Das Wichtigste in 1958 – Weltwirtschaftskrise und der Run zum Mond – Buddy Holly bis Everly Brothers

Es kommt zur ersten Weltwirtschaftskrise nach dem 2. Weltkrieg – nur Deutschland bemerkt wenig davon, da hier das Wirtschaftswunder in vollem Gange ist. In Frankreich wird Charles De Gaulle Präsident, er hat weitgehende Vollmachten um gegen die Revolution in Algerien vorzugehen….

Zwischen den Westmächten und dem Ostblock gibt es Streit um den Status von Berlin, aber es gibt auch Entspannungsbemühungen. Währenddessen beginnen die kommunistischen Rebellen in Kuba ihre letztlich erfolgreiche Offensive gegen die Diktatur des Batista Regimes. Ihr Anführer Fidel Castro wird bald einen kommunistischen Staat vor den Toren der USA etablieren – zu deren andauerndem Ärger. Währenddessen beginnt der Run auf den Mond: Die Russen starten ihre „Sputnik“ Sonden, die Amerikaner wählen ihre Kandidaten für den Mondflug aus. Und der Nordpol wird von einem U-Boot unterquert und der Südpol von gleich zwei Expeditionen erreicht (allerdings nicht zum ersten Mal). Und das erste Autotelefon geht in Betrieb – es kostet halb soviel wie das dazugehörige Auto. 1958 ist das Geburtsjahr von Kate Bush, Ice T, Prince – und Michael Jackson. In diesem Jahr gibt es in jedem Bereich der Musik der 50er etwas zu entdecken. Rock’n’Roll verliert ein bisschen an Fahrt (…weil Elvis zur Army muß…) aber viele wichtige Künstler veröffentlichen sehr gute LP’s – auch wenn es sich dabei meist um Compilations handelt – Bedenke: Noch ist es die Zeit der Singles!! Aber es gibt schon wunderbare Vocal Jazz-Alben von Billie Holiday bis Frank Sinatra, Miles Davis pusht weiterhin Entwicklungen im Jazz, spielt Cool Jazz und HardBop, ebenso wie sein ehemaliger Begleiter John Coltrane, dessen letztjährig aufgenommenes erstes Solo-Album nun veröffentlicht wird. Die Everly Brothers und Rick Nelson machen gezähmten Rock’n’Pop immerhin mit Niveau und Pep, Johnny Cash verbindet weiterhin Rock’n’Roll und Country und James Brown (behauptet zumindest großmäulig er…) erfindet den Soul. Die Musik der 50er in aller Schönheit und in voller Blüte – was nicht ausschließt, dass es kommerziell erfolgreiche Musik gibt, die ich aufgrund persönlichen Widerwillens hier nicht weiter als bis zum unteren Ende dieser Einführung erwähnen will. So sind mir Perry Como, Paul Anka, Domenico Modugno (mit dem unerbittlichen „Volare“) oder etliche Weihnachtsalben im Rock’n’Roll Style (…ja, der verliert im Rekord-Tempo an revolutionärem Drive…) nicht der Erwähnung wert.

Buddy Holly
s/t

(Coral, 1958)

Kein Wunder, dass Weezer ihren ersten Hit nach dem Erfinder des Power Pop benannten. Der junge, extrem kurzsichtige Brillenträger (die er für das Cover aus ästhetischen Gründen weglassen musste…) aus Lubbock/Texas mag nicht viele Songs hinterlassen haben, als er im folgenden Jahr mit gerade mal 22 Jahren bei einem Flugzeugabsturz umkam, aber die, die er hinterlassen hat, sind Pop in Perfektion. Sie haben ebensoviel mit dem Rock’n’Roll Elvis‘ und Chuck Berry’s gemein, wie mit dem Country von Johnny Cash oder dem Rockabilly von Gene Vincent. Sie sind irgendwo in der Schnittmenge der Zeitgenossen – und sie sind dazu noch pure Pop. Das erste Album – noch unter dem Moniker The Chirpin‘ Crickest veröffentlicht, weil die Plattenfirma Band und Solo-Künstler trennen wollten – mag etwas stärker sein, weil es flotter ist und weil die Dichte an Hits größer ist, aber der Zweitling – drei Monate später dann unter dem Künstlernamen des als Charles Hardin Holley geborenen Burschen veröffentlicht – hat genug formidable Songs für die Karriere mehrerer Pop-Bands der heutigen Zeit. Buddy Holly wurde natürlich mit dem gleichen Personal aufgenommen wie das Debüt, es ist wieder eine Compilation der letzten Singles, und da sind immer noch haufenweise Songs, die zu Standards geworden sind. Da ist natürlich die Top Ten Single „Peggy Sue“ neben Klassikern wie „I’m Gonna Love You Too,“, „Listen to Me“, „Everyday“, „Words of Love,“ und dem rasanten „Rave On“. Der Rest mag nicht ganz so stark sein, aber Holly’s Versionen von „Ready Teddy“ oder „You’re So Square (Baby I Don’t Care)“ sind aller Ehren Wert und unterscheiden sich allein schon wegen seines Gesangsstils genug von den Versionen seiner Zeitgenossen. Es ist, wie gesagt, das letzte Album, das noch zu Holly’s Lebzeiten veröffentlicht wurde, alles was danach kam, ist posthum zusammengestellt und es zeigt, welcher Verlust der Tod Buddy Holly’s letztlich bleiben sollte. Nicht umsonst ging der Tag, an dem er (mit Richie Valens und The Big Bopper) bei einem Flugzeugabsturz umkam als „The day the music died“ in die Annalen ein.

