Bedienen sich doch all die, die man als „Singer/Songwriter“ bezeichnet, seit Ewigkeiten in fast allen Genre’s der populären Musik. Gemeinsam haben die hier beschriebenen Alben nur, dass ein (in diesem Fall blöderweise immer männlicher) Musiker hinter einem Alias, einem Projekt- bzw. Bandnamen steht… Diese Alben haben gemeinsam, dass sie allesamt von Songschreibern eingespielt wurden, die eindeutig Chef sind. Die haben die Tracks komponiert, sie eingesungen, haben das tragende Gerüst geschaffen. Klar – sie haben allesamt Leute dabei, die ihnen helfen. Deren Beitrag den Sound mitbestimmt – aber immer ist da der Eine Kreative Kopf, ohne den diese „Band“, dieser Name, leer wäre. Die Namen der Songwriter nenne ich somit über dem Bandnamen und dem Albentitel. Sich hinter Aliassen zu verstecken ist seit einiger Zeit angesagt: Als hippe Form der Zurücknahme? Als zusätzlicher Coolness-Faktor? Als künstlerisches Statement? Als Unterscheidung zum klassischen Singer/Songwriter? Wahrscheinlich von Allem Etwas, je nach Charakter der unterschiedlichen Persönlichkeiten und der unterschiedlichen Stile, aus denen diese Singer/Songwriter schöpfen. Denn DAS ist das Wichtige: Letztlich sind hier eindeutige Singer/Songwriter-Alben versammelt, die den Bogen von Folk über Pop bis Slow. Und Hardcore spannen. Folk ist tatsächlich immer noch eine der stärksten Wurzeln, aber Musiker wie Troy Von Balthazar/aka Chokebore haben Hardcore-Punk im Blut. Aber auch Country (…ist ja gleich Folk) wird mehr oder weniger deutlich zitiert. Und das Prinzip, dass bei diesen Alben der jeweilige Singer/Songwriter durch seinen persönlichen Style die Musik aus den Grenzen der Genres heraus-transzendiert ist auch 2002 immer noch entscheidend. Immerhin beobachte ich hier, dass diese Art Songs zu schmieden sich wieder durchgesetzt hat, nachdem in den 80ern der Singer/Songwriter fast verschwunden schien, sich maximal aus den 60ern und 70ern ‚rübergerettet hatte. Da kann man also in (…oder seit) den 00er Jahren schön den Bezug zu alten Vorbildern wie Dylan, Cohen, Young herzustellen versuchen. Wie unnötig das ist, wirst du merken, wenn du dir diese Alben hier anhörst. Ach ja – und die Singer/Songwriter OHNE Alias haben wegen der Menge ein eigenes Kapitel…
Jason Molina aka
Songs: Ohia – Didn’t It Rain
(Secretly Canadian, 2002)

Ein Meister der Depression, aber auch ein Mann, der Neil Young später als Magnolia Electric Co. beerbte. Ein Säufer aus dem Trailer-Park und ein großer Künstler, der die Traditionen der amerikanischen Songwriter-Kunst weiterführte um sich dann xxxx umzubringen… Album des Jahres. Daher im Hauptartikel… aus dem ja eigentlich auch die Meisterwerke von Wilco und Sixteen Horsepower hier hin passen könnten….
Conor Oberst aka
Bright Eyes
Lifted Or The Story Is In The Soil, Keep Your Ear To The Ground
(Saddle Creek, 2002)

