wurde, sollte klar sein .„Vigil“ – das andere zentrale Stück hier, schwebt genau zwischen den Formalismen von A Love Supreme und den fragmentierten Strukturen, die Coltrane nach seinem bahnbrechenden ’65er „Hit-Album“ erforschte (Das IMO KEIN Free Jazz-Album ist. Aber wer bin ich, eine musiktheoretische Untersuchung zu starten). So ist Kulu Se Mama ein weiteres Beispiel für Coltrane’s revolutionären Forschergeist in einem Jahr, in dem er dem Jazz einen enormen Popularitäts-Schub versetzte

John Coltrane
Expression

(Impulse !, 1967)

… aber aktueller als Kulu Se Mama war noch das nach seinem Tode veröffentlichte Album Expression: Es schien, als hätte John Coltrane in den Sessions von Februar bis März 1967 – die die Letzten für ihn waren – gewissermaßen Frieden mit sich selbst geschlossen. Die Expressivität seines bisweilen schmerzhaften (Free) Jazz der letzten beiden Jahre auf Alben wie Meditations und Ascension wich einer unerwarteten Hinwendung zu Melodik und Impressionismus. Wer weiss, vielleicht hätte er damit wieder einen Schritt in eine andere stilistische Richtung getan, auf dem ihm seine Kollegen gefolgt wären. Coltrane war zweifellos – wie Miles Davis – einer dieser Musiker, denen andere folgten. Aber er starb wie gesagt im Juli 1967 – vier Monate nach den Aufnahmen – für alle Aussenstehenden überraschend an Leberkrebs. Es könnte sein, dass die relative „Ruhe“ von Expression dieses Album so hat in Vergessenheit geraten lassen. Es scheint aus der Rolle zu fallen, weil ein Track wie das 16+minütige „To Be“ eher nach Kammermusik denn nach Free Jazz klingt. Da umschwirren einander Coltrane an der Querflöte, Pharoah Sanders an der Piccolo-Flöte und Coltrane’s Frau Alice am Piano 16 Minuten lang wie Schmetterlinge. Da gibt es kaum mal harte und rohe Free-Ausbrüche. Auch bei „Offering“, einem Duett mit Schlagzeuger Rashied Ali, (der mit ihm im Februar ’67 das wiederum SEHR „freie“ Album Interstellar Space aufgenommen hatte) lässt Coltrane immer wieder kontrolliert freie Ausbrüche auf dem Tenorsaxophon von der spirituellen Emphase seines Schlüsselwerkes A Love Supreme kontrastieren. Und dann ist da der Titeltrack des Albums – übrigens Coltranes letzte Studioaufnahme – auf dem er die Erfahrungen aus den letzten Free Jazz Aufnahmen mit der Suche nach lyrischer Schönheit paart. Die Frage bleibt: Hatte er einen neuen Plan, oder war das nur ein Schuss ins Blaue? Wir werden es nie erfahren..

Pharoah Sanders
Tauhid

(Impulse!, 1967)

Welche Rolle Pharoah Sanders im Coltrane-Kosmos spielte, ist an seiner Vielzahl von Beteiligungen auf den Post-A Love Supreme Alben ab 1965 ablesbar. Aber Sanders war nicht nur Schüler. Er war ein gleichberechtigter Partner – die Klasse seiner Impulse! Alben nach Coltrane’s Tod, die Tatsache, dass Coltrane’s Witwe mit ihm ihren ’70er Klassiker Journey In Satchidananda aufnahm, seine Bedeutung in der Black Community als Verwalter von Cotrane’s musikalischem Erbe – all das zeigt, dass hier ein Schwergewicht am Werk war. Tauhid (Bedeutet: Glaube an die Einzigkeit Gottes) war sein erstes Album für Impulse! Zuvor war er in Sun Ra’s Dunstkreis zum Spitzen-Player gereift, hatte ein Album für das ESP-Disk Label aufgenommen, das ihm selber nicht gefiel, aber Tauhid – am 15.November ’66 aufgenommen, begeisterte er die Fachwelt und seine Kollegen. Es ist das erste Album, auf dem Free-Gitarrist Sonny Sharrock zu hören ist, und mit Henry Grimes ist ein ganz grosser Jazz-Bassist dabei – und auch dieses Album ist (finde ich…) für „Free Jazz“ sehr harmonisch, auch wenn die Musiker hier passagenweise in wilde Improvisation ausbrechen. Programmatisch für Sanders‘ „New Thing“ (siehe Coltrane) steht der 16- minütige Opener „Upper Egypt and Lower Egypt“. Das fließt ruhig dahin, ist in Passagen bezaubernd melodisch, wird von exotischen Percussions-Tropfen durchzogen – um ab Minute 9 Sanders feuriges Saxophon loszulassen. Für mich ist das eher „A Love Supreme“-artiger Spiritual Jazz als Free Jazz a la Ornette Coleman – und es ist wunderschön. Nett, wie das Album von dem ruhigen Intermezzo „Japan“ unterbrochen wird, um dann im Track „Medley: Aum/Venus/Capricorn Rising“ zu explodieren -und erstmals wirklich nach Free Jazz zu klingen, wie er gemäß Vorurteil zu klingen hat. Sanders‘ zwei beste Alben Karma und Black Unity folgen’69 und ’72. Bis dahin hat er sich komplett frei geschwommen.

