Das Wichtigste in 1979 – Atomunfall in Harrisburg, Khomeini im Iran und Maggie Thatcher in England – The Clash bis Lee Clayton

Die Roten Khmer werden aus Kambodscha vertrieben, im Iran kommt mit dem inzwischen aus dem französischen Exil entlassenen Ayatollah Khomeini ein religiöser Führer an die Macht, der sofort auf Konfrontationskurs zu den USA und zur dekadenten westlichen Welt geht,

Zugleich wird im Irak – dem Erzfeind des Iran – mit Saddam Hussein ein Machtpolitiker Staatschef, der (man glaubt es kaum…) von den USA tatkräftig unterstützt wird. Israel und Ägypten schließen Frieden, in England beginnt die Regierungszeit von Maggie Thatcher – der Eisernen Lady – die Alles privatisiert, was ihr irgendwie „sozial“ erscheint. Der Papst läutet in Polen das Ende des Ostblocks ein und Ende ’79 beginnt der Krieg zwischen der Sowjetunion und Afghanistan – und weltweit wächst die Angst vor einem Atomkrieg, da der Kalte Krieg die atomare Aufrüstung in West und Ost vorantreibt. In den USA kommt es in dem Atomkraftwerk von Harrisburg zu einem schweren Zwischenfall, bei dem es zu einer partiellen Kernschmelze kommt – die natürlich völlig ohne Auswirkungen blieb – denn Atom-Kraftwerks-Unfälle gibt es einfach nicht. Charlie Mingus und Soul Sänger Donny Hathaway sterben. Es ist das Jahr, in dem man erkennt, dass aus dem kurzlebigen Phänomen Punk etwas Neues und Visionäres entstanden ist. Bands und Musiker, die die DIY Attitüde des Punk verinnerlicht haben, beginnen die Drei-Akkord Ästhetik des Punk zu hinterfragen und wollen mehr machen, als sich nur zu Verweigern. Sie Alle haben die Sex Pistols gehört, aber auch Velvet Underground oder die Stooges. New Wave ist Post-Punk ist eine neue Art von Musik und wird mit Hilfe von inzwischen erschwinglichen Synthesizern technoid. Joy Division, The Fall, Gang of Four sind Bands, deren Ideen weit in die kommenden Jahrzehnte reichen. Aber – Nicht dass die Musik vor der Punk-Explosion keine Rolle mehr spielen würde. Pink Floyd etwa sind mit ihrem Konzeptalbum The Wall die kommerziell erfolgreichste Band des Jahres – und somit im öffentlichen Bewusstsein der Gipfel der Rockmusik. Aber in vielen Bereichen weht ein frischer Wind. Es gibt wunderbaren reduzierten Power-Pop (Nick Lowe, Joe Jackson, Elvis Costello) oder hervorragenden modernen Country (Lee Clayton, Terry Allen) und Synthie-“Pop“ von Human League und Gary Numan. Die Entwicklungen in der Pop-Musik scheinen zunächst einmal erfreulicher für das kommende Jahrzehnt als die politischen Entwicklungen – UND: Die Charts sind 1979 auch fest im Griff von Disco (Donna Summer, Gloria Gaynor etc), Michael Jacksons Off the Wall kündigt unangenehm Durchgeplantes an, Boney M und Village People missfallen mir, besetzen aber das Radio – kurz, innovative und interessante Musik findet im Radio kaum statt

https://music.apple.com/de/playlist/der-gro%C3%9Fe-rockhaus-1979/pl.u-8aAVXL1So1eBM48

The Clash
London Calling

(Epic, 1979)

Design vom Journalist Ray Lowry. Zitiert Elvis‘ Debütalbum von ’57. Fotot – Pennie Smith. Auch The Slits‘ Cut

