1990 – Babes in Toyland bis Ween – Gimme Indie Rock before he explodes

In diesem Teil der Kapitel-Reihe mit dem Titel „Gimme Indie Rock…“ beziehe ich mich auf ein Standard-Werk über die Rockmusik der sog. Indie-Szene und -Zeit vom Autoren Andrew Earles. Auf dessen Buch „Gimme Indie Rock – 500 Essential American Undergroud Rock Albums 1981-1995“.

Der Titel „Gimme Indie Rock“ stammt von einer Single der Band Sebadoh, dem Projekt des Dinosaur Jr. Bassisten Lou Barlow, der sich als dem Kollegen gleichwertiger Songwriter und Bandleader entpuppt hatte. Hier habe ich mir die im Buch vertretenen Alben des Jahres 1990 herausgefischt, die Reviews gelesen und mit meinen Worten ergänzt, wo es mir notwendig erschien. Das Buch ist großartig, es beschreibt den „Post-Punk“ im wahrsten Sinne des Wortes, weil diese Musik, die von Punk beeinflusst war, nach ’77 in alle Richtungen auseinanderlief. Weil „Indie Rock“ eigentlich nur eine bestimmte diffuse Haltung zur Musik umfasst, die vom härtesten Lärm bis zum sanftesten Klingeln alles mögliche erfasst. Die sich auch hinter dem Begriff „Independent“ verbirgt, weil ihre Bands und Alben zu Beginn oft auf unabhängigen, mitunter von Musikern selbst betriebenen Labels wie Dischord, SST, Homestead veröffentlicht wurden. Was wiederum dazu führte, dass diese Bands und Alben als „Underground“ im Gegensatz zur Musik der großen Labels angesehen wurde. Man muss beachten, dass in den 80ern und frühen 90ern diese Zugehörigkeit zum Underground allein schon von Fans als Qualitätsmerkmal angesehen wurde. Und man wird bemerken, dass zu Beginn der 90er viele der Indie-Bands von besagten Majors Verträge bekamen. 1990 war diese Entwicklung erst am Beginn… Indie war sozusagen auf dem Sprung in die Charts. ’91 explodierte diese Art Musik, als Nirvana bei Geffen ihr Nevermind veröffentlichten. Der Musik schadete das nicht. Viele Alben solcher neuen Major-Acts waren nicht schlechter, als deren Musik aus „Indie-Tagen“. Siehe Screaming Trees, siehe Nirvana, siehe Sonic Youth… um nur die bekanntesten zu nennen. Später würde Indie aus der Mode kommen – aber diese Musik war so breit gefächert dass „Mode“ eigentlich keine Rolle spielt. Denn – Was ist Indie Rock? Seit der Mitte der 90er so ziemlich Alles, was nicht eindeutig auf Verkaufszahlen gerichtet ist. Übrigens ähnlich wie Metal, elektronische Musik, Jazz. Wie man sieht: Indie Rock bot eine breite Palette, hier folgen einige Farben, die A. Earles in seinem Buch beschrieb, wobei – ein paar Alben, die mit dem Veröffentlichungs-Datum 1990 in „Gimme Indie Rock“ beschrieben werden, tauchen anderswo auf: Goo von Sonic Youth gehört IMO zu den 10 wichtigsten Alben ’90 und ist dort beschrieben Und Bossanova von den Pixies und Pod von den Breeders beschreibe ich im Artikel über deren Label 4AD. Die Überschrift dieses Kapitels ist meine Methode, unterschiedliche Alben in einen Kontext zu bringen… und die Anzahl zu begrenzen. Wer sich durch diese 17 Alben durchhört wird sehen, wie divers der sog. Underground ist.

Sonic Youth – Goo
(D.G.C., 1990)

Der Beweis dafür, dass „Indie“ in diesem Jahr mit Macht in den „Mainstream“ drängt. Noch vor Nirvana Nirvana’s Nevermind. Goo ist ein perfektes Mischwesen aus Pop und intelligentem Noise. Mithin eine der Facetten dessen, was Indie Rock ist.


Pixies – Bossa Nova
(4ad, 1990)

Und auch dieses Album wird im Buch Gimme Indie Rock beschrieben. Es ist ein weiterer Beweis für die Vitalität dieser Art von Musik. Weil es zeitlos geblieben ist, weil es einen weiteren Aspekt des sehr beliebigen Begriffes Indie Rock darstellt. In meinem Kapitel über das Indie-Label 4AD soll es genauer beschrieben werden…


The Breeders – Pod
(4ad, 1990)

…so wie dieses Album der Konkurrenz-Band Breeders, die die bei den Pixies kreativ zum Verstummen gebrachte Kim Deal gegründet hatte. Keinen Deut schlechter, als die Pixies, auch auf 4AD veröffentlicht, auch im Buch Gimme Indie Rock gelobt…

Babes In Toyland
Spanking Machine

(Twin/Tone, 1990)