Archie Shepp
Mama Too Tight

(Impulse!, Rec. 1966, Rel. 1967)

Wer bis hier hingehört hat, wird es erkennen: Das Vorurteil, dass Free Jazz ohne Harmonie, Schönheit oder gar Virtuosität auskommen will, dass da unstrukturiertes Chaos generiert wird, ist nachweislich falsch. Einer der Protagonisten – und ein weiterer Partner von Coltrane – war Vernon „Archie“ Shepp. Der Mann war/ist ein virtuoser Saxophonist und ein hochgebildeter, politisch engagierter Literatur-Wissenschaftler, der mit allen möglichen Koryphäen des Jazz gespielt hat. Mit Bill Dixon (siehe unten) hatte er ein großartiges Album mit einem leider sehr kurzlebigen Ensemble engespielt und er war John Coltrane’s Partner auf dessen Free Jazz Explosion Ascension gewesen. Sein erstes, sehr gutes Album für Impulse! hieß nicht umsonst Four for Trane, aber dieser Titel brachte ihm den wenig schmeichelhaften Vorwurf ein, nur ein wenig individueller Kopist zu sein. Natürlich Quatsch: seine Bewunderung für das „New Thing, das sein Freund initiiert hatte, ging nicht über die anderer Kollaborateure hinaus. Er nannte mit jenem Album nur den Einfluss beim Namen – hatte aber von Beginn an einen eigenständigen Stil: Sein Ding waren nicht die „Sheets of Sound“, die Coltrane so berühmt gemacht hatten und die Pharoah Sanders durchaus in sein Spiel integriert hatte. Er spielt „traditioneller“, variierte das Tempo, spielt mit Laut-Leise-Dynamik, ist offenbar von afrikanischer Folklore und Ellington beeinflusst (und benennt das auch in den Liner Notes) – und er ist politisch expliziter als Coltrane oder Sanders. Das zentrale Stück von Mama Too Tight – „A Portrait of Robert Thompson (as a young man)“ ist eine laute, wilde, dreiteilige Suite von fast zwanzig Minuten, in der er traditionellen Jazz, Ellington’s „Prelude to a Kiss“ und Free Jazz mit der Klage über das Leben und den frühen Heroin-Tod (1966) des schwarzen Jazz-Expressionisten Bob Thompson verbindet (…dessen Bilder man sich mal anschauen sollte). Der Titeltrack wiederum ist eines der wütendsten Stücke Free Jazz, die man zu hören bekommen kann: Shepp’s Analyse der Geschichte der schwarzen Amerikaner in den Liner Notes fiel bitter aus. Seine Musik sah er als Manifest gegen Rassismus und Intoleranz – und als Verneigung vor den Traditionen und Leistungen seiner afro-amerikanischen Vorgänger. „Theme for Ernie“ zeigt, dass er auch sanft sein kann, das Zusammenspiel mit dem Trombonisten Grachan Moncour III ist superb, und beim Closer „Basheer“ wird es dann völlig avantgardistisch. Mama Too Tight ist eigenständiger, wilder Free Jazz, verwurzelt in Tradition.