…so viel Gefühl, so viel Verzweiflung!! Nicht in schlichtes Gejammer gekleidet, sondern mit einer Tiefe, die man einem so jungen Typen wie Conor Oberst (auf den ersten Blick) nicht zuerkennen will. Aber der Twen war schon seit seinem 13. Lebensjahr ein fanatischer Musiker. Er hatte – gerade pubertierend – mit Tim Kasher (siehe weiter unten) unter dem Bandnamen Commander Venus Emo gemacht (den richtigen Emo… nicht albern-modisch). Er hatte in Omaha das Saddle Creek Label gegründet und Freunde und Kollegen unter Vertrag genommen. Ich vermute, Conor hatte zum Schlafen einfach keine Lust und auch keine Zeit. Inzwischen hatte er die Desaparecidos als richtige Band gegründet und mit denen 2001 ein Album aufgenommen, das er wegen seiner sehr deutlichen Kritik an den Reaktionen auf 9/11 noch etwas zurückhielt. Immerhin war er 22 Jahre alt, hatte somit acht Jahre Musikerleben auf dem Buckel und konnte mit seinem anderen Vehilke Bright Eyes ein stream-of-consciousness Album wie Lifted Or The Story Is In The Soil, Keep Your Ear To The Ground meistern. Auch dafür hatte er sich vorbereitet – schon mit 18 und mit 20 hatte er als Bright Eyes spannende Musik veröffentlicht: Letting Off the Happiness (1998) und Fevers and Mirrors (2000) waren sehr gelungene Alben, die auf dieses Meisterwerk vorbereiteten. Hier findet man Musik, die sich (natürlich) klar an seine Generation richtet. Die Ratlosigkeit, Hoffnungslosigkeit nach 09/11, die zerstörte Zukunft, nachdem diese Generation vor dem fatalen Terroranschlag in NY noch eine freie Welt hatte gehofft hatte… „The picture’s far too big to look at, kid / Your eyes won’t open wide enough / And you’re constantly surrounded / By the swirling stream of what is and what was…“ sind die ersten Worte des ersten Songs „The Big Picture“. Es sind Textlawinen, die sich über den Hörer ergießen, und selbst wenn man die Worte nicht versteht, bricht die Dringlichkeit und Verzweiflung durch die Speaker. Connor sang zwar aus der „Ich-Perspektive“, aber ihm gelang es dennoch, allgemeingültig zu sein. Die Millenials konnten in ihm all ihre Charakterzüge wiedererkennen, ihre Ratlosigkeit und Ungeduld und Leidenschaft. Dass seine Songs dazu im Grunde schlicht waren, vom Freund Mike Mogis aber faszinierend komplex arrangiert worden waren, ließ den Gedanken an eine Kopie – von irgendwem – sofort verschwinden. Lifted… ist ein Singer/Songwriter-Album, das wegen seiner Wucht und Leidenschaft zugleich zeitlos, wegen seiner Thematik und seinen Bezügen zu Oberst’s Heimat aber auch angenehm geerdet ist. Man höre nur, wie Zirkusmusik, Country, religiöse Untertöne, die Hoffnung auf Erlösung (Daher Lifted…), Folk und EmoCore hier zusammenfließen. Da geht auch das 10-minütige Dylan-Zitat des Closers „Let’s Not Shit Ourselves (To Love and Be Loved)“ völlig problemlos. Conor Oberst hatte seine eigenen Geschichten zu erzählen. Und die galten für eine ganze Generation, die waren auf Lifted… musikalisch so klug und schön, wie dereinst die überbordenden Songs vom Neutral Milk Hotel auf deren Meisterwerk In the Aeroplane Over the Sea (siehe Hauptkapitel 1998…). Allerdings war Oberst thematisch viel klarer… kein Wunder, wer so viel sagt, will Inhalt vermitteln. Dies ist eines der ganz großen Alben des Jahres 2002, es hätte auch ein Platz im Hauptartikel verdient….
Conor Oberst aka Bright Eyes aka
Desaparecidos
Read Music, Speak Spanish
(Saddle Creek, 2002)

Under Construction
Tim Kasher aka
The Good Life
Black Out
(Saddle Creek, 2002)

Tim Kasher kam auch aus Omaha und war mit Conor Oberst befreundet. Beide hatten in den 90ern in der Band Commander Venus zusammen sowas wie EmoCore gemacht (Da waren sie noch Teenager…). Von Beginn an war Kasher mit der ebenfalls sehr hörenswerten Band Cursive auf Saddle Creek und hatte dort auch das Solo-Projekt The Good Life. Nun – die Parallelen fallen ins Auge: Bright Eyes/Conor Oberst machte – wie Kasher – Emotional Whatever-Core mit Folk-Anmutung. Und Black Out ist ein Album, das mögen dürfte, wer Lifted… von den Bright Eyes toll findet. Dass Kasher mit The Good Life zwei Jahre zuvor ein feines Debüt gemacht hatte (Novena On a Nocturn) und gleichzeitig mit Cursive tolle Alben machte (siehe das 2000 veröffentlichte Domestica) will erwähnt sein. Kasher hielt es also wie sein Freund: Zwei Bands, um unterschiedliche Kompoitions- Techniken zu probieren und die Unmengen an Songs zu veröffentlichen. Dass The Good Life inzwischen vom Solo-Projekt zur „Band“ geworden waren… geschenkt. Für Black Out fand Kasher ein Thema – Alkoholismus – und setzte seine Erfahrungen und all sein Können ein, um ein paar sehr schöne Songs in eine Mischung aus Emo, Elektronik und Folk zu kleiden. Sein Gesang ist genauso dringlich und emotional, wie der von Conor Oberst, seine Stimme klingt etwas „sicherer“ (was ihn nur unterscheidet, nicht „besser“ macht… die schwankenden Vocals von Oberst sind dessen signature move). Man hört an allen Ecken und Enden, dass er Hardcore in den Genen hat, aber die Arrangements sind folky, oft akustisch und von elektronischen Störgeräuschen durchzogen. Auch ihn produzierte Oberst-Freund Mike Mogis… Dass Kasher stringente(re) Texte (als Oberst) geschrieben hatte, ist ein Zusatz-Bonus zu Songs auf hohem Niveau – Black Out ist sehr abwechslungsreich, „Drinking With the Girls“ ist eine tolle Mischung aus Emo und Electronica, der theme-song „Off the Beaten Track“ rahmt das Album ein und Zeilen wie „I was happy being miserable/ I used to lay down my head on the bar/ And raise one lonely finger for a drink“ zeigen, dass Kasher wusste, wovon er sprach. Und was will man mehr bei so vielen feinen Songs?
Colin Meloy aka
The Decemberists
Castaways And Cutouts
(Kill Rock Stars, 2002)

Under Construction
John Darnielle aka
The Mountain Goats
All Hail West Texas
(Emperor Jones, 2002)