Als erstes in diesem alphabetisch geordneten 1990er Haufen: Die Babes in Toyland und ihr Debüt Spanking Machine. Ein perfektes Beispiel für den Indie Rock, den man auch Riot Grrrl nennt – obwohl die Babes nicht aus der Riot Grrrl Heimat im Pacific Northwest und Washington, DC kamen, Aber der Geist und die Konzert-Venues würden sie bald mit Bands wie Bikini Kill (1990 entstanden…) teilen. Dass dereinst für ganz kurze Zeit Courtney Love in in der Band war, aber von der Chefin Kat Bjelland geschasst wurde, dass sie erst ein paar Singles auf Sub Pop veröffentlichten, dann mit Jack Endino – of Sub Pop and Skin Yard Fame – dieses Debüt aufnahmen… alles unwichtige Historie. Wirklich interessant ist die Wut und Wucht, mit der dieses Trio auf Spanking Machine (und noch ein bisschen ausgefeilter auf dem Nachfolger Fontanelle) ihren Noise Rock, Punk, Grunge rausprügelten. Kat Bjelland’s Gitarre ist wild, nicht virtuos, aber effektiv, schnell und LAUT. Dazu gibt sie uns ihre Lyrics in allen Varianten von Flüstern bis Kreischen (…wobei Schreie die Hauptsache sind) – hatte sie vielleicht Patti Smith und PJ Harvey gehört (?). Jedenfalls hatte sie Style genug. Und das Rhythmus-Fundament von Lori Barbero (dr) und Michelle Leon (b) rumpelt und donnert entschlossen voran. Was sollen die auch anderes tun, als diese Noise-Songs voran treiben. Dazu Borderline-Personality Lyrics bei „Pain in My Heart“. Und Titel wie „Vomit Heart“ oder „Swamp Pussy“… Es war Garage Rock, der ins Cramps-Territorium schwappte (und wer die Cramps nicht kennt, sollte sich die JETZT anhören) Mit „Dust Cake Boy“ gab es einen echten Hit – im Noise-Punk auch nicht selbstverständlich. Und der Text geht „…Oh my soul /There’s a hole /Oh my soul /Dust cake boy..“ Diese Frauen hatten definitiv verstanden, wie Punk und Garage Rock in dieser Zeit sein musste. Sonic Youth waren Fans und nahmen sie mit auf Tour. Solche Musik von einer reinen „Frauen Band“ war in dieser Zeit noch ein Alleinstellungsmerkmal. Aber auch dassSpanking Machine ein Pionier-Werk ist, ist nur eine Marginalie. Die Qualität, Härte und Entschlossenheit dieses Noise ist letztlich zeitlos.

Bastro
Sing the Troubled Beast

(Homestead, 1990)

Und weiter in der alphabetischen Reihenfolge der ’90er Alben im Gimme Indie Rock-Buch: Bastro’s Sing the Troubled Beast ist eine andere Facette des Indie Rock – das hier war Math Rock, Noise Rock, natürlich auch von US-Hardcore Punk beeinflusst. Aber von dessen Erweiterung. Gitarrist und Sänger David Grubbs war Kopf der Band, die schon ’89 ein tolles Album veröffentlicht hatte (Guapo – siehe 1989 – Gimme Indie Rock…). Nun war er zwischendurch auch noch mit der Band Bitch Magnet tätig, hatte aber für Bastro auch noch Pläne. Bassist Clark Johnson und Drummer John McEntire blieben dabei, die Wildheit wurde in diesem Falle etwas zurückgefahren und durch ein Mehr an Kontrolle ersetzt. Nicht falsch verstehen – Sing the Troubled Beast ist hardcore-hart. Aber der 20-jährige McEntire war inzwischen ein regelrechter Virtuose, der alles unter Kontrolle hielt. Diese Drum-Cluster bei Songs wie „Floating Home“ dürften jeden Jazzer beeindrucken. Dazu ließ Grubbs die Gitarren shredden und schräge Akkorde rasen. Das Tempo aller zehn Songs in 29 Minuten ist schnell bis rasant. Aber diese Typen machten daraus eine sehr abwechslungsreiche Tour de Force. Die Virtuosität mag den Song manchmal ersticken, aber das war vermutlich der Sinn hinter diesem Album. Grubbs würde das Konzept weiterentwickeln und Bastro fließend in das Avantgarde Post Rock Konglomerat Gastr Del Sol überführen. Auf Sing the Troubled Beast hört man diesen distinguierten Gitarristen noch richtig ausrasten. Na ja – der war da ja auch gerade Mitte Zwanzig. Und mit dieser Art jazzy Hardcore-Noise Punk machte auch er den Weg frei für andere Math Rock-Acts wie Steve Albini’s Shellac. Und die Aussage, dass hier zu viel Technik herrscht, muss man bei der Power und den Strukturen von feinen Songs wie „Floating Home“ und „Noise Star“ nicht ernst nehmen. Dass insbesondere dieser wilde Drummer in ein paar Jahren den überlegten Post Rock von Bands wie Tortoise oder The Sea and Cake definieren würde, ist schon spannend. Und frustrierend ist, dass beide Bastro-Alben 2025 immer noch nicht ordentlich re-issued wurden.

Dwarves
Blood Guts and Pussy

(Sub Pop, 1990)

Gab es 1990 eigentlich schon Wokeness oder Political Correctness? Nimmt man das Cover und den Albumtitel des dritten Dwarves-Albums, dann war es nicht weit her damit, obwohl Bands wie R.E.M. inzwischen mit einer klügeren Haltung zu gesellschaftlichen Themen großen Einfluss hatten. Aber Blood, Guts and Pussy sollte man besser nicht in diesen Kategorien betrachten. Da könnte man höchstens überzogener Ironie in der Präsentation dieser Band erhoffen – nenn‘ es meinetwegen die Meta-Ebene – was allerdings von der puren Musik auf diesem 13-Minuten-Hardcore-Punk-Album nicht ablenken sollte. Na ja – das geschmacklose Erscheinen der Dwarves war Absicht und Programm. Der Protest von Feministinnen berechtigt und sicher sogar gewünscht. Sie hatten sich von einer Garage Rock Band seit Beginn ihrer Karriere Mitte der 80er zu einer Hardcore-Punk Band gewandelt, die auf der Bühne exzessiv Sex, Drogen, Selbstverletzung, Aggression jeder Art konsumierte und praktizierte. Dieses Auftreten hatte (und hat) in den USA andere Wurzeln und eine andere Bedeutung als in Europa. Ich habe beschlossen, diesem Album meine Aufmerksamkeit zu schenken, zumal – wie A. Earles schreibt – man andernfalls ein nahezu perfektes Punk-Album mit zwölf ultra-kurzen Tracks verpasst, die perfekt eingespielt wurden, mit der Kraft der Perversion meinetwegen, mit fragwürdigen Lyrics, die man kaum versteht. Aber wer missversteht Songtitel wie „Back Seat of My Car“, Let’s Fuck“, „Skin Poppin‘ Slut“ oder „Insect Whore“ – incl. Fliegen-Gesumme? Mit den rasanten Gitarren von Hewhocannotbenamed, mit dem entschlossenen Punk-Geschrei von Blag Dahlia und vor Allem mit einem Punk, der die Pop-Ideen vorwegnahm, die Bands wie Offspring Mitte der 90er ausformulieren würden. Immerhin gab es ’90 die ähnlich poppigen Bad Religion. Und die waren far more pc als Blood Guts and Pussy.