The Bill Dixon Orchestra
Intents and Purposes: The Jazz Artistry of Bill Dixon

(RCA Victor, 1967)

Den Trompeter und Komponisten Bill Dixon hat der gelegentliche Jazz-Hörer wohl eher nicht auf dem Schirm. Dabei war er in seinen Kreisen äußerst anerkannt: Er war 1967 schon über 40 Jahre alt, hatte als US-Soldat in Deutschland die Invasion mitgemacht, danach erst Musik studiert, und war – wie sein Freund Archie Shepp – politisch sehr engagiert. Er setzte sich für die Anerkennung afro-amerikanischer Kunst und Musik ein, verlangte Selbst-Bestimmtheit und angemessene Bezahlung für Künstler und hatte das erste Free Jazz Festival „October Revolution in Jazz“ in New York organisiert – er war aus Sicht des Establishment’s in der Musik-Industrie ganz sicher ein Störenfried. Dadurch und wegen seiner intensiven Arbeit als Musik-Professor war Intents and Purposes erst das dritte Album, das ihn als Leader vorstellt. Und der Mann arbeitete gerne mit aufwändigem Konzept: Er war irgendwelchen A&R Managern von RCA beim Newport Jazz Festival aufgefallen, wo seine Komposition „Pomegranate“ incl. Tanz-Choreografie von und mit Judith Dunn aufgeführt wurde, und sollte eigentlich ein Album im Quartett aufnehmen. Dixon aber tauchte mit neun Leuten im Studio auf (teils namhafte Jazzer, teils Studenten aus seiner Klasse) und legte mit einem gewaltigen Free Jazz- Orchesterwerk los. Kluge Leute stellen Intents and Purposes gleichberechtigt neben Highlights wie Ornette Coleman’s Free Jazz oder Coltrane’s Ascension – lassen sogar den Namen Miles Davis neben Dixon stehen – und was die Intensität und Innovationskraft dieses Albums angeht, bin ich dabei. Dixon hat hier alles geplant, er lässt die Impulsivität des „New Thing“ zwar zu, gibt aber Dynamik und Struktur vor. Beim Opener „Metamorphosis 1962-1966“ lässt er die Bande in separaten Passagen Rasseln und Ausrasten und schwebt (wie Miles Davis) mit seiner Trompete über Allem. Klänge von English Horn, Cello und Flöte geben dem Track den zusätzlichen Klassik-Kick. Die beiden „Nightfall Pieces“ sind dem Titel entsprechende Free Jazz-Lyrismen, die wieder beweisen, dass diese Musik eben nicht nur laut und chaotisch sein muss. Und „Voices“ baut sich in 12 Minuten um Bass, Cello, Klarinette, Drums und Dixon’s Trompete zu einer herrlich eigenartigen Kombination aus Klassischer Musik und Free Jazz auf. Man nennt sowas glaube ich auch Third Stream – aber wie immer ist der Namen ja egal. Intents and Purposes mag nicht den Eindruck hinterlassen haben, den Ascension und Free Jazz.. hatten, aber die Intensität und Kraft dieser Regelbrecher hat das Album – trotz oder gerade weil es so durchgeplant ist. Man beachte auch Dixon’s tolle Alben in den 80ern…

Andrew Hill
Compulsion !!!!!

(Blue Note, Rec. 1965, Rel. 1967)

Nur echt mit 5 Ausrufezeichen

Zur Frage warum ’65 aufgenommen und erst ’67 released? Nun – Blue Note ließ Hill etliche Sessions aufnehmen, wollte den Markt aber nicht mit seinen Alben überfluten und wählte zunächst nur einzelne Aufnahmen zum Release aus. Vielleicht war der Grund für die Veröffentlichung von Compulsion !!!!! im gesellschaftlich aufgewühlten Jahr ’67 die Aussage, dass es Hill darum ging „…to construct an album expressing the legacy of the Negro tradition“. Auf jeden Fall wussten diejenigen, die sich Hill’s vier vorherige Blue Note Alben angehört hatten, dass hier Grenzen verschoben wurden und dass der musik-theoretisch beschlagene Pianist und Komponist ein gelehrtes Konzept haben würde. Dafür hatte Hill ein Septett aus kompetenten Begleitern aus den Reihen der Blue Note-Künstler für den 8. Oktober ’65 angeheuert: Freddie Hubbard (tr), Sun Ra-Collaborateur John Gilmore (sax, cla), Cecil McBee und Richard Davis (b) Joe Chambers und Nedi Qamar (dr) und den Conga-Spieler Renaud Simmons. Wie man erkennt – Pecussion und Rhythmus galore. Dazu malträtiert Hill sein Klavier bewusst wie ein Schlag-Instrument, haut in die Tasten, als wolle er eigentlich trommeln – Man höre nur, was er dem Klavier auf dem Titeltrack zumutet… Auch Compulsion !!!!! ist orchestriert – Hill kann da wohl nicht anders – aber er lässt seinen Mitspielern die größt-mögliche Freiheit innnerhlb des Systems aus sich spiralförmig aufbauendenen Dissonanzen und komplexen Harmonien. Bei „Premonition“ lässt Hill die Musiker über eine sehr ruhig dahinfliessende sechs-Taktige Melodie nach belieben improvisieren: Richard Davis streicht seinen Bass mit dem Bogen, John Gilmore spielt die Bass-Klarinette, Hill hält sich auf dem Klavier etwas zurück und Nadi Qamar improvisiert auf der afrikanischen Mbira (Daumenklavier). Das perkussive Feuerwerk auf diesem Album, die tribalistischenRhythmen, dazu die immer wieder in ein logisches System zurückkehrenden Solo-Ausflüge der Bläser – Compulsion !!!!! ist eine weitere Meisterleistung in Kontrolle und Freiheit zugleich – und damit ein weiteres Beispiel für das, was Andrew Hill’s Musik immer ausgemacht hat. Dass seine Alben „schwierig“ sind (für den, der Free Jazz gerade erst kennenlernt), soll aber auch erwähnt sein.