John Darnielle war bis 2002 tatsächlich (fast) allein The Mountain Goats. Und auf All Hail West Texas – seinem neunten(!) Album seit 1992 – machte er nichts anders, als auf den acht Alben zuvor: Texte mit Akustik-Gitarre auf einer rauschenden Panasonic RX-FT500 aufnehmen und auf CD pressen lassen. Dass Darnielle damit inzwischen mindestens ein Kult-Following aufgebaut hatte, sollte doch aufmerksam machen. Und Ja – Hier war einer, dessen Lyrics jedes nachlesen und nachdenken lohnten. Dass die 14 Songs über sieben Leute, zwei Häuser, ein Motorrad und eine geschlossene Fabrik auch mit der rudimentären Aufnahmetechnik erkennbar perfekt sind, ist dann wohl auch klar. Ich mein‘ ja nur… Dylan ist auch nur mit Gitarre, Harp und Gesang zum Star geworden. Aber – Wir haben die 00er!! Dass All Hail West Texas als eines der größten Lo-Fi-Folk-Alben dieser Dekade gilt, sollte also aufmerksam machen. Also hören wir mal Songs wie „The Best Ever Death Metal Band in Denton“… da wird es deutlich. Man MUSS und will die Lyrics mithören, dann erkennt man, dass eine cleane Produktion, Drums, Bass etc. diese Geschichte nur banalisieren würde. Dass das ein guter Song ist, ist schnell klar, aber WIE die Geschichte um die vom Leben und den dummen Umständen zerstörte Hoffnung auf etwas so banal-großartiges wie eine „tolle Karriere in einer Death Metal Band“ in solch klaren und schlichten Worten erzählt wird… das hat fast shakespeare’sche Züge. Oder die verzweifelte Such nach der verloren gegangenen Liebe bei „The Mess Inside“: „…We went to New York City in September/ Took the train out of Manhattan to the Grand Army stop/ Found that bench we’d sat together on a thousand years ago/ When I felt such love for you I thought my heart was gonna pop…“ Darnielle’s Lyrics machten aus jedem Song ein kleines bis großes Meisterwerk. Man muss sich vermutlich daran gewöhnen, zuzuhören. Aber dann wird All Hail West Texas zu dem Meisterwerk, für das ICH es halte…
John Darnielle aka
The Mountain Goats
Tallahassee
(4AD, 2002)

…und ein paar Monate später strafte das nächste Album der Mountan Goats die Verteidiger der angesagten Lo-Fi Ästhetik Lügen: Tallahassee wurde auf dem etablierten 4AD-Label veröffentlicht – und John Darnielle hatte auf einmal eine „Band“, die seine Songs begleitete – sprich, Peter Hughes am Bass und diverse andere Gäste an Gitarre, Piano etc. Kein Lo-Fi-Sound auf billigem Bandgerät mehr. Schadete das den Songs? Offenbar nicht. Ja – die Texte waren nicht so im Vordergrund, aber wer Mountain Goats kannte, würde sie sowieso mithören wollen. Manche Tracks mochten nun etwas gedämpfter daherkommen – aber Tallahassee IST ein sanfteres Album. Wobei… Sanft? Das Thema vieler Songs war die bei den Mountain Goats immer wiederkehrende Geschichte eines (Ehe)paares, das inzwischen in die Hauptstadt des US-Bundesstaates Florida gezogen war, in ein ruinöses Haus, das für ihre ebenso ruinöse Beziehung stehen mochte. (Darnielle wohnte in dieser Zeit selber dort). Die Lösung war bei diesem fiktiven Paar der Alkohol… und Hoffnungen, die zerstört wurden, Alltäglichkeiten, die zur Qual wurden, gegenseitige Vorwürfe, die zu Gift wurden. All das fasste Darnielle wieder in Worte wie Geschosse, mit einer Stimme, genau an der Grenze zwischen emotionaler Betroffenheit und erzählerischer Objektivität. Wie sollte er auch klingen, wenn er bei „No Children“ Worte sang wie „… In my life, I hope I lie/ And tell everyone you were a good wife/ And I hope you die/ I hope we both die…“ Tallahassee hatte tatsächlich ein paar Dimensionen mehr – was es nicht schlechter oder schöner, sondern einfach anders machte. Und wieder… diese Songs: Man höre die hoffnungslose Verzweiflung bei „Game Shows Touch Our Lives“ (wie wahr…), man höre das Xylophon bei „Idylls Of The King… oder wie er diese zerstörerische Liebe mit den Worten „…our love is like the border between Greece and Albania/ Trucks loaded down with weapons Crossing over every night…“ beschreibt. John Darnielle war in Bestform. Beide ’02er Alben von The Mountain Goats sind Pflicht für alle, die die Erste Garde der Singer/Songwriter dieser Tage kennenlernen will.
Dan Bejar aka
Destroyer
This Night
(Merge, 2002)