Flaming Lips
In a Priest-Driven Ambulance

(Restless, 1990)

Mit In a Priest-Drive Ambulance eroberten die Flaming Lips die Bühne des psychedelisch verdrehten Noise-Pop. Der Vorgänger Telepathic Surgery war noch viel zu zerfahren – wobei das in gewisser Weise auf Alles zutrifft was die Lips gemacht haben – aber für ihr neues Album hatten sie endlich echte, tolle Songs – und ein Konzept. Noch immer klangen sie, als hätte man Pink Floyd, die Butthole Surfers und Spacemen 3 zusammengekippt, aber sie hatten mit Nathan Roberts einen neuen, besseren Drummer und Jonathan Donahue von den Geistesbrüdern Mercury Rev machte nun mit. Tatsache ist: In a Priest-Driven Ambulance ist das erste von vier außergewöhnlichen Alben, die die Flaming Lips von einer mittel-bekannten Band mit Kultstatus zu einer der bedeutendsten Bands des Psychedelic Rock seit den Sechzigern erheben sollten. Wayne Coyne’s Faszination für Religion war das übergreifende Thema, und ein solch klarer Rahmen tat ihrer Musik gut… weil dabei feine Songs wie „Rainin‘ Babies“ und „Five-Stop Mother Superior Rain“ herauskamen – Songs, die sich eben nicht im Lärm verloren, sondern großer Noise-Pop sind. Und sogar der Freak-Out „Unconsciously Screamin“ zerfloss diesmal nicht komplett. Man wusste es noch nicht – aber die Flaming Lips waren auf dem Weg zu etwas Großem. Übrigens: Die Tracks bekamen auf dem Back-Cover alle die Zeitangabe 3:26, weil diverse Manager diese Länge für ideal und konsumentenfreundlich erachteten… Selbstverständlich sind die Songs unterschiedlich lang und zwei Tracks dauern gänzlich unkommerzielle +sechs Minuten.

Fugazi
Repeater

(Dischord, 1990)

Welches der sechs Fugazi-Alben bis 2001 das Beste ist, mögen Pedanten diskutieren. Ich halte alle für gut und The Argument von 2001 für besonders besonders. Aber der erste „normale“ Longplayer der Band um den Minor Threat- und Straight Edge-Vordenker Ian MacKaye gehört zu den genre-definierenden Alben des Post-Hardcore. Dass mit Fugazi und Margin Walker zuvor schon zwei perfekte EP’s herauskamen, will erwähnt sein. Die hatten übrigens schon 23 respektive 17 Minuten Spielzeit… und übertrumpften damit schon fast die Gesamtdauer des Outputs der fantastischen Minor Threat. Jetzt hatte der Ober-Reduktor MacKaye mit seinen Freunden Brendan Canty von den Rites of Spring und Guy Picciotto von Happy Go Lucky zwei weitere großartige Kollegen in seine Band geholt – und machte ein echtes „Album“, das über eine halbe Stunde spielte. Ich frage mich, ob nun Fundamentalisten „Verrat“ geschrien haben? Indie WURDE in dieser Zeit tatsächlich auf eine (sehr gute) Art zum „Mainstream“. Aber auf Repeater ist keine irgendwie „kommerziell“ gedachte Musik zu finden. Auch nicht auf der bald veröffentlichte Version Repeater + 3 Songs… mit dann 42 Minuten Spielzeit… wie man sieht – ich habe gerade Spaß an der Erbsenzählerei. Aber nun zur Musik: Und die war jetzt weit diverser, als der Hardcore von Minor Threat ein paar Jahre zuvor. Nicht, dass damals irgendetwas falsch gewesen wäre. Aber auf Repeater bekam der Indie Rock- oder Hardcore-Fan unterschiedliche Tempi zu höre, sehr komplexe Tracks, bei denen alle Musiker ein profundes Können bewiesen – was nicht verwundern sollte. Die waren seit Jahren unterwegs und hatten viel gelernt. Natürlich gibt es auf Repeater Hardcore-Gebrüll. Aber schon beim Opener „Shut the Door“ wird man auch durch Repetition hypnotisiert, zugleich schreit MacKaye mit der Leidenschaft, die ihn immer auszeichnete und die man ihm auch abnehmen konnte. Sein kostbarer Kollege Picciotto allerdings durfte bei „Two Beats Off“ croonen wie Iggy Pop – und das passte zusammen, denn diese Band war eine Einheit. Sie hatten auf den EP’s und auf hunderten von Konzerten ein magisches Zusammenspiel gelernt. Man höre nur „Styrofoam“, diesmal mit mehr Hardcore. Fugazi waren bewusst nicht mehr so hart wie früher und die fünf Minuten des Closers „Shut The Door“ sind sogar so sehr zurückgenommen, dass man denkt, dass spielt eine Post-Punk Band der frühen 80er… bis sie wieder die Gitarren explodieren lassen und losbrüllen, wie man das zuvor kannte. Eine Definition des Post-Hardcore.