Don Cherry
Symphony for Improvisers

(Blue Note, 1967)

Ich frage mich, ob die Beschäftigung mit Free Jazz meine Ohren während des Verfassens eines solchen Artikels weiter öffnet – mir Free Jazz zugänglicher werden lässt – oder ob Don Cherry’s Symphony for Improvisers, sein zweites Album für Blue Note als Bandleader – vielleicht wirklich ein freundliches, harmonisches und verspieltes Gesicht des Free Jazz wiederspiegelt. Don Cherry war als Mitspieler bei Ornette Coleman bekannt, sogar berühmt geworden, sein warme, „freundliche“ Trompete (bzw. Kornett… die hellere und kompaktere Version der Trompete) war für Coleman’s große Alben so entscheidend, wie dessen Plastik-Saxophon. Nun hatte er zum Personal seines ersten Albums (Complete Communion von ’66) noch ein paar weitere Könner hinzu gerufen, um zwei Free Jazz-Symphonien einzuspielen. Henry Grimes taucht bei etlichen Free Jazz Alben dieser Zeit auf. Ein großartiger Bassist, Gato Barbieri’s Saxophon ist ähnlich sanft wie Cherry’s Trompete, Drummer Ed Blackwell neigt auch nicht zum Lärmen, er konstruiert eher Rhythmen im Untergrund. Neu sind der deutsche Pianist/Vibraphonist Karl Berger, dessen Glocken-Geklingel spannende Texturen setzt und der beim zweiten Track, „Manhattan Cry“ neugierig auf seine Musik macht – aber besonders Pharoah Sanders ist hier derjenige, der zu beiden Tracks die notwendige Aggressivität und Wildheit hinzufügt: Beim Titeltrack surrt seine Piccolo-Flöte wie eine nervige Mücke in den Ohren, beim „Lunatic“ Teil der „Manhattan Cry“-Suite schreit vor Allem sein Saxophon so laut und disharmonisch, dass der Begriff Free Jazz Sinn macht. Symphony for Improvisers ist ein weiteres wirklich gut hörbares Beispiel für Free Jazz – eines der besten von einigen tollen Don Cherry-Alben. Stilsicherer, eigenständiger (Free) Jazz eben. Und das seltsamste an diesem Album? Dieses Cover, das aussieht wie die Werbung in einem ’60er Jahre Strickwaren-Katalog.

Ornette Coleman
Chappaqua Suite

(Columbia, 1967)