…und auch Dan Bejar gehört inzwischen zur Ersten Garde der Singer/Songwriter der „Moderne“. Mit den New Pornographers hatte der Kanadier im Vorjahr eine Art Durchbruch erlebt. Aber er hatte auch dieses Projekt unter dem Namen Destroyer, mit dem er weitere Aspekte der Populärmusik erforschte. In der Tat… „Ich fange bei jede Album bei Null an…“ war seine Idee. Und das machte er mit This Night schon zum fünften Mal. Er hatte wieder neue Mitspieler, er war der Kopf, der „Singer & Songwriter“ und hatte im Vergleich zum ebenfalls sehr gelungenen vorjährigen Streethawk: A Seduction einen neuen Ansatz für seine Songs gefunden. Destroyer und sein „Gesamtwerk“ sind der Beweis für meine These, dass der Stil, die Ausführung – fast – egal sind, wenn die „Songs“ stimmen. This Night dauert CD-freundliche 70 Minuten, ist also ggf. ZU lang… aber welcher Song sollte wegfallen? Viele Tracks sind recht lose gespielt, „Makin‘ Angels“ fällt fast auseinander mit seinen verzerrten Gitarren, durcheinander-gesungenen Chören, einem verlorenenRhythmus – aber irgendwie lässt Bejar den Song abheben, in dem er behauptet „…Hey, rock n roll’s not through (yet)/ I’m sewing wings on this thing…“ Und das ist nicht einmal der schönste Song hier: Der Titeltrack als Opener mit „shoobedoobewahwah“ oder „Here Comes the Night“ sind die Perlen in einem Mahlstrom aus cheesy Adult-Rock, Psychedelik und Chamber Pop. Es mag eines der Geheimnisse von Destroyer’s Alben sein: Bejar scheut sich auch später nie, „klassische“ 70er Jahre-Rockmusik mitklingen zu lassen. Er bricht deren Cheesyness einfach immer wieder an anderen Stellen. Somit passt dann auch eine acht-minütige Psychedelik-Repetition wie „Hey Snow White“ in diese Kiste. Dazu singt er mit freundlich-hoher T Rex/Marc Bolan-Stimme, und wenn man beim Zuhören mal aus der Spur gerät, wird man wieder von Songs wie „Modern Painters“ oder „Students Carve Hearts Out of Coal“ eingefangen. Man merkt, dass Bejar vielleicht ZU viel kennt – Vieles an This Time ist ungefähr. Aber ist das nicht eine der Stärken der Singer/Songwriter dieser Generation?
Jim Putnam aka
Radar Brothers
And the Surrounding Mountains
(Chemikal Underground, 2002)

Der Kalifornier Jim Putnam war zu Beginn der 90er Mitbegründer der Neo-Psychedliker Medicine, gründete dann gemeinsam mit deren Bassisten die unerquicklichen Maids of Gravity – und holte sich ab ’94 ein paar neue Indie-Musiker, mit denen er die Radar Bros. betrieb. Eine feine EP, eine ebenso gelungene erste LP, dann der Kontakt zu den schottischen Delgados und zu deren Label Chemikal Underground und ’99 eine weitere tolle LP… und kaum jemand bemerkte, dass da der nächste Vertreter des sog. SlowCore die Wüste mit Country und Langsamkeit durchstreifte. And the Surrounding Mountains war also Album No. 3, und wieder mochte man sich an einer wunderbar eigenen Version des verlangsamten Indierock delektieren. Dass Putnam’s Vater Erfinder eines eigenen Musik-Aufnahmesystems war, machte die Produktion der Radar Brothers-Alben leicht… vielleicht etwas ZU leicht. Denn Putnam erforschte seinen Kosmos mit einer Ruhe, die an Gleichgültigkeit zu grenzen schien. Er ließ seine Songs durch ein Pink-Floyd-Weltall gleiten. Ein Song wie „Sisters“ lässt in Harmonie und Atmosphäre an die britischen Weltstars ca. Meddle denken. Die Melodie ist schlicht, effektiv… und berührend. Dass Putnam’s Stimme sogar ein bisschen an Roger Waters erinnert, ist sicher Zufall. Wobei – And the Surrounding Mountains ist gewiß kein ausuferndes Konzeptalbum incl. Dystopie. Aber es ist beeindruckend, wie durchdacht diese Songs sind – Putnam wusste exakt was er tat. Es mag im ersten Moment nicht auffallen, wie hier Arrangement und Song aufeinander abgestimmt werden. Zumal die Songs einander ähneln. Die sind wie das von Putnam gestaltete Cover: sich scheinbar wiederholend, wie eine lange sonnendurchglühte Fahrt durch die Wüste… aber von tröstlicher Wärme und Ästhetik. Wie die letzten vier Tracks in die Unendlichkeit führen (dabei aber alle unter fünf Minuten dauern), ist einfach schön. Sollte ich einen Song hervorheben, dann wäre es „Camplight“… aber alle zwölf Tracks haben kleine, bezaubernden Details. Dass Putnam das Album fast allein aufnahm (nur Bass und Drums wurden von Freunden bedient) lässt mich And the Surrounding Mountains in diesen Kontext setzen. Es ist toller Singer/Songwriter SlowCore…
Sam Beam aka
Iron & Wine
The Creek Drank The Cradle
(Sub Pop, 2002)