Elvis Presley
Elvis Golden Records

(RCA, Rel. 1958)

Es war (wie schon etliche Male erwähnt) in den 50ern unüblich, autarke LP’s zu veröffentlichen. Das gewählte Format war die 7“ oder die 10“, die dann gegebenenfalls als „Album“ zur Doppel 10“ gemacht wurde. So hatte auch RCA etliche von Elvis‘ Singles nicht auf regulären Alben versammelt, statt dessen aber im Vorjahr zwei „Alben“ als autarke Einheiten veröffentlicht. Dennoch war die kurze 7“/ 45er das Format, das von jungen Leuten gekauft wurden – alleine schon weil sie billiger waren als LP’s. So waren es diese Singles, die seine Popularität begründeten, denn sie bekamen in den Radio Stationen auch das erforderliche Airplay. (Und diese einzelnen Songs sind es bis heute, die man mit Elvis verbindet). Die ’58 zusammengestellte Original Vinly LP Elvis Golden Records enthält vierzehn Tracks, von denen neun die Single Charts getoppt hatten. Man sagt, dies sei das erste Greatest Hits Album (was natürlich nicht stimmt…) aber es ist eines, das zunächst einmal nach Resteverwertung aussieht. Das Cover jedenfalls ist so geschmacklos, dass es schon wieder gut ist. Ich will also noch einmal wiederholen: Die meisten LP’s von Presleys Zeitgenossen waren ebenfalls Compilations – sie wurden nur nicht ausdrücklich als Greatest Hits Package tituliert. Was den Inhalt angeht, ist Elvis Golden Records allerdings phänomenal. Man kann waherscheinlich sagen, die Geschichte des Rock’n’Roll – oder sogar die Geschichte der Musik Amerika’s – wäre ohne Singles wie „Hound Dog“, „All Shook Up“, „Heartbreak Hotel“, „Jailhouse Rock“, „Too Much“, „Don’t Be Cruel“, „(Let Me Be Your) Teddy Bear“, „Love Me Tender“ und „I Want You, I Need You, I Love You“ möglicherweise gar nicht geschrieben worden… Zumindest wäre sie beträchtlich ärmer. Elvis Golden Records mag also kein „reguläres“ Album sein – Elvis war inzwischen bei der Army und hatte bis 1960 keine Gelegenheit Singles aufzunehmen – aber es ist wegen der Dichte an essentiellen Tracks vielleicht sogar die beste Wahl um seine Musik kennenzulernen.

Elvis Presley
King Creole Soundtrack

(RCA, 1958)

Und dann war da noch…. Ja – Elvis hat seit ’57 Filme gedreht (auf Betreiben seines gewissenlosen Managers) die eher bemüht als sinnvoll waren. Elvis zweiter Film King Creole (Deutscher Titel – Mein Leben ist der Rhythmus) etwa war eine Art Marlon Brando Rebellenstory mit viel Gesang und einer Portion Tragik. Elvis‘ schauspielerische Fähigkeiten waren eher mittelmäßig, aber in dieser Rebellenstory fanden die Teenager ihn toll – und da genug Musik im Film war , konnte genug Geld eingespielt werden. Für die Dreharbeiten durfte Elvis immerhin seinen Militärdienst um sechs Monate verschieben. Der Film spielt in New Orleans und zum Thema passend waren bei diversen Tracks Dixieland-Einflüsse hörbar: Der Titeltrack hat eine New Orleans-Jazz Passage, ist aber sonst tatsächlich fast so flott, wie man es auf dem ersten Album geliebt hat…? Na ja – natürlich war letztlich doch alles etwas gediegener. Rock’n’Roll war schließlich schon ausgebremst, nun wurden die Rhythmen langsamer, die Rebellion der Person „Elvis“ war in die Fiktion des Filmes verschoben und somit nicht mehr konkret. Dass die feine Single-Auskopplung „Hard Headed Woman“ zum Mix aus Rock’n’Roll und Dixieland umgebaut wurde, war genauso der Film-Karriere und dem Konzept Soundtrack-als-Zweitverwertung geschuldet, wie der „Dixieland Rock“. Aber – dennoch und immerhin – ist King Creole nach Loving You von ’57 der beste Soundtrack, den man Elvis zugestehen kann. Und wenn man das Bedauern über die Verschwendung von Elvis‘ Talenten mal beiseite lässt, hat man hier einige feine Tracks, die durch die Stimme dieses Sängers schon mal grundsätzlich Klasse haben: „Crawfish“ – Im Duett mit Kitty White – mit fast erschreckendem Innuendo, das tolle „Trouble“, der Closer „New Orleans“, Dixieland und Rock’n’Roll in erträglich. Es ist ein gelungener Soundtrack. 21 Minuten, die es Wert sind anzuhören….