…und so stellt sich die Frage: Was gibt es von Cherry’s langjährigem Arbeitgeber/Partner Ornette Coleman in der Zeit zu hören, in der die Früchte seiner „Befreiung“ des Jazz geerntet werden? Ornette Coleman hatte in den letzten Jahren sein Quartett aufgelöst, beschlossen, an Trompete und Geige zu dilettieren, seine Musik mit einem Trio aus dem Bassisten David Izenzon und dem Drummer Charles Moffett, mit Orchester und diversen anderen Instrumenten seines Willens zu verändern und den Free/ Avantgarde Jazz in anderen Ecken auszuleuchten. Mit sein „alten“ Quartet hatte er ja schon eine komplette Handvoll Alben veröffentlicht, die revolutionär zu nennen fast untertrieben ist. Er war von Atlantic zum kleinen, feinen ESP-Disk Label gewechselt, hatte für Columbia 1965 aber auch die Chappaqua Suite als Soundtrack-Arbeit für einen Kult-Drogen-Film von Conrad Rooks eingespielt. Mit Orchester – und mit – Tadaaah – Pharoah Sanders – am zweiten Saxophon. Dem Regisseur war die Musik zuletzt ZU intensiv, sie „…lenke vom Film ab“, und wurde so erst einmal nicht veröffentlich – und ’67 nur in Frankreich herausgebracht. Ich weiss nicht, welches Problem die USA mit Coleman haben, aber der Mann galt in seiner Heimat immer weniger, als in Europa. Vermutlich war sein spielerischer Umgang mit so etwas „ernstem“ wie Jazz einfach zu europäisch. So verpassten die USA ein großartiges Album mit Musik, die sich über vier LP-Seiten in Wellen voranbewegt. Coleman und Sanders wechseln sich in freine Imprvisationen ab, das Rhythmusgespann variierte die Tempi, das Orchester legt einen disharmoinschen Teppich aus. Und dann gibt es diese Momete, in denen sich das Trio/Quartett und das Orchester regelrecht miteinander anlegen, dann bekommt alles Sinn und die Wucht dieser Musik überwältigt. Meist wird dann der Rhythmus beschleunigt oder verlangsamt, das Orchsester verstummt und eines der Saxophone läuft wieder in eine neue Richtung los. Wäre mal interessant zu wissen,ob Coleman dem Orchester einen Score vorgelegt hat. Ornette Coleman ließ jedenfalls wieder eine neue Facette des Free Jazz aufblitzen.

Sun Ra & his Myth Science Arkestra
Cosmic Tones for Mental Therapy

(Saturn, Rec. ’63, Rel. 1967)

Sun Ra: ob dessen Musik überhaupt nach irdischen Maßstäben beschrieben oder bewertet werden kann? Herman Poole Blount – so sein irdischer Name – dürfte das verneint haben. Er stammt schließlich vom Saturn. Die psychedelische Revolution jedenfalls gab ihm einen sensationellen Popularitäts-Schub – wobei ich mir Hippies, die Sun Ra hören, kaum vorstellen kann. Dazu kommt die irritierende Tatsache, dass Sun Ra und seine diversen Arkestra-Inkarnationen ’67 mehrere Alben veröffentlichen, die allesamt schon Jahre zuvor eingespielt wurden. Aber seine Popularität bei jungen Hippies und alten Beat-Generation Zotteln war gemäß Quellen seinen Auftritten in Manhattan’s Slug’s Saloon geschuldet, die formidablen, noisigen Alben die er in der Zwischenzeit auf den eigenen kleinen Label El Saturn Records veröffentlichte, waren eher Neben-Produkte seiner Kreativität, die er nach ausserirdischen Kriterien ‚rausbrachte. So bekam der Hippie ’67 (u.a.) die Cosmic Tones for Mental Therapy für ihren Plattenspieler geliefert: Das Album war ’63 aufgenommen worden, aber die Welt war damals ganz gewiss nicht bereit für diese seltsamen Töne. Schlagwerke jeder Art sind die Haupt-Instrumente auf dem kompletten Album, ab und zu bedient der Band-Leader irgendwelche Tasten, Saxophonist John Gilmore, Mitspieler seit Jahren, darf beim Opener „And Otherness“ in die Bass-Klarinette pusten, Sun Ra spielt Cosmic Side Drums, seltsam verschlungene Melodien from Outer Space winden sich um ein verhaltenes Geklöppel. Afrikanisch wird es mit „Thither and Yon“, wenn Oboe, Klarinette und zwei Piccolo-Flöten über verhallte Percussion fliegen, und „Adventure Equation“ ist ausserweltlicher noch, als „Aumng“ von Can in ein paar Jahren. Dieses Album ist die Vorwegnahme der Avantgarde von Tago Mago und Trout Mask Replica. Mit dem coolen Basslauf von „Moon Dance“ und Sun Ra’s 50er Jahre Orgel kann man sich regelrecht erholen. Erstaunlich, wie solch ein Album die Hörgewohnheiten in kürzester Zeit über den Haufen wirft (wenn man es zulässt).