Vor Bon Iver gab es Iron & Wine… Das Debüt von Sam Beam ist ein weiteres perfektes Beispiel für das in der Kapitel-Überschrift genannte Thema: „All Songs written, performed, recorded and produced by Sam Beam“ heisst es auf dem Covertext des Debüt’s The Creek Drank the Cradle dieses Mannes aus Miami/FL. Was genau der Grund ist, dass Iron & Wine (ich will ihn ab hier so nennen…) sich schnell in Indie-Kreisen durchsetzte und mindestens drei Alben lang (bis 2007) ein Household Name blieb, kann man hier hören. Die Musik auf The Creek… ist sicher nicht revolutionär. Nicht einmal experimentell oder gewagt. Aber – wie man hier bemerken kann – Singer/Songwriter im Simon & Garfunkle meets Nick Drake-Style waren in den Tagen nach 9/11 offenbar beliebt. War das Eskapismus? Mag sein. Irgendwie schien Iron & Wine sich und seine Zuhörer in eine bessere Welt „Upward Over the Mountain“ zu heben (so der Titel des zentralen Tracks des Albums). Aber der Vergleich mit Simon & Garfunkle hinkt auch – Sam Beam ist eindeutig im Country-Folk verwurzelt und seine Musik ist Americana. Das Banjo pluckert, die Dobro rasselt, Beam hatte einen Bart wie ein Pilgervater… und er hatte Songs, deren Wurzeln von den Einwanderer aus England stammten. In seiner Altertümlichkeit war The Creek… gerade in diesen Zeiten modern. Womöglich sind Songs wie „Lions Hymnal“ und das „Southern Anthem“ doch zeitlos – und so sogar modern. Tatsächlich – dies ist sepia-gefilterter moderner Folk. Und Sam Beam’s sanft-murmelnde Stimme ist für die Millennials das, was Nick Drake multipliziert mit Paul Simon für die Kinder der 70er war. Erst recht, wenn er mit sich selber im Chor singt. Sagen wir doch einfach: Es gibt viele schöne Songs auf diesem folky Debütalbum eines der fähigsten Singer/Songwriters dieser Generation. Und er würde das noch zwei weitere Alben lang liefern.
Kyle Field aka
Little Wings
Wonderue
(K Rec., 2002)

Noch weniger Arrangement? Lo-Fi anyone? In der Tat haben etliche neue Singer/Songwriter/innen in den letzten Jahren beschlossen, Aufnahme-Standards ‚runterzufahren. Eine Frage von Glaubwürdigkeit, auch eine Frage der Unmittelbarkeit von Musik, des Aufwandes, der vorhandenen Mittel, die sonst erforderlich wären. Lo-Fi war inzwischen sogar ein Stil(mittel) – siehe Mountain Goats‘ erstes 2002er Album weiter oben. Kyle Field aka Little Wings war an der Westcoast unterwegs und nahm zu verschiedenen Gelegenheiten mit verschiedenen Bekanntschaften immer wieder lo-fi Songs auf. Und so veröffentlichte er 2002 vier Alben unter diesem Namen… und Wonderue und Light Green Leaves will ich als die zwei besten bezeichnen. Beide wurden vom krediblen Label K Records von Calvin Johnson (Beat Happening) veröffentlicht – sind somit halbwegs erwerblich – und auf der Bandcamp-Website anhörbar. Wonderue hatte er schon 2000 aufgenommen – es war als Letzter von drei Teilen der „Wonder-Trilogie“ konzipiert. Man sollte wissen, dass Field zwar in Alabama geboren worden war, aber seit seiner Kindheit ein Surfer-Boy in Kalifornien war, der sowohl Gedichte schrieb, als auch als Illustrator anerkannt war – und auch diese Sache mit der Musik mit sonniger Leichtigkeit meisterte. Wonderue ist so entspannt, wie Jack Johnson gerne gewesen wäre. Der sollte sich mal „Shredder Sequel“ anhören – und sich dann schämen. Little Wings ist ein bisschen eine Band – ein paar Kollegen hatte Field immer wieder dabei – wer hier wann mitmacht, ist nicht ersichtlich, aber ein gewisser Phil Elverum nahm auch teil! (Siehe dessen Alben als Microphones oder Mount Eerie!!). Schön, wie „When You Know Love“ etwas verwirrt mit Drum-Machine dahinklöppelt, dafür rumst es bei „I Saw Reflections“ gehörig hippie-mäßig… Little Wings/Field hatte eben auch immer ein paar Ideen mehr und ein paar Songs zuviel, um still zu bleiben.
Kyle Field aka
Little Wings
Light Green Leaves
(K Rec., 2002)

Und auf Art entstand dann 2002 das nächste Little Wings-Album: Light Green Leaves wurde mit der inzwischen etablierteren Band eingespielt, klingt aber womöglich noch „lockerer“ als Wonderue. Man mag sich über den schräg geleierten Gesang beim Opener „Boom!“ ärgern. Aber dahinter verbirgt sich ein schöner Song und ein Konzept. Und – Field mag kein großer Vokalist sein – aber seine nasale Stimme hat meine Sympathie – und wenn er sich darüber lustig machen wollte, dann um so besser. Anmerken muss man auch, dass hier ein paar sehr nachlesenswerte und kluge Texte verarbeitet werden, es ist ein zusätzlicher Punkt für Light Green Leaves. Hier ist nicht so viel Entspannung und Lässigkeit, hier herrscht etwas mehr Spannung in den Arrangements. Die Liste der Kollaborateure war auch größer und das „Birdnest“ war wohl ein regelrechtes Studio. Aber das alles ist egal, wenn man sich diese Songs und ihre Texte anhört. Die haben Tiefe und sind durchdachter Lo-Fi Folk… interessanterweise ohne die bei Iron & Wine gehörten Country-Einflüsse. Little Wings kam offenbar aus dem Psychedelic Rock… aus San Francisco eben. Man kann die beiden Alben vielleicht als Starpunkt für weiteres Fandom sehen. Wer will, soll sich also anschauen, was Kyle Field sonst gemacht hat. Er war mit Devendra Banhart unterwegs, hatte eine Band mit M.Ward, spielte mit Grandaddy… Es lohnt sich, ihm zu folgen.
Joseph O’Connell aka
Elephant Micah
The Untied States of Elephant Micah
(Orphanology, 2002)

