1966 – Frank Zappa bis Simon & Garfunkle – Tom Wilson – der unbekannte Star-Produzent

Der junge Afro-Amerikaner Tom Wilson hatte sich in den Fünfzigern nach Abschluss eines Wirtschafts-Studiums zunächst einen Namen als Produzent von progressiven Jazzmusikern gemacht.

John Coltrane, Cecil Taylor und insbesondere Sun Ra wurden von ihm protegiert und produziert und auf dem eigenen Label Transistion Records veröffentlicht – welches dann leider den Bach runter ging. Er arbeitete danach für Verve und Columbia, wo er zunächst das Duo Art Garfunkel und Paul Simon dazu brachte, doch weiter gemeinsam Musik zu machen (siehe unten…). Er produzierte Dylan bis zum Album Bringing it All Back Home (und den Übersong „Like a Rolling Stone“ vom Folgealbum) und ermutigte ihn, seinen Folk zu elektrifizieren, um dann bald für mehrere Alben mit Frank Zappa zusammenzuarbeiten und dann in den folgenden Jahren die beiden ersten Alben von Velvet Underground zu überwachen. Allein das macht ihn schon zu einem DER Produzenten der Sechziger. Und dass er als Afro-Amerikaner die absolute Ausnahme in diesem Business war, sollte man auch noch beachten. Er produzierte auch noch Nico’s Debüt, das sträflich unterbewertete Album Wonder Where I’m Bound von Dion, das Debüt von Soft Machine und Eric Burdon’s beste Alben der Sechziger. Man sagt, er habe in vielen Fällen nicht so sehr produziert, als eher die Bands ermutigt, das zu spielen, was ihnen passt, um sich selber derweil mit schönen Frauen zu beschäftigen. Allerdings muß er auch Einfluss auf die Musik gehabt haben, denn Eines ist den meisten Alben seiner Discographie gemeinsam: Innovationskraft, Motivation und Abenteuerlust. Leider wurde er nie ernsthaft interviewt, Produzenten waren damals nicht Pop genug. Wilson starb 1978 – so sind nur Berichte aus zweiter Hand erhalten – und die Musik die er beeinflusst hat – hier unten nun – nicht chronologisch übrigens – sechs Beispiele aus dem Jahr 1966…

Frank Zappa
Freak Out!

(Verve, 1966)

Cover – Jack Anesh – Selber Schrifttyp wie Pet Sounds von den Beach Boys übrigens…

Tom Wilson hatte gerade Bob Dylan’s Song „Like a Rolling Stone“ produziert, als er als nächsten Job das Debüt einer Gruppe aus LA zu betreuen hatte, die er selber mit der Behauptung, es handele sich um eine weisse Blues Band seinen Vorgesetzten bei MGM schmackhaft gemacht und unter Vertrag genommen hatte. Der Song, der ihm zu dieser Einschätzung verholfen hatte, hieß „Trouble Every Day“, thematisierte die „Watts Riots“ vom Vorjahr und kulminiert in der Erkenntnis: „I’m not black / but there’s a whole lots of times / I wish I could say I’m not white“ – eine Haltung, die zu jener Zeit eine komplette Außenseiter-Position war – und die Wilson als Afro-Amerikaner im WASP-dominierten Musikgeschäft naturgemäß besonders aufhorchen ließ. Nach der ersten Session mit der Doo-Wop Reminiszenz „Any Way the Wind Blows“ und vor allem der Acid-Drone Dystopie „Who Are the Brain Police ?“ revidierte Wilson seine Blues-Band Einschätzung: Angeblich war er nun von der Musik so beeindruckt, dass er aus seinen Chefs ein unbegrenztes Budget herausholte, um „das Monster zu beenden“ (Schöne Zeiten, als so etwas möglich war) Musikalisch wirkt Freak Out in seiner Mischung aus souveräner, an 50ies Pop, Jazz und neuer Musik geschulter Kompositionskunst und mit seinen Drone-, Tape-, Echo- und Noise-Experimenten sehr zeitgemäß – und zugleich erstaunlich zeitlos. Stücke wie die Improv-Noise- mit-funky-Drummer-Collage „The Return of the Son of Monster Magnet“ (Nach dem sich diese eine Band benennen sollte) klingen auch heute wie der Traum der „Wire“ Redaktion. Leider sollte Zappa über die Jahre seine Abenteuerlust immer öfter durch einen ärgerlichen Hang zum Perfektionismus und zur Virtuosität ersetzen. Hier bemerkt man noch zuvörderst den Spaß – am Experiment – und die R&B Wurzeln seiner ehemaligen Cover-Band und es sollte für lange Zeit das letzte Zappa-Album sein, das man mit dem Begriff „Rockmusik“ beschreiben konnte. Zappa sah sich ’66 noch als Teil der später von ihm verspotteten Gegenkultur – der Begriff „Freak“ ist noch positiv besetzt. Freak Out ist also Zappa im Rock Koordinatensystem – er würde sich bald seine eigenes erschaffen. Und Tom Wilson produzierte im Anschluss ein weiteres Jahrhundert-Album: Das Debüt der Velvet Underground.