Green Magnet School
Blood Music

(Sub Pop, 1990)

Green Magnet School sind eine Band, die mit ihrem ’90er Album Blood Music zwar im Gimme Indie Rock Kompendium auftaucht, über die A. Earles aber wenig mehr zu sagen hat, als dass diese Band aus Framingham, Massachusetts ihrer Zeit voraus war. Mit einem Sound, der den Grunge und Noise Rock der kommenden Jahre vorwegnahm. Dass sie sich neben Bands wie Six Finger Satellites in der Szene im nahe gelegenen Boston etabliert hatten, aber nie über den Status „…die gibt es eben auch noch…“ hinaus kamen. Das gilt für viele Bands, ist dann eben abhängig vom Interesse des Konsumenten. Der sollte sich für Hardcore, Noise, meinetwegen auch Grunge interessieren, der gerne laut und dreckig, atonal und streng daherkommt. Dabei hatten Green Magnet School mit dem Gitarristen Tim Shea einen Sänger, dessen Stimme fast an die eines Eddie Vedder heranreichte. Und Blood Music hat das Potential, dein Lieblingsalbum der Neunziger zu werden… Weil der grungige Noise oder noisige Grunge völlig unverdorben daher kommt. Weil Songs wie „Package“ oder „Noxin“ eine Dringlichkeit haben, die man bei Pearl Jam und Nirvana in ihren besten Tagen finden konnte. Allerdings hatten diese Led Zeppelin bzw. die Beatles in ihre Einfluss-Kisten gepackt (…kein Vorwurf…). Green Magnet School klingen ein bisschen so, als wären da statt dessen Gang of Four und Sonic Youth in der DNA. Jim Shea’s Stimme ist toll – aber man erwartet die nicht in dieser Musik (…und er konnte ja nicht mal was dafür). Es ist mitreissend, wie tanzbar, konsequent und wuchtig „Package“ über seine fast acht Minuten voranmarschiert. Green Magnet School hätten – wie so viele Acts in diesem Buch – mehr (Be)achtung verdient. Es würde bald einige Bands geben, die den Rahm abschöpften, den diese Band erzeugte. Sie verloren den Vertrag mit dem aufsterbenden Indie Sub Pop, machten ’95 noch ein Album und gaben ’97 desillusioniert auf. Blood Music kann man wunderbar wiederentdecken.

The Jesus Lizard
Head

(Touch & Go, 1990)

In seinem Buch Gimme Indie Rock nennt A. Earles sie (selber zitierend…) den „Cadillac of the NoiseRock/Punk movement…“ Nun – in der Tat waren The Jesus Lizard tatsächlich eine der, wenn nicht DIE perfekte Noise-Punk-Band der 90ies (sind sie 2025 immer noch…). Aus den Aschehäufchen von Scartch Acid und Rapeman entstanden, mit einer EP noch ohne Drummer, dafür mit Drum Machine (durchaus üblich im US-Noise-Punk), ab dem ersten Album Head dann mit der Geheimwaffe Mac McNeilly an den Drums, waren diese vier Typen eine der wiedererkennbarsten, besten, tightesten, konsequentesten Bands aus dieser kommerz-meidenden Ecke der Musik. Mit David Yow hatten sie einen Frontmann und Sänger, der GENAU in ihr Band-Profil passte (und der eigentlich nur Bass spielen sollte…). Mit sehr aggressivem Bühnen-Gebaren und mit einer Stimme zwischen psychotischem Kind und lüsternem Misanthropen… der Singen kann, auch wenn er das 1990 noch unter dem Noise der Band versteckte. Vor allem aber gilt auch hier – die konnten Songs schreiben. Solche, die man erinnern wollte. Auf Head hatten sie mit „Cadence“ sogar eine „Noise-Ballade“ dabei. Sprich, sie konnten das Tempo sogar schleichen lassen und Yow jammerte dazu herzerweichend Unerfreuliches wie „Your life is gone/ your youth is over/ years of cheer/ reduced to this/ A crumbling mess…“ Tja. Eine Ballade eben. Und dass die Texte ihrer Songs auch noch erzählenswert, wenn auch oft in seltsamer Satzstellung und mit assoziativer Lyrik gestaltet waren, war noch ein Krönchen auf dem Hyrda-Kopf. Dann noch – sie wurden vom Meister Steve Albini produziert (mit dem Bassist David W. Sims davor bei den famosen Rapeman gespielt hatte). Und dessen trockene, reduzierter Sound war ein Segen bei diesen klaren Songs und dieser Power, bei der man die Muskeln ohne Haut drüber sehen konnte. Unnötig zu erwähnen, dass Gitarrist Duane Denison einer der besten, effektivsten seiner Zunft war/ist. Head ist ein Meilenstein der 90er. Auch wenn The Jesus Lizard den mit dem ’91 folgenden Goat noch übertreffen würden. Diese Band war immer gut.

Daniel Johnston
„1990“

(Shimmy, 1990)

Wie breit man den Begriff „Indie Rock“ fassen SOLLTE, mag man an diesem Album des Outsider-Artist Daniel Johnston ermessen. Daniel Johnston entstammte einem dieser fatalen, extrem religiösen Elternhäuser, die in den USA offenbar sehr häufig massive Dummheit oder psychische Probleme bei ihren Mitgliedern auslösen. Johnston hatte sein Leben lang mit Depressionen und Psychosen zu kämpfen. Dass der Mann in diesem Umfeld und unter den Bedingungen der 80er-Jahre (ohne Internet, ohne Bedroom-Pop-Möglichkeiten) dennoch ein gewaltiges künstlerisches Werk aus Musik und Malerei hinterließ (er starb 2019), ist Hinweis auf die Kraft der Kunst. Im Austin der 80er hatte er den Leuten bei seine Arbeitgeber McDonalds selbst aufgenommenen Cassetten aufgedrängt. Einer dieser Leute arbeitete bei einer Plattenfirma… Bald hatten Musiker wie Sonic Youth, Kurt Cobain oder Jad Fair von ihm gehört, 1988 erhielt er eine Einladung vom Produzenten, Shimmy-Disc Labeleigner und musikalischen Tausendsassa Kramer, um ein Album „etwas“ professioneller aufzunehmen. Leider stürzte dieser Druck ihn in größte psychische Not. Aufzunehmen wurde fast unmöglich, der Mann war völlig psychotisch… was allerdings seine Kreativität nicht lahmlegte. So stellten Kramer mit Johnston ein Album aus Studio-Outtakes, Live-Aufnahmen und altem Material zusammen. „1990“ wurde zum Triumph, gerade WEIL es so zerrissen war, wie dieser Mensch. Weil es ihn unverstellt so zeigt, wie er eben war. Viele Texte sind beängstigend und hart. Der Mann ließ die Hörer in seine Seele blicken, in der Gott, Satan und böse Menschen gegen seine Kunst und mit der absurden Welt kämpften. Beispiel gefällig? “…Don’t play cards with Satan /He’ll deal you an awful hand /Please believe me /Did I ever stop and tell you /I am a desperate man? A desperate man /Take it“. Aber da ist auch die anrührende, naive Schönheit von „True love will find you in the end/ You’ll find out just who was your friend/ Don’t be sad, I know you will…“. Das sind beeindruckende Songs mit geschrammelter Gitarre oder verstimmtem Piano. Die Kombination aus Naivität,Psychose, quälerischer Religiosität, getriebener Dichtkunst, Lo-Fi Unprofessionalität und faszinierend gutem Songwriting ließ noch mehr Indie Musiker aufmerken. Tom Waits coverte ihn, Yo La Tengo, Kurt Cobain, etc nterpretierten seine Songs. „1990“ ist Johnston’s bestes Album. Es gibt noch das Lo-Fi Masterpiece Yip Jump Music, das suchen sollte, wer das hier mag. Das wir nicht jeder…