Diesen Mann hier kann man auch unter Roots Music oder Free Folk oder einer Form von experimenteller Musik einordnen. Joseph O’Connell aus Indiana hatte sich den stage name Elephant Micah gegeben und machte seit 2000 die Bühnen seiner Umgebung unsicher und hatte mit Low Energy Dance Music schon eine Veröffentlichung in 2002 ‚rausgebracht. Das etwas bessere Album wäre sicher The Untied States of Elephant Micah. Dafür fand sich das kleine Orphanology Label, das 52 (!?) CD’s herstellen ließ – die tatsächlich nach kurzer Zeit ausverkauft waren. Daher wurden 2004 von Blue Sanct weitere CD’s gepresst… Mit was? Nun – O’Connell macht sein eigenes Ding. Es ist Folk, Country, ein bisschen „Rock“, genuschelter Gesang, Banjo, Gitarren, Drum-Machines irgendwo im Hintergrund… Und Songs, die eine erhebende Schönheit und Romantik ausstrahlen. Man höre nur „Grace of St. Christopher“. Da singt er mit sich selber im Duett, ein langsamer Rhythmus shuffelt, die Sonne geht unter… Oder „Ohio Arch“. Ein bisschen Patriotismus steckt in den Lyrics. Aber nicht die dumme Art. O’Connell beschreibt die Gegend und die Leute im Mittelwesten voller Empathie. Und die Melodien drücken die Sehnsucht nach Frieden aus. Ich will kurz darauf aufmerksam machen, dass es hier nicht um die „United States“, sondern um die „Untied States“ – also die losgelösten… geht. Die Songs zu diesen …Untied States… hatte O’Connell in den Jahren zuvor als Demo’s aufgenommen. Er machte sie für das Album fertig, überarbeitete sie, fügte ein paar Neue hinzu. Ganz einfach, mit einem 4-Track Recorder, was der Musik auf jeden Fall gut tat. Immer wieder wird die Song-Abfolge von kurzen Instrumentals mit vielen Störgeräuschen unterbrochen – sicher beabsichtigt, um einen Rhythmus in das sonst zu ruhige Album zu bringen. Es ist melancholischer Folk, es ist ein modernes LoFi-Singer/Songwriter-Album mit etlichen schönen Songs von einem, der danach haufenweise Alben veröffentlichte. Immer völlig autark, immer glaubhaft. So fing er an…
David Bazan aka
Pedro The Lion
Control
(Jade Tree, 2002)

David Bazan aka Pedro The Lion war da mit seinem dritten Album schon näher an Musik-Trends der 00er. Die Musik auf Control ist mitunter nah am Cock-Rock. Man hört breitbeinige Gitarren und donnernde Drums.. aber wenn dann die müde Stimme erklingt, die auf diesem Album über den Zusammenbruch einer Beziehung… den Zusammenbruch des Lebens und der gesamten Gesellschaft singt, dann klettert der banale Rock auf die Meta-Ebene. David Bazan hatte auf den vorherigen, weniger „rockigen“ Alben gerne lyrische Konzepte verfolg. Das wollte er auf Control eigentlich vermeiden, aber dann stellte er fest, dass die Songs miteinander verbunden waren… Es war die – angeblich nicht autobiografische – Geschichte eines Mannes, der an seinen Beziehungen, seinem Leben und seinen eigenen Ansprüchen scheiterte. Darunter lag auch noch Kapitalismuskritik – Bazan nannte explizit den Bezug zu den ’99er Protesten gegen die Auswüchse der nur auf Kapitalertrag bedachten Globalisierung… Er hatte was zu sagen. Dass er dafür eine kräftigere Prise Rock wählte, als auf vorherigen Alben, war eine Entscheidung, die man sinnig finden mag, wenn die Songs in Moll daherkommen und sein weltmüder Gesang alle Banalität konterkariert. Nun – die Plattenfirma hatte gefordert, dass er mal nicht so hermetisch klingen solle. Dazu holte er sich den Bassisten Casey Foubert ins Boot, der für ihn die Lautstärke aufdrehte. Man sollte das nicht missverstehen: Hier wird nicht schlicht gerockt – das ist eher eine Art Emo-Rock mit düsteren Lyrics – und die sind immer lesenswert: „Have you ever seen and idealist/ With gray hairs on his head/ Or successful men that keep in touch/ With unsuccessful friends/ You only think you did I could have sworn I saw it too/ But as it turns out/ It was just a clever ad for cigarettes“. Und die Songs kann man sich auch im weniger aufgeplusterten Gewand vorstellen. Und bei einem Song wie „Magazine“ kommt diese Musik auch an dunklen Post-Punk heran – was das Bild vom Cock-Rock zum Glück verblassen lässt. Control ist lauter Singer/Songwriter Post-Punk mit Alarm-Gitarren. Eine Idee ganz andere Idee als…
Jim Rutili aka
Califone
Sometimes Good Weather Follows Bad Poeple
(Glitterhouse, 2002)