Wanda Jackson
s/t

(Capitol, 1958)

Es gibt in diesem Jahr, in dem dem Rock’n’Roll allmählich die Puste auszugehen scheint, mit Wanda Jackson’s Debütalbum eine seltene Erscheinung – ein Album mit „echtem“ Rockabilly – von einer Frau. Rockabilly – was sag‘ ich – Rock’n’Roll insgesamt – war eine Domäne der Männer, nicht nur in den paar Jahren seit ’55. Es gab höchstens noch Brenda Lee und Connie Francis, aber deren Musik war ungefährlich. Weibliche sexuelle Ein- oder Zweideutigkeiten wie bei Elvis – und damit Relevanz bei der rebellischen Jugend – fehlten den Damen im Rockabilly-Kosmos. Und dann kam Wanda Jackson, die mit Aussehen, Stimme, Persönlichkeit und Songs bewies, dass auch Mädchen gefährlich sein konnten. Sie hatte zunächst mit modernisiertem Country, High Octane-Stimme und bloßen Schultern das Publikum im konservativen Nashville verstört, war mit Elvis getourt, hatte mit ihm Platten gehört und ihre persönliche Mixtur aus Rockabilly, Country und Rock’n’Roll entwickelt. Von ’55 bis ’58 hatte sie einige kleinere Hits, meist Versionen von Country-Klassikern – und auf ihrem Debüt gibt es auch davon genug und sie macht das mit ihrer jugendlichen Stimme großartig – aber insbesondere ihre Versionen von „Whole Lotta Shakin’“, ihr „Money Honey“ und das ikonische „Let’s Have a Party“ dürfte Eltern bekümmert bis entsetzt haben und jungen Mädchen seinerzeit bewiesen haben, dass Frauen mehr als Beiwerk beim Tanz sein konnten. Dass diese unheiligen Ausbrüche von neuen und alten Country-Klassikern unterbrochen werden, lässt Wanda Jackson heute erfreulich abwechslungsreich klingen. Zumal ihre Country-Heuler wirklich Stil haben. Nach einem weiteren, schon etwas zahmeren Album (There’s a Party Going On – 1961) wandte sie sich – wie so Viele ihrer Zunft – der Religion zu und machte Pop, Country und Gospel. Ihr Funktion als Ikone des weiblichen Rock’n’Roll konnte sie damit nicht mehr zerstören. Und jetzt ist sie Kult.

John Coltrane
Blue Train

(Blue Note, Rec. 09/1957, Rel. 01/1958)

Blue Train, John Coltrane’s einzige LP für Blue Note, kam aufgrund mündlicher Vereinbarungen mit Label-Boss Albert Lion zustande. Coltrane machte mit diesem Album erst seine zweite LP als Solist – und tat das zu einem gewissen Teil sicher aus der Not heraus – Miles Davis hatte ihn 1957 aufgrund seiner Heroinsucht aus seiner Tour-Band geworfen, Coltrane aber wollte arbeiten. So stellte er eine eigene Band zusammen und spielte an einem Tag im September ’57 das Album Blue Train für Blue Note ein – natürlich mit den besten Musikern des Labels: Eine dreifach besetzte Horn-Section mit dem Trompeter Lee Morgan, Trombonist Kurtis Fuller und Coltrane selbst am Saxophon. Dazu Kenny Drew am Piano und mit Bassist Paul Chambers und Drummer „Philly“ Joe Jones Miles‘ Rhytmus-Sektion. Beileibe keine reinen Mitläufer und alles Musiker, die ihn später immer wieder in wechselnden Konstellationen begleiten würden. Noch war Coltrane’s Musik nicht so „revolutionär“, wie sie werden würde, noch ist es der „reine“ Hard Bop, der hier gespielt wird – meiner Meinung nach egal, denn Innovation im Jazz ist oft nur für Musiktheoretiker interessant (bzw. erkennbar) und Blue Train ist – unabhängig von allen technischen Details – ein großartiges Album voller Inspiration und Energie. So wurden der Titeltrack und das energiegeladene „Moments Notice“ mit dem Trombone-Solo von Fuller, sowie das großartige „Locomotion“ zu Standards des Hard Bop und das Album mit seinem ikonografischen Cover-Design zum ersten Klassiker in Coltrane’s Solo-Diskografie. Es ist vor Allem das enge Zusammenspiel der drei Bläser auf diesem Album, das die LP zum ersten Highlight macht – und zu dem Album, das Coltarne als das Beste aus der Phase vor Giant Steps (1960) bezeichnet hat.

John Coltrane With The Red Garland Trio
Traneing In

(Prestige, Rec. 08/1957, Rel. 03/1958)