The Clash haben 1977 mit ihrem formidablen Debüt – und vor Allem mit den Singles dazu – unsere Vorstellung von Punk mindestens mit definiert – und schon zu dieser Zeit waren sie die musikalisch interessanteste, weil variabelste Band dieser „Szene“. Die nihilistischen Pistols hatten auf ihre Karriere gespuckt, der Begriff „Punk“ war mit ihnen in kürzester Zeit zu einer Mode – und somit zur Farce geworden und die Musik hinter diesem Begriff war in eine Sackgasse geraten – also musste ein Ausweg her: Zwar hatten The Clash in den Jahren zuvor noch über etablierte Musiker lamentiert, aber London Calling zitiert nicht nur mit dem an Elvis‘ Debüt angelehnten Cover die Rock-Geschichte. Alle möglichen Einflüsse sind herauszuhören, von Rockabilly über Country (The Clash waren zuvor mit Joe Ely auf Tour gewesen) bis Reggae. Die Wut und mit ihr die Energie des Punk indes sind noch da, und Ex-Mott The Hoople Guy Stevens fing das alles wunderbar in einem dünnen, skelettierten Sound ein. „Clampdown“ oder „Hateful“ sind noch wütender Punk, „Brand New Cadillac“ dreht sich aber dann schon Richtung Rockabilly, „Jimmy Jazz“ ist tatsächlich so etwas wie Jazz und der famose Titelsong „London Calling“ und „Guns of Brixton“ sind ganz einfach kraftvolle und sehr politische Rockmusik außerhalb aller stilistischen Grenzen. Zu dieser Zeit mögen The Clash noch das Publikum der Punk-Szene gehabt haben, aber etliche Dogmatiker schrien schon laut „Verrat“ – was natürlich höchst kurzsichtig und ganz nebenbei auch noch herzlich reaktionär ist, aber in einem hatten die Dummen recht: London Calling ist ein Album, das bewusst und mit Macht aus der Punk-Doktrin ausbricht.

Joy Division
Unknown Pleasures

(Factory, 1979)

Coverdesign – Peter Saville. Motiv gefunden
von Bernard Sumner in einem Buch über
Astronomie: „100 consecutive pulses from
the pulsar CP 1919

Auch über Unknown Pleasures ist schon unglaublich viel gesagt worden: Das minimalistische Cover vom Factory Haus-Designer Peter Saville… Die eiskalte Produktion von Martin Hanett, bei der er mehr Platz für Stille lässt als einen Sound zu erschaffen – ganz nebenbei auch entstanden aus den pekuniären Zwängen, denen ein junges Independent Label zu Beginn der Achtziger unterlag – die trostlose, aber auch kathartische Atmosphäre die er mit der Band, ihrem minimalistischen Sound und ihren durchaus begrenzten Fähigkeiten, mit den Texten und dem kalten Bariton von Ian Curtis schuf. Dies alles macht Unknown Pleasures zu einer einzigartigen Platte, deren Konsequenz und gewagten Nicht – Kommerzialität vielleicht noch am ehesten an die von Ian Curtis so verehrten Velvet Underground erinnert, die aber auch mit Punk nur durch die erwähnte Verweigerung jeder Virtuosität verbunden ist, und die dann nur noch mit dem nachfolgenden Album ein letztes mal erreicht werden konnte. Man muss sich bewusst machen, dass diese Musik zu dieser Zeit nicht ansatzweise den Erfolg versprach, den sie nach Ian Curtis‘ Tod bekommen sollte. 1980 waren Joy Division eine von vielen Underground-Bands, ihr späterer Status war nicht vorherzusehen, Die Songs auf diesem Album wurden von Wenigen gehört, höchstens ein paar nihilistische Jugendliche, Kritiker und Radiomacher wurden aufmerksam – kein Wunder bei dieser grauen, aber „ach so schönen Traurigkeit: „Shadowplay“ beschreibt scheppernd den urbanen Verfall im Thatcher-Großbritannien, „She’s Lost Control“ vertont mit nervösem Zucken Ian Curtis‘ Erfahrungen als Epileptiker, „New Dawn Fades“ ist eine Todeshymne, und Songs wie „Disorder“ oder „Interzone“ deuten darauf hin, dass Joy Division gerade wegen der Reduziertheit ihrer Mittel und Fähigkeiten eine fantastische Live Band waren. All das sollte man sich vor Augen halten, wenn man heute (durchaus beachtliche) Epigonen wie Interpol hört

Public Image Ltd.
Metal Box / Second Edition

(Virgin, 1979)

Designidee – Dennis Morris. – 3 x 12″es in einer 16mm-Filmdose. Es gab 60.000 Stück, dann nur noch die „Second Edition“
Das Coverfoto der zweiten Ausgabe zeigt Keith Levene