Sometimes Good Weather Follows Bad People ist eine Compilation. Tim Rutili hatte 1998 und 2000 auf zwei EP’s unter dem Bandnamen Califone mit Freunden die Musik komplett umgedreht die er in den frühen 90ern mit der famosen Band Red Red Meat gemacht hatte: Sein eigentlich nur als Home-Solo-Projekt gedachtes Ding schuf seither eine verfremdete Folk-Country-Musik, wie man sie sich vielleicht von Tom Waits vorstellen würde. Allerdings hat Rutili nicht die Stimme von Waits und nicht den urbanen Background, auf den der mitunter zurückgreift. Man mag sich auch an Beck erinnert fühlen – aber der war stilistisch woanders unterwegs Nicht dass Rutili/Califone sich gescheut hätte, irgendetwas abseitiges in den Topf zu werfen. Temistoclas Hugo Rutili (…so sein ganzer Name) wollte „…make little pop songs out of found pieces…“ Aber es wurde schnell weit mehr daraus. Die elektronischen Verfremdungen, die Tatsache, dass er mit diesen Leuten zuvor als Loftus ein Album gemeinsam mit ein paar Chicago’er Post-Rock Musikern gemacht hatte – all das war in die zwei hier versammelten EP’s eingeflossen. Rutili war aber eben nicht nur experimentierfreudig und an seltsamen Sounds interessiert – er hat auch ein Händchen für feine Songs. Manchmal kommt das Songwriting an die Klasse von Wilco’s Jeff Tweedy heran. „Electric Fence“ oder das subsonische „When the Snakehandler Slips“ haben echte Klasse… als Songs und als Experimentierfelder für verzerrte Gitarren, brummende Bässe und klappernde Percussion. Im Vorjahr hatte Rutili als Califone mit Roomsound schon ein tolles Album veröffentlicht – für die, die’s nicht mitbekommen hatten, war Sometimes Good Weather Follows Bad People der perfekte Hinweis auf ein sehr spannendes Projekt (das dann 2009 mit All My Friends Are Funeral Singers (…diese Titel…!) eines der besten Alben der ersten Dekade der 2000er gemacht hat).
Isaac Brock aka Modest Mouse mit Tim Rutili aka Califone
Ugly Casanova
Sharpen Your Teeth
(Sub Pop, 2002)

…und hier finden wir ihn wieder – Jim Rutili war ein enorm fleißiger Musiker. Oder besser – ein sehr kreativer Kopf, der auch kein Problem damit hatte, mit anderen Getriebenen zusammenzuarbeiten. Wie zum Beispiel mit Isaac Brock, dessen Band Modest Mouse in den 00ern (zu Recht) als einer der ganz großen Indie-Acts galt. Brock tat sich für das Projekt Ugly Casanova mit Rutili und dessen Drummer Brian Deck, sowie mit Black Heart Procession’s Pal Jenkins und John Orth von Holopaw zusammen – allesamt Musiker von Rang im Umfeld von Post Rock und verbogenem Folk. Brock dachte sich zu dieser Neben-Band noch die schöne Geschichte von einem sich selbst „Ugly Casanova“ nennenden Typen aus, der bei einem Modest Mouse-Konzert angeblich mit Lyrics und Songs aufgetaucht sei, die er vor der nächsten Show zum Besten gab, um danach frustriert zu verschwinden… man kann vermuten, Brock wollte einige seiner vielen Songs aus dem Modest Mouse-Kontext herausholen. Und er durfte… Sub Pop ließ ihn das Album Sharpen Your Teeth aufnehmen, auf dem man natürlich Brock’s Handschrift/Stimme deutlich heraushört – das aber auch einige Schrägheiten mitbringt, die von anderer Seite kommen. Wie das so ist bei Projekten aus Leidenschaft: Die Vermeidung von Kommerz und viel Liebe sind hörbar. Nun war das auch bei Modest Mouse der Fall, aber Sharpen Your Teeth beleuchtete Ideen, die (noch) mehr in Richtung Psychedelik und Folk wiesen. Auch Rutili’s Erfahrung mit klappernden Percussion und verfremdeten Sounds dürften Brock gefallen haben. Schon wie der Opener „Barnacles“ mit rückwärts-aufgenommenen Gitaren beginnt um dann in reptitiven Countryrock abzubiegen, zeigt den Ideenreichtum in diesem Projekt. „Spilled Milk Factory“ paart die Energie von Modest Mouse mit dem Geklapper von Califone. Und wie beim Highlight „Hotcha“ Folk, Psychedelik und ein wunderbarer Song zusammengehen, ist wirklich erfreulich. Dass Brock’s Stimme und Melodieführung all das zusammenhält, ist die Krone auf den Zähnen. Und auch hier: Ja – Man kann Isaac Brock als Singer/Songwriter unter Alias erkennen und benennen.
Mike Kinsella aka
Owen
No Good For No One Now
(Polyvinyl, 2002)