The Animals
Animalisms

(Decca, 1966)

Heute sind sie fast vergessen, aber 1966 waren die Animals auf der Höhe ihrer Kunst, insbesondere natürlich Sänger Eric Burdon kann man getrost eine der besten weißen Blues- Stimmen seiner Zeit nennen – weit besser als Mick Jagger war er gewiss. Sie galten zwar auch als Singles-Band, aber sie hatten in den letzte zwei Jahren so ausgiebig getourt, dass sie so eingespielt waren, wie wenige andere Bands ihrer Art. Vielleicht gabe es aber auch aus diesem Grund die ersten Auflösungserscheinungen: Keyboarder Alan Price hatte die Band im Vorjahr verlassen und der etat-mäßige Drummer verließ sie bei den Aufnahmen zu den drei Alben, die in diesem Jahr in England und den USA veröffentlicht wurden. Es war Tom Wilson, der beauftragt wurde, die Animals in mehreren Sessions zwischen Januar und Juli ’66 in London und Hollywood aufzunehmen – die Plattenfirma machte aus dem Material drei LP’s, die sich hier und da im Material überschneiden, aber doch einzeln für sich stehen können. Wilson holte für einige Songs Frank Zappa als Arrangeur hinzu, aber die Klasse der Ergebnisse basiert eindeutig in Burdons Stimme und der tighten Band. In England erschien zunächst im Juni Animalisms, wie die vorherigen Alben eine Zusammenstellung von zwölf Songs, mit Dave Rowberry als Ersatz für Alan Price am Keyboard, mit drei eigenen Songs und mit neun Coverversionen von Leuten wie Joe Tex, John Lee Hooker und Chuck Berry. Alles soweit so normal, aber Burdon war in Hochform und die Energie mit der die Band JohnLee Hooker’s „Maudie“ spielte, machte das Album zu einem sehr kurzweiligen Vergnügen. Blues-Originale wie „I Put a Spell on You“ oder „Gin House Blues“ werden mit einer Intensität herausgehauen, gegen die die Originale verblassen. Die zwei eigenen Songs sind kaum schwächer, nur das dritte Ding, genannt „Clapping“ – tatsächlich nur Händeklatschen – hätte man sich sparen können. Aber hier hatten die Stones immerhin – NOCH – echte Konkurrenten

The Animals
Animalization

(MGM, 1966)

Die US-Version des Albums hieß Animalization, hatte fünf andere Songs – u.a. den US-Hit „Inside Looking Out“ und den Klassiker „See See Rider“ – die heute auf CD meist mit geliefert werden.