Metal Box – oder Second Edition, wenn man das Album nicht in dem zunächst veröffentlichten großartigen Package Design als Filmrollen-Blechdose mit vier 12“ EP’s besitzt – ist IMO das beste Album, dem John Lydon seine Stimme geliehen hat. Während die Sex Pistols als Pioniere des Punk im Grunde genommen kommerzielle Musik lediglich reduziert und in Richtung Fun House – Stooges verschoben hatten strapazierte die ehemalige Ikone des Punk nach einem extremen Debüt (First Issue von ’78) nun mit Public Image Ltd. die Hörgewohnheiten auf kompromissloseste Art und war damit – ein bisschen überraschend – auf einmal Speerspitze einer neuen Avantgarde. Manchem mag seinerzeit der Gedanke gekommen sein, ob das hier noch Musik genannt werden konnte. Lydon benutzte sein Organ jetzt als reine Schallquelle, singen wollte er offensichtlich immer noch nicht, die gellenden Gitarrenchords von Keith Levene werden von einem Rhythmusfundament unterstützt, das Can, Chic und Dub kennt. Bassist Jah Wobble’s Arbeit auf diesem Album als mindestens genauso wichtig zu bezeichnen wie John Lydons Beitrag, wäre eine Untertreibung. Seine hypnotischen Basslinien sind weit im Vordergrund, ohne sie wäre das Album einfach nur Post-Punk mit Nicht-Sänger, sein Fundament trägt den Opener „Albatross“ über seine zehn Minuten. Für „Memories“ kommt sogar Gang of Four-artige Tanzbarkeit dazu, „Swan Lake“ wird von den silbrigen Gitarrensplittern Keith Levene’s zerschreddert, „Poptones“ verbindet Can mit Punk und „Careering“ ist eine beängstigend klare politische Aussage zum Nord-Irland Konflikt – allein die ersten fünf Stücke machen das komplette Album unverzichtbar. Man muss sich als Erklärung für diese völlig andere Musik im Vergleich zu den Pistols vor Augen halten, dass Lydon schon immer Prog-Rock wie etwa die Musik von Van der Graaf/Peter Hammill favorisiert hatte – dessen Nadir’s Big Chance er als Gast beim Radio DJ John Peel als eines seiner Lieblingsalben bezeichnet hatte. Metal Box könnte man durchaus als „durch Prog gefilterten Punk“ bezeichnen, Die Musik die Lydon mit Public Image Ltd. machte, dürfte jedenfalls die sein, die er wirklich ernst meinte. Und das ergibt ein Album, das Avantgarde, Zynismus und Spaß vereint.

This Heat
s/t

(Piano, 1979)

Coverdesign von der Band…

Experimentelle Rockmusik ist immer schwer anzuhören…. denkt man doch. Ich weiss nicht, ob das wirklich so ist, ich höre gerne und viel Musik, und ab einem bestimmten Zeitpunkt wird es langweilig, immer dieselben Harmonien, die gleichen Sounds zu hören. Also sucht man nach etwas Neuem. Enter This Heat: Die waren zu ihrer Zeit revolutionär – und klingen bis heute zeitlos avantgardistisch mit ihrer Mischung aus Post-Punk, Industrial, Kraut, Noise und Improvisationsmusik. Die Tatsache, dass mit Anthony Moore und David Cunningham zwei Musiker aus dem Henry Cow/Slapp Happy Umfeld produzierten – Musiker, die so explizit politisch (links) wie experimentierfreudig sind – deutet die Richtung an. Aber die Virtuosität jener Bands spielt bei This Heat keine Rolle, dafür wird mit atonaler Elektronik, mit Tape Loops und unterschwelliger Aggression eine beunruhigende Stimmung erzeugt, werden seltsame Geräusche und Vocals, die an Robert Wyatt erinnern, in langgezogenen Songformaten zu einer Art postindustrieller akustischer Dystopie zusammengefügt. Der Proto Jungle von „24 Track Loop“ ist einer der besten Instrumental-Tracks der Siebziger, „Twilight Furniture“ und „The Fall of Saigon“ sind noch am nächsten am gewohnten Songformat, aber bei Ersterem scheint die Stimme des letzten Menschen auf Erden zu singen und bei Letzterem wird mit metallischen Percussion das gesamte Industrial – Genre vorweggenommen. Ich habe gehört/gelesen, dass This Heat hier durchaus schon bestellte Felder beackerten (Moderne Klassik – Penderecki/Stockhausen etc), aber aus Richtung Punk war das neu. Die Einstürzenden Neubauten mögen später in mancher Hinsicht ähnlich radikal geklungen haben, aber This Heat sind einzigartig und haben eine finstere Schönheit in ihrer Musik, die zu ihrer Zeit kaum jemand wahrnehmen wollte – die sie, auch wenn sie heute dieses Album veröffentlichten, zu modernster Avantgarde machen würde – und die die Neubauten im Übrigen nie erreichen würden.