Sun Ra and his Astro Infinity Arkestra
Strange Strings

(Saturn, Rec. ’65, Rel. 1967)

Was natürlich auch für Strange Strings gilt. Die Aufnahmen zu diesem Album lagen immerhin nur zwei Jahre zurück, es ist die erste LP, die unter dem Namen Sun Ra and his Astro Infinity Arkestra erscheint und es scheint nach den ersten 10 Minuten vielleicht ein ganz klitze-kleines bisschen weniger „strange“ als die Cosmic Tones... Aber was heisst das schon im Sun Ra-Kosmos. Dieser erste von drei langen Tracks, „Worlds Approaching“, basiert auf einem wandernden Bass und metallischen Percussion, über denen Saxophon, Oboe, Flöten und Keyboards Free Jazz-artig hinund her rennen. Aber der zwanzig-minütige Titeltrack ist dann doch wieder eine Noise-Collage mit den bekannten Instrumenten und diesmal titelgebend seltsamen elektronischen Strings – Saiten-Instrumenten unbekannter Art, die verzerrt und gebogen werden, dass es nur so scheppert. Scheppern – das ist auch ein Thema hier. Sun Ra und vor Allem Drummer James Jacson lassen vor Allem beim zentralen „Strings Strange“ ein Gewitter nach dem anderen los, dazu wird nach Herzenslust improvisiert und an unbekannten Saiten gezupft. Aber auch hier „scheint“ nur Freiheit zu herrschen. Ich habe den Eindruck, Sun Ra und eine Arkestra-Mitglieder hatten die klare Ansage, sich in einem bestimmten Koordinatensystem zu bewegen – und sie konnten das, weil sie schon seit Ewigkeiten mit ihm arbeiteten. Aber – wie gesagt – ist das Free Jazz? Ich weiss wirklich nicht. Ich nenne es Avantgarde (mit ersaturnlich viel Herz)…

Joseph Jarman
Song For…

(Delmark, 1966)

In den USA regt sich einiges: Sun Ra und der ganze Blue Note Stall sowie Coltrane und seine „Schüler“ sind kreativ und es erscheinen – wie man sieht – etliche Schallplatten mit lärmendem, psychedelischem, und oft auch durch die gesellschaftspolitischen Veeränderungen motiviertem Jazz. Und in Chicago tut sich die Chicago’s Association for the Advancement of Creative Musicians (AACM) zusammen. Aus ihr entsteht um den Saxophonisten Roscoe Mitchell ’66 das Art Ensemble of Chicago. Mitchell’s ’66er Album Sound ist Teil 1 der AEoC Side-Projects, und Joseph Jarman – ebenfalls Saxophonist – spielt Ende ’66 mit Song For das zweite Album dieser Art ein. Hier sind ein paar Free Jazz Musiker versammelt, die recht unbekannt geblieben sind – der Bassist Charles Clark ist zwar großartig, hat aber genauso wenig Spuren hinterlassen wie Fred Anderson, Saxophonist und Komponist des Opening Tracks „Little Fox Run“. Aber letztlich ist das Namedropping in solchen Fällen nur was für Nerds. Entscheidend ist, was man zu hören bekommt: „Little Fox Run“ ist wilder, chaotischer Free Jazz, wie ich ihn für vorherrschend gehalten habe, ehe ich mich weitergehend damit beschäftigt habe. Eine Noise-Invasion – Lustige Idee, die ich gelesen habe: Diesen Track als Morgen-Weckruf, um sich die gesamte Nachbarschaft zum Feind zu machen. Beim dann folgende „Non-Cognitive Aspects Of The City“ beschreibt Jarman in Spoken Word Passagen besagte Aspekte und die Begleiter bleiben schön ruhig, nur Pianist Christopher Gaddy wirbelt wild umher. Der Titeltrack gilt als eine der wichtigen Schritte in die neue, weniger chaotische, dafür avantgardistischere Richtung, die Free Jazz nehmen würde – um sich damit aus den Ohren gewöhnlicher Musik-Hörender zu entfernen. Noch einmal: Das ist keine Kritik, das ist eine Beschreibung. Gerade dieser Track hat eine Intensität und konsequente Kraft, die ich gerne höre. Nur nicht Immer….