The Animals
Animalism

(MGM, 1966)

Aus den gleichen Sessions wurde im gleichen Jahr – seltsamerweise nur für den US-Markt – noch das Album Animalism (ohne „s“ am Ende…) zusammengebaut. Und das ist definitiv keine Resteverwertung. Hier ist der Opener „All Night Long“, geschrieben und arrangiert von Frank Zappa, hier gibt es Sam Cooke’s „Shake“, Howlin‘ Wolfe’s „Smokestack Lightnin“ und Ray Charles‘ „Hit the Road Jack“ – und Eric Burdon wird allen Vorlagen gerecht, drückt den abgenudelten Klassikern seinen eigenen Stempel auf. Dass die Band mit ihrem rohen Sound in einer eigenen Klasse spielt, kann ich nur wiederholen – das Prinzip Tom Wilson’s, seinen Kunden die maximale Freiheit zu geben, sie damit zugleich zu Höchstleistungen zu treiben, hatte auch hier funktioniert. Burdon allerdings war offenbar nach diesen Aufnahmen nicht mehr zufrieden mit den Limitierungen einer reinen R&B Band und löste die Animals auf, um in den USA mit den New Animals (recht erfolgreich) Psychedelic Rock zu versuchen. Animalisms als Komplett-Paket mit Animalization sowie das US-Anhängsel Animalism sind der Beweis, dass die Stones ’66 durchaus Bands neben sich hatten.

The Blues Project
Projections

(Verve Forecast, 1966)

’66 war das Blues Revival in den USA noch nicht angekommen, Bluesmusiker wie Muddy Waters oder John Lee Hooker waren in Europa gefragt, in der Heimat nur Randnotizen – und junge Bands, die Blues spielten waren in den USA noch die Ausnahme. Das Blues Project war um Musiker aus der New Yorker Greenwich Village Folk Szene entstanden und spielte einen eklektizistischen Mix aus Folk, Blues, Jazz und Rock. Das klang mithin wie die amerikanische Antwort auf die Yardbirds, aber ihr musikalischer Output bestand bislang nur aus einem zahmen Live Mitschnitt aus dem Cafe Au Go-Go. Dabei hatte die Band mit Danny Kalb – der u.a. für Judy Collins gespielt hatte – und mit Steve Katz zwei hervorragenden Gitarristen, mit Al Kooper einen Keyboarder, dessen Ruf allein schon durch seine Mitarbeit bei Dylan’s „Like a Rolling Stone“ ausgezeichnet war und mit dem Bassisten und Flötisten Andy Kulberg einen Jazz-Informierten Könner in ihren Reihen. Ihr ebenfalls von Tom Wilson produziertes zweites Album Projections ist für seine Zeit und für die USA wahrscheinlich damals zu innovativ gewesen – Elektrifizierter Blues war noch viel zu neuartig, als dass er wirklich wahrgenommen wurde – zumal das Album den Begriff Blues sehr weit fasst – hier eigentlich eher Psychedelic Rock, Jazz und Blues zusammengedacht wird. Lediglich Kooper’s Instrumental „Flute Thing“ soll damals im Underground Radio gespielt worden sein, Songs wie „I Can’t Keep from Cryin’“ (im Original von Blind Willie Johnson) oder Jimmy Reed’s „Caress Me Baby“ werden aus der Blues-Ecke herausgeholt und modernisiert, wie es nur junge Weiße tun konnten. Tom Wilson bewies hier ein weiteres Mal seinen Sinn für visionäre Musik. Aber fünf jüdische Jungs, die Blues unter Strom setzten waren zu der Zeit noch zu gewagt, und im Gegensatz zu den Velvet Underground und mehr noch Zappa hatten sie nicht den langen Atem, ihre Ideen durchzuziehen. Kooper war als Studiomusiker gefragt und hatte andere, weiter in Jazz-Richtung gehende musikalische Vorstellungen als Danny Kalb, der zusätzlich auf einen schlechten Acid Trip geriet und für Monate verschwand. Kooper gründete darauf zusammen mit Steve Katz Blood, Sweat and Tears während Kalb noch eine Zeit lang mit dem Blues Project weiter machte – aber die Luft war wohl raus. Projections allerdings ist einer der versteckten Rohdiamanten der Musik des Jahres 1966.