Mazzy Star
She Hangs Brightly

(Capitol, 1990)

Und noch eine Facette des Indie Rock, die 1990 aufleuchtet: Mazzy Star’s erstes Album She Hangs Brightly vereint psychedelischen Dream Pop, Shoegaze und Country mit The Velvet Underground. Die Band war aus dem famosen Vorgänger Opal entstanden, bei dem Gitarrist und Songwriter Steven Roback mit der Sängerin und Bassistin Kendra Smith eine ähnliche, aber weniger verträumte Art Psychedelic Rock gemacht hatte – Opal’s Happy Nightmare Baby sei dringend empfohlen. Aber danach mußt du Mazzy Star hören. Mit der befreundeten, ziemlich schüchternen Hope Sandoval bekam Roback eine neue Stimme in seine Band, die sich als Geschenk für die Menschheit (mit Geschmack) erweisen sollte. Sie hatte eine freie, zugleich verträumte und hypnotisierende Art zu Singen. Ihre Stimme würde diese Art Popmusik definieren, zugleich aber quasi keine Konkurrenz haben. Schon auf She Hangs Brightly ist die Paarung aus Mädchen-Stimme, schwebenden Psychedelic-Gitarren und „velvety“ Songs wie „Be My Angel“ oder dem Titeltrack der LP absolut überzeugend. Damit meine ich auch – das gab es noch nicht! Solch schöne Betäubung, solches Wegdriften, dabei aber zugleich wirklich „schöne“ Songs, die die 60er kannten, die eine hintergründige Finsternis erzeugten und in ihrer Sparsamkeit doch modern wirkten. Das war eine Paarung, die nicht nur hypnotisierte, sondern auch glaubwürdig unkommerziell blieb… ein Faktor, der bei dieser Art von Musik in dieser Zeit eminent wichtig war. Wenn Hope Sandoval bei „I’m Sailin“ deutlich in Country-Gefilde wanderte, Roback dazu die Slide heulen ließ, dann war das (für Indie – in dieser Zeit) neu und unerhört. Bei den drei folgenden Alben würde der Country-Anteil geringer werden. Und mit „Fade Into You“ würden Mazzy Star sich ’93 unsterblich machen. Wobei der She Hangs Brightly-Opener „Halah“ ein genauso faszinierender Song ist, der nur noch nicht via MTV-Video zum Indie Hit wurde. Dass Hope Sandoval eine beachtliche Texterin war, will erwähnt sein! Roback & Sandoval were a pair made in heaven.

Mission of Burma – Let There Be Burma
(Taang!, Rec. ’82/’83 Rel. 1990)

Let There Be Burma ist KEINE schnöde Best of von Mission of Burma. Diese Band hatte Anfang der 80er mit Hüsker Dü und den Minutemen den Post-Hardcore sozusagen „erfunden“. Man kann es nicht deutlicher sagen: Ihr Album vs. von 1982 ist einer der Eckpunkte des intelligenten US-Post-Hardcore. Grundsätzlich!! Daher in meinem ’82er Hauptartikel beschrieben. Dass die Band aufgab, nachdem Roger Miller (Tuba, Klavier + Kompositions-Studium…) sich wegen der enorm lauten Konzerte der Band einen massiven Tinitus zugelegt hatte, war tragisch. Allerdings war nicht sofort nach vs. Ende. Die Band nahm zunächst noch Musik auf und spielte noch Konzerte. Daraus ergaben sich das Album Forget und die EP Mission of Burma. Die wurden 1990 als Let There Be Burma neu veröffentlicht und werden deshalb im Buch von A. Earles beschrieben – ich schreibe über Forget aber ganz logisch im Jahr ’87. Lies dort über ein Album, das seiner Zeit weit voraus war. Und schau, ob du diese Compilation bekommst. Auch hier ist die Erhältlichkeit eine Tragödie.