Frank Wright
Your Prayer

(ESP Disk, 1967)

Hinweis: Es gibt natürlich haufenweise unbeachtete Free Jazz Musiker, die mehr Anerkennung verdient hätten. Enter Reverend Frank Wright: Der war wahrhaftig ein schwer religiöser Reverend, war mit Albert Ayler befreundet, hatte Bass bei Musikern wie Bobby „Blue“ Bland und B.B. King gespielt, und als er das Saxophon und Free Jazz entdeckte, kam es zur Erweckung. Das kleine, feine (aber leider selbst für ’67 ein bisschen ZU experimentierfreudige) und leider nur kultisch verehrte Labe ESP Disk ließ ihn zwei Alben aufnehmen, nachdem sie ihn bei einem von John Coltrane iniziierten Konzert hörten. Und Your Prayer ist von Beiden das etas Bessere. Wie bei Ayler hat Wright hörbar seine Wurzeln in Blues, Gospel, Marschmusik und BeBop. Aber er rastet auf seinem Tenor Saxophon dermaßen aus, dass sich Ayler gefürchtet haben dürfte. Mit dem französischen Trompeter Jacques Coursil hat er – was das angeht – einen gleichwertigen Partner dabei: Dessen Trompeten-Solo bei „No End“ ist unfassbar, die Improvisationen von Wright, Coursil und Arthur Jones am Alt-Saxophon sind an Wildheit nicht zu überbieten und damit übrigens die Art „alter“ Free Jazz, der dann auf der zweiten Seite der LP mit zwei 12-15 minütigen Tracks in psychedelische Gefilde verschoben wird. „Fire of Spirits“ IST ein Feuerwerk mit Explosionen und mit Chaos als Hinterlassenschaft. Bass und Drums stellen einen steil abschüssigen Hang her, die zwei Saxophone und die Trompete rollen den Abhang herunter, Bass und Drums donnern auch mal allein herab – das Ganze erinnert an fünf parallel verlaufende Lawinen, bei denen das Auge (bzw. Ohr) sich mal auf die Eine, mal auf die Andere Spur der Vernichtung richtet. Der Titeltrack startet als Marsch, aber dann brüllt jemand den Saxophonisten an und sein Instrument bricht in Gröhlen, Kreischen, Quaken aus, bis es von der Trompete verjagt wird. Und als zuletzt wieder irgendjemand beginnt zu schreien, kehren die fünf Musiker zum Trauermarsch zurück. Hier wird der Free Jazz im Sinne Coleman’s zum Kochen gebracht und psychedelisch überhöht. Bedenke: Dies ist die Zeit von Hendrix, Doors Velvet Underground und Sgt. Pepper – aber die Härte und konsequente Wucht von Your Prayer erreichen keiner.

Charles Tyler
Eastern Man Alone

(ESP Disk, 1967)

ESP Disk ist ein Label für komische Musik. Und natürlich waren die Musiker, die auf diesem Label veröffentlichten untereinander bekannt. Zumal die Free Jazz Szene in New York – der Heimat des von Bernard Stollmann ’63 gegründeten Labels – überschaubar war. Und so kannte auch Charles Tyler Albert Ayler (…der wiederum seinerzeit keine anerkannte Koryphäe war, aber von John Coltrane sehr geschätzt wurde…) und auch Tyler bekam einen Vertrag von ESP Disk und hatte ’66 in New York eine beeindruckende Free Jazz Platte als/titels Charles Tyler Ensemble aufgenommen. Dann aber ging er zurück nach Indianapolis, schrieb sich als Musikstudent ein und spielte mit seinem Lehrer, dem Cellisten und Posaunisten David Baker ein sehr seltsames Album ein. Eastern Man Alone ist allein schon durch das prägnante Cello von Baker not your average Free Jazz. Die zwei gleichberechtigten Bassisten sind fähig, aber (mir) unbekannt (vermutlich Kommilitonen?), aber die Musik, die diese Vier schufen, ist tatsächlich sehr eigen. Julian Cope – Kopf der Teardrop Explodes und Krautrock- und Psychedelic-Kenner – sagte zu Eastern Man Alone: „...this record should have been called The Psychedelic Sounds Of Charles Tyler“. Denn der spielte ein mitunter sehr freies, undiszipliniertes Saxophon, ließ es brüllen und quaken, führte den Hörer aber auch mal sanft in eine schlichte Grundmelodie zurück. Zwei Bässe und das Cello solierten ausgiebig und mitunter sehr abstrakt – „Man Alone“ etwa dürfte Free Jazz-ferne Unvorbereitete zur Weissglut treiben. Das Gezupfe und Gekreische ist haarsträubend (…schön…). Das hier war eine Befreiung von allen Jazz- Formalismen – und zugleich basierten die Grundstrukturen/Ausgangspunkte der Improvisationen auf Melodie-Fragmenten, die aus den 20ern stammen könnten. Das war Jazz, der nicht die Virtuosität zum Selbstzweck hatte, sondern die Befreiung von bekannten Formen feierte (übrigens in interessanter Parallelität zum abstrakten Expressionismus in der Malerei – s.a. Jackson Pollock). Und durch das Cello von Baker, das sowohl mit Pizzicato als auch gestrichen die Tracks mindestens gleichberechtigt formte, entstand ein so eigenständiges Album, dass es fast wie ein unerforschter Seitenzweig des Free Jazz erscheint. Vor allem das von Baker komponierte „Le-Roi“ wurde in Musiker-Kreisen als revolutionär wahrgenommen… und war schon ’61 auf einem Album von Elvin und Philly Joe Jones gespielt worden. Versteht sich, dass die Version hier die bessere ist, weil hier Dave Baker selber mittat. Eastern Man Alone ist ein weiterer Beweis, dass die Musik auf ESP Disk-Alben Abenteuer verspricht. Tyler erspielte sich nach Studium und Umzug an die Westcoast der USA einen hervorragenden Ruf in Kennerkreisen.