Simon & Garfunkle
Sounds Of Silence

(Columbia, 1966)

Nachdem ihr Debüt gefloppt war, hatten sich Paul Simon und Art Garfunkle desillusioniert getrennt, und Simon hatte sich erst mal auf den Weg nach England gemacht. Tom Wilson überzeugte die beiden Musiker über einen Umweg, doch gemeinsam weiterzumachen, indem er zunächst einmal ihren Song „Sounds of Silence“ nahm und ihn mit elektrischer Instrumentierung aufpeppte. Er hatte den Erfolg von Bob Dylan miterlebt und er kannte natürlich die elektrifizierten Byrds’schen Versionen der Dylan-Songs, die zu dieser Zeit die Charts stürmten. Die um elektrische Gitarre, Bass und Drums ergänzte Version von „Sounds of Silence“ wurde ohne das Wissen der beiden Musiker als Single veröffentlicht und traf so sehr den Nerv der Zeit, dass die Single am Neujahrstag 1966 zum No1 Hit wurde. Simon & Garfunkle taten sich schleunigst wieder zusammen und nahmen so schnell wie möglich das übliche Album zum Hit auf. Sounds of Silence zeigt das Duo noch im Versuchsstadium – zwar ist sofort erkennbar, dass Paul Simon ein begnadeter Songwriter ist, der in den Monaten in England unter anderem die britischen Folk-Heroen studiert hatte (Siehe das Instrumental-Cover von Davy Graham’s „Anji“), aber es sind noch ein paar unbefriedigende Experimente dabei, die beim folgenden Album verworfen wurden. Der Sound, den die beiden in den folgenden Jahren etablieren sollten, ist schon auf den Nachfolge-Singles „I Am A Rock“ und derm feinen „Homeward Bound“ zu finden. Das Album verblasst allerdings neben dem Nachfolger, der dann noch im selben Jahr von einem anderen Großen der Produzenten-Zunft begleitet wurde: Von Bob Johnston, über den ich im Folgenden aus „Ordnungs-Gründen“ auch ein paar Worte verlieren will…

…und Bob Johnston

Der Produzent Bob Johnston nahm sozusagen den Stab von Tom Wilson auf, er produzierte Dylan ab Highway 61 Revisited,, Simon & Garfunkle nach deren Debüt und später Leonard Cohen, Johnny Cash, Willie Nelson undsoweiter – und er war es, der mit Dylan für Blonde on Blonde nach Nashville ging. Ein wichtiger Mann also, der schon seine Meriten hatte…

Simon & Garfunkle
Parsley, Sage, Rosemary and Thyme

(Columbia, 1966)

Simon & Garfunkel’s erstes wirkliches Meisterwerk, Parsley, Sage, Rosemary and Thyme war auch das erste Album bei dem sie zusammen mit Bob Johnston und dem Sound-Engineer Roy Halee die komplette Kontrolle über die Aufnahmen hatten. Dass so etwas in der Regel zu den besseren Ergebnissen führt, hat die Musikindustrie bis heute nicht begriffen, Parsley… ist einer der vielen Beweise. Das Album kann durchaus gleichberechtigt neben Revolver und Pet Sounds bestehen. Wie oben gesagt, hatten die Beiden mit Sounds of Silence in drei Wochen das Album zum Hit zusammengeschustert, nun nahmen sie sich die für damalige Verhältnisse exorbitante Zeit von drei Monaten, um für den Nachfolger die Songs auszukomponieren und vor Allem -arrangieren. Das Album beginnt mit dem Titelsong, einer Adaption eines alten englischen Traditionals, das Paul Simon in seinen Monaten in England vom großen Martin Carthy (siehe im Artikel über Folk in England ’66) gelernt hatte. Das Kunststück ist, dass dieser sowieso schon zauberhafte Song mit Harpsichord und etlichen Overdubs tatsächlich ein neues Leben eingehaucht bekommt und sich anhört, als wäre er…. wenn nicht von Paul Simon selber geschrieben, dann zumindest für ihn und seinen Gesangesbruder geschrieben worden. Das Album ist ein Showcase von Simon’s Songwriterkünsten, ob beim so gepflegt gelangweilte „A Dangling Conversation“ oder dem tollen „Homeward Bound“. Am Ende werden zu „Silent Night“ die Eskalationen des Vietnamkrieges in Radioberichten eingespielt. Eine Form von Kritik, die überraschend modern klingt, und ein Album, das zugleich auf angenehme Weise in seiner Zeit gefangen scheint.

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