Owen aka Mike Kinsella ist dem ganz zu Anfang genannten Conor Oberst nicht unähnlich: Er kam auch aus der Emo-Ecke, seiner Musik und seiner Stimme war immer eine Dringlichkeit zueigen, die man kitschig finden könnte. Und auch er war ein begabter Texter und Schreiber – ein Singer/Songwriter eben – der zuvor mit den Bands Cap’n Jazz, American Football und Joan of Arc – teils gemeinsam mit seinem Bruder Tim – veritable Klassiker des Midwest Emo geschaffen hatte. Aber nun waren die Teenager-Jahre vorbei, die Zeit der ersten emotionalen Verwirrungen und Enttäuschungen war vergangen (und hatten mit American Football 1999 eines der ganz großen Erwachsen-Werden-Alben gebracht) Dann war 2001 sein erstes Solo Album unter dem Moniker Owen erschienen. Und jetzt hatte Kinsella komplett die eigene Sprache gefunden. Man hört deutlich heraus, dass Kinsella bei den vorherigen Bands Drummer war – das 7-minütige „Everyone Feels Like You“ VIBRIERT durch seine Drum-Patterns. Aber Kinsella spielte inzwischen alle Instrumente selber – und er beherrschte auch die perfekt. Manche bezeichnen No Good For No One Now als den eigentlichen Nachfolger des nicht mehr ganz so geheimen Emo-Klassikers American Football. Die Themen sind ähnlich – Kinsella betrachtet mit einer Mischung aus Zynismus und Bedauern die Trümmer vergangener Beziehungen, die Dummheiten einer Jugend, die eigentlich noch nicht so lange vorbei war – um mal Zahlen zu nennen, Kinsella war beim Release gerade 25 geworden. So ist No Good… das Album eines ebenso erfahrenen jungen Musikers, wie die Alben von Conor Oberst. Er hatte im Haus der Mutter aufgenommen, meist akustisch, daher klingt vieles folk-nah, aber dann gibt es wieder ein paar angedeutete Post-Rock Figuren, oder bei „The Ghost of What Should’ve Been“ sogar eine kreischende E-Gitarre. So ist dieses Album ein echtes Songwriter-Album, das damit spielt, das die leichten Jugendjahre offenbar vorbei sind. Und was er für Songs daraus schöpfte… wie viele Ideen er hatte und wie viel Leidenschaft da war… Das ließ auf noch viel mehr hoffen. No Good For No One Now ist u.a. auch das eingelöste Versprechen auf mehr.
Troy Von Balthazar
Chokebore
It’s a Miracle
(Pale Blue, 2002)

Diese Band um den Singer/Songwriter Troy Von Balthazar war 2002 schon seit zehn Jahren aktiv. Balthazar hatte Chokebore 1993 in seiner Heimat Hawaii gegründet, sie waren wegen des Kunststudiums des Gitarristen nach LA gezogen und hatten inzwischen einen respektablen Ruf in der Indie-Szene (…na ja – soweit die 2002 noch existierte) Immerhin waren sie beim Label Amphetamine Reptile gelandet, hatten in Europa eine Menge Fans gesammelt und Kurt Cobain bei der letzten Nirvana-Tour als Support begleitet. Ihre Musik war immer ein bisschen ausserhalb der üblichen Post-Punk/Hardcore-Schiene ihrer Genossen gelaufen – Troy Von Balthazar schrieb mitunter schwer depressive Lyrics und auch die Songs waren in aller Konsequenz gerne mal traurig-melodisch… und so wurden Chokebore hier und da als Begründer des SlowCore bezeichnet. Man hat auch den Begriff SadCore benutzt… so dumm der klingt, es passt zu ihrer Musik: Wer diesen Begriff besetzt bekommen will, der höre auf It’s A Miracle den Song „Ultra-Lite“. Es ist interessant, zu hören, wie diese Band sich seit ihrem Debüt entwickelt hatte… tatsächlich gilt It’s A Miracle als das „leichteste“ Album der Band. Weil mit dem Opener „Ciao L.A.“ ein regelrecht freundlicher Song den Abschied von der ungeliebten Wahlheimat feiert. Weil dann dann wieder mit einer unnachahmlichen Mischung aus sanfter Wucht und Traurigkeit ein Song wie „Police“ zelebriert wird. Melodisch ausgefeilter, als es im Hardcore üblich ist… Aber an Hardcore denkt sowieso niemand, der solch sanfte Gitarrenchords hört. Dies ist das Charakteristikum von Chokebore: Sie klingen wie eine Hardcore-Band, die ihre Härte mühsam zurückhalten muss. Und dass Troy Von Balthazar’s Stimme sanft ist, ist nur EIN Grund für ihre Zurückhaltung. Darin ähneln sie sogar den deutschen Hardcore-Experimentalisten Notwist. Allerdings haben die die Erlösung in Elektronik gesucht, nicht in Verlangsamung. It’s a Miracle war das letzte Album Von Balthazar’s unter dem Chokebore-Moniker. Er ließ hier ein bisschen die Zügel schießen, vorherige Alben waren strenger, hermetischer – das mag man besser finden oder eben nicht. Immerhin beschließt das Album dann mit zwei kurzen Noise-Tracks „Little Dream“ und „She Flew Alone“ sind nochmal Chokebore in Reinform. Na ja – und man kann diese Musik auch gerne in andere Genre’s packen. Es ist schlicht ein weiteres feines Album unter der Ägide eines modernen, von Hardcore, Folk und düsteren Emotionen geleiteten Singer/Songwriters.
Und was ist mit den Singer/Songwritern ohne Alias?
Es gibt natürlich haufenweise Alben im Jahr 2002 von Singer/Songwriter/inn/en, die unter dem Namen derselben veröffentlicht werden. Und – beachtenswert, wenn auch unerklärlich – unter den Aliassen ist keine einzige Frau, unter den „Klarnamen“ sind Frauen wie Tori Amos, Aimee Mann, Nina Nastasia, Mary Timony, Cynthia Dall, Regina Spektor… neben Männern wie Ben Kweller oder Brendan Benson. Die alle bekommen ein eigenes Kapitel mit dem Titel „2002 – Die unendliche Geschichte vom Singer/Songwriter“. Es gibt also noh viel zu hören und lieben…