Pitchfork
Eucalyptus

(Nemesis Rec., 1990)

…was war 1990 mit der Jugend in den USA los? Da waren z.B. in San Diego die 20-jährigen Studienfreunde Rick Froberg und John Reis, die die Band Pitchfork gründeten und mit dieser Band einen Hardcore-Punk spielten, der so hochkomplex und kraftvoll klingt, wie man ihn eher von Musikern mit jahrelanger Erfahrung erwartet. Klar – die beiden + Bassist und Drummer (…auch sehr fähig…) hatten offenbar Mission of Burma gehört. Und Black Flag und Squirrel Bait und wie all die Alumni des US-Hardcore heissen mögen. Aber was dann auf ihrem einzigen Album Eucalyptus herauskam, war beeindruckend eigenständig, erfreulich am Kommerz vorbei, dabei aber songwriterisch beeindruckend. Das Album ist Hardcore-30-Minuten kurz, aber Tracks wie „Placebo“, „Rana“, „Sinking“ oder „Thin Ice“ sind regelrechte Ohrwürmer, die in rasantem Tempo über den Hörer herfallen. Man hört Rick Froberg an, dass er gerade aus dem Stimmbruch raus ist – aber das ist wahrlich kein Nachteil. Dieser Hardcore explodierte aus der Begeisterung der Jugend. Und mit seinen elf Songs in 30 Minuten hat Eucalyptus selbstverständlich keine Längen. Jede Sekunde wird genutzt, die ratternde Gitarre von Reis ist auf die Art virtuos, die Hardcore braucht… aber mitunter nicht bekommt. Dazu ist Eucalyptus auch noch sehr sauber produziert – es ist eine Freude, die Instrumente einzeln verfolgen. Es ist ein in jeder Hinsicht sehr reiches Album, das vermutlich durch schlechte Distribution unterging. Dass die Band ausgerechnet Pitchfork hieß – wie die übrigens erst 1996 gegründete Indie-Website – mag später noch irgendwen irgendwie gestört haben. Wäre aber sehr dumm!! Immerhin machten Reis und Froberg später mit Rocket From the Crypt und insbesondere (weil ähnlicher…) mit Drive Like Jehu weiter tollen Post-Hardcore mit Prog, Pop und Noise-Einflüssen. Aber Eucalyptus gehört von denen gehört, die Bastro lieben – und es gehört re-issued!!

Royal Trux
Twin Infinitives

(Drag City, 1990)

…hier gibt es weit weit weniger Kontrolle… mit voller Absicht. Royal Trux waren Neil Hagerty und seine Freundin Jennifer Herrema, und die beiden leuchteten seit dem Ende der 80er die heroinverseuchtesten Ecken des Indie-Noise aus. Hagerty hatte zuvor mit Jon Spencer in dessen Band Pussy Galore ähnlich de-konstruierten Blues-Rock gemacht. Aber vielleicht war ihm die Blues-Facette zu stark, vielleicht gab es Streit um Drogen… jedenfalls machte er mit Royal Trux dann etwas, das vermutlich vielen „Musik-Kennern“ wie unverschämter Dilettantismus erscheint. Twin Infinitives war nach dem womöglich noch zerschosseneren Debüt ein Doppelalbum, das zeigte, was man mit Populärmusik anstellen kann. Genauer: Wie man die Grundlagen des Indie Rock, Hardcore, Noise – dem Kram mithin, der in den 90ern die Musik bestimmen sollte – verbiegen kann, wenn man sich keinen Deut um die Wünsche nach wohltuendem Ohrenbalsam schert. Eine Beschreibung? „…just a fucking mess. Like walking into a drug den full of degradation and squalor where the only comfort lies in the objective stance of piqued curiosity“ Oder sagen wir’s so – Twin Infinitives klingt, als hätten sich Faust, The Red Crayola, schwer auf einem LSD-Trip hängengebliebene Led Zeppelin und Black Sabbath ein paar alte Moog-Synthesizer und ihre verstimmten Gitarren geschnappt und würden vor sich hin jammen. Das Witzige ist… Man kann das gut finden, wenn man sich drauf einlässt. Es geht nicht um konzentrierten Hardcore oder mathematischen Noise, hier wird eher 60er-mäßig improvisiert. Aber in den Köpfen der Beteiligten schweben keine Träume von Frieden und Liebe. Royal Trux sind wütend und desillusioniert und kennen die Musik-Geschichte. Das zentrale, 15-minütige „(Edge of the) Ape Oven“ ist ein bisschen wie die Zusammenfassung all der restliche Teile/Tracks des Albums.Immer wieder blitzen gute Ideen auf, die sonst unter Lärm begraben werden. Wohlmeinende haben Twin Infinitives mit Captain Beefheart’s Trout Mask Replica verglichen. Der Vergleich mag hinken, aber zugleich… Indie Rock brauchte 1990 einen solchen Ausbruch über die Grenzen. Und dann höre ich Twin Infinitives mit großem Spaß.

Run Westy Run
Green Cat Island

(TwinTone, 1990)

Andrew Earles nennt das dritte Album der Minneapolis-Band Run Westy Run einen „overlooked charmer“. Green Cat Island wurde von R.E.M.’s Peter Buck produziert, die Band hatte sich im Gefolge der Vorbilder Replacements, Soul Asylum und Hüsker Dü in der regen Szene in Minneapolis gebildet – junge Burschen, die diese Bands vermutlich etliche Male gesehen hatten und daraufhin beschlossen, auch Musik zu machen. Die ersten beiden Alben waren von Hüsker Dü’s Grant Hart produziert worden und auf SST veröffentlicht worden. Da war das Label allerdings schon ein Massenproduzent, dem die Moralwächter „Ausverkauf“ vorwarfen. Green Cat Island ist das beste Album der Fünf… Und die Einflüsse sind hörbar. Die Musik von R.E.M. war gerade in die erste Liga aufgestiegen, nächstes Jahr würden sie „Losing My Religion“ in die Rige der Evergreens heben und die Replacements hatten am Ruhm geschnuppert und würden dieses Jahr zur One-Man-Band werden. Da war Indie Rock mit Punk, Folk und Country-Anleihen state of the art. Man kann Green Cat Island auch als Beispiel für den erblühenden Roots Rock anhören, man kann die Ähnlichkeit mit Soul Asylum heraushören. Die waren auch in Minneapolis zuhause und auch auf dem Sprung zu einer kurzen Phase der weltweiten Popularität. Dass Run Westy Run Sänger Kirk Justin durchaus Punk konnte, kann man hören, man hört sogar auch ein bisschen Funk, aber man hört vor Allem, dass diese Band alles ausprobierte und einige anständige Songs geschrieben hatte. „Get On“ ist fast Grunge, der Closer „So Long“ ist überzeugend country-infiziert… Man kann beklagen, dass sie zuviel versuchten und sich nicht wirklich auf einen Stil festlegen wollten. Und man mag sich fragen, warum gerade Run Westy Run NICHT den Sprung in die kommerzielle Kiste schafften. Denn was sie machten, machten sie schon gut. Man kann sagen, dieses Album ist „…an overlooked charmer