Peter Brötzmann Trio
For Adolphe Sax

(BRÖ, 1967)

Jazz mag ja bis in die 60er eine amerikanische Spezialität sein, die höchstens von Django Reinhardt in dessen osteuropäische Gypsy-Musik mit einbezogen wurde, aber mit dem Erwachsen-Werden der deutschen Nachkriegs-Generation, mit jungen, unangepassten Studenten, mit provokanter und innovativer Kunst nach Krieg und Nationalsozialismus kommen nun auch Musiker aus Deutschland daher, die ihre eigene Version von „Jazz“ erfinden. Peter Brötzmann etwa ist ’41 geboren, hat Kunst studiert, gehört der Fluxus-Bewegung an und deckt als Maler, Grafiker, Designer und Objektkünstler alle möglichen Bereiche der Kunst ab. Und er hat ein Saxophon: Der Umgang seines Trios mit Jazz ist so frei, so bewusst von den Regeln und Traditionen des US-(Free) Jazz getrennt, dass die Einordnung in diese Schublade hier fast ein bisschen fahrlässig ist. Aber – ich beschreibe hier nun einmal Musik, die unter Anderem auf freier Improvisation beruht – und DAS ist bei For Adolphe Sax der Fall. Aber (fast – bis auf Sun Ra) alle hier vor beschriebenen Alben haben mindestens ihre Zehen noch im Be- Hard- PostBop oder im modalen Jazz. Sie legen mit Marsch- oder Jazz-Rhythmen los und kennen eine Geschichte, die bis zum Beginn des Zwanzigsten Jahrhunderts zurück reicht. DAS findet man bei Peter Brötzmann nicht. Sein Trio mag ja John Coltrane und Ornette Coleman-Alben gehört haben, aber die drei Tracks auf For Adolphe Sax sind ein völlig von Tradition befreiter expressiver Ausbruch mit Bass, Drums und „brötzendem“ Saxophon. Keine melodischen Anlehnungen, keine Blues- oder Swing oder Bop Rhythmen, dafür reine, improvisierte Ausdrucks-Kunst in Form von Schlagzeug-Kaskaden, gestrichenem oder grummelndem Bass und schreiendem, blökendem Saxophon. Lustig, dass diese Musik (glaube ich) so eher die landläufigen Vorurteile über Free Jazz bedient. Ja, „Morning Glory“ ist sicher anstrengend, aber mit seinen Passagen aus Versammlung und wildem Los-Gerenne, mit Momenten, in denen fast so etwas wie Ruhe eintritt und mit den wilden Ausbrüchen, bei denen Bass, Drums und Sax umeinander wirbeln wie Blätter im Sturm, bekommt diese Musik eine nachvollziehbare Struktur. Das ist akustisches Action Painting von drei Malern mit je einer Farbe. Moderne Kunst, die mal gemacht werden musste. Und mit dem Nachfolger Machine Gun – dann mit einem Octet – lässt Brötzmann dann den europäischen Free Jazz mit noch mehr Brutalität auf Traditionen einschlagen. Fun Fact am Rande: Adolphe Sax, der Erfinder des Saxophon’s war Belgier…

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