Aber es gab natürlich noch andere Sessions – unter anderem die mit dem Red Garland Trio kurz vor den Blue Train-Sessions. Das Ergebnis – Traneing In auf Prestige – gilt als weniger spannend, sozusagen Beiwerk zu einer Diskografie, die bald riesig und voller Höhepunkte weit über seinen Tod keine 10 Jahre später wachsen würde. Warum er Red Garland für sein Solo-Album Soultrain als Begleiter verpflichten würde, kann man beim Anhören von Traneing In schon verstehen. Die beiden kannten sich von Miles Davis, Garland lud Coltrane auch zu seinen eigenen Sessions ein (siehe das auch ’58 veröffentlichte Garland-Album All Mornin‘ Long) und er war ihm auf diesem Album solistisch gleichgestellt. Coltrane wiederum spielt hier voller Respekt durchaus etwas zurückhaltend – manche verwechseln das vielleicht mit weniger inspiriert. Ich würde das nicht sagen. Coltrane war sicher noch auf der Suche, aber (s)eine eigene Stimme hatte er schon. Sein Spiel ist auch hier technisch beeindruckend, manchmal erfreulich lyrisch, bei der Eigenkomposition „Bass Blues“ labyrinthisch, aber auch deutlich dem Ensemble verpflichtet. Und das ist mit Paul Chambers am Bass und Art Taylor an den Drums natürlich exzellent. Chambers darf beim „Bass Blues“ ein gestrichenes Bass-Solo spielen – auch selten gehört. Die Atmosphäre ist ziemlich entspannt, man hört den Spaß heraus, nicht die Suche nach der Revolution, sondern eher eine Übung in traditionellem Hard Bop. Und das kann auch mal erholsam sein. Traneig In ist nicht energetisch wie Blue Train, nicht so schnell und konzentriert wie Soultrane – er versuchte hier nicht seine sheets of sound – aber es ist ein angenehmes Album. Und die ans Ende gesetzte 4:40 des Irving Berlin Tracks „Soft Lights and Sweet Music“ sind mit rasantem Bass und Coltranes fliegendem Saxophon ein Spaß.

John Coltrane
Soultrain

(Prestige, Rec. 02/1958, Rel. 10/1958)

Und schon kam das nächste Album – mit dem selben Personal übrigens, wie bei Traneing In – also mit der Band von Miles Davis, der ihn Anfang ’58 wieder zurück geholt hatte. Soultrane, ist schon auf dem Cover als Coltrane-Album definiert und wurde im Februar ’58 mit Miles‘ Band – nur eben ohne Davis – aufgenommen. Bei der Dichte an Session-Dates (drei Tage zuvor hatten die gleichen Musiker auch noch Milestones aufgenommen und paar Wochen später trafen sie zu den Sessions zu Kind of Blue aufeinander!) und bei all den dazugehörigen Live Auftritten wäre eine gewisse Müdigkeit verzeihlich gewesen, aber Nichts Da! – Für Soultrane hatte Coltrane sich auf’s Songwriting konzentriert, er war durch die kleine Quartett-Besetzung gewissermaßen dazu gezwungen, selber alle Formulierungen und Ausschmückungen zu übernehmen. Hier beginnt Trane mit der Ausarbeitung seiner „Sheets of Sound“. Dieser Begriff, der für seine komplexen, sehr schnellen Soli steht, die von tiefsten Tönen in höchste Register fliegen, wird erstmals in den Liner Notes zu Soultrane vom Downbeat Magazine-Kritiker Ira Gitler verwendet. Was Coltrane auszeichnet, ist aber nicht so sehr die stupende Technik, sondern seine Fähigkeit, Stimmungen auszudrücken. Er kann romantische Schlaflieder genau so gut wie vor Adrenalin strotzende Grooves, und er meistert all das genau so mühelos, wie die Tempowechsel und Melodie-Verzweigungen seiner Soli. Soultrane mag nicht so revolutionär sein, wie Giant Steps, My Favorite Things, Ascension oder A Love Supreme – aber Coltrane machte ab hier bis zu seinem Tod kein einziges „schlechtes“ Album mehr.

Mile Davis
L’Ascenseur Pour L’Echaffaud

(Fontana, Soundtrack, 1958)

Ach ja – die Veröffentlichungspolitik im Jazz… Aber ich habe mich nun mal darauf festgelegt, Alben nach ihrem Erscheinen in der Welt der Musik-Hörer hintereinander zu stellen und zu beschreiben. Somit ist das erste Miles Davis-Album ’58, das die Ohren der Fans erreicht, ein Soundtrack, der Ende ’57 in Frankreich aufgenommen wurde, das zweite Album eine Session Davis‘ mit seinem Quintet von 1956 und das letzte, im September ’58 veröffentlichte Album dasjenige, welches ich in dem Coltrane-Review hier vor erwähnte. Für den französischen Film Noir Klassiker-to be Ascenseur pour l’échafaud (Deutsch: Fahrstuhl zum Schafott) hatte der Assistent des Regisseurs Louis Malle Miles Davis und seinen Chef zusammengebracht. Davis‘ schaute sich die Rohfassung des Films an und erklärte sich bereit, den Soundtrack einzuspielen. Dafür holte er sich kurz vor dem Jahreswechsel ein paar ziemlich unvorbereitete französische Jazzmusiker ins Studio, legte denen ein paar Melodieskizzen vor – Hauptdarstellerin Jeanne Moreau war auch dabei – man ließ Filmausschnitte auf der Leinwand und die Bänder laufen. So etwas hat bei Davis immer wieder funktioniert, die Musiker sind ohne Zweifel gut genug, die Skizzenhaftigkeit der Musik passt zum düsteren Film, der (erzwungene) Minimalismus macht sie regelrecht zeitlos, Davis‘ Trompete schwebt in den kurzen Tracks wie ein Geist über den Rhythmen und Klavier-Akkorden – und es entsteht die Stimmung, die man nur von ihm kennt. Ascenseur pour l’échafaud kam mit dem Film im Januar ’58 zunächst als 10“ heraus und wurde zu einem weiteren Highlight in Davis‘ vielseitiger Diskografie…

Miles Davis Quintet
Relaxin‘ With The Miles Davis Quintet

(Prestige, Rec. 1956, Rel. 1958)

… die schon zwei Monate später um einen weiteren Teil seiner letzten Sessions für Prestige titels Relaxin‘ With The Miles Davis Quintet ergänzt wurde. Das Quintet bestand aus Red Garland, Paul Chambers, Philly Joe Jones, John Coltrane und Davis – die Namen kennen wir schon – sie bürgen für Qualität. Davis war noch bei Prestige unter Vertrag gewesen, als er bei Columbia unterschrieben hatte, und er konnte das Label davon überzeugen, seinen Vertrag in einer Session – an zwei Tagen Ende Oktober 1956 – zu erfüllen, aus der dann vier Alben destilliert wurden, die Prestige mit den Jahren sozusagen thematisch geordnet veröffentlichte. Hier hieß es nicht Steamin’…, Cookin’… oder Workin’… (alles Titel anderer Sessions), sonder Relaxin‘ With The Miles Davis Quintet – und so klingt die Musik: Fröhlich, ausgeruht, warm, mitunter sogar romantisch – und wenn man bedenkt, das hier zwei Titanen des Jazz miteinander spielen auch ein bisschen zu konventionell, um wirklich völlig zu beeindrucken. Immerhin – auf Sonny Rollins‘ „Oleo“ hebt Coltrane in die Stratosphäre ab und „If I Were a Bell“ ist zu schön um wahr zu sein. Ich will nichts diskreditieren. Relaxin’… ist nicht revolutionär, aber immer noch besser als Vieles, was man aus jener Zeit kennt. Ein entspanntes Album…

Miles Davis
Milestones

(CBS, 1958)

… dem mit Milestones ein Album folgt, das aktuell aufgenommen worden war, das auch nicht bei Allen Fachleuten (wer auch immer das ist) als eines von Davis‘ „Hauptwerken“ gilt, das aber zeigt, wie er de Hard Bop inzwischen im Griff hatte. Mit Cannonball Adderley hatte er einen neuen Alt-Saxophonisten neben den nun wieder cleanen Coltrane gestellt, das Quintet war also zum Sextet angewachsen, mit dem bewährten Rhyrhmus-Gespann Chambers (b), mit Philly Joe Jones (dr) und mit Red Garland am Klavier. Und die ganze Belegschaft lässt er im rasanten Opener „Dr. Jekyll“ ihr Können zeigen. Der nächste Track „Sid’s Ahead“ mag etwas zu lang sein, wird ein bisschen zum Selbstzweck, aber der von Davis geschriebene Titeltrack weist schon in Richtung Kind of Blue und hat einen dieser unfassbaren Coltrane-“Sheets of Sound“ Ausbrüche. Und Thelonius Monk’s „Straight, No Chaser“ ist so gut, als wäre Monk selber dabei gewesen. Hier solieren Adderley und Coltrane so wunderbar zusammen – Coltrane lyrisch, Adderley regelrecht guttural – dass man sich eine weitere Zusammenarbeit der beiden nur wünschen kann (… und bekommen wird – auf Kind of Blue…) Davis mag mit Milestones nicht die Sphären von Kind of Blue, Sketches of Spain oder In A Silent Way erreicht haben – aber er wird sein stilistisches Spektrum im Laufe der Jahre immer weiter dehnen und ist spätetens ab hier bis in die Siebziger erkennbar als einer der ganz großen Innovatoren. Hier also ein Meisterwerk des Hard Bop von ihm

Cannonball Adderley
Somethin‘ Else

(Blue Note, 1958)

Klassisches LP-Cover von Blue Note Designer Reid Miles – klassisches Album. Mit Cannonball Adderley’s siebtem Solo-Album, eingespielt kurz vor seinem Beitritt in Miles Davis‘ Band, bleibt man beim Thema Hard Bop. Miles Davis war in dieser Zeit bekanntlich hyper-kreativ, und Cannonball nutzte die Gelegenheit, sich Davis‘ Dienste als Sideman für das eigene Album zu sichern, nachdem der ihn gehört und zu sich holen wollte. Davis half mit Inspiration (so sehr, dass man das Album mitunter als verstecktes Miles Davis-Album bezeichnet), mit dem Titeltrack und einigen wunderbaren Trompeten-Tönen. Julian – aka Cannonball – Adderley soll aber auch ein Sympathieträger gewesen sein. Der Beiname „Cannonball“ ging angeblich auf einen Versprecher eines Mitschülers zurück. Der wollte den an Diabetes erkrankten Adderley eigentlich wegen seines dauernden Hungers „Cannibal“ nennen – woraus dann Cannonball wurde. Aber weiter zum Album: Adderley hatte schon lange Erfahrung als Solist und Songwriter. Er hatte mit seinem Bruder Nat diverse Alben eingespielt, bei Blue Note bekam er freie Hand und mit seinem Kollegen Davis jemanden dazu, der Somethin‘ Else zu etwas ganz besonderem macht. Die Kombination von Adderley’s voluminösem und durchdringenden Alt-Sound und Davis schwebenden Trompetentönen, die Ruhe in den Kompositionen, die unterschwellige Spannung, dazu Hank Jones‘ lyrisches Klavier… hier wird alles richtig gemacht und – der Grund für meine Auswahl – die Spannung und Freude ist bei jedem Ton hörbar. Aber das ist ein Faktor, der schwer zu beschreiben ist, den man letztlich nur glauben und hören kann. Besonders schön ist der von Davis ausgewählte Opener „Autumn Leaves“ und der sehr coole Titeltrack – wie gesagt von Miles Davis geschrieben – und die Art wie sich Davis und Adderley hier am Ende gegenseitig umspielen sowie die an Charlie Parker erinnernden Saxophon-Soli auf „Dancing in the Dark“. Das komplette Album ist von den hier genannten das beste. Der Prolog zu Kind of Blue.

Billie Holiday
Songs For Distingué Lovers

(Verve, Rec. 01-57, Rel. 1958)

Die Frage, ob Songs For Distingué Lovers nun wirklich 1958 veröffentlicht wurde, oder ob es schon im Vorjahr zu haben war, kann ich nicht beantworten – ist mir aber auch ein bisschen egal. Aufgenommen wurde dieses Album Anfang ’57, organisiert von Norman Granz, dem Mann, der Anfang der Fünfziger Billie Holiday aus der Versenkung, den Drogen und Depressionen heraus auf die Bühne holte, ihr half, gegen Auftrittsverbote wegen Drogenbesitz anzuspielen, und ihr zumindest musikalisch einen späten Frühling bescherte. Gesundheitlich ging es mit ihr bergab, aber ihre Stimme – inzwischen gebrochen und gezeichnet – wurde wieder gehört – und trotz oder wegen ihrer Narben und Wunden immer mehr bewundert. Das mag etwas von Voyeurismus haben, aber Tatsache ist – Billie Holiday klingt immer glaubhaft. Sie kingt, als würden die Inhalte und Texte sie etwas angehen, als hätte sie all das Glück und Unglück, das sie besingt, auch schon erlebt. Songs For Distingué Lovers wurde mit kleiner Jazz-Besetzung aufgenommen. Holiday traf auf Musiker, die sie schon in den Vierzigern begleitet hatte. Trompeter Harry Edison und Saxophonist Ben Webster bekamen Raum zum Improvisieren, und auch wenn die Virtuosität ihres Gesangs verloren war, bei Standards wie „Foggy Day“ oder „Day In, Day Out“ ist das egal – sie gab ihr Bestes. Man kann sich die cleaneren Versionen von Ella Fitzgerald zum Vergleich anhören, und entscheiden was besser ist. Das Album hatte 1958 nur sechs Tracks, wurde im Laufe der Zeit um etliche Aufnahmen ergänzt – und es ist (für mich) fast das beste Vocal Jazz-Album des Jahres – wenn da nicht noch….

Billie Holiday
Lady In Satin

(Columbia, 1958)

…. Billie Holidays Orchester-Album wäre (und Sinatra’s Sings Only for the Lonely (siehe weiter unten)). Denn dann nahm Billie Holiday ihr legendäres Lady in Satin auf… Sie war mit der Arbeit mit kleinen Jazz-Combo’s nicht mehr zufrieden, wollte mal mit Orchester arbeiten und wechselte im Oktober ’57 Label und Management. Ihr hatte insbesondere Frank Sinatra’s In the Wee Small Hours gefallen und sie verlangte nach einem „cushion under her voice“… Zunächst wollte sie mit Nelson Riddle arbeiten, Sinatra’s Arrangeur bei jenem Album, aber dann entschied sie sich für den etwas süßlicheren Ray Ellis – nicht die beste Entscheidung, meinen Viele (auch ich). Lady in Satin teilt mit In the Wee Small Hours nicht nur Stimmung und Konzept, Holiday interpretiert auch gleich drei von dessen Songs: „I’ll Be Around“, „I Get Along Without You Very Well“, und „Glad To Be Unhappy“ lassen sich so natürlich wunderbar vergleichen – und auf seine Art gewinnt immer Sinatra den Wettbewerb – wobei man bedenken sollte – Sinatra war ’55 auf der Höhe seiner Sangeskunst und Ausdrucksfähigkeit, ironischerweise unter anderem stark beeinflusst von Holiday’s emtional und technisch so brillianten Aufnahmen aus den 30/40ern. Holiday aber war 1957 gezeichnet, die Stimme durch Drogen- und Alkoholmissbrauch kaputt. Aber in gewisser Weise macht das wieder den Unterschied: Sie hat all die Emotionen bei der Hand und all die Schmerzen selbst erlitten, und wenn die Stimme immer wieder wegbricht, macht gerade das den Gesangsvortrag glaubwürdig und überzeugend. Es ist ganz schlicht eine Geschmacksfrage. Unstrittig aber ist, dass Ray Ellis nicht Nelson Riddle’s Klasse hat. Viele Arrangements sind zu dick aufgetragen, der Kontrast wird manches mal zu stark und erstickt Holiday’s inzwischen fragiles Gleichgewicht. Dass ihr Vortrag dem Hörer bei Songs wie „I Get Along Without You Very Well“ oder bei „I’m A Fool to Want You“ (ebenfalls von Sinatra – auf dessen Where Are You definitiv eingesungen…) bei aller Unsicherheit regelrecht die Kehle zuschnürt, zeigt wie gut sie selbst in diesem Zustand noch war. Wie gesagt: Manchem sind gerade diese Aufnahmen die Besten. Mit Lady in Satin hatte sie immerhin so viel Erfolg, dass sie ein weiteres Album mit Ray Ellis aufnahm. Sie überlebte die Veröffentlichung von Lady in Satin gerade mal um ein paar Monate, ehe sie im Juli ’59 an Leber-Zirrhose starb.

Frank Sinatra
Come Fly With Me

(Capitol, 1958)

Jetzt auf Frank Sinatra einzugehen, ist nach den hier voran stehenden Worten über Lady in Satin natürlich Pflicht. Aber wäre Billie Holiday’s Album nicht ’58 erschienen, so hätte ich aus der Sparte „Vocal Jazz“ auf jeden Fall Sinatra’s Sings For Only the Lonely als das größte Album seiner Art und diesen Jahres bezeichnet… und so würde ich genauso wie bei Billie Holiday’s Songs for Distingué Lovers das im Januar ’58 erschienene (und ’57 aufgenommene) Come Fly With Me von Sinatra beschreiben. Sinatra war (immer noch) auf der Höhe seiner Kunst. Eine gewisse Routine in der Abfolge der Alben hatte sich eingeschliffen – Sinatra wechselte jetzt immer wieder zwischen tiefblauen, melancholischen Konzeptalben und seinen geliebten, fingerschnippend-swingenden Big Band Song-Kollektionen. Come Fly With Me ist so ein Swing-Konzeptalbum voller munterer Songs rund um die Welt, erstmals in Zusammenarbeit mit Billy May arrangiert – mal mit Big Band Bläsern, mal mit vollem Orchester, und natürlich mit gekonnten Gesangsparts von Frankie-Boy. Den Titelsong ließ er sich von Sammy Cahn und Jimmy Van Heusen auf den Leib (und auf’s Konzept) schreiben, das leicht melancholische „Around the World“ hätte vielleicht besser ans Ende der Reise gepasst – aber das ist eine Kleinigkeit, die vor der famosen Songauswahl verblasst. Seine Stimme passt nach Paris („April in Paris“) wie nach London („London By Night“), New York (…natürlich… „Autumn in New York“) und Brasilien (das großartige „Brazil“). Der Mann ist der personifiziert-stilvolle 50er-Jahre Gentleman und das knatsch-bunte Reiseprospekt-Cover ist unpassend billig. Mit Billy May würde er noch Alben folgen lassen auf denen er auffordert, mit ihm zu swingen und zu tanzen aber znächst kam…

Frank Sinatra
Sings For Only The Lonely

(Capitol, 1958)

im Mai und Juni ’58 nämlich ging er – nun wieder mit Nelson Riddle – ins Studio, um ein weiteres Konzept-Album voller dunkler Torch-Songs aufzunehmen. Frank Sinatra Sings For Only the Lonely ist das bessere, weil zeitlosere, tiefgründigere und anspruchsvollere der beiden ’58er Alben. Sinatra’s Ehe mit Film-Star Ava Gardner war am Ende, Nelson Riddle’s Frau und Tochter waren gestorben – die beiden hatten Grund zur Trauer und konnten (das hört sich jetzt gemeiner an, als es sein soll) aus tiefsten emotionalen Tiefen schöpfen. Tatsächlich ist …Sings For Only the Lonely das nihilistischste von Sinatra’s „traurigen“ Alben. Es wäre, wenn man die samtene Orchestrierung wegnähme, kaum zu ertragen und in seiner Düsternis ist es fast erschreckend. Auch dieses instrumentale Backing ist mitunter ganz schön unheimlich. Man höre nur eine einsame Trompete bei „What’s New“ oder die geisterhaften Strings von „It’s a Lonesome Old Town“. Dabei wollte Sinatra zunächst gar nicht mit Riddle arbeiten, hatte den vom Trauer-Vorgänger Where Are you? Erprobten Gordon Jenkins anstellen wollen. Aber gerade die Zusammenarbeit mit dem ebenso tod-traurigen Riddle macht …Sings For Only the Lonely wohl zu dem, was es ist – einem kargen Meisterwerk, das exakt neben den Klassiker In the Wee Small Hours passt, ihn in der Tiefe der Trauer noch übertrifft. Am besten beide Alben hören… Es mag bezeichnend sein, dass Sinatra selber es später als sein bestes Album bezeichnet hat. Das liegt nicht nur daran, dass das Rat Pack-Mitglied hier in vielen Songs seine Depressionen in Alkohol ertränkt – siehe „Only The Lonely“ – das Album als Mikrokosmos – „Angel Eyes“ oder „One For My Baby“. Sinatra in tiefblau – der Farbe, die ihm am besten steht. Das erschreckende Covermotiv brachte Nicholas Volpe übrigens den Grammy… schön, dass sowas auch anerkannt wurde.

Don Gibson
Oh Lonesome Me

(RCA, 1958)

Die Reihenfolge der vorgestellten Alben ist wohl überlegt. Don Gibson’s Debüt-Album Oh Lonesome Me ist eine Erleichterung nach Sinatra’s finsterstem Album. Und es hat genauso viel Niveau – nur auf anderer Ebene. Man würde Don Gibson heute wohl als Singer/Songwriter bezeichnen – er selber sah sich in der Tradition von Hank Williams, hatte sich jahrelang als Solo- und Band-Musiker bei Radiostationen seine Meriten verdient, war als Songwriter immer besser geworden und hatte Mitte der Fünfziger mit „Sweet Dreams“ einen ersten Klassiker und Hit geschrieben. ’57 bekam er einen Vertrag bei RCA – und nahm in der Folge in Nashville mit dem Gitarren-Virtuosen Chet Atkins als Produzent und mit Elvis‘ Background-Sängern von den Jordanaires eigene Alben auf. Mit seiner Musik, einem Crossover aus Country und beschwingtem Rock’n’Roll und mit seinen melancholischen Lyrics bediente er sowohl die Country- als auch die Pop-Charts. Für heutige Ohren mag die Musik seicht klingen, aber 1958 gab es noch keine revolutionären Outlaws und die Songauswahl aus einigen gelungenen Coverversionen und eigenen Tracks ist fehlerlos. Der Sound ist zu diese Zeit neu, wird sich in den kommenden Jahren als Nashville Sound in den Charts festsetzen und die Stadt als Metropole der Countrymusik weiter etablieren. Der Titeltrack von Oh Lonesome Me wird zum viel-gecoverten Klassiker – von Ray Charles über Neil Young bis M. Ward ist er ein Standard in Country und Rock. Der Schmachtfetzen „I Can’t Stop Lovin‘ You“ wird ebenfalls zum Standard, die Coverversionen von „Blues in My Heart“ und „Heartbreak Avenue“ sind genauso gelungen wie reine Album-Tracks aus der eigenen Feder wie „Too Soon to Know“ oder „If You Don’t Know It“. Tatsächlich: es ist ein echtes Singer/Songwriter Album – das Gibson in dieser Konsistenz und Klasse nie mehr übertreffen würde.

Everly Brothers
Songs Our Daddy Taught Us

(Cadence, 1958)

Die Everly Brothers sind jünger als – und ihr Bezug zu ihren Traditionen älter als Don Gibson. Phil und Don sind 1958 zwar erst 19 bzw 21 Jahre alt, aber sie sind schon auf dem frühen Gipfel ihres Ruhms angelangt. Sie haben vor der Veröffentlichung von Songs Our Daddy Taught Us mit „Bye Bye Love“ oder „Wake Up, Little Susie“ und „All I Have to Do Is Dream“ Elvis leichtgewichtige Konkurrenz gemacht, sind in ihrer Generation eher als „Rock’n’Roll-Act“ denn als Country-Musiker bekannt und hatten im Vorjahr ein sehr hübsches Debüt-Album veröffentlicht. Aber ihr formidabler Harmonie Gesang hatte seine Wurzeln bei (älteren) Close-Harmony-Acts wie den Louvin Brothers oder den Stanley Brothers.Ihr zweites Album ist genau das, was der Titel sagt. Ihr Vater Ike Everly hatte Klein-Don und Klein-Phil dereinst das alte Country- und Gospel-Material beigebracht – das er selber mit seiner Frau im Radio aufgeführt hatte – und ihnen anhand uralter Songs diesen wunderbaren Harmoniegesang antrainiert. Nach den schnellen Erfolgen mit flotterem, Rock’n’Roll-affinem Material dann mit dem zweiten Album alte Traditionals wie die Mörderballade „Down in the Willow Garden“, den Uralt-Folksong „Barbara Allen“ (aus dem 17. Jahrhundert) oder den Louvin Brothers Hit „Roving Gambler“ (aus den Zwanzigern) zu veröffentlichen, war mindestens mutig. Aber ein guter Song bleibt ein guter Song – die Interpretationen sind nicht modern, sondern zeitlos, die Stimmen der Brüder klingen so jung, wie sie eben sind, das Tenmpo mag meist nicht so flott sein, wie bei „Bye Bye Love“ – aber das Tempo der „jungen“ Musik hatte sich in den letzten Monaten allgemein verlangsamt, der erste Rock’n’Roll Ansturm schien abgeebbt – da passte dieses ruhigere Album vielleicht auch ganz gut zum Zeitgeist. Dass diese Songs fantastisch sind, die Harmonies bestechend, die musikalische Umsetzung durch ihre Sparsamkeit (meist nur Akustik-Gitarren) wahrhaftig zeitlos ist, ist unbestreitbar. Dass sie mit einem solchen Konzept ihrer Zeit weit voraus waren, mögen sie nicht gewusst haben, aber die Musik ist hörbar „heartfelt“. Das Album enthält keine Hits – tatsächlich entstand es als „Vertrags-Erfüllung“ vor ihrem Wechsel zum Major Warner Bros – und es landete auch nicht in den Charts –aber Songs Our Daddy Taught Us wurde zu einem Dauerbrenner, einem der Alben, die immer wieder neu aufgelegt wurden – einem Klassiker, der problemlos neben den diversen Singles-Compilations besteht. (Die –ganz nebenbei – auch den meisten ihrer späteren Alben nicht gerecht werden…).

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