Solomon Grundy
s/t

(New Alliance, 1990)

Ja – es ist das Jahr, bevor Indie Rock bzw. Grunge explodierte. 1989 hatte Epic den Screaming Trees als einer der ersten Bands aus der Szene in Seattle einen Major Deal angeboten. Das scheint einigen Aufruhr verursacht zu haben. Sänger Mark Lanegan machte ein großartiges Solo-Album (The Winding Sheet… ), Gitarrist Gary Lee Connor lebte seine Psychedelic-Passion, die das letzte ST-Album fast zerrissen hätte, unter dem Namen Purple Outside auf dem Album Mystery Lane aus. Sein Bruder Van Connor war froh, sich mal nicht mit Gary Lee (herum)schlagen zu müssen (da war wirklich viel Gewalt im Spiel!!) und machte mit seinem Projekt Solomon Grundy grungy Power Pop oder „Indie Rock“, den man ihm zwei Jahre später vielleicht aus den Händen gerissen hätte. Nun ja – auch die gemeinsame Band der drei gerade Genannten war ihrer Zeit voraus und hat dafür Respekt, aber wenig kommerziellen Erfolg erhalten. A. Earles lobt Solomon Grundy in seinem Buch in höchsten Tönen. Van Connor hatte mit Lee McCullough einen Kumpel an der Gitarre, der definitiv wusste was er tat (und Buder Gary Lee vollwertig ersetzte). Dazu kam mit Jim King (dr) und Sean Hollister (b) ein Rhythmus-Gespann, das Solomon Grundy zum Powerhouse formte. Und Van Connor hatte Songs!! Man mag seine Stimme etwas schwachbrüstig finden – Mark Lanegan’s Organ wäre bei diesen Songs womöglich eine tolle Sache – aber es sollte nun mal KEIN Screaming Trees Album werden. Dazu war hier zuviel Pop. Zuviel Beatles, zu wenig von dem Psychedelic-Noise, den Gary Lee in die Trees gezwungen hatte. Klar – In allen Songs klingt Hard Rock an. Aber man fühlt sich auch an Bands wie die Posies erinnert (wenn man die kennt… hört JETZT deren Frosting on the Beater) Für Solomon Grundy konzentrierte Van Connor sich auf seine Art des Songwritings, auf den melodieseligen Faktor, den er bei den Screaming Trees eingebracht hatte. Erstaunlich, dass dieses Album in gerade mal zwei Tages-Sessions mit dem Nirvana Produzenten Jack Endino aufgenommen wurde.So bekam die LP eine „Stone Soup“ Seite und eine “Other Stories“ Seite. Da sind auf der Stone Soup-Seite Tracks wie das sehr grungy „Presence of You“ oder der Opener „Out There“ oder „A Little While“ mit gellenden Gitarren, die man von den Screaming Trees kannte… oder doch nicht… Und der Opener der Other Stories verbindet perfekt Power Pop und Grunge. Zuletzt: Ja – Solomon Grundy ist eine Randnotiz im Grunge-Kanon. Es gibt bessere Alben dieser Art. Aber auch viele weit schlechtere, die viel erfolgreicher werden würden. Fans der Screaming Trees sollten sich Solomon Grundy anhören.

Sun City Girls
Torch of the Mystics

(Majora, 1990)

Die Sun City Girls machen mich hilflos: Ihre Musik steht weiter ausserhalb aller Hörgewohnheiten, als die der anderen hier beschriebenen Bands. Seit den 00er Jahren kennt man Freak Folk – und die Ohren vieler Hörer sind bereiter, sich seltsamen Drones und Schamanengesängen zuzuwenden, 1990 aber war solche Musik nur was für Alt-Hippies, die auf einem LSD-Trip hängengeblieben waren, und Menschen, die die Avantgarde umarmten. Aber man beachte: Ein bloßer Abklatsch von freakigen ESP-Bands wie den Holy Modal Rounders war das Trio aus den beiden Bishop Brüdern Richard und Alan sowie Drummer Charles Gocher nicht. Sie hatten die 25 Jahre Rockgeschichte seither mitbekommen – und noch einiges mehr. Und so ist hier einiges versammelt, was sich irgendwo an den Rändern des bekannten Universums bewegt. Es beginnt noch moderat mit dem Acid-Rock Mantra „Blue Mambo“, dann kommt eine verdrehte Ethno-Garage Zeremonie titels „Tarmac 23″, „Esoterica Of Abyssynia“ ist atavistischer Acid/Hardrock, mit Klängen aus dem Mittleren Osten… sie spielen mit Motiven des Surf Sound, klingen mal ein bisschen nach Velvet Underground, mal nach John Fahey mit E-Gitarre (und ja, „Sir“ Richard Bishop sollte später etliche sehr schöne reine Akustik-Gitarrenalben machen) – kurz, sie spielen alles, was nicht normal war und ist. Dass sie bei so einem breiten Ideenspektrum und der Fähigkeit all das auch spielen zu können und seit Mitte der Achtziger eine Unzahl an Alben veröffentlicht hatten und danach auch weiter machten, ist logisch. Torch of the Mystics ist sozusagen eine der Inseln, die aus dem Meer ragen. Man muss mal hinfahren – dann hört man, wer die wirklichen Vorbilder von Animal Collective etwa sind…

Uncle Tupelo
No Depression

(Rockville, 1990)