Germs
(GI)

(Slash, 1979)

Die Idee mit dem blauen Kreis als Logo kam von der Band. Das war billiger als alles andere…

Nun in die USA – nach Kalifornien, wo Punk sich zu Hardcore entwickeln wird… Zunächst wirst du die Begeisterung, die Kurt Cobain etwa dieser Band entgegenbrachte, heute kaum verstehen können. Klar, die Songs auf dem einzigen Album der Germs sind sehr energiegeladen, und wer sich die Mühe macht, die Lyrics zu lesen (zu verstehen sind sie selten), kann nicht umhin festzustellen, das Darby Crash ein gefährlich intelligenter Charismatiker und Chaot gewesen sein muss. Aber dass die Germs ihre Instrumente kaum beherrschten, ist noch zu hören (sie hatten sich zuvor Sophistifuck and The Revlon Spam Queens genannt, dann aber den Namen änderten, weil so viele Buchstaben auf T-Shirts gedruckt zu teuer waren), der dünne Sound – sie wurden hier von Joan Jett produziert – ginge heute garnicht und lässt (GI) seltsam „historisch“ klingen. Aber wenn man dann das komplette Album hört, wird der Reiz der ersten L.A. Punk-Band und der Begründer des US Hardcore schnell erkennbar. Wie kann eine Band so kraftvoll und tight klingen und zugleich so nachlässig und dahingerotzt, so poetisch und gefährlich und dabei so albern und schwachsinnig, so juvenil und zugleich erwachsen und fokussiert? Da wird bei Songs wie „Manimal“ oder „Media Blitz“ Punk/Hardcore fast zu Avantgarde, da klingt das 9-minütige „Shut Down“ wie ein Outtake der Stooges aus den Aufnahmen zu Fun House. Und da wird dann klar, wie tragisch es war, dass Sänger Darby Crash zehn Tage nach einem Reunion Konzert 1980 an einer Überdosis starb – und man erkennt, warum Kurt Cobain unbedingt Gitarrist Pat Smear live bei Nirvana haben wollte. Ganz nebenbei – Die Compilation (MIA) (von 2000) mit dem Gesamtwerk der Germs enthält Songs für einen Soundtrack, die Jack Nitzsche produzierte. Da ist zu erkennen, dass die Band schon in Riesenschritten vorangeeilt war, und es wird deutlich, was eine noch bessere Produktion bedeutet hätte…. Und das blaue Kreis-Logo ist genial.

Motörhead
Overkill

(Bronze, 1979)

Cover – Grafiker Joe Petagno. Hat etliche Cover für Motörhead u.A. gezeichnet

Jetzt ist aber mal Schluss mit all den avantgardistischen Herausforderungen. Hier statt dessen erst einmal das Verdikt, das im Zusammenhang mit Motörhead immer wieder zu hören ist, und das in den Anfangsjahren der Band schnell entstand: „Kennst du eine Motörhead-Platte, kennst du Alle“. Ihre beiden kurz aufeinander folgenden Klassiker Overkill und Bomber könnten durchaus auch 10-20 Jahre später erschienen sein – man hätte sich über den Sound und die schiere Urgewalt dieser Band nicht gewundert, die Alben und die Songtitel sind sowieso so klischeehaft wie austauschbar. Aber 1979 waren der Ex-Hawkwind Bassist und Sänger Lemmy Kilmister und sein Konzept einer unglaublich lauten, dreckigen und proletarischen Rock’n’Roll-Band immer noch überraschend, klang die Musik neu und aufregend – zumindest für diejenigen, die den Schmutz und die Pose der Band nicht verachteten. Ich vermute in ihrer scheinbaren Primitivität den Grund dafür, dass Motörhead zunächst eher von Punks als vom distinguierten Led Zep- oder Deep Purple-Hörer geschätzt wurden. Tatsächlich war Motörhead Brachialität weit wichtiger ist als Virtuosität. Lemmy Kilmister hatte die Band 1975 nach seinem Rausschmiss bei Hawkwind gegründet – zunächst unter dem Namen Bastard -das klang der Plattenfirma aber zu „unkommerziell“ – sie nahmen ein Album auf, das zwar „hart“ war, aber die Kraft der Band noch nicht wirklich einfing. Motörhead verließen (nicht zum letzten Mal) ihr Label, wollten sich auflösen und wurden nach ihrem Abschiedskonzert wieder unter Vertrag genommen. Sie nahmen ’77 ihr erstes erfolgreiches Album mit dem Titel Motörhead auf, noch mit einem roheren, etwas undifferenzierteren Sound. Wieder verließen sie ihr Label und kamen bei Bronze Records unter. Für Overkill saß nun Stones-Produzent Jimmy Miller hinter den Reglern und es entstand ihr erstes „klassisches“ Album, mit Brechern wie dem Titelsong, „Stay Clean, „Capricorn“, oder „Damage Case“. Der typischer Sound mit Lemmy’s Whiskey-gestähltem Organ und dem von ihm immens kraftvoll gespielten Lead-Bass, ohne irgendwelche Sperenzchen und mit kurzen und effektiven Gitarrenparts von Fast Eddie Clarke, bietet tatsächlich genau das, was man dann für ein paar Jahrzehnte bis zu Lemmy’s Tod 2015 immer wieder zu hören bekam. „Capricorn“ hat psychedelische Anklänge (Echo und so…), „Overlkill“ ist Punk, aber letztlich ist Alles einfach Motörhead-Musik.

Motörhead
Bomber

(Bronze, 1979)

Cover Illustration: Adrian Chesterman

Das vierte Album, Bomber, wurde kurz nach der Tour zu Overkill aufgenommen – wieder mit Stones-Produzenten Jimmy Miller, der aber immer weiter in den Heroin-Sumpf abdriftete. Es gilt als das schwächere der beiden Alben – Lemmy jedenfalls beklagte, dass er die Songs nicht wie sonst erst einmal Live hatte testen können, vielleicht war die Band nach dem Stress auch ein bisschen erschöpft (…das hört man nicht wirklich heraus – auch die schwächeren Songs sind furios gespielt), aber es gibt neben dem Titelsong noch Perlen wie „Stone Dead Forever“ oder „Dead Men Tell No Tales“ (… das sich interessanterweise sehr kritisch mit Heroinsucht auseinandersetzt – Produzent Miller war ein abschreckendes Beispiel für Lemmy). Aber Bomber ist zusammen mit Overkill und den beiden folgenden Alben Ace o‘ Spades und No Sleep ‚til Hammersmith DAS essentielle Alben-Quartett von Motörhead. Und auch wenn man sagen kann, dass danach immer nur mehr vom Selben kam – es GIBT Unterschiede, es GIBT immer wieder Highlights. In meinen Ohren sind Motörhead für Metal das, was The Fall für den Post-Punk sind…

Black Uhuru
Showcase

(Virgin, 1979)

Illusttration – Herman Cain, Jamaikanischer Illustrator. Dies sind Original Design und Titel des Albums

Black Uhuru gehören zur zweiten Generation der Reggae Bands aus Jamaika, zu denen mithin, die auf dem Erfolg von Bob Marley oder Burning Spear aufbauten. Das allein mag ja manchem Reggae-Fundamentalisten als Zeichen für einen Mangel an Glaubwürdigkeit genügen, aber es ändert nichts an der Klasse dieses Albums: 1979 gibt es kein besseres Album in Dub und Roots-Reggae. Showcase ist das zweite Album der Band, nach dem Debüt hatte Sänger Duckie Simpson den Namen der Band behalten, mit Michael Rose einen neuen Sänger und mit Puma Jones eine charismatische Sängerin dazugeholt. Sly Dunbar und Robbie Shakespeare, Bassist und Drummer der Studioband The Revolutionaries waren Rhythmusgespann und Producer in Einem – ein Gespann, das bald zu Recht als das Beste des Reggae gelten sollte. Der Titel Showcase ist in diesem Fall Programm. Es gibt sieben Tracks, die allesamt mit bis zu acht Minuten ziemlich lang sind. Und Das aus gutem Grund: Jeder Song hat ein „normales“ Ende, und einen Anhang, in dem mit Effekten, Studiotricks und Raps über dem Rhythmus eine Dub-Version des Stückes aufgebaut wird. Alles schon interessant, aber das wichtigste sind die Grundlagen – d.h. die Songs. Und da sind mit „Leaving to Zion“, „General Penitentiary“, „Guess Who’s Coming to Dinner“ und „Shine Eye Gal“ (mit einem Rhythm Guitar Cameo von Keith Richards !) hintereinander gleich vier Klassiker versammelt – das heißt im Reggae gutes Songwriting und intelligente Lyrics. Etwas, das bei der Reggae-typischen Betonung der Riddim’s mitunter vergessen wird. Der Gesang ist ergreifend, die Drum & Bass Grooves von Sly & Robbie sind zwerchfellerschütternd, und es ist für mich hier wie im Jazz, den ich in mancher Hinsicht auch nicht „verstehe“: Es gibt im Reggae Alben wie Showcase, die offenbar „inspiriert“ sind, deren Reiz schwer in Worte zu fassen ist, die aber vor Schönheit glühen. Die Länge der Tracks gibt dem Album etwas Meditatives, der ebenfalls hervorragende Nachfolger Sinsemilla atmet, Showcase denkt. Ein Vergleichbares Album? Burning Spear’s Marcus‘ Children vom Vorjahr. Wenn also Reggae aus diesem Jahr, dann dieses Album, der einzige Konkurrent ist das ganz anders geartete Forces of Victory vom Briten Linton Kwesi Johnson…. Und Vorsicht: Showcase wurden unter diversen Titeln mit verschiedenen Covern wiederveröffentlicht: Es gibt das Album als Black Uhuru, als Vital Selection und als Guess Who’s Coming to Dinner. Also aufpassen beim Erwerb.

Pink Floyd
The Wall

(Harvest, 1979)

Design: Roger Waters und Illustrator Gerald Scarfe

1979 musste die Institution Pink Floyd natürlich nichts mehr beweisen – außer vielleicht, dass sie überhaupt noch etwas zu sagen hatte. Sie hatten – auch wenn das in Zeiten von Punk und Wave selbst von ihren Fans nicht so wahrgenommen wurde – mit dem Vorgänger Animals ein Meisterwerk des Nihilismus geschaffen – in einer Zeit mithin, in der Nihilismus ein Konzept war, das sowohl im Punk als auch im progressiven Rock ein Zuhause hatte. Jetzt hatte ihr kreativer Kopf Roger Waters sich ein neues Konzept ausgedacht, in dem es um den Rockmusiker Pink ging, der seine Neurosen und seine Misanthropie bis in seine Kindheit zurückverfolgte und diese vor Allem Frauen anlastete – kurz, Waters machte ein Album über sich selbst…. Musikalisch wird das Doppelalbum – wie so oft bei Pink Floyd – von wenigen, dafür aber einprägsamen Akkordfolgen und einigen langen Songs zusammengehalten, von denen insbesondere „Comfortably Numb“, „Hey You“ und natürlich die bis heute präsente Hitsingle „Another Brick in the Wall“ bewiesen, dass Pink Floyd noch immer eine der wirklich großen Bands waren – eine, die aus Weniger mittels effektiver Produktionsarbeit Mehr zu machen vermochte – was sie einerseits modern klingen ließ, durch ihre technoide Gigantomanie aber gerade im Jahr 1980 in die Riege solcher Dinosaurier wie Yes oder Genesis stellte. Aber wenn man die Moden außer Acht lässt, muss man einsehen – The Wall bietet ein kluges und beeindruckendes Zusammenspiel von Sound und Konzept. Dieses Album öffnete damals sicherlich produktionstechnisch einige Türen, aber es war vor allem auch seine Vermarktung mit Film und (später) Theaterstück, die revolutionär war. Pink Floyd zerbrachen in der Folge an Waters‘ Kontrollwahn und an seinem Egoismus und seine finsteren Visionen wurden wahr. Zuletzt muss man es so sagen: The Wall war – und ist bis heute – ein Monster.

Rickie Lee Jones
s/t

(Warner Bros., 1979)

Cover – Mike Salisbury. Auch für John Cale’s
Paris 1919 verantwortlich

Mit Rickie Lee Jones erschien ’79 eine Musikerin auf der Szene, die klang wie die Traumpaarung aus Tom Waits (mit dem sie befreundet war) und Laura Nyro. Und die dazu auch noch – völlig klischeehaft – tatsächlich in den Jahren vor ihrem Debüt als Kellnerin gearbeitet hatte, in Nachtclubs gesungen und dort ihren ungewöhnlichen Stil aus einem immer etwas verwaschen klingenden Jazz Gesang und perfekter Vokalakrobatik entwickelt hatte. Rickie Lee Jones zerdehnt bis heute Silben ins Unendliche und Unerkennbare, kaut auf den Worten herum und klingt nach verschnupftem Kind und Jazz-Chanteuse zugleich. Aber neben ihrem fantastischen und enorm individuellen Gesangsstil sind es auch hier vor Allem die Songs, die Rickie Lee Jones zu einem der wichtigsten und haltbarsten Alben des Jahres machen – und die dem oft gezogenen Vergleich mit Joni Mitchell durchaus seine Berechtigung geben. Sie hatte schon Little Feat’s Lowell George mit ihrem hier auch vertretenen „Easy Money“ beeindruckt (der hatte den Song für sein Solo-Album benutzt) Ihre Demo-Aufnahmen hatten Warner Executive Lenny Waronker so beeindruckt, dass er den Produzenten Russ Titleman und eine Schar Studio-Asse zusammenrief um diese Songs zwischen Folk und Jazz aufzunehmen. Und er hatte recht mit seiner Begeisterung: „Chuck E’s In Love“ wurde zum Hit und für einen kurzen Moment war diese dafür so ungeeignete Person so etwas wie ein Pop-Star. Aber die wundervollen Songs tragen durch das ganze Album und der Closer „Last Chance Texaco“ ist das sehnsüchtige Highlight unter Vielen – Rickie Lee Jones bleibt für immer an der Spitze der Frauen mit Stil… Neben (u.a.)..

Marianne Faithfull
Broken English

(Island, 1979)

Cover – Dennis Morris. Fotograf, Designer, Musiker. Etliche Reggae-Albencover…

Für Marianne Faithfull waren die 70er traumatisch gewesen. Die einstige Muse Mick Jagger’s hatte das Sorgerecht für ihr Kind verloren und einen Suizidversuch hinter sich, war schwer heroinabhängig gewesen und hatte zwei Jahre quasi auf den Straßen von Soho gelebt. 1978 war sie wieder in ein Studio gegangen – und hatte eine schreckliche Pop-Platte aufgenommen. Aber dann kamen durch Punk (und durch Reggae) die Rettung: Sie lernte den Vibrators-Bassisten Ben Brierly, The Clash, die Sex Pistols und den Produzenten Barry Reynolds kennen, einen Mann, der später mit dem für Broken English entwickelten Sound mit Grace Jones oder Black Uhuru großen Erfolg haben sollte. Faithfull’s Stimme war um eine ganze Oktave tiefer als in den Sechzigern, vom Leben und vom Alkohol gezeichnet – und für die Lyrics die sie auf Broken English vertonte nun das perfekte Instrument. Der Sound pulsierender Synthies und harscher Gitarren ist kalt, die Stories handeln von Vorstadt-Hausfrauen, die mit ihrem Leben nicht mehr zurechtkommen Insbesondere die von Shel Silversetin geschriebene „Ballad of Lucy Jordan“handelt glaubhaft vom Verlust aller Illusionen, ob in der Liebe oder im Leben. Der authentische, harte Stoff macht das Album bei all den modischen Soundspielereien zeitlos – und die Tatsache, dass das Material neben dem Hit entdeckenswert ist, macht es zum Klassiker. Ihre Version von Lennon’s „Working Class Hero“ ist glaubwürdig und fast besser als das Original, der Titeltrack ist ein seltsamer, stimmlich erschreckender Opener und „Why D’ya Do It?“ sollte eigentlich berühmter sein, als „Ballad of…“. Es gibt wohl nur wenige Alben, die ein so authentisches Bild ihrer Erschafferin zeigen.

Neil Young & Crazy Horse
Rust Never Sleeps

(Reprise, 1979)

Neil Young beendete die 70er mit Rust Never Sleeps – mit einem Album, das ihn als einen der wenigen etablierten Künstler zeigte, die das Jahrzehnt mit Würde überstanden hatten. Musikalisch immer noch interessant genug, ohne sich an neue Trends anzubiedern, und immer noch mit Kraft und hervorragenden Songs. Die Songs dazu nahm er zum größten Teil bei der gleichnamigen Tour auf und ergänzte ein paar Tracks und Overdubs im Studio. Die erste Seite der LP mit akustischen Stücken wie dem surrealen „Trasher“ oder dem auf Sacheen Littlefeather gemünzten „Pocahontas“, – die Frau, die an Stelle von Marlon Brando den Oscar für „Der Pate“ zurückgewiesen hatte – und natürlich mit der Akustik-Variante von „My My, Hey Hey“, das durch Kurt Cobain’s Zitat „Its better to burn out, than to fade away…“ in dessen Abschiedsbrief zu seinem Suizid traurige Berühmtheit erlangen sollte. Die zweite Seite ist dann elektrisch – mit Crazy Horse, krachend und lärmend und ganz gewiss nicht altersweise oder angepasst. Und mit „Powderfinger“- einem von Neil Young’s vielen besten Songs. Die elektrische Version von „My My, Hey Hey“ bildet dann Rahmen und Abschluss für eines der wirklich gelungenen Alben des Kanadiers.

Neil Young & Crazy Horse
Live Rust

(Reprise, 1979)

Covershoot – aus dem Film von Kameramann
Richard Pearce

Im selben Jahr ergänzte er dann dieses Album um den Film Live Rust mit der dazugehörenden reinen Live LP. Vielleicht tatsächlich als Abschluß der 70er gedacht, war es zugleich eine wunderbare Werkschau, und ist – wieder mit Crazy Horse aufgenommen – eine der großen Live LP’s der Rock-Geschichte. Nach Young’s Akustikset stand die Band weiß gekleidet vor den auf dem Cover abgebildeten legendären riesigen Verstärkertürmen und entfesselte einen wahren Lärmorkan mit Songklassikern wie „Cortez the Killer“, „Hey Hey“ und vor Allem „Like a Hurricane“. Über die Notwendigkeit von Live-Alben zu diskutieren ist in diesem Falle müßig, da Neil Young’s Live-Versionen meist roher sind, länger, anders und idealerweise eben besser als die Studioversionen. Und Neil Young hat natürlich zu dieser Zeit schon genug an legendärem Song-Material, das er hier auch ganz hervorragend ausgewählt hat. Wenn man Live Rust und das Studioalbum Rust Never Sleeps hört, will man kaum glauben, dass die kommenden 80er für Young (s)eine verlorene Dekade werden sollten. Auf diesen beiden Alben klingt er noch energetisch, ist sich seiner Selbst und seiner Fähigkeiten bewusst. Ein guter Abschluss also, aber was in den Achtzigern folgte, wurde größtenteils eine ziemliche Ernüchterung..

Lee Clayton
Naked Child

(Capitol, 1979)

Coverfoto – Bill Dibble

Lee Clayton dürfte höchstens Denjenigen bekannt sein, die sich die Songwriting-Credits auf Outlaw-Country Alben anschauen – also nur seltsamen Nerds mit Cowboyhut. Er hatte seit dem Ende der Sechziger für diverse Musiker in Nashville Songs geschrieben, und insbesondere Waylon Jennings scheint ihn sehr gemocht zu haben. Mit Clayton’s “Ladies Love Outlaws“ hatte er nämlich einen veritablen Hit gelandet. ’73 hatte Clayton selber ein Solo-Album gemacht, das sehr lohnend anzuhören ist, das er selber allerdings nicht mochte. Mit dem exzellenten Border Affair (’78) war er schon weit zufriedener gewesen und 1979 erschien mit Naked Child dann eines der schönsten unbekannten Alben zwischen Country und (Folk)-Rock. Warum Naked Child so obskur blieb ? Vielleicht weil Claytons Stimme so gewöhnungsbedürftig ist – irgendwo zwischen heiserem Dylan und unsicherem Quengeln. Die Songs wollen sich nicht entscheiden, ob sie Rock oder Country sind, für Country sind sie zu progressiv, für die Rockmusik der Siebziger zu nah an Country. Dabei hatte Clayton nicht nur ein Händchen für gute Songs – auch die Lyrics von Songs wie „10.000 Years/Sexual Moon“ oder „I Ride Alone“ mögen klischeehaft sein, aber die Bilder, die entstehen, sind technicolor-bunt. Dazu kommt der entfesselt aufspielende Slide-Gitarrist Phil Donelly, der einige der Songs regelrecht in Brand setzt. Manchmal scheinen Produzent Neil Wilburn (z.B. Guy Clark’s Old No.1) und Clayton sogar ein bisschen in Richtung trendigem New Wave geschnuppert zu haben – „If I Can Do It (So Can You)“ klingt für Country VIEL zu modern, die Romanze „I Love You“ wiederum wird nur durch Claytons seltsame Stimme vor dem Abrutschen in den Schmalztiegel gerettet, „A Little Cocaine“ ist dann durch Harp und akustische Gitarren wieder nah an Dylan und Outlaw-Country und hat eine dieser wunderbar lakonisch erzählten Stories. Clayton machte hiernach nur noch sporadisch Musik und Naked Child ist ein Kuriosum – aber eines mit eigenem Stil und voller wunderbarer Songs, die 15 Jahre später unter dem Begriff „Americana“ vermarktet worden wären. Und wen’s interessiert – Sänger Bono von U2 feiert Lee Clayton als Inspirationsquelle.