Auch die steckt A. Earles in die Indie-Kiste. Zurecht. Uncle Tupelo waren eine Band von Highschool-Buddies aus Belleville, Illinois, die das Beste aus Hank Williams und Dinosaur Jr zusammenführte. Tatsache – auf dem Album soll wohl J Mascis‘ Gibson SG erklingen. Dass No Depression seinerzeit tatsächlich ein Solitär war, muss man inzwischen betonen. Denn Musik wie diese gab es zuvor nicht (oft). Klar – die Meat Puppets, die Replacements oder Giant Sand hatten Country-Einflüsse in ihrer Musik. Und auch Mazzy Star (siehe oben) ließen die Steel heulen. Aber Jay Farrar und Jeff Tweedy – die Köpfe und Songwriter bei Uncle Tupelo, die demnächst tolle eigene Projekte starten würden – hatten Hank Williams und die Carter Family nicht nur studiert… die liebten unkitschige, stilvolle, alte Countrymusik eindeutig. Aber eben auch Punk und Hardcore. Ähnlich authentisch waren in dieser Zeit eigentlich nur die Jayhawks. Man sollte sich auch nicht vertun: No Depression klingt sicher nach Country, aber der Opener „Graveyard Shift“ etwa hat ungebührlich harte Gitarren. Auch beim folgenden „That Year“ denkt man am Anfang an Hüsker Dü… bis dann das Banjo im Country-Polka Rhythmus loslegt. Wie gesagt – dies ist Country, durch die Hardcore Suppe gezogen. Und – auch wieder! – Man bekam einige wirklich großartige Songs. Der Faktor mithin, der Alben zeitlos werden lässt. Dass der Titelsong der LP von der Carter Family stammt, soll erwähnt sein. Die drei machten aus dem Song, den A.P. Carter 1936 geschrieben hatte, eine kraftvoll-akustische Version, die tatsächlich modern und uralt zugleich klingt. Bei „Whiskey Bottle“ bekommt man die Typologie der Americana-Alben der kommenden Jahre geboten. Da ist der Hardcore zurückgefahren, das Tempo variiert zur Ballade, aber der Song strahlt wie ein Sonnenuntergang auf dem Highway. Ich will noch Drummer Mike Heirdon nennen: Der schrieb bei vielen Songs mit und hatte großen Anteil an der Band und würde in ein paar Jahren Jay Farrar zu dessen Band Son Volt begleiten. Dass sich eine der langlebigsten Genre-Zeitschriften No Depression nannte, ist der letzte Hinweis auf die Bedeutung dieses Albums.

Ween
God Ween Satan: The Oneness

(Twin/Tone, 1990)

..um es noch mal zu sagen: Ich liebe das stilistische Freidenkertum in Gimme Indie Rock. Und Ween sind (…wie die Sun City Girls…) ein Beispiel dafür, WIE weit Andrew Earles den Begriff Indie Rock fasst… und wie weit dieser auch von der Indie-Community (soweit es sowas gibt) gefasst wird. Nehmen wir Ween: Die Schulfreunde Aaron Freeman aka Gene Ween und Mickey Melchiondo aka Dean Ween machten seit 1984 gemeinsam Musik, ohne sich um irgendeine Genre Einschränkung zu scheren. Sie probierten seit 1984 – seit sie 14 waren – alles aus, bauten sich bekloppte Konzepte zusammen, hatten bis zum Ende der High School etliche Cassetten mit Musik veröffentlicht und machten jetzt (mit 20) ernst, nachdem sie einen Vertrag vom Twin/Tone Label bekamen. Mit dem etwas älteren Freund Andrew Weiss hatten sie einen kongenialen Typen an der Seite, der ein 16-Track-Studio hatte und der sie von da an produzieren und begleiten würde. Und was soll man sagen – God Ween Satan: The Oneness wurde selbstverständlich eine Doppel-LP mit 26 Tracks in 71 Minuten. Größenwahn – Natürlich. Wie soll es auch anders sein, wenn man 20 Jahre alt ist und Dean und Gene Ween heisst. Da fängt das Album mit einem herzlichen „Fuck You“ an, dann bratzen Rock Gitarren bei „Tick“, dann klingt es bei „I’m In the Mood to Move“, als würden die Residents rappen, „I Gots a Weasel“ ist Ragtime aus Absurdistan, „Fat Lenny“ ist alberner Rrock mit panischem Geschrei, als wolle da jemand Bon Scott wiederbeleben. Das geht so weiter und weiter. Meist bleiben diese Skizzen unter zwei Minuten, meist sind sie laut und übertrieben, decken alle denkbaren Seiten der Rockmusik ab… und sind oft tatsächlich eigenständig und mitunter auch gelungenes Songwriting. Man HÖRT den Ween’s an, dass sie das Ganz auch als Spaß ansehen, die Rockmusik ironisch durch den Wolf drehen. Für die Techniker der Hinweis, dass Dean Ween eine beachtliche Lead-Gitarre spielt. Dass all diese Songs durchaus eine gewisse Virtuosität und einfallsreiche Arrangements erhalten. Aber wer kommt schon auf die Idee, einen Song darüber zu schreiben, dass er von einer Hummel gebissen wurde. Und danach erklingen zarte Stimmchen, die zu genial-alberner Disney-Musik „Don’t Laugh (I Love You)“ singen. God Ween Satan: The Oneness ist sicher ein Potpourri, soll auch eines sein, bedient das Konzept, das Ween auch in den kommenden Jahren verfolgen würden. Irgendwann auch etwas geordneter (Sieh die ’96er 12 Golden Country Greats…) Und Ween würden das immer wieder mit beeindruckender Konsequenz und mit viel Geschmack machen. Man mag ja einwenden, dass bei einer Spielzeit von 71 Minuten und bei 26 Songs auch was Gutes herauskommen MUSS. Und man könnte sagen, dass Ween sich durch die Ironisierung ihrer Musik fast unangreifbar machen. Aber dann ist es um so besser, wenn die Ergebnisse = Alben der kommenden Jahre auf allen Ebenen so gut gelingen… wie etwa „Birthday Boy“ oder „Marble Tulip Juicy Tree“, oder der acht-minütige Funky-Jam „L.M.L.Y.P.“. Her begann Indie Rock von Ween. So einzigartig, wie kaum eine